Montag, 29. Oktober 2018

Plötzlich, eines Tages, wachst auf und merkst, du bist tot!

Der Urheber dieses Spruchs hat die Erfahrung inzwischen schon gemacht. Früher hatten wir in der Familie öfter so Sprüche, die sich um das Ableben drehten. Allerheiligen steht ja gerade unmittelbar vor der Tür. In meiner Kindheit verbrachten wir diesen Tag mit etwas, das wir "Gräberrallye" nannten und bei den meisten Familien üblich war: Wir besuchten die Gräber von Verwandten, von denen ich allerdings fast keinen kannte, und kauften hinterher gebratene Maroni von einem der allgegenwärtigen Standln. Das war für mich irgendwie der Beginn der Vorweihnachtszeit. Der erste Tod, an den ich mich erinnern kann, war der des älteren Bruders meines Vaters, der an Krebs starb, als ich etwa drei oder vier Jahre alt war. Ich erinnere mich noch daran, als mir mein Vater erklärte, dass er gestorben und im Himmel war - auf diese Weise erfuhr ich vom Tod. Als meine beiden jüngsten Nichten etwa gleich alt waren, machten sie die Erfahrung auf dieselbe Art - als mein Vater starb. Mir wurde erklärt, dass man nach dem Tod ein Engel wird und in den Himmel kommt. Man sprach auch oft von einer "Seele" - die ich mir ungefähr so wie eine Sehne vorstellte, wahrscheinlich wegen der Ähnlichkeit des Wortes. Meine Mutter erzählte mir später, sie habe sich die Seele immer wie einen viereckigen Kasten mit Füßen vorgestellt, der vor der Beichte schwarz und hinterher weiß war. Ich wurde älter, und die kindlich-naive Vorstellung eines Himmelreiches verflüchtigte sich etwa zu der Zeit, als ich erfuhr, dass die Weihnachtsgeschenke nicht vom Christkind gebracht werden.

Uns Österreichern wird ja oft nachgesagt, wir seien nahezu vernarrt in den Tod und hätten ein Faible fürs Morbide. Das hat zwar einen wahren Kern, aber ich denke, das kommt vor allem von all jenen, die gerne ganz Österreich mit Wien verwechseln. Die Wiener haben tatsächlich ein besonders inniges Verhältnis zum Tod - auch wenn der Schriftsteller Thomas Bernhard Salzburg als die morbideste Stadt bezeichnete. Das ist aber auch verständlich, wenn man seine Geschichte betrachtet - er ist teilweise dort aufgewachsen und als Jugendlicher beinahe an einer Lungenkrankheit gestorben. Aber ich muss zugeben, auch mir fällt bei dem Gedanken, wo der Hauch des Todes am ehesten zu spüren ist, auch als erstes Salzburg ein. Irgendwie kommt mir diese Stadt ein bisschen wie ein konservierter Leichnam vor. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich Wien eher von seiner "jungen" Seite kenne, wenn man das mal so sagen kann. Vielleicht auch, weil ich schon so ewig lang nicht mehr in Salzburg war, in Wien aber schon öfter. Und mein Besuch der Kapuzinergruft ist auch schon mindestens 25 Jahre her.

Aber ja, wenn man all die großen Geister der Kunst betrachtet, die schon in Wien lebten, so beschäftigten sich praktisch alle irgendwann einmal mit dem Tod. Die typischen Wiener Lieder handeln auch hauptsächlich davon, und ich kenne keine sprachliche Varietät, die so viele Synonyme für den Begriff "sterben" verwendet.

A Bankl reißen bedeutet wörtlich "eine Sitzbank umwerfen" und stammt aus dem Rotwelschen, der Sprache der Fahrenden, der Vagabunden, Bettler und Kleinkriminellen. Wer tot umfällt, schmeißt oft auch die Bank mit um - sofern sie nicht, wie viele Parkbänke, festgeschraubt ist.

An Abgang machen heißt praktisch, von der Bühne des Lebens abzugehen. Wien war ja bekanntlich lange Zeit ein Zentrum der europäischen Kunst und Kultur - und erfreut sich auch heute noch eines regen kulturellen Lebens. Ich glaube, es war Shakespeare, der die Welt zur Bühne und uns, ihre Bewohner, zu Schauspielern erklärte. Aber zumindest auf der Theaterbühne kann sich der zuvor Verstorbene noch einmal vor seinem Publikum verbeugen.

Auch derjenige, der die Patschen streckt, stirbt. In Österreich sagen wir zu Hausschuhen bzw. Pantoffeln "Patschen", und manche Fußbekleidung wird mit einem Schuhstrecker bzw. -spanner versehen, um nicht die Form zu verlieren. Für Patschen ist das zwar eher unüblich, kann aber durchaus sein. Wenn einer stirbt, braucht er seine Patschen nicht mehr, so dass diese für immer auf dem Schuhstrecker gespannt bleiben.

Wenn man tot und begraben ist, also unter der Erde liegt, schaut man sich die Erdäpfel oder vielleicht auch die Radieschen von unten an. In Österreich heißen Kartoffeln Erdäpfel - gleich wie das französische pommes de terre. Ein Berliner Kabarettist, der sich "der Tod" nennt, immer mit Kutte und Sense auf die Bühne geht und sozusagen PR fürs Sterben macht, zeigt gerne, wie harmlos die Radieschen von unten aussehen. Die heißen in Österreich gleich wie in Deutschland. Aber auch das Wort "Kartoffel" setzt sich neben den guten alten "Erdäpfeln" immer mehr durch.

Bevor man begraben wird, haut man sich ins Holzpyjama. Der Holzpyjama ist der Sarg - wobei man sich, ähnlich wie beim Radio, nicht einig ist, ob es "der" oder "das Pyjama" heißt. Zu Anziehen sagt man manchmal auch "sich in's G'wand hauen". Und wenn man im Sarg liegt, hat man sich also eben den Holzpyjama angezogen.

Aber ehe man das macht, muss man bekanntermaßen erstmal den Löffel abgeben, hinlegen oder weghauen. Dieser Ausdruck stammt übrigens aus dem Mittelalter, als das Arme-Leute-Essen üblicherweise aus Brei bestand und überdies außer mit dem Löffel hauptsächlich mit den Händen gegessen wurde - wie es in afrikanischen Ländern bis heute üblich ist. Viele Löffel waren damals selbst geschnitzt, und da das Essen lebensnotwendig ist, ist das Hinlegen oder Weghauen gleichbedeutend mit dem Ableben; wenn der Löffel wiederverwendet wurde, hatte man ihn mit seinem Sterben abgegeben.

Sobald man das getan hat, stellt man die Bock auf. Die Wiener nennen die Schuhe gern "Bock", und wenn jemand in Schuhen gestorben ist und tot daliegt, berühren deren Sohlen nicht mehr den Boden, sondern stehen senkrecht.

Und sobald sie senkrecht stehen, hat man sich die Schleif'n geben; gemeint ist die Schleife, die den Kranz auf dem Grab ziert, wenn jemand frisch verstorben ist. Beliebt sind ja auch Sinnsprüche in altdeutscher Schrift - oder ist das nur so bei Soldaten, die im Krieg gefallen sind?

Einer der liebsten Ausdrücke meiner Mutter ist er ist umg'standen. "Umstehen" heißt eigentlich verderben, man kann es aber auch so interpretieren, dass derjenige im obersten Stock angekommen ist - das ja bekanntlich das Himmelreich ist. Dann hat er es auch umebog'n, also hinter sich gebracht, gemeint ist das Leben. Letzterer Ausdruck kommt übrigens aus dem Bereich der Küferei, also der Fassbinderei; dies war Schwerstarbeit, da die eisernen Reifen mit schweren Zangen umgebogen werden mussten.

Wenn sich jemand den Holzpyjama anzieht, muss er außerdem noch nachschauen, ob der Deckel passt. Gemeint ist hier natürlich der Deckel vom Grab. Ich erinnere mich übrigens noch daran, dass der Deckel des gewaltigen Sarges der Kaiserin Maria Theresia in der Kapuzinergruft so aussah, als ob er einen Spalt breit offen sei. Dies ist übrigens nicht nur mir aufgefallen. Also hat sie wohl nicht nachgeschaut, ob der Deckel passt. Sobald er aber passt, lasst ma si abe, man lässt sich hinunter; gemeint ist hier, dass der Sarg in die Grube hinuntergelassen wird.

Ist es einmal so weit, so wird man vom Banernen g'hoit. Nein, das ist kein Schreibfehler; gemeint ist nicht die gelbe Südfrucht, sondern der "Beinerne", also der Tod. Knochen werden in Wien gern als "Baana", also "Beine", bezeichnet, das kommt von "Gebein", und bekanntlich wird der Tod ja gerne als Skelett dargestellt, natürlich oft mit schwarzer Kutte und Sense.

Eine beliebte Redewendung ist auch der Ausdruck mit'm Anasiebz'ger fahr'n. Die Straßenbahnlinie 71 führt in Wien direkt zum Zentralfriedhof. Demzufolge würde man in meiner Stadt wohl mit dem Neununddreißiger fahren - auch wenn das keiner sagt. Und den Großteil meiner Familie kann ich nur mit dem Siebener besuchen.

Wie ihr seht, ist die Sprache unserer Bundeshauptstadt äußerst vielfältig und kreativ - besonders wenn es darum geht, sich "niedazuleg'n". Nicht umsonst heißt es: "Der Tod muss ein Wiener sein". Ich hoffe nur, er kommt nicht eines Tages zu mir und sagt "He, Oide! Zeit, dass 'd an Löffel abgibst!" Das wäre wohl zu viel des guten. Was nachher passiert - keine Ahnung. Es gibt eine Menge Leute, die glauben, es zu wissen, aber sie glauben es eben nur und wissen es nicht. Deswegen zu jammern, hat auch keinen Sinn, denn ändern kann man es nicht - der Tod ist wohl der größte Gleichmacher im Leben, und das hat auch was Beruhigendes. Außer für Woody Allen, der ja bekanntlich die Unsterblichkeit nicht durch sein Werk erlangen will, sondern dadurch, dass er nicht stirbt. Da seine Eltern mit über hundert geworden sind, kann es durchaus sein, dass auch er so lange lebt. Wir werden ja sehen.

Wir sehen uns ganz bestimmt wieder, bevor einer von uns die Patschen streckt. Das Leben hält noch so viel bereit. In diesem Sinne, bon voyage!

vousvoyez

Zum Ausklingen noch ein echtes Wienerlied, das mich zu diesem Artikel inspiriert hat: https://www.youtube.com/watch?v=L7O1TomcTOg

Donnerstag, 25. Oktober 2018

Du sollst keine Türen bumsen

Ein Auszug aus den 10 Geboten einer von mir und einem Kollegen gegründeten Alternativ-Religion. Die allerdings schon längst der Vergangenheit angehört - man sollte eben nicht zu flexibel sein, jobmäßig. Stattdessen sollte man an etwas glauben, um die Moral zu stärken. Und vielen sind die Weltreligionen eben nicht genug. Manche bauen da lieber auf das haarsträubende Geschwurbel die hochvernünftigen Ansichten diverser Verschwörungstheoretiker Wahrheitssuchender.

Jaja, ich weiß, das Schwurbelthema hatten wir schon mal. Ich hatte auch nicht wirklich vor, es wieder zu beleben. Wie viele von uns jedoch wissen, wird aktuell gegen die österreichischen Staatsverweigerer der Prozess geführt - ein Thema, das ich bereits angerissen habe -, und überdies rückt die Preisverleihung für den goldenen Aluhut 2018 näher. Außerdem öffnet die einmalige Beschäftigung mit all dem Blödsinn den alternativen Ansichten derer, die sich als "Truther" betiteln, Tür und Tor zur literarischen Unterwelt des World Wide Web. Leider findet man da nicht nur lustige Geschichten, sondern auch Ansichten, die höchst bedenklich, teilweise sogar gefährlich sind (zur Erinnerung - auch der Holocaust und die Hexenprozesse basierten auf Verschwörungstheorien). Und unglücklicherweise haben diese Ideen oft auch noch Anhänger, die felsenfest von deren Richtigkeit überzeugt sind. Nicht nur das - manche Verschwörungs-Blogs wecken in mir die Vermutung, dass ihre Ersteller an einer schweren psychischen Erkrankung leiden, die nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch andere in Mitleidenschaft ziehen könnte (ein Herr "belegte" seine Behauptung, vom System - wen auch immer er damit gemeint haben könnte - gefoltert zu werden, indem er Fotos von diversen Körperteilen, einschließlich unterhalb der Gürtellinie, in seinem Blog zur Schau stellte. Aus Rücksicht auf die psychische Gesundheit meiner Leser verlinke ich diese Website lieber nicht). Von solchen Ergüssen lässt man lieber die Finger, wenn man nicht gerade vorhat, die nächste Mahlzeit auszulassen.

Aber ich möchte mich nicht allzu tief in das tragische Labyrinth von Holocaust-Leugnern und MMS-Schluckern begeben. Das Leben ist auch so schon kompliziert genug - wenn ihr euch informieren wollt, kann ich euch genügend Links anbieten. Ich muss schließlich auch auf meine psychische Gesundheit achten - und auf meine physische, denn ich kann nicht pausenlos meinen Kopf gegen die Wand donnern. Trotzdem möchte ich noch auf ein paar idiotische Behauptungen harte Fakten der Truther-Gemeinde eingehen. Man könnte meinen, nach der flachen Erde und den Reptiloiden könnte es nicht mehr schlimmer kommen. Irrtum, Sirs and Ladies, Irrtum! Es geht immer NOCH abstruser vernünftiger!

Ja, wir werden in vieler Hinsicht getäuscht und belogen. Geheime Mächte, die so geheim sind, dass nur die Rige der Intelligenzverweigerer intellektuelle Elite der Verschwörungsaufdecker von ihnen weiß, so geheim, dass man ihre Existenz weder beweisen noch wiederlegen kann (wie praktisch!) fällt nichts Besseres ein, als uns rund um die Uhr zu belügen und uns vom Kindergarten an mit falschem Wissen zu indoktrinieren. So wird uns sogar weisgemacht, dass ganze Landmassen existieren, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt! Was "die Mächtigen" davon haben, wird allerdings nicht erklärt.
Die Rede ist von Finnland. Ja, ihr habt richtig gehört, es geht um ein nordeuropäisches Land, das fast so groß ist wie Deutschland. Dieses soll nämlich angeblich gar nicht existieren - dort, wo es sein soll, so die Theorie, befinde sich lediglich die Ostsee. Erkläre das mal den 5,5 Millionen Finnen!

Diese Verschwörungsideologie war ursprünglich als Witz gemeint. Derjenige, der diese Behauptung in die Welt setzte, hat nie ernsthaft daran geglaubt. Dennoch gab es Leute, die dem Schreiber auf dem Leim gingen, und so bildete sich eine Splittergruppe aus Aufgewachten, die tatsächlich glauben, Finnland existiere nicht. Diese behaupten, dass dieses Land nach dem Ersten Weltkrieg von den Japanern und den Russen erfunden wurde, damit sie dort ungestört fischen konnten. Die gefangenen Fische würden dann mit der Transsibirischen Eisenbahn, getarnt als Nokia-Produkte, nach Japan transferiert. Die Menschen, die glauben, Finnen zu sein, kämen in Wahrheit aus Ostschweden, Westrussland und dem nördlichen Estland - die finnische Hauptstadt Helsinki liege in Wahrheit im östlichen Schweden! Im Laufe der nächsten hundert Jahre sei das nicht existente Finnland dann - da es in den Bereichen Bildung und Alphabetisierung, medizinische Versorgung, Gleichstellung, Stabilität, Unbestechlichkeit und Pressefreiheit Spitzenpositionen einnimmt - zu einer Art Utopie geworden, einem Ideal, nach dem alle anderen europäischen Ländern streben sollten. Ein weiterer "Beweis" der Finnland-existiert-nicht-Theorie ist übrigens auch der Umstand, dass es keine universal bekannten Prominenten gibt, die aus diesem Land kommen.

Übrigens: Der Initiator dieser Verschwörungstheorie amüsiert sich bis heute königlich über all die Dummköpfe, die ihm auf den Leim gegangen sind. Ist ja auch ein starkes Stück, die Existenz eines ganzen Landes vollkommen zu negieren. Aber wie der eine oder andere, der meinen Blog nicht erst seit heute kennt, wahrscheinlich noch weiß, habe ich bereits früher erklärt, dass auch Theorien noch Zulauf erfahren, die eigentlich schon längst widerlegt sind - es gibt auch immer noch Leute, die glauben, Blair Witch Project sei echt, obwohl die Macher dieses Films schon längst zugegeben haben, dass diese Behauptung nur ein PR-Gag gewesen sei. Vielleicht schreibe ich auch mal über PR-Gags für Horrorfilme - ich kenne da einige gute. Aber nun weiter.

Wer nun tatsächlich glaubt, der Zenit des Abstrusen sei nun erreicht, der irrt. Jaja, liebe Leute, die Unterwelt ist tief! Und wer sich bereits mit dummen, leicht widerlegbaren Behauptungen alternativen Fakten beschäftigt hat, dem wird vielleicht nicht entgangen sein, dass die NASA in Wirklichkeit nur dazu da ist, um der Menschheit Lügen aufzutischen - sei es die flache Erde, die gefakte Mondlandung oder die zweite Sonne. Ja, ihr habt richtig gehört, die NASA verheimlicht uns eine zweite Sonne!

Nun ist es so, dass die Hypothese einer zweiten Sonne, genannt Nemesis, keineswegs so abstrus ist, wie sie zu sein scheint - laut neuerer astronomischer Erkenntnisse treten sonnenähnliche Sterne in der Regel tatsächlich paarweise auf. Man geht jedoch davon aus, dass der mögliche Begleitstern der Sonne deren System bereits so weit verlassen hat, dass man ihm seinem ursprünglichen Stern nicht mehr zuordnen könnte. Da ich keine Astronomin bin, will ich auf diese Idee nicht weiter eingehen - im Internet steht ohnehin genug darüber. Nun gibt es aber Leute, die behaupten, die NASA verheimliche uns diese zweite Sonne absichtlich - angeblich, weil sich hinter dieser ein zweiter Planet befinde, der irgendwann mit der Erde kollidieren soll. Wie man eine zweite Sonne verheimlicht? Angeblich durch einen Spiegel - trotzdem klingt diese Geschichte extrem an den Haaren herbeigezogen. Nun gut.

Als ob das noch nicht genug wäre, gibt es immer wieder Leute, die es wagen, die Fähigkeiten unserer klügsten Köpfe in Zweifel zu ziehen. Ich habe ja bereits darüber berichtet, dass es immer wieder Fans gibt, die den Tod ihrer Idole nicht wahrhaben wollen und deswegen behaupten, sie hätten diesen nur vorgetäuscht. Aber nicht nur das - es gibt sogar Menschen, die behaupten, der kürzlich verstorbene Stephen Hawking, ein leuchtendes Beispiel dafür, dass man trotz widriger Umstände noch Unglaubliches erreichen kann, sei in Wirklichkeit gar kein Genie gewesen. Statt dessen sei er die Geisel jenes Computers gewesen, der ihm die Fortbewegung und das Sprechen ermöglichte - in Wirklichkeit sei nämlich dieser der Urheber all seiner genialen Ideen gewesen. Da der Computer den Wunsch hatte, von der Gesellschaft anerkannt zu werden, bediente er sich Hawkings Körper. Nein, Leute, ihr seid nicht allein mit dem Gedanken, dass diese Theorie an Frevel grenzt - lässt sie doch außer Acht, dass Hawking bereits ein Genie war, bevor er erkrankte, und dass ihn die Krankheit auch, bevor er seine Fähigkeit zu sprechen verlor, in keiner Weise intellektuell beeinträchtigte. Deswegen möchte ich dieses Thema auch nicht allzu sehr vertiefen - es soll nicht mehr sein als ein Beispiel dafür, an was für komische Sachen manche Menschen glauben.

Im Jahr 1994 schlugen Wissenschaftler aus Ohio die Entwicklung einer so genannten "Gay Bomb", auch "Sex Bomb" genannt, vor. Diese sollte feindliche Soldaten in wollüstige Ekstase versetzen, wodurch sie dazu gezwungen wären, miteinander körperliche Handlungen zu vollziehen, woraufhin man sie leicht hätte überwältigen können. Diese Idee kam über ein Gedankenexperiment nie hinaus, lieferte aber den Nährboden für eine weitere Verschwörungsthese, die von niemand Geringerem als Alex Jones verbreitet wurde. Der Amerikaner Alex Jones betreibt eine tägliche Radiosendung, eine Website und einen internetbasierten Fernsehsender; seine Inhalte sind eher umstritten, da sie aus Verschwörungsthesen bestehen, die häufig rassistisch, sexistisch oder sonst irgendwie bedenklich sind. Viele Internet-Anbieter von YouTube bis YouPorn haben seine Accounts deswegen inzwischen gesperrt. Seine bekannteste Verschwörungsthese ist jedoch die der "Gay Bomb" - ihm zufolge existiere diese wirklich und werde auch eingesetzt mit dem Ziel, alle Männer schwul zu machen. Dies sei auch der Grund, warum es heute viel mehr Homosexuelle gäbe als früher - und nicht etwa, weil man endlich aufgehört hat, Homosexuelle an den Rand der Gesellschaft zu drängen und ihre Neigung zu kriminalisieren. Ziel sei es wieder einmal, die menschliche Bevölkerung zu reduzieren - wie könnte es auch anders sein. Ein unerwünschter Nebeneffekt sei allerdings, dass die Substanz, die die "Gay Bomb" freisetze, bereits ins Wasser gelangt sei und die Frösche schwul mache. (Man merkt es ganz besonders im südamerikanischen Regenwald - da gibt es ja bereits viele lustig bunte Frösche. Die sind wahrscheinlich alle schwul.) Offensichtlich stützte sich Jones bei seiner Aussage auf eine Studie der Berkeley-Universität, die darauf hinwies, dass ein weit verbreitetes Pestizid bei Fröschen zu einem Geschlechtswechsel führen kann. Was aber nicht dasselbe ist wie der Wechsel der sexuellen Orientierung. Tatsache ist jedoch, dass Jones seine Anhänger hat - sein Redestil ist so leidenschaftlich und emotional, wie es viele Amerikaner nun mal gern mögen.

Zum Schluss noch eine Verschwörungsideologie aus der Popkultur - gerade die haben es mir nämlich angetan. Diese Geschichte ist tatsächlich äußerst populär, wird aber heutzutage, denke ich, nur noch von wenigen geglaubt. Trotzdem erfreute sie sich eine Zeitlang großen Zulaufs - die Rede ist von der "Paul-is-dead"-Theorie.

Die Beatles sind bis heute wohl neben den Rolling Stones die erfolgreichste und populärste Band aller Zeiten - haben sie doch ein ganzes Jahrzehnt maßgeblich geprägt. Da sie jedoch Ende der 1960er Jahre auseinander gingen und John Lennons Tod den Traum einer Wiedervereinigung für immer zerstörte, ranken sich wohl weitaus mehr Mythen und Legenden um sie als um ihre musikalischen Gegenspieler. Und einer dieser Mythen ist, dass Paul McCartney schon vor ihrer Trennung gestorben ist.

Diese Behauptung geht auf einen satirischen Artikel der Campus-Zeitung der University of Michigan aus dem Jahr 1969 zurück, in dem stand, McCartney sei drei Jahre zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen und werde seitdem durch ein Double ersetzt. Diese Theorie wurde durch einen Radiosender aus Detroit verbreitet, und wie es halt so ist, fanden sich bald Fans, die sie ernst nahmen und begannen, in den Werken der Beatles nach "Beweisen" für Pauls Tod zu suchen - auf Plattencovers, in Songtexten, in McCartneys Biographie. Das Cover des Albums Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band wurde als Darstellung einer Trauerfeier interpretiert, das Cover von Abbey Road als Trauerzug, John Lennon sagt am Schluss von Strawberry Fields Forever angeblich "I buried Paul" (in Wirklichkeit sagt er "cranberry sauce") und dass McCartney sich 1968 von seiner langjährigen Freundin Jane Asher trennte und nur wenig später Linda Eastman heiratete, lag angeblich daran, dass sein Double sich nicht mit Asher verstand.

Wie man sich denken kann, amüsiert sich Paul McCartney bis heute königlich über diese Theorie, die noch einmal wiederbelebt wurde, als 2007 eine 46jährige Deutsche behauptete, sie sei seine leibliche Tochter - der Vaterschaftstest fiel jedoch negativ aus. Er veröffentlichte 1993 sogar ein Live-Album mit dem Titel Paul Is Dead. Es gibt übrigens noch eine andere Geschichte, die im Gegenteil behauptet, alle Beatles außer Paul seien 1966 gestorben - was daran festgemacht wurde, dass das Aussehen der Bandmitglieder sich von 1966 auf 1967 stark veränderte. Klar, sie ließen sich die Haare und die Bärte wachsen, und John Lennon trug eine Brille und war deutlich dünner geworden - aber ja, natürlich kann das alles überhaupt gar nie passieren, Menschen sehen ihr Leben lang immer total gleich aus. Ich bilde mir wahrscheinlich auch nur ein, dass ich früher dünner war und dass ich als Kind kurze Haare hatte.

Okay, das waren all die seltsamen Geschichten hochwissenschaftlichen Erkenntnisse, die mir in letzter Zeit so begegnet sind. Ich kann nicht sagen, ob ich meinen Aluhut noch einmal aufsetzen werde. Ich habe eigentlich noch ein paar ganz andere Ideen und halbfertige Artikel am Start. Ich hoffe, ihr seid dann wieder mit dabei.

vousvoyez

Finnland existiert nicht: https://www.vice.com/de/article/8qgeqa/bielefeld-war-gestern-dieser-typ-hat-das-internet-davon-berzeugt-dass-es-finnland-gar-nicht-gibt

Ein paar widerlegte Theorien von Alex Jones: https://www.forbes.com/sites/brucelee/2018/08/16/alex-jones-top-10-health-claims-and-why-they-are-wrong/#52144e673e7f

Wikipedia ist zwar nicht immer zuverlässig, hilft aber tatsächlich manchmal weiter! Zumindest wenn man etwas zum ersten Mal hört.


Dienstag, 16. Oktober 2018

Warum haben die Amerikaner so ein großes Klo? - Weil sie so einen fetten Hintern haben.

(c) vousvoyez
Der Moment, wenn du begreifst, wie schwierig es ist, gute Witze selbst zu erfinden. Zumal die mündlich tradierten Witze sich ja oftmals verändern - wie jeder weiß, der schon einmal versucht hat, einen Witz durch Zugaben zu verändern. Dennoch haben mir meine schlechten Amerikaner-Witze eine Freundschaft beschert, die schon mehr als zwanzig Jahre Bestand hat - also waren sie wohl doch zu etwas gut. Obwohl diese Freundin damals nur über meine Witze gelacht hat, weil sie mich nicht bloßstellen wollte - während ich mich ständig fragte, wie sie die nur witzig finden konnte.

Als ich ein Kind war, konnte ich mich lange nicht damit abfinden, ein Mädchen zu sein. Nicht, weil ich mich im falschen Körper fühlte, sondern weil ich alles schrecklich fand, was man allgemein als mädchenhaft ansieht - ich mochte keine Kleider tragen, wollte meine Haare nicht wachsen lassen, spielte nicht mit Puppen und verabscheute Rosa (ich hasse diese Farbe bis heute). Dies ging bis in die Volksschulzeit hinein, die ich zu meinem Leidwesen auch noch in einer reinen Mädchenschule verbringen musste. Dennoch begann ich damals, mich allmählich zu verändern, und nach und nach entwickelte ich auch Interessen, die durchaus als mädchenhaft eingestuft werden könnten. So hatte auch ich eine Phase, in der ich mich für Pferde interessierte. Ich las alles über sie, hatte eine Sammlung von Spielzeugpferden, und mein sehnlichster Wunsch war damals natürlich ein eigenes Pferd. Eine Zeit lang nahm ich sogar Reitunterricht. Ich hörte jedoch damit auf, als ich in die Pubertät kam und Jungs und Musik wichtiger wurden - so wie viele. Plötzlich kamen mir die Mädchen albern vor, die nur an Pferde dachten und über Pferde redeten. Ich war ohnehin nie eine gute Reiterin, aber in der Zeit, als ich regelmäßig reiten ging, lernte ich drei Arten von Menschen kennen, denen man begegnet, wenn man sich für diesen Sport interessiert und gerne damit anfangen möchte.

Da sind zum einen die erfahrenen Reiter, die möglicherweise sogar beruflich mit Pferden zu tun haben. Diese kennen sich natürlich aus und können einem die besten Ratschläge geben, wie und wo man anfängt, was man beachten muss und welches Pferd für Anfänger am besten geeignet ist. Die zweite Kategorie sind jene, die durchaus schon geritten sind (und damit meine ich WIRKLICH geritten, nicht die, die einmal auf einem Pferd spazierengeführt wurden), die aber weit weniger erfahren sind. Diese können dir zwar auch ein paar Tipps geben, raten dir aber, dich mit jemandem in Verbindung zu setzen, der sich etwas besser auskennt - sie können ihre Kompetenz also ziemlich genau einschätzen. Und dann gibt es noch die dritte Kategorie - das sind jene, die noch nie in ihrem Leben auf einem Pferd gesessen, wahrscheinlich noch nie einen Stall von innen gesehen und möglicherweise sogar Schwierigkeiten dabei haben, ein Pferd von einer Kuh zu unterscheiden. Die weit verbreitete Meinung bei jenen "Experten" ist, dass Reiten ja überhaupt kein Sport ist - schließlich lässt man sich ja nur von einem Pferd in der Gegend herumtragen. Diesen Menschen ist überhaupt nicht klar, dass sie keine Ahnung haben - statt dessen erklären sie dir, dass das eh total einfach ist, da du ja ohnehin nur auf einem Pferd sitzen musst, vielleicht musst du ab und zu auch am Zügel ziehen oder die Schenkel zusammendrücken. Bei diesen Menschen nützt es überhaupt nichts, zu erklären, dass man neben einer inneren Ausgeglichenheit - denn Pferde sind sehr sensible Tiere - auch ein gutes Gleichgewichtsgefühl braucht (denn man muss sich ja auf die Bewegungen des Pferdes einstellen), und es auch keine schlechte Idee ist, als Reiter an seiner Kraft und Ausdauer zu arbeiten. Auch das Argument, dass dann auch Fahrradfahren und Autorennen kein Sport ist - denn da sitzt man ja auch - wird wohl nicht allzu viel bringen. Sie können es sich einfach nicht vorstellen und bleiben deshalb bei dem, was sie glauben - was leicht aussieht, muss ja auch leicht sein, oder? Bezeichnend ist übrigens, dass kaum einer dieser "Experten" sich jemals auf ein Pferd setzen würde.

Diese "Spezialisten" sind der lebende Beweis für den Dunning-Kruger-Effekt. Manche nehmen als Vergleich auch gern bestimmte Verschwörungsideologen und haben damit auch recht - da ja viele denken, sie wüssten nach zwei Wochen Internet-Surfen schon mehr als jemand, der sich über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg mit derselben Materie befasst hat. Nun, was ist der Dunning-Kruger-Effekt?

Der Begriff stammt aus der Populärwissenschaft und geht auf eine Publikation des US-amerikanischen Psychologieprofessors David Dunning und seines Studenten Justin Kruger aus dem Jahr 1999 zurück, die nach einer Reihe von Studien an der Universität von Cornell zu dem Ergebnis kamen, dass gerade Personen, die in einem Bereich inkompetent sind, eher dazu neigen, ihr Wissen und Können zu über- und das kompetenterer Personen zu unterschätzen. Also im Falle meines Beispiels: Leute, die noch nie geritten sind, glauben oft, besser als der beste Reiter zu wissen, ob Reiten Sport ist oder nicht. So fanden auch Dunning und Kruger mittels eines Experiments heraus, dass gerade diejenigen, die sich für besonders kompetent hielten, schlechter abschnitten als die, die ihre Fähigkeiten nicht ganz so hoch einschätzten. Wir kennen ja nicht nur von den "Reitexperten" die Neigung, besonders selbstbewusst aufzutreten, wenn man von einer bestimmten Materie wenig bis gar keine Ahnung hat.

Was aber nicht heißen soll, dass alle Menschen, die ihre Kompetenz überschätzen, besonders dumm sind. Die Selbstkritischeren unter meinen Lesern mögen sich wahrscheinlich reuevoll eingestehen, dass sie so etwas auch schon bei sich selbst beobachtet haben. Und ich kann euch versichern: Ich bei mir auch. Denn keiner kann von sich behaupten, nicht auch schon einmal "Opfer" dieser kognitiven Verzerrung gewesen zu sein. Besonders wenn man jung und unerfahren ist, neigt man dazu, sein Wissen bzw. seine Fähigkeiten höher einzuschätzen, als sie in Wirklichkeit sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf dieser Welt auch nur einen Menschen gibt, der sein ganzes Leben lang permanent nur sein Licht unter den Scheffel gestellt und sich überhaupt gar nie auch mal überschätzt hat. Der Unterschied ist aber, ob man bereit ist, sich selbst zu hinterfragen und Fehler einzugestehen, oder ob man auf seinem Nichtwissen beharrt und Einwände nicht zulässt. Und auch, ob man auf die Kompetenz von Menschen vertraut, die es ganz offensichtlich besser wissen als man selbst, oder ob man sich für kompetenter hält. Leider gibt es von der zweiten Kategorie nach wie vor viel zu viele, und die fallen besonders im Internet auf, wo praktisch jeder posten kann, was er will und wo nicht immer so klar ist, wer Ahnung hat und wer nicht. Wenn man sich da nicht gründlich informiert, kann man auch schon mal ganz schön danebenliegen - weshalb ich Informationen für diesen Blog in der Regel doppelt und dreifach überprüfe, und selbst da können Fehler passieren, egal, wie vertrauenswürdig die Quelle ist.

Fazit: Wir lernen durch Erfahrung, müssen uns aber immer wieder selbst hinterfragen. Und das ist es ja auch, was die Wissenschaft tut - im Gegensatz zur Ideologie, die ihre Behauptungen für unantastbar hält. Leider müssen wir die einfachen, bequemen Wege ab und an verlassen, wenn wir unsere Kompetenzen steigern wollen. Und wir müssen irgendwann verstehen lernen, dass wir nicht allein auf der Welt sind.

vousvoyez

Freitag, 12. Oktober 2018

Du spielst immer nur Blödmann und seine Gaxis!

(c) vousvoyez
Das Argument eines Kindes, das sich beim Spielen mit einem anderen Kind nicht einig ist. Ein paar Jahre später habe ich mit einem dieser beiden Kinder je ein Bilderbuch mit dem Titel Blödmann und seine Gaxis gezeichnet. Diese beiden Kinder sind inzwischen natürlich schon längst erwachsen. Ich habe sie erst neulich wieder gesehen.

Als Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene waren wir fast jedes Jahr miteinander auf Urlaub - und zwar fuhren wir in den ersten beiden August-Wochen immer an den Weißensee, wo wir im Laufe der Jahre auch jährlich andere Freunde trafen. Zu Beginn der Pubertät wurde der Soundtrack unserer Urlaube sehr von der Bravo-Hits-Compilation geprägt - in der Zeit vor YouTube und Spotify war man gezwungen, ganze CDs zu kaufen, wenn man ein Lied, das einem gerade gefiel, immer wieder hören wollte. Es sei denn, man machte sich die Mühe, sie vom Radio auf Kassette aufzunehmen - eine Praxis, die Ende der Neunziger jedoch allmählich aus der Mode kam. Einen Sommer lang waren die Bravo Hits 13 sehr angesagt, eine Sammlung von unvergesslichen Songs wie Coco Jambo, Sexy Eyes und Piep, piep, kleiner Satellit. In den Jahren danach stritt ich mit meinen Freunden allerdings häufig darüber, in welchem Sommer wir diese CD gehört haben. Ich war immer der festen Überzeugung, dass sie uns im August 1996 begleitete. Meine Freunde wiederum behaupteten, es sei bereits der Sommer 1995 gewesen - ihr Argument war, dass wir die CD angeblich mit einer Kinderbetreuerin gehört haben, die damals dort arbeitete. Ich habe mich kürzlich informiert - die Bravo Hits 13 kamen im Mai 1996 heraus. Was natürlich bedeutet, dass wir sie nie mit der erwähnten Kindergärtnerin hörten, da diese im Sommer 1996 gar nicht mehr am Weißensee arbeitete.

Diese kleine Geschichte ist ein amüsantes Beispiel für ein im Internet gehyptes Phänomen, mit dem ich mich in diesem Artikel beschäftigen will. Dieses Phänomen wird wissenschaftlich "Konfabulation" genannt, bekannt ist es aber unter dem Namen "Mandela-Effekt". Der Name geht auf den südafrikanischen Aktivisten und Politiker Nelson Mandela zurück. Als dieser im Jahr 2013 im Alter von 95 Jahren verstarb, herrschte Verwirrung; einige Jahre zuvor waren sich einige nämlich in einer Diskussion darüber einig gewesen, dass dieser bereits in den achtziger Jahren im Gefängnis verstorben sein soll - man wollte sich sogar detailliert an das damalige, im Fernsehen übertragene Begräbnis erinnern.

Jeder von uns kennt die Erfahrung, dass sich Erinnerungen nach Überprüfung der Fakten oft als falsch herausstellen. Der Mandela-Efffekt meint das falsche Erinnern einer ganzen Gruppe. Dies kann schon anhand kleiner Beispiele gezeigt werden: Das berühmte Star-Wars-Zitat "Luke, I'm your father" ist beispielsweise falsch, in Wirklichkeit heißt es "No, I'm your father", das beliebte gelbe Pokémon Pikachu hat keine schwarze Schwanzspitze, wie manche glauben, der Monopoly-Mann trägt kein Monokel und ein bekannter Song von Queen endet nur mit "we are the champions" ohne "of the world". Trotzdem bilden sich viele ein, dass es so ist. Unheimlich, oder?

Zu dem Mandela-Effekt gibt es natürlich zahlreiche Theorien; beliebt ist jene, nach der diese Erinnerungen aus einer Parallelwelt stammen, innerhalb derer sie tatsächlich wahr sind. Die Theorie der Parallelwelten ist zwar umstritten, aber keineswegs so unwissenschaftlich, wie sie klingt; sie entstammt der Quantenphysik und dient dazu, Paradoxien zu erklären, beispielsweise die Frage nach Schrödingers Katze. Dies bedeutet allerdings nicht, dass man die Parallelwelt-Theorie beliebig auf alle Lebensbereiche anwenden kann, zumal man sie weder beweisen noch widerlegen kann und sich selbst die Quantenphysiker über ihren Wahrheitsgehalt uneinig sind.

Viel schlüssiger ist es, zu akzeptieren, dass unsere Erinnerung keineswegs so zuverlässig ist, wie wir glauben. Sie setzt sich aus visuellen, auditiven und olfaktorischen Elementen zusammen, außerdem ist sie sehr mit Gefühlen verbunden. Zudem vermischt sie sich unbewusst auch sehr gern mit unserer Phantasie. So entsteht Erinnerung aus verschiedenen Assoziationen, die sich jedoch lösen oder falsch verknüpft werden können, so dass beim Abruf dieser Erinnerung Fehler passieren können.

Aber wie erklärt sich, dass mehrere Personen beim Erinnern denselben Fehler machen? Nun ja, es gibt auch Erklärungsversuche, die weitaus schlüssiger klingen als die einer Parallelwelt. So gibt es beispielsweise das Phänomen der sozialen Verstärkung von Überzeugungen - je mehr Leute etwas glauben, desto mehr andere sind bereit, dies ebenfalls zu glauben. So bin ich gar nicht so überzeugt davon, dass die angeblichen Erinnerungen an Mandelas Begräbnis tatsächlich völlig unabhängig voneinander passierten - interessant wäre es gewesen, dabei zu sein, um herauszufinden, auf welche Weise diese "Erinnerung" zustande kam. Denn es ist ein Unterschied, ob man fragt "Wie war das?" oder ob man fragt "War das so und so?" In meiner Eingangsgeschichte fiel zum Beispiel der Satz "Erinnert ihr euch denn nicht, wie wir damals mit der Kathi immer die Bravo Hits 13 gehört haben?" Das ist was anderes, als wenn man beispielsweise fragt: "Mit wem haben wir die Bravo Hits 13 immer gehört?" Auf einmal taucht das Bild von Kathi auf, die ihren Körper zu Coco Jambo bewegt - ein Bild, das ausschließlich in der Phantasie existiert.

So kann man beim Mandela-Effekt auf die Memetik verweisen, eine Theorie des Evolutionsbiologen Richard Dawkins. Sie geht davon aus, dass Erinnerungen ("Memes") weitergegeben und dabei verändert werden können; so können sich bei der Weitergabe auch Fehler einschleichen. Wir waren uns darüber einig, dass die Bravo Hits 13 die beste Compilation dieser Reihe waren, gleichzeitig empfanden wir die Kindergärtnerin aus dem Jahr 1995 als die beste, die in unserer frühpubertären Zeit in dem Hotel, in dem sie angestellt war, arbeitete. So wurden zwei angenehme Erinnerungen miteinander verknüpft, und alle außer mir waren davon überzeugt, dass beide Ereignisse zur selben Zeit stattfanden. Ebenso macht die Memetik schlüssig, dass Erinnerungen oft schöner sind als die tatsächlichen Ereignisse - in unserem Fall ist die Erinnerung an all die schönen Sachen, die wir im Sommer 1995 gemacht haben, stärker als die Erinnerung an das schlechte Wetter in diesem Jahr.

Fazit: Der Gedanke an den Mandela-Effekt ist faszinierend und auch etwas gruselig - Letzteres aber auch nur auf den ersten Blick. Es gibt auf dieser Welt viele Dinge, sie sich nicht so einfach erklären lassen, aber viele sind doch eher auf Irrtümer unseres Gehirns zurückzuführen. Die Idee, dass wir in Wirklichkeit von einer unbekannten Realität beherrscht werden, hat was für sich, da wir immer wieder nach etwas Neuem Ausschau halten, um dem Alltagstrott entfliehen zu können, sie wird auch durch technisch immer ausgereiftere Filme wie die Matrix-Trilogie immer wieder zur Diskussion gestellt und letztendlich auch durch den Überfluss an Informationen, dem wir heutzutage ausgesetzt sind, immer weiter verbreitet. Aber gewisse Dinge lassen sich doch eher einfach erklären. Der Refrain von We Are The Champions endet immer mit "of the world", bis auf die letzte Wiederholung, bei der die letzten drei Worte ausgelassen werden - deswegen ist es gar nicht so unlogisch, dass wir uns an etwas anderes erinnern wollen. Pikachu hat schwarze Ohrenspitzen, deswegen gaukelt unser Sinn für Symmetrie uns vor, dass auch die Schwanzspitze schwarz ist. "Luke, I'm your father" klingt schlüssiger als "No, I'm your father", da das Falschzitat im Gegensatz zum richtigen keines Kontextes bedarf - jeder, selbst wenn er den Film nie gesehen hat (so wie ich), weiß, wovon die Rede ist. Der Bekleidungsstil des Monopoly-Mannes im Stil des reichen Onkels aus Amerika legt ein Monokel nahe, auch wenn er keines trägt.

Ja ja, ich weiß, ich neige dazu, spannende Geheimnisse zu enttarnen und großartige Geschichten furchtbar langweilig und alltäglich zu machen. Aber hat die Realität oder das, was wir als Realität wahrnehmen, denn absolut nichts Interessantes und Faszinierendes? Ich finde schon. Egal wie viele Geheimnisse wir aufdecken, es gibt doch ohnehin immer wieder neue. Beispielsweise ist das menschliche Gehirn keineswegs vollständig erforscht, und dies wird wohl in absehbarer Zeit auch nicht geschehen. Und wisst ihr was? Ich denke nicht, dass wir jemals ALLES wissen werden und dass es irgendwann einmal eine Welt ohne Wunder und Geheimnisse geben wird. Und das ist doch wohl auch schon spannend, oder?

vousvoyez

Donnerstag, 4. Oktober 2018

Wenn die Jazz Gitti im Fernsehen ist, kann die Welt ruhig untergehen

Ältere Leute haben ja manchmal Schwierigkeiten, mit dem Wandel der Zeit mitzuhalten - was ja auch normal ist. Und für meine Großmutter war die mollige Wiener Sängerin Jazz Gitti, die in den Achtzigern und Neunzigern sehr populär war, der Inbegriff der Volksverdummung. Wobei ich mir denke, es gab und gibt weitaus Schlimmeres - immerhin war ihre Sendung Tohuwabohu durchaus eine Bereicherung für die österreichische Fernsehlandschaft. Ich denke mir nicht, dass die Welt ruhig untergehen kann. Aber ich muss gestehen, dass ich manchmal an ihr verzweifle.

Vor einiger Zeit bekam ich ein amerikanisches Online-Video zugeschickt, das den Titel Save The Children trug. Darin wurden verzweifelt weinende und schreiende Kleinkinder von ihren Eltern gezwungen, Gemüse zu essen. Der Begleittext erklärte, dass Gemüse etwas ganz Widerliches sei und dass Kinder tagtäglich von ihren Eltern damit "gefoltert" würden. Das Ganze sollte witzig sein - und wurde mir auch so angepriesen. Nun bin ich ein Mensch, der guten Humor sehr zu schätzen weiß, aber ich fand weder das Video noch den Text dazu witzig. Mich machte das eher sauer.

Das erste, woran ich dachte, waren die Süßigkeiten-Werbespots, die es seit meiner Kindheit gibt und in denen Lebensmittel mit sehr viel Fett und Zucker als "gesund" angepriesen werden. Ich erinnerte mich speziell an einen Spot der Süßigkeitenmarke Nimm2, in dem eine Mutter darüber klagte, dass ihre Kinder sich weigern würden, Obst und Gemüse zu essen, begleitet von Aufnahmen, in denen gezeigt wurde, wie den Kindern ebendies angeboten wurde und sie sich angewidert abwandten. Zum Glück, erklärte die Mutter, gäbe es die Nimm2-Bonbons, durch die die Kinder ebenfalls ihre "wertvollen Vitamine" bekämen - plus einer Extra-Portion Zucker. Und dann an all die anderen Spots, die auch mich als Kind so beeindruckten - Kinder-Milchschnitte wurde mit "leicht und bekömmlich" als ideale Pausen-Mahlzeit für Schulkinder angepriesen, Kinder-Riegel enthielt die "Extra-Portion Milch", für die man "nie zu alt" sei, Fruchtzwerge waren "so wertvoll wie ein kleines Steak". Nicht zu vergessen jener legendäre Werbespot von etwa Mitte der Neunziger, in der die superschlanke Blondine ihrer etwas molligeren Freundin (die nicht wirklich mollig, sondern eher unvorteilhaft angezogen ist) beim Joggen erzählt, sie erhalte ihre Figur durch den Verzehr von Yogurette-Schokolade (ein Spot, den Michael Mittermeier ein paar Jahre später als "erste Bulimie-Werbung" bezeichnete). Und last but not least dürfen natürlich all die Fast-Food-Werbespots nicht fehlen, die, da Ehrlichkeit ja dem Geschäft schadet, von Models und Sportlern angepriesen werden.

Das zweite, was mir einfiel, war, dass mir eine Freundin einmal erzählte, sie möge kein Gemüse, weil ihre Eltern dies in ihrer Kindheit als Strafe eingesetzt hätten - sie habe es immer essen müssen, wenn sie schlimm gewesen sei. Gleichzeitig dachte ich an meinen Vater, der gerne rohes Gemüse aß, das er oft in kleine Stücke schnitt. Ich war ein richtiges "Papakind", und wenn ich sah, wie er Karotten, Tomaten oder Kohlrabi verzehrte, ging ich von selbst zu ihm und bekam dann auch was. Auch wenn Kinder eher für süße Lebensmittel zu haben sind und Gemüse eher bitter ist, gibt es doch Möglichkeiten, gesunde Ernährung auch schon in frühen Jahren attraktiv zu machen. Und ich erinnerte mich daran, als ich einst in Florida war und all die übergewichtigen Kinder bemerkte, die Imbissbuden wie McDonald's bevölkerten - und dass dieses Bild inzwischen auch hier in Europa bereits keine Seltenheit mehr ist.

Auf der anderen Seite wird uns von den Medien suggeriert, dass nur extreme Schlankheit als "schön" gelten kann - Frauen, die selbstbewusst ihre Kurven zeigen, werden da eher als außerhalb der Norm gehandhabt. Gleichzeitig ist man bei Formaten wie Germany's Next Topmodel dazu übergegangen, die Kandidatinnen mit fetthaltigen Lebensmitteln vor der Kamera hantieren zu lassen, um dem Vorwurf entgegenzuwirken, sie würden ihre Figur durch Hungern und Verzicht erhalten. Aber sind wir uns ehrlich - die meisten können diese unnatürliche Schlankheit nun mal nur mit eiserner Disziplin aufrecht erhalten, auch wenn ihnen teilweise auch ihr junges Alter entgegenkommt. Ich denke, man will mit dieser inszenierten Völlerei dem Vorwurf entgegenwirken, die Sendung fördere Essstörungen. Aber das große Fressen der Superdünnen täuscht eben nicht darüber hinweg, dass durchschnittlich gebaute Mädchen sich leicht minderwertig fühlen angesichts eines solchen Ideals - zumal selbst perfekt gebaute Models in Magazinen oft noch durch Photoshop noch perfekter gemacht werden.

Und während wir uns in den reichen, satten Ländern Sorgen um unsere Figur machen, verhungern Menschen in anderen Teilen der Welt, eine Tatsache, an der wir keineswegs unschuldig sind. Denn wir sind es, die jedes Jahr ein neues Smartphone haben müssen, wir sind es, die jeden Tag Fleisch essen wollen, wir sind es, die den Hals nicht vollkriegen, und wenn uns dies in Form von Flüchtlingsbooten vor Augen geführt wird, unterstellen wir deren Insassen Schmarotzertum und hätten am liebsten, dass sie mitsamt ihren Schlauchbooten absaufen würden, damit wir das Elend nicht sehen müssen, damit wir nicht zur Verantwortung gezogen werden, damit unsere Kinder weiterhin ihr widerliches Gemüse ausspucken können, ohne dass wir uns Gedanken um die Kinder anderer Leute machen müssen, für die ein solches Verhalten den Tod bedeuten könnte.

vousvoyez