Uns Österreichern wird ja oft nachgesagt, wir seien nahezu vernarrt in den Tod und hätten ein Faible fürs Morbide. Das hat zwar einen wahren Kern, aber ich denke, das kommt vor allem von all jenen, die gerne ganz Österreich mit Wien verwechseln. Die Wiener haben tatsächlich ein besonders inniges Verhältnis zum Tod - auch wenn der Schriftsteller Thomas Bernhard Salzburg als die morbideste Stadt bezeichnete. Das ist aber auch verständlich, wenn man seine Geschichte betrachtet - er ist teilweise dort aufgewachsen und als Jugendlicher beinahe an einer Lungenkrankheit gestorben. Aber ich muss zugeben, auch mir fällt bei dem Gedanken, wo der Hauch des Todes am ehesten zu spüren ist, auch als erstes Salzburg ein. Irgendwie kommt mir diese Stadt ein bisschen wie ein konservierter Leichnam vor. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich Wien eher von seiner "jungen" Seite kenne, wenn man das mal so sagen kann. Vielleicht auch, weil ich schon so ewig lang nicht mehr in Salzburg war, in Wien aber schon öfter. Und mein Besuch der Kapuzinergruft ist auch schon mindestens 25 Jahre her.
Aber ja, wenn man all die großen Geister der Kunst betrachtet, die schon in Wien lebten, so beschäftigten sich praktisch alle irgendwann einmal mit dem Tod. Die typischen Wiener Lieder handeln auch hauptsächlich davon, und ich kenne keine sprachliche Varietät, die so viele Synonyme für den Begriff "sterben" verwendet.
A Bankl reißen bedeutet wörtlich "eine Sitzbank umwerfen" und stammt aus dem Rotwelschen, der Sprache der Fahrenden, der Vagabunden, Bettler und Kleinkriminellen. Wer tot umfällt, schmeißt oft auch die Bank mit um - sofern sie nicht, wie viele Parkbänke, festgeschraubt ist.
An Abgang machen heißt praktisch, von der Bühne des Lebens abzugehen. Wien war ja bekanntlich lange Zeit ein Zentrum der europäischen Kunst und Kultur - und erfreut sich auch heute noch eines regen kulturellen Lebens. Ich glaube, es war Shakespeare, der die Welt zur Bühne und uns, ihre Bewohner, zu Schauspielern erklärte. Aber zumindest auf der Theaterbühne kann sich der zuvor Verstorbene noch einmal vor seinem Publikum verbeugen.
Auch derjenige, der die Patschen streckt, stirbt. In Österreich sagen wir zu Hausschuhen bzw. Pantoffeln "Patschen", und manche Fußbekleidung wird mit einem Schuhstrecker bzw. -spanner versehen, um nicht die Form zu verlieren. Für Patschen ist das zwar eher unüblich, kann aber durchaus sein. Wenn einer stirbt, braucht er seine Patschen nicht mehr, so dass diese für immer auf dem Schuhstrecker gespannt bleiben.
Wenn man tot und begraben ist, also unter der Erde liegt, schaut man sich die Erdäpfel oder vielleicht auch die Radieschen von unten an. In Österreich heißen Kartoffeln Erdäpfel - gleich wie das französische pommes de terre. Ein Berliner Kabarettist, der sich "der Tod" nennt, immer mit Kutte und Sense auf die Bühne geht und sozusagen PR fürs Sterben macht, zeigt gerne, wie harmlos die Radieschen von unten aussehen. Die heißen in Österreich gleich wie in Deutschland. Aber auch das Wort "Kartoffel" setzt sich neben den guten alten "Erdäpfeln" immer mehr durch.
Bevor man begraben wird, haut man sich ins Holzpyjama. Der Holzpyjama ist der Sarg - wobei man sich, ähnlich wie beim Radio, nicht einig ist, ob es "der" oder "das Pyjama" heißt. Zu Anziehen sagt man manchmal auch "sich in's G'wand hauen". Und wenn man im Sarg liegt, hat man sich also eben den Holzpyjama angezogen.
Aber ehe man das macht, muss man bekanntermaßen erstmal den Löffel abgeben, hinlegen oder weghauen. Dieser Ausdruck stammt übrigens aus dem Mittelalter, als das Arme-Leute-Essen üblicherweise aus Brei bestand und überdies außer mit dem Löffel hauptsächlich mit den Händen gegessen wurde - wie es in afrikanischen Ländern bis heute üblich ist. Viele Löffel waren damals selbst geschnitzt, und da das Essen lebensnotwendig ist, ist das Hinlegen oder Weghauen gleichbedeutend mit dem Ableben; wenn der Löffel wiederverwendet wurde, hatte man ihn mit seinem Sterben abgegeben.
Sobald man das getan hat, stellt man die Bock auf. Die Wiener nennen die Schuhe gern "Bock", und wenn jemand in Schuhen gestorben ist und tot daliegt, berühren deren Sohlen nicht mehr den Boden, sondern stehen senkrecht.
Und sobald sie senkrecht stehen, hat man sich die Schleif'n geben; gemeint ist die Schleife, die den Kranz auf dem Grab ziert, wenn jemand frisch verstorben ist. Beliebt sind ja auch Sinnsprüche in altdeutscher Schrift - oder ist das nur so bei Soldaten, die im Krieg gefallen sind?
Einer der liebsten Ausdrücke meiner Mutter ist er ist umg'standen. "Umstehen" heißt eigentlich verderben, man kann es aber auch so interpretieren, dass derjenige im obersten Stock angekommen ist - das ja bekanntlich das Himmelreich ist. Dann hat er es auch umebog'n, also hinter sich gebracht, gemeint ist das Leben. Letzterer Ausdruck kommt übrigens aus dem Bereich der Küferei, also der Fassbinderei; dies war Schwerstarbeit, da die eisernen Reifen mit schweren Zangen umgebogen werden mussten.
Wenn sich jemand den Holzpyjama anzieht, muss er außerdem noch nachschauen, ob der Deckel passt. Gemeint ist hier natürlich der Deckel vom Grab. Ich erinnere mich übrigens noch daran, dass der Deckel des gewaltigen Sarges der Kaiserin Maria Theresia in der Kapuzinergruft so aussah, als ob er einen Spalt breit offen sei. Dies ist übrigens nicht nur mir aufgefallen. Also hat sie wohl nicht nachgeschaut, ob der Deckel passt. Sobald er aber passt, lasst ma si abe, man lässt sich hinunter; gemeint ist hier, dass der Sarg in die Grube hinuntergelassen wird.
Ist es einmal so weit, so wird man vom Banernen g'hoit. Nein, das ist kein Schreibfehler; gemeint ist nicht die gelbe Südfrucht, sondern der "Beinerne", also der Tod. Knochen werden in Wien gern als "Baana", also "Beine", bezeichnet, das kommt von "Gebein", und bekanntlich wird der Tod ja gerne als Skelett dargestellt, natürlich oft mit schwarzer Kutte und Sense.
Eine beliebte Redewendung ist auch der Ausdruck mit'm Anasiebz'ger fahr'n. Die Straßenbahnlinie 71 führt in Wien direkt zum Zentralfriedhof. Demzufolge würde man in meiner Stadt wohl mit dem Neununddreißiger fahren - auch wenn das keiner sagt. Und den Großteil meiner Familie kann ich nur mit dem Siebener besuchen.
Wie ihr seht, ist die Sprache unserer Bundeshauptstadt äußerst vielfältig und kreativ - besonders wenn es darum geht, sich "niedazuleg'n". Nicht umsonst heißt es: "Der Tod muss ein Wiener sein". Ich hoffe nur, er kommt nicht eines Tages zu mir und sagt "He, Oide! Zeit, dass 'd an Löffel abgibst!" Das wäre wohl zu viel des guten. Was nachher passiert - keine Ahnung. Es gibt eine Menge Leute, die glauben, es zu wissen, aber sie glauben es eben nur und wissen es nicht. Deswegen zu jammern, hat auch keinen Sinn, denn ändern kann man es nicht - der Tod ist wohl der größte Gleichmacher im Leben, und das hat auch was Beruhigendes. Außer für Woody Allen, der ja bekanntlich die Unsterblichkeit nicht durch sein Werk erlangen will, sondern dadurch, dass er nicht stirbt. Da seine Eltern mit über hundert geworden sind, kann es durchaus sein, dass auch er so lange lebt. Wir werden ja sehen.
Wir sehen uns ganz bestimmt wieder, bevor einer von uns die Patschen streckt. Das Leben hält noch so viel bereit. In diesem Sinne, bon voyage!
vousvoyez
Zum Ausklingen noch ein echtes Wienerlied, das mich zu diesem Artikel inspiriert hat: https://www.youtube.com/watch?v=L7O1TomcTOg