Donnerstag, 26. September 2019

Wenn du ein Strich in der Landschaft bist, ist der mit einem sehr dicken Filzstift gemalt worden

(c) vousvoyez
Auch, wenn - wie schon so oft angemerkt - zu viel Schlankheit ohnehin überbewertet ist. Und ich persönlich dicke Stifte ohnehin lieber mag als dünne - die Schrift sieht damit meist besser aus. Ja, ich gehöre zu den alten Schachteln, die immer noch mit der Hand schreiben, auch wenn das anscheinend nicht die Zukunft ist. Aber ich hatte in meiner Jugend genug damit zu tun, cool zu sein - jetzt bestehe ich auf mein Recht, uncool zu sein. Und sind wir uns ehrlich: Handschrift ist über kurz oder lang doch klimafreundlicher.

Eigentlich wollte ich nichts mehr über Greta Thunberg und Fridays For Future schreiben, da das Thema ohnehin schon in aller Munde ist und ich meinen Standpunkt im Wesentlichen dargelegt habe. Aber die Jugend lässt nicht locker, und das ist im Wesentlichen auch das beste, was sie tun kann - denn wir werden das Thema nicht bis in alle Ewigkeit ignorieren können, und irgendwann ist es dann zu spät. Und je lauter die Jugend wird, desto lauter sind auch diejenigen, die gegen die Jugend im Allgemeinen und Greta im Besonderen hetzen.

Greta hat vor ein paar Tagen beim Klimagipfel in New York ihre jetzt bereits berühmte "How-dare-you?"-Rede gehalten, die viele so tief bewegt - und andere in Wut versetzt hat. Kalt gelassen hat sie aber, soweit ich das beurteilen kann, tatsächlich keinen. Auch wenn viele inzwischen in den sozialen Netzwerken ihr hässlichstes Gesicht zeigen - das reicht bis zu Vergewaltigungsphantasien und konkreten Mordplänen gegen eine Jugendliche. Und Facebook & Co. sind wieder mal heillos überfordert. Viele regen sich auch auf, dass Greta nervt, weil sie so wahnsinnig viel Aufmerksamkeit bekommt. Und ich frage mich zum wiederholten Male, warum man jemanden thematisiert, von dem man nicht will, dass er bzw. sie Aufmerksamkeit bekommt - denn auch die Hater tragen dazu bei, dass über Greta gesprochen wird.

All die Erwachsenen, die sich über die heutige Jugend auslassen, die ihrer Ansicht nach ohnehin nichts Besseres zu tun hat, als die Schule zu schwänzen und die gefälligst wie in der Steinzeit leben soll, wenn sie schon eine bessere Klimapolitik verlangt, die sich darüber aufregen, dass junge YouTuber wie Rezo eine große Reichweite generieren, indem sie für eine Jugend sprechen, die in der Politik und den etablierten Medien keine richtige Stimme hat, rühren etwas an meinem Gedächtnis. Etwas, das mich zutiefst abschreckt. Ich erinnere mich dabei nämlich an alte Dokumentationen aus den 60er und 70er Jahren, vereinzelt auch aus späterer Zeit. In vielen dieser Dokus sind Interviews mit Vertretern der damaligen älteren Generation zu sehen - die zutiefst empört sind über die Jugend, ihre Mode, ihre Musik, ihre Ideen, und sich über den allmählichen Sittenverfall beklagen. Schon als ich selbst Jugendliche war, wusste ich, dass ich so niemals sein wollte. Und jetzt muss ich beobachten, dass viele schon in meinem Alter genauso werden - auch wenn sie selbstverständlich keine Trachtenhüte und -mäntel mehr tragen. Ich werde bald 36 - unter den heutigen Jugendlichen könnten auch meine Kinder sein. Ich habe keine eigenen Kinder, aber mein Freund hat Kinder, zwei meiner Geschwister und viele meiner Freunde haben Kinder - und die sind mir nicht egal. Im Gegenteil - ich wünsche ihnen die bestmögliche Zukunft, so wie ich sie auch meinen eigenen Kindern wünschen würde. Und gerade deshalb finde ich es gut, wenn die nächste Generation darum kämpft.

Auffällig an der "Generation scheißegal" ist, dass echte Argumente meist fehlen - deswegen werden entweder Falschbehauptungen aufgestellt, oder man greift die Jugend, insbesondere Greta Thunberg, persönlich an. Besonders beliebt ist es in letzter Zeit jedoch auch, die Vorwürfe der jüngeren Generation empört von sich zu weisen und zu erklären, dass man früher viel nachhaltiger gelebt habe und deswegen gar nicht schuld an der Katastrophe sei, ganz im Gegensatz zur Jugend, die Smartphones und Spielkonsolen besitzt, billig produzierte Kleidung trägt, mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegt und mit dem SUV zur Schule gebracht wird.

In einem Kettenbrief, der zurzeit auf Facebook die Runde macht, wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass Kleidung früher lange getragen, oft repariert und als "Ersatzteillager" für Reißverschlüsse und Knöpfe verwendet wurde. Nun, die Frage ist aber doch - ab wann haben wir angefangen, billig produzierte Kleidung aus Niedriglohnländern der haltbaren Ware vorzuziehen? Ich hätte sehr, sehr gerne wieder Klamotten in der Qualität, wie ich sie noch in den Neunzigern kannte. Ich wäre, auch wenn ich nicht reich bin, sogar bereit, mehr Geld dafür auszugeben - denn über kurz oder lang lebt man auf diese Weise tatsächlich billiger, weil man seltener Kleidung wegwerfen und neue kaufen muss. In meiner Jugend trug ich die alten Polohemden meiner Brüder, die unverwüstlich waren. Heute halten solche Hemden maximal ein Jahr. Als ich jung war, waren Schuhe von Dr. Martens sehr beliebt - die bis zu einem Jahrzehnt überdauern konnten. Heute sind Schuhe derselben Marke nach zwei Jahren kaputt. Diejenigen, die entschieden haben, dass möglichst billig und mit maximalem Profit produziert werden soll, sind aber - und das wird wohl einige überraschen - keine Angehörigen der jungen Generation, sondern der der Babyboomer, die in den 50ern und 60ern geboren wurden. Abgesehen davon - wenn man doch ohnehin weiß, wie man nachhaltig lebt, warum gibt man das nicht an die nächste Generation weiter? Wann hat man denn angefangen, nicht mehr zum kleinen Greißler am Eck oder auf den Wochenmarkt zu gehen, sondern in die tollen Supermärkte, wo alles einzeln in Plastik verpackt erhältlich ist? Wann hat man das hoch gelobte Einkaufsnetz oder den Einkaufskorb gegen Einwegsackerln aus Plastik eingetauscht? Wer hat denn die Stoffwindeln gegen Pampers aus Plastik ausgetauscht, die man nach Gebrauch einfach wegwirft? Wer hat sich denn Gedanken gemacht über den wachsenden Berg an Plastikmüll, als die Plastikdosen mit den Feuchttüchern aufkamen? Und wer hat sich Gedanken darüber gemacht, dass wir es weit entfernten Ländern zu verdanken haben, dass wir Erdbeeren im Winter und Äpfel im Frühjahr genießen dürfen? Dass wir ohne Massentierhaltung wohl kaum in der Lage wären, täglich Fleisch zu essen?

Die Welt, in der wir heute leben, hat nicht die Jugend geschaffen, sondern diejenigen, die heute in meinem Alter oder älter sind. Nein, die Generation der in den 50ern und 60ern Geborenen wurde nicht täglich mit dem SUV in die Schule kutschiert - aber sie hat dies in den 80ern und 90ern teilweise schon mit ihren Kindern gemacht, und die wiederum machen dies noch häufiger mit ihren Kindern. Ja, wir waren schon ältere Teenager, als wir unser erstes Handy bekamen - weil damals das Mobiltelefon von einem Luxusgut zu einem für jeden erschwinglichen Alltagsgegenstand geworden war. Und es war unsere Generation, die daran beteiligt war - genau wie es unsere Generation ist, der es viele schlaflose Nächte bereitet, wenn ihr sechsjähriges Kind nicht 24 Stunden am Tag per Telefon erreichbar ist. Ja, von uns sind nur die wenigsten jeden Sommer mit dem Flugzeug in den Urlaub geflogen - aber wir sind auch diejenigen, die das heutzutage unbedingt brauchen. Und überdies sind von denjenigen, die ich da draußen auf ihren Smartphones herumtippen sehe, sehr viele in meinem Alter - und viele, die so alt sind wie ich, reden mit Leidenschaft über das neue iPhone, obwohl sie bereits ein sehr gut funktionierendes Smartphone besitzen. Es war der Wirtschaftsboom nach dem Zweiten Weltkrieg, der uns Waschmaschine und Fernseher bescherte, und noch heute denken alle noch nostalgisch verklärt an die tolle HiFi-Anlage von damals, an die VHS-Kassetten und die ersten Spielkonsolen. Schon damals galt - sobald es etwas Neues gibt, muss es jeder haben. Viele tun heute so, als wären wir in bitterer Armut aufgewachsen - dabei hatten wir doch alles!

Ja, wir geben gerne damit an, dass wir nicht so "verwöhnt" wurden wie die heutige Jugend und dass früher alles besser war. Übersehen damit aber gerne, dass auch wir schon vor Jahrzehnten für eine klimafreundlichere Zukunft hätten kämpfen können. Schon in meiner Volksschulzeit in den frühen 90ern war der Umweltschutz in aller Munde - passiert ist allerdings nichts, und die meisten von uns hatten auch kein Interesse daran, ihre Komfortzone zu verlassen und auf ein paar unnotwendige Annehmlichkeiten zu verzichten, um das Leben auch für zukünftige Generationen lebenswerter zu gestalten. Stattdessen hielten wir es für eine gute Idee, die Nachfrage für immer größere Dreckschleudern, die wir Autos nennen, in die Höhe zu treiben und Lebensmittel zu kaufen, die gefühlt hundertfach in Plastik verpackt sind. Und lasten genau das jetzt der Generation an, die wir in diese Welt gesetzt haben.

Nein, ich bin auch nicht perfekt, wenn es um Klimaschutz geht - im Gegenteil. Aber ich zeige auch nicht mit dem Finger auf andere. Und ich tue mein Möglichstes, um mein Verhalten zu ändern. Denn was die anderen machen oder angeblich machen, ist für mich keine Ausrede, mich zurückzulehnen und die Augen zu schließen. Deswegen werde ich auch nicht aufhören, gegen das anzuschreiben, was mir unter den Nägeln brennt. Auch wenn es mitunter recht anstrengend ist. Und ja, ich begrüße es sehr, dass Greta und die FFF-Bewegung ernsthafte Diskussionen zum Thema Klima- und Umweltschutz angestoßen haben, so dass dies nun in aller Munde ist - auch wenn ich dem Personenkult um sie, offen gestanden, zeitweise skeptisch gegenüber stehe. Aber ich bin nicht allein auf der Welt.

vousvoyez

https://volkerkoenig.de/2019/07/24/babyboomer-verlogene/?

https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/klimadebatte-ab-hier-ad-hominem-a-1287995.html

https://krautreporter.de/3067-das-klimapaket-der-bundesregierung-oder-soll-man-es-lassen?

https://www.volksverpetzer.de/social-media/fridays-for-hubraum/