Mittwoch, 29. Juli 2020

Du bist eine Tierquälerin - weil du so einen großen Vogel in so einen kleinen Kopf einsperrst.

(c) vousvoyez
Der Spruch stammt von einer Freundin von mir, aber ich denke, dass einige meiner werten Leser und Innen häufig schon genau dasselbe über mich gedacht haben - ob im guten oder im schlechten Sinne, darüber bin ich mir allerdings nicht immer so sicher. Wobei "einen Vogel haben" ja bekanntlich relativ ist - denn diejenigen, denen man das nachsagt, sind häufig erschreckend "normal". Auch wenn manche von ihnen zu Schwurbeleien neigen.

Neben all den aktuellen Watschengesichtern  Intellligenzbestien, deren Eskapaden zurzeit viral gehen, gibt es natürlich nach wie vor die ganzen abstrusen Geschichten, ohne die unser (Online-) Leben anscheinend vollkommen sinnlos wäre. Letztens habe ich ja wieder mal über eine Person gesprochen, die angeblich Jugendliche zu tödlichen Challenges verführen soll, die es aber eigentlich gar nicht gibt. Heute möchte ich über eine Person sprechen, die es sehr wohl gibt, um die aber in letzter Zeit alle möglichen eigenartigen Gerüchte im Umlauf sind. Die Rede ist natürlich von Britney Spears.

Britney gehört selbstverständlich zu den umjubelten Stars meiner Generation. Ihren ersten Hit ... Baby One More Time hatte sie, als ich fünfzehn war - da war sie selbst gerade achtzehn und stand schon von Kindesbeinen an auf der Bühne. Ein Jahr später folgte Ooops! ... I Did It Again. Ich will ehrlich sein - ich war nie ihr Fan. Ihre Musik war nicht mein Geschmack, und ihr Sexy-Schulmädchen-Image fand ich eher nervig. Ich fand sie doof, weil ich die Mechanismen der Boulevard-Presse noch nicht begriff und weil ich zwischen Kunstfigur und Privatperson noch nicht unterscheiden konnte - darauf bin ich nicht stolz, aber so ist es halt. Mir gefällt ihre Musik auch heute nicht besonders, aber ich habe im Prinzip überhaupt nichts gegen ihre Person - sie tut mir eher leid, denn egal wie nervig ich sie auch je fand, sie hat niemandem etwas getan, und ein so beschissenes Leben hätte ich ihr nie gewünscht. Trotzdem finde ich die Gerüchte, die zurzeit um ihre Person gesponnen werden, recht merkwürdig und gleichzeitig auch schwurbelig. Was ist passiert?

Britney Spears heiratete früh und ist Mutter zweier Söhne; die Ehe mit dem Tänzer und Rapper Kevin Federline, deren Vater, hielt nur drei Jahre. Als sie scheiterte, ließ sie sich den Kopf kahl rasieren und zwei Tattoos stechen; das Sorgerecht für ihre Kinder bekam deren Vater. Nachdem sie sich 2008 mit den beiden Jungs in ihrer Villa in Los Angeles verbarrikadiert hatte und von der Polizei belagert wurde, wurde sie mit einem Krankenwagen in eine Klinik eingeliefert. Aus dem ehemaligen Teenie-Star wurde allmählich eine femme fatale, ein dankbares Opfer für die gnadenlose Klatschpresse. Im Alter von 27 Jahren wurde sie entmündigt und steht seitdem unter der Vormundschaft ihres Vaters, der auch zusammen mit einem Anwalt ihr Vermögen verwaltet.

Britneys Karriere hat inzwischen wieder einen Aufschwung erfahren; bereits seit längerer Zeit produziert sie wieder neue Musik, hat auch Auftritte und ist Jurorin in TV-Sendungen. Ihre rechtliche Situation sorgt in ihrer Fangemeinde jedoch zunehmend für Unmut - unter dem Hashtag #freebritney fordern viele von ihnen, dass sie die volle Kontrolle über ihr Leben und ihre Finanzen zurückerhält. Doch die Gründe für diese durchaus nachvollziehbare Forderung basieren nicht nur auf Fakten - in letzter Zeit häufen sich alle möglichen Gerüchte von Fans, die glauben, sie werde in Gefangenschaft gehalten.

"Beweise" für diese Gerüchte wollen diese Leute vor allem in ihren Posts auf Instagram und Tik Tok erkennen, in denen sie angeblich mittels geheimer Botschaften um Hilfe bittet. Natürlich wieder mal eine Behauptung, die man nicht beweisen, aber auch nicht so ohne weiteres widerlegen kann. Angefangen hat es mit einem Video, in dem sie ziemlich neben der Spur war; daraufhin schrieb jemand in einem Kommentar, der auch viele Likes erhielt (und demnach schnell zu finden war), sie solle, wenn sie Hilfe brauche, in ihrem nächsten Video Gelb tragen. In ihrem nächsten Video trug sie dann ein bauchfreies Top in - große Überraschung! - Gelb! Was natürlich der ultimative "Beweis" dafür ist, dass sie wirklich gefangen gehalten wird (zwinker zwinker)! Ebenso gab es Spekulationen, dass sie Permanent-Make-up trage, sprich, dass sie sich ihren dicken schwarzen Eyeliner in Wirklichkeit tätowieren hat lassen - bis sie schließlich Fotos von sich postete, auf denen sie sich komplett ungeschminkt und ohne Filter und Photoshop präsentiert (und sich für eine fast Vierzigjährige auch durchaus gut gehalten hat). Prompt glaubten einige ihrer Fans, als sie das Foto untersuchten, in den Wimpern unter ihren Augen "Call 911" lesen zu können - also die Aufforderung, die Polizei zu rufen. Nun, ich muss sagen, auch mit sehr viel Phantasie kann ich da überhaupt nichts erkennen - aber wie ich, glaube ich, in einem anderen Artikel schon angemerkt habe: Wenn man in irgendeinem beliebigen Bild eine "versteckte Botschaft" sucht, dann findet man sie auch, egal ob da eine ist oder nicht. Kleiner Vorschlag - versucht, in dem Foto, das ich mit diesem Artikel posten werde, eine versteckte Botschaft zu finden. Ich habe es - wie übrigens einige in diesem Blog - selbst gemacht, sprich, ihr könnt euch jeden Unsinn ausdenken, den ihr wollt.

Darüber hinaus hat Britney Spears auch noch Fotos gepostet, in denen sie von einem "dritten Auge" und einer höheren spirituellen Ebene gesprochen hat. Nun, dass Leute an so etwas glauben, ist nicht ungewöhnlich - und es ist auch nicht zwangsläufig etwas Schlimmes. Aber viele spekulieren halt jetzt darüber, dass Britney unter Drogen gesetzt werde oder Halluzinogene nehme. Außerdem las ein alter Freund von ihr auf Tik Tok einen Brief vor, den sie angeblich geschrieben hat, in dem sie um Hilfe bat und in der dritten Person von sich sprach. Die Sache ist halt - er hat den Brief weder gezeigt, noch gibt es irgendein Indiz, dass sie diesen tatsächlich geschrieben hat. Ich habe eher das Gefühl, dass diese Person den Brief erfunden hat, um Aufmerksamkeit zu erlangen - es ist doch recht unwahrscheinlich, dass man eine so persönliche Korrespondenz öffentlich vorliest, und dann auch noch auf Tik Tok, das doch eine eher junge und weniger hilfreiche Zielgruppe hat. Mittlerweile posten auch schon andere Prominente den Hashtag #freebritney, darunter ihre langjährige Freundin Paris Hilton.

Nun, was die spirituellen Posts betrifft - es ist nichts Ungewöhnliches, dass Menschen mit psychischen Problemen anfällig für Esoterik sind, und solange es ihnen Halt gibt, ist das auch nichts Verwerfliches. Und was den Rest angeht - ihr habt vielleicht schon gemerkt, dass ich das meiste für ziemlich weit hergeholt halte. Dass Britney Spears' Entmündigung auf eine Reihe fataler Entscheidungen zurückzuführen ist, ist ja bekannt, und dass sie psychisch labil ist, sollte wohl jedem klar sein. Ich weiß nicht, wie es mit dem amerikanischen Recht aussieht, aber bei uns in Österreich muss schon einiges passieren, dass ein erwachsener Mensch seine Mündigkeit verliert - zumindest muss doch ein ziemlich hohes Maß an Selbst- und/oder Fremdgefährdung vorliegen. Ich muss ganz ehrlich sagen - mich wundert nicht, dass ein Mensch, der schon in so jungen Jahren so viel Aufmerksamkeit erhielt und schon so früh herumgereicht wurde, irgendwann seelisch am Ende ist. Irgendwie tut es mir auch verdammt leid, dass so jemandem mit Ende Dreißig noch nicht einmal ein Selbstbestimmungsrecht zugebilligt wird. Im übrigen frage ich mich, warum das so ist, wenn eine Person die Donald Trump dasselbe Land, in dem sie lebt, regieren darf, obwohl sein Verhalten noch weitaus gefährlicher ist. Aber okay, das werde ich wohl nie verstehen. Zumindest soll im August erneut über Britneys rechtliche Situation verhandelt werden - sprich, es wird sich wohl irgendwann herausstellen, was wirklich los war.

Im übrigen habe ich noch einen weiteren Artikel am Start. Ich habe mir aber gedacht, bevor ich diesen in Angriff nehme, poste ich noch einmal etwas, das nicht ganz so ernst ist. Auch wenn psychische Erkrankungen selbstverständlich ein ernstes Thema sind, aber in diesem Fall geht es ja hauptsächlich um unbewiesene Behauptungen. Nun, da wir uns ja ganz offensichtlich auf eine zweite Infektionswelle zubewegen, hoffe ich, dass ihr gut auf euch aufpasst und keine Dummheiten macht. Wir sehen uns bald wieder - sehr bald! Bon voyage!

vousvoyez

Freitag, 24. Juli 2020

Avez-vous Bsssssss?

(c) vousvoyez
Diese Weisheit stammt aus einer Anekdote der Beatles Anthology: Im Jahr 1964, als die Band das erste Mal Gastspiele in Paris hatte, behauptete jemand aus ihrer Entourage, fließend Französisch zu sprechen. Als seine Sprachkenntnisse dann aber gefordert waren, stellte sich heraus, dass diese nur rudimentär waren - beispielsweise, als einer der Beatles Halsschmerzen bekam und er an der Rezeption des Hotels nach Honig fragen sollte.

Popkultur war ja schon öfter Teil dieses Blogs - und ich muss auch zugeben, ich habe, auch wenn mein Blick inzwischen durchaus kritischer geworden ist, immer noch eine gewisse Affinität dazu. Inzwischen sind ja auch schon die Symbole von Disney, von dem ich hier schon häufig berichtet habe, Teil der Popkultur. Und da es die letzten beiden Male schon so viel Spaß gemacht hat, werde ich an dieser Stelle auch wieder auf die Hintergründe jener Disney-Filme eingehen, die als "Meisterwerke" gekennzeichnet sind. Speziell werde ich mich hier auf einzelne Bücher beziehen, die mehr oder weniger in den Kanon der Kinderliteratur eingegangen sind.

Schon der zweite abendfüllende Disney-Film, Pinocchio aus dem Jahr 1940 unter der Regie von Hamilton Luske und Ben Sharpsteen, ist eine Kinderbuchverfilmung. Die überaus bekannte und vielfach adaptierte Geschichte wurde von dem italienischen Schriftsteller Carlo Collodi verfasst und erschien erstmals 1881 als Fortsetzungsgeschichte in einer italienischen Wochenzeitung unter dem Titel Le Avventure Di Pinocchio: Storia Di Un Burattino (dt.: Die Abenteuer des Pinocchio: Die Geschichte eines Hampelmanns). Die Serie um die Holzpuppe Pinocchio wurde so populär, dass Collodi 1883 ein Buch daraus machte, das unter dem Titel Le Avventure Di Pinocchio veröffentlicht wurde. Die erste deutschsprachige Ausgabe erschien 1905 unter dem Titel Hippelitsch's Abenteuer (und nein, der "Deppenapostroph" stammt nicht von mir). Natürlich gibt es noch viele andere Adaptionen der Geschichte, in Erinnerung geblieben ist den Kindern meiner Generation bestimmt die Anime-Version von 1976/77, deren Titelsong Kleines Püppchen, freches Püppchen ins kollektive Gedächtnis eingegangen ist und die von Nippon Animation stammt, ein japanisches Zeichentrickfilmstudio, das viele Kinderbuchklassiker adaptierte, wobei deren Version häufig bekannter ist als das literarische Original. Vielleicht schreibe ich auch einmal was dazu - wäre bestimmt lustig.

Die Geschichte von Pinocchio ist bekannt; man kann sie als Schelmen- oder Entwicklungsroman interpretieren, und die Grundgeschichte ist im Disney-Film im Wesentlichen gleich: Ein armer Holzschnitzer fertigt eine Holzpuppe an, die lebendig wird. Anfangs ist der hölzerne Pinocchio unartig, leichtgläubig und stolpert von einem Unglück ins andere, im Laufe der Geschichte beginnt er jedoch, einen Reifungsprozess zu durchleben, bis er am Ende schließlich zu einem richtigen Jungen aus Fleisch und Blut wird. Im Laufe des Romans wird er von allerlei Figuren begleitet: dem älteren Holzschnitzer Geppetto, der sozusagen als "Vater" fungiert, zumal er Pinocchio aus Kiefernholz selbst hergestellt hat; die Fee, im Roman "die Fee mit den dunkelblauen Haaren", im Film "die blaue Fee" genannt, die als guter Geist über die Hauptfigur wacht und sie am Ende in einen richtigen Menschen verwandelt, kann als Mutterfigur gesehen werden; die Sprechende Grille, im Film Jiminy genannt, begleitet Pinocchio sozusagen als Gewissen; der Kater und der Fuchs, zwei zwielichtige Gesellen, die mehrmals versuchen, den Protagonisten vom rechten Weg abzubringen, stehen für List und Falschheit; der Riesenhai, im Film als Wal dargestellt, ist wie im biblischen Buch Jona als Symbol der Läuterung zu verstehen. Die Intention des Buches ist mit Sicherheit eine erzieherische: Der "unfertige" Mensch Pinocchio wird nur dann ein richtiger Junge, wenn er fleißig, hilfsbereit und folgsam ist. Fehltritte werden stets erbarmungslos bestraft, und durch das Wachsen seiner Nase werden auch Pinocchios Lügen schnell entlarvt. Immer wieder wird der Protagonist durch Figuren wie den Fuchs und den Kater oder auch den Jungen Kerzendocht (im Film Lampwick genannt) zum Bösen verführt, schafft es aber letztendlich doch, all dem zu widerstehen und zu einem verantwortungsbewussten Jungen heranzureifen. In den 1970er Jahren regte der italienische Schriftsteller und Literaturkritiker Giorgio Manganelli dazu an, Pinocchio aus der Sicht des Erwachsenen zu deuten, wodurch Parallelen zur Jesus-Legende, spätantiken Satire und Renaissance-Literatur gezogen werden  können.

Natürlich gibt es auch einige Abweichungen des Films von der Literaturvorlage; So war Walt Disney der Meinung, dass die Geschichte mehr Wärme, Liebe und Freundschaft brauche. Und so machte er aus der namenlosen Grille, die im Buch von Pinocchio mit einem Hammer erschlagen wird und später als Geist wieder auftaucht, um ihn als Gewissen zu begleiten, Jiminy Grille, die als Träger der Geschichte fungiert. Im Buch kommt außerdem der Tischler Meister Kirsche vor, der Geppetto ein sprechendes Holzscheit schenkt; dieser fehlt im Film ganz, ebenso wie das sprechende Holz - Pinocchio ist nach seiner Fertigung vollkommen reglos, ehe eine Fee in blauem Kleid ihm mit ihrem Zauberstab das Leben schenkt. Wie im Buch, so kommt Pinocchio auch in einem Film zu einem Puppentheater; im Gegensatz zu dem Theaterdirektor Feuerfresser aus dem Roman, der, obwohl er Pinocchio anfangs zu Brennholz hacken will, doch zu Mitgefühl fähig ist und ihm sogar Geld für Geppetto schenkt, ist sein filmisches Pendant Stromboli durch und durch böse. Er ist lediglich daran interessiert, durch die lebendige Holzpuppe Pinocchio zu möglichst viel Geld zu kommen und sperrt ihn in einen Käfig, aus dem dieser sich nur mit Hilfe der Fee wieder befreien kann. Auch das Land der Spielereien kommt als "Vergnügungsinsel" im Film vor - jener Ort, an dem Jungen nur tun, wozu sie Lust haben, ehe sie sich in Esel verwandeln und verkauft werden. Während Pinocchio im Buch jedoch ebenfalls zum Esel wird und seine wahre Gestalt erst wieder erlangt, als er ins Meer gestoßen wird, belässt es Disney dabei, ihm die Ohren und den Schwanz eines Esels wachsen zu lassen, ehe er sich mit Jiminys Hilfe retten kann. Und natürlich fehlt auch der Haifisch nicht, der im Film ein Wal ist und in dem Pinocchio und Geppetto wieder vereint werden. Wie die Grille, so taucht auch die Fee im Film schon am Anfang auf, während sie im Roman erst im Laufe der Geschichte eingeführt wird - aber hier wie da ist sie es, die die Holzpuppe am Ende in einen richtigen Jungen verwandelt. Erwähnenswert an diesem Film ist im übrigen auch die erstmals umfangreich eingesetzte Multiplan-Kamera, deren gestaffelte Anordnung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund dem Werk eine zuvor noch nie dagewesene räumliche Tiefe verleiht. Da der Film jedoch in den Wirren des Zweiten Weltkriegs in die Kinos kam, erzielte er nicht die gewünschte Aufmerksamkeit und erreichte erst Jahre nach seiner Veröffentlichung ein breites Publikum.

Eine weitere Kinderbuchverfilmung ist auch der fünfte abendfüllende Disney-Zeichentrickfilm Bambi aus dem Jahr 1942 unter der Regie von David Hand. Vorlage dafür war der 1923 erschienene Roman Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde des österreichisch-ungarischen Schriftstellers, Journalisten und Jägers Felix Salten, Mitglied der Autorengruppe Jung-Wien, der angeblich auch Autor des umstrittenen erotischen Romans Josefine Mutzenbacher gewesen sein soll.

Die Verfilmung von Bambi sorgt unter europäischen Kindern immer wieder für Verwirrung - dass ein Rehkitz einen Hirsch als Vater hat und später ebenfalls zu einem Hirsch heranwächst, bewirkte, dass viele (auch ich) glaubten, Rehe seien weibliche Hirsche, obwohl es sich bei Hirsch und Reh, auch wenn sie beide zum wiederkäuenden Schalenwild gehören, um unterschiedliche Tierarten handelt. Der Grund dafür ist, dass Bambi im Roman zwar tatsächlich ein Rehbock ist, die Zeichner aus dem Disney-Studio jedoch mit dieser in Europa heimischen Tierart nicht vertraut waren; so transferierte Disney die Handlung nach Nordeuropa, und aus dem Reh wurde ein Weißwedelhirsch. Da die englische Bezeichnung deer jedoch sowohl "Hirsch" als auch "Reh" bedeuten kann (obwohl man zum Hirsch auch stag sagt), wurde bei der Übersetzung des Films aus dem Hirschkalb wieder ein Rehkitz. Nun ist es ja wirklich so, dass die Jungtiere von Rehen und Weißwedelhirschen Ähnlichkeiten aufweisen - vor allem sind für beide die weißen Flecken charakteristisch. Allerdings weist der braun-weiße Schwanz Film-Bambi eindeutig als Weißwedelhirsch aus - Rehe haben nämlich praktisch gar keinen. Selbst mein Vater, der einen Jagdschein hatte, fand die Reh-Hirsch-Mischung verwirrend, da er natürlich wusste, dass das zwei verschiedene Tiere sind. Außerdem sind Hirsche und Rehböcke keine so fürsorglichen Väter, wie sie in der Geschichte gezeigt werden - diese Tiere leben nach Geschlechtern getrennt in Rudeln und treffen lediglich zur Paarungszeit (Brunft) aufeinander. Aber es ist ja auch ganz normal, dass Tiere sprechen können und ein Hirschkalb als "Prinz" bezeichnet wird. Also genug der zoologischen Lehrstunde!

Die Geschichte von Bambi ist natürlich bekannt, und der Film ist vergleichsweise stark an das Buch angelehnt, auch wenn es natürlich Unterschiede gibt - so ist Bambi zwar als der düsterste und ernsteste Disney-Film bekannt, aber der Roman ist noch düsterer und teilweise auch brutaler. Bambi wird im Wald geboren und von seiner Mutter in dessen Geheimnisse und Gefahren eingewiesen, ehe sie ihn mit auf die Wiese nimmt. Sowohl im Buch als auch im Film erlebt Bambi den Frühling und Sommer über eine relativ unbeschwerte Kindheit - seine Freunde Klopfer und Freund Eule sind im Roman unter Herr Hase und Herr Waldkauz angeführt, das Stinktier Blume und die Opossumfamilie gibt es aber natürlich nur im Film, da es sich hier ja um in Amerika heimische Tierarten handelt. Dafür fehlt im Film Gobo, der schwächliche Bruder von Bambis Freundin Faline, der vom Jäger, von den Tieren furchtsam Er genannt, gesundgepflegt und wieder freigelassen wird, woraufhin er ihn für einen Gott hält und unvorsichtig wird, was er mit dem Leben bezahlt. Sowohl im Roman als auch im Film erscheint Bambis Vater, im Buch Rehbock und im Film Hirsch, zunächst übermächtig und unnahbar, steht seinem Sohn aber in entscheidenden Situationen stets zuverlässig zur Seite. Auch der für viele Kinder traumatischste Teil, der Tod von Bambis Mutter durch eine Treibjagd, kommt in Buch und Film vor, und auch die Liebe zwischen Bambi und Feline wird in den Film aufgenommen. Viele Details des Buches kommen ebenfalls im Film vor, allerdings enthält die Literaturvorlage wesentlich mehr Figuren und kleine Abenteuer sowie Gespräche der Tiere untereinander. Der Film hingegen arbeitet mit weitaus weniger Worten und viel mehr Bildern, kombiniert mit Musik, beispielsweise der Kampf Bambis mit einem Rivalen, im Buch Ronno genannt, der im Film wortlos stattfindet. Auch wird im Buch über den Jäger viel gesprochen, während er im Film eine nie gezeigte tödliche Gefahr ist - entsprechend fehlt auch die Sequenz aus dem Roman, in dem Bambi und sein Vater am Ende vor der Leiche eines Jägers stehen und Bambi begreift, dass auch der Mensch sterblich und somit kein Gott ist. Der von den Jägern ausgelöste Waldbrand aus dem Film kommt dafür im Buch nicht vor - aber sowohl im Roman als auch im Film wird Bambi angeschossen und von seinem Vater ermutigt, wieder auf die Beine zu kommen. Auch das Ende ist in Buch und Film sehr ähnlich - Bambi und Faline werden Eltern zweier Kitze, und Bambi nimmt den Platz seines Vaters ein.

Wie bei Pinocchio, so wurde auch bei Bambi mit der Multiplan-Kamera gearbeitet, um den Bildern eine dreidimensionale Wirkung zu geben. Auffallend ist auch die im klassischen Stil komponierte Musik von Edward H. Plumb, die ebenso wie die Farben der Bilder ein tragendes dramaturgisches Element ist, da im Film wenig gesprochen wird - sie ist perfekt auf die Bilder abgestimmt und übernimmt zuweilen sogar die Funktion der Toneffekte, beispielsweise in der Szene mit dem Regen. Das Motiv der Sterbeszene von Bambis Mutter sollte den amerikanischen Komponisten John Williams zu seinem berühmten Leitthema zu Jaws (Der Weiße Hai) inspirieren. Bambi diente auch als Vorbild sowohl für die Manga-Serie Kimba, der weiße Löwe als auch für den 1994 erschienen Disney-Film Der König der Löwen - Letzterer wurde von Kritikern tatsächlich auch als "Bambi in Afrika" bezeichnet. Tatsächlich lässt einen vor allem die Szene von Mufasas Tod an den Tod von Bambis Mutter denken, auch wenn Simbas toter Vater noch gezeigt wird. Im Gegensatz zu den meisten Cartoons wird außerdem mit einer vergleichsweise realistischen und gleichzeitig poetischen Darstellung gearbeitet, gewisse Szenen gewinnen auch durch die Abwesenheit eines direkten Bildes an Bedeutung - beispielsweise die Jäger, die nie zu sehen sind und nur durch ihr Wirken dargestellt werden, oder auch die tote Mutter, die nicht gezeigt wird. Außerdem war Bambi auch der erste Disney-Film, in dem Tiere ins Studio geholt wurden, um den Cartoon-Stil mit einer realistischeren Darstellung zu kombinieren. Gleichzeitig verlieh man ihnen, indem man die Gesichtszüge kleiner Kinder studierte, doch eine überraschend menschliche Mimik. Erwähnenswert ist auch die Ölmalerei der Hintergründe, die von dem chinesischen Künstler Tyrus Wong gestaltet wurde und in der er die Technik des Impressionismus mit traditioneller chinesischer Malerei kombinierte.

Häufig wird dieser Film als für Kinder ungeeignet klassifiziert, da er sehr ernst ist und man befürchtet, sie vor allem durch die Sterbeszene der Mutter zu traumatisieren. Disney hingegen hielt nichts davon, Kinder von negativen Gefühlen fernzuhalten, und auch ich finde, dass man Kindern begreiflich machen soll, dass zum Leben nicht nur das Positive dazugehört. Ich sehe heute so viele Erwachsene, die überhaupt nicht mit Problemen umgehen können, weil man ihnen immer eine heile Welt vorgegaukelt hat. Außerdem steigen wegen dieses Films auch immer wieder mal Jäger auf die Barrikaden, weil sie finden, dass ihr Berufsstand darin diskreditiert wird - dabei ging es sowohl Salten als auch Disney nicht darum, Jäger als "böse" darzustellen, sondern um einen achtsameren Umgang mit der Natur.

Nun, wie ihr seht, geben Romanvorlagen weitaus mehr Stoff her als Märchen und Sagen, deshalb habe ich mich in diesem Artikel nur auf zwei Filme beschränkt. Ihr könnt aber beruhigt sein - es kommen selbstverständlich noch weitere! Auch wenn ich in den nächsten Wochen wohl nicht so wenig zu tun haben werde wie in dieser. Bis zum nächsten Mal hoffe ich, dass ihr gesund bleibt und gut auf euch aufpasst. Bon voyage!

vousvoyez

Mittwoch, 22. Juli 2020

Je veux dir eine tuschen

Die Antwort meiner Französisch-Lehrerin aus dem Gymnasium auf die Frage, wie man auf Französisch nach McDonalds-Gutscheinen fragt. Wobei ihr Kampf gegen die Amerikanisierung der Gesellschaft von vorn herein zum Scheitern verurteilt war. Aber es gibt Kämpfe, die, wie ich hoffe, nicht ganz so aussichtslos sind. Beispielsweise der Kampf gegen Rassismus - oder für die Gleichberechtigung der LGBTQ+-Bewegung.

Jaja, der Sommer hat begonnen, aber obwohl wir uns redlich bemühen, den Alltag so gut wie möglich am Laufen zu halten, ist vieles natürlich nicht so wie sonst. Beispielsweise haben wir bald den Christopher Street Day - bei mir zu Hause normalerweise ein Grund zum Feiern. Dieses Jahr wird das meiste allerdings wohl größtenteils online stattfinden - auch wenn ich zuversichtlich bin, dass auch meine Stadt in diesem Jahr wieder in Regenbogenfarben erstrahlen wird. Ich mag Regenbögen - auch wenn ich keinerlei nicht-heterosexuelle Anwandlungen habe. Aber man kann auch als langweiliges Hetero-Weibchen (ein Scherz, natürlich!) Solidarität mit Leuten zeigen, die ungerechterweise immer noch gegen Diskriminierung kämpfen. Und deswegen möchte ich heute mal mit ein paar altbekannten Vorurteilen aufräumen. Dabei möchte ich allerdings im Vorfeld noch anmerken - ich bin keine Expertin in diesen Dingen, und ich kann auch nicht alle Mitglieder der Community berücksichtigen. Dieser Artikel beruht zum größten Teil auf meinen persönlichen Erfahrungen; also bitte seid mir nicht böse, wenn ich vielleicht den einen oder anderen "Schnitzer" begehe - ich werde mich nach Kräften bemühen, euren Kampf um Gleichberechtigung zu unterstützen, auch wenn meine Hilfe vielleicht unzureichend ist.

Dass es aber notwendig ist, und dass da nicht nur die Community, sondern wir alle in gewisser Weise gefragt sind, steht fest. Ich erkenne das jedes Mal, wenn die CSD-Parade in Graz oder die Regenbogenparade in Wien angekündigt ist: Immer dann laufen diejenigen, die ja nicht homophob sind, aber ... Sturm, weil sowas geht ja gar nicht, dass da so Leute herumlaufen, die ihre sexuelle Orientierung zur Schau stellen! Was sollen denn die Kinder da lernen! Immer, wenn ich solchen Mist höre oder lese, wird mir klar, dass gerade diese Leute den Sinn solcher Pride-Paraden nicht verstanden haben. Diese finden nicht statt, um die Leute zu ärgern - sondern weil es sich hierbei um eine verhältnismäßig kleine Community handelt, die dem hetero-normativen CIS-Menschen von nebenan zeigen will, dass sie auch da ist, und nicht nur das: Sie wollen zeigen, dass sie nicht gefährlich sind, dass sie ganz normale Menschen sind wie alle anderen auch - und dass man, anstatt daneben zu stehen und missbilligend den Kopf zu schütteln, genauso auch einfach mitfeiern und lachen kann. Vor allem aber wollen sie mit Vorurteilen aufräumen, die einem immer wieder begegnen - und von denen man häufig gar nicht merkt, dass sie da sind. Deswegen will ich euch heute mal mit der Nase drauf stoßen - und keine Angst: Ich bin selbst auch nicht zu hundert Prozent davor gefeit - ja, auch ich bin leider nicht unfehlbar!

Du findest lesbischen Sex geil, während schwuler Sex in dir ein Gefühl des Ekels hervorruft? Dann bist du hier genau richtig! Und ich kann dir versichern: Es liegt nicht an den anderen, es liegt an dir. Ja, sorry, ich weiß, dass du das nicht gern hörst, aber so ist es nun mal. Im Prinzip ist es ja auch deine Sache, was du geil findest und was nicht - du musst aber halt damit klar kommen, dass die Welt sich nicht nach deinen sexuellen und ästhetischen Vorlieben richtet. In der Regel kommst du ja eh nicht mit sexuellen Handlungen anderer Personen in Berührung, außer du legst es halt gezielt darauf an. Und gleichzeitig könntest du auch in Betracht ziehen, dass Schwule sich dasselbe möglicherweise auch über heterosexuelle Handlungen denken. Was mich betrifft - ich will weder Schwulen, noch Lesben, noch Heteros oder sonst jemandem dabei zusehen, genauso wenig, wie ich will, dass mir jemand zusieht. Ja, es tut mir leid, ich bin nun mal so furchtbar langweilig und spießig, dass ich mich auf das Recht auf meine eigene Privatsphäre berufe.

Du denkst, alles, was nicht heterosexuell ist, ist wider der Natur? Nun - dann wüsste ich gerne, ob du ab und zu mal was bei Amorelie bestellst. Abgesehen davon möchte ich dich daran erinnern, dass es auch im Tierreich nicht-heterosexuellen Sex gibt - und so sehr du dich auch dagegen sträubst, letztendlich unterscheiden wir uns genetisch doch nicht so sehr von den Tieren, wie wir es gerne hätten. Zudem ist der Mensch noch weitaus stärker von seinen Urinstinkten geprägt, als wir es in der Regel für möglich halten - am besten sieht man das an Neugeborenen, die ausschließlich davon geleitet werden. Selbst Geschlechtsumwandlungen werden im Tierreich beobachtet - beispielsweise bei Clownsfischen. Die Ursachen nicht-heterosexueller Orientierung sind, soweit ich das sehe, zwar noch nicht hinreichend erforscht, aber hier und hier könnt ihr euch ein bisschen dazu schlau machen. Da aber das Ausleben der Sexualität zum natürlichen Leben gehört, kannst du dich darauf verlassen, dass es im Gegenteil "unnatürlich" wäre, würden Nicht-Heterosexuelle sich in Hetero-Beziehungen stürzen, um der Gesellschaft zu gefallen. Vielleicht denkst du ja sogar, alles, was nicht heterosexuell ist, ist krank? Nun, dann möchte ich dir mitteilen, dass diese Behauptung bereits im 19. Jahrhundert angezweifelt wurde. Auch Freuds These, dass alle Menschen bisexuell zur Welt kämen und erst die Entwicklung und Sozialisation die spätere sexuelle Identität bestimmt, ist längst widerlegt. Fest steht allerdings, dass jeder Versuch, Homosexualität zu "heilen", sehr viel unnötiges Leid verursacht - eben weil es keine Krankheit ist, die man "heilen" kann, und sind wir uns doch ehrlich, das Problem ist nicht die "Andersartigkeit" Nicht-Heterosexueller, sondern die gesellschaftliche Akzeptanz. Aus diesem Grund ist die "Heilung" Homosexueller in Deutschland übrigens verboten - in Österreich leider noch nicht.

Ebenso verhält es sich auch mit Trans-Personen. Das Dümmste, was ich gelesen habe, als man über eigene Toiletten für das diverse Geschlecht spekuliert hat, war, die könnten doch eh auf die Behindertentoilette gehen. Auf meinen Hinweis, dass das diskriminierend sei, warf mir die Person vor, Behinderte zu diskriminieren - nachdem sie selbst es geschafft hatte, sowohl Menschen mit Behinderung als auch Personen des dritten Geschlechts zu diskriminieren. Zumal Behindertentoiletten eher für körperlich eingeschränkte Personen gedacht sind, um ihnen den Toilettengang zu erleichtern, aber das ist eine andere Geschichte. Und nicht nur, dass es sich bei Transgender um keine Behinderung handelt - es ist auch nicht so, dass Trans-Männer immer auf Frauen und Trans-Frauen immer auf Männer stehen. Die sexuelle und die Geschlechts-Identität sind tatsächlich zwei Paar Schuhe - weshalb sich auch nicht alle Trans-Personen der LGBTQ+-Community zugehörig fühlen. Und im übrigen "beschließen" Trans-Personen nicht eines Tages, trans zu sein - genauso, wie Homosexuelle nicht irgendwann "entscheiden", dass sie homosexuell sein wollen.

Und da Homosexualität keine Krankheit ist, kann man auch nicht homosexuell werden, wenn man mit Homosexuellen Kontakt hat - eine Angst, die, soweit ich das mitbekomme, vor allem unter heterosexuellen Männern weit verbreitet ist. Es kursiert ja die These, dass gerade Männer, die sich ihrer Sexualität nicht sicher sind, am meisten Probleme mit Schwulen haben. Nun, ob das immer zutrifft, kann ich nicht sagen - aber ich muss zugeben, die Idee hat schon was für sich. Die Eltern, die immer von "Frühsexualisierung" schwafeln, glauben ja oft auch, wenn Kinder über Homosexualität aufgeklärt werden, werden sie homosexuell "gemacht" - klar, weil es ja, bevor Kinder in der Schule aufgeklärt wurden, überhaupt keine Homosexuellen gab. Da wüsste ich gerne, warum ich, obwohl ich von Kindheit an Kontakt zu Homosexuellen habe, immer noch nicht lesbisch bin. Diese Angst vor "Ansteckung" herrscht in Wirklichkeit nur bei jenen vor, die sich nie die Mühe gemacht haben, mit Nicht-Heteros in Kontakt zu treten und herauszufinden, dass diese in Wirklichkeit ganz normale Menschen sind, die genau das wollen, was du auch willst und in der Regel auch tust - nämlich selbst über ihr Privatleben entscheiden. Darüber hinaus "wird", wie gesagt, auch keiner homosexuell, der dazu nicht veranlagt ist. Dass Homosexualität auf eine mangelnde Vaterfigur, Kindheitstraumata oder "falsche" Erziehung zurückzuführen ist, ist ein Trugschluss - nicht jeder Junge, der mit Puppen spielt, wird später schwul. Wie ihr wisst, wäre ich als Kind selbst gern ein Junge gewesen, aber heute bin ich weder Trans-Mann noch lesbisch.

Und nein, LGBTQA+ ist keine "Modeerscheinung" - wie zuvor schon erläutert, gab und gibt es andere sexuelle Orientierungen in jedem Land, in jeder Kultur, Gesellschaftsschicht, Epoche und Generation. Der Unterschied ist, dass Nicht-Heterosexuelle heutzutage nicht mehr verfolgt werden dürfen, auch wenn sie manchmal noch mit Diskriminierung zu kämpfen haben. Aber sie sind sich ihrer Rechte weitaus bewusster als noch vor einem halben Jahrhundert, weshalb sie ihre sexuelle Identität heute auch viel offener ausleben und sich nicht mehr dafür schämen - auch wenn es leider immer noch Menschen gibt, die sie nur im Verborgenen ausleben können. Ich habe mal von jemandem gehört, in Afrika gäbe es keine Schwulen - das ist ein Irrtum, in den meisten afrikanischen Ländern werden Homosexuelle allerdings immer noch verfolgt, weshalb sie sich nicht öffentlich dazu bekennen können.

Natürlich reden Schwule auch immer so gekünstelt-nasal mit höherer Tonlage und gestikulieren mit abgeknicktem Handgelenk - und natürlich sind sie immer der schwule beste Freund einer Frau und ganz allgemein eher Memmen. Lesben hingegen haben immer kurze Haare, sind Mannweiber und hassen Männer ganz allgemein - sie wollen die Alleinherrschaft der Frau ohne Rücksicht auf Verluste. Echt?
Nun - die einzige Männer hassende "Kampflesbe", die mir spontan einfällt, ist Valerie Solanas, jene Schriftstellerin, die durch ihr radikal-feministisches Manifest S. C. U. M. bekannt wurde, sowie dadurch, dass sie im Jahr 1968 mit einer Pistole auf den Pop-Art-Künstler Andy Warhol sowie den Kunstkritiker Mario Amaya schoss. Natürlich habe ich ab und an mal eine lesbische Frau kennengelernt, die maskuliner war als der Durchschnitt, aber ebenso habe ich schon viele getroffen, denen man die sexuelle Orientierung nicht ansieht. Und ihr werdet es nicht für möglich halten - nicht alle Lesben haben kurze Haare, und nicht alle Frauen mit kurzen Haaren sind Lesben! Erstaunlich, gell?

Selbstverständlich habe auch ich schon Bekanntschaft gemacht mit Schwulen, die sich der oben genannten affektierten Verhaltensweisen bedienten, aber ebenso oft habe ich auch solche kennengelernt, die vom Aussehen und Verhalten her keineswegs als "schwul" klassifiziert werden könnten. Ich denke da immer an den afghanischen Flüchtling, der abgeschoben werden sollte, weil er nach Aussage der zuständigen Behörden nicht "schwul genug" aussah, und an die Graphik, die daraufhin im Netz auftauchte und die auf ironische Art und Weise "schwule" Körperhaltungen darstellte, um zu zeigen, wie bescheuert diese Aussage ist. Im übrigen können die meisten schwulen Männer, die ich kenne, durchaus "ihren Mann stehen", wie man so schön sagt. Klar sind Freundschaften homosexueller Männer zu Frauen auch nichts Ungewöhnliches - es ist doch ganz angenehm, einerseits dem blöden Konkurrenzdruck, der zwischen Frauen vorherrscht, zu entgehen, andererseits aber auch Freundschaften ohne sexuelle Erwartungshaltung pflegen zu können. Aber der "schwule beste Freund" ist weder eine Trophäe, mit der man zeigen kann, wie wahnsinnig tolerant man doch ist, noch ein "Seelenklo", dem man endlos sein Leid klagen kann, weil die ja alle so wahnsinnig verständnisvoll sind.

Und natürlich ist in gleichgeschlechtlichen Beziehungen immer einer die "Frau" und einer der "Mann", oder? Komisch - solche Paare kenne ich fast nicht, obwohl ich schon häufiger Bekanntschaft mit homosexuellen Paaren gemacht habe. Vielleicht liegt das daran, dass eine Beziehung nicht zwangsläufig auf Geschlechterrollen aufgebaut sein muss?
Außerdem sind Männer, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, immer total sexbesessen, reden pausenlos nur über Sex und haben ständig wechselnde Partner, während homosexuelle Frauen total frigide sind. Wirklich? Nun, immer, wenn ich so was höre, muss ich an die Männer denken, die tatsächlich geglaubt haben, mich dadurch beeindrucken zu können, dass sie lang und breit von ihren vielen Sexpartnerinnen erzählt haben. Und angesichts dessen, wie toll manche heterosexuellen Männer doch anscheinend lesbischen Sex finden, frage ich mich, warum man davon ausgeht, dass sie eigentlich gar keinen Sex wollen - liegt das vielleicht daran, dass sie an DIR kein Interesse hat, Erich? Darüber hinaus habe ich doch tatsächlich schon homosexuelle Paare kennengelernt, die über viele Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg tatsächlich eine glückliche und erfüllte Beziehung führen und ja, man kann auch in einer nicht-heterosexuellen Beziehung glücklich sein, stell dir vor! Abgesehen davon - geht es dich eigentlich was an, wie andere ihr Sexleben gestalten? Na eben!

Last but not least will ich noch die ganz bösen Klischees in meine Liste mit aufnehmen. Beispielsweise kam früher oft auf meine Frage, was Schwule denn anderen Menschen tun, wenn sie ihre Sexualität ausleben, das Argument, dass viele heiraten, Kinder kriegen, "schwul werden" und dann ihre Familie für einen anderen Mann verlassen. Nun - wir sind uns doch inzwischen einig, dass man nicht "schwul werden" kann. Diese Männer waren sich ihrer Homosexualität vielleicht gar nicht bewusst, bis sie den Richtigen gefunden haben. Ich gehe stark davon aus, da diese Argumente oft von Leuten kommen, die in einer Zeit aufgewachsen sind, in der Homosexualität noch illegal war. Darüber hinaus - ist das wirklich so viel schlimmer, als wenn ein Mann seine Familie wegen einer anderen Frau verlässt? Und natürlich darf auch die Sache mit dem AIDS nicht fehlen - es ist noch nicht lange her, dass auf den Hinweis, jemand sei an AIDS gestorben, noch der Zusatz "er war schwul" kam, so als hätte das irgendwas damit zu tun. Die Behauptung, AIDS sei eine reine "Homosexuellen-Krankheit" und nahezu jeder Homosexuelle habe AIDS, dürfen wir getrost auf der Müllhalde der Achtzigerjahre zurücklassen, tief vergraben unter den Hitler-Tagebüchern und dem Glauben, man könne "Atom" mit Wasser abwaschen. Es reicht doch schon, dass das Klischee immer noch so tief sitzt, dass Homosexuelle in Deutschland und Österreich kein Blut spenden dürfen. 

Im übrigen sind Homosexuelle, die um Gleichberechtigung kämpfen, nicht mit Pädophilen oder Zoophilen gleichzusetzen, die ihre sexuellen Vorlieben ungestraft ausleben wollen, und ich finde es ehrlich gesagt beschämend, dass man das heutzutage noch erklären muss. Bei Pädophilie und Zoophilie geht es aber ausschließlich um sexuelle Neigungen, die nicht einvernehmlich ausgelebt werden können, egal ob das jemand behauptet oder nicht. Bei Homosexualität geht es aber um einvernehmlichen Sex zwischen mündigen Personen - warum sollte das ein Problem sein, nur weil es nicht unserer Lebenswelt entspricht? Und nein, Homosexualität ist NICHT dasselbe wie Pädophilie - ich finde es beschämend, dass manche das immer noch gleichsetzen und als Argument benutzen, weshalb Homosexuelle keine Kinder großziehen oder betreuen dürfen sollen.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass ich in den letzten Absätzen hauptsächlich von meinen persönlichen Erfahrungen ausgegangen bin und mir auch nicht anmaße, das Monopol auf die einzig richtige Wahrheit zu haben. Alles, was ich erreichen will, ist, dass man ein bisschen mehr aufeinander zugeht und sich ein bisschen weniger einbildet, die eigene sexuelle Orientierung sei die einzig richtige beziehungsweise es ginge uns irgendetwas an, wie andere lieben möchten. Versucht, auch in Bezug auf die sexuelle Orientierung anderer ein wenig mehr Offenheit zu zeigen, sie nicht auszugrenzen und nicht so zu tun, als hätten sie eine ansteckende Krankheit - ich sage immer, egal auf welche Weise, was diese Welt vor allem braucht, ist mehr Liebe!

vousvoyez

Dienstag, 21. Juli 2020

Ich kann essen, was ich will, mehr als 2 kg am Tag nehme ich eh nicht zu

Ein weiterer Standard-Spruch meines Vaters, der in der Jugend sehr dünn war, in späteren Jahren allerdings mit Übergewicht zu kämpfen hatte. Aber immerhin hat er nie mehr als zwei Kilo am Tag zugenommen! Das gibt Hoffnung, wie ihr seht, hihi! Und wir wissen ja, was im Zweifelsfall hilft, den Kampf gegen das überflüssige Fett aufzunehmen: Gesundes Essen und vor allen Dingen Sport! Und zum Glück haben wir auch in unserer modernen Welt ein vielfältiges Angebot an allen möglichen Sportarten. Auch wenn die eine oder andere nicht von jedem als solche gesehen wird. Wie ich in meinem Artikel über den Dunning-Kruger-Effekt schon erläutert habe, geht es ja beispielsweise dem Reitsport oft so. Aber ich muss zugeben, dass ich auch nach Jahrzehnten der Reit-Abstinenz immer noch einen gewissen Reiz in diesen edlen, temperamentvollen und doch sanftmütigen Tieren sehe - auch wenn mir die militanten Pferdefans mitunter auf die Nerven gehen.

Viele, die am Reitsport Gefallen finden, fangen ja schon im Kindesalter damit an. Manche behaupten sogar, wer nicht mit spätestens zehn Jahren damit beginnt, lernt es nicht mehr. Was allerdings Unsinn ist - wer die richtigen Lehrer und geeignete Pferde zur Verfügung hat, kann auch später durchaus noch damit anfangen. Es ist halt so wie in vielen anderen Fällen auch: Je früher man anfängt, desto schneller lernt man. Und prinzipiell ist es ja auch nicht falsch, Kinder mit Tieren in Berührung zu bringen - im Gegenteil. Es kommt halt immer darauf an, auf welche Weise.

Ein neuer Trend, der aus Großbritannien in den deutschsprachigen Raum gefunden hat, nennt sich "Pony Painting Party" und sorgt schon seit mittlerweile zwei Jahren immer wieder für Kontroverse. Bei diesen Partys dürfen Kinder ein Pferd mit Fingerfarben bemalen - natürlich werden dafür Pferde ausgewählt, die das geeignete Temperament haben, und die Farben sind selbstverständlich ungiftig, werden für diesen Zweck sogar speziell hergestellt.
Nun sind Kinderpartys, wie sie noch in meiner Kindheit üblich sind, schon längst aus der Mode. Ein schlichtes Fest mit bunten Girlanden, lustigen Spielen, Kasperltheater, Himbeerwasser, Frankfurter Würstel und einer schmucklosen Schokoladentorte reicht selbstverständlich nicht mehr aus, auch wenn das die bösen Rabeneltern von damals überhaupt nicht eingesehen haben. Heute müssen es schon ab der Vollendung des ersten Lebensjahrs aufwändige "Events" und mit Fondant verzierte Torten-Kunstwerke sein - und um die Eltern des Freundes bzw. der Freundin aus dem Kindergarten des Sprösslings auszustechen, darf es auch schon mal ein echtes Pferd zum Bemalen sein, das die Party zu einem richtigen Event zum Angeben macht!

Die Meinungen, ob diese Partys erlaubt sein dürfen, gehen sowohl bei Laien als auch bei Experten auseinander. Und ich habe dasselbe in einer Facebook-Gruppe erlebt. Die einen finden es völlig in Ordnung - ihr Argument ist, dass es ja durchaus kinderliebe Ponys gibt, die alles mit sich machen lassen, denen so etwas vielleicht sogar Spaß macht, besonders an heißen Tagen, wenn die Farbe hinterher auch noch mit Wasser abgespritzt wird. Viele erinnern sich auch noch wehmütig an ihr erstes Pony, das stehengeblieben ist, wenn ein Kind herunterfiel, und von dem man stehend ins Wasser springen konnte. Und überhaupt gäbe es doch viel effektivere Methoden, Tiere zu quälen, als sie mit ungiftiger Farbe zu beschmieren, man solle sich doch lieber über Massentierhaltung und den unverhältnismäßigen Fleischkonsum aufregen als über so ein bisschen Farbe. Die anderen wiederum meinen, das sei Tierquälerei und einem Pferd nicht zuzumuten, da es seinen natürlichen Fluchtinstinkt nicht ausleben könne und gestresst sei, wenn so viele schreiende Kinder um es herumtanzen würden, und zudem vermittle es den Kindern das völlig falsche Bild, dass Tiere Spielzeug seien, mit dem man machen könne, was man wolle.

Nun, grundsätzlich kann man natürlich nicht davon ausgehen, dass das Bemalen von Pferden immer Tierquälerei ist. Damit würde man ja all diejenigen, die ihre Pferde mit Zebrastreifen bemalen, um lästige Insekten abzuhalten, als Tierquäler bezeichnen, obwohl sie ja gerade das Gegenteil bezwecken wollen - oder auch die Veterinäre und Zoologen, die durch Bemalen die Anatomie des Pferdes erklären, sowie diejenigen, die das Bemalen von Pferden zu therapeutischen Zwecken anbieten. Klar kann man darüber streiten, ob sowas überhaupt sein muss - allerdings könnte man genauso gut darüber diskutieren, ob man ein Pferd überhaupt im Stall halten, reiten oder Lasten ziehen lassen muss. Wie die meisten Haustiere, so sind auch Pferde schon seit Jahrtausenden domestiziert, sprich, man kann sie nicht einfach so sich selbst überlassen - weshalb Pferdehaltung auch immer sehr kostspielig und zeitaufwändig ist. Natürlich kann man einem Pferd auch nicht unterstellen, dass es prinzipiell etwas dagegen hat, bemalt zu werden - möglicherweise ist es für das Tier auch so etwas wie eine Streicheleinheit. Auf Turnieren werden Pferde ebenfalls gern mal dekoriert - und ich habe eher den Eindruck, dass es ihnen vollkommen egal ist. Anders gesagt: Das Bemalen von Pferden ist generell keine Tierquälerei. Das Problem liegt für mich woanders. Und darüber möchte ich kurz mal sprechen.

Wie gesagt: Generell finde ich es toll, wenn man Kinder mit Tieren vertraut macht und ihnen ein wenig die Angst nimmt - meinetwegen auch mit unorthodoxen Methoden. Ich denke nur, dass solche "Bemal-Partys" nicht der richtige Rahmen dafür sind, und ich hab so das Gefühl, dass auch dem einen oder anderen Experten das Verständnis dafür fehlt. In einem meiner vorigen Artikel habe ich ja kurz über diese Kulikitaka-Challenge berichtet, in der es darum geht, Tiere durch ruckartige Tanzbewegungen zu erschrecken und deren Akteure dazu übergegangen sind, Kühe auf der Weide zu erschrecken. Das zeigt doch schon mal, dass es anscheinend genügend Menschen gibt, die überhaupt keine Ahnung von Tieren haben - denn wer auch nur ein bisschen was von Kühen versteht, würde so etwas Bescheuertes niemals tun. Ich möchte auch daran erinnern, dass es häufig genug Berichte über Kinder gibt, die von Hunden gebissen und dabei verletzt werden. Und dass ein Pferd durchaus das Potenzial hat, einen Erwachsenen, noch viel mehr ein Kind, schwer zu verletzen, im blödesten Fall sogar zu töten. Nicht, weil es böse ist, sondern weil es ein Lebewesen ist, das seinen eigenen Willen und seine eigenen Launen hat - und wenn es sich in irgendeiner Weise bedroht oder überstrapaziert fühlt, kann es sich schon mal durch Tritte und Bisse zur Wehr setzen.

Natürlich sind die Ponys, die bei Bemal-Partys eingesetzt werden, Tiere mit ruhigem Temperament, die wahrscheinlich auch mit Kindern umgehen können. Und ich kann mir auch vorstellen, dass auch solche "Events" zu einem besseren Verständnis der Kinder für Tiere beitragen können. Ich glaube jedoch nicht, dass dies bei diesen Partys immer der Fall ist - ich habe leider nicht viele Videos dazu gefunden, aber die wenigen, die ich ausfindig machen konnte, waren bezeichnend: Das Pferd steht still, wirkt aber angespannt, während die Kinder einfach nur Farbe auf das Tier klatschen wie auf eine leblose Figur. Für mich macht das Szenario nicht den Eindruck, als würden sie einen angemessenen Umgang mit diesen Tieren lernen. Und eben das sehe ich als Problem: Was, wenn diese kleinen Kinder den Eindruck gewinnen, dass jedes Tier eine Art Spielzeug ist, mit dem man machen kann, was man will? Wenn sie glauben, dass man jedes Pferd nach Herzenslust bemalen kann? Ich erinnere mich daran, dass ich als mal einen Kleiderschrank mit Kugelschreiber beschmierte, nachdem ich beobachtet habe, wie meine Mutter ihn zusammen mit meinem älteren Bruder bemalte - wenn die das dürfen, warum ich dann nicht auch? Zu demselben Schluss könnte ein kleines Kind kommen, das mal ein Pferd mit Fingerfarben bemalt habt - und dasselbe mit Filzstift am Nachbarhund ausprobiert. Ich habe so den Eindruck, die Eltern, die so ein "Event" buchen, sind auch dieselben, die ihren Kindern zum Geburtstag ein Kätzchen schenken, um es bei der nächsten Urlaubsfahrt am Straßenrand auszusetzen. Die ihren Kindern vermitteln, dass man jedes Tier ungefragt antatschen darf und dass man in Gegenwart eines jeden Tieres herumrennen und kreischen darf, wie es einem beliebt - und wenn sich ein Tier mal zur Wehr setzt, wird ihm die Schuld zugeschoben. Auch in besagter Facebook-Gruppe schrieben Leute, die beruflich mit Pferden zu tun haben, dass eine solche Handhabe für die erste Kontaktaufnahme mit einem Pferd gar nicht geeignet ist, weil man ein gewisses Basiswissen braucht, um mit diesen Tieren adäquat umzugehen.

Mein Fazit ist: Egal ob es für das Tier jetzt eine Qual ist oder nicht, ich finde diese Art und Weise, Kinder zu bespaßen, eher unpassend - auch wenn es natürlich auf die Rahmenbedingungen ankommt. Aber der Eindruck, den ich durch die zweifellos eher dürftige Auswahl an Quellen gewonnen habe, vermittelt mir nun mal nicht, dass Kindern hier der angemessene Umgang mit Tieren beigebracht wird, sondern dass es ausschließlich um Spaß geht - und den kann man doch auch mit einem Holz- oder Papppferd haben. Warum muss man denn immer aus allem ein "Event" machen, wenn man sich hinterher doch immer beschwert, dass Kinder heutzutage nicht mehr selbst kreativ werden können? Wäre es nicht angemessen, ab und zu ein wenig bescheidener zu sein? Aber ja, da ich weder Mutter bin noch ein Tier halte, ist meine Meinung natürlich nichts wert - wenn ihr so denkt, dann vergesst das Ganze am besten gleich wieder. Wenn nicht, dann betrachtet es als einfachen Denkanstoß von einer Person, die weiß, dass ihre Meinung nur eine von vielen ist, was aber nicht heißt, dass sie generell unter Verschluss gehalten werden muss. In diesem Sinne passend zur Urlaubszeit: Bon voyage!

vousvoyez

Donnerstag, 16. Juli 2020

Ich kann hellsehen - im Dunkeln sehe ich allerdings nichts

(c) vousvoyez
Und wie ihr ja alle wisst, ist Hellsehen eine Fertigkeit, von der ich nicht so recht überzeugt bin - da es bis jetzt keine stichhaltigen Beweise gibt, dass so etwas überhaupt funktioniert. Ich fürchte, wir werden damit leben müssen, dass wir nur in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft sehen können. Auch wenn das vielleicht nicht ganz so spannend ist. Aber so ist halt das Leben. Und so kann ich leider ebenso wenig voraussehen, wie die derzeitige Situation ausgehen wird - also, falls ihr auf meine hellseherischen Fähigkeiten gehofft habt, muss ich euch leider enttäuschen. Aus, finito, vorbei, hier gibt's nichts zu sehen!

Fest steht allerdings, wie ihr natürlich auch durch diesen Blog erfahren habt, dass Krisenzeiten wie diese eine Menge Geschwurbel hervorbringen - was wahrscheinlich auch daran liegt, dass unsere moderne Gesellschaft für Krisen nicht wirklich gewappnet ist. Seit April wird ständig der Weltuntergang prophezeit, oder zumindest der Übergang in eine neue Weltordnung, aber die lassen sich ganz schön Zeit damit. Allmählich werde ich schon ein bisschen fuchsig, immerhin will ich wissen, ob ich dieses Jahr noch auf Urlaub fahren kann oder nicht, also jetzt beeilt euch endlich mal!

Aber wie ihr wisst, bin ich sowieso von diesen bösen Systemmedien ferngesteuert - ich glaube nicht, dass ich als Österreicherin besser bin als jeder Afrikaner, Araber, Türke, Amerikaner, Franzose oder was auch immer. Und ich bin auch eine von denen, die behaupten, dass der Klimawandel menschengemacht ist - weil die Beweislast halt schlicht und einfach erdrückend ist. Wie manche von euch wissen, habe ich mich in diesem Blog schon mehrmals zu Greta Thunberg und Fridays for Future geäußert. Und ich bleibe dabei: Ich finde es gut, dass die junge Generation um eine lebenswerte Zukunft kämpft. Doch auch unter jungen Leuten gibt es nicht nur solche, denen die Zukunft unseres Planeten am Herzen liegt - es gibt auch die andere Seite: die junge Fraktion der Neuen Rechten. Und auch in Bezug auf diese herrscht Redebedarf - deswegen will ich euch zwei Prachtexemplare der rechtsgestrickten Influencer-Szene vorstellen. Beide sind jung, und beide werden sie von einem Netzwerk aus rechten Institutionen, Autoren, YouTubern und Bloggern unterstützt, die mit ihrer Hilfe ein junges Publikum erreichen und so eine eigene Medienöffentlichkeit generieren will.

Niklas Lotz, der sich auf seinem Kanal "Neverforgetniki" nennt, ist zwanzig Jahre jung und wirkt wie der Inbegriff des Lieblingsschwiegersohns. Oder wie ein Mitglied einer gecasteten Boygroup. Jedenfalls hat er nichts mit jenen Neonazis von früher gemein, die einst mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln Krawall gemacht haben. Und selbstverständlich ist er auch überhaupt nicht rechts oder gar rechtsextrem - er bevorzugt für sich Attribute wie "konservativ" oder "bürgerlich". Das klingt nicht ganz so garstig, denn er ist ja selbstverständlich kein Nazi, aber ...

... aber bezeichnenderweise sind seine Themen sehr ähnlich wie die der Rechtspopulisten, nämlich, dass es viel zu viele Ausländer gibt, dass die die Deutschen verdrängen und alle böse und überhaupt an allem, was sich zum Negativen entwickelt, schuld sind. Ebenso böse sind auch die Grünen, die SPD, die EU, Klimaschützer und Seenotretter, ab und zu auch mal die CDU. Nur eine Partei wird nie kritisiert, nämlich die AfD, und von Martin Sellner, dem Sprecher der Identitären in Österreich, die schon mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt kamen und die vom DÖW (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes) als "rechtsextrem" (hört, hört!) eingestuft werden, wird Herr Lotz als "genialer junger Nachwuchs-Blogger" bezeichnet. Aber natürlich sagt er nur seine Meinung - und die wird man ja wohl noch sagen dürfen! Auch, wenn es nur darum geht, die üblichen Feindbilder zu bemühen, um so eine Atmosphäre der Angst zu schaffen und Hass gegen Personen zu schüren, die nicht ins rechte Weltbild passen - auch wenn der junge Mann selbstverständlich überhaupt nicht rechts ist, aber...

... aber das mit dem Klimawandel stimmt ja gar nicht, die Flüchtlinge sind alle böse und außerdem findet der Rassismus nicht etwa gegen Ausländer bzw. People of Colour statt, sondern natürlich nur gegen die Deutschen! Aber wenn man sich kritisch gegen Migranten oder gegen die Fridays-for-Future-Bewegung äußert, dann wird man gleich ins rechte Eck gestellt! Man reiche mir ein Taschentuch. Und natürlich wird auch all das, was der junge Herr in seinen Videos so aufdeckt, in den deutschen Medien wohlweislich verschwiegen - weil die ja alle total linksgrünversifft sind. Und die Schuld liegt selbstverständlich immer bei den anderen, speziell denen, die nicht deutsch sind. Deswegen ist das, was er betreibt, keineswegs Hetze, sondern "ausgeglichener Journalismus". Dass Niklas Lotz über keinerlei journalistische Erfahrung verfügt, ist da erst mal nicht so wichtig - ebenso wenig wie die Tatsache, dass er selbst sich an den etablierten Medien, die er ja so vehement ablehnt, bedient, sofern seine Meinung zufällig mit ihrer Berichterstattung übereinstimmt - auch wenn er die Tatsachen dann gerne verdreht. Auch, dass es sehr viele kritische Videos von ihm gegen links gibt, aber kein einziges gegen rechts, spielt keine Rolle - und auch nicht, dass seine Videos im Ganzen eher ziemlich billig gemacht sind. Auch die übliche Arroganz, die dieser Bursche an den Tag legt, wenn er behauptet, dass er im Besitz der einzig wahren Wahrheit sei, fällt kaum ins Gewicht. Trotz alldem hat er genügend Reichweite, und dass er sich nicht offen zur rechten Szene bekennt, ist natürlich reines Kalkül - denn auf diese Weise kann er mittels eines relativ harmlosen Images seine Propaganda verbreiten und dabei vor allem junge, beeinflussbare Menschen erreichen. Und natürlich sind die üblichen Verdächtigen auch mächtig stolz auf das Traumkind aller Rechtsverdrehten und schreiben in ihren Kommentaren unter seinen Videos, was für ein leuchtendes Beispiel er doch dafür ist, dass die heutige Jugend doch noch nicht ganz verloren ist. Und um das Maß noch vollzumachen, hat Neverforgetniki zusammen mit Heiko Schrang, einem anderen rechtsgestrickten Influencer, ein Buch veröffentlicht, das ebenfalls rechtes Gedankengut beinhaltet und im Bereich "Politikwissenschaft" ein Bestseller ist - wobei ich mich frage, warum ein dermaßen propagandistisches Werk, das von Personen verfasst wurde, die den Klimawandel leugnen und die Evolutionstheorie nicht verstehen, sich "wissenschaftlich" schimpfen darf. Ich hätte es ja eher in die Kategorie "Witzbücher" verortet, aber da ich ja nur allzu perfekt in Niklas Lotzs Feindbild passe, fragt mich natürlich keiner. Ich wiederum finde es durchaus beunruhigend, dass ein so junger Mensch sich dermaßen gegen jeden gesellschaftlichen Fortschritt zur Wehr setzt.

Ebenso beunruhigend finde ich Neverforgetnikis weibliches Pendant Naomi Seibt, die natürlich auch überhaupt nicht rechts ist, sondern sich als "libertär" und "anti-globalistisch" bezeichnet, und sie ist auch keine "Klima-Leugnerin", sondern versteht sich als "Klima-Skeptikerin" oder, noch "seriöser", als "Klima-Realistin". Viele Medien bezeichnen sie bereits als "Anti-Greta", was sie natürlich überhaupt nicht gern hört. Die Neunzehnjährige betreibt seit Mai letzten Jahres einen eigenen YouTube-Kanal, in dem sie in deutscher und englischer Sprache ihre Inhalte verbreitet und gerne damit prahlt, was für eine mutige Rebellin sie doch ist, die Autoritäten immer schon hinterfragt hat - lustigerweise ist die Tochter der AfD-nahen Rechtsanwältin Karoline Seibt, die sich häufig darüber beschwert, dass so viele Kinder politisch instrumentalisiert sind, allerdings selbst Mitglied der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative für Deutschland. Außerdem behauptet sie auch gerne, dass ihre Meinung, die sie völlig ungehindert im Internet verbreitet, unterdrückt werde, und diffamiert jeden, der ihr widerspricht, als "Mitläufer". Kurios, dass gerade so viele, die sich als "konservativ" bezeichnen, ganz offensichtlich glauben, Meinungsfreiheit hieße, alle seien zu uneingeschränkter Zustimmung verpflichtet - und dass ihre geliebte AfD nicht gerade bekannt dafür ist, dass sie anderen Meinungen gegenüber besonders aufgeschlossen wäre. Abgesehen davon scheint dem jungen Fräulein entgangen zu sein, dass sie selbst zu der von ihr beklagten Spaltung der Gesellschaft beiträgt, wenn sie andere Meinungen als ihre eigene herabwürdigt. Im Lichte dessen ist auch ihre Forderung nach einer "direkteren Demokratie" nicht ganz nachvollziehbar - wie soll das denn funktionieren, wenn die Mehrheit der Gesellschaft ohnehin nur aus dummen Mitläufern besteht? Aber ihre Narrative treffen eben genau den Nerv der Neuen Rechten, und entsprechend sind auch ihre Themen - außer Klimawandel und der "Meinungsdiktatur" die angebliche Gefahr der "Überfremdung" sowie die "Staatsmedien", wie sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nennt, und dass Feminismus, Abtreibung und Seenotrettung selbstverständlich ganz böse sind. Außerdem sind natürlich Angela Merkel und "die Antifa" an allem schuld. Laut Recherche der Investigativ-Plattform Correctiv wurde sie bereits 2017 von David Berger unterstützt, dem Betreiber des rechten Blogs Philosophia Perennis. Den zur weiß-nationalistischen Alt-Right-Szene gezählten Internet-Aktivisten Stefan Molyneux bezeichnet sie als "Inspiration", und nur wenige Tage nach dem letztjährigen Attentat auf die Synagoge in Halle bediente sie das uralte Stereotyp des vom Juden unterdrückten "gewöhnlichen Deutschen".

Laut Recherchen von Correctiv, der ZDF-Sendung Frontal21 und der Washington Post wird sie nicht nur von rechten Institutionen wie der Identitären Bewegung hofiert, sondern auch vom Heartland Institute unterstützt, einer "US-amerikanischen konservativen und libertären Denkfabrik mit Sitz in Chicago", deren Interesse an ihren Videos darin besteht, Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern. Die Institution gibt sich zwar als wissenschaftlich aus, verbreitet jedoch gezielt Desinformation. So behauptete sie beispielsweise, der Konsum von Tabak sowie das Insektizid DDT seien ungefährlich und saurer Regen eine Lüge, leugnet vehement den menschengemachten Klimawandel, redet aktuell wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich der Covid-19-Pandemie klein und wird von der Tabak-, Kohle- und Erdölindustrie finanziert. Ja, und um ihre verqueren, pseudowissenschaftlichen Thesen zu verbreiten, bedienen sie sich der Reichweite junger Influencer vom rechten Rand. So ist es wohl auch ihr Verdienst, dass Naomi Seibt mittlerweile auch in rechten englischsprachigen TV-Sendern wie Sky News Australia und One American News Network angekommen ist. Außerdem beruft sie sich auch gerne auf den nicht weniger pseudowissenschaftlichen Verein Europäisches Institut für Klima & Energie e. V. (EIKE e. V.), der wissenschaftliche Erkenntnisse über den menschengemachten Klimawandel ebenfalls ablehnt.

Interessant ist, dass Naomi Seibt, die sich so vehement gegen den wissenschaftlichen Konsens bezüglich des Klimawandels sträubt, zweimal in dem bekannten Schüler- und Jugendwettbewerb Jugend forscht den ersten Platz erreichte - einmal in Physik und einmal in Chemie -, und dass sie ihr Abitur bereits im Alter von sechzehn Jahren mit dem Notendurchschnitt 1,0 ablegte. Tatsächlich kann sie sehr gut mit gescheiten Begriffen um sich werfen - konkrete Beispiele nennt sie jedoch nicht, die meisten ihrer Argumente halten einer näheren Überprüfung nicht stand und sie macht nicht den Eindruck, als wenn sie sich mit den Themen, über die sie spricht, wirklich befasst hätte. Dass eine junge Frau, die ganz augenscheinlich sehr gut mit wissenschaftlichem Denken und Arbeiten vertraut ist, sich an die Desinformations-Kampagne von Thinktanks wie dem Heartland Institute verkauft, ist mehr als nur bitter - es ist schlicht und einfach billig. Ich kann mir ihre Handlungsweise, wenn sie nicht ein paar kräftige Schläge auf den Kopf bekommen hat, nur so erklären, dass das für sie die einfachste Möglichkeit ist, schnell und einfach ihre Geltungssucht zu befriedigen - selbst wenn sie dafür potenziell über Leichen gehen muss. Und dass sie noch jung ist, ist kein Argument - mit fast zwanzig Jahren ist man kein Kind mehr.

An dieser Stelle muss ich allerdings noch etwas loswerden: Mir ist aufgefallen, mit welcher Vehemenz gegen sexistische oder gar gewalttätige Kommentare über Greta Thunberg vorgegangen wird - und das ist auch wichtig und richtig. Umso schockierender finde ich es jedoch, dass aus demselben Lager mitunter die gleichen Kommentare über Naomi Seibt kommen. Ist das, was diese junge Frau so von sich gibt, falsch und provozierend? Ja! Ist es angebracht, ihr zu widersprechen und sie zu kritisieren? Verdammt noch mal, ja! Dürfen wir uns deswegen auf dasselbe Niveau begeben wie diejenigen, die gegen Greta Thunberg hetzen? Und da muss ich klar und deutlich sagen: NEIN! Ich weiß, dass besonders Diskussionen auf Social Media häufig sehr emotional geführt werden und man sich häufig zu unbedachten Äußerungen hinreißen lässt. Aber Leute: Denkt doch um Himmels willen ein bisschen mehr darüber nach, was ihr schreibt! Wenn ihr jetzt anfangt, euch ebenfalls wie die Wildsäue aufzuführen, werdet ihr selbst zu dem, was ihr hasst. Bitte versucht, sachlich zu bleiben, Argumente zu finden und euch nicht zu solchen Entgleisungen hinreißen zu lassen! Das ist es doch nicht wert!

Es gibt natürlich noch viele andere rechte Influencer, über die es wert wäre, zu berichten - ich habe mir allerdings ganz bewusst die beiden herausgepickt, die explizit ein junges Publikum ansprechen wollen, um zu zeigen, dass auch die nächste Generation vor Einflüssen, die ich persönlich für gefährlich halte, nicht gefeit ist. Ich möchte hoffen, dass dies nicht irgendwann dazu führt, dass sich die Geschichte wiederholt - zumal mir, nachdem ich mich mit diesem Thema auseinandergesetzt habe, aktuell vom YouTube-Algorithmus schon Videos der beiden genannten Personen vorgeschlagen werden. Wir leben momentan in unsicheren Zeiten, und wir wollen hoffen, dass wir nicht nur körperlich heil aus der Situation wieder rauskommen. Aber versucht trotzdem, positiv zu denken und euch nicht unterkriegen zu lassen! Ob wir es schaffen, kann ich noch nicht sagen, aber dass wir es schaffen können, dessen bin ich mir sicher! Bon voyage!

vousvoyez

Montag, 13. Juli 2020

36 + 0 = 360


(c) vousvoyez
Auch diese Weisheit stammt aus jener Zeit, als ich mich via YouTube königlich über die Flacherdler amüsiert habe. Leider kann ich nicht mehr sagen, wer genau diese überaus geniale Rechnung aufgestellt hat und zu welchem Zweck, weil ich dafür erst die betreffenden Videos durchforsten müsste, und das dauert mir momentan - pardon - doch etwas zu lange. Ein ehemaliger Schulkollege hat mich übrigens darauf aufmerksam gemacht, dass die Rechnung richtig sein könnte, wenn man die 0 als Variable nehmen würde - leider hat das Flacherdler-Rechengenie die Gleichung jedoch genauso gemeint, wie sie hier steht. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob dieser Jemand überhaupt wusste, was eine Variable ist. Da bin selbst ich mit meiner Dyskalkulie ratlos.


Noch ratloser bin ich, wenn ich erkenne, dass es tatsächlich Leute gibt, die solchen Müll glauben. Aber seit wir mit der Corona-Pandemie leben, wundert mich ehrlich gesagt gar nichts mehr. Und mitunter ertappe ich mich tatsächlich dabei, dass ich mich nach jenen seligen Zeiten zurücksehne, als die flache Erde und Echsenmenschen noch zum Standard des Verschwörungsschwurbels gehörten. Wobei der ja nie ganz harmlos war - es gab nur ganz offensichtlich weniger Leute, die dafür empfänglich waren.

Geschichten, die trotz ihres nicht sehr hohen Maßes an Glaubwürdigkeit dennoch von genug Personen geglaubt werden, gehören mit Sicherheit zu den Dingen, die es schon so lange gibt wie die Menschen selbst. Wie ihr wisst, liebe ich die absurdesten Auswüchse dieser Phantasiegespinste ja heiß - und bin auch immer noch sehr fasziniert davon, welch seltsame Blüten die Möglichkeiten des Vernetzt-Seins, wie wir sie heute haben, mitunter treiben. Und das in jeder Altersgruppe!

Ein paar von euch erinnern sich vielleicht noch daran, dass ich ab und zu über Internet-Phänomene berichtet habe, die vor allem die jüngsten Nutzer betreffen. Hauptsächlich deshalb, weil es mich immer wieder fasziniert, wie schnell gewisse Trends auftauchen und wieder verschwinden, dass es aber gleichzeitig auch Dinge gibt, die nie alt werden - so habe ich bereits über Challenges berichtet und über Kettenbriefe, die immer wiederkehren, wenn auch mit unterschiedlichen Namen und Inhalten. Gleichzeitig gibt es aber auch Phänomene, die nach kurzer Zeit wieder in Vergessenheit geraten - ein solches war diese Momo-Geschichte, die sich, selbst wenn nach wie vor in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen davor gewarnt wird, ganz offensichtlich schon ziemlich totgelaufen hat. Aber wie es halt so ist, bin ich kürzlich auf neue seltsame Trends gestoßen. Und weil ich gerade Lust zum Schreiben habe (und mit dem, was ich eigentlich schreiben will, gerade nicht vorankomme), erzähle ich euch mal ein bisschen davon.

Ich habe ja in einem der oben verlinkten Artikel bereits über die Blue-Whale-Challenge geschrieben - jenes Spiel aus dem russischen sozialen Netzwerk VKontakte, das viele Jugendliche in den Selbstmord getrieben haben soll. Ich habe jetzt allerdings wieder erfahren, dass es weder für Selbstmorde in Verbindung mit dieser Challenge noch für die ursprüngliche Challenge selbst stichhaltige Beweise gibt - Näheres erfahrt ihr hier. Übrigens ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass auch Medien, die als "seriös" gelten, nicht immer die Wahrheit sagen. Das einzige, was man weiß, ist, dass es zahlreiche Nachahmer gegeben hat. Mittlerweile soll es auch schon Challenges mit ähnlichem Prinzip geben - beispielsweise heißt es, dass es vor zwei Jahren diese schon erwähnte Momo-Challenge gegeben hätte, die ungefähr gleich ablief. Für die angeblichen Opfer dieser Challenge gab es allerdings noch weniger Beweise als für die der Blue-Whale-Challenge. Jetzt gibt es wieder sehr viel Theater um eine solche Challenge, die in Verbindung steht mit einem Profil, das vor nicht allzu langer Zeit auf Twitter erstellt wurde und das den Namen "Jonathan Galindo" trägt.

Das Profilbild dieses Jonathan Galindo ist ein Mann mit einer Maske, die ein bisschen an Goofy erinnert. Dieses Profil soll mehrere Leute auf Social Media angeschrieben und vor allem Kinder und Jugendliche gefragt haben, ob sie eine Challenge machen wollten, und einige haben angeblich auch schon mitgemacht. Dies ging so lange, bis das Profil von Twitter auf Grund von Beschwerden gelöscht wurde. Mittlerweile sind jedoch auf unterschiedlichen sozialen Netzwerken unzählige Profile zu finden, die sich "Jonathan Galindo" nennen und auch dieses seltsame Profilbild haben - wie wir es schon bei Momo gekannt haben. Ich habe übrigens aus Neugierde mal versucht, die alten Momo-Profile auf Instagram ausfindig zu machen - wie zu erwarten, war aber kein einziges mehr zu finden. Ich nehme an, das wird auch bei den Jonathan-Galindo-Profilen irgendwann der Fall sein. Angeblich schreiben diese also irgendwelche Leute an, um sie zu fragen, ob sie eine Challenge mitmachen wollen - bei der es sich um die berühmt-berüchtigte Blue-Whale-Challenge handeln soll, für die diese Profile als Kuratoren fungieren. Jedenfalls kursieren aktuell immer wieder Warnungen vor diesen Profilen, in denen behauptet wird, dass deren Inhaber, wenn man auf ihre Nachrichten antworte, die IP-Adresse zurückverfolgen, einen zu Hause besuchen und womöglich auch umbringen werde.

Nun, dass ein mutmaßlicher Jonathan Galindo allein aufgrund einer unverfänglichen Unterhaltung deine Adresse herausfindet und dich zu Hause aufsucht, ist eher unwahrscheinlich. Allerdings sollen diese Profile verschiedene Links schicken, auf die man klicken soll und mittels derer es auch möglich sein soll, die Wohnadresse herauszufinden. So wie man es häufig auf Social-Media-Plattformen sieht, wo durch irgendwelche Hoaxes persönliche Daten von Leuten ergaunert werden. Angeblich soll es schon vorgekommen sein, dass diese Profile besonders in Vietnam jenen, mit denen sie schrieben, Fotos von den Schildern der Straße, in denen sie wohnten, geschickt haben. Ob das zutrifft, kann ich allerdings nicht sagen - soweit ich informiert bin, bekommt man über die IP-Adresse lange nicht so viele Informationen heraus, wie so manche glauben (meist nicht viel mehr als den Namen des Internetproviders sowie ganz grob auch die Gegend, aus der man kommt). Allerdings kommt an dieser Stelle mal die Preisfrage: Ist es ratsam, dem dubiosen Profil eines völlig Unbekannten zu antworten, wenn er euch zu einer Challenge einlädt? Wer die richtige Antwort weiß, gewinnt ein Joghurt für zwei Personen, das ich vorher aufgegessen habe. Haha!

Was das Aussehen dieses Jonathan Galindo angeht, so ist mittlerweile bekannt, dass dieses von einem Cosplayer auf Twitter stammt, der so ein Kostüm vor etlichen Jahren kreiert hat - ähnlich, wie diese Momo von vor zwei Jahren in Wirklichkeit eine Skulptur aus einem japanischen Museum gewesen ist. Er hat auch schon eine Stellungnahme herausgegeben, in der er klar macht, dass seine Fotos für diese Jonathan-Galindo-Profile zweckentfremdet wurden. Die Challenges wiederum sind offensichtlich mehr oder weniger die gleichen, die man schon von der Blue-Whale-Challenge kennt - auch wenn es ein paar Abweichungen gibt. So hat so eine Blue-Whale-Challenge noch ziemlich harmlos angefangen und wurde dann immer schlimmer, bis sie am Ende in den Selbstmord gipfelte. Einige Jonathan-Galindo-Profile sollen aber direkt zu den gefährlichen Challenges übergegangen sein - manche Teilnehmer wurden angeblich direkt aufgefordert, sich umzubringen. Das Ganze klingt erst mal äußerst beängstigend, allerdings muss ich dazu sagen, dass ich nicht einen einzigen Beweis dafür gefunden habe, dass diese Challenge tatsächlich Opfer gefordert hat - wir sollten also nicht in Panik ausbrechen.

Das nächste Phänomen, das mir untergekommen ist, wurde wiederum bereits von mimikama behandelt - und zwar geht es um die Talking-Angela-App. Talking Angela ist eine Chatbot-App für Kinder, die es schon einige Jahre gibt und die eine weiße Katze mit blauen Augen darstellt, eine künstliche Intelligenz, mit der die Kinder sich unterhalten können. Es gab zuvor schon eine ähnliche App, ebenfalls mit einer Katze, die Talking Tom hieß, und sie funktionierte mehr oder weniger gleich, sprich, Talking Angela ist im Prinzip nur eine verbesserte Version - und im Gegensatz zu Talking Tom gibt es jetzt auch eine Chat-Funktion, über die man sich mit dieser Katze unterhalten kann. Es ist also nichts anderes als eine lustige Spielerei, wie man viele im App-Store findet - und doch kursieren alle möglichen gruseligen Geschichten über sie. Und diese sind auch keineswegs neu - schon 2012, als die erste Version von Talking Angela verfügbar war, kursierten wilde Gerüchte. Denn diese App muss natürlich Zugriff auf das Mikrophon und die Kamera des Handys haben - immerhin soll man ja mit der Figur reden können, und diese soll auch in der Lage sein, die Mimik des Benutzers zu imitieren bzw. zu interpretieren. Dazu kommt noch, dass die App vergleichsweise gut gemacht ist - die Chats mit der Figur wirken offensichtlich so echt, dass manche Eltern anfangs gar nicht glauben konnten, dass es sich hier um eine KI handelt. Dies veranlasste viele zu der Befürchtung, die App könnte von Pädophilen genutzt werden, um ihre Kinder auszuspionieren oder gar mit ihnen zu interagieren. Allerdings muss man dazu sagen, dass viele Chatbots heutzutage schon so gut gemacht sind, dass man häufig kaum noch bemerkt, dass man es hier nicht mit einem echten Menschen zu tun hat - viele Firmen nutzen solche Bots beispielsweise schon für den Online-Support. Abgesehen davon kann man auch darauf hinweisen, dass ja auch viele Erwachsene eine Alexa in der Wohnung haben oder die Siri-App nutzen, die ebenfalls Zugriff auf Handy und Kamera haben.

Die Befürchtungen um Talking Angela tauchten immer wieder mal auf, aber in letzter Zeit häufen sich wieder Meldungen um die angebliche Gefährlichkeit dieser App. So ruft es bei so manchen Eltern Skepsis hervor, dass die Katze manchmal Fragen stellt, die persönliche Informationen erfordern - was natürlich bei manchen wieder den Verdacht erregt, es könnte ein Pädophiler dahinterstecken. Ein neuer Mythos hat jedoch mit den Augen der Figur zu tun - denn in diesen könnte man angeblich die Person sehen, von der man beobachtet werde. Das könnte nun ein Hacker sein oder gar ein Pädophiler oder Serienkiller. Tatsächlich kann man in den Augen der Katze auch Umrisse erkennen - wohl die gegenüberliegende Seite des Pariser Cafés, in dem sie in der App sitzt. Aber um da menschliche Umrisse zu sehen, braucht man, wie ich finde, schon einiges an Phantasie. Ich denke eher, dass Leute diese Umrisse sehen, weil sie sie sehen wollen - wenn man gezielt nach etwas sucht, kann jede Unregelmäßigkeit, jeder Pixelfehler als Indiz dafür fungieren, dass man es auch gefunden hat. Die Geschichte hat sich inzwischen schon so weit verbreitet, dass sogar schon Nachrichtenportale davon berichten - aber keines konnte auch nur einen stichhaltigen Beweis liefern, dass diese App tatsächlich von einem Pädophilen genutzt wird. Diese Berichte basieren einzig und allein auf Kettenbriefen, die auf Plattformen wie Facebook und Twitter geteilt werden und wo vor dieser App gewarnt wird - es wird sogar berichtet, dass schon Menschen durch diese App ums Leben gekommen sein sollen. Und wie nicht anders zu erwarten, gibt es natürlich auch schon die ersten Trash-YouTuber, die auf diesen Hype anspringen und so tun, als würden sie von der App beobachtet - oder dass irgendwas Gruseliges passiert, wenn die App um drei Uhr nachts genutzt wird (warum eigentlich immer um drei Uhr nachts?). Im Prinzip ist das jedoch wohl nur einer von vielen dieser Mythen, die es schon seit Ewigkeiten gibt und wo Dinge hinzugedichtet werden, die es gar nicht gibt. Ich schätze mal, wenn sich diese Gerüchte tatsächlich irgendwann einmal bestätigt hätten, wäre diese App inzwischen gar nicht mehr verfügbar.

Wie wir wohl alle erkannt haben, spielen beide Gerüchte besonders mit den Ängsten von Eltern - in dem einen Fall geht es um junge Menschen, in deren Leben sich gerade sehr viel verändert und die daher besonders leicht angreifbar sind. In dem anderen wiederum wird eine Angst getriggert, die besonders in der heutigen Zeit gerne geschürt wird, wenn es um Kinder geht, nämlich die Angst davor, dass das eigene Kind missbraucht werden könnte. In beiden Fällen ist das natürlich alles andere als lustig, aber die Schlaueren unter euch haben mit Sicherheit schon verstanden, dass es im Internet halt viele Leute gibt, die sich einen Spaß daraus machen, andere in Angst und Schrecken zu versetzen, und deswegen solche Geschichten verbreiten oder Kinder zu gefährlichen Challenges verführen. Im Fall mit der Challenge gibt es im Prinzip nur eines, was man tun kann, nämlich, die Finger von den Jonathan-Galindo-Profilen zu lassen und auf eventuelle Kontaktversuche nicht zu reagieren. Was die Talking-Angela-App betrifft, so müssen Eltern selbst entscheiden, ob sie ihr Kind damit spielen lassen oder nicht - dass es allerdings dabei von einem Pädophilen ausspioniert und in der Folge vielleicht sogar entführt wird, ist doch recht unwahrscheinlich. Lasst euch von solchen Geschichten nicht die gute Laune verderben - vollkommen risikofrei wird das Leben leider nicht sein, und alles, was man tun kann, ist, sein Kind zu instruieren und ihm zu zeigen, wie es sich in einer gefährlichen Situation verhalten kann. Und was eventuelle Suizidgedanken betrifft, so gibt es Notrufdienste, die man zu Rate ziehen kann. Das wichtigste ist, kühlen Kopf zu bewahren - so kann man sich am effizientesten vor eventueller Panikmache schützen. Deswegen - bleibt aufmerksam und lasst euch vor allen Dingen nicht irre machen!

vousvoyez

Mittwoch, 8. Juli 2020

Wenn "Africa" von Toto kein guter Song wäre, hätten sie doch nicht einen ganzen Kontinent danach benannt

Wobei ich behaupten möchte, dass der Kontinent schon ein wenig länger existiert als dieser Song - der übrigens auf die nicht enden wollenden Hungerkatastrophen in Afrika aufmerksam machen wollte, wie es in den 1980ern viele getan haben. Leider hat sich seit damals nicht allzu viel verändert - da haben auch die größten Rockkonzerte der Geschichte nichts ausrichten können.Vielleicht schreibe ich noch mal was zum Kolonialismus, wenn ich weiß, wie ich das anstellen kann. Wir werden sehen. Was ich aber heute schon mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Kunst allein die Welt nicht verändern kann. Leider.

Dafür liefert sie uns aber einen sehr guten Einblick in vergangene Zeiten und untergegangene Kulturen. Und ab und an gibt sie uns auch das eine oder andere Rätsel auf - und von so einem Rätsel möchte ich heute gern einmal sprechen . Es ist eines, das immer wieder mal in aller Munde ist und an dem sich schon seit einiger Zeit sehr viele die Zähne ausgebissen haben - nämlich das Buch, das niemand lesen kann. Genauer genommen ist es ein sogenannter Codex, also mehrere Seiten zusammengehefteten Pergaments - bekannt sind weder Autor noch Titel. Es handelt sich um das sogenannte Voynich-Manuskript, benannt nach dem Büchersammler und Antiquar Wilfrid Michael Voynich, der es 1912 vermutlich in einem Jesuitenkolleg in der Nähe von Rom erwarb. Es enthält Illustrationen, aus denen man Zusammenhänge aus Bereichen wie Kräuterkunde, Astronomie, Anatomie und Kosmologie vermutet, sowie einen Text, den bisher noch keiner eindeutig entschlüsseln konnte, obgleich die größten Kryptologen - unter ihnen auch diejenigen, die den Enigma-Code der Nazis knacken konnten - sich schon daran versucht hatten. Es gibt auch kein anderes Manuskript, das vergleichbare Zeichen und/oder Zeichnungen aufweist. Im Internet findet man natürlich laufend Meldungen von Personen, die behaupten, das Manuskript entschlüsselt zu haben - meist natürlich Privatpersonen, die ähnlich wie die altbekannten Schwurbelkönige und Innen von sich behaupten, klüger und kompetenter zu sein als jeder Experte. Keiner der vielen Ansätze, die bisher vorgelegt wurden, konnte jedoch einer fachlichen Analyse standhalten.

Bei einer Analyse im Jahr 1962 kam man aufgrund von Material und Schreib- bzw. Zeichenstil zu dem Schluss, dass das Manuskript etwa um 1500 entstanden sein muss; andere legten den Zeitraum aufgrund von Hinweisen in den Zeichnungen auf ca. 1420 bis 1520 fest. 2009 wurde an Instituten in Chicago und Arizona anhand einzelner Proben eine Radiokarbonanalyse vorgenommen, die ergab, dass das Pergament mit ziemlicher Sicherheit etwa zwischen 1404 und 1438 hergestellt wurde - außerdem stellte man fest, dass die Tinte nicht wesentlich später aufgetragen wurde. Somit ist das Voynich-Manuskript mit hoher Wahrscheinlichkeit im Spätmittelalter entstanden. Anhand von Hinweisen in den Zeichnungen wird außerdem darauf geschlossen, dass es wohl aus Oberitalien stammt.

Aufgrund eines Eintrags auf der ersten Seite des Manuskripts geht man davon aus, dass einst der böhmische Mediziner, Pharmazeut und Chemiker Jakub Horčický z Tepence im Besitz dieser Schrift war oder sie zumindest analysiert habe; laut eines in dem Manuskript gefundenen Briefes gehörte es damals aber Rudolf II. von Habsburg, der es einem unbekannten Händler abgekauft habe. Der nächste bekannte Besitzer war der böhmische Gelehrte und Alchemist Georg Baresch, der den Text dem jesuitischen Universalgelehrten Athanasius Kircher zur Analyse vorlegte, welcher in dem Ruf stand, die Hieroglyphenschrift der alten Ägypter entschlüsselt zu haben (was sich jedoch später als Irrtum herausstellte). Von Baresch ging es in den Besitz des Mediziners und Naturwissenschaftlers Johannes Marcus Marci über, der ebenfalls Kircher um Hilfe bei der Entschlüsselung gebeten haben soll. Es wird vermutet, dass es nach Kirchers Tod zusammen mit dessen Nachlass an das Collegium Romanum, die heutige Päpstliche Universität Gregoriana, ging. Nach der Annexion des Kirchenstaates durch die Truppen Viktor Emanuels II. ging es als Teil von Kirchers Nachlass in Besitz des damaligen Ordensgenerals Pierre Jean Beckx über, damit es nicht konfisziert werden konnte, ehe es in die Bücherbestände des Nobile Collegio Mondragone in der Villa Mondragone bei Frascati überging, wo Voynich es wahrscheinlich erwarb. Nach seinem Tod 1930 erbten es seine Frau und seine Sekretärin, nach dem Tod der Frau stiftete die Sekretärin es 1969 schließlich der Yale-Universität, wo es bis heute Bestandteil der Beinecke Rare Book & Manuscript Library ist.

Voynich selbst nahm als Entstehungszeit des Manuskripts ein weitaus früheres Datum an, versuchte sich jedoch selbst nicht an der Entschlüsselung des Textes, sondern schickte etliche Kopien an verschiedene Experten. William Romaine Newbold, Dozent für Philosophie an der University of Pennssylvania in Philadelphia, entwickelte die Hypothese, dass der eigentliche Inhalt des Textes in mikroskopisch kleinen Unregelmäßigkeiten der Zeichen verborgen sei, doch seine Veröffentlichung erster gedruckter Reproduktionen stellte diese bereits in Frage. Nach dessen Tod im Jahre 1931 bewies der Kryptoanalytiker und Professor für englische Sprache an der University of Chicago John Matthews Manly jedoch, dass die von Newbold beschriebene Mikroschrift gar nicht existierte und die vermeintlichen Kürzel nur Unregelmäßigkeiten waren, wie sie beim Auftragen und Abblättern der Tinte entstehen. Der Botaniker Hugh O'Neill versuchte, die abgebildeten Pflanzen auf ein paar fotokopierten Seiten des Manuskripts zu identifizieren, was bei mittelalterlichen Abbildungen meist schwierig, bei diesem hier jedoch so gut wie unmöglich war. Er glaubte allerdings, zwei Pflanzen zu erkennen, die in der Alten Welt vor Columbus gar nicht heimisch waren, was bedeuten musste, dass das Manuskript nicht vor 1493 verfasst worden sein konnte.

Der erste ausgewiesene Kryptologe, der sich mit dem Voynich-Manuskript befasste, war William Friedman, Gründer des Signals Intelligence Service, einem Vorläufer der NSA, unter dessen Leitung während des Zweiten Weltkriegs der japanische PURPLE-Code geknackt wurde. Zusammen mit je einer Arbeitsgruppe versuchte er, das Manuskript erst mittels Lochkarten und dann mit Hilfe des RCA-301-Computers zu entschlüsseln - beide Versuche konnten jedoch nicht zu Ende geführt werden. In den 1970er Jahren veröffentlichte Robert S. Brumbaugh, Professor für Philosophie des Mittelalters an der Yale University, eine Reihe von Artikeln, die sich auf die These stützten, dass das Manuskript mittels eines Zifferncodes verschlüsselt sei - diese konnte sich jedoch nicht halten, da sie zu einer sehr subjektiven Dekodierung führte. Der Sprachwissenchaftler Prescott Currier, der sich seit 1935 mit Kryptologie befasste, war der erste, der feststellte, dass das Manuskript von mehr als nur einem Schreiber geschrieben worden sein musste - inzwischen werden sogar vier vermutet. Die Mathematikerin und Kryptoanalytikerin Mary D'Imperio, die zeitweise in der Beratung der NSA tätig war, organisierte das erste wissenschaftliche Symposium zu diesem Thema und veröffentlichte die Ergebnisse unter dem Titel The Voynich Manuscript: An Elegant Enigma, die heute noch als beste Überblicks-Arbeit geschätzt wird. In den 1990er Jahren kam die These auf, dass es sich bei dem Text um einen cleveren Scherz gehandelt haben musste und er in Wirklichkeit gar keinen Sinn habe. In den frühen 2000ern glaubten zwei amerikanische Botaniker außerdem, dass das Manuskript Pflanzen mittelamerikanischer Herkunft darstelle und möglicherweise in einer mittelamerikanischen Sprache verfasst worden sein könnte, die wahrscheinlich heute nicht mehr gesprochen wird. Greg Kondrak, Professor für Computerlinguistik an der University of Alberta, wandte erstmals künstliche Intelligenz zur Entschlüsselung des Voynich-Manuskripts an - dem Ergebnis zufolge sei es in Anagrammen mit fehlenden Vokalen auf Hebräisch verfasst worden, eine These, von der Experten für mittelalterliche Manuskripte jedoch nicht überzeugt waren.

2019 behauptete Gerard Cheshire, Research Assistant an der Universität Bristol, das Voynich-Manuskript sei in proto-romanischer Sprache geschrieben worden, einer linguistisch konstruierten Zwischenstufe aus Vulgärlatein und den Vorläufern der heutigen romanischen Sprachen, und ein Handbuch zum spätmittelalterlichen höfischen Leben sei, das zwischen 1445 und 1448 von einer dominikanischen Nonne auf der Insel Castello Aragonese bei Ischia verfasst wurde. Der spätmittelalterliche Ursprung macht es jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass er in einer Sprachvariante konstruiert worden war, die in der Spätantike üblich und weitgehend in der Neuzeit analysiert worden war. Zudem genügten Cheshires etymologische Methoden keinen wissenschaftlichen Ansprüchen, da er beliebig moderne ost- und westromanische Sprachen sowie klassisches Latein heranzog. Im Juni 2020 publizierte der deutsche Philologe und Ägyptologe Rainer Hannig die Interpretation, dass es sich bei der zugrunde liegenden Sprache im Voynich-Manuskript um spätmittelalterliches Hebräisch handeln könnte - einer der ersten Übersetzungsversuche liefert eine Krankengeschichte.

Wie ihr also anhand dieser unvollständigen Beispiele sehen könnt, gibt es sehr viele verschiedene Ansätze zur Analyse des geheimnisvollen Schriftstücks aus dem Mittelalter. Eine Hypothese, die ich außerdem gehört habe, ist, dass niemand anderer als Michel de Nostredame, der uns heute unter dem Namen Nostradamus bekannt ist, der Verfasser des Manuskripts gewesen sein könnte. Gerechtfertigt wird sie damit, dass Nostradamus etwa zu der Zeit lebte und wirkte, in der das Manuskript verfasst worden sein soll, und dass er bekanntlich nicht nur als Apotheker und Mediziner, sondern auch als Astrologe arbeitete - immerhin gibt es bis heute Leute, die seine nebulösen prophetischen Gedichte für verschlüsselte Prophezeiungen halten, die sich tatsächlich bewahrheitet haben sollen. Ich erinnere mich, dass auch in meiner Schulzeit das Gerücht umging, er habe die beiden Weltkriege und den Kalten Krieg "vorausgesagt", bis ich feststellen musste, dass seine vermeintlichen Weissagungen aus einem kryptischen Text bestehen, den man mit sehr viel Phantasie so hinbiegen kann, dass daraus eine "Vorhersage" entsteht - dies funktioniert allerdings nur rückwirkend. Nostradamus erstellte unter anderem das Horoskop für Rudolf II. und hätte mit seinen "Vorhersagen" wohl heute noch sehr viel Geld verdient. Außerdem versuchte er sich auch als Kryptologe, wollte unter anderem die schon erwähnten Hieroglyphen entziffern, und zeigte auch Interesse an Anatomie, Geburt, Pflanzenheilkunde und Astronomie.

Die These, das Manuskript sei nur ein genialer Scherz, ist nicht völlig abwegig, allerdings auch nicht sehr wahrscheinlich - erstens weist es doch einen beträchtlichen Arbeitsaufwand auf, der bestimmt mehrere Jahre in Anspruch nahm (zumal handschriftlich), zweitens waren sowohl das qualitativ hochwertige Pergament als auch die mehrfarbige Tinte zur damaligen Zeit doch relativ kostspielig. Es ist einfach schwer zu glauben, dass man so viel Zeit, Geld und Energie in einen bloßen Scherz investiert haben soll. Und natürlich, wo es ungelöste Rätsel gibt, sind auch diejenigen, die offenbar zu viel Phantasie haben, nicht weit - so gibt es beispielsweise Thesen, dass das Manuskript von Zeitreisenden verfasst worden sei, die in einer noch nicht existenten Sprache geschrieben und noch nicht existente Dinge gezeichnet hätten. Da stellt sich jedoch die Frage, warum diese ausgerechnet mit mittelalterlicher Tinte auf einem mittelalterlichen Pergament geschrieben und Zeichnungen angefertigt haben sollen, deren Stil unverkennbar dem Spätmittelalter zuzuordnen ist. Und wie immer, wenn es um Rätsel geht, die nicht so einfach gelöst werden können, sind die Außerirdischen nicht weit - und so kursiert auch die These, das Manuskript könnte von Aliens verfasst worden sein, die die Gepflogenheiten der Erde studierten und sich in ihrer Sprache Notizen machten, die sie dann vergaßen. Hier stellt sich jedoch ebenfalls die Frage, warum eine außerirdische Spezies ihre Aufzeichnungen auf höchst irdischem Papier mit irdischer Tinte verfasst haben soll, mit Zeichnungen in einem ebenso irdischen und zudem noch mittelalterlichen Stil. Zudem frage ich mich, warum man der Menschheit immer so wenig zutraut, dass man praktisch alles, was man nicht bis ins kleinste Detail analysieren kann - denken wir an die Pyramiden, die laut einiger Leute auch von Aliens hergestellt worden sein sollen - irgendwelchen Außerirdischen zuschreiben muss.

Was mich betrifft - ich denke nicht, dass ich befugt bin, mich zu irgendwelchen Spekulationen hinreißen zu lassen. Ich muss aber zugeben, dass ich solch ungelöste Rätsel immer recht reizvoll finde. Und auch mich juckt die Neugier, irgendwann einmal zu erfahren, was wirklich hinter diesem geheimnisvollen Manuskript steckt - auch wenn ich mir, wie schon gesagt, sicher bin, dass es nichts mit irgendwelchen Zeitreisenden oder Außerirdischen zu tun hat. Die letzten Forschungsergebnisse klingen vielversprechend, aber auch sie garantieren noch keine baldige Lösung des Rätsels. Und mitunter ist es für mich auch recht beruhigend, dass es immer noch so viel auf dieser Welt gibt, was man entdecken und analysieren kann. Ich verlinke euch unten noch eine PDF-Datei, die das gesamte Voynich-Manuskript zur Ansicht enthält - vielleicht habt ihr ja selbst ein bisschen Lust, Kryptologe zu spielen. Und wer weiß - möglicherweise stelle ich auch die Weichen für die endgültige Auflösung eines uralten Rätsels (auch wenn ich das für höchst unrealistisch halte). Bon voyage!

vousvoyez