Donnerstag, 25. April 2019

Ein Einbrecher hätte bei mir nichts zu holen - der würde höchstens noch Geld dalassen

Aber bildet euch bloß nicht ein, dass ich euch deswegen verrate, ob und wie viel es bei mir tatsächlich zu holen gibt!

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft ja bekanntlich immer mehr auseinander. Und um diejenigen, die zu kurz kommen, davon abzulenken, wer dafür verantwortlich ist, zeigt man gerne mit dem Finger auf Schwächere - demzufolge ist auch der Rassismus wieder stark im Kommen. Umso bedauerlicher ist es, dass ich seit drei Tagen immer wieder mit einer Geschichte konfrontiert werde, die den Blick von den eigentlichen Problemen ablenkt - und zwar ausgehend von einer Person, die sich den Kampf gegen Rassismus auf die Fahnen geschrieben hat.

Die Geschichte nahm ihren Ausgang in einer TV-Übertragung des About You Awards, einer Preisverleihung für Social-Media-Persönlichkeiten. Dazu muss ich sagen, ich gehöre zu all jenen, die mit "Influencern" eher weniger anfangen können. Natürlich gibt es nicht nur in der heutigen Zeit Personen, die berühmt sind, ohne tatsächlich etwas Besonderes geleistet zu haben. Der einzige Unterschied ist halt, dass es heutzutage durch die sozialen Netzwerke wohl einfacher ist, mit wenig Leistung viel Aufmerksamkeit zu erzielen. Was mich jetzt aber nicht sonderlich beunruhigt - für mich ist das nichts als ein blöder Trend wie viele andere auch. Kein Grund, sich darüber aufzuregen.
Unter den Juroren dieser Preisverleihung war auch eine gewisse Enissa Amani, eine aus der Türkei stammende Deutsche, von der ich bis dato noch nie etwas gehört hatte. Offensichtlich hat sie sich in jüngeren Kreisen als "Stand-up-Comedienne" einen Namen gemacht - auch in Sendungen wie NightWash, die ich eigentlich ganz gut finde. Ich muss gestehen, deutsche Comedy ist nicht so mein Ding, aber es gibt auch einige Ausnahmen - darunter nicht wenige Comedians mit Migrationshintergrund. Frau Amani hat mich jetzt, offen gestanden, nicht sehr vom Hocker gehauen. Gewiss, sie sieht gut aus und ist sich dessen auch bewusst - weshalb in den Kommentaren ihrer YouTube-Videos auch mehr Kommentare über ihre sekundären Geschlechtsmerkmale als über ihre Comedy-Darbietung zu finden sind. Was nicht heißt, dass sie nicht intelligent wäre oder nichts zu sagen hätte - ich finde sie halt nur einfach nicht sehr witzig. Und das hat weder damit zu tun, dass sie eine Frau ist, noch damit, dass sie Migrationshintergrund hat. Unglaublich, dass man das erst dazu sagen muss.

Zu der besagten Preisverleihung schrieb die Spiegel-Journalistin Anja Rützel eine Kolumne, die weit größere Wellen schlug als von ihr erwartet. Für das sinkende Niveau des Spiegel war der Artikel gar nicht so schlecht - jeder wurde gleichermaßen auf die Schaufel genommen, sie erwähnte die scheinheilige Vereinnahmung Greta Thunbergs seitens der "Influencer", die größtenteils per Flugzeug angereist waren, ebenso wie die Doppelmoral einer Heidi Klum, die ihre Zuschauer dazu aufforderte, aufzustehen und was Gutes zu tun, während sie selbst aktuell wieder einmal dabei ist, ein paar hoffnungsvolle junge Mädchen in die Schablone eines völlig unrealistischen Schönheitsideals zu pressen.

Der Kommentar über Enissa Amani bezog sich darauf, dass diese sich diskriminiert fühlte, weil man sie so oft als "Komikerin" bezeichnete, obwohl sie doch "Stand-Up-Comedienne" sei. Nun ist es mir unbegreiflich, was an einer englisch-französischen Wortneuschöpfung besser sein soll als an dem Begriff "Komiker" - und was an letzterem beleidigend sein soll. Wenn ich an deutsche Komiker denke, dann denke ich an Loriot, Hape Kerkeling, Otto Waalkes oder Karl Valentin - intelligente Persönlichkeiten mit geistreichen, zeitlosen Witzen. Aber nun ja, möglicherweise ist es tatsächlich falsch, eine Dame als "Komikerin" zu bezeichnen, der es an geistiger Reife fehlt. Egal. Jedenfalls "drohte" Amani damit, nach Nicaragua auszuwandern und dort Papayas zu züchten, sollte sie noch einmal als "Komikerin" bezeichnet werden. Anja Rützel meinte dazu: "...weshalb man sie wirklich auf keinen Fall mehr 'Komikerin' nennen sollte, denn spätestens nach dieser Rede kann einfach keiner wollen, dass wir diese Komikerin an die Fruchtproduktionsbranche verlieren." Amani behauptete später, ihr Publikum hätte das durchaus witzig gefunden - warum, kann ich allerdings nicht feststellen, zumal nicht wirklich klar wird, was das eigentlich für eine Aussage sein soll.

Jedenfalls fühlte sich Enissa Amani rassistisch beleidigt und verglich Rützel in den sozialen Netzwerken mit AfD-Politikern, die sie aus dem Land ekeln wollen. Nachdem sie zusätzlich noch Rützels Instagram-Account öffentlich gemacht hatte, sah die Journalistin sich nun einem Shitstorm durch Amani-Fans ausgesetzt, in dem sie als Nazi-Braut degradiert wurde - leider auch noch verschärft durch den Umstand, dass ein AfD-Politiker sich die Anklage gegen Rützel zu eigen gemacht hat, was allerdings nicht durch Rützel selbst initiiert wurde. Nicht nur das - auch Personen wie Ralph Ruthe und Alf Frommer, die aktiv gegen Rechtsradikalismus vorgehen, wurden auf einmal in die rechte Ecke gestellt, weil sie Frau Amani nicht recht gaben. Was man witzig finden könnte, wenn es nicht so traurig wäre. Und ein Umstand, der nicht gerade für das Medium "Twitter" spricht. So weit, so gut.

Die Frage ist nun natürlich: Wurde Enissa Amani in Anja Rützels Artikel tatsächlich Opfer von Rassismus? Dazu muss man zuallererst mal die Frage beantworten, was Rassismus überhaupt ist. Normalerweise bedeutet Rassismus, eine Person aufgrund ihrer ethnischen Herkunft herabzusetzen. In einem Artikel des Volksverpetzers, den ich eigentlich sehr schätze, wird bemängelt, dass nicht auf Frau Amanis Inhalte eingegangen wird, sondern viel zu sehr darauf, dass sie hübsch, weiblich und "ausländisch" sei. Nun, ich sehe nicht, dass in diesem Artikel ihr Aussehen, ihr Frausein oder ihr Migrationshintergrund thematisiert werden - stattdessen wird genau das getan, was die Volksverpetzer-Autorin fordert: Anja Rützel kritisiert den INHALT von Amanis Rede. Und das soll nun rassistisch sein - weil sie Amanis "Drohung" aufgenommen hat, das Land zu verlassen. Eine Erklärung, die eigentlich von Amani stammt - nicht von Rützel. Das ist Kindergarten in Social-Media-Manier: seinen Rückzug anzukündigen und darauf zu warten, dass alle einen zum Bleiben überreden wollen.

Ich weiß, ich bin gerade in Begriff, ein heißes Eisen anzufassen, aber man kann es eben nicht immer allen recht machen. In rechten Kreisen haben es Künstler mit Migrationshintergrund ohne Frage besonders schwer. Mir drängt sich allerdings der Gedanke auf, dass in anti-rassistischen Kreisen oft genau das Gegenteil passiert - nämlich, dass man es Menschen mit ausländischen Wurzeln ein wenig zu leicht macht. Zu meinem Bedauern habe ich immer wieder mal das Gefühl, dass der ein oder andere Künstler die ein oder andere Ehrung weniger seinem tatsächlichen Talent, sondern eher seinen ethnischen Wurzeln zu verdanken hat. Versteht mich nicht falsch - ich finde es toll und wünschenswert, dass unsere Kunstlandschaft "bunter" wird, und ich würde mir noch viel mehr tolle Künstler aus anderen Ländern und mit anderen Themen in unseren Breiten wünschen. Aber diese sollten, finde ich, auch ehrlich und fair bewertet werden - ohne dass man gleich als Rassist gilt, nur weil man einer afrikanischstämmigen Person einen gewissen Preis nicht zugesteht. Und dazu gehört auch Kritik - nicht jede Kritik ist Rassismus, nur weil der/die Kritisierte Migrationshintergrund hat. Ich sehe in diesem Verhalten ein ganz anderes Problem - wenn man sich nämlich zu sehr auf seinem Migranten-Status "ausruht", ist bald jede Kritik, ob konstruktiv oder nicht, Rassismus. Und damit lenkt man nicht nur von tatsächlichem Rassismus ab - man spielt auch genau denjenigen in die Hände, die sich angesichts der Migration benachteiligt fühlen.

Wie gesagt - ich halte Enissa Amani keineswegs für dumm. Und ja, es gibt viele Frauen, die sind sowohl schön als auch intelligent. Dass diese wegen ihres ansprechenden Äußeren oft nicht ernst genommen werden, ist hier nicht das Thema - vielleicht schreibe ich nochmal gesondert dazu. Bei dieser Geschichte hat sich Frau Amani jedoch nicht wie die Erwachsene verhalten, die sie eigentlich ist, sondern wie eine Zwölfjährige, die unbeaufsichtigt im Internet surft und herumpöbelt, ohne sich über die möglichen Folgen ihm Klaren zu sein. Wie in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung angemerkt, ist das Problem heutzutage, dass beleidigte Künstler einen Tross von Followern hinter sich haben, die ungebremst über die unliebsame Person herfallen, die es gewagt hat, ihr Idol zu kritisieren. Man kennt es noch von früher: Wer die Lieblings-Boygroup eines Mädchens im Teenager-Alter angreift, ist der Teufel persönlich. Der Unterschied ist nur, dass sich diese Mädchen damals nur in der Schule oder in der Leserbrief-Rubrik der Bravo verbal austoben konnten.

In einem ebenfalls sehr lesenswerten Artikel der Frankfurter Allgemeinen wird auf das hingewiesen, was ich zuvor erwähnt habe - nämlich, dass durch das Hickhack Amani vs. Rützel wichtigere Themen unter den Tisch fallen. Beispielsweise das Gedicht des Vizebürgermeisters von Braunau, in dem Einwanderer mit Ratten verglichen werden; außerhalb Österreichs findet dieser äußerst besorgniserregende Ausbruch von tatsächlichem Rassismus - Menschen werden aufgrund ihrer Herkunft herabgesetzt, indem man sie mit Ungeziefer vergleicht - kaum Beachtung. Aber, nun ja - Frau Amani hat erreicht, was sie wahrscheinlich bezwecken wollte - nämlich Aufmerksamkeit. So sehr, dass sogar andere Promis, die schon lange keine Beachtung mehr gefunden haben, ihre Chance wahrnehmen und sich zu dem Thema äußern. Und das, weil Frau Amani sich über etwas beschwerte, was für Personen mit Migrationshintergrund in unseren Breiten doch angeblich so wichtig ist - nämlich, so behandelt zu werden wie jene, die keine offensichtlichen ausländischen Wurzeln haben.

vousvoyez

https://www.zeit.de/kultur/2019-04/enissa-amani-influencerin-anja-ruetzel-kritik-deutschstunde