Montag, 13. Juli 2020

36 + 0 = 360


(c) vousvoyez
Auch diese Weisheit stammt aus jener Zeit, als ich mich via YouTube königlich über die Flacherdler amüsiert habe. Leider kann ich nicht mehr sagen, wer genau diese überaus geniale Rechnung aufgestellt hat und zu welchem Zweck, weil ich dafür erst die betreffenden Videos durchforsten müsste, und das dauert mir momentan - pardon - doch etwas zu lange. Ein ehemaliger Schulkollege hat mich übrigens darauf aufmerksam gemacht, dass die Rechnung richtig sein könnte, wenn man die 0 als Variable nehmen würde - leider hat das Flacherdler-Rechengenie die Gleichung jedoch genauso gemeint, wie sie hier steht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob dieser Jemand überhaupt wusste, was eine Variable ist. Da bin selbst ich mit meiner Dyskalkulie ratlos.


Noch ratloser bin ich, wenn ich erkenne, dass es tatsächlich Leute gibt, die solchen Müll glauben. Aber seit wir mit der Corona-Pandemie leben, wundert mich ehrlich gesagt gar nichts mehr. Und mitunter ertappe ich mich tatsächlich dabei, dass ich mich nach jenen seligen Zeiten zurücksehne, als die flache Erde und Echsenmenschen noch zum Standard des Verschwörungsschwurbels gehörten. Wobei der ja nie ganz harmlos war - es gab nur ganz offensichtlich weniger Leute, die dafür empfänglich waren.

Geschichten, die trotz ihres nicht sehr hohen Maßes an Glaubwürdigkeit dennoch von genug Personen geglaubt werden, gehören mit Sicherheit zu den Dingen, die es schon so lange gibt wie die Menschen selbst. Wie ihr wisst, liebe ich die absurdesten Auswüchse dieser Phantasiegespinste ja heiß - und bin auch immer noch sehr fasziniert davon, welch seltsame Blüten die Möglichkeiten des Vernetzt-Seins, wie wir sie heute haben, mitunter treiben. Und das in jeder Altersgruppe!

Ein paar von euch erinnern sich vielleicht noch daran, dass ich ab und zu über Internet-Phänomene berichtet habe, die vor allem die jüngsten Nutzer betreffen. Hauptsächlich deshalb, weil es mich immer wieder fasziniert, wie schnell gewisse Trends auftauchen und wieder verschwinden, dass es aber gleichzeitig auch Dinge gibt, die nie alt werden - so habe ich bereits über Challenges berichtet und über Kettenbriefe, die immer wiederkehren, wenn auch mit unterschiedlichen Namen und Inhalten. Gleichzeitig gibt es aber auch Phänomene, die nach kurzer Zeit wieder in Vergessenheit geraten - ein solches war diese Momo-Geschichte, die sich, selbst wenn nach wie vor in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen davor gewarnt wird, ganz offensichtlich schon ziemlich totgelaufen hat. Aber wie es halt so ist, bin ich kürzlich auf neue seltsame Trends gestoßen. Und weil ich gerade Lust zum Schreiben habe (und mit dem, was ich eigentlich schreiben will, gerade nicht vorankomme), erzähle ich euch mal ein bisschen davon.

Ich habe ja in einem der oben verlinkten Artikel bereits über die Blue-Whale-Challenge geschrieben - jenes Spiel aus dem russischen sozialen Netzwerk VKontakte, das viele Jugendliche in den Selbstmord getrieben haben soll. Ich habe jetzt allerdings wieder erfahren, dass es weder für Selbstmorde in Verbindung mit dieser Challenge noch für die ursprüngliche Challenge selbst stichhaltige Beweise gibt - Näheres erfahrt ihr hier. Übrigens ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass auch Medien, die als "seriös" gelten, nicht immer die Wahrheit sagen. Das einzige, was man weiß, ist, dass es zahlreiche Nachahmer gegeben hat. Mittlerweile soll es auch schon Challenges mit ähnlichem Prinzip geben - beispielsweise heißt es, dass es vor zwei Jahren diese schon erwähnte Momo-Challenge gegeben hätte, die ungefähr gleich ablief. Für die angeblichen Opfer dieser Challenge gab es allerdings noch weniger Beweise als für die der Blue-Whale-Challenge. Jetzt gibt es wieder sehr viel Theater um eine solche Challenge, die in Verbindung steht mit einem Profil, das vor nicht allzu langer Zeit auf Twitter erstellt wurde und das den Namen "Jonathan Galindo" trägt.

Das Profilbild dieses Jonathan Galindo ist ein Mann mit einer Maske, die ein bisschen an Goofy erinnert. Dieses Profil soll mehrere Leute auf Social Media angeschrieben und vor allem Kinder und Jugendliche gefragt haben, ob sie eine Challenge machen wollten, und einige haben angeblich auch schon mitgemacht. Dies ging so lange, bis das Profil von Twitter auf Grund von Beschwerden gelöscht wurde. Mittlerweile sind jedoch auf unterschiedlichen sozialen Netzwerken unzählige Profile zu finden, die sich "Jonathan Galindo" nennen und auch dieses seltsame Profilbild haben - wie wir es schon bei Momo gekannt haben. Ich habe übrigens aus Neugierde mal versucht, die alten Momo-Profile auf Instagram ausfindig zu machen - wie zu erwarten, war aber kein einziges mehr zu finden. Ich nehme an, das wird auch bei den Jonathan-Galindo-Profilen irgendwann der Fall sein. Angeblich schreiben diese also irgendwelche Leute an, um sie zu fragen, ob sie eine Challenge mitmachen wollen - bei der es sich um die berühmt-berüchtigte Blue-Whale-Challenge handeln soll, für die diese Profile als Kuratoren fungieren. Jedenfalls kursieren aktuell immer wieder Warnungen vor diesen Profilen, in denen behauptet wird, dass deren Inhaber, wenn man auf ihre Nachrichten antworte, die IP-Adresse zurückverfolgen, einen zu Hause besuchen und womöglich auch umbringen werde.

Nun, dass ein mutmaßlicher Jonathan Galindo allein aufgrund einer unverfänglichen Unterhaltung deine Adresse herausfindet und dich zu Hause aufsucht, ist eher unwahrscheinlich. Allerdings sollen diese Profile verschiedene Links schicken, auf die man klicken soll und mittels derer es auch möglich sein soll, die Wohnadresse herauszufinden. So wie man es häufig auf Social-Media-Plattformen sieht, wo durch irgendwelche Hoaxes persönliche Daten von Leuten ergaunert werden. Angeblich soll es schon vorgekommen sein, dass diese Profile besonders in Vietnam jenen, mit denen sie schrieben, Fotos von den Schildern der Straße, in denen sie wohnten, geschickt haben. Ob das zutrifft, kann ich allerdings nicht sagen - soweit ich informiert bin, bekommt man über die IP-Adresse lange nicht so viele Informationen heraus, wie so manche glauben (meist nicht viel mehr als den Namen des Internetproviders sowie ganz grob auch die Gegend, aus der man kommt). Allerdings kommt an dieser Stelle mal die Preisfrage: Ist es ratsam, dem dubiosen Profil eines völlig Unbekannten zu antworten, wenn er euch zu einer Challenge einlädt? Wer die richtige Antwort weiß, gewinnt ein Joghurt für zwei Personen, das ich vorher aufgegessen habe. Haha!

Was das Aussehen dieses Jonathan Galindo angeht, so ist mittlerweile bekannt, dass dieses von einem Cosplayer auf Twitter stammt, der so ein Kostüm vor etlichen Jahren kreiert hat - ähnlich, wie diese Momo von vor zwei Jahren in Wirklichkeit eine Skulptur aus einem japanischen Museum gewesen ist. Er hat auch schon eine Stellungnahme herausgegeben, in der er klar macht, dass seine Fotos für diese Jonathan-Galindo-Profile zweckentfremdet wurden. Die Challenges wiederum sind offensichtlich mehr oder weniger die gleichen, die man schon von der Blue-Whale-Challenge kennt - auch wenn es ein paar Abweichungen gibt. So hat so eine Blue-Whale-Challenge noch ziemlich harmlos angefangen und wurde dann immer schlimmer, bis sie am Ende in den Selbstmord gipfelte. Einige Jonathan-Galindo-Profile sollen aber direkt zu den gefährlichen Challenges übergegangen sein - manche Teilnehmer wurden angeblich direkt aufgefordert, sich umzubringen. Das Ganze klingt erst mal äußerst beängstigend, allerdings muss ich dazu sagen, dass ich nicht einen einzigen Beweis dafür gefunden habe, dass diese Challenge tatsächlich Opfer gefordert hat - wir sollten also nicht in Panik ausbrechen.

Das nächste Phänomen, das mir untergekommen ist, wurde wiederum bereits von mimikama behandelt - und zwar geht es um die Talking-Angela-App. Talking Angela ist eine Chatbot-App für Kinder, die es schon einige Jahre gibt und die eine weiße Katze mit blauen Augen darstellt, eine künstliche Intelligenz, mit der die Kinder sich unterhalten können. Es gab zuvor schon eine ähnliche App, ebenfalls mit einer Katze, die Talking Tom hieß, und sie funktionierte mehr oder weniger gleich, sprich, Talking Angela ist im Prinzip nur eine verbesserte Version - und im Gegensatz zu Talking Tom gibt es jetzt auch eine Chat-Funktion, über die man sich mit dieser Katze unterhalten kann. Es ist also nichts anderes als eine lustige Spielerei, wie man viele im App-Store findet - und doch kursieren alle möglichen gruseligen Geschichten über sie. Und diese sind auch keineswegs neu - schon 2012, als die erste Version von Talking Angela verfügbar war, kursierten wilde Gerüchte. Denn diese App muss natürlich Zugriff auf das Mikrophon und die Kamera des Handys haben - immerhin soll man ja mit der Figur reden können, und diese soll auch in der Lage sein, die Mimik des Benutzers zu imitieren bzw. zu interpretieren. Dazu kommt noch, dass die App vergleichsweise gut gemacht ist - die Chats mit der Figur wirken offensichtlich so echt, dass manche Eltern anfangs gar nicht glauben konnten, dass es sich hier um eine KI handelt. Dies veranlasste viele zu der Befürchtung, die App könnte von Pädophilen genutzt werden, um ihre Kinder auszuspionieren oder gar mit ihnen zu interagieren. Allerdings muss man dazu sagen, dass viele Chatbots heutzutage schon so gut gemacht sind, dass man häufig kaum noch bemerkt, dass man es hier nicht mit einem echten Menschen zu tun hat - viele Firmen nutzen solche Bots beispielsweise schon für den Online-Support. Abgesehen davon kann man auch darauf hinweisen, dass ja auch viele Erwachsene eine Alexa in der Wohnung haben oder die Siri-App nutzen, die ebenfalls Zugriff auf Handy und Kamera haben.

Die Befürchtungen um Talking Angela tauchten immer wieder mal auf, aber in letzter Zeit häufen sich wieder Meldungen um die angebliche Gefährlichkeit dieser App. So ruft es bei so manchen Eltern Skepsis hervor, dass die Katze manchmal Fragen stellt, die persönliche Informationen erfordern - was natürlich bei manchen wieder den Verdacht erregt, es könnte ein Pädophiler dahinterstecken. Ein neuer Mythos hat jedoch mit den Augen der Figur zu tun - denn in diesen könnte man angeblich die Person sehen, von der man beobachtet werde. Das könnte nun ein Hacker sein oder gar ein Pädophiler oder Serienkiller. Tatsächlich kann man in den Augen der Katze auch Umrisse erkennen - wohl die gegenüberliegende Seite des Pariser Cafés, in dem sie in der App sitzt. Aber um da menschliche Umrisse zu sehen, braucht man, wie ich finde, schon einiges an Phantasie. Ich denke eher, dass Leute diese Umrisse sehen, weil sie sie sehen wollen - wenn man gezielt nach etwas sucht, kann jede Unregelmäßigkeit, jeder Pixelfehler als Indiz dafür fungieren, dass man es auch gefunden hat. Die Geschichte hat sich inzwischen schon so weit verbreitet, dass sogar schon Nachrichtenportale davon berichten - aber keines konnte auch nur einen stichhaltigen Beweis liefern, dass diese App tatsächlich von einem Pädophilen genutzt wird. Diese Berichte basieren einzig und allein auf Kettenbriefen, die auf Plattformen wie Facebook und Twitter geteilt werden und wo vor dieser App gewarnt wird - es wird sogar berichtet, dass schon Menschen durch diese App ums Leben gekommen sein sollen. Und wie nicht anders zu erwarten, gibt es natürlich auch schon die ersten Trash-YouTuber, die auf diesen Hype anspringen und so tun, als würden sie von der App beobachtet - oder dass irgendwas Gruseliges passiert, wenn die App um drei Uhr nachts genutzt wird (warum eigentlich immer um drei Uhr nachts?). Im Prinzip ist das jedoch wohl nur einer von vielen dieser Mythen, die es schon seit Ewigkeiten gibt und wo Dinge hinzugedichtet werden, die es gar nicht gibt. Ich schätze mal, wenn sich diese Gerüchte tatsächlich irgendwann einmal bestätigt hätten, wäre diese App inzwischen gar nicht mehr verfügbar.

Wie wir wohl alle erkannt haben, spielen beide Gerüchte besonders mit den Ängsten von Eltern - in dem einen Fall geht es um junge Menschen, in deren Leben sich gerade sehr viel verändert und die daher besonders leicht angreifbar sind. In dem anderen wiederum wird eine Angst getriggert, die besonders in der heutigen Zeit gerne geschürt wird, wenn es um Kinder geht, nämlich die Angst davor, dass das eigene Kind missbraucht werden könnte. In beiden Fällen ist das natürlich alles andere als lustig, aber die Schlaueren unter euch haben mit Sicherheit schon verstanden, dass es im Internet halt viele Leute gibt, die sich einen Spaß daraus machen, andere in Angst und Schrecken zu versetzen, und deswegen solche Geschichten verbreiten oder Kinder zu gefährlichen Challenges verführen. Im Fall mit der Challenge gibt es im Prinzip nur eines, was man tun kann, nämlich, die Finger von den Jonathan-Galindo-Profilen zu lassen und auf eventuelle Kontaktversuche nicht zu reagieren. Was die Talking-Angela-App betrifft, so müssen Eltern selbst entscheiden, ob sie ihr Kind damit spielen lassen oder nicht - dass es allerdings dabei von einem Pädophilen ausspioniert und in der Folge vielleicht sogar entführt wird, ist doch recht unwahrscheinlich. Lasst euch von solchen Geschichten nicht die gute Laune verderben - vollkommen risikofrei wird das Leben leider nicht sein, und alles, was man tun kann, ist, sein Kind zu instruieren und ihm zu zeigen, wie es sich in einer gefährlichen Situation verhalten kann. Und was eventuelle Suizidgedanken betrifft, so gibt es Notrufdienste, die man zu Rate ziehen kann. Das wichtigste ist, kühlen Kopf zu bewahren - so kann man sich am effizientesten vor eventueller Panikmache schützen. Deswegen - bleibt aufmerksam und lasst euch vor allen Dingen nicht irre machen!

vousvoyez

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