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Noch ratloser bin ich, wenn ich erkenne, dass es tatsächlich Leute gibt, die
solchen Müll glauben. Aber seit wir mit der Corona-Pandemie leben, wundert
mich ehrlich gesagt gar nichts mehr. Und mitunter ertappe ich mich tatsächlich
dabei, dass ich mich nach jenen seligen Zeiten zurücksehne, als die flache
Erde und Echsenmenschen noch zum Standard des Verschwörungsschwurbels
gehörten. Wobei der ja nie ganz harmlos war - es gab nur ganz offensichtlich
weniger Leute, die dafür empfänglich waren.
Geschichten, die trotz ihres nicht sehr hohen Maßes an Glaubwürdigkeit dennoch
von genug Personen geglaubt werden, gehören mit Sicherheit zu den Dingen, die
es schon so lange gibt wie die Menschen selbst. Wie ihr wisst, liebe ich die
absurdesten Auswüchse dieser Phantasiegespinste ja heiß - und bin auch immer
noch sehr fasziniert davon, welch seltsame Blüten die Möglichkeiten des
Vernetzt-Seins, wie wir sie heute haben, mitunter treiben. Und das in jeder
Altersgruppe!
Ein paar von euch erinnern sich vielleicht noch daran, dass ich ab und zu über
Internet-Phänomene berichtet habe, die vor allem die jüngsten Nutzer
betreffen. Hauptsächlich deshalb, weil es mich immer wieder fasziniert, wie
schnell gewisse Trends auftauchen und wieder verschwinden, dass es aber
gleichzeitig auch Dinge gibt, die nie alt werden - so habe ich bereits über
Challenges berichtet und über
Kettenbriefe, die immer wiederkehren, wenn auch mit unterschiedlichen Namen und Inhalten.
Gleichzeitig gibt es aber auch Phänomene, die nach kurzer Zeit wieder in
Vergessenheit geraten - ein solches war diese
Momo-Geschichte, die sich, selbst wenn nach wie vor in mehr oder weniger regelmäßigen
Abständen davor
gewarnt wird, ganz offensichtlich schon ziemlich totgelaufen hat. Aber wie es halt so
ist, bin ich kürzlich auf neue seltsame Trends gestoßen. Und weil ich gerade
Lust zum Schreiben habe (und mit dem, was ich eigentlich schreiben will,
gerade nicht vorankomme), erzähle ich euch mal ein bisschen davon.
Ich habe ja in einem der oben verlinkten Artikel bereits über die
Blue-Whale-Challenge geschrieben - jenes Spiel aus dem russischen sozialen
Netzwerk VKontakte, das viele Jugendliche in den Selbstmord getrieben
haben soll. Ich habe jetzt allerdings wieder erfahren, dass es weder für
Selbstmorde in Verbindung mit dieser Challenge noch für die ursprüngliche
Challenge selbst stichhaltige Beweise gibt - Näheres erfahrt ihr
hier. Übrigens ein
eindrucksvolles Beispiel dafür, dass auch Medien, die als "seriös" gelten,
nicht immer die Wahrheit sagen. Das einzige, was man weiß, ist, dass es
zahlreiche Nachahmer gegeben hat. Mittlerweile soll es auch schon Challenges
mit ähnlichem Prinzip geben - beispielsweise heißt es, dass es vor zwei Jahren
diese schon erwähnte Momo-Challenge gegeben hätte, die ungefähr gleich ablief.
Für die angeblichen Opfer dieser Challenge gab es allerdings noch weniger
Beweise als für die der Blue-Whale-Challenge. Jetzt gibt es wieder sehr viel
Theater um eine solche Challenge, die in Verbindung steht mit einem Profil,
das vor nicht allzu langer Zeit auf Twitter erstellt wurde und das den Namen
"Jonathan Galindo" trägt.
Das Profilbild dieses Jonathan Galindo ist ein Mann mit einer Maske, die ein
bisschen an Goofy erinnert. Dieses Profil soll mehrere Leute auf Social Media
angeschrieben und vor allem Kinder und Jugendliche gefragt haben, ob sie eine
Challenge machen wollten, und einige haben angeblich auch schon mitgemacht.
Dies ging so lange, bis das Profil von Twitter auf Grund von Beschwerden
gelöscht wurde. Mittlerweile sind jedoch auf unterschiedlichen sozialen
Netzwerken unzählige Profile zu finden, die sich "Jonathan Galindo" nennen und
auch dieses seltsame Profilbild haben - wie wir es schon bei Momo gekannt
haben. Ich habe übrigens aus Neugierde mal versucht, die alten Momo-Profile
auf Instagram ausfindig zu machen - wie zu erwarten, war aber kein einziges
mehr zu finden. Ich nehme an, das wird auch bei den Jonathan-Galindo-Profilen
irgendwann der Fall sein. Angeblich schreiben diese also irgendwelche Leute
an, um sie zu fragen, ob sie eine Challenge mitmachen wollen - bei der es sich
um die berühmt-berüchtigte Blue-Whale-Challenge handeln soll, für die diese
Profile als Kuratoren fungieren. Jedenfalls kursieren aktuell immer wieder
Warnungen vor diesen Profilen, in denen behauptet wird, dass deren Inhaber,
wenn man auf ihre Nachrichten antworte, die IP-Adresse zurückverfolgen, einen
zu Hause besuchen und womöglich auch umbringen werde.
Nun, dass ein mutmaßlicher Jonathan Galindo allein aufgrund einer
unverfänglichen Unterhaltung deine Adresse herausfindet und dich zu Hause
aufsucht, ist eher unwahrscheinlich. Allerdings sollen diese Profile
verschiedene Links schicken, auf die man klicken soll und mittels derer es
auch möglich sein soll, die Wohnadresse herauszufinden. So wie man es häufig
auf Social-Media-Plattformen sieht, wo durch irgendwelche Hoaxes persönliche
Daten von Leuten ergaunert werden. Angeblich soll es schon vorgekommen sein,
dass diese Profile besonders in Vietnam jenen, mit denen sie schrieben, Fotos
von den Schildern der Straße, in denen sie wohnten, geschickt haben. Ob das
zutrifft, kann ich allerdings nicht sagen - soweit ich informiert bin, bekommt
man über die IP-Adresse lange nicht so viele Informationen heraus, wie so
manche glauben (meist nicht viel mehr als den Namen des Internetproviders
sowie ganz grob auch die Gegend, aus der man kommt). Allerdings kommt an
dieser Stelle mal die Preisfrage: Ist es ratsam, dem dubiosen Profil eines
völlig Unbekannten zu antworten, wenn er euch zu einer Challenge einlädt? Wer
die richtige Antwort weiß, gewinnt ein Joghurt für zwei Personen, das ich
vorher aufgegessen habe. Haha!
Was das Aussehen dieses Jonathan Galindo angeht, so ist mittlerweile bekannt,
dass dieses von einem Cosplayer auf Twitter stammt, der so ein Kostüm vor
etlichen Jahren kreiert hat - ähnlich, wie diese Momo von vor zwei Jahren in
Wirklichkeit eine Skulptur aus einem japanischen Museum gewesen ist. Er hat
auch schon eine Stellungnahme herausgegeben, in der er klar macht, dass seine
Fotos für diese Jonathan-Galindo-Profile zweckentfremdet wurden. Die
Challenges wiederum sind offensichtlich mehr oder weniger die gleichen, die
man schon von der Blue-Whale-Challenge kennt - auch wenn es ein paar
Abweichungen gibt. So hat so eine Blue-Whale-Challenge noch ziemlich harmlos
angefangen und wurde dann immer schlimmer, bis sie am Ende in den Selbstmord
gipfelte. Einige Jonathan-Galindo-Profile sollen aber direkt zu den
gefährlichen Challenges übergegangen sein - manche Teilnehmer wurden angeblich
direkt aufgefordert, sich umzubringen. Das Ganze klingt erst mal äußerst
beängstigend, allerdings muss ich dazu sagen, dass ich nicht einen einzigen
Beweis dafür gefunden habe, dass diese Challenge tatsächlich Opfer gefordert
hat - wir sollten also nicht in Panik ausbrechen.
Das nächste Phänomen, das mir untergekommen ist, wurde wiederum bereits von
mimikama
behandelt - und zwar geht es um die Talking-Angela-App.
Talking Angela ist eine Chatbot-App für Kinder, die es schon
einige Jahre gibt und die eine weiße Katze mit blauen Augen darstellt, eine
künstliche Intelligenz, mit der die Kinder sich unterhalten können. Es gab
zuvor schon eine ähnliche App, ebenfalls mit einer Katze, die
Talking Tom hieß, und sie funktionierte mehr oder weniger gleich,
sprich, Talking Angela ist im Prinzip nur eine verbesserte Version -
und im Gegensatz zu Talking Tom gibt es jetzt auch eine
Chat-Funktion, über die man sich mit dieser Katze unterhalten kann. Es ist
also nichts anderes als eine lustige Spielerei, wie man viele im App-Store
findet - und doch kursieren alle möglichen gruseligen Geschichten über sie.
Und diese sind auch keineswegs neu - schon 2012, als die erste Version von
Talking Angela verfügbar war, kursierten wilde Gerüchte. Denn
diese App muss natürlich Zugriff auf das Mikrophon und die Kamera des Handys
haben - immerhin soll man ja mit der Figur reden können, und diese soll auch
in der Lage sein, die Mimik des Benutzers zu imitieren bzw. zu interpretieren.
Dazu kommt noch, dass die App vergleichsweise gut gemacht ist - die Chats mit
der Figur wirken offensichtlich so echt, dass manche Eltern anfangs gar nicht
glauben konnten, dass es sich hier um eine KI handelt. Dies veranlasste viele
zu der Befürchtung, die App könnte von Pädophilen genutzt werden, um ihre
Kinder auszuspionieren oder gar mit ihnen zu interagieren. Allerdings muss man
dazu sagen, dass viele Chatbots heutzutage schon so gut gemacht sind, dass man
häufig kaum noch bemerkt, dass man es hier nicht mit einem echten Menschen zu
tun hat - viele Firmen nutzen solche Bots beispielsweise schon für den
Online-Support. Abgesehen davon kann man auch darauf hinweisen, dass ja auch
viele Erwachsene eine Alexa in der Wohnung haben oder die
Siri-App nutzen, die ebenfalls Zugriff auf Handy und Kamera haben.
Die Befürchtungen um Talking Angela tauchten immer wieder mal auf,
aber in letzter Zeit häufen sich wieder Meldungen um die angebliche
Gefährlichkeit dieser App. So ruft es bei so manchen Eltern Skepsis hervor,
dass die Katze manchmal Fragen stellt, die persönliche Informationen erfordern
- was natürlich bei manchen wieder den Verdacht erregt, es könnte ein
Pädophiler dahinterstecken. Ein neuer Mythos hat jedoch mit den Augen der
Figur zu tun - denn in diesen könnte man angeblich die Person sehen, von der
man beobachtet werde. Das könnte nun ein Hacker sein oder gar ein Pädophiler
oder Serienkiller. Tatsächlich kann man in den Augen der Katze auch Umrisse
erkennen - wohl die gegenüberliegende Seite des Pariser Cafés, in dem sie in
der App sitzt. Aber um da menschliche Umrisse zu sehen, braucht man, wie ich
finde, schon einiges an Phantasie. Ich denke eher, dass Leute diese Umrisse
sehen, weil sie sie sehen wollen - wenn man gezielt nach etwas sucht, kann
jede Unregelmäßigkeit, jeder Pixelfehler als Indiz dafür fungieren, dass man
es auch gefunden hat. Die Geschichte hat sich inzwischen schon so weit
verbreitet, dass sogar schon Nachrichtenportale davon berichten - aber keines
konnte auch nur einen stichhaltigen Beweis liefern, dass diese App tatsächlich
von einem Pädophilen genutzt wird. Diese Berichte basieren einzig und allein
auf Kettenbriefen, die auf Plattformen wie Facebook und Twitter geteilt werden
und wo vor dieser App gewarnt wird - es wird sogar berichtet, dass schon
Menschen durch diese App ums Leben gekommen sein sollen. Und wie nicht anders
zu erwarten, gibt es natürlich auch schon die ersten Trash-YouTuber, die auf
diesen Hype anspringen und so tun, als würden sie von der App beobachtet -
oder dass irgendwas Gruseliges passiert, wenn die App um drei Uhr nachts
genutzt wird (warum eigentlich immer um drei Uhr nachts?). Im Prinzip ist das
jedoch wohl nur einer von vielen dieser Mythen, die es schon seit Ewigkeiten
gibt und wo Dinge hinzugedichtet werden, die es gar nicht gibt. Ich schätze
mal, wenn sich diese Gerüchte tatsächlich irgendwann einmal bestätigt hätten,
wäre diese App inzwischen gar nicht mehr verfügbar.
Wie wir wohl alle erkannt haben, spielen beide Gerüchte besonders mit den
Ängsten von Eltern - in dem einen Fall geht es um junge Menschen, in deren
Leben sich gerade sehr viel verändert und die daher besonders leicht
angreifbar sind. In dem anderen wiederum wird eine Angst getriggert, die
besonders in der heutigen Zeit gerne geschürt wird, wenn es um Kinder geht,
nämlich die Angst davor, dass das eigene Kind missbraucht werden könnte. In
beiden Fällen ist das natürlich alles andere als lustig, aber die Schlaueren
unter euch haben mit Sicherheit schon verstanden, dass es im Internet halt
viele Leute gibt, die sich einen Spaß daraus machen, andere in Angst und
Schrecken zu versetzen, und deswegen solche Geschichten verbreiten oder Kinder
zu gefährlichen Challenges verführen. Im Fall mit der Challenge gibt es im
Prinzip nur eines, was man tun kann, nämlich, die Finger von den
Jonathan-Galindo-Profilen zu lassen und auf eventuelle Kontaktversuche nicht
zu reagieren. Was die Talking-Angela-App betrifft, so müssen Eltern
selbst entscheiden, ob sie ihr Kind damit spielen lassen oder nicht - dass es
allerdings dabei von einem Pädophilen ausspioniert und in der Folge vielleicht
sogar entführt wird, ist doch recht unwahrscheinlich. Lasst euch von solchen
Geschichten nicht die gute Laune verderben - vollkommen risikofrei wird das
Leben leider nicht sein, und alles, was man tun kann, ist, sein Kind zu
instruieren und ihm zu zeigen, wie es sich in einer gefährlichen Situation
verhalten kann. Und was eventuelle Suizidgedanken betrifft, so gibt es
Notrufdienste, die man zu Rate ziehen kann. Das wichtigste ist, kühlen Kopf zu bewahren -
so kann man sich am effizientesten vor eventueller Panikmache schützen.
Deswegen - bleibt aufmerksam und lasst euch vor allen Dingen nicht irre
machen!
vousvoyez
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