Donnerstag, 29. Juli 2021

Warum regt sich die BILD-Zeitung über Nazi-Witze auf, wo sie doch der lebende Nazi-Witz ist?

Ich muss zugeben, dass ich nicht mehr genau weiß, wofür die deutsche Bild-Zeitung damals kritisiert wurde, als ich diesen Kommentar entdeckte. Aber im Grunde genommen passt er zu vielen Artikeln dieser Ausgeburt des Sensationsjournalismus, die nur auf Klicks und Profit aus ist und überhaupt kein Gefühl für Verantwortung hat. Aber die Springer-Presse ist ohnehin das deutsche Pendant zur Kronen-Zeitung und den Fellner-Medien hier in Österreich - und beide gehen mir gleichermaßen auf die Nerven. Und da es natürlich noch weitaus mehr gibt, was mir auf die Nerven geht, habe ich beschlossen, heute mal meine Eierer-Liste wiederzubeleben. Denn die letzte habe ich Mitte März geschrieben, und jetzt haben wir immerhin schon fast August - das darf ja nicht sein! Und weil ich natürlich ein Herz aus Goldfischen habe und deswegen so lieb zu euch bin, dass euch am Ende dieses Satzes wahrscheinlich schlecht sein wird, widme ich den schlimmsten aller Eierer diesmal nur einen einzigen Absatz und gehe dann gleich auf etwas allgemeinere Themen über. Wir wollen's ja nicht übertreiben, nicht wahr? Also los.

Top-Eierer Numero 30: "Querdenker" in überfluteten Gebieten

Ich habe ja vor nicht allzu langer Zeit die Hoffnung geäußert, dass Leerdenker und Konsorten jetzt, wo das öffentliche Leben allmählich wieder stattfindet, endlich nicht mehr so viel Aufmerksamkeit generieren. Teilweise hat es ja tatsächlich so ausgesehen - mittlerweile ist ja bekanntlich nur noch der harte Kern übriggeblieben. Das Problem ist allerdings, dass der es in sich hat - die Befürchtung hatte ich ja ebenfalls, aber ich hatte nicht vermutet, dass es so schnell einen Anlass für sie geben wird, um Morgenluft zu wittern. Denn bekanntlich wurden Teile meines Nachbarlandes vor wenigen Tagen von einer verheerenden Hochwasserkatastrophe heimgesucht - und ich muss sagen, ich finde es wirklich bewundernswert, zu sehen, wie hoch die Hilfsbereitschaft innerhalb des Landes ist und wie gut organisiert die Einsatzkräfte hier anpacken. Entsprechend hat es mich am meisten schockiert, wie beschissen sich diejenigen, die angeblich für "unsere Freiheit" kämpfen, aktuell aufführen. Da verbreiten ein Michael Wendler und ein Attila Hildmann ihre Schwurbelgeschichten über eine vom Staat inszenierte Flutkatastrophe; da wird mit gefälschten Einsatzfahrzeugen durch die Katastrophengebiete gefahren und per Lautsprecher völlig grundlos herumgelogen, dass Polizei- und Rettungskräfte vorhätten, die Leute dort im Stich zu lassen; da werden via Social Media Einsatzkräfte verspottet, verhöhnt und sogar bedroht, ganz zu schweigen davon, dass diese Leute, die noch nie in ihrem Leben bei irgendwelchen Hilfseinsätzen dabei waren, erfahreneren Personen permanent erklären wollen, wie sie ihren Job zu machen hätten; die Polizei, die eigentlich damit beschäftigt ist, die verschiedenen Einsätze zu koordinieren, muss sich auch noch auf Social Media rechtfertigen und den Leuten versichern, dass sie keineswegs vorhätten, Betroffenen die benötigte Hilfe vorzuenthalten; da werden Zufahrtswege zu den Katastrophengebieten von sensationsgeilen Gaffern und selbsternannten "Rebellen" blockiert, da werden ehrenamtliche Hilfskräfte bedrängt, belästigt, beschimpft und sogar mit Müll beworfen; da werden Häuser in den überfluteten Gebieten besetzt, etwa eine zerstörte Grundschule, die als "Querdenker"-Leitstelle aufgebaut werden sollte, um von dort aus eigene Aktionen zu koordinieren und nebenbei noch Kindern und Jugendlichen die eigene Ideologie einzutrichtern (zum Glück konnten Polizei und Jugendamt diese Aktion stoppen); da lässt sich ein Bodo Schiffmann wieder mal Geld "schenken" mit der Behauptung, jeder einzelne Cent komme den Flutopfern zugute, nur um daran Bedingungen wie das Ende der Sanktionen für Impf- und Maskengegner und freie Hand für Rechtsradikale zu knüpfen. Liebe Top-Eierer Numero 30: Manchmal frage ich mich ernsthaft, was eigentlich in euren Köpfen vorgeht. Könnt ihr nicht einmal in eurem Leben einfach nur Gutes tun, ohne dabei nur an euch selbst zu denken und daran, auf Biegen und Brechen eure Agenda durchzudrücken?

Top-Eierer Numero 31: Leute, die sich permanent wie die Wildsäue aufführen

Dass Leute auf Social Media mitunter ihre gute Kinderstube zu vergessen scheinen, wissen wir ja bereits. Seit einiger Zeit habe ich jedoch auch den Eindruck, dass Menschen auch in der realen Welt nicht sehr viel von Manieren zu halten scheinen. Sie geben zwar weniger Hasskommentare von sich, aber wenn ich mir ansehe, was sonst so immer mehr Akzeptanz zu finden scheint, überlege ich häufig, ob es heutzutage denn wirklich so out ist, ein gewisses Maß an ordentlicher Kinderstube an den Tag zu legen. Klar - wenn man jung ist, fällt einem das noch nicht so auf. Da hält man sich meist noch für den Nabel der Welt und glaubt, alles besser zu wissen - wobei ich sagen muss, zumindest bei der jüngeren Generation scheint schlechtes Benehmen so allmählich aus der Mode zu kommen. Zumindest kommen mir die meisten, denen ich begegne, weitaus erträglicher vor als Ältere - auch wenn es natürlich auch andere gibt. Vielleicht liegt es ja daran, dass vor allem meine Generation und die davor bisweilen mit Stolz eine recht beachtliche Wohlstandsverwahrlosung zutage trägt - immerhin haben wir lange genug von den Auswüchsen der Spaßgesellschaft profitiert. Möglicherweise hängt das auch damit zusammen, dass wir, wie schon häufiger angemerkt, unser Privatleben ständig öffentlich zur Schau stellen - und deswegen so tun, als wäre die gesamte Welt unser eigenes Wohnzimmer. Es könnte auch nur meine persönliche Empfindung sein, da ich Außenreize krankheitsbedingt intensiver wahrnehme als die meisten anderen Menschen. Auch da bringt die Maskenpflicht Vorteile - man sieht zumindest in den Öffis keine Nasenbohrer mehr, und keine Leute, die sich beim Gähnen nicht die Hand vor den Mund halten können. Ein Trend, der mich jedoch aktuell innerlich häufig auf die Palme bringt, ist der, dass anscheinend überall gegessen werden muss. Ich erlebe das vor allem häufig, wenn ich von der Arbeit nach Hause fahre - Leute, die auf dem Sitzplatz ihr Kebab auspacken oder sich gummiartige Pommes unter die Maske schieben. Leute, die geräuschvoll den letzten Rest ihres Softdrinks durch den Pappstrohhalm saugen und zufrieden schmatzend ihren Burger kauen. Kleinkinder, die zerkaute Chicken McNuggets auf ihr T-Shirt spucken und mit ihren soßebeschmierten Fingern alles in ihrer Umgebung antatschen. Busse, in denen es wie bei McDonald's riecht - oder wie in der Dönerbude. Sitzplätze, von denen man erst mal die zerknüllten Verpackungsreste der Mahlzeit des Vorgängers räumen muss, nur um dann festzustellen, dass sich die restliche Burgersauce und das nicht ausgetrunkene Fanta über die ohnehin schon versifften Polster verteilt haben. Und ich denke sehnsüchtig an meine Kindheit zurück, als man in Bussen und Straßenbahnen noch nicht mal ein Eis essen durfte! Und frage mich, ob ich spießig geworden bin, wenn ich mich dabei ertappe, wie ich meinen Kopf angewidert zur Seite drehe, weil der Typ an dem Tisch gegenüber nicht einmal imstande ist, ein Stück Kuchen zu verzehren, ohne mir dabei einen herrlichen Ausblick auf seine den süßen Teig zermahlenden Mundwerkzeuge zu geben. Na gut, dann bin ich eben spießig, denke ich trotzig, nachdem ich an einer engen Wegstelle andere Leute vorbeigelassen habe und wieder mal feststellen musste, dass diese sich nicht mal ein "Danke" abringen können. "Früher war alles besser", heult ein kleiner, trotziger Kobold in mir, während ein junger Mann in Jogginghosen und weißen Turnschuhen die Straßenbahn betritt, während er das auf laut gestellte Smartphone wie ein Butterbrot schräg vor seinen Mund hält und uns alle an seinem ungeheuer spannenden Gespräch teilhaben lässt. "Da hat man wenigstens nur EINEN Teil des Gesprächs mithören können!" Wenn solche Leute doch wenigstens einen besseren Musikgeschmack hätten, denke ich bei mir, während ich mich an der abendlichen Straßenbahnhaltestelle innerlich vor Schmerzen krümme, weil die beiden kaum Zwanzigjährigen neben mir meinen, sie müssten die ganze Umgebung mit ihrem in Autotune erstickenden Deutschrap voller Reimkatastrophen zwangsbeschallen. Liebe Top-Eierer Numero 31: Könntet ihr bitte, bitte auch einmal in Erwägung ziehen, dass ihr nicht allein auf der Welt seid?

Top-Eierer Numero 32: "... als ich in deinem Alter war ..."

Ich bin ja mittlerweile schon in einem Alter, in dem es niemanden mehr wundert, wenn ich mich nach meinem jüngeren, unbeschwerteren Ich zurücksehne. Dennoch kann ich nicht oft genug betonen, dass es auch Vorteile bringt, wenn man so langsam, aber sicher auf die Vierzig zugeht. Zum Beispiel gibt es weniger Menschen, die mir permanent vorhalten, was ich noch nicht kann, obwohl ich alt genug dafür wäre, und dass sie oder andere das in meinem Alter - oder sogar jünger! - schon viel besser gekonnt hätten bzw. können. Ich weiß nicht, woher die Überzeugung kommt, dass man ab einem gewissen Alter dieses und jenes automatisch zu können oder zu sein hat. Einerseits wird ständig darauf herumgeritten, dass jeder einzigartig sei, andererseits bekommt Mutti die Krise, wenn ihr hochbegabtes Indigo-Regenbogen-Wunderkind irgendwas noch nicht ganz so gut kann wie die meisten seiner Altersgenossen, und übersieht dabei möglicherweise Dinge, die es den anderen vielleicht schon voraus hat. Und das weiß ich, weil von mir mitunter Sachen erwartet wurden, die mir nie jemand erklärt hat - einfach nur, weil ich in einem Alter war, in dem man das nach allgemeiner Erwartung zu können hatte. Ich denke mir das auch in der aktuellen Bildungssituation: Menschen werden heutzutage älter als je zuvor - warum also müssen Kinder und Jugendliche auf Biegen und Brechen möglichst schnell durch die Schullaufbahn gehetzt werden, anstatt dass man ihnen möglicherweise noch ein Jahr mehr Zeit gibt, um das Versäumte aufzuholen? Denn ob ihr es glaubt oder nicht: Ich habe das Gymnasium zwar in Mindestzeit abgeschlossen, aber danach fragt einen kein Mensch mehr, nachdem man die Matura erfolgreich absolviert hat. Ich kenne so viele, die sogar zweimal sitzengeblieben sind und trotzdem in ihrem Beruf glänzen. Im Prinzip fängt es schon an, sobald der Sprössling auf der Welt ist: Eltern können sich stundenlang darin übertrumpfen, zu berichten, was ihr kleines Wunder schon kann, während sie andere abkanzeln, weil deren Nachkomme möglicherweise noch nicht ganz so weit ist. Im schlimmsten Fall erwarten sie von ihren Kindern dann Fähigkeiten, die sie in ihrem Alter noch gar nicht haben können, um mit den anderen stolzen Muttis auch ja mithalten zu können. Sobald man dann älter geworden ist, erklären einem dann Erwachsene, wie unzulänglich man doch ist: "Als ich in deinem Alter war, bin ich barfuß durch den Schnee in die Schule gegangen!" - "Der Max ist zwei Jahre jünger als du und kann schon ohne Stützräder Fahrrad fahren!" - "Die Veronika musste in deinem Alter nicht mehr dazu aufgefordert werden, ihre Schuhe wegzuräumen!" Andererseits kommt dann aber immer, wenn man jammert "Die anderen dürfen aber auch ...", der allseits bekannte Satz: "Du bist aber nicht die anderen!" Dieses Paradoxon begegnet einem, sobald man erwachsen ist, vornehmlich in der Berufswelt: Man hat gerade eine Ausbildung abgeschlossen und brennt auf einen Job - nur um dann zu erfahren, dass man mit seinen zweiundzwanzig Lenzen bereits drei Abschlüsse, zehn Jahre Berufserfahrung und fünf Auslandsaufenthalte absolviert haben sollte. Und währenddessen schreibt die Kronen Zeitung, dass die faule Jugend von heute nicht mehr arbeiten will. Liebe Top-Eierer Numero 32: Wart ihr in eurer Jugend wirklich schon perfekt, oder sind euch nur die Argumente ausgegangen?

Top-Eierer Numero 33: Klo-Rowdys

Letzte Woche habe ich mit einer Freundin ein Café besucht, dessen Toilette eine höchst interessante Waschgelegenheit hatte: Ein rundes schwarzes Becken, über dem mehrere Düsen, ähnlich einer Dusche, angebracht waren. Zwei ältere Damen, die zur gleichen Zeit wie ich ein dringendes Bedürfnis verspürt hatten, zeigten mir, welchen Knopf ich betätigen musste, damit Wasser in das Becken lief und ich mir die Hände waschen konnte. Als ich fertig war, fotografierten sie sich gegenseitig begeistert beim Händewaschen. Vor vielen Jahren, ich war etwa sechzehn oder siebzehn, erzählte mir eine andere Freundin in der Schlange vor einer Café-Toilette, dass sie jene Plexiglas-Klobrillen fürchte, in die Stacheldraht eingelassen war. Ich hatte einmal so eine in einem Landgasthaus gesehen und mich fürchterlich erschrocken; in einem In-Lokal in Graz gab es ebenfalls eine Plexiglas-Klobrille, in der jedoch kein Stacheldraht, sondern kleine Rosen eingelassen waren. Und als ich mit meinen Eltern kurz nach der Jahrtausendwende nach Bregenz fuhr und wir dort das Kunsthaus besichtigten, war meine Mutter ganz begeistert von den Sanitärräumen - dass diese ebenfalls ein spezielles Design haben, war damals neu. Ja, Toiletten - jene höchst privaten Räumlichkeiten, die in der Regel eher stiefmütterlich behandelt werden! Jeder braucht sie, aber keiner schenkt ihnen besonders viel Beachtung. Und mitunter ist auch Achtsamkeit ein Fremdwort für jene, die sie benutzen. Denn wer kennt es nicht: Man verspürt ein dringendes Bedürfnis, und da es sich besonders für eine Frau nicht schickt, sich unter freiem Himmel zu entleeren, sucht man die nächste öffentliche Toilette auf. Ich habe es übrigens als Kind als die größte Ungerechtigkeit empfunden, dass man sich als Mädchen beim Pinkeln immer halb ausziehen und unbequem hocken muss, während Jungs ganz bequem ihre Hose aufmachen und alles im Stehen erledigen können, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls kann ich eines verraten: Klo-Rowdys sind offenbar gleichmäßig auf beide Geschlechter verteilt. Zumindest, soweit ich das beurteilen kann, da ich naturgemäß nur selten auf Herrentoiletten gehe. Dies bemerkt man vor allem auf öffentlichen Bedürfnisanstalten. Denn obwohl sie zumindest hier in Europa ebenso ein gängiges "Accessoire" ist wie Zahnpasta oder Serviette, scheinen viel zu viele Leute noch nie etwas von einer Klobürste gehört zu haben. Jedenfalls drängt sich mir dieser Gedanke häufig auf, wenn ich bemerke, wie manche Toilettenschüsseln aussehen. Klar - wenn ich erkenne, dass eine Kloschüssel so aussieht, und ich die Möglichkeit habe, die Kabine zu wechseln, dann mache ich das auch. Und da ist es mir auch egal, wenn Leute mich komisch ansehen - ich entferne meine Hinterlassenschaften sowohl auf der eigenen als auch auf fremden Toiletten, also kann ich das durchaus auch von anderen erwarten. Ich habe keinerlei Interesse an der Verdauung unbekannter Personen und will auch nicht, dass Fremde über meine Bescheid wissen. Und wenn wir schon dabei sind: Um sich den Hintern abzuputzen, braucht man keine dreißig Meter Klopapier, Binden und Tampons gehören in den Abfalleimer und nicht daneben, ebenso wie Spritzen in die dafür vorgesehenen Boxen gehören und nicht auf den Boden, da sich Menschen im blödesten Fall dran verletzen können. Liebe Top-Eierer Numero 33: Bitte versucht wenigstens, euch wie zivilisierte Menschen aufzuführen!

So meine Lieben, jetzt habe ich mich endlich wieder mal über die unangenehmsten Zeitgenossen ausgelassen - das tat richtig gut! Jetzt kann ich froh-vergnügt ins Wochenende starten, und ihr habt einen neuen Artikel, an dem ihr euch ergötzen könnt. Ich wünsche euch alles Gute und dass wir uns das nächste Mal wieder lesen! Bon voyage!

vousvoyez

Freitag, 23. Juli 2021

Manche Leute suchen ihre innere Mitte, ich habe meine äußere noch nie gesehen

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Was natürlich maßlos übertrieben ist - zumindest kann man meine äußere Mitte noch erahnen, wenn man ganz genau hinschaut. Was meine innere betrifft, nun, so habe ich mir die Frage ehrlich gesagt noch nie so genau gestellt. Und zwar deshalb, weil ich bei den meisten Leuten, die von ihrer inneren Mitte reden, permanent die Krise kriege. Genauso, wie ich mitunter bei jenen die Krise kriege, die fest davon überzeugt sind, dass sie nach ein paar Tagen an der Universität zu Youtubingen alles durchschaut haben, obwohl sie sich bisher null für das interessiert haben, was in der Welt so vor sich geht - und dich wie einen Idioten behandeln, weil sie sich auf einmal für die großen Denker halten, obwohl sie in Wirklichkeit von nichts eine Ahnung haben.

Aber gerade deswegen möchte ich eines klarstellen: Niemand ist vollkommen - ich genauso wenig wie ihr alle, egal ob Schwurbler oder Schlafschaf. In meinem Leben gab es schon sehr viele Irrtümer - genauso wie in meinem Dasein als Bloggerin. Auch wenn ich mir meine alten Beiträge ansehe, kann ich eine Menge Irrtümer feststellen. Ich lasse sie trotzdem stehen und greife nur korrigierend ein, wenn ich das Gefühl habe, dass sonst Missverständnisse entstehen könnten - und zwar deshalb, weil sie zu meinem Werdegang einfach dazugehören. Und weil ich nicht so tun will, als hätte ich immer alles absolut richtig gemacht. Egal, ob in diesem Blog oder im Leben da draußen.

Einer meiner Irrtümer war beispielsweise meine ursprüngliche Einschätzung zur Corona-Pandemie - auch wenn ich sagen muss, dass ich da nicht die einzige bin. Ich war überzeugt davon, dieser Kelch würde genauso an uns vorübergehen wie das erste SARS-Virus von 2003, die Vogelgrippe, die Schweinegrippe, das Ebola-Virus und so einiges andere auch. Noch als mich eine Freundin warnte, die wissenschaftlich weitaus besser bewandert ist als ich, glaubte ich an einen Sturm im Wasserglas. Dies änderte sich erst so richtig, als das öffentliche Leben mit einem Mal in den Lockdown ging - und die Berichte über die vielen Toten in Italien auf uns einstürmten. Lustigerweise war das auch ungefähr der Zeitpunkt, an dem viele, die vorher panisch vor dem Virus gewarnt hatten, auf einmal anfingen, von der "Coronalüge" zu sprechen.

Ein weiterer Irrtum, den ich vor einem Jahr schon in diesem Blog thematisiert habe, war meine Annahme über Britney Spears. Ich hatte ja von ihren Followern auf Instagram berichtet, die sich um sie sorgten, und über die #FreeBritney-Bewegung. Viele Posts und Aussagen, die mit dieser Bewegung in Zusammenhang standen, klangen so abstrus, dass ich sie anfangs für so eine Art Verschwörungstheorie hielt. Diese Ansicht muss ich revidieren - anscheinend steckt da doch weitaus mehr dahinter, als ich damals vermutete. Ja, ich habe mich tatsächlich mal geirrt - ihr könnt jetzt eure Sektflaschen herausholen und auf euer gefallenes Schlafschaf anstoßen. Aber schauen wir uns das Ganze einmal genauer an.

Wie ihr wisst, war ich nie ein großer Fan von Britney Spears' Musik - aber ich verstehe, dass sie die Diskrepanz zwischen der Kindlichkeit und der erwachenden Sexualität eines weiblichen Teenagers verkörperte und sich deshalb viele junge Mädchen von ihr angesprochen fühlten. Und was ich mittlerweile gehört habe, lässt mich in meinem Innersten erschaudern, und ich hoffe, dass sie da ohne allzu großen Schaden wieder herauskommt. Ich wusste, dass sie 2008 entmündigt worden war - aber ich wusste nicht, in welch haarsträubendem Ausmaß ihre Rechte eingeschränkt sind. Und ich muss auch sagen, ich habe ihren Instagram-Account auch nie so ausdauernd verfolgt wie manch andere. Dass es ihr in manchen Videos nicht gut ging, war offensichtlich, aber das muss ja nicht zwangsläufig heißen, dass es per se an der Vormundschaft liegt - eine psychische Erkrankung kann auch so schon sehr kräftezehrend sein. Nach meinem Artikel vom letzten Jahr regte mich ein Facebook-Freund allerdings dazu an, mich mit den Ungereimtheiten ihres Falles zu befassen - das habe ich von Zeit zu Zeit auch gemacht, und tatsächlich fielen mir ein paar Sachen auf, die ich seltsam fand. Vor ein paar Wochen hatte sie dann endlich die Möglichkeit, sich selbst vor Gericht zu äußern - diese Online-Anhörung wurde geleakt, so dass ich via YouTube darauf gestoßen bin und selbstverständlich auch die Links im Anhang posten werde. Auch wenn ihr ab und zu die Stimme versagt und sie an manchen Stellen zu schnell spricht, so wirkt sie doch sehr klar und reflektiert, und ich muss zugeben, sie klingt für mich überhaupt nicht so, als wäre sie nicht Herr ihrer Sinne und als hätte sie sich das alles nur ausgedacht. Wäre das nicht so, würde ich diesen Artikel nicht schreiben - aber stattdessen habe ich mir auf Amazon Prime die Dokumentation der New York Times mit dem Titel Framing Britney Spears angesehen und mich auch ansonsten ein bisschen schlau gemacht, um etwas mehr über diese Sache im Bilde zu sein.

Um ehrlich zu sein, war die Geschichte von Anfang an seltsam - so scheint ihre Entmündigung bereits vorbereitet worden zu sein, ehe sie in der Psychiatrie in Gewahrsam genommen wurde. Es wirkt so, als hätte man sie aus dem Weg haben wollen, um die Vormundschaft einleiten zu können, ohne dass sie die Möglichkeit hatte, dagegen Einspruch zu erheben - diesen Verdacht legt auch der Umstand nahe, dass sie mit einem Riesenkonvoi ins Krankenhaus überführt wurde. Noch alarmierender wird die Sache, wenn man sich ansieht, welche Rolle ihre Managerin Lou M. Taylor in der Geschichte spielt - denn ganz offensichtlich hatte diese auch versucht, andere ihrer Klientinnen, nämlich Lindsay Lohan und Courtney Love, entmündigen zu lassen, was jedoch in beiden Fällen nicht gelang. In James Spears, Britneys Vater, scheint sie den geeigneten Verbündeten gefunden zu haben. Britney wuchs in eher bescheidenen Verhältnissen auf und verdiente ganz offensichtlich seit ihrem zwölften Lebensjahr den Unterhalt für ihre gesamte Familie - ihr Vater hatte Alkoholprobleme und war beruflich eher erfolglos. Britneys Geschichte ist nebenbei bemerkt auch ein exemplarisches Beispiel für den Sexismus, der in der Musikbranche schon lange zum guten Ton gehört: Nachdem sie, noch nicht volljährig, in eine sexy Schulmädchen-Uniform gesteckt wurde, haben sich alle über ihren aufreizenden Look aufgeregt; dann stürzte sich der Boulevard nach der Trennung von Justin Timberlake auf sie und stellte sie als Flittchen hin, obwohl jeder vernünftige Mensch weiß, dass selten nur einer schuld an einem Beziehungsende ist; ihr Zusammenbruch fand buchstäblich vor laufenden Kameras statt, und bis heute wird sie von ihrem Vater ausgebeutet und muss dafür kämpfen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu dürfen. Wobei das Beispiel Lou Taylor natürlich zeigt, dass man sich auch auf seine Geschlechtsgenossinnen nicht immer verlassen kann. Wie sonst ist zu erklären, dass gerade Frauen die hochgradig sexistischen Texte von Deutschrappern so vehement verteidigen? Auch Britneys Mutter Lynne bestätigte im Herbst letzten Jahres, dass die Beziehung zwischen ihrer Tochter und ihrem Ex-Ehemann "toxisch" sei und berichtete, dass er Britney in einem Gespräch mit ihr mit einem Rennpferd verglichen hätte. Das passt natürlich nicht zu dem Bild, das Jamie Spears selbst vermitteln will - nämlich, dass er nur das Wohl seiner Tochter im Sinn hätte. Sie selbst bekannte schon in jungen Jahren, dass die Beziehung ihrer Eltern belastend für sie war - entsprechend war ihr Leben als Popstar und die Anerkennung ihrer Fans auch mit Sicherheit ein Stück weit eine Flucht aus diesem Zustand.

Die Kampagne #FreeBritney startete zu Beginn des Jahres 2019, nachdem Britney Spears eine Reihe von Konzerten in Las Vegas abgesagt hatte, angeblich wegen gesundheitlicher Probleme ihres Vaters, und kurz darauf wieder in psychiatrische Behandlung überstellt wurde. Im Wesentlichen ist #FreeBritney darauf ausgelegt, die Sängerin aus der Vormundschaft zu befreien und durchaus keine schlechte Sache - natürlich ist Britney Spears nur eine Einzelperson, aber ihr Fall könnte durchaus zu einer Reform des Vormundschaftssystems in den USA beitragen, die auch anderen nützen würde. Auch ein Video, in dem Britney erklärte, dass es ihr gut gehe, wo man aber sah, dass das Gegenteil zutreffen musste, konnte die Gemüter nicht beruhigen. Zwei Jahre später, genauer vor ein paar Wochen, hat Britney selbst sich dann bei ihren Fans dafür entschuldigt, dass sie die ganze Zeit über so getan hätte, als sei alles in Ordnung. Viele Leute, die Black Mirror gesehen haben, behaupten außerdem, dass eine Folge ihre Geschichte erzählt - ob das stimmt, kann ich allerdings nicht beurteilen. Ich denke, ich muss mir die Serie wirklich bald mal zu Gemüte führen. Fest steht allerdings, dass auch die Vormundschaft, unter der sie steht, gar nicht angemessen ist - ein so hohes Maß an äußerer Kontrolle kann eigentlich nur für Wachkomapatienten oder für Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung erwirkt werden. Jamie Spears behauptete der Presse gegenüber mehrfach, dass seine Tochter an Demenz leide, konnte aber keinerlei Beweise dafür vorlegen - und abgesehen davon, dass eine Person in den Zwanzigern nur selten an Demenz erkrankt, hätte sie mit dieser Krankheit ja auch niemals weiter ihren nach wie vor körperlich ungeheuer anspruchsvollen Job machen können. Wenn ich es mir recht überlege, dann spricht ihr enormes Arbeitspensum auch nicht unbedingt für eine psychische Beeinträchtigung, die eine Entmündigung rechtfertigen würde - es war zwar schon zuvor bekannt, dass sie unter einer bipolaren Störung und Angstzuständen leidet, aber das ist kein Grund, ihr das Selbstbestimmungsrecht zu nehmen. Die Einschränkungen, die Britney auferlegt wurden, umfassen nicht nur ihre finanziellen oder rechtlichen Angelegenheiten - ihr kann vorgeschrieben werden, ob sie heiraten und Kinder bekommen darf, wen sie trifft und wo sie hingeht. Die Rapperin Iggy Azalea, die in einer ihrer Shows auftrat, berichtete, dass sie selbst bei den lächerlichsten Dingen noch kontrolliert wurde, etwa, wie viel Limonade sie trinken durfte.

Ihre Sehnsucht nach einem idyllischen Familienleben mit Kindern ist wohl auch ein Indiz dafür, dass sie sich etwas wünscht, was sie selbst nie hatte - nämlich ihrem Nachwuchs die Kindheit zu ermöglichen, die ihr selbst verwehrt worden war. Sie bekannte auch häufig, dass sie für ein Leben als Popstar eigentlich gar nicht bereit gewesen sei - im Lichte dessen finde ich es eigentlich gar nicht mehr so unverständlich, dass sie irgendwann einmal mit einem Regenschirm auf einen Paparazzi losging. Auch dass sie sich die Haare abrasierte, erscheint in diesem Zusammenhang nicht mehr wie ein Akt des Wahnsinns, sondern wie ein Bruch mit ihrem strahlenden Popstar-Image. Selbst einer ihrer Ex-Ehemänner bestätigte, dass ihre Kinder ihr weitaus mehr bedeuten als ihr Leben als Popstar. Dies alles wurde ihr genommen, als Lou Taylor in ihr Leben trat, die im Jahr 2008 von ihren Eltern konsultiert worden war - und da Britneys Familie aus dem Bible Belt stammt, scheint die Religion sie zusammengeführt zu haben. Einer von Taylors Vorgängern ist übrigens Larry Rudolf, der auch Christina Aguilera und Miley Cyrus gemanagt hat - die ebenfalls schon sehr früh mit ihrer Karriere begonnen hatten, und ebenfalls beide bei Disney. Und Larry Rudolf war auch derjenige, der allen drei Sängerinnen in sexy Outfits steckte und ihnen so diesen enormen Erfolg generierte. Britney Spears trennte sich 2005 von Rudolf, dieser tauchte jedoch nach ihrem Zusammenbruch zusammen mit Lou Taylor wieder auf.

Eine weitere ungeklärte Frage ist, wohin eigentlich das Vermögen verschwunden ist, das Britney Spears als einer der größten Popstars aller Zeiten über all die Jahre hinweg erwirtschaftet hat. Aktuell beläuft es sich auf etwa 59 Mio. US-Dollar - also ungefähr so viel, wie sie allein in einem Jahr verdient hat. Im Vorjahr wurde beschlossen, dass ihr Geld in professionelle Hände gelangen sollte - offenbar hatte vor allem Lou Taylor, die mehrere Briefkastenfirmen besaß, einen nicht unerheblichen Teil davon beiseite geschafft. Interessant ist auch, dass all die Prozesse rund um Britneys Vormundschaft mit ihrem eigenen Geld bezahlt wurden - selbst die Anwälte ihres Vaters, der ebenfalls in Verdacht steht, etwas mit dem Verschwinden ihres Vermögens zu tun gehabt zu haben. Umso unglaubwürdiger wirkt da das Statement von Lynn Spears, die Sam Lutfi, der nach Rudolf Britneys Manager war, für den Zusammenbruch ihrer Tochter verantwortlich machte und behauptete, sie hätten die Vormundschaft erwirkt, um ihn daran zu hindern, an ihr Vermögen heranzukommen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass gegen Lutfi eine einstweilige Verfügung besteht, die ihm verbietet, sich in der Nähe der Familie Spears aufzuhalten oder sich auch nur über diesen Fall zu äußern - ein Urteil, das von derselben Richterin vollstreckt wurde, die vor ein paar Tagen entschied, dass Jamie Spears nicht aus der Vormundschaft entfernt werden sollte.

Britney selbst erzählt in ihrem Statement, dass man sie zwang, Lithium zu nehmen, nachdem sie 2018 bei den Proben zu der Show in Las Vegas einen Tanzschritt verweigert hatte, woraufhin Taylor ihrem Therapeuten gegenüber behauptete, sie würde ihre Medikamente nicht nehmen - obwohl sie diese morgens von einer Krankenschwester bekam und sie also nicht bei den Proben einnahm. Die Einnahme des Lithium wurde von sechs Krankenschwestern überwacht. Sie musste sich ständig psychologischen Tests unterziehen und arbeitete zehn Stunden täglich ohne Pause und ohne einen freien Tag. Sie wird von Paparazzi verfolgt, wenn sie zu ihren Therapiestunden geht, obwohl man für so etwas sehr viel Privatsphäre braucht. Außerdem erklärte sie, dass sie gerne heiraten und noch ein Kind bekommen würde, dass man sie aber zwang, sich eine Verhütungsspirale einsetzen zu lassen, und dass es ihr nicht erlaubt ist, sie entfernen zu lassen. Ich finde es bemerkenswert, dass die regulären Medien an diesem Statement kaum Interesse zu haben scheinen - dafür gibt es etliche Blogger, die darüber sprechen. Ich erinnere mich noch daran, dass ich mich gefreut habe, zu hören, dass sie wieder auftritt - ich dachte wirklich, es gehe aufwärts mit ihr. Ich wusste noch nicht, dass sie in Wirklichkeit nur unter Drohungen und Zwang diese Shows in Las Vegas machte.

Warum ich all das zuerst nicht geglaubt habe? Nun, das ist ganz einfach - ich hatte vor allem das Wort von irgendwelchen Leuten aus dem Internet, und was so auf Social Media erzählt wird, ist meistens mit Vorsicht zu genießen. Zudem muss ich leider sagen, dass viele Leute aus der Instagram- und TikTok-Community sich mit allerlei unwichtigen Kleinigkeiten aufgehalten haben - etwa, indem sie ein call 911 in ihren Wimpern entdecken wollten, anhand eines Videos über ihre Lieblingsfarbe vermuteten, dass sie als Sexsklavin gehalten würde, oder behaupteten, sie sei verschwunden und durch einen Klon ersetzt worden, was sie anhand einer Zahnlücke "beweisen" wollten, die sie in einem Video hatte. All das ergibt nicht nur überhaupt keinen Sinn, es schadet der Sache mehr, als es ihr nützt - denn es drängt die Sache in die Ecke der Verschwörungsmärchen, und überdies gibt es bereits so viele real existierende Dokumente und Aussagen, die erkennen lassen, wie seltsam der Fall schon ist, ohne dass man sich irgendwelche Geschichten zurechtspinnen muss. Anscheinend scheint in ihrem Fall, wohl auch wegen des öffentlichen Drucks, jedoch aktuell einiges weiterzugehen - beispielsweise hat sie inzwischen einen anderen Anwalt, der sie hoffentlich angemessen unterstützt, und darf mittlerweile auch schon wieder selbst Auto fahren. Es scheint, es geht aufwärts - und ich wünsche es ihr von Herzen, weil ich selbst weiß, wie sehr eine kaputte Psyche einen fertigmachen kann. Ich könnte noch sehr viel mehr über ihren Fall schreiben, aber das würde jeden Rahmen sprengen, deswegen habe ich euch unten ein paar Links reingestellt, darunter auch Britneys Statement in voller Länge sowie eine Instagram-Seite von Anwälten, die einige Dokumente zu Britneys Fall offengelegt haben, und einen sehr gut aufbereiteten Artikel vom New Yorker.

Nun ja - ich musste einen Fehler zugeben. Heißt das jetzt, dass doch Echsenmenschen in der Hohlerde leben, Donald Trump Kinder aus dem Untergrund befreit und eine geheime Elite den Bevölkerungsaustausch plant? Natürlich nicht. Dass sich der eine oder andere Verschwörungsmythos mal als wahr herausstellt, macht die anderen nicht wahrer. Es gibt nur einfach schon so viele Verschwörungsgeschichten, dass sich zwangsläufig mal eine bewahrheiten muss - und früher oder später kommt jede, die tatsächlich mehr ist als nur ein Hirngespinst, einmal ans Licht. Man sieht es gerade am Fall Britney Spears - selbst wenn praktisch alle Leute um sie herum gerichtlich zum Schweigen verpflichtet sind, rutscht dem einen oder anderen doch mal was raus. Geschichten wie QAnon oder die gefährliche Impfung sind allerdings schon sehr alt und kehren in etwas anderer Form immer mal wieder zurück. Und anhand dessen, wie destruktive Gruppierungen wie "Querdenken" und "Eltern stehen auf" aktuell die Flutkatastrophe nützen, um Propaganda zu verbreiten, sollte eigentlich auch der Letzte schon kapiert haben, dass das keine netten Leute sind - aber ich weiß, diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Nun ja, ich hoffe trotzdem, dass ihr alle wohlauf seid und euch auch das nächste Mal wieder an mich erinnert. Und dass ihr immer schön brav auf den Verkehr achtet und nur ja keinen gelben Schnee esst! Bis zum nächsten Mal und bon voyage!

vousvoyez

Dienstag, 20. Juli 2021

Ich war so oft mit meiner Jogginghose joggen, wie ich mit meiner Küchenrolle durch die Küche gerollt bin

© vousvoyez
Joggen gehe ich tatsächlich eher nicht - weder mit noch ohne passender Hose. Allerdings ist Sport ja nicht nur Joggen - und tatsächlich nutze ich die einzige Jogginghose, die ich habe, ausschließlich für Sport. Am schlimmsten finde ich Jogginghosen als Alltagskleidung - und da ist mir vollkommen wurscht, ob da jetzt kik oder Armani draufsteht und ob andere das spießig finden. Das heißt allerdings natürlich nicht, dass andere sich nicht anziehen dürfen, wie sie wollen. Mode kommt und geht mit der Zeit - das bedeutet, ich muss und werde es aushalten, dass die schrecklichen Fetzen meiner Jugend zurzeit ein Revival erleben. Und wer weiß - vielleicht verändern sie sich ja sogar zum Positiven. Man muss sich nicht alles mies machen. Vielleicht irre ich mich ja auch, und es kommt in den nächsten Jahren tatsächlich mal etwas, das es so noch nicht gab.

Und wie die Mode, so ändern sich auch die Zeiten. Was ich aktuell als recht positiv empfinde, ist, dass die Leute froh sind, wieder rausgehen zu dürfen, und sich weniger über Kleinigkeiten beschweren. Zumindest im realen Leben draußen - das ich momentan auch immer mehr in vollen Zügen genieße. Auch wenn ich zugeben muss, dass es mir anfangs noch schwer fiel - man glaubt gar nicht, wie sehr man sich an gewisse Umstände gewöhnt. Was Social Media betrifft, so wird hier immer noch gejammert, was das Zeug hält - und immer noch gibt es sie, die Leute, die hinter allem die große Verschwörung wittern. Wobei der eine oder andere, der zu Hochzeiten der Pandemie von der Leichtgläubigkeit anderer verschont blieb, seine Felle davonschwimmen sieht. Aber immer noch, wenn man in die Kommentarspalten auf Facebook, Twitter & Co. blickt, entdeckt man Leute, die sich über die "Mainstreammedien" aufregen und eifrig bemüht sind, "alternative Fakten" unters Volk zu bringen.

Einer der meist gelesenen Artikel auf meinem Blog ist ja jener, in dem ich anhand einer kleinen Anekdote reflektiere, wie schwierig der kritische Umgang mit Medien wirklich ist. Zumal auch die staatlichen Medien stets kritisch betrachtet werden sollten. Besonders bei uns in Österreich ist das ziemlich offensichtlich, da die steuerfinanzierten Boulevardmedien, die sich in der Hand einiger weniger Multimillionäre befinden, die Medienlandschaft dominieren, während Medienschaffende besonders in letzter Zeit immer stärker von der Kurz-Regierung unter Druck gesetzt werden. Wenn man sich dagegen den Falter betrachtet, deren Redakteure sich bis heute nicht haben einschüchtern lassen, kommt man sich vor wie bei Asterix. Wobei mich in dieser Hinsicht auch die News positiv überrascht hat. Ich persönlich ergänze die Informationen aus Zeitung und Nachrichten ganz gern mit diversen Blogs und Twitter-Profilen ausgewählter Journalisten und Innen und mit den Artikeln ehrenamtlich arbeitender Faktenchecker-Seiten. Bei der Flut von Informationen, die heutzutage auf uns einstürmen, und all dem, was Presse und Rundfunk nicht erwähnen, reichen die regulären Medien nun mal einfach nicht aus. Nun ist dieses Hangeln durch den Mediendschungel, wie ich es praktiziere, mit Sicherheit nicht einfach, und ich bin da auch absolut nicht perfekt, aber im Großen und Ganzen fahre ich doch recht gut damit. Zumindest besser als diejenigen, die auf unvollständige Berichterstattung aus Deutschland und Österreich reagieren, indem sie einfach alles unterschiedslos ablehnen, was sie als "Mainstream" klassifizieren, und sich stattdessen auf "alternative" Medien verlassen, denen völlig unkritisch geglaubt wird. Solche Leute sind anfällig für jene, die sich als "Querdenker" und "Regierungskritiker" inszenieren - Leute wie Ken Jebsen, Heiko Schrang, Eva Herman, Boris Reitschuster, Oliver Janich & Co.

Ein Element, das all diesen Leuten gemein und bei näherer Betrachtung auch sehr auffällig ist, sind die Quellen, auf die sie sich beziehen. Da kommt nämlich eine sehr häufig vor, eine auf den ersten Blick ziemlich unauffällige Seite namens RT DE bzw. RT Deutsch. Wenn man sich diese genauer ansieht, springt einem jedoch allmählich ins Auge, dass hier vor allem mit spaltenden Themen und reißerischen Überschriften gearbeitet wird und dass diejenigen, die dort schreiben, eine auffällige Tendenz haben, mit Kampfbegriffen um sich zu werfen. Wer diese Seite teilt, versichert gleichzeitig, dass hier Informationen zu finden seien, die uns die "Mainstreammedien" vorenthalten. Dies behauptet die Seite auch höchstselbst; sie bezeichnet sich als "fehlender Part der deutschsprachigen Medienlandschaft" und nimmt für sich selbst in Anspruch, "Medienmanipulationen" aufzuzeigen. Aber was ist das überhaupt für eine Seite?

RT DE ist der deutschsprachige Ableger des russischen Staatssenders Russia Today - ein russisches Auslandsmedium, gegründet als ursprünglich englischsprachiger Nachrichtensender im Jahr 2005 in Moskau. Ursprünglich sollte es darum gehen, sich der Kritik an Putin im Ausland entgegenzustellen, indem er als Opfer westlicher Propaganda dargestellt wird. Dass die Kritik an Putin auch im Inland immer lauter wird und die russische Bevölkerung den Medien im Land selbst nicht mehr traut, ist da erst mal nicht so wichtig. RT Deutsch bzw. RT DE gibt es seit 2014 - bestehend aus einem YouTube-Kanal und einem Internetportal. Nun ist es ja an sich nichts Schlimmes, wenn ein ausländisches bzw. russisches Medium eine Außensicht der Dinge präsentiert - das kann ganz im Gegenteil sogar recht wertvoll sein. Das Problem ist jedoch, dass es sich bei RT DE um kein unabhängiges russisches Medium handelt, sondern um ein von der russischen Regierung finanziertes. Wobei man natürlich nicht sagen kann, dass alles durch die Bank gelogen ist - wie bei dieser Art von Propaganda üblich, versteckt sich unter all den obskuren Beiträgen auch die eine oder andere echte Nachricht oder Analyse. Aber im Großen und Ganzen beweist der Kreml, dass er seit Ende des Kalten Krieges nichts verlernt hat, im Gegenteil: Nach wie vor baut er auf seine Strategie, die uns schon vom KGB bekannt ist, nämlich bestehende Spannungen und kleine Unsicherheiten in anderen Ländern auszunutzen, um seine Propaganda unters Volk zu bringen. So war es auch damals, als RT Deutsch an den Start ging: Die Ukraine-Krise rief auch in deutschsprachigen Ländern vermehrt die Angst vor einem Krieg in Europa hervor, weshalb vor allem in Deutschland und Österreich vermehrt Mahnwachen für den Frieden stattfanden, welche im Laufe der Zeit jedoch immer mehr von Rechtsgestrickten und Verschwörungsideologen okkupiert wurden. Im Grunde genommen war es ähnlich wie bei den Corona-Demos, außer dass die Themen weit unzusammenhängender und undurchsichtiger waren; aber schon damals fiel auf, dass es keine klare Abgrenzung zu Leuten gab, die offen den Nationalsozialismus verherrlichten und Schnittstellen mit der damals erstarkenden Pegida sowie deutschen und österreichischen Staatsverweigerern aufwiesen - zumal viele das Rechts-Links-Schema ohnehin ablehnten. Ein denkbar fruchtbarer Boden für ein russisches Propagandamedium, umso mehr, als im Ukraine-Konflikt oftmals Partei für Russland ergriffen und lautstark nach "Alternativen" zur "gleichgeschalteten Presse" verlangt wurde.

Doch russische Propaganda funktionierte nicht nur im deutschsprachigen Raum - in den USA spielte sie vor allem während des US-Wahlkampfes 2016 eine weitaus größere Rolle. So sehr, dass sie die Wahlen nachweislich beeinflusst hat - wofür nicht nur Russia Today selbst verantwortlich war, sondern unter anderem auch die Internet Research Agency (IRA), eine Trollfabrik mit Sitz in St. Petersburg, in der Tag und Nacht nichts anderes getan wird, als mittels Fake-Accounts Propaganda und Desinformation zu verbreiten. Eine der nachhaltigsten Strategien war die anonyme Überantwortung der E-Mails John Podestas, des Wahlkampfmanagers von Hillary Clinton, an eine Pizzeria in Washington D. C. an WikiLeaks, wo sie auch veröffentlicht wurden. Nutzer der Plattform 4chan bastelten daraus eine haarsträubende Geschichte über einen Kinderpornoring, der seinen Sitz im Keller der Pizzeria haben sollte. Über 4chan und reddit gelangte die Geschichte zu Twitter und Facebook, bis sie schließlich Alex Jones erreichte, über den ich bereits berichtet habe - das ist der mit den schwulen Fröschen. Dieser erzählte die Geschichte ungeprüft brühwarm weiter, woraufhin es zu dem von mir schon erwähnten bewaffneten Angriff auf die Pizzeria kam, in dessen Verlauf festgestellt wurde, dass die Pizzeria gar kein Kellergeschoß hatte. Trotzdem stoße ich bis heute immer noch auf Social-Media-User, die an diese Geschichte glauben.

Was RT DE betrifft, so wurden schon kurze Zeit nach dem Start Falschmeldungen sowie Fälschungen von Bild- und Tonmaterial nachgewiesen. Wegen der einseitigen Berichterstattungen kündigten auch ziemlich schnell mehrere Mitarbeiter - darunter die ehemalige RT-Reporterin Lea Frings, die in einem Interview erklärte, dass man einige der dort enthaltenen Berichte nicht als Journalismus ansehen kann, etwa die über den Ukraine-Konflikt, wo Verfehlungen von russischer Seite einfach weggelassen wurden. Darüber hinaus kommen auch auffällig viele Rechtskonservative zu Wort, zitiert werden Leute wie etwa Anni Sasek, die Ehefrau des christlich-fundamentalistischen Sektenführers Ivo Sasek, der den mit Scientology vernetzten Internetsender Klagemauer-TV betreibt; Christoph Hörstel von der rechtspopulistischen Kleinpartei Deutsche Mitte; der umstrittene Börsenspekulant und Hedgefondsmanager Florian Homm; der österreichische Identitäre Martin Sellner, dessen Gruppierung vom Verfassungsschutz beobachtet wird; den Betreiber des Schwurbel-Blogs Free21. Die Quellen von RT DE sehen nicht anders aus: das Contra Magazin, eine Online-Zeitung der Neuen Rechten; Swiss Policy Research, ein anonym betriebener Blog aus der Schweiz, der von Verschwörungsgläubigen ebenfalls gerne benutzt wird; die ebenfalls anonym betriebene Propagandaschau, die einzelne Verfehlungen nutzen, um Pauschalisierung und Hetze gegen professionelle Journalisten zu betreiben; der anonym betriebene englischsprachige Blog Zero Hedge, der sich hauptsächlich auf Wirtschaft und Finanzen fokussiert und im Verdacht steht, dafür bezahlt zu werden, Unternehmen zu diffamieren und nachhaltig zu schädigen; das französischsprachige Medium FranceSoir, das vor allem gerne Irreführungen bezüglich der Covid-Pandemie verbreitet. Und das ist nur ein kleiner Auszug der Personen und Institutionen, mit denen RT DE verbandelt ist.

Aber selbstverständlich glauben viele, die RT DE lesen und verbreiten, an das Narrativ des unabhängigen Journalismus, und das ist auch kein Wunder, denn viele sehen ihre Meinung in den Artikeln dieses Mediums bestätigt. Allerdings finde ich, sollte man doch einen Blick auf Russland selbst werfen und wie es dort um die politischen Verhältnisse bestellt ist. Denn die Russische Föderation ist im Prinzip nichts anderes als eine autokratische Oligarchie, in deren Verfassung Presse- und Meinungsfreiheit zwar gegeben sind, aber in der Praxis sieht es ganz anders aus: Besonders im Internet ist die freie Rede massiv eingeschränkt, die Überwachung von Online-Aktivitäten greift massiv in die Privatsphäre der russischen Bürger ein, Kritiker an der Regierung werden gnadenlos verfolgt (Human Rights Watch). Der russische Staat ist seit Jahren bemüht, das Internet unter seine Kontrolle zu bringen, was bereits zur ungerechtfertigten strafrechtlichen Verfolgung von Menschen sowie zur Sperrung oder gar Abschaltung von Hunderten von Internetportalen geführt hat. Zudem haben die Behörden eine Reihe repressiver Gesetze durchgepeitscht, die den Zugang zu Informationen noch massiver einschränken und Nutzer überwachen. In der Rangliste der Pressefreiheit findet sich Russland auf Platz 150 - zum Vergleich: Österreich rangiert auf Platz 17, Deutschland sogar auf Platz 13. Schon kein geringer Unterschied, oder?

Entsprechend sollte auch schnell klar sein, dass RT DE alles andere im Sinn hat, als ausgewogene Berichterstattung. Stattdessen geht es um das Bestreben, Misstrauen zu wecken und das Vertrauen in den Journalismus im eigenen Land zu untergraben. Dabei nutzt die Plattform die Tendenz vieler aus, Inhalte zu teilen, ohne sich für deren Herkunft zu interessieren - Hauptsache, sie bestätigt das eigene Bauchgefühl. Und anscheinend hat sich auch ein Heiko Schrang, Oliver Janich oder eine Eva Hermann nie Gedanken darüber gemacht, wie häufig gerade RT DE ihrer Agenda entgegenkommt. Ganz offensichtlich hat Russland ein großes Interesse daran, das Vertrauen der Bevölkerung westlicher Demokratien in die eigenen Medien zu zerstören und im Gegenzug die Medien des russischen Staatsapparat zu konsumieren. Und möglicherweise soll dadurch eine Destabilisierung dieser Demokratien erreicht werden: Die Einmischung russischer Staatsmedien in die Belange der USA hat dazu geführt, dass US-Bürger im Januar dieses Jahres ihr eigenes Capitol stürmten. Ich möchte auch  noch einmal an die Spaßvögel erinnern, die den Reichstag in Berlin stürmen wollten.

Dass diejenigen, die sich als "Querdenker" bezeichnen, sich von allen möglichen Interessensgruppen instrumentalisieren lassen, zeigt eigentlich, dass sie genau das Gegenteil dessen tun, was sie zu tun behaupten: nämlich kritisch zu sein und zu hinterfragen. Denn ist es nicht paradox, dass sie gerade jene Medien für so glaubwürdig befinden, die, vom russischen Staat finanziert, die Zeitungen, Fernsehsender und Internetportale des jeweiligen Landes, das sie ansprechen wollen, als "Staatsfunk" bezeichnen? Dass sie ihre eigene Berichterstattung als "unabhängig" darstellen, obwohl sie nachweislich vom Kreml finanziert werden? Dass sie anderen Medien vorwerfen, Dinge wegzulassen, wo sie doch selbst alles weglassen, was nicht in ihre Agenda passt? Was mich persönlich betrifft, ich kann mir nur an den Kopf greifen, wenn ich die Situation in Russland betrachte und mir gleichzeitig immer wieder Leute anhören muss, die sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlen, während sie ihre Meinung ständig ungehindert zum Besten geben. Die Presse- und Meinungsfreiheit in unserem Land reicht immerhin aus, dass wir über die Verfehlungen unserer eigenen Regierung in vollem Umfang informiert werden können. Glaubt ihr ernsthaft, so wie die Dinge aktuell stehen, ein Putin müsste sich vor einem russischen Gericht für seine Verfehlungen verantworten? Denkt ihr, einem Journalisten wie Florian Klenk würde in Russland lediglich eine Geldstrafe drohen dafür, dass er den Staatschef kritisiert? Bildet ihr euch ein, man kann in Russland so frei Kritik am herrschenden System üben, wie es bei uns der Fall ist? Geht ihr wirklich davon aus, dass ihr in Russland ungestraft auf die Straße rennen und "Diktatur" brüllen dürftet? Stellt euch nur einmal vor, der ORF würde in Russland ein Auslandsmedium gründen, das Putin kritisiert - glaubt ihr, das ginge so einfach? Warum bei Zeus und allen Göttern Griechenlands bringt es ein vom russischen Staat finanziertes Medium fertig, einigen von uns einzureden, dass wir in einer Diktatur leben? Warum ist seine Macht inzwischen so groß, dass Leute glauben, gegen diese vermeintliche Diktatur auf die Straße gehen zu müssen - dass in unserem Nachbarland sogar Leute glauben, ein Regierungsgebäude stürmen zu müssen? Ist es nicht paradox, dass das Vertrauen jener, die sich für Skeptiker halten, in ein vom russischen Staatsapparat finanziertes Medium höher ist als in die gesamte Presse Deutschlands und Österreichs?

Und noch einmal: Das bedeutet nicht, dass man alles, was die eigene Regierung so treibt, kritiklos bejubeln soll - aber ist es denn eine Lösung, statt dessen auf russische Propaganda reinzufallen und sich von dieser instrumentalisieren zu lassen? Ich möchte nur an eines erinnern: Die tatsächlichen Skandale, also etwa die Maskendeals in Deutschland und Österreich, das Ibiza-Video, die Falschaussagen eines Sebastian Kurz, die BUWOG-Affäre - all das wurde weder von Russia Today noch von einem Reitschuster oder Jebsen aufgedeckt, sondern von den so verhassten "Mainstreammedien". Nicht nur das - auch Whistleblower, etwa Julian Assanges Plattform WikiLeaks, hat häufig mit den bösen "Staatsmedien" kooperiert. Selbstverständlich sollte man die Regierung nicht schalten und walten lassen, wie es ihr beliebt - aber ich zweifle doch stark daran, dass RT DE wirklich dazu beiträgt, die Demokratie aufrecht zu halten. Stattdessen würde ich gerade all jenen, die sich für die großen Kritiker und Hinterfrager halten, ans Herz legen, auch mal diejenigen, bei denen sie sich informieren, sowie deren Quellen kritisch zu hinterfragen - denn könnte es nicht sein, dass sich all jene "Kritiker" bewusst oder unbewusst von der russischen Regierung instrumentalisieren lassen? Und ich möchte noch einmal klarstellen: Wer den Anspruch erhebt, dass eine Demokratie seine Meinung aushalten muss, der sollte auch die Meinung anderer aushalten können. Abgesehen davon würde ich mir selbst auch einmal die Frage stellen, ob dies tatsächlich meine Meinung ist. Und ich sage das nicht umsonst: Diese Art von Propaganda senkt vor allem die Hemmschwellen und führt im blödesten Fall zur Radikalisierung; denn viele selbsternannte "Rebellen" verstehen den Glauben, dass sie in einer Diktatur leben, als Legitimierung von gewaltsamem Widerstand. Noch glaubt sowohl in Deutschland als auch in Österreich nur eine kleine, aber laute Minderheit der Propaganda der deutschsprachigen russischen Medien - wir sollten dafür Sorge tragen, dass das auch so bleibt.

vousvoyez


Quellen zum Weiterlesen und -hören:

https://www.psiram.com/de/index.php/RT_Deutsch#Fragw.C3.BCrdige_Quellen_und_von_RT_Deutsch_zitierte_Experten

https://www.deutschlandfunk.de/russische-staatsmedien-in-deutschland-rt-de-will-online.2907.de.html?dram:article_id=494572

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/russischer-sender-rt-de-will-deutschland-mit-propaganda-eindecken-17405702.html

https://www.zeit.de/politik/ausland/2014-11/rt-deutsch-russland-propaganda-luegen

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/us-wahl-2016-russland-einmischung-soziale-medien

https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/stuermung-des-kapitols-der-mann-mit-den-bueffelhoernern-17136572.html

https://www.tagesschau.de/inland/corona-demo-berlin-131.html

Sehr empfehlenswert: https://www.radioeins.de/archiv/podcast/cui_bono/

Freitag, 2. Juli 2021

Die Berichterstattung zur Familie Ritter ist der beste Journalismus seit den Hitler-Tagebüchern


Wie ihr seht, gibt es manchmal auch Zeiten, in denen ich auf ältere Weisheiten zurückgreifen muss - während ich mich manchmal vor Weisheiten gar nicht mehr retten kann. Diese hier ist aus jener Zeit, als ich den in einem anderen Artikel schon erwähnten Beitrag des YouTube-Kanals Simplicissimus gesehen habe, in dem aufgezeigt wurde, auf welche Weise das Elend einer Familie am Rande der Gesellschaft von Stern TV für Einschaltquoten ausgenutzt wird. Da bietet sich natürlich kein besserer Vergleich an als der zu den Hitler-Tagebüchern - die ja in den 1980er Jahren ebenfalls vom Stern publiziert wurden, bis sie sich dann als Fälschungen herausstellten, was für das Magazin verständlicherweise sehr peinlich war. 

Nun, einer der Gründe, warum es Leute gab, die so gern den Ritters zugesehen haben, war sicherlich auch, dass es leicht war, sich moralisch über sie zu erheben. Im Großen und Ganzen sind Reportagen wie diese, ähnlich wie Scripted Reality, eine äußerst perfide Methode, um gegen Menschen zu hetzen, die am unteren Ende einer Abwärtsspirale angekommen sind - anstatt zu hinterfragen, warum es dieses Elend in einem reichen Industriestaat überhaupt geben muss, wird mit dem Finger auf die Opfer gezeigt. Die passenderweise immer dumm und hässlich sind - oder zumindest so dargestellt werden. Wobei oft übersehen wird, dass auch die Schönen nicht immer von selbst schön sind. Und nachdem ich vor kurzem das traurige Thema der Kinder-Influencer behandelt habe, hat mich das auf die Idee gebracht, einmal über Schönheit zu sprechen.

Bekanntlich liegt Schönheit im Auge des Betrachters, unterliegt also bis zu einem gewissen Grad individuellen Kriterien. Wäre ja auch blöd, wenn es nicht so wäre - dann würden die meisten von uns ihr Leben lang ohne Partner bleiben. Dennoch sind die Schönheitsideale einer Gesellschaft immer auch bestimmten temporalen, kulturellen und biologischen Faktoren unterworfen und deshalb bis zu einem gewissen Grad auch wandelbar. Der dünne Look bei Frauen, der sich vor allem in den 1990ern etabliert hat, ist als Schönheitsideal eher eine Ausnahme - meist korreliert unsere Vorstellung von Schönheit mit evolutionären Vorteilen, weshalb bei Frauen häufig das ideale Taille-Hüft-Verhältnis als schön empfunden wird, da es Gebärfreudigkeit suggeriert. Auch, dass Symmetrie oft mit Schönheit gleichgesetzt wird, hat einen Grund - sie deutet nämlich auf Gesundheit hin. Dennoch war unsere Vorstellung von Schönheit durch die Epochen immer einem gewissen Wandel unterzogen.

Über frühgeschichtliche Schönheitsideale ist nur wenig bekannt. Die berühmte Frauenstatuette der Venus von Willendorf wird häufig als Beispiel für das steinzeitliche Schönheitsideal herangezogen - allerdings gibt es aus dem Jungpaläolithikum durchaus auch Funde von schlanken Figurinen. Im Gegensatz dazu kann man über altägyptische Schönheitsideale weitaus mehr aussagen - Untersuchungen von Mumien ergaben, dass Pharaonen in der Malerei und Bildhauerei immer idealisiert dargestellt wurden, mit schlanken Körpern, die Männer muskulös, die Frauen zierlich. In der griechischen und römischen Antike sind es vor allem Götter- und Heldendarstellungen, die Aufschluss über die damaligen Vorstellungen von Schönheit geben. Frauen wurden schlank, aber kurvig dargestellt, mit harmonischen Proportionen und kleinen, festen Brüsten; der männliche Idealtyp divergierte zwischen dem jugendlichen Athleten und dem ätherischen Jüngling. Im Mittelalter wiederum war die Darstellung nackter Körper durch die starke christliche Prägung verpönt, ganz abgesehen davon, dass anatomische Korrektheit in der gotischen und romanische Kunst offenbar eine eher untergeordnete Rolle spielt - deshalb ist es schwierig, über die Schönheitsideale dieser Zeit Aussagen zu treffen. Im Spätmittelalter wurden Menschendarstellungen allerdings wieder realistischer - auffällig ist hier die S-förmige Silhouette der Frauen, also schlanker Körper, hohles Kreuz und gerundeter Bauch. In der Renaissance lehnte man sich, parallel zum aufkeimender Interesse an der Kunst der Antike, wieder weitaus mehr an deren Schönheitsideale an: Die Darstellungen wurden anatomisch stimmiger, die Gestalten kräftiger. Aus der Barockzeit sind die korpulenten Damen aus Peter Paul Rubens' Ölgemälden bekannt, andere Künstler wie Reni oder Poussin malten aber durchaus auch schlankere Frauenkörper. Vom 17. bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein galt die sogenannte Sanduhrfigur bei Frauen als Schönheitsideal, mit dem Fokus auf eine möglichst schmale Taille, während bei Männern durch die Kniehosen lange Zeit über schlanke Beine wichtig waren. Im 19. Jahrhundert war außerdem Fettleibigkeit bei Männern durchaus erstrebenswert, deutete sie doch auf großen Wohlstand hin. Im 17. und 18. Jahrhundert betrieben beide Geschlechter, vor allem aber Frauen, extrem viel Aufwand mit ihrem Äußeren; diese Puppenhaftigkeit war jedoch nicht nur in Europa, sondern auch etwa in Südostasien sehr angesagt. Während der Französischen Revolution ging die Vorstellung von Schönheit wieder mehr in Richtung Natürlichkeit, zur Zeit von Gegenreformation und Biedermeier orientierten sich die Frauen jedoch wieder weitaus mehr an den Idealen des Barock. Viel Aufwand mit seinem Äußeren zu betreiben, war damals allerdings eher Frauen vorbehalten; für die Herren galt dies als "unmännlich", ihre Mode wurde schlichter, unauffälliger, dunkler und praktischer. Das 20. Jahrhundert wiederum war geprägt vom Wandel der Schönheitsideale, bedingt durch wissenschaftlichen Fortschritt, feministischen und revolutionären Bestrebungen, aber auch eine erstarkende Urlaubs- und Badekultur und die Veränderung der Mode, durch die der menschliche Körper immer mehr in der Öffentlichkeit sichtbar wurde. Zunehmend wurden Schönheitsideale auch durch Filmstars und Models geprägt. Bei Frauen reichten die Schönheitsideale vom leicht burschikosen Typus einer Greta Garbo über die kurvige Figur einer Marilyn Monroe über sehr schlanke Körper wie den von Audrey Hepburn, sportliche Schönheiten à la Claudia Schiffer bis hin zum "Heroin Chic" einer Kate Moss. Bei Männern erfreute sich der dunkelhaarige, elegante Typus großer Beliebtheit, wie etwa bei Rudolpho Valentino, Laurence Olivier, Sean Connery und George Clooney; blonde Typen wie Brad Pitt waren etwas seltener. Aber auch bei ihnen wandelte sich das Körperbild von schmalen, langhaarigen Rockstars bis hin zu den definierten Muskeln, die ab den 1980er Jahren gefragt waren und die zum Teil auch noch heute als Ideal gehandelt werden.

Da aber bekanntlich nicht jeder dem gängigen Schönheitsideal entspricht, wird bis heute eine Menge getan, um ihm zumindest möglichst nahe zu kommen. Schon die alten Ägypter wandten viel Zeit für Kosmetik und Körperpflege auf, sofern sie es sich leisten konnten. Lange Zeit über - etwa bis Mitte des 20. Jahrhunderts - galt etwa weiße Haut als der Gipfel der Schönheit. Und so schützten sich Frauen mit großen Sonnenhüten, modischen Sonnenschirmen und zeitweise sogar Gesichtsmasken gegen die Sonnenbräune. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde auch gerne mit weißem Puder nachgeholfen, der nicht selten das gar nicht so ungefährliche Bleiweiß enthielt. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die "gesunde Bräune" gefragt, die als Zeichen dafür gilt, dass man sich einen Urlaub leisten kann. Auch hier wird gerne noch mit Selbstbräuner nachgeholfen, oder man geht ins Solarium. In anderen Teilen der Welt zeigt sich jedoch, dass das europäische Schönheitsideal, besonders die helle Haut, immer noch sehr dominant ist. In Südafrika sind weiße Models immer noch weitaus begehrter als schwarze; in den Bollywood-Filmen wird darauf geachtet, dass die Darsteller möglichst hellhäutig sind; in einigen afrikanischen Ländern südlich der Sahara hellen viele Menschen ihre Haut mittels Bleichcreme auf und glätten ihre Haare; und in der K-Pop-Szene in Südkorea schreiben Knebelverträge unter anderem vor, dass die Sänger sich Operationen unterziehen müssen, die sie an das europäische Schönheitsideal angleichen. Körpermodifikationen wie Piercings und Tattoos sind in unseren Breiten erst seit den 1990er Jahren so richtig beliebt geworden - in asiatischen, afrikanischen, australischen und südamerikanischen Kulturen sind sie neben der Skarifizierung, also Ziernarben, häufig schon seit Jahrtausenden üblich.

Natürlich unterliegen auch Frisuren dem Wandel der Zeit, aber schon bei den alten Ägyptern war es üblich, die Köpfe mit Perücken zu verschönern. In der griechisch-römischen Antike bevorzugte man lockiges, gewelltes Haar, in der spätrömischen Kaiserzeit waren vor allem bei Frauen auch komplizierte Hochsteckfrisuren und das Färben der Haare in Rot oder Goldblond beliebt. In der burgundischen Mode und der italienischen Frührenaissance galt eine hohe Stirn als schön, weshalb die Haare am Ansatz oft gezupft oder rasiert wurden. In der Renaissance war blondes Haar so sehr in Mode, dass Frauen mit allen möglichen Tinkturen nachzuhelfen versuchten; manche setzten ihr Haar auch tagelang der Sonne aus, wobei sie selbstverständlich penibel darauf achteten, ihre noble Blässe nicht zu verlieren. Im Frühbarock wiederum war dunkles Haar sehr begehrt, so dass mit schwarzem Puder nachgeholfen wurde. Zu Zeiten Ludwigs XIV. kam durch die Vorliebe für langes, lockiges Haar bei Männern und Frauen die Allongeperücke in Mode, die bei den Männern im Laufe der Zeit immer kleiner wurde, während es bei den Damen eher umgekehrt verlief. Um die Französische Revolution kam die Perücke allmählich aus der Mode, im 19. Jahrhundert waren aber dennoch komplizierte Frisuren bei Damen aus gutem Hause durchaus üblich - Kaiserin Elisabeth von Österreich brauchte für die Haarpflege täglich zwei Stunden. In den 1920er Jahren zeigten Frauen ihre Emanzipation, indem sie ihre Haare kurz schnitten; in den 1960ern rebellierten junge Männer gegen die ältere Generation, indem sie sich das Haar und später auch den Bart wachsen ließen. Der chemische Industrie haben wir es außerdem auch zu verdanken, dass ergraute Haare immer häufiger durch Färben verborgen werden.

Es gibt jedoch auch Körpermodifikationen, die irreparable gesundheitliche Schäden anrichten, und Schönheitsideale, die krank machen - und da sind vor allem Frauen betroffen. Seit den 1990er Jahren reißt die Kritik darüber nicht ab, dass auf Laufstegen und in Modekatalogen größtenteils extrem dünne Models zu sehen sind die Maßstäbe setzen, die für normale Mädchen und Frauen in der Regel nicht zu erreichen sind. Trotzdem wollen vor allem junge, beeinflussbare Mädchen so aussehen, was zu Anorexie oder Bulimie führen kann. Allerdings sind auch Männer, die einem Schönheitsideal nacheifern, immer wieder von Essstörungen betroffen - da die Scham hier allerdings weitaus höher ist, weil Magersucht & Co. als "Weiberkrankheiten" verschrien sind, gelangt dies weitaus seltener an die Öffentlichkeit. Aber auch für die zuvor schon erwähnte Sanduhrfigur wurde einiges in Kauf genommen - sie war vor allem im 19. Jahrhundert so begehrt, dass Frauen ihre Taillen so sehr in Korsette einschnürten, dass sie im schlimmsten Fall dadurch Organe schädigten, was ihnen sogar das Leben kosten konnte. In Mauretanien wiederum gilt ein sehr fülliger Körper als Schönheitsideal - weshalb junge Mädchen in spezielle Hütten gesperrt und zum Essen gezwungen werden, bis sie übergewichtig sind, da man fürchtet, sie sonst nicht verheiraten zu können.

Aber  nicht nur der Wunsch nach einer schönen Figur kann mitunter gesundheitsschädlich sein; auch andere Schönheitsideale können schmerzhaft, möglicherweise sogar gefährlich sein. Dies zeigte sich schon bei den indigenen Völkern Mittel- und Südamerikas; aus irgendeinem Grund galt dort ein unnatürlich lang gezogener Schädel als schön, weshalb die Köpfe von Kindern auf verschiedene Weisen zwischen Bretter geschnallt wurden, um den Schädel künstlich zu verformen. In vielen afrikanischen Ländern, aber auch in Teilen Asiens ist die Genitalverstümmelung an Mädchen üblich, um eine glatte, geschlossene Schamregion zu erreichen, was eine klare Menschenrechtsverletzung darstellt; vielerorts ist auch die Vorhautbeschneidung von Jungen üblich, die inzwischen auch nicht mehr unumstritten ist. Die Padaung-Frauen in Myanmar wiederum tragen von Kindheit an einen schweren goldenen Halsschmuck, der die Schultern deformiert und den Hals verlängert - eine Praxis, deren Ursprung heute nicht mehr geklärt ist. Die äthiopischen Mursi dehnen die Unterlippe junger Mädchen mit Hilfe von Tontellern, während die Zo'é in Brasilien von ihrem siebten Lebensjahr an einen Lippenpflock aus weißem Holz tragen müssen, um als Stammesmitglied anerkannt zu werden. Bei Frauen der chinesischen Oberschicht waren vom 10. bis ins 20. Jahrhundert sogenannte Lotosfüße modern: Mütter und Großmütter brachen ihren kleinen Töchtern bzw. Enkelinnen die Füße und banden sie so stark ab, das sie irreparabel beschädigt wurden. Diese Praxis diente dazu, die Füße möglichst klein zu halten und einen kleinschrittigen Gang zu erreichen, der bei Männern als erotisch galt; erst unter Mao Zedong wurde dies verboten.

Die beschriebenen Rituale sind natürlich Extremfälle, aber auch in unserer modernen Welt scheut man auch nicht vor nachhaltigeren Eingriffen zurück, um sein Erscheinungsbild zu optimieren. Trotz zunehmender Diversifizierung gilt immer noch ein schlanker Körper als schön, gleichzeitig sollen aber Brüste und Hintern möglichst groß sein, außerdem sind volle Lippen und kleine Nasen heiß begehrt. Dies bedeutet, dass diejenigen, die es sich leisten können, gerne mit kleinen Eingriffen oder auch größeren Operationen nachhelfen; Brust- und Po-Implantate, Nasenkorrekturen und das Auffüllen der Lippen sind inzwischen praktisch schon normal. Was bereits die Jüngsten unter Druck setzt, die heutzutage durch den permanenten Internetzugang ständig normierte Körperbilder vor Augen haben, die ihnen vorleben, wie sie auszusehen haben. Hinzu kommt noch das inflationär eingesetzte Photoshop, das Kindern vorgaukelt, ihre Lieblings-Influencer sähen aus, wie kein normaler Mensch aussieht.

Im Zuge dessen ist Body Positivity eigentlich eine begrüßenswerte Gegenbewegung - das Problem ist allerdings, dass sie sowohl von Aktivistinnen als auch von Außenstehenden häufig missverstanden wird. Im Grunde geht es darum, seinen Körper zu akzeptieren, auch wenn er nicht dem Ideal entspricht - weshalb sie vor allem mollige Frauen sehr anspricht, die auch den Anstoß dazu gegeben haben. Das Problem ist allerdings, dass dies momentan teilweise ziemlich seltsame Auswüchse annimmt, weil viele Anhängerinnen in eine geradezu aggressive Abwehrhaltung gehen. Teilweise geht das sogar so weit, dass jegliche Kritik als Kritik am Aussehen verstanden wird. Vor allem aber stört mich, dass manche von ihnen anscheinend eine neue Norm etablieren wollen - und andere, die nicht ihrem persönlichen Idealbild entsprechen, ausgeschlossen werden, obwohl es eigentlich doch darum geht, alle mit einzubeziehen, die vom gängigen Schönheitsideal abweichen. Und dass Anhängerinnen sich "verraten" fühlen, wenn eine von ihnen Gewicht verliert, weil sie sich eben wohler fühlt, wenn sie leichter ist. Was wiederum das Vorurteil bestätigt, Body Positivity sei nur für Frauen da, die zu faul sind, um Gewicht zu verlieren, und wolle alle anderen dazu zwingen, Übergewicht schön zu finden, was ja beides gar nicht der Fall ist. Ganz abgesehen davon, dass ich es falsch finde, den gesundheitsschädigenden Aspekt von starkem Übergewicht schönzureden - und da spreche ich nicht vom Body-Mass-Index, denn dass dieser überholt ist und man nicht automatisch krank ist, wenn man ein paar Kilo über der empfohlenen Norm ist, wissen mittlerweile, glaube ich, die meisten von uns. Und das sage ich als Frau, die, wie viele von euch wissen, auch keine Elfe ist.

Und eines möchte ich noch anmerken: Ich finde es überhaupt nicht schön, wenn Menschen auf Biegen und Brechen versuchen, sich einer gewissen Norm anzugleichen. Für mich sind Schönheitsfehler mitunter sogar sehr reizvoll, und ich finde es ärgerlich, wenn Leute an sich herumschnippeln lassen, um nur ja so auszusehen, wie andere es ihnen vorschreiben. Versteht mich nicht falsch: Ich weiß, dass plastische Operationen nicht immer unsinnig sind, und ich weiß, dass es Menschen gibt, die sehr unter gewissen Makeln - etwa zu kleinen Brüsten oder zu großen Nasen - leiden. Natürlich sollte es diesen auch möglich sein, diese Probleme zu beheben. Ich spreche auch nicht von extremen Makeln, sondern von Kleinigkeiten - und ich spreche auch nicht von normalen, sondern von übertriebenen Eingriffen. Beispielsweise sehen dick aufgespritzte Lippen in eher feinen, zarten Gesichtern wie Fremdkörper aus, während extreme Implantate in Brust und Po bei einer zierlichen Silhouette eher seltsam aussehen. Stellt euch nur etwa eine Emma Watson mit Bomberbusen und Schlauchbootlippen vor - glaubt ihr wirklich, das würde sie schöner machen? Ebenso betrachte ich das Ideal der ewigen Jugend ein wenig skeptisch - mir gefallen ein paar kleine Fältchen, ehrlich gesagt, viel besser als ein krampfhaft auf jung getrimmtes Gesicht. Dieses permanente Wegspritzen jeglicher Alterserscheinungen lässt einen Menschen, wie ich finde, irgendwann nicht mehr jünger aussehen, sondern nur noch künstlicher. Ich persönlich finde, dass man meist schon mit dem arbeiten kann, was einem von der Natur gegeben wurde - aber natürlich weiß ich, dass das jeder für sich selbst entscheiden muss. Ich wollte es nur einmal gesagt haben.

vousvoyez