Freitag, 30. August 2019

Ich kann immer noch einer gefesselten Maus in den Bauch treten

Die Antwort eines Kollegen auf die Frage, wie es um seine körperliche Fitness steht. Ich muss zugeben, dass ich selbst auch nicht so viel leistungsfähiger bin. Für mich war vor allem der Schulsport immer der Horror. Trotzdem versuche ich mittlerweile, körperlich wieder fitter zu werden. Man wird ja nicht jünger. Und man kann nicht den ganzen Tag nur Filme schauen.

Ja, richtig, ich möchte meine Serie von Klischees und Filmfehlern endlich wieder fortsetzen! Ich habe mich inzwischen lange genug darüber ausgelassen, was mir so unter den Nägeln brennt. Allmählich sollte der Spaß wieder mehr im Vordergrund stehen. Deswegen hier weitere Beobachtungen, die ich im Laufe der Zeit so gesammelt habe.

Weitere wichtige Punkte, die bei Filmen nicht zu kurz kommen dürfen

1. Ich habe ja schon einmal dargelegt, dass Leute, die vor dem Bösen fliehen, meist noch vorher die Katze retten müssen. Manche wiederum suchen noch schnell was, bevor sie loslaufen - sonst haben sie ja einen viel zu großen Vorsprung! Offenbar haben diese Personen niemals die obligatorische Brandschutzübung hinter sich gebracht, wo einem genau davon abgeraten wird.

2. Wenn es draußen dunkel und windig ist, müssen sofort alle Fenster aufgerissen werden. Wenn es regnet, muss es gleichzeitig immer blitzen und donnern. Außerdem ist der Regen immer stark und schwer - und wenn eine Person aus dem Regen ins Haus kommt, ist sie in Sekundenschnelle wieder trocken. Überhaupt ist Regen ein wichtiges dramaturgisches Element - bei Beerdigungen muss es auch immer regnen, und nachts sind die Straßen prinzipiell immer nass, besonders, wenn eine Verfolgungsjagd mit dem Auto ansteht. Wäre sonst ja auch langweilig. Besonders in Horrorfilmen und ihren Untergenres ist nachts immer Vollmond, und bei Familienfilmen ist zu Weihnachten immer dichtes Schneegestöber - obwohl ich persönlich auch als kleines Kind nur höchst selten weiße Weihnachten erlebt habe.

3. Apropos Verfolgungsjagden mit dem Auto: Autoreifen müssen immer quietschen, auch auf Schotter oder Sand. Ein Auto, das ein Hindernis rammt, muss sich überschlagen, außerdem überstehen Autos unbeschadet erstaunlich weite Sprünge. Erwischt man einen Hydranten, entsteht immer eine Wasserfontäne. Außerdem haben die Fahrer wohl nie gelernt, dass man sich anschnallen muss, trotzdem bleiben sie immer fest im Fahrersitz und überstehen auch Unfälle ohne gröbere Verletzungen. Wenn ein Auto brennend liegenbleibt, explodiert es immer - häufig sogar, nachdem es ins Wasser gefallen ist. Auch von Rückspiegeln scheinen diese Leute nie etwas gehört zu haben - oder warum müssen sie sich immer umdrehen, um zu sehen, ob der Verfolger noch hinter ihnen ist? Dieser kann übrigens die letzte Rostschüssel haben - er bleibt dem Verfolgten stets dicht auf den Fersen, selbst wenn dieser einen neuwertigen Sportwagen fährt.

4. Die Bösen im Film sind immer genau erkennbar: Seit Rauchen als Coolness-Faktor allmählich aus der Mode gekommen ist, rauchen fast ausschließlich die Bösewichte. Von den Guten unterscheiden sie sich außerdem meist dadurch, dass die schwarze Kleidung bevorzugen, in amerikanischen Filmen oft auch schwarze Hüte. Charakterlich sind sie immer das genaue Gegenteil des Helden. Außerdem neigen sie dazu, alle Brandschutzvorschriften zu ignorieren. Gerne tragen sie auch dunkle Sonnenbrillen, wobei sie dazu neigen, die Brillen ihrer Opfer absichtlich zu zertreten. Wenn ein Böser sein Opfer am Ende gestellt hat, muss er ewig lang reden, damit der Gute ihn am Ende doch noch zur Strecke bringen kann. Da der Böse am Ende sowieso stirbt, wird er auch nie für seine Taten zur Verantwortung gezogen.

5. Der beliebte österreichische Schauspieler Otto Schenk hat in seinem Bühnenmonolog Die Sternstunde des Josef Bieder die Bemerkung fallen lassen, dass, wenn ein Akteur im ersten Akt hustet, man ihn spätestens im dritten Akt los ist. Ähnlich verhält es sich auch in Filmen - Husten ist immer der Vorbote einer tödlichen Krankheit.

6. Untypisch für eine Frau, bin ich übrigens eine große Western-Liebhaberin. Am liebsten mag ich die 70er-Jahre-Italo-Western von Sergio Leone - nicht zuletzt wegen der tollen Soundtracks von Ennio Morricone. Auffällig in vielen Western ist, dass es nur in den Hüten Einschusslöcher gibt. Trommelrevolver scheinen nie nachgeladen werden zu müssen, nur für den entscheidenden Schuss ist keine Patrone da. Der Westernheld trifft prinzipiell immer, selbst von einem galoppierenden Pferd.

7. Nicht nur in Western, sondern vor allem in Krimis und Actionfilmen muss immer kräftig geknallt werden. Dabei gilt: Für die Guten sind Treppengeländer immer ein passendes Versteck, da die Kugeln einfach daran abprallen. Die Bösen allerdings werden immer getroffen. Diese schießen ständig, treffen aber nie, während die Guten mit nur wenigen Schüssen mehrere Böse erwischen - und das, obwohl sie meist weitaus weniger gut ausgestattet sind als die Bösen. Auffallend ist, dass Schusswaffen nach Gebrauch oft einfach weggeworfen werden. Komisch, wenn man bedenkt, was so ein Ding kostet. Wenn ein Guter tödlich getroffen wird, muss er erst ein paar Schritte taumeln, möglicherweise noch einmal schießen und ein paar bedeutungsschwangere letzte Worte sagen, bevor er umfällt. Der Held wird natürlich nie getroffen - und wenn er einmal einen Schuss ins Herz erleidet, rettet ihn meist ein Anhänger mit dem Bildnis seiner Geliebten, den die Kugel trifft.

8. Zeitbomben müssen bei ihrer Aktivierung immer ein tickendes Geräusch von sich geben. Außerdem haben sie stets eine Digitalanzeige, die zeigt, wie viele Sekunden noch bleiben, nicht zu vergessen die Drähte in verschiedenen Farben und die blinkenden Lichter. Natürlich darf so eine Bombe erst eine Sekunde vor ihrer Explosion entschärft werden. Selbstverständlich holt der Held keine Spezialeinheit, sondern entschärft die Bombe selbst - zwar weiß er selten, welchem Draht er zuerst durchtrennen muss, entscheidet sich aber intuitiv für den richtigen. Countdowns - natürlich auch die von Zeitbomben - dauern immer länger, als die Anzeige behauptet, und natürlich genauso lange, wie der Held braucht, um die Bombe zu entschärfen. Sollte trotz allem eine Bombe mal explodieren, schafft er es natürlich immer, sich mit einem gewagten Sprung zu retten. Und die männlichsten aller männlichen Männer, von denen ich schon berichtet habe, sind viel zu cool, um sich umzudrehen, nachdem sie ein Haus zur Explosion gebracht haben; sie halten höchstens die Fernbedienung lässig in die Luft.

9. Frauen tragen immer High Heels, in denen sie selbstverständlich problemlos laufen können, ohne jemals mit den dünnen Absätzen zu stolpern oder hängen zu bleiben, beispielsweise in einem Kanalgitter. In Hollywood stöhnen auch nur sie beim Sex, und ihr Lippenstift verwischt nie - nur beim Küssen hinterlässt er verräterische Spuren. Im übrigen sind in Filmen, die in den Bergen spielen, kletternde Frauen immer in Lebensgefahr - normalerweise müssen sie in der Berghütte sitzen und mit bangem Blick Wetterverschlechterungen beobachten.

10. Da ich neulich über Empathie geschrieben habe: Viele Horrorfilm-Fans bleiben ungerührt, wenn in einem Film Menschen sterben, bangen aber darum, dass der Hund überlebt. In Katastrophenfilmen überleben Hunde und Kinder immer - Kinder bringen sich stets selbst in brenzlige Situationen und werden dann vom Helden gerettet.

11. In Slasher-Filmen, einer Unterkategorie des Horrorfilms, dadurch gekennzeichnet, dass die Protagonisten Teenager sind, gibt es immer einen sympathischen Sonny-Boy, einen möchtegern-coolen Checker, eine Streberin, eine Schlampe, einen Kiffer und einen Schwarzen. Die Streberin steht auf den Checker, ohne zu bemerken, dass der Sonny-Boy auf sie steht. Der Checker ist mit der Schlampe zusammen, erwischt sie aber mit dem Schwarzen. Als der Killer oder das Monster da ist, stirbt zuerst der Schwarze. Dann stirbt die Schlampe, nachdem sie sich mit dem Checker versöhnt hat und die beiden gerade beim Bumsen sind; natürlich ist sie dabei leicht oder auch gar nicht bekleidet. Dazwischen entdeckt die Streberin ganz plötzlich ihre ausgeflippte Seite und raucht zusammen mit dem Kiffer einen Joint. Dann stirbt der Kiffer, während er gerade etwas selten Dämliches macht. Der Checker entdeckt plötzlich seine altruistische Seite und stirbt, rettet aber dabei das Leben des Sonny-Boys und der Streberin. Sonny-Boy und Streberin überleben und sind am Ende ein glückliches Paar.

12. Wenn Eltern mit den Zukunftsplänen des Nachwuchses nicht einverstanden sind, muss dieser dem Erziehungsberechtigten immer den bedeutungsschwangeren Satz "Du hattest nie Träume, oder?" vor den Latz knallen. Zu Beginn eines Films, in dem Zombies, Monster oder gefährliche Tiere vorkommen, muss das erste Opfer immer sagen: "Das Viech hat mich gebissen!" Häufig beginnt eine Actionszene mit den panischen Worten "Ich weiß nicht, was es ist, aber es kommt direkt auf uns zu!" Wenn der extrem coole Held eine blutende Fleischwunde hat, sagt er selbstverständlich "Ach, das ist nur ein Kratzer!"

So. liebe Leute, ich hoffe, ihr lest dieses bescheuerte Zeug mit genauso viel Spaß, wie es mir gemacht hat, es zu schreiben! Sicherlich werdet ihr das eine oder andere auch schon beobachtet haben. Ich verfüge immer noch über einige Themen, die ich mal bearbeiten möchte - lustige und auch ernste. Vielleicht kommt auch wieder spontan was Neues, wie meist, wenn ich wieder mal das Bedürfnis habe, in die Tasten zu hauen. Bon voyage!

vousvoyez

Mittwoch, 28. August 2019

Ich glaube an Thor, denn er hat versprochen, alle Riesen zu töten; siehst du irgendwelche Riesen?

Zugegeben, ich habe gehört, dass dieser Satz angeblich aus einem Buch stammen soll. Konnte aber bisher nichts dazu finden. Wenn ich weiß, wer diesen Satz wirklich geschrieben hat, werde ich seinen/ihren Namen dazuschreiben. Ich will ja keinen Stress haben wegen Copyright und so.

Ich habe diesen Satz von einem ehemaligen Arbeitskollegen aufgeschnappt, der auf ironische Art und Weise darlegen wollte, warum es gescheiter ist, an Thor zu glauben als an den christlichen Gott. Mir fällt da nur der Witz ein mit den zwei Männern im Zug, wo der eine eine Banane aus der Tasche holt, sie schält, salzt und aus dem Fenster wirft. Das wiederholt er mehrere Male, bis sein Gegenüber ihn fragt, warum er das tut. Daraufhin er: "Um die Löwen zu vertreiben!" Worauf der andere einwendet, dass es hier doch überhaupt keine Löwen gäbe. Die Antwort: "Sehen Sie? Es wirkt schon!"

Das Argument gegen den christlichen Gott ist ja sehr oft, dass dieser auf der Erde unermessliches Leid zulässt. Durchaus etwas, das es wert ist, zu diskutieren. Zu Beginn dieses Monats gab es ja wieder mal zwei Amokläufe in den USA - einen in El Paso, Texas und einen in Dayton, Ohio. Und natürlich ist klar, dass dies zum Teil auch daran liegt, dass Amerika ein massives Problem mit Schusswaffen hat; andererseits haben diese Ereignisse jedoch wohl auch mit dem politischen Hass zu tun, der vor allem im Internet wütet und überall auf der Welt die Gesellschaft spaltet. Und daran hat der amerikanische Präsident, der ja seine Weisheiten gerne auf Twitter verbreitet, sicher einen nicht unwesentlichen Anteil.
Aber all das war nach den Attentaten erstmal nicht so relevant wie die Frage, ob Videospiele schuld an den Amokläufen gewesen seien. Eine uralte Diskussion, in der die Meinungen weit auseinander gehen. Deswegen will ich sie heute einmal anreißen - und mit einem Thema verknüpfen, dem ich mich schon lange mal widmen wollte, nämlich der ideologischen Interpretation.

Nun, die Frage, ob Videospiele schuld an Amokläufen sind, ist, wie zuvor schon erwähnt, schon lange nicht mehr neu. Und wenn nicht die Videospiele schuld sind, sind es die Horrorfilme oder Heavy Metal. Natürlich nicht das extrem lockere Waffengesetz, das es Privatpersonen erlaubt, automatische Schusswaffen zu besitzen. Deswegen ist der Lösungsansatz gegen Amokläufe an Schulen ja auch äußerst bescheuert vernünftig: Waffen müssen natürlich mit noch mehr Waffen bekämpft werden! Das heißt, statt den Schülern die Waffen wegzunehmen, sollte man besser die Lehrer bewaffnen! Halleluja, wie schön muss doch so ein Leben sein, wenn man mit einem gewaltigen Brett vorm Kopf außergewöhnlicher Intelligenz gesegnet ist! Und natürlich ist diese Debatte absolut keine Strategie, um von wirklich wichtigen Problemen abzulenken. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Nun, ich kenne keine Amokläufer. Aber ich kenne etliche Leute, die in ihrer Jugend Videospiele gespielt haben - und oft auch Gewaltspiele. Meist auch noch in einem Alter, in dem diese Spiele für sie nicht geeignet waren. Trotzdem sind all diese Kinder von damals verantwortungsbewusste, friedliche Erwachsene geworden. Einzelfälle? Oder liegt es vielleicht nicht doch eher daran, dass all diese Kinder von damals ein liebevolles Elternhaus, ganz allgemein ein stabiles soziales Umfeld sowie eine relativ gute Schulbildung genossen haben? Die wissenschaftliche Debatte über den Zusammenhang von Amokläufen und Videospielen ist zwar durchaus gegeben, es gibt da aber einige Widersprüche und Unklarheiten, wenn es um die Kommunikation mit der Öffentlichkeit geht. Sehr aufschlussreich ist hierzu das Video des YouTube-Kanals mailab. Vieles auf YouTube ist Mist, aber deswegen auch nicht alles.

Wer diesen Blog kennt, weiß auch, dass ich ein Faible für Horrorfilme habe und dass ich diese schon konsumiert habe, als ich eigentlich noch nicht alt genug dafür war. Trotzdem würde mich jemand, der mich persönlich kennt, wohl kaum als gewalttätigen oder auch nur aggressiven Menschen beschreiben. Und wer einmal auf einem Metal-Konzert war, kann bestätigen, dass diese oft weitaus friedlicher ablaufen als so manche Schlagerparty und dass Metal-Fans in der Regel sehr liebenswerte und aufgeschlossene Menschen sind, wenn man es selbst ist und Menschen nicht nur nach Äußerlichkeiten beurteilt. Zumal, man mag es nicht glauben, auch ich Gefallen an Songs von Bands wie AC/DC, Black Sabbath und Judas Priest finden kann. Wer behauptet, Videospiele sind schuld an Amokläufen, der behauptet auch, wer Super Mario spielt, wird Installateur, wer Autorennspiele spielt, ist ein Raser auf der Straße und wer Tetris spielt, wird viereckig.

Ideologische Interpretation ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Aber in heutigen Zeiten müssen nicht nur die vergleichsweise noch jungen Medien Videospiel, Fernsehen und Film daran glauben; die ideologische Debatte macht auch nicht davor halt, auch klassische Künstler der früheren Vergangenheit mit Schmutz zu bewerfen. Vor einer Woche machte das junge feministische Künstlerkollektiv Frankfurter Hauptschule mit einer Aktion auf sich aufmerksam, die wieder mal eine altbekannte Debatte auslöste: Was darf Kunst?

Prinzipiell finde ich es auch als großer Fan von Goethes Dichtkunst keineswegs verwerflich, auch vermeintlich unantastbare große Geister der Kunst- und Literaturgeschichte wie ihn zu hinterfragen. Mir fällt da die Autobiographie des deutschen Graphikers und Bassisten Klaus Voormann, Warum spielst du Imagine nicht auf dem weißen Klavier, John?, ein, der darin die lange geltende Hierarchie innerhalb der Musikgenres anprangerte, die sich erst heute etwas aufweicht und bei der am unteren Ende Schlager und Unterhaltungsmusik, am oberen Ende wiederum die unantastbare Ernste Musik oder Klassik steht. Aber mit dem Wechsel der Generationen ist diese Sichtweise tatsächlich nicht mehr ganz so verbreitet wie früher, hat es doch Bob Dylan, der Jahrzehnte in der Schublade der Unterhaltungs- und Popmusik verweilen musste, durch den Literaturnobelpreis in die oberste Riege der ernst zu nehmenden Künstler geschafft.

Das Ding mit der Aktion der Frankfurter Hauptschule ist halt: Wenn man Goethe kritisieren will, sollte man zunächst mehr liefern können als persönliche Interpretation, die so gedreht wurde, dass sie einem wunderbar in den Kram passt - nicht jeder sieht in Heidenröslein die Verharmlosung einer Vergewaltigung. Und man sollte seine Aktion wenigstens so gestalten, dass diese betreffend des Niveaus dem großen Dichter einigermaßen gerecht wird. Sprich, ein wenig mehr Originalität zeigen, anstatt zu einer Vertonung von Heidenröslein Klopapier auf Goethes Gartenhaus zu werfen. Aber nun ja, im Prinzip haben die jungen Leute das, was sie wollten, nämlich Aufmerksamkeit. Hoffen wir, dass sie mit der Zeit ein wenig intelligenter und auch origineller werden. Ich habe bis Mitte Zwanzig auch hin und wieder seltsame, nicht sehr intelligente Aktionen geliefert.

Besonders beliebt ist ideologische Interpretation ja vor allem bei Medien für Kinder. So verführt Harry Potter angeblich zum Satanismus, während Dornröschen, wie in einem anderen Artikel schon erwähnt, sexuelle Belästigung darstellt. Ganz allgemein geraten besonders Kinderfilme und -serien häufig ob ihres angeblich schädlichen Einflusses auf ihre jungen Rezipienten gerne unter Beschuss. Und daran sind meine speziellen Freunde, die Schwurbler, oft nicht unbeteiligt. So läuft schon seit längerer Zeit die Debatte, dass Disney-Zeichentrickfilme angeblich durch unterschwellige Sex-Botschaften zu unzüchtigem Verhalten aufrufen sollen. Botschaften, die keiner sieht, der nicht mit der Nase drauf gestoßen wird - und einen gewaltigen Dachschaden hat. Nun wissen wir ja, dass Sexualität laut christlichen Fundamentalisten und Aktivisten für Kinder noch weitaus schädlicher ist als explizite Gewalt. Aber nicht nur das - auch die alten Kinderserien, die wir so liebten, haben angeblich einen negativen Einfluss auf Kinder. So zeichne die beliebte Zeichentrickserie Lucky Luke ein sexistisches Frauenbild. Nun ja, wer die Comicserie Lucky Luke kennt, könnte nun auch einwenden, dass diese alte Western-Serien parodiert - die bekanntermaßen kein sehr modernes Frauenbild transportieren. Auch wenn sich nicht leugnen lässt, dass weibliche Darsteller in Kinderfilmen und -serien oft nur Nebenrollen besetzen. Ich habe dazu schon einmal etwas geschrieben. Und als wäre das noch nicht genug, wird auch darüber diskutiert, ob man Kinder Filme wie Die Unendliche Geschichte, die wir früher ganz selbstverständlich konsumierten, die aber den Tod von Figuren zeigten, überhaupt noch sehen lassen dürfte.

Nun, ich bin kein großer Fan der "Früher-war-alles-besser"-Ideologie. Dennoch muss ich zugeben, dass mir die alten Kinderserien und -filme in der Regel besser gefallen als die neuen. Das liegt möglicherweise auch daran, dass ich die alten Filme und Serien mehr mit meiner Kindheit verbinde und dass ich heute nicht mehr zur Zielgruppe gehöre. Schon als Kind hörte ich oft von den Erwachsenen, dass die neuen Kinderfilme und -serien alle "Dreck" seien und die alten angeblich viel besser. Gefallen hat mir der "Dreck" trotzdem - als Kind hat man noch keine so hohe Affinität zur Vergangenheit. Dennoch muss ich gestehen, dass ich die Tendenz, alte Serien und Filme als 3D-Remakes wieder auszustrahlen, eher erschreckend finde - so wie ganz allgemein den Hang zu Remakes in der heutigen Zeit, auch wenn ich mir bewusst bin, dass Remakes kein neues Phänomen sind. Aber zurzeit finde ich halt, dass hier massiv übertrieben wird.

Generell beobachte ich, dass dem Rezipienten - besonders im Kindesalter - weitaus weniger zugetraut wird, als er zu leisten imstande ist. Und dass wir in unserem ewachsenen Hang zur Interpretation, gerade wenn es um Medien für Kinder geht, mitunter übertreiben. Aber nicht zuletzt auch, dass Zusammenhänge - wie im Fall der Videospiele - allzu oft zu sehr vereinfacht werden. In Erinnerung an meine eigene Kindheit und Jugend bin ich der Ansicht, dass es für einen jungen Menschen im Prinzip hauptsächlich zwei Faktoren gibt, die seine Entwicklung prägen und entscheidend dafür sind, wie er die Welt später betrachtet: Das Elternhaus und das soziale Umfeld. Alles andere ist mehr oder weniger Auslegungssache.

vousvoyez

Dienstag, 27. August 2019

Wenn Jambo "Hallo" heißt, heißt dann Coco Jambo "Hallo, ihr Nüsse"?

(c) vousvoyez
Eine schwierige, aber durchaus nicht uninteressante Frage - zumindest bietet sich diese an, wenn man das Swahili-Wort "Jambo" in anderer Form nicht kennt. Ich habe mal gehört, dass Swahili einmal als Amtssprache der Afrikanischen Union hätte eingeführt werden sollen - ähnlich, wie man Esperanto als übergeordnete Weltsprache etablieren wollte. Der Unterschied ist halt, dass Esperanto eine Plansprache ist, also eine, die sich nicht evolutionär entwickelte, sondern aufgrund der Ghetto-Strukturen in der polnischen Stadt Bjelostock im späten 19. Jahrhundert von einer Einzelperson entwickelt wurde, während Kiswahili die Muttersprache einer ethnischen Gruppe in Ostafrika, eben dem Bantuvolk der Swahili, ist und bis heute die dort am weitesten verbreitete Verkehrssprache.

Wir wissen ja, dass die Zukunft unserer Erde im Moment mehr als ungewiss ist - und das bekommen besonders tropische Regionen, eben auch Afrika, vermehrt zu spüren. Wobei wir Afrika ja schon ziemlich lange sozusagen als Müllhalde benutzen - ich will hier jetzt nicht über die Kollektivschuld aller Europäer sprechen, Verantwortung tragen beide Seiten. Das Problem ist halt, dass besonders wir hier in Europa die Konsequenzen nicht sehen wollen. Ich habe in Isabel Allendes historischem Roman Geisterhaus gelesen, dass nach dem Militärputsch in Santiago, der Hauptstadt Chiles, die Bettler hinter Werbeplakaten versteckt wurden, damit die besser betuchte Bevölkerung die Illusion bekam, alles sei in bester Ordnung. So ähnlich kommt es mir auch heute manchmal vor - man kehrt den Schmutz unter den Teppich, um nicht zu zeigen, dass wir uns einem Abgrund nähern. Und Besorgnis erregend ist in diesem Rahmen natürlich auch, dass der Amazonas-Regenwald in Brand steht. Und deswegen möchte ich heute einmal über Empathie sprechen.

Empathie - die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und deren Gefühle nachzuvollziehen - wird ja als eine der großen Tugenden der Menschheit begriffen. Was ja an sich auch nicht falsch ist. Das Problem dabei ist halt, dass Empathie nichts Rationales ist. Wir kennen das ja aus dem Alltag - wenn ein Prominenter stirbt, trauern auch Menschen, die diese Person als solche gar nicht kannten. Auf der Welt sterben täglich viele Menschen unter oftmals sehr grausamen Bedingungen. Das meiste wird aber im Alltag gar nicht erst erwähnt. Was natürlich auch verständlich ist - ich kann deswegen auch nicht tagaus, tagein im Bett liegen und weinen, weil es nichts ändert und weil ich meine eigene Situation dadurch nur sinnlos verschlimmern würde. Trotzdem bin ich mir dessen bewusst, dass unsere Welt mitunter auch ein Ort der Trauer und des Schreckens ist. Ich würde es gerne ändern und kann es nicht. Und ja, oft geht es mir deswegen auch nicht gut. Und um nicht an all dem zugrunde zu gehen, blende ich vieles aus. Das ist nicht schön, aber notwendig, weil ich nur so überlebe. Und viele von uns sind sich auch dessen bewusst, dass persönliches Leid nicht dadurch gelindert wird, indem man den Leidenden darauf hinweist, dass es anderen Menschen noch schlechter geht. Nun gut.

Die absurde Seite von Empathie wurde mir in letzter Zeit wieder vor Augen geführt, als die ersten Nachrichten über den Brand im Amazonas-Regenwald eintrafen. Das geschah ziemlich spät, weil ja zuvor Heidi Klum geheiratet hat, was ja so extrem wichtig ist, dass man rund um die Uhr darüber informiert werden muss. Und es hat anfangs auch irgendwie niemanden so richtig interessiert. Und die ersten Meldungen waren natürlich wieder der übliche mediale Dünnpfiff - der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro wetterte, dass angeblich irgendwelche Umwelt-NGOs den Regenwald angezündet haben sollen, während in den sozialen Netzwerken wieder mal Greta Thunberg als Sündenbock herhalten durfte. Den größten Aufschrei riefen aber die Photoshop-Bilder angeblich brennender Tiere hervor, die aktuell überall geteilt werden. Ein höchst erstaunliches Phänomen selektiver Wahrnehmung ist für mich ja auch, dass gerade Leute, die Seiten wie mimikama abonniert haben und sich kollektiv über rechtspopulistische Fake-Bilder empören, die dazu dienen, Linke, Ausländer und die Jugendlichen der Fridays-for-Future-Bewegung in den Dreck zu ziehen, plötzlich überhaupt kein Problem mehr damit haben, wenn überall im Netz ungekennzeichnete Fake-Bilder auftauchen, die angeblich aktuell im Amazonas-Regenwald aufgenommen wurden, weil der Zweck ja die Mittel heiligt. Obwohl man sich also moralisch über eine gewisse Menschengruppe stellt, ist man bereit, deren Methoden für seine eigenen Zwecke anzuwenden. Wem das nicht zu denken gibt, der sollte meiner Ansicht nach seine moralischen Prinzipien nochmals überdenken.

Was ich aber ebenfalls bemerkenswert finde: Solange nur die Luftbilder brennender Bäume zu sehen sind, berührt uns das nicht wirklich - Waldbrände sind ja per se nichts Ungewöhnliches, vor allem in den Sommermonaten. Sobald aber niedliche Tiere zu sehen sind, die vermeintlich zu Schaden kommen, sind alle auf einmal ganz erschrocken. Klar - natürlich kommen bei diesem Waldbrand auch sehr viele Menschen und Tiere zu Schaden und nein, dass diese Bilder Fake sind, ändert nichts daran. Diese Geschichte zeigt jedoch meiner Beobachtung nach, wie selektiv unsere Empathie eigentlich ist - Einzelschicksale berühren weit mehr als eine kollektive Katastrophe, kleine Kinder und süße Tiere rühren unser Herz viel mehr als erwachsene Personen, Pflanzen oder Tiere, die vielleicht nicht so süß sind. Bezeichnend finde ich in diesem Lichte auch der Umgang mit den Katastrophen, die sich schon seit längerer Zeit im Mittelmeer abspielen - zwischen 2014 und 2019 ertranken bisher schätzungsweise 17.900 Menschen im Mittelmeer. Empathische Reaktionen gab es jedoch erst, als im Netz das Foto eines ertrunkenen Kindes am Strand von Lampedusa auftauchte. Und mittlerweile scheint ja selbst das vergessen. Aber das ist eine andere Geschichte. Andererseits wird Empathie auch häufig dafür benutzt, um unlautere Verhaltensweisen zu rechtfertigen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Pfandflaschen sammelnden Rentner in Deutschland, die früher niemanden interessiert haben, die aber jetzt häufig als Argument benutzt werden, warum man Ausländern nicht helfen und sich nicht um die Umwelt sorgen soll. Kürzlich bekam ich einen Artikel zu Gesicht, in dem klimafreundliche Energie kritisiert wurde mit dem Argument, dass für die für Elektroautos so wichtigen Lithium-Batterien Bergarbeiter im Kongo sterben. Nun ja - einer der besten Freunde meines Partners ist Kongolese, mein Partner selbst ist dort geboren, und auch wenn das nicht so wäre, wie könnte mir das egal sein? Das Ding ist halt - auch für weitaus weniger klimafreundliche Produkte werden Menschen ausgebeutet, nicht nur im Kongo, aber auch dort. Das weiß man schon seit Jahrzehnten - interessiert hat es nur keinen. Erst jetzt, wo es um Klimafreundlichkeit geht, wird das angeprangert.

Nicht, dass wir uns jetzt falsch verstehen: Ich bin sicherlich keine von denen, die einem Menschen, der sich für Tiere einsetzt, Sätze wie "Und was ist mit den Menschen?" vor den Latz knallt. Falls ich das noch nicht erwähnt habe. Im Grunde genommen nützt ein weniger exzessiver Konsum von Tierfleisch den Menschen genauso viel wie den Tieren selbst, zumal das Futter für Massenbetriebe ja hauptsächlich aus Ländern kommt, wo Menschen verhungern. Vor sehr vielen Jahren, als es langsam zu den Menschen durchdrang, dass auch Personen, die nicht in der unmittelbaren Umgebung wohnen, möglicherweise Empathie verdient haben, kam man auf die Idee, dass auch Wesen einer anderen Spezies Gefühle haben, die man berücksichtigen sollte. Außer, man war ein Fan von René Descartes, der dereinst behauptete, Tiere seien Maschinen - früher hat mich diese These sauer gemacht, aber allmählich komme ich auf die Idee, dass dies mit der Industrialisierung zu tun haben könnte, wo Menschen ja teilweise auch schon als "Maschinen" begriffen wurden, die mit Hilfe medizinischer Versorgung "repariert" werden könnten und die durch Erziehung zum "Funktionieren" gebracht werden müssten. Es gibt nur zwei Dinge, die ich dabei echt scheiße finde: Erstens, dass so manche Tierfreunde einen regelrechten Hass gegen die gesamte Menschheit zu hegen beginnen - zugegeben, es ist nicht schwer, Menschen zu hassen, wenn wir sehen, was wir uns gegenseitig und anderen Lebewesen antun, aber was können hungernde Kinder dafür, dass viele von uns sich augenscheinlich Hunde züchten müssen, die nicht richtig atmen können? Und warum fällt man auf Wahlversprechen rein, die so augenscheinlich nicht dem Wohl der Tiere, sondern zum Schaden von Menschen, die zufällig anders aussehen als wir, gereichen? Zweitens, dass man seine Empathie so sehr an den Niedlichkeitsfaktor hängt.

Klar, Kinder sind in der Regel süßer als Erwachsene. Aber soll ein Teenager aus dem Sudan weniger Rechte haben als der Adoptivsohn von Madonna, nur weil er nicht so süß ist? Und ist der Brand des Amazonas-Regenwaldes tatsächlich weniger Besorgnis erregend, wenn dabei keine süßen Tiere zu Schaden kommen? Ernsthaft?

Tatsache ist, es brennt nicht nur der Regenwald - wir alle sind gefordert, unsere Denk- und Lebensweise gründlich zu hinterfragen. Und zwar jetzt!

vousvoyez