Freitag, 29. Januar 2021

Wenn jeder seinen Senf dazugibt, dann guten Appetit!

@brett_jordan
Aktuell scheinen sich ja Hinz und Kunz bemüßigt zu fühlen, überall ihren Senf dazuzugeben - auch bei Themen, von denen sie eigentlich überhaupt nichts verstehen. Aus diesem Grund halte ich mich, was die aktuelle Pandemie betrifft, auch eher raus - denn ich bin nun mal nicht befugt, über Virologie und Immunologie zu referieren, weil ich von einer Fachfrau weit entfernt bin. Ich bin nicht die Klügste auf der Welt, aber wie ich zum Thema Dunning-Kruger-Effekt schon einmal angemerkt habe, sind es häufig die am wenigsten Intelligenten, die am stärksten davon überzeugt sind, alles zu wissen und vollkommen fehlerfrei zu sein - oder zumindest weniger Fehler zu haben als alle anderen. Deswegen - und das tut mir für alle leid, die noch immer nicht mitbekommen haben, was für ein dummes Schlafschaf ich doch bin - halte ich mich doch lieber an die Wissenschaft; denn auch diese ist nicht unfehlbar, aber sie behauptet das auch nicht von sich selbst, im Gegensatz zu jenen, die glauben, die Weisheit mit dem großen Löffel gefressen zu haben.

Nun hat uns Covid-19 ja immer noch fest im Griff - und für uns, die wir in der Sicherheit eines westlichen Industrielandes Ende des 20. Jahrhunderts/Anfang des 21. Jahrhunderts aufgewachsen sind, wo wir bisher alles machen und alles haben konnten, was uns gerade einfiel, ist dies eine ziemlich neue Erfahrung. Dabei vergessen wir häufig, dass Pandemien jetzt nichts völlig Ungewöhnliches sind. Ich habe ja bereits ein wenig über AIDS geschrieben, das bekanntlich auch zu einer Pandemie wurde, auch wenn die Übertragungswege anders sind. Es gab aber tatsächlich immer wieder Krankheiten, die eine Zeitlang das öffentliche Leben erheblich beeinflusst haben. Und die bekannteste davon ist die Pest. Diese war Ursache für eine der verheerendsten Pandemien der Weltgeschichte - eine Pandemie, die heute als "Schwarzer Tod" bekannt ist. Am heftigsten wütete sie in der Zeit zwischen 1346 und 1353 - damals kostete sie insgesamt etwa 25. Millionen Menschen, rund einem Drittel der damaligen Weltbevölkerung, das Leben. Übertragen wird sie durch das Bakterium Yersinia pestis, das 1894 durch den Arzt und Bakteriologen Alexandre Émile Jean Yersin entdeckt wurde. Dieses gelangte vermutlich in der Spätantike aus dem Orient über Handelswege nach Europa. Übertragen wird es durch Insektenbisse, vor allem durch Flöhe, die von Ratten auf Menschen übersprangen, aber auch - ähnlich wie SARS-Cov-2 - durch Tröpfcheninfektion. Am häufigsten ist die Beulenpest, die durch Flohbisse ausgelöst wird und vor allem durch die schmerzhaften Beulen an Hals, Achselhöhlen und in der Leistengegend charakterisiert wird, die durch eine Infektion der Lymphgefäße und Lymphknoten entstehen und durch innere Blutungen blau und schwarz gefärbt sind. Neben ihr gibt es noch die Lungenpest, die vor allem durch Tröpfcheninfektion übertragen wird, aber nur unter äußerst ungünstigen Umständen zur Epidemie werden kann, da ihre Ausbreitung sehr spezifisch ist. Wenn Erreger in die Blutbahn geraten, etwa über offene Wunden, kann es außerdem zur Pestsepsis führen - die zu Zeiten, als es noch keine Antibiotika gab, ein Todesurteil war. Bekannt ist darüber hinaus die weitaus harmlosere Variante, die abortive Pest, durch die Antikörper gebildet werden. Bei unkontrolliertem Ausbruch treten alle Formen der Krankheit auf, am häufigsten jedoch Beulen- und Lungenpest.

Vor allem die erste große Pandemiewelle im 14. Jahrhundert bewirkte, dass viele Menschen Trost in der Religion suchten; Wallfahrten, Prozessionen und Bittgottesdienste, ja sogar "Geißelzüge" waren an der Tagesordnung, der "Pestheilige" St. Rochus wurde intensiv verehrt. Auf der Suche nach einem Sündenbock kam es immer wieder zu Pogromen gegen damalige kulturelle Randgruppen; am stärksten zu spüren bekamen das die Juden, die vielerorts für die Seuche verantwortlich gemacht wurden, etwa durch die Unterstellung, Brunnen und Quellen vergiftet zu haben. Judenviertel wurden überfallen und ihre Bewohner niedergemetzelt, andere wurden von ihren Heimatorten vertrieben; etliche begingen auf die eine oder andere Weise Selbstmord, um einer Zwangstaufe zu entgehen. Natürlich wirkte sich die Pest auch stark auf das künstlerische Schaffen aus in den Zeiten, in denen sie wütete. So gibt es zahlreiche allegorische Darstellungen des "schwarzen Todes", etwa als Skelett oder halb verwesender Leichnam, oder auch die des Totentanzes auf sakralen Wandbildern, auf denen Angehörige jedes Alters und Standes im Tanz mit dem Sensenmann abgebildet sind. Literarisch wurden diese dunklen Zeiten etwa in der Novellensammlung Il Decamerone  des italienischen Schriftstellers Giovanni Bocciacco verarbeitet, der vom Schwarzen Tod in Florenz berichtet, oder in Daniel Defoes fiktivem Bericht Journal of the Plague Year (Die Pest in London), der von der besonders verheerenden Pestwelle in London 1665/66 erzählt, aber auch in Jeremias Gotthelfs Rahmennovelle Die schwarze Spinne. Ich möchte an dieser Stelle auch an Edgar Allen Poes Erzählung König Pest erinnern, oder auch an Die Maske des Roten Todes, in dem es zwar um die Cholera geht, die aber Parallelen zu Pesterzählungen enthält. Bei uns in Österreich zeugen vor allem die zahlreichen Dreifaltigkeits- und Pestsäulen von dieser düsteren Zeit - auch in meiner Heimatstadt gibt es einige davon. Für mich war die Pest als Kind immer etwas Unheimliches, nicht Greifbares - fern meiner Erlebniswelt und vielleicht deswegen auf diffuse Art und Weise bedrohlich. Wobei ich mir sicher bin, dass die unheimlichen Darstellungen aus dieser Zeit, die bis heute in Museen und historischen Stätten zu finden sind, dazu auch beigetragen haben. Auch die Darstellungen der Pestärzte mit ihren seltsamen Schutzmasken (in dem schnabelartigen Fortsatz waren übrigens Kräuter, deren Geruch vor der Krankheit schützen sollte) haben bekanntlich etwas Gruseliges. Und auch die Sagen und Legenden, die sich um diese Pandemie gebildet haben.

In Österreich ist aus Pestzeiten vor allem der Wiener Gassenhauer O du lieber Augustin, alles ist hin überliefert, der auf einer bekannten Volkssage des 17. Jahrhunderts basiert. Diese handelt von einem sehr bekannten und beliebten Straßenmusiker, der in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Wien lebte. Er zog mit seinem Dudelsack durch die am besten besuchten Spelunken der Stadt und unterhielt die Leute mit seinen zotigen Liedern und Späßen. Viel Geld verdiente er damit nicht, denn er soll immer schon ein freudiger Trinker gewesen sein. Im Jahr 1679 wütete nun die Pest in Wien und raffte so viele Menschen dahin, dass die Straßen und Plätze buchstäblich mit Leichen gepflastert waren, so sehr, dass man mit dem Beerdigen dieser gar nicht mehr hinterher kam. Sogenannte Siech-Knechte luden die Kranken und Toten auf Sammelwagen und brachten sie in die Lazarette oder zu den als "Pestgruben" bezeichneten Massengräbern, in denen sie die sterbenden und toten Körper stapelten, bis sie voll waren, um sie dann zuzuschütten. Da es wegen der hohen Ansteckungsgefahr schwierig war, Siech-Knechte anzuwerben, wurden damals häufig Kriminelle aus Gefängnissen dazu verpflichtet, weshalb sich bis heute allerlei düstere Legenden um sie ranken. Als Augustin in dieser Zeit wieder einmal zu viel getrunken hatte und in der Gosse seinen Rausch ausschlief, wurde er dort von solchen Siechknechten aufgelesen, die ihn für tot hielten und deshalb auf ihren Karren luden, ehe sie ihn zusammen mit den Toten in eine Pestgrube in der Nähe der Kirche St. Ulrich am Neubau warfen, das provisorisch mit Kalk abgedeckt wurde. Dort erwachte der gute Mann zwischen den Leichen, konnte aber nicht aus eigener Kraft herausklettern; so rief und spielte er auf seinem Dudelsack so lange, bis man ihn hörte und aus der Grube rettete. Im frühen 19. Jahrhundert wurde an dieser Stelle der bis heute zu besichtigende Augustinbrunnen errichtet. Bis heute gilt die Augustin-Geschichte, die in verschiedenen Varianten erzählt wird, so etwas wie eine Versinnbildlichung des Galgenhumors.

Zu den Methoden, der Pest Einhalt zu gebieten, gehörte es etwa, eine Jungfrau zu opfern - meist, indem man sie lebendig begrub. Dies funktionierte laut Sage meistens auch, außer im Gurktal in Kärnten, wo die Bewohner, die die Jungfrau geopfert hatten, mit einem sintflutartigen Unwetter bestraft wurden, das viele Leben kostete. Von der grausamen Tat zeugt heute noch ein Steinkreuz auf dem Weg von Weitensfeld nach Gurk; wer um Mitternacht daran vorbeigeht, soll immer noch das Wimmern des Mädchens hören, und man erzählt sich, dass ihr Geist einmal jährlich dort erscheint. In Virgen in Tirol wurde keine Jungfrau geopfert, sondern einmal im Jahr ein weißer Widder, nachdem man während einer Prozession von der Wallfahrtskirche Obermauern nach Maria Lavant beobachtet hatte, wie der Sensenmann von einem solchen Tier vertrieben wurde. Von diesem Ereignis zeugt noch ein Bildstock, aber ich habe keine Ahnung, ob heutzutage immer noch Widder geopfert werden - Jungfrauen aber wohl nicht mehr. In Oberösterreich wiederum waren offenbar die Ziegenböcke Heilsbringer - und mussten dafür nicht einmal ihr Leben lassen. So soll in Tragwein jemand von der Pest verschont geblieben sein, weil er immer einen Ziegenbock mit sich schleifte, während in Neuhofen an der Krems ebenfalls die Anwesenheit eines Ziegenbocks ausreichte, um nicht krank zu werden. Vielleicht sollte ich das auch einmal probieren; blöd nur, dass Ziegenböcke in Supermärkten, Apotheken und wohl auch an meinem Arbeitsplatz nicht so gerne gesehen sind - außer vielleicht, ich behaupte, das sei ein Therapieziegenbock. Weit verbreitet war auch die Ansicht, dass das Verbrennen irgendwelcher geruchsintensiver Kräuter die Krankheit fernhalten sollte - so gibt es in Kitzbühel die Sage des "Pestmandls", das von Haus zu Haus ging und die Seuche mittels aromatischer Kräuter "ausräucherte".

Natürlich glaubte man damals auch, dass Heilquellen einen vor dem Pesttod bewahren könnten - im burgenländischen Girm in der Gemeinde Deutschkreutz befindet sich etwa der 1245 erstmals erwähnte Plattenbrunn, dessen Wasser gegen die Pest helfen sollte, und auch in Leobersdorf bei Wien soll es so eine Quelle geben. In vielen Sagen wird auch der Ratschlag zum Verzehr von Enzian, Baldrian, Anis oder Wacholderbeeren gegeben - Letztere sollen laut Volksglauben auch gegen Dämonen helfen. Die Ratschläge werden in den Sagen abwechselnd von Vögeln, irgendwelchen Männlein oder auch Stimmen vom Himmel gegeben - in Hofgastein soll es ein Geist gewesen sein. In der Wachau wurde zusätzlich am Tag des heiligen Sebastian bei Wasser und Brot gefastet - doppelt hält eben besser! Manchmal kamen die Ratschläge allerdings auch zu spät - so wie in Vorarlberg, wo eine Stimme am Himmel erst dann zu Anis riet, als schon alle tot waren. Ich würde ja nicht nur Stimmen vom Himmel, sondern auch Geister, Vögel und Männlein nach ihrer wissenschaftlichen Kompetenz fragen, aber auf mich hört ja wieder einmal keiner. Nun gut.

Die Pest wird in den Sagen häufig durch Vorzeichen angekündigt, oder sie tritt als allegorische Figur auf. Vor dem Pestjahr in Wien 1679 behaupteten die Weinbauern der Umgebung, sie hätten seltsame Irrlichter gesehen oder einen Glanz in der Luft, was auch immer man sich darunter vorstellen soll. Ein anderer erzählte, er habe auf dem Weg von Hernals nach Wien (Hernals war damals noch nicht in die Stadt integriert) auf einem freien Feld, auf dem später die Pesttoten begraben wurden, das Placebo Domino gehört. Übrigens leitet sich von diesem Psalm das Wort "Placebo" für wirkstofflose Arzneimittel ab - früher war er nämlich Teil des Trauerrituals nach dem Tod eines Angehörigen. Da er jedoch ab dem 14. Jahrhundert häufig von bezahlten "Trauernden" gesungen wurde, wurde das Wort "Placebo" (die Übersetzung aus dem Lateinischen lautet: "ich werde gefallen") irgendwann ein Synonym für "so tun als ob". Allegorisch tritt die Pest häufig als alte Frau auf - oder auch synonym mit dem Tod. So sind Sagen von Fährmännern beliebt, die sie unwissentlich über einen Fluss führten und zum Dank dafür als einzige die Seuche überlebten. In einer Sage aus dem Mühlviertel wiederum tritt die Pest als kleiner Junge auf, der den Weg nach Kollerschlag nicht finden kann, woraufhin eine alte Witwe ihn bis dorthin trug und dabei feststellte, dass er immer schwerer wurde, bis sie bemerkte, dass es der Tod war - aus Dank dafür, dass sie ihn getragen hatte, blieb sie allerdings von der Pest verschont. In Bruck an der Leitha wiederum kam es einem jungen Burschen zugute, dass er in einem dieser Inzestdörfer lebte, in dem alle miteinander verwandt sind - als eine schwarze Frauengestalt, die er ein Stück getragen hatte, ihm riet, auf die Fenstersimse seiner Verwandten Steine zu legen, damit sie von ihr verschont blieben, musste sie feststellen, dass es in seinem Heimatort für sie nichts zu tun gab.

Das Vorbild für die meisten Pestsäulen in Österreich ist übrigens die barocke Dreifaltigkeitssäule am Graben in Wien, die nach der Pestepidemie 1679 errichtet wurde. Mit ihren vielen Engelsfiguren und dem großzügigen Blattgold ist sie stilprägend für den Wiener Hochbarock und eine der markantesten plastischen Kunstwerke im Stadtgebiet - im Zuge der Corona-Krise ist sie in jüngster Zeit auch wieder eine Anlaufstelle für Leute geworden, die Trost im Gebet suchen. Künstlerische Andenken an die Pestzeit gibt es überall im Land - in meiner Stadt markierte eine 1685 errichtete bronzene Dreifaltigkeitssäule ihr Ende, die heute am Karmeliterplatz zu sehen ist. Auch die barocke Karlskirche in Wien hat ihren Ursprung in den Zeiten der Pest; damals gelobte Kaiser Karl VI., eine Kirche zu Ehren des heiligen Karl Borromäus zu bauen, wenn Gott die Stadt von der Seuche befreie. (Und ich bin ganz stolz auf mich selbst, weil ich gerade ohne nachzusehen erkannt habe, dass der Baustil byzantinisch ist. *angeb*) Als katholisches Land suchte man auch Zuflucht zu den Pestheiligen, derer es mehrere gab - etwa den schon erwähnten heiligen Sebastian, jenen römischen Soldaten, der gerne mit Pfeilen durchbohrt dargestellt wird; den heiligen Antonius von Padua, der auch für verlorene Dinge zuständig ist und von dem meine Großmutter einst behauptete, er sei so geldgierig; den ebenfalls schon erwähnten Rochus von Montpellier, der sozusagen der Hauptzuständige in Pestfragen war; oder auch Karl Borromäus, seines Zeichens Erzbischof von Mailand, den ich persönlich als Inquisitor der Gegenreformation nicht anbeten würde, aber mich fragt ja wieder mal keiner.

Wie ihr seht, gibt es über die Pestzeiten in Europa unzählige Sagen und Legenden - selbst bei uns in Österreich sind es so viele, dass ich nur einen kleinen Einblick geben konnte. Heutzutage ist die Pest nicht gänzlich von der Bildfläche verschwunden und in unseren Breiten auch immer noch melde- und quarantänepflichtig, aber in der Regel gut behandelbar. In den 1940er Jahren wurden Pesterreger im Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieg als Biowaffen eingesetzt. Angesichts dessen, dass uns diese Krankheit hier mittlerweile fast nur noch aus Erzählungen bekannt ist, sehen wir jedoch, dass wissenschaftlicher bzw. medizinischer Fortschritt durchaus nicht zu verachten ist. Auch wenn so manche mir vielleicht erklären werden, es liege ausschließlich an der verbesserten Hygiene, aber hey - auch die Erkenntnis von deren Wichtigkeit ist Teil des wissenschaftlichen Fortschritts. Ich bin übrigens schon gespannt, was eines Tages von der heutigen Zeit übrigbleiben wird - und ob und was wir daraus lernen. Und wenn ich meine Großmutter wäre, würde ich jetzt jammern, wie viel Arbeit dieser Artikel gemacht hat, obwohl mich niemand darum gebeten hat, ihn zu schreiben. Aber wie auch immer - bleibt gesund, macht keinen Blödsinn und wir sehen uns in Kürze wieder! Bon voyage!

vousvoyez

Montag, 25. Januar 2021

Ich warte immer noch auf den Tintifax, der alle in eine Kiste sperrt

@jamesponddotco
Wie jeder, der gegen Ende des vorigen Jahrtausends in Österreich aufgewachsen ist, weiß, ist Tintifax der grüngesichtige Zauberer, der in Habakuks Kasperltheater den Antagonisten zum Kasperl darstellt. Erdacht wurde er von Arminio Rothstein, jenem Puppenmacher, Puppenspieler und Autor, der in den Kasperl-Sendungen immer als Clown Habakuk auftrat. Rothstein hat das österreichische Kinderfernsehen über mehr als zwei Jahrzehnte geprägt, bis er 1994 an Lungenkrebs starb. Ich denke, dass er kein pflegeleichter Zeigenosse war - Michael Mittermeier hat ihn einst als "depressiven Clown" bezeichnet und seinen Unglauben darüber ausgedrückt, dass so jemand in Kindersendungen auftritt. Nun, ich glaube, in diesem Witz steckt ein wahrer Kern - mit Sicherheit hat ihn seine Kindheit als Halbjude im Zweiten Weltkrieg, als er wegen seines Status aus dem Gymnasium geworfen wurde und sich schließlich mit seinem Vater in einem Keller verstecken musste, geprägt. Ich denke, wir unterschätzen manchmal viel zu sehr die traumatischen Erfahrungen jener Generation, die die Kriegszeiten noch bewusst miterlebt hat. Aber viele Figuren aus Habakuks Puppentheater werden uns wohl für immer in Erinnerung bleiben.

Angesichts der jüngsten Ereignisse habe ich tatsächlich manchmal das Gefühl, ich hätte es mit einem Kasperltheater zu tun. Zum Beispiel, wenn ich jene höre oder lese, die sich über den Wechsel des Staatsoberhaupts in den USA beklagen. Ich muss sagen - es ist eine Wohltat, dass wieder jemand im Weißen Haus sitzt, der in der Lage ist, wie ein Erwachsener zu sprechen, und die Erleichterung war auch während Joe Bidens Inauguration spürbar. Ich finde allerdings nicht, dass das ein Grund zum Jubeln ist - denn die Fähigkeit, sich einigermaßen erwachsen auszudrücken, sollte eine Grundvoraussetzung für ein Staatsoberhaut sein, zumal, wenn es um eine Weltmacht geht. Dies als erwähnenswerte positive Eigenschaft anzuführen, finde ich persönlich eher traurig. Und noch etwas: :Joe Biden ist nicht der Messias, genauso wenig, wie ein Trump oder ein Obama das gewesen sind. Es gibt immer noch genügend Rassisten im Land, und es gibt immer noch die Gefahr der Pandemie. Dennoch ist die Neuigkeit, dass die dicke Orange mit der Meerschweinchen-Frisur sich endlich verabschiedet hat, zweifelsohne eine Verbesserung der Lage - zumal er ja sogar Ronald Reagan und George W. Bush als schlechteste US-Präsidenten aller Zeiten übertroffen hat. Denn die haben im Zweifelsfall zumindest noch auf jemand anders gehört, während Trump jeden entlassen hat, der ihm nicht Recht gegeben hat. Kein Wunder, dass so seltsame Gestalten wie Betsy DeVos (die schon zuvor die Privatisierung und Entprofessionalisierung des Bildungssystems vorangetrieben hatte), Steve Bannon (Betreiber eines rechtsradikalen Verschwörungs-Blogs) und Mike Pence (der sich dafür eingesetzt hat, dass in den Schulen gelehrt wird, dass die Menschen vor 6.000 Jahren auf Dinosauriern geritten sind) in der Regierung sitzen durften.

Für eine Gruppierung ist der Machtwechsel hingegen alles andere als ein Grund zum Jubeln: Ich spreche hier natürlich von den QAnon-Schwurblern und ihren Mitläufern. Nachdem diese im letzten Jahr auch hier in Europa sehr viel Zulauf hatten, habe ich bereits im April darüber berichtet. Trotzdem fasse ich es an dieser Stelle noch einmal kurz zusammen: QAnon ist ein Netzwerk, das auf einen anonymen Benutzer des Messageboards 4chan zurückgeht, der seit Oktober 2017 immer wieder kryptische Botschaften veröffentlicht hat. Dieser nannte sich "Q", was in den USA die höchste Stufe der Zugriffsberechtigung für Mitarbeiter auf brisantes bzw. geheimes Material bedeutet; "Anon" wiederum ist ein Kürzel von "Anonymous". Nun - Leute, die behaupteten, Zugang zu geheimen bzw. vertraulichen Informationen der Regierung zu haben, gab es vorher auch schon, aber keiner hat dafür je irgendeinen Beweis geliefert, auch dieser ominöse "Q" nicht. Seine Identität ist bis heute noch nicht geklärt - vermutet werden aktuell Ronald Watkins, der Inhaber des Messageboards 8kun, zuvor 8chan, und sein Vater Arthur Watkins, die beide auf den Philippinen leben. (Ironischerweise stellte sich im letzten Jahr heraus, dass James Watkins über sein Unternehmen Web-Domains für Kinderpornographie und Pädokriminalität verwaltete und verkaufte.) Auf jeden Fall verfasste dieser "Q" auf 4chan und später auf 8chan bzw. 8kun immer wieder kryptische Botschaften sowie Vorhersagen, die nie eintrafen (ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft Trumps politische Gegner angeblich schon verhaftet worden sind) und die, nachdem sie sich nie bewahrheiteten, mit der Zeit immer nebulöser wurden - wobei Gläubige hinter diesen einen "tieferen Sinn" vermuteten, weshalb die schlechte Trefferquote eigentlich auch nicht schadete. Aber man sollte eben keine Risiken eingehen. Jedenfalls, der Inhalt dieser Kommentare sprach vor allem diejenigen an, die selbstverständlich überhaupt gar nicht rechts sind, auch wenn deren Aussagen eine erstaunlich hohe Schnittmenge zu rechtsextremen Narrativen aufweisen. Im Großen und Ganzen geht es um einen "Deep State" aus satanistischen, pädophilen Politikern und Hollywood-Stars, der die ganze Welt beherrschen soll; dem gegenüber steht Donald Trump, der heldenhafte Kämpfer für das Gute und gegen Satanisten, Juden, Homosexuelle und Pädokriminelle. Die rechte Radiomoderatorin und Trump-Anhängerin Tracy Diaz griff die Andeutungen des ominösen "Q" auf und verschaffte ihnen mittels ihres YouTube-Kanals noch mehr Reichweite. So wurde eine alternative Realität geschaffen, in der jeder einzelne unbedeutende Bürger Amerikas potenziell entscheidend zur Gestaltung der Weltgeschichte beitragen und sich mit einem Mal ganz wichtig fühlen kann - und in der alles, was auf der Welt geschieht, als Teil dieser Verschwörung interpretiert werden kann. Entsprechend wurden auch die dümmsten Aussagen und Tweets des heiligen Onkel Donald als "verschlüsselte Botschaften" aufgefasst. Und nachdem dieser schon Monate vor den Wahlen diese als "gefälscht" angeprangert hatte, sah man darin die Bestätigung seiner hellseherischen Fähigkeiten.

Da die QAnon-Gläubigen natürlich ganz in Mr. Trumps Sinne handelten, war er auch nicht bereit, an diesen Kritik zu üben bzw. sich von ihnen zu distanzieren - stattdessen erklärte er rechtsterroristische Vereinigungen wie QAnon zu den wahren Patrioten und griff deren Narrative auch gerne auf. Nach seiner Wahlniederlage wetterte er immer wieder gegen die "bösen Menschen", die seine Wahl "gestohlen" hätten und "zur Rechenschaft gezogen" werden müssten. So ließ sich seine Niederlage vor Wahlbehörden und Gerichten zu einem heroischen Kampf gegen das Establishment (dem er als Milliardär ja eigentlich selbst angehört) umdeuten, zu einer Art Auftakt des Endkampfes gegen die bösen Mächte des "Deep State". Und am 6. Jänner dieses Jahres gab Trump schließlich selbst den Marschbefehl - der in den "Sturm auf das Kapitol" gipfelte.

In diesen inzwischen über drei Jahren, in denen Leute einen anonymen Internet-Account anbeten, hieß es immer wieder "Trust" the plan" oder "Where we go one, we will go all" (WWG1WWGA), und man wartete sehnsüchtig auf den Tag des großen Showdowns, an dem der heilige Onkel Donald seine Feinde verhaften, vor Gericht stellen und hinrichten würde. Und das betraf nicht nur die QAnons aus den USA - denn inzwischen haben sich auch hier in Europa Leute zu Anhängern dieser Vereinigung erklärt, die meiner bescheidenen Ansicht nach die Züge einer Sekte trägt. Wie auf der anderen Seite des großen Teichs, wo QAnon bald zu einem Sammelpool für Trump-Fans, christliche Fundamentalisten, Rassisten, Faschisten, Antisemiten, Impfgegner, Leichtgläubige etc. wurde, so überschneiden sich die Gläubigen dieser Bewegung auch hierzulande häufig mit Leerdenkern (ich weigere mich, diese Mischpoche als "Querdenker" zu bezeichnen) und anderen Gruppierungen, welche selbstverständlich auch überhaupt nicht rechts oder so irgendwas sind!

Jedenfalls setzten die Q-Äugigen (geiles Wortspiel, nicht wahr? Bin ich nicht toll, hä? Hä?), ebenso wie die rechtsradikalen "Proud Boys" und andere Gruppierungen, die den heiligen Onkel Donald ganz toll finden, all ihre Hoffnungen in den 20. Januar 2021 - dem Tag der Angelobung Joe Bidens -, und bestätigte sich zwischendurch immer wieder via Telegram, dass alle anderen Unrecht hätten, man selbst aber natürlich nicht. Und jetzt dürft ihr raten, was an diesem Tag passiert ist - nun, da ich annehme, dass keiner von euch seit zwanzig Jahren in einer dunklen Höhle lebt oder gerade erst aus einem dreißigjährigen Koma erwacht ist, wisst ihr es natürlich längst: Nichts! Donald Trump verließ bereits vor der Inauguration das Weiße Haus und kehrte nicht wieder - er tauchte nicht auf, um den "Deep State" offenzulegen, es gab keinen prophezeiten "Sturm", keine Verhaftungen, keine Gerichtsverhandlung, keine Verurteilungen, keine Hinrichtungen. Die Vereidigung des 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten ging durch die Corona-rise etwas ungewöhnlich, aber ansonsten reibungslos über die Bühne. Und unter all jenen, die einer ihnen unbekannten Person (oder mehreren Personen) blind nachgelaufen waren, machte sich Verwirrung und Enttäuschung breit.

Auch Ronald Watkins, der mutmaßliche "Q", veröffentlichte einen Post auf 8kun, in dem er empfahl, zu seinem alten leben zurückzukehren und die Verfassung zu respektieren - ein Hinweis darauf, dass selbst der Oberguru bereits das Handtuch geworfen hat? Möglich, möglich ... Und auch unter den Anhängern der Gruppierung machte sich Zweifel breit; viele bemerkten dass von den versprochenen Prophezeiungen keine einzige eingetroffen ist, Accounts wurden gelöscht, viele fühlen sich betrogen und demoralisiert - und haben damit selbstverständlich auch vollkommen Recht. Und so stehen die QAnon-Gläubigen aktuell vor einer schwierigen Entscheidung: Wollen sie die Realität nun endlich akzeptieren und wieder zu ihr zurückkehren, oder wollen sie diese weiterhin verweigern und an das Märchen von Superdonald glauben?

Denn selbstverständlich bedeutet diese Ernüchterung keineswegs das absolute Ende von QAnon - und übrig bleiben jene, die man mit Vernunft und Rationalität nicht mehr erreichen kann: Die Hardcore-Anhänger, denen keine Verschwörungstheorie zu abstrus und keine Behauptung zu wirr ist, als dass nicht doch "irgendwas dran sein" könnte. Zu ihnen gehören auch die Schwurbel-Promis Michael Wendler und Oliver Janich - die wohl endgültig nicht mehr zurückkönnen. Und so wird vermutet, dass auch die Inauguration Joe Bidens in Wirklichkeit nur Teil von Trumps genialem Plan ist: Etwa, dass Biden nur dessen Strohmann ist. Oder, dass Washington D. C. in Wirklichkeit gar nicht zu den USA gehört. Oder, dass Trump sich als Biden "getarnt" hätte - mittels einer Gesichtstransplantation, wie wir sie aus John Woos Actionfilm Face/Off kennen. Der selbstverständlich voll und ganz die Realität abbildet *zwinker zwinker*.

Fest steht jedoch - wir dürfen diese Strömung nach wie vor nicht unterschätzen. Denn auch wenn sich das alles nach wirren Hirngespinsten anhört, so haben wir schon mehrmals gesehen, wozu diese Hirngespinste führen können - sei es nun das Attentat in Hanau im Februar 2020, der versuchte "Sturm" auf den Reichstag im Sommer letzten Jahres oder auch das Ereignis in Washington am 6. Jänner. Und die Tatsache, dass wohl hauptsächlich jene übrig bleiben werden, die für logische Argumente überhaupt nicht mehr empfänglich sind, macht diese Bewegung eher noch gefährlicher - denn diese Menschen sind zum allem bereit, um ihre Agenda durchzusetzen, selbst wenn diese schon von vorn herein zum Scheitern verurteilt ist. Und findet in einschlägigen Online-Communities das passende Ventil für ihre Lügen und Gewaltphantasien - was die Sache natürlich noch bedenklicher macht. Und das ist auch der Grund, warum ich diesen Artikel hier schreibe. Denn auch ich habe bei Leuten, zu denen ich Kontakt hatte bzw. habe, bereits Tendenzen zu dieser Sekte - anders kann ich das gar nicht nennen - bemerkt. Und Überlegungen, ob da nicht doch was Wahres dran ist. Deswegen hier mein Appell an meine lieben Leser und Innen: Lasst euch nicht von irgendwelchen Fremden aus dem Internet irgendwas einreden! Hört nicht auf, zu zweifeln - und zwar nicht nur am bösen "Mainstream", sondern auch an all jenen, die von sich behaupten, jenseits dessen zu stehen! Denn glaubt mir - das sind nicht eure Freunde, auch wenn sie es noch so oft behaupten. Das ist so ein ähnliches Ding wie mit diesen Influencern, die ihren Fans erzählen, dass sie sie lieben - man kann keine Leute lieben, die man überhaupt nicht kennt. Genauso wenig, wie man mit Leuten befreundet sein kann, die man überhaupt nicht kennt. Natürlich bin auch ich nicht die Freundin von jedem, der das liest, aber hey: Just saying. Was ihr mit dieser Information anstellt, ist natürlich eure Sache - ich kann euch nur bitten, nicht allen blind zu vertrauen, nur weil sie zufällig eure Meinung bestätigen. Nicht einmal meiner Wenigkeit.

vousvoyez

Dienstag, 19. Januar 2021

Die Stiege geht man hinauf, die Treppe fällt man hinunter

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Die Antwort einer Freundin auf der Frage, was denn der Unterschied zwischen Stiege und Treppe sei. In Wirklichkeit ist das natürlich so: Bei uns in Österreich wird die Treppe allgemein eher als "Stiege" bezeichnet - außer vielleicht die Wendeltreppe. Ich erinnere mich noch, dass mein Vater mich dafür rügte, dass ich in einem Aufsatz das Wort "Treppe" verwendet habe - es war ihm immer enorm wichtig, dass ich meiner eigenen Sprache treu bleibe. Ich habe übrigens einmal gelesen, dass es gar nicht so leicht ist, eine Treppe im richtigen Winkel zu bauen, und dass es im Prinzip auch ein Ding der Unmöglichkeit ist - entweder ist das Hinaufsteigen einfacher oder das Hinuntersteigen, beides zugleich geht nicht. Die Treppe gehört ganz offensichtlich nicht zu den natürlichen Lebensräumen des Menschen - obwohl sie in der zivilisierten Welt allgegenwärtig ist. Übrigens haben wir in meiner Heimatstadt eine der seltenen mittelalterliche Doppelwendeltreppen. Der Wiener Schauspieler und Kabarettist Hans Peter Heinzl hat die Kellertreppe übrigens einmal mit einem Atomkraftwerk verglichen - nur, weil ab und zu mal einer eine Kellertreppe hinuntergefallen ist, schafft man doch auch nicht die Kellertreppen ab, oder?

Nun, ich würde jetzt eine Kellertreppe nicht unbedingt mit einem Atomkraftwerk vergleichen - aber Satire darf ja bekanntlich alles. Vielleicht nicht alles, aber doch zumindest weitaus mehr als etwas, das ernst gemeint ist. Das Problem ist halt, dass es zu viele gibt, die das eine vom anderen nicht unterscheiden können. Deswegen ist es heutzutage auch sehr leicht, alle möglichen Märchen als wahr zu verkaufen - irgendjemand wird das schon glauben. Wenn auch nur, weil es ja Verschwörungstheorien gibt, die tatsächlich wahr geworden sind!

Nun - das ist tatsächlich nicht falsch. Prominentes Beispiel dafür ist etwa die Shoa: Lange wollte man außerhalb des europäischen Kontinents nicht glauben, dass Juden und andere dem Nationalsozialismus missliebige Personengruppen systematisch in Konzentrationslagern dahingerafft wurden. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man das fast schon witzig finden - immerhin wurden diese unfassbaren Grausamkeiten ebenfalls mit einer Verschwörungstheorie gerechtfertigt, nämlich jener des "Weltjudentums", dem zufolge die Juden angeblich die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Ich denke, man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass "die Juden" ein genauso schwammiges Kollektiv ist wie etwa "die Deutschen" oder "die Radfahrer". Und auch die Überwachungs- und Spionagepraktiken britischer und amerikanischer Geheimdienste, die der ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden aufgedeckt hat, wurden ursprünglich als "Verschwörungstheorien" bezeichnet. Und auch die Watergate- und die Iran-Contra-Affäre waren ursprünglich nur Verschwörungstheorien.

Aber wenn das stimmt, dann muss es doch auch wahr sein, dass die Amerika nie auf dem Mond waren, dass die Erde flach ist und dass uns durch die Covid-Impfungen ein Chip implantiert wird, oder? Nein, ganz so einfach ist es natürlich nicht! Nehmen wir einmal ein anderes Beispiel: Wir alle sind seit unserer Kindheit mit den berühmten Schauspielerinnen und Schauspielern Hollywoods vertraut. Und so manch einer ist von diesen so fasziniert, dass er oder sie den großen Wunsch hegt, einer von ihnen zu werden. Sie bzw. er absolviert eine Schauspielausbildung (oder auch nicht) und reist nach Los Angeles, in der Hoffnung, dort entdeckt zu werden. Da dies allerdings selbstverständlich nicht gerade wenig Leute sind, liegt es in der Natur der Sache, dass nur ein Bruchteil all dieser hoffnungsvollen Talente oder Möchtegern-Talente eines Tages auf den großen Leinwänden der Welt zu sehen sein wird, und sei es auch nur als kleiner Mitarbeiter oder Statist. Viele vergeuden praktisch ihr ganzes Leben damit, auf die große Chance zu warten, und übersehen dabei komplett, dass es auch noch andere Dinge auf der Welt gibt. Denn wer es wirklich schafft, kann niemand voraussagen - auch großes Talent ist keine Garantie, zumal mitunter auch Leute wie Ashton Kutcher am großen Hollywood-Kuchen mitnaschen dürfen. (Ja, es tut mir furchtbar leid, ich habe nichts gegen ihn persönlich, aber ich halte ihn nicht für einen guten Schauspieler. Und jetzt her mit den faulen Tomaten!) Ähnlich ist es auch mit den Verschwörungsgeschichten - seit Menschengedenken gibt es davon ungefähr so viele wie Sand am Meer, aber nur die wenigsten stellen sich irgendwann einmal als wahr heraus. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Wenn du oft genug würfelst, ist klar, dass du irgendwann einmal die Vier erwischst. Und da es schon seit Jahrtausenden so viele Verschwörungstheorien gibt, ist klar, dass nicht alles davon falsch ist. Es macht aber das Geschwurbel über die angeblich erfundene Pandemie und die ach so gefährliche Impfung, das gerade jetzt von allen Seiten auf uns einprasselt, nicht wahrer.

Im Großen und Ganzen sind Verschwörungstheorien, ob glaubwürdig oder nicht, wahr oder nicht, wohl schon so alt wie die Menschheit selbst - es gab und gibt sie in allen Gesellschaften und Kulturen. Vor Beginn der Neuzeit erreichten sie allerdings weitaus seltener eine Massenwirksamkeit - zu den wenigen Beispielen gehörte etwa der frühe Tod des allseits beliebten römischen Feldherrn Nero Claudio Germanicus, dem man ein Mordkomplott andichtete, weil die Erklärung, er sei einer Krankheit erlegen, zu profan erschien. Im Mittelalter waren es vor allem die Juden, die für Verschwörungsmärchen herhalten mussten - so behauptete man, sie seien Schuld am Ausbruch der Pest, da sie die Brunnen vergiftet hätten, oder man unterstellte ihnen, christliche Kinder zu entführen und rituell zu ermorden. Ähnlich rechtfertigte man auch die Hexenverfolgungen der frühen Neuzeit - ein Schema, das auch heute noch funktioniert: Die Corona-Pandemie ist eine Verschwörung der Regierung, an der Behinderung meines Kindes ist die Masernimpfung schuld und die Flüchtlinge sind für alle wirtschaftlichen Probleme verantwortlich. Im Großen und Ganzen wurden unerfreuliche Ereignisse jedoch eher als Strafe Gottes verstanden denn als die Machenschaften menschlicher Verschwörer. Die erste Verschwörungstheorie in größerem Maßstab entstand im elisabethanischen England mit dem Mythos der vom Ausland gesteuerten Jesuiten-Verschwörung - diese sollten angeblich für diverse Mordanschläge auf das Königshaus verantwortlich sein. Dass der Jesuiten-Orden im 18. Jahrhundert aufgelöst wurde, war nicht zuletzt auch die Ursache solcher Verschwörungstheorien, die viele auch bestätigt sahen, als sich diese in Paraguay gegen spanische und portugiesische Herrschaftsansprüche zur Wehr setzten. Dennoch hielten sich antijesuitische Verschwörungstheorien in den USA bis ins 19. Jahrhundert hinein.

Als einen der berühmtesten Verschwörungstheoretiker der Geschichte könnte man Maximilien de Robespierre bezeichnen, der einen prägenden Einfluss auf die Französische Revolution hatte. Er rechtfertigte die Verfolgung, Inhaftierung und Hinrichtung politischer Gegner damit, dass sie Teil der Verschwörung des absolutistischen Auslands gegen die revolutionäre Regierung seien - eine Behauptung, die durchaus einen wahren Kern besaß, sich aber zu einem Selbstläufer entwickelte, der darin gipfelte, dass im Frühjahr 1794 die Hébertisten hingerichtet wurden, die angeblich vom Ausland dafür bezahlt wurden, durch absichtlich übersteigerte Maßnahmen die junge Republik zugrunde zu richten - oder, wie es in Georg Büchners Drama Dantons Tod so treffend zum Ausdruck gebracht wird: "Ich weiß wohl, die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder." (Georg Büchner: Sämtliche Werke. Insel Verlag (insel taschenbuch) 2002, S. 31)

Dass man jenen, die dem Konspirationismus anhängen, unterstellt, gerne eine Kopfbedeckung zu tragen, die aus Stanniolpapier gefertigt ist, ist allerdings ein Narrativ, der erst seit dem 20. Jahrhundert populär ist. Heute ist es bereits gang und gäbe, dass man Leuten, die behaupten, Donald Trump befreie Kinder aus dem Untergrund, deren Blut Prominenten, die lustigerweise immer politische Gegner des amerikanischen Fast-nicht-mehr-Präsidenten sind, als Verjüngungsmittel diene, empfiehlt, ihren Aluhut abzunehmen, oder andere, die die aktuelle Pandemie für eine Verschwörung diffuser Welt-Eliten halten, zu fragen, ob ihr Aluhut möglicherweise zu fest sitzt. Aber woher kommt das?

Nun, der Aluhut geht auf die Science-Fiction-Kurzgeschichte The Tissue-Culture King zurück, die der britische Biologe, Philosoph und Schriftsteller Julian Huxley im Jahr 1927 veröffentlichte. Darin schützt sich der Protagonist vor den telepathischen Fähigkeiten eines afrikanischen Stammes, der ihn gefangen hält, mit Hilfe einer aus Metallfolie gebastelten Kopfbedeckung. Seit damals wird der Begriff des Aluhutes mit Paranoia und Konspirationismus in Verbindung gebracht - und wird meist im übertragenen Sinn verwendet. Auch tatsächliche Aluhüte werden meist im satirischen Sinne verwendet - oder auch als Trotzreaktion, etwa während jener Proteste gegen die Maßnahmen bezüglich der aktuellen Pandemie, die seit April 2020 regelmäßig stattfinden. Eine Demonstrantin in Wien behauptete gar, der Aluhut ermögliche es ihr, frei zu denken - eine Aussage, die an Ironie nur schwer zu überbieten ist. Beliebt bei jenen, die sich "Querdenker" nennen, sind auch Kugeln aus Alufolie, an der Kleidung befestigt, die ihnen als Erkennungszeichen dienen (und es unsereins erleichtern, bestimmten Leuten aus dem Weg zu gehen). Allerdings gibt es auch nicht-konspirationistische Bereiche, in denen so ein Aluhut von Nutzen ist: Israelische Chirurgen kamen etwa auf die Idee, ihre OP-Haube bei Operationen an Frühgeborenen durch eine Abdeckung aus Aluminium zu ergänzen, um ihre Köpfe vor der für die Körperregulierung der Kinder notwendigen Infrarot-Strahlung zu schützen. Bekannt ist auch der Negativpreis Goldener Aluhut, gestiftet von Giulia Silberbergers gleichnamiger Initiative, der seit 2015 in Berlin verliehen wird und dessen Träger so verschwurbelte großartige Persönlichkeiten wie Xavier Naidoo und der Volkslehrer, desinformative Institutionen wie der Kopp-Verlag und Astro-TV oder auch diverse Blogs und Kanäle aus dem Kontext der Universität zu Youtubingen sind. Ironischerweise brach Michael Ballweg, seines Zeichens Initiator der Schwurbel-Bewegung "Querdenken", einen Rechtsstreit gegen den Goldenen Aluhut vom Zaun, weil er glaubte, einen Anspruch auf diesen Preis zu haben - ein seltsames Anliegen, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um einen Spott-Preis handelt. Aber jeder, wie er glaubt, nicht wahr?

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass "Querdenken" ursprünglich so gar nichts mit Konspirationismus zu tun hatte - ganz im Gegenteil. Quer zu denken hieß früher nicht, an Märchen zu glauben, um sich als etwas Besonderes darstellen zu können - Querdenker waren Menschen, die dazu fähig waren, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und die Menschheit ein Stück weit voranzubringen. Deswegen wurde Querdenken, ehe Ballweg den Begriff als "Marke" etablierte, als Synonym für laterales Denken gebraucht - für die Lösung eines intellektuellen Problems mittels kreativem Denken. In Ballwegs Sinne bedeutet "Querdenken" jedoch, alles abzulehnen, was einem nicht gefällt und nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Und das finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich betrüblich - denn viele scheinen sich ja tatsächlich auf einer Ebene mit jenen großen Künstlern und Wissenschaftlern zu sehen, die einst in konservativen Kreisen für ihre revolutionären Ideen in Ungnade fielen. Was angesichts dessen, dass viele sich nicht einmal in ihrer eigenen Muttersprache einigermaßen verständlich ausdrücken können, ziemlich schmerzhaft ist.

Aus Erfahrung kann ich nur sagen: Wenn ein Begriff einmal auf diese Weise in Ungnade gefallen ist, ist es leider nahezu unmöglich, ihn wieder seiner ursprünglichen Bedeutung zuzuführen. Aber gerade deswegen möchte ich euch anregen, eure Gedanken die Flügel ausstrecken zu lassen, als einfach nur stumpf den Ballwegs, Schiffmanns und Wendlers dieser Welt nachzulaufen. Denn dies hat nichts mit "Freiheit" zu tun - ganz im Gegenteil, man lässt sich damit auf einen Mechanismus ein, der sehr ausgrenzend ist. Um hier dazuzugehören, muss man denjenigen, die das Sagen haben, stets nach dem Mund reden - im Prinzip ist es, auch wenn es hart klingt, vergleichbar mit dem Eintritt in eine Sekte. Und wenn das einmal eingetroffen ist, sind eure Gedanken nicht mehr frei - auch wenn ihr es noch so sehr glaubt. Dann hilft euch auch das Singen alter Studentenlieder nicht mehr.

vousvoyez

Donnerstag, 14. Januar 2021

Die Erde war früher ein Würfel, bis besorgte Eltern die Ecken abgerundet haben

© vousvoyez
Wieder einmal ein Satz, den ich von einem Kabarettisten "gemopst" habe - in diesem Fall war es Gery Seidl. Ich finde, dass diese Weisheit auf charmante Art und Weise zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt - einerseits greift er satirisch die eigentlich völlig überflüssige Debatte nach dem Aussehen des Planeten Erde auf, andererseits das in unserer heutigen Zeit sehr präsente Thema unterschiedlicher Erziehungsstile. Und tatsächlich wachsen Kinder heutzutage - auch unabhängig von der aktuellen Gesundheitskrise - in vieler Hinsicht anders auf als meine Generation oder die davor. Beispielsweise werden, wie ich schon häufiger angeführt habe, sehr ausufernde Debatten darüber geführt, was man seinen Kindern heutzutage an Filmen und Serien überhaupt noch zeigen darf und was nicht. Und ich denke, ihr ahnt es schon - es geht wieder einmal um mein Lieblingsthema. Ich möchte fortsetzen, was ich im letzten Jahr angefangen habe und was, wie ich bemerke, sehr gut anzukommen scheint - ich möchte wieder einmal über die Hintergründe der Disney-Klassiker sprechen.

Es gibt einen Film, den ich aus zwei Gründen noch nicht behandelt habe - erstens war es nicht so leicht, etwas über die Ursprungsgeschichte herauszufinden, zweitens muss ich zugeben, dass dieser Film mich als Kind weitaus mehr getriggert hat als das als so verstörend dargestellte Bambi. Die Rede ist von Dumbo, dem vierten abendfüllenden Zeichentrickfilm der Disney-Studios unter der Regie von Ben Sharpsteen, der 1941 in die Kinos kam. Ich liebe Elefanten, aber obgleich dieser Film gut ausgeht, finde ich bis heute, dass es kaum einen gibt, der trauriger ist - ein Elefantenkind, dessen einziger "Makel" darin besteht, das es zu große Ohren hat, wird deswegen gehänselt, verspottet und ausgegrenzt, und nicht nur das - als seine Mutter genau das tut, was jede Mutter tun würde, die noch alle Tassen im Schrank hat, nämlich ihr Kind zu verteidigen, landet sie hinter Gittern. Bis heute ist für mich die Szene, in der Dumbos Mutter versucht, ihren Sohn durch die Gitterstäbe hindurch zu trösten, eine der schmerzlichsten Filmszenen überhaupt. Ich glaube, dass Dumbo einen Grundstein dafür gelegt hat, dass ich bis heute ein gestörtes Verhältnis zum Zirkus habe - neben jenem Nachmittag, als ich im Alter von etwa acht Jahren mit einer befreundeten Familie im Zirkus war und dort Löwen auftraten, denen man die Zähne gezogen hatte und die die Gesichter tieftrauriger alter Männer hatten. Aber auch negative Film-Erlebnisse gehören nun mal dazu. Und deswegen möchte ich hier das anführen, was mir meine Mutter vor Jahren erklärt hat: Es ist wichtig, dass Kinderfilme gut ausgehen, weil man damit zeigt, dass es nicht nur Probleme, sondern auch Lösungen gibt. Dass ich die Originalgeschichte doch noch gefunden habe, verdanke ich übrigens wieder einmal dem Buchperlenblog.

Die Vorlage für den Film ist das Kinderbuch Dumbo, the Flying Elephant von dem Autoren-Ehepaar Helen Aberson und Harold Pearl und wurde von der Geschichte des afrikanischen Elefantenbullen Jumbo inspiriert, der in den 1860er Jahren als Jungtier von Abessinien nach Paris gelangte und ein paar Jahre später zur Hauptattraktion des Londoner Zoos wurde. 1882 wurde er an den amerikanischen Schausteller Phineas Taylor Barnum verkauft und in die USA verschifft, wo er Teil einer Wandermenagerie wurde. Drei Jahre später wurde Jumbo Opfer eines Zugunglücks in Ontario; bei einer Umladeaktion wurde er von der Lokomotive eines Güterzuges erfasst und starb. Barnum ließ das Tier präparieren und schenkte das Skelett dem American Museum of Natural History in New York. Der ausgestopfte Elefant war noch eine Weile Teil der Wandershow, ehe er 1889 einen dauerhaften Standort im Tufts College in Medford, Massachusetts in der sogenannten Barnum Hall fand. Diese fiel 1975 einem Brand zum Opfer - von dem Präparat blieb nur noch ein Stück des Schwanzes übrig, das bis heute im Tufts College aufbewahrt wird. Jumbo war schon zu Lebzeiten eine Legende - bedingt dadurch, dass afrikanische Elefanten zur damaligen Zeit in Europa in den USA äußerst selten waren. Ich denke, das liegt wohl daran, dass der afrikanische im Gegensatz zum asiatischen Elefanten kaum erziehbar ist - zudem sind afrikanische Elefantenbullen, sobald sie die Geschlechtsreife erreicht haben, in der Fortpflanzungsphase häufig aggressiv und unberechenbar. Nachdem Jumbo in Ontario von dem Zug erfasst worden war, erzählte Barnum, er sei gestorben, während er das Leben eines kleineren Elefanten gerettet habe, der zuvor auf die Gleise gelaufen war, und habe, bevor er starb, noch seinen Wärter mit dem Rüssel umarmt.

"Jumbo" ist eine Ableitung des Swahili-Wortes Jambo (Hallo), während "Dumbo" im Grunde genommen eine Verunglimpfung dieses Namens ist - es leitet sich vom englischen Wort dumb (dumm) ab. Sowohl das Buch als auch der Film beginnen damit, dass alle Tiere im Zirkus Junge bekommen - im Film werden die Jungen vom Klapperstorch gebracht (und nein, ich habe trotzdem nie an den Storch geglaubt), darunter auch der kleine Jumbo jr., der jedoch wegen seiner übergroßen Ohren von den anderen Elefanten bald nur noch "Dumbo" genannt wird. Aufgrund seiner Ohren wird der wehrlose kleine Elefant bald zur Lachnummer des Zirkus - als ein paar Kinder das Jungtier auslachen und an den Ohren zerren, werden diese von seiner Mutter angegriffen. Die Zoowärter sperren sie daraufhin in einen Käfig und machen ihren armen Sohn zum Darsteller einer Clowns-Show, woraufhin dieser endgültig aus der Gemeinschaft der Elefanten ausgeschlossen wird. Der einzige Freund, den Dumbo hat, ist im Buch das Rotkehlchen Red, während ihm im Film die Maus Timothy zur Seite steht. Mit ihrer Hilfe gelingt es dem unglücklichen Elefanten allmählich, aus seiner Not eine Tugend zu machen - er entdeckt, dass er mit seinen riesigen Ohren fliegen kann und wird zum Star des Zirkus, und am Ende wird auch seine Mutter wieder freigelassen. Auch von diesem Film gibt es bereits eine Realversion unter der Regie von Tim Burton, die ein wenig mehr an die heutigen Wertvorstellungen angepasst ist und die ich mir vielleicht, obwohl ich das sonst ja verweigere, tatsächlich einmal ansehen werde.

Die Originalgeschichte von Aberson und Pearl wurde 1939 herausgebracht, und zwar zunächst nicht als ein Buch, wie wir es kennen, sondern als sogenanntes "Roll-a-Book" - das man sich vielleicht wie die sehr vorsintflutliche Version einer Smartphone-YouTube-App vorstellen kann: Ein Kasten mit einer eingerollten Leinwand, die mittels einer Kurbel herausgedreht werden konnte, so dass man die Geschichte so ähnlich wie einen Film betrachten konnte. Leider scheint man diese Dinger nirgends mehr zu bekommen, jedenfalls habe ich vergeblich nach wenigstens einem Foto gesucht. Von der Print-Ausgabe existierten nur wenige Exemplare - bei allen Büchern, die nach der Verfilmung veröffentlicht wurden, wurden die Namen der ursprünglichen Autoren durch das Disney-Logo ersetzt. Aberson und Pearl hatten kein weiteres Mitspracherecht mehr an ihrer Geschichte - nicht der einzige Fall, bei dem Disney sich an der Kreativität anderer bereicherte. Was wohl auch der Grund ist, warum man so schwer an das Original herankommt. 1942 erhielt der Film einen Oscar in der Kategorie "Beste Filmmusik".

Der nächste Film, den ich heute besprechen möchte, könnte nicht gegensätzlicher zu dem vorhergehenden sein: The Great Mouse Detective (dt. Basil, der große Mäusedetektiv) aus dem Jahr 1986, bei dem John Musker, Ron Clements, Burny Mattinson und David Michener Regie führten, ist ebenso einfallsreich gestaltet, aber deutlich dynamischer und witziger - und darüber hinaus technisch äußerst innovativ. Für mich war und ist dieser Film ein absolutes Highlight unter den Disney-Erzeugnissen - allein schon wegen der Sherlock Holmes nachempfundenen Hauptfigur Basil und seinem Vertrauten Dr. Dawson (in der deutschen Ausgabe Dr. Wasdenn), dem Pendant zu Dr. Watson, dem bösen Antagonisten Professor Rattenzahn und seinem Gehilfen, der holzbeinigen Fledermaus Greifer. Dieser Film basiert auf der achtteiligen Kinderbuchreihe Basil of Baker Street (dt. Basil, der Mäusedetektiv) der amerikanischen Autorin Eve Titus, die hoffte, mit ihren Geschichten Kinder dazu zu ermutigen, später die berühmten Sherlock-Holmes-Romane des britischen Arztes und Schriftstellers Arthur Conan Doyle zu lesen. Entsprechend ist Basil auch eine Art Sherlock-Holmes-Geschichte mit Mäusen - sowohl die Bücher als auch der Film enthalten zahlreiche Anspielungen auf das berühmte Vorbild.

Die berühmte Sherlock-Holmes-Reihe umfasst vier Romane und 56 Kurzgeschichten, die von 1886 bis 1927 entstanden und von Edgar Allan Poes Geschichten um den französischen Detektiv Dupin inspiriert sind. Die Hauptfigur dieser Geschichten gilt bis heute als Prototyp des Privatdetektivs; ihre große Bekanntheit verdankt die Reihe vor allem durch die präzise Beschreibung der auf detailgenauer Beobachtung und nüchterner Schlussfolgerung basierenden forensischen Arbeitsmethode. Wie es heute bei fast allen Detektivgeschichten üblich ist, ist Holmes häufig die letzte Instanz, die dann ins Geschehen eingreift, wenn die Lösung eines Falls nahezu unmöglich erscheint. Da die Geschichten vor der Kulisse des viktorianischen London spielen, detailliert auf dieses Zeitalter eingehen und auch Ereignisse mit einfließen lassen, die zur damaligen Zeit aktuell waren, können sie der Tradition des literarischen Realismus zugerechnet werden. Sowohl die von Standesdünkeln, Chauvinismus und Xenophobie geprägte Mentalität als auch das große Vertrauen in Rationalität und Wissenschaft sind typisch für das frühe Industriezeitalter. In Titus' Kinderbüchern wohnt Basil (ein Name, den Sherlock häufig zur Tarnung benutzt) zusammen mit Dr. Dawson im selben Haus wie Sherlock selbst - in der berühmten Baker Street 221b in London (die zu Doyles Lebzeiten eigentlich nur 85 Hausnummern hatte) und hat wie sein menschliches Pendant die Gabe, Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben. Seine Fähigkeiten perfektioniert er, indem er regelmäßig Sherlocks Ausführungen lauscht. So, wie in den meisten Sherlock-Holmes-Geschichten Dr. John H. Watson als Erzähler fungiert, so werden auch die Basil-Geschichten von seinem Mäuse-Pendant Dr. Dawson erzählt; beide Figuren sind die praktisch veranlagten Partner, die den verkopften Detektiven die nötige Bodenhaftung verleihen. Auch die Gespräche zwischen Basil und Dawson erinnern an die pointierten Dialoge zwischen ihren menschlichen Vorbildern, die den Holmes-Geschichten das "gewisse Etwas" verleihen. Ein zusätzliches komisches Element im Disney-Film stellt die kurze, korpulente Figur des Dr. Dawson zu der (selbstverständlich auch Sherlock entsprechenden) hochgewachsenen, schlanken Gestalt Basils dar. Und Basil tritt natürlich stilecht getreu den Illustrationen von Sidney Paget (der Holmes' Erscheinungsbild übrigens nach dem Vorbild seines Bruders Walter zeichnete) mit Deerstalker-Mütze und Inverness-Mantel auf. Im Film gehorcht Holmes' Spürhund Toby neben seinem eigentlichen Herrn auch dem Mäusedetektiv - auch wenn die von Doyle beschriebene hässliche Promenadenmischung hier als niedlicher Basset dargestellt wird. Und natürlich erkennt der passionierte Holmes-Leser in dem fiesen, machthungrigen Professor Ratigan (dt. Professor Rattenzahn) das kriminelle Genie Professor James Moriarty wieder, das ursprünglich von Doyle erdacht wurde, um die Holmes-Reihe abzuschließen - was geschehen sollte, indem dem Protagonisten ein ebenbürtiger Gegner gegenübergestellt wird, durch dessen Hand er den Tod finden soll. Ein Vorhaben, das jedoch nicht gelang - auf Proteste seiner Fans hin ließ Doyle den berühmten Detektiv wieder auferstehen. Das Finale findet sich auch im Film wieder - als Basil und Rattenzahn im Uhrwerk des Big Ben aufeinandertreffen. In der Originalfassung des Films ist sogar die Stimme des berühmtesten Holmes-Darstellers Basil Rathbone aus alten Filmaufnahmen zu finden. 

Der Film hat eine eigenständige Handlung, auch wenn einzelne Szenen aus Titus' Büchern eingestreut wurden. Er ist auch einer der ersten Disney-Filme, in denen die größtenteils noch handgezeichneten Szenen bereits durch Computeranimation unterstützt werden - zu sehen in der Szene im Uhrwerk, das in dieser Detailgenauigkeit wohl niemals in Handarbeit hätte dargestellt werden können. Auch bei der Weiterverarbeitung von Bild und Ton wurde Computertechnik eingesetzt, was die Entstehungszeit des Films erheblich verkürzte.

Der letzte Film, um den es heute gehen soll, war gleichzeitig einer meiner allerersten Kino-Erlebnisse, die ich als Kind genießen durfte. Oliver & Company (dt. Oliver & Co.) ist die Disney-Version von Charles Dickens' berühmtem Gesellschaftsroman Oliver Twist, die allerdings sehr frei interpretiert ist und zwei Unterschiede aufweist, die sofort ins Auge springen: Die Geschichte wird vom viktorianischen London ins New York der 1980er Jahre verlegt, und aus dem hungernden und gequälten Waisenkind wird ein heimatloses Kätzchen. Der 1988 erschienene Zeichentrickfilm unter der Regie von George Scribner macht aus dem traurigen Dickens-Roman eine charmante, actionreiche Komödie mit einem spritzigen, zeitgemäßen Soundtrack, der die Standesdünkel des berühmten Autors außen vor lässt. Um Gemeinsamkeiten mit der literarischen Vorlage zu entdecken, muss man wirklich ganz genau hinsehen. Als Vierjährige hatte ich davon natürlich noch keine Ahnung - bis ich etwa zehn Jahre später im Gymnasium mit der Originalgeschichte in Berührung kam, als wir im Englischunterricht das viktorianische Zeitalter durchnahmen. Damals zeigte uns der Englischlehrer die Filmadaption von David Lean aus dem Jahre 1948 - so wurden die Weichen zur Lektüre des Originals gestellt. Auf Deutsch und auf Englisch. (Bin ich nicht toll? *angeb*)

Dickens' Oliver Twist erschien 1837 bis 1839 als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Bentley's Miscellany und schildert drastisch die Problematik von Verelendung, Kriminalität und Kinderarbeit im frühen Industriezeitalter. Diese wird erzählt anhand des Werdegangs des Waisenjungen Oliver Twist, der nach dem Tod seiner Mutter ohne Wissen um seine Herkunft unter katastrophalen Umständen im Armenhaus aufwächst. Im Kontrast zu seiner niederträchtigen Umgebung wird er als rein, edel und wohlerzogen dargestellt, die perfekte Identifikationsfigur, allerdings sind diese Charakterzüge für ein Kind, das weder Zuneigung noch Erziehung genossen hat, denn doch ziemlich unrealistisch. Sein Leben ist von Nahrungsknappheit und Schlägen geprägt, bis er als billige Arbeitskraft an einen Sargtischler verkauft wird und von dort aus nach London flieht. Im Gegensatz dazu ist Oliver aus dem Disney-Film der Letzte aus einem Wurf von Kätzchen, der kein neues Zuhause gefunden hat und auf den überfüllten Straßen von New York City seinem Schicksal überlassen bleibt, bis er auf den Hund Dodger trifft, dem Anführer einer Hundebande, dessen literarisches Pendant der Taschendieb Jack Dawkins ist, der ebenfalls Dodger (Herumtreiber, Gauner) genannt wird und der zu einer Bande aus Straßenjungen gehört. Aus dem jüdischen Hehler Fagin, der Oliver in seine Diebesbande integrieren will, wird im Film ein liebenswerter Obdachloser und Kleinganove, der sich aufopfernd um seine Hunde kümmert und auch das herrenlose Kätzchen vorbehaltlos bei sich aufnimmt. Aus Fagins Spießgesellen Sikes wird ein skrupelloser Schurke, dem Fagin eine horrende Geldsumme schuldet, und aus dessen Partnerin, der Prostituierten Nancy, die als einzige in dem Roman eine nennenswerte Entwicklung durchmacht, die afghanische Windhündin Rita, auf die vor allem einer der beiden Dobermänner von Sikes ein Auge geworfen zu haben scheint. Im Roman will der skrupellose Fagin den heimatlosen Oliver für seine Diebesbande ausbilden, während der nette Fagin aus dem Film die Unterstützung seiner Hunde benötigt, um seine Schulden bei Sikes bezahlen zu können. Im Laufe des Romans findet Oliver Liebe und Zuneigung bei dem gütigen Mr. Brownlow - das Pendant dazu ist im Film das kleine Mädchen Jenny aus der gut situierten 5th Avenue, das sich sofort in das niedliche Kätzchen verliebt und es bei sich aufnimmt. Im Gegensatz zu Dickens verzichtet man bei Disney jedoch darauf, aus dem Protagonisten einen Abkömmling vornehmer Herkunft zu machen, der nur durch Zufall ins Armenhaus gelangte, und nimmt dem Film somit die Standesdünkel, von denen der Roman geprägt ist. Allerdings findet sich auch Olivers Halbbruder Monks, der sein Erbe nicht mit jemand anders teilen will, im Film wieder - in Gestalt von Jennys Pudeldame Georgette, die den kleinen Kater aus Eifersucht aus dem Haus vertreiben will.

Oliver Twist folgt in seiner drastischen Darstellung sozialer Missstände der damaligen Tradition des Realismus - der Roman erinnert in seiner fast schon übertriebenen Tragik an die Werke des deutschsprachigen Naturalismus, im Gegensatz zu diesen geht Dickens' Roman aber zumindest gut aus. Auffällig ist, wie schon gesagt, der Kontrast des liebenswerten Oliver zu dem rohen, gewalttätigen Milieu, in dem er sich bewegt - was sich durch die eigentlich vornehme Herkunft des Jungen erklärt. Der somit zur gutwilligen, mitfühlenden Oberschicht gehört, die letztendlich auch seine Rettung ist. Was trotz des sozialkritischen Charakters des Romans bezüglich der Armenpolitik bezeichnend ist für die stereotypische Sichtweise der oberen auf die untere Gesellschaftsschicht, die zur damaligen Zeit in etwa so gnadenlos war wie das hinduistische Kastenwesen. Am häufigsten kritisiert wird aber Dickens' Darstellung der Figur des Fagin, die eindeutig den gängigen antisemitischen Stereotypen folgt.

Der Disney-Film wiederum war ursprünglich als eine Art Fortsetzungsgeschichte von Bernhard und Bianca gedacht, die sich um das Mädchen Penny drehen sollte. Tatsächlich weist Jenny einige auffällige Ähnlichkeiten zu Penny aus dem Film mit dem Mäusepaar auf - die ursprünglich geplante Geschichte wurde jedoch ziemlich bald wieder verworfen, da sie die Produzenten nicht überzeugte. Oliver & Co. war zudem der erste Disney-Trickfilm, der über eine eigene Abteilung für Computeranimationen verfügte, da diese in diesem Film weitaus häufiger eingesetzt wurden als in den vorigen - etwa in der Darstellung von Fahrzeugen und Hochhäusern. Für diese Animation wurden zuvor Fotos von New York sozusagen aus der Hundeperspektive gemacht. Die zeitgenössische Gestaltung manifestierte sich nicht nur in der Stadtkulisse und der jugendlichen Sprache, sondern auch in der Synchronisation: Der Titelsong wird von Huey Lewis gesungen, dessen Musik auch schon zuvor in Back To The Future (dt. Zurück in die Zukunft) zu hören war; Georgette wird im Original von der Komödiantin Bette Midler gesprochen, während der Sänger Billy Joel Dodger seine Stimme leiht (ich finde es schade, dass in der synchronisierten Fassung nicht wenigstens die Lieder in der Originalfassung bleiben). Auf diese Weise gewinnt der Film eine weitaus positivere Grundatmosphäre, als es in seinem literarischen Vorbild der Fall ist.

Ich hoffe, es ist mir wieder gelungen, euch die Zeit, die mir selbst schon lang wird, ein wenig zu verkürzen und euch zumindest für ein paar Minuten von der lästigen Situation abzulenken. Ich für meinen Teil war eigentlich ziemlich gut abgelenkt - immerhin hat dieser Artikel einen ganzen Nachmittag in Anspruch genommen, aber ich wollte eben unbedingt alle drei Filme in einem Post unterbringen, weil es sich irgendwie angeboten hat. Ich hoffe, es hat euch wieder Spaß gemacht und wir sehen uns beim nächsten Mal, wenn es wieder heißt: Bon voyage!

vousvoyez

Montag, 11. Januar 2021

Nicht jeder, der aus dem Rahmen fällt, war vorher im Bilde

Ein Satz, der viel Potenzial hat - und vieles erklärt. Beispielsweise, dass man nicht automatisch Recht hat, nur weil man sich für etwas Besonderes hält. Oder dass nicht alles, was provoziert, eine wichtige Aussage enthält. Man könnte ihn beispielsweise auf Jake Angeli beziehen, den Typen mit dem Fellkostüm und den Hörnern, der angeblich zur "Antifa" gehören soll, der aber auf jener BLM-Demo, auf der er fotografiert wurde, mit QAnon-Schild herumspaziert ist und es gar nicht so toll findet, dass die eigenen Leute ihn auf einmal zur Gegenseite abschieben wollen.

Wie immer, wenn etwas passiert wie neulich in Washington, versuche ich, angemessene Worte dafür zu finden, aber was auch immer ich niederschreibe, passt irgendwie nicht für einen Blog-Artikel. Häufig auch, weil natürlich irgendwann sowieso alles gesagt ist - und ein allgemein gehaltener Post meinerseits im Prinzip eher überflüssig ist. Eigentlich möchte ich nur soviel sagen: Es ist nicht das erste Mal, dass von verschiedenen Seiten davor gewarnt wird, dass gezielte Desinformation, die die Stimmung in eine bestimmte Richtung lenken soll, gepaart mit der Entmenschlichung politischer Gegner durch wirre, unbelegte Behauptungen und dem Untergraben des Vertrauens der Allgemeinheit in eine unabhängige Berichterstattung, ein dezidiert anti-demokratisches Verhalten ist. Und letztendlich zu dem führt, was wir in kleinerem Rahmen auch schon hier in Österreich oder auch in Deutschland beobachten können: Ein Haufen Leute, die es nie notwendig hatten, solidarisch zu sein, fordern im Grunde ein System, das sie selbst zum Mittelpunkt macht und ihnen alle Rechte einräumt, während diejenigen, die nicht so sind wie sie, zu Menschen zweiter Klasse deklariert und ihre Rechte eingeschränkt werden sollen. Viel mehr sehe ich in diesem Akt des Wahnsinns ehrlich gesagt eher nicht. Wir sollten aber nicht den Fehler machen, zu glauben, nur weil das sozusagen "auf der anderen Seite des Teichs" passiert ist, könnte etwas Vergleichbares hier unter keinen Umständen passieren. Der Sturm auf den Reichstag im August, auch wenn dieser im Vergleich dazu eher ein Lüftchen war, zeigt das Gegenteil. 

Und da zu diesem Thema ja bereits schon eine Menge gesagt wurde, möchte ich mich wieder mal in die Welt der urbanen Legenden begeben - wobei ich vor allem eine besprechen möchte, die bezüglich der Ereignisse am 6. Januar wieder einmal aufgetaucht ist. Ich spreche hier vom sogenannten Simpsons-Orakel.
Ich glaube nicht, dass es unter meinem Leser jemanden gibt, der die beliebte, vielfach ausgezeichnete US-amerikanische Zeichentrickserie von Matt Groening, die bereits seit über dreißig Jahren fester Bestandteil des Fernsehprogramms ist, nicht kennt. Da ich ja nicht mehr ganz so blutjung bin, habe ich den Simpsons-Hype quasi von Anfang an miterlebt - als Teenager war ich eine Zeitlang regelrecht süchtig danach. Als jedoch die Qualität der Episoden langsam nachließ und sich meine persönliche Lebenswelt auch allmählich veränderte, bin ich langsam davon abgekommen und kehre heute nur noch selten zu der früher so geliebten Fernsehfamilie in Gelb zurück, auch wenn es die eine oder andere Episode gibt, für die ich mich immer noch begeistern kann. Was wir allerdings bis heute mit Sicherheit sagen können, ist, dass die Serie sich immer am Puls der Zeit bewegt und auch aktuelle Ereignisse in ihre Geschichten mit einbezogen hat. Etwa jene Horror-Folge, die ich immer noch liebe und die eine beliebte Millennium-Verschwörungstheorie aufs Korn nimmt - jene, bei der es darum ging, dass die Computersysteme diesen großen Zahlensprung nicht schaffen würden und dass deswegen alle elektronischen Geräte nach der Umstellung der Jahreszahl ausfallen oder gar verrückt spielen. Es gibt jedoch auch Leute, die behaupten, die Macher der Simpsons könnten die Zukunft voraussagen - und auf diese Behauptung möchte ich heute einmal eingehen.

Aktuell macht im Netz das Bild der als "Hausmeister Willie" bekannten Figur die Runde, die mit nacktem, tätowiertem Oberkörper vor dem Capitol posiert und dabei eine Fellmütze mit Hörnern trägt, die natürlich an Jake Angelis Kostümierung denken lässt; außerdem schwingt er eine amerikanische Flagge. Das ist für viele der Beweis, dass jemand im Simpsons-Team, vielleicht sogar Matt Groening selbst, über hellseherische Fähigkeiten verfügt - hat er doch den Angriff aufs Capitol vorausgesagt. Nun - die auf dem Bild sichtbare Figur kommt in keiner Simpsons-Episode vor. Und wir sollten ja langsam alle wissen, wie leicht es heutzutage ist, Bilder und Videos digital nachzubearbeiten. Dieses Bild ist also keine "Voraussage", sondern eine Reaktion auf die Ereignisse vom 6. Jänner.

Ähnlich verhält es sich mit einer Folge aus dem Jahr 1993, in der die Simpsons angeblich die Corona-Pandemie voraussagten. In der Folge wird im Fernsehen ein "Saftenthafter" beworben, der aus einem ganzen Netz von Orangen einen einzigen Tropfen Saft gewinnen kann - sprich, es ist tatsächlich eine sehr witzige Folge. Diese Entsafter werden in Japan erzeugt und versendet; gezeigt werden Mitarbeiter der Firma in Osaka, die die Saftenthafter in Kartons packen. Einer von ihnen leidet an einer Grippeerkrankung und hustet in eines der Pakete, woraufhin die Erreger mit verpackt und an ihrem Endziel Springfield freigesetzt werden, weshalb sie einen Großteil der Stadtbewohner - auch die Familie Simpson mit Ausnahme von Marge - infizieren. Ist das der Beweis für eine Vorhersage? Natürlich nicht! Denn auch wenn der eine oder andere keinen Unterschied zwischen Chinesen und Japanern sehen will ("die schauen ja alle gleich aus"), so liegen diese beiden Länder rund 3.000 km auseinander und sind auch sonst nur oberflächlich vergleichbar (ähnlich wie viele europäische Länder). Die Episode mit dem kranken Mitarbeiter kann also eher als kritische Auseinandersetzung mit den oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Japan gesehen werden, die dazu führen, dass Leute krank zur Arbeit gehen. Was die Verbreitung der Infektion betrifft, so ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass ein Virus die mehrere Wochen dauernde Reise ohne Wirt überleben kann - abgesehen davon, dass in der Episode nicht von Viren, sondern von "Bazillen" die Rede ist. Das im Netz gezeigte Video, das die Vorhersage "beweisen" soll, zeigt außerdem den Nachrichtensprecher Kent Brockman vor einer Einblendung des Schriftzugs "Coronavirus" - diese Szene stammt allerdings aus einer ganz anderen Episode und wurde zudem manipuliert. In Wirklichkeit steht da nämlich "Apocalypse Meow". Nun wird mir wohl jeder zustimmen, dass beunruhigende Virus-Pandemien kein ganz neues Phänomen sind - ich erinnere da nur an die Vogel- und die Schweinegrippe sowie an die frühere Version eines SARS-Virus im Jahr 2003. Die Simpsons haben also abermals nichts "vorausgesagt", sondern lediglich ein Thema, das uns im Grunde schon seit Jahrhunderten beschäftigt, aufgegriffen und gesellschaftskritisch verarbeitet.

Ebenso sollen die Simpsons vorausgesagt haben, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten wird - und dass dies zu einem wirtschaftlichen Desaster führt. Tatsächlich gibt es eine Folge, in der Bart einen Blick in die Zukunft werfen kann - und in der Lisa Simpson Präsidentin der Vereinigten Staaten wird. Ihr Vorgänger war Donald Trump, und dieser soll die Wirtschaft zugrunde gerichtet haben. Haben die Autoren also doch hellseherische Fähigkeiten? Nein, immer noch nicht. Denn Trump war schon vor seiner unrühmlichen Karriere als Staatsoberhaupt eine bekannte Medienpersönlichkeit. Und schon vor seiner Kandidatur hat er mehrmals angekündigt, dass er sich eines Tages um die Präsidentschaft bewerben wolle. Da dies in glücklicheren Tagen eine eher absurde, lachhafte Vorstellung war und auch die meisten Experten diese Möglichkeit nicht in Betracht zogen, gab es darüber mehr als nur einen Witz. Und dass jemand, der so augenscheinlich keine Ahnung von Tuten und Blasen hat, nicht unbedingt gut für die Wirtschaft ist, liegt auf der Hand - auch wenn die amerikanische Wirtschaft vor Corona gar nicht so schlecht dastand, was allerdings eher an der Vorarbeit lag, die Obama geleistet hatte.

In einer Episode aus den späten 1990ern sollen außerdem die Terroranschläge vom 11. September 2001 vorhergesagt worden sein. Zeigen soll dies eine Szene, in der Lisa die Broschüre eines Busunternehmens hochhält, laut der eine Fahrt neun Dollar kosten soll. Auf dem Cover der Broschüre ist ein Bus vor der Skyline von New York zu sehen mit der Überschrift New York $ 9. Direkt neben der Neun sieht man die Zwillingstürme des World Trade Centers - was viele als Zeichen sehen, dass die beiden Türme die Zahl 11 darstellen sollen. Auf dem Cover soll also die "versteckte Botschaft" 9/11 zu sehen sein. Nun, ihr wisst, was ich von angeblich "versteckten Botschaften" halte - sie sind meistens nichts als das, was derjenige, der sie sehen will, hineininterpretiert, und wenn man will, kann man überall "versteckte Botschaften" sehen. Und so ist es auch in diesem Fall - das WTC war von seiner Erbauung bis zu seiner Zerstörung ein sehr charakteristisches Merkmal der Skyline von New York. Dass es also auf einer Broschüre über New York zu finden ist, ist nichts Ungewöhnliches. Da jetzt eine "versteckte Botschaft" zu vermuten, weil daneben zufällig die Ziffer Neun zu sehen ist, ist schon relativ weit hergeholt.

Auch andere Episoden sollen die Zukunft vorhergesagt haben. So soll eine Folge aus dem Jahr 1994, in der die Köchin der Elementarschule von Springfield "assorted horse parts" ("ausgewählte Körperteile von Pferden") in das Mittagessen der Schüler mischt, ein Hinweis auf den Pferdefleisch-Skandal sein, der 2013 in ganz Europa Schlagzeilen machte. Damals wurde bekannt, dass Betrüger 500 t Pferdefleisch als Rindfleisch verkauft hatten und dass die Lasagne verdi alla bolognese Anteile von Pferdefleisch enthielt. Nun, dass in Schulen nicht unbedingt hochqualitatives und bemerkenswert schmackhaftes Essen ausgegeben wird, ist nicht erst seit gestern bekannt. Dieses Phänomen begegnet uns sehr häufig, wenn es darum geht, eine große Anzahl an Menschen möglichst billig satt zu machen. Die Episode ist also keine "Vorhersage", sondern eher eine kritische Auseinandersetzung damit, dass wir häufig gar nicht wissen, was wir uns in die Öffnung unter der Nase schieben. Und dass auf die Qualität der Ernährung in den öffentlichen Schulen der USA - wie ich übrigens selbst auch feststellen musste - ganz offensichtlich kein Wert gelegt wird.

Ein Jahr zuvor wurde eine Episode ausgestrahlt, in der Homer Simpson und sein Nachbar Ned Flanders zusammen Las Vegas besuchen, wo sie auf die Zauberkünstler Gunter und Ernst treffen - die Zeichentrick-Version der damals berühmten Magier und Dompteure Siegfried und Roy, die tatsächlich aus Deutschland stammten und vor allem durch den Einsatz weißer Tiger und Löwen in ihren Shows berühmt wurden. Auch Gunter und Ernst haben einen weißen Tiger bei sich - der in dieser Episode einen der beiden Magier angreift. Tatsächlich wurde der Magier Roy, der im Mai letzten Jahres einer Covid-19-Erkrankung erlag, im Jahr 2003 bei einer Show von dem weißen Tiger Mantacore angegriffen und schwer verletzt. Was das betrifft - ich bin nicht die einzige, die der Meinung ist, dass wilde Tiere, insbesondere Raubtiere, in Las Vegas nichts verloren haben. Der Angriff von Mantacore war nicht der erste Vorfall, bei dem ein Raubtier seinen Dompteur angegriffen hat - das Risiko gehört zu diesem Beruf leider dazu. Was man zumindest sagen kann, ist, dass dem Tier ganz offensichtlich keine Schuld gegeben wurde und es elf Jahre später eines natürlichen Todes sterben durfte. Was zeigt, dass ein Umdenken sehr wohl möglich ist - Jahrzehnte vorher hätte man nämlich dem Tier die Schuld gegeben und es getötet.

Es gibt auch alle möglichen technische Innovationen, die bei den Simpsons vorkommen, Jahre bevor sie tatsächlich auf dem Markt landen. So erfindet Homers Halbbruder Herbert in einer Folge von 1992 ein Gerät, mit dessen Hilfe man die Laute von Babys in gesprochene Sprache "übersetzen" kann - dieser Baby-Dolmetscher verhilft Herbert wieder zu dem Reichtum, den er zuvor durch Homers Schuld verloren hat. 2009 kam tatsächlich ein Baby-Übersetzer auf den Markt - den Cry Translator, der damals als ein Gerät, das an ein Babyphon erinnerte, später auch in Form einer App erhältlich war. Ein Gadget, das das eigene Einfühlungsvermögen überflüssig machen sollte - und in seiner Ausführung sowieso eher fragwürdig war. Entsprechend war dem Unternehmen wohl auch nicht der erhoffte Erfolg beschieden - zumindest ist die Website der Firma heute nicht mehr erreichbar. Abgesehen davon scheint auch niemand wirklich daran geglaubt zu haben, weshalb das Ding wohl eher als lustiges Spielzeug gewertet werden kann denn als eine ernstzunehmende Arbeitserleichterung.
In einer Episode aus dem Jahr 1995 wird Lisa die Zukunft vorausgesagt - damals das Jahr 2010. Diese Folge enthält ebenfalls Dinge, die es später tatsächlich geben sollte - etwa eine Armbanduhr, mit der man wie mit einem Handy kommunizieren kann oder auch die Möglichkeit, via Bildschirm in Echtzeit zu telefonieren. Ich muss euch enttäuschen - auch das zeugt nicht von hellseherischen Fähigkeiten. Jene technische Innovation, die heute als "Smartwatch" bekannt ist, kam schon vorher in mehreren Filmen und Serien vor - in der Serie Knight Rider aus den 1980ern kommunizierte etwa Michael Knight alias David Hasselhoff über eine Art Armbanduhr mit seinem sprechenden, selbst fahrenden Auto K.I.T.T., und Beispiele für Videotelefonie kamen schon in den frühen James-Bond-Filmen aus den 1960er Jahren vor.

Wie ihr seht, werden nicht nur bei den Simpsons, sondern auch in anderen Serien oder auch Filmen manche Ideen und Ereignisse vorweggenommen. Bei den Simpsons summiert sich das allerdings, was vor allem daran liegt, dass bisher keine Serie so langlebig war wie diese. Es gibt technologische, wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen, die man mit ausreichend Intelligenz schon Jahre oder gar Jahrzehnte vorausahnen kann - und wenn eine Serie so lange läuft, ist es nicht ungewöhnlich, dass sich manche Prognosen mitunter tatsächlich erfüllen. Oder wie Simpsons-Drehbuchautor Al Jean es formulierte: "Wenn du genug Vorhersagen machst, stellen sich 10 % als wahr heraus." Es ist eben so, wie wir es häufig beobachten und ich in meinem Blog auch schon gezeigt habe: Die Rezipienten interpretieren in ein Werk häufig weit mehr hinein als dessen Schöpfer, und ihre Vergleiche wirken bei näherer Betrachtung oftmals an den Haaren herbeigezogen. Und am Ende stellt sich heraus, dass alles viel simpler - und leider auch langweiliger - ist. Abgesehen davon hatten die Simpsons in ihrer langen Laufbahn nicht ausschließlich Treffer, wenn es um das Vorausahnen der Zukunft ging - Hologramm-TV, Dolmetscher für Hunde oder fliegende Autos gibt es bis heute nicht. Ganz abgesehen davon, dass ich schon anhand der ersten Beispiele erklärt habe, dass viele "Vorhersagen" auch manipuliert sind, indem man Videos und Screenshots so bearbeitet hat, dass sie auf bestimmte Ereignisse zutreffen. Ansonsten haben die Autoren der Serie, was nicht unüblich ist, wohl die Gabe, das Weltgeschehen zu interpretieren und daraus ihre Schlüsse zu ziehen. Als Beispiel: Ich habe bereits im März vermutet, dass Donald Trump in diesem Jahr nicht mehr Präsident sein wird. Das habe ich allerdings nicht meinen hellseherischen Fähigkeiten zu verdanken, sondern dem Umstand, dass ich wusste, wie es um das amerikanische Gesundheitssystem bestellt ist. Also genauso nichts Besonderes. Schade - sonst wäre ich bereits reich.

Ja, leider, ich kann euch auch nicht vorhersagen, was dieses gerade erst angebrochene Jahr uns bringen wird. Aber auch wenn man sich noch lange nicht in Sicherheit wiegen kann - und ein Jahreswechsel, wie schon gesagt, in erster Linie eine Änderung des Datums ist - sollten wir doch nicht so schnell den Mut verlieren. Wir dürfen nicht vergessen - schlimmer geht immer! Und solange das öffentliche Leben noch nicht in vollem Umfang wieder aufgenommen werden kann, müssen wir eben versuchen, die Zeit anderweitig zu nutzen. Bon voyage!

vousvoyez

Dienstag, 5. Januar 2021

Du sollst dich zu Hause ganz wie im Krankenhaus fühlen

(c) vousvoyez
Ich gebe es offen zu - ich habe keine Ahnung mehr, in welchem Zusammenhang dieser Satz gefallen ist. Es ist also die rätselhafteste aller Weisheiten, an denen ich je gesessen bin, seit ich diesen Blog eröffnet habe. Und ja, ich bin gesessen, denn ich bin auch Österreicherin, und in der Sprache meines Landes, auch wenn sie Deutsch ist, ist dieser Satz genauso korrekt wie das standarddeutsche "ich habe gesessen". Tricky, nicht wahr?

Tja, das neue Jahr hat angefangen, das zwar bis jetzt nicht besser ist als das Jahr davor, aber es sind ja bisher nur vier Tage, und man wird ja wohl noch mal hoffen dürfen, nicht wahr? Jedenfalls ist mir aufgefallen, dass ich schon seit fast einem halben Jahr meine Eierer-Liste nicht mehr fortgesetzt habe, und dass sich gerade wieder mal das Datum geändert hat, ist doch ein guter Zeitpunkt, da mal wieder anzusetzen, findet ihr nicht? Und keine Sorge, auch diesmal wird das Thema mit dem großen C nicht den ganzen Artikel beherrschen - immerhin habe ich mich schon oft genug damit beschäftigt, nicht wahr? Also ...

Top-Eierer Numero 18: ... und jetzt wird alles anders!

Ich finde es ja immer recht schräg, dass Leute immer glauben, alles wird anders, nur weil sich das Datum ändert. Ich habe bereits so viele Jahreswechsel miterlebt, und meine Lieben, ich muss euch eines sagen: Ich habe noch nie, wirklich NOCH NIE erlebt, dass sich meine Probleme auf einmal in Luft aufgelöst haben, nur weil wir nicht mehr 2020, sondern 2021 schreiben. Und ich muss euch wieder enttäuschen: Die Gesundheitskrise und alles, was damit zusammenhängt, ist nicht auf einmal vorbei, nur weil wir jetzt eine andere Jahreszahl haben. Aber sind wir uns doch ehrlich: So war es doch immer schon, nicht wahr? Jedes Mal, wenn das Jahr zu Ende war, sind die Leute kollektiv ausgeflippt. Und ich muss zugeben, ja, auch ich hatte mal eine Zeit, als ich glaubte, wenn ich zu Silvester nicht auf irgendeiner Party bin, dann mache ich etwas falsch. Häufig hat das allerdings dazu geführt, dass ich auf einer ganz miesen Party war, auf der ich nur durchgehalten habe, weil ich nicht die Langweilerin sein und um Mitternacht zu Hause sitzen wollte. Nun, die letzten Jahre sitze ich mit meinem Freund zu Hause, mache, was auch immer man mit seinem Partner so macht, und - es ist okay! Die Welt geht nicht unter, das neue Jahr kommt trotzdem, und ich habe nicht den Stress, auf irgendeiner Party sein und irgendwelche Leute aushalten zu müssen, die ich eigentlich gar nicht sehen will. Und ich habe es auch mehr oder weniger aufgegeben, zu denken, dass am 1. 1. auf einmal alles anders wird - denn ich bin ja immer noch dieselbe wie am 31. 12., und selbst wenn ich ein paar Tage später ein Jahr älter werde, verwandle ich mich deswegen doch nicht in Susi Sagsnicht oder Amalie Abergeh oder sonst irgendeine andere Person. Am schlimmsten war dieser Hype um den Jahrtausendwechsel herum - ich meine, klar, es ist natürlich ein großes Ereignis, wenn sich einmal in tausend Jahren ALLE VIER Ziffern im Datum ändern, aber muss man sich deshalb so in einen Wahn hineinsteigern? Was ich nicht alles gehört habe damals, vom Zusammenbruch der Elektronik über die Landung von Außerirdischen bis hin zum Weltuntergang - und jetzt ratet mal, was dann passiert ist! Genau - nichts! Null! Niente! Nada! Nothing! Rien! E loco te! Neujahr ist gekommen, und es dauerte nicht lange, bis der Skiurlaub vorbei war und ich wieder in die Schule musste. Liebe Top-Eierer Numero 18: Bleibt doch einmal locker!

Top-Eierer Numero 19: Ich bin ja so schiach!

"Schiach" ist in Österreich ein Synonym für hässlich oder gemein. Wobei ich finde, dass "schiach" ein viel stärkeres Wort ist als das standarddeutsche "hässlich". Ich möchte an dieser Stelle übrigens auf Severin Groebners wunderbares Buch Servus Piefke! verweisen - darin gibt es ein ganzes Kapitel über die Schiachheit. Wie dem auch sei, jedenfalls ist Top-Eierer Numero 19 in der Regel weiblich und meistens so zwischen vierzehn und Mitte Zwanzig. Es sind also junge Mädchen, die sich bei jeder Gelegenheit darüber beklagen, wie hässlich sie sind - heutzutage haben wir ja auch noch Social Media, da posten sie dann auch noch Fotos von sich, unter denen sie sich darüber beklagen, wie hässlich sie heute doch sind. Ganz abgesehen davon, dass ich nicht extra Fotos von mir auf Facebook oder Instragram stelle, auf denen ich mich hässlich finde, trifft das allerdings meistens auch gar nicht zu. Und da liegt der Hund begraben: Diese Mädchen sagen nicht, dass sie hässlich sind, weil sie sich hässlich finden, sondern, damit alle Welt (vor allem die männliche) ihnen ununterbrochen versichert, wie schön und hübsch sie doch ist. Und so finden sich unter den "hässlichen" Fotos auf Instagram auch immer zahlreiche Kommentare, wo sich Freundinnen und Freunde ganz schockiert darüber geben, dass dieses wunderhübsche Mädchen von sich selbst behauptet, hässlich zu sein. Und dabei weiß sie doch ganz genau, dass sie nicht hässlich ist - aber trotzdem macht sie aller Welt das Gegenteil weis, damit ihr nur auch ja alle sagen, wie toll sie ist. Ähnlich verhält es sich auch bei so manchen jungen Damen, die superschlank sind, sich aber ununterbrochen darüber beschweren, wie fett sie doch seien. Versteht mich nicht falsch: Ich weiß genau, dass Menschen, die an Anorexia nervosa erkrankt sind, gleichzeitig an einer Körperschemastörung leiden, die ihnen vorgaukelt, sie seien zu dick, obwohl sie in Wirklichkeit nur noch Haut und Knochen sind. Aber von solchen Menschen rede ich gar nicht. Diese Mädchen sind möglicherweise ein wenig verunsichert, aber mit Sicherheit nicht krank - trotzdem müssen sie bei jeder Gelegenheit betonen, dass sie zu fett sind. Und zwar deshalb, damit irgendjemand ihnen sagt: "Ich weiß gar nicht, was du hast - du bist doch eh voll dünn." Liebe Top-Eierer Numero 19: Ist es nicht besser, wenn ihr euch nach einer Therapie umseht, wenn ihr überall und jederzeit so viel Bestätigung braucht?

Top-Eierer Numero 20: Ich habe mehr zu tun als alle anderen auf der Welt!

Diese Eierer sind eigentlich der Grund dafür, warum ich diese Liste erstellt habe. Ich habe nämlich kürzlich einen Comic von erzählmirnix gesehen, der genau von einem solchen Exemplar handelte - einer Person, die, nachdem sie erfährt, dass ihr Gegenüber sich seine Pullover selbst strickt, ewig und drei Tage darüber lamentiert, dass sie für so ein Hobby ja überhaupt keine Zeit hätte, weil sie ja den ganzen Tag so wahnsinnig viel zu tun hätte, dass sie die Leute beneide, die für so etwas Zeit hätten und dass das für sie ohnehin reine Zeitverschwendung wäre. Mir ist dann sofort die deutsche Kinderbuchautorin Lise Gast eingefallen, die in achtzig Jahren etwa 120 Bücher geschrieben und auch übersetzt hat, außerdem war sie als Kolumnistin tätig. Zusätzlich hat sie, nachdem sie ihren Ehemann im Krieg verlor, alleine acht Kinder, zwei Pflegekinder und zwei Enkelkinder großgezogen und außerdem einen Ponyhof betrieben. Mit anderen Worten - die Frau hat in ihrem Leben mehr gearbeitet als so manch anderer. Trotzdem gab es immer wieder Leute, die ihr unterstellten, sie würde den ganzen Tag quasi Urlaub machen - das waren wahrscheinlich dieselben, die den Spruch "Das Leben ist kein Ponyhof" in die Welt gesetzt haben. Einmal schrieb sie über diejenigen, die glauben, ein Dichter müsse nur darauf warten, dass ihn die Muse küsst - solche Leute fragte sie gerne, warum sie denn nicht selbst Schriftsteller wären. Woraufhin diese erwiderten, sie hätten überhaupt keine Zeit dazu, weil sie ja so extrem viel zu tun hätten. Nun, wenn ich so was höre, ist mein erster Gedanke immer: Was kann ich dafür, dass du so viel zu tun hast? Und in mir keimt der Verdacht auf, dass diese Leute mir in Wirklichkeit ein schlechtes Gewissen manchen wollen, weil ich im Gegensatz zu ihnen auf der faulen Haut liege. Dann frage ich mich auch häufig, woher sich so jemand, wenn er doch so wahnsinnig viel zu tun hat, eigentlich die Zeit nimmt, lang und breit darüber zu lamentieren, wie viel er doch zu tun hätte. Und ich würde ihn gerne fragen: "Wenn du doch so viel zu tun hast, warum tust du es dann nicht, anstatt darüber zu jammern?" Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass das Problem darin liegt, dass diese Person einfach nicht fähig ist, ihr Leben richtig zu organisieren - denn ich kenne tatsächlich Leute, die sehr viel zu tun haben und trotzdem noch einem Hobby nachgehen. Vor allem deshalb, weil sie dieses Hobby brauchen - denn wer den ganzen Tag voll beschäftigt ist, braucht auch eine Tätigkeit, die ihm Freude macht und bei der er sich entspannen kann. Und auch ich übe meine Hobbys hauptsächlich aus diesem Grund aus und nicht, weil ich sonst nichts zu tun habe. Liebe Top-Eierer Numero 20: Macht euch doch das Leben nicht so wahnsinnig schwer!

Top-Eierer Numero 21: Warteschleifen

Ich weiß, dass das keine Personen sind, aber wer kennt es nicht: Du rufst bei irgendeiner Behörde an oder beim Arzt, und eine Stimme vom Automaten bittet dich um Geduld. Und dann kommt irgendeine nervige Melodie, die du dir dann ewig lang anhören kannst und die dich in den Wahnsinn treibt. Versteht mich nicht falsch: Ich weiß durchaus, dass es passieren kann, dass alle Leitungen besetzt sind. Und dass man dann eben warten muss. Und ich kann das auch akzeptieren. Aber warum muss man deshalb so fürchterlich nervige Melodien abspielen? Zu welchem Zweck? Ist das eine Verschwörung aller Ärzte und Behörden dieser Welt, seine Anrufer in den Wahnsinn zu treiben? Nervige Warteschleifen stehen auf meiner schwarzen Liste ganz weit oben, direkt unter dem Bahnschranken Richtung Straßenbahn und Heidi Klum! Das geht so weit, dass ich mir in meiner kranken Phantasie bisweilen vorstelle, dass auch Gott, würde man ihn denn anrufen, auch eine Warteschleife hätte, auf der immer wieder dasselbe Kirchenlied abgespielt wird. Und der Teufel hat wahrscheinlich irgendein Metal-Stück. Welche Warteschleife der Tod hat, weiß ich allerdings nicht.

Top-Eierer Numero 22: Leute, die im Kino laut mitsprechen

Aktuell kommt man ja eher nicht ins Kino - und ich muss gestehen, dass ich auch schon lange nicht mehr dort war. Aber es gab mal eine Zeit, als ich oft und für mein Leben gern hingegangen bin. Ich kann durchaus nachvollziehen, warum Woody Allen in seiner Jugend einen Großteil seiner Freizeit (und unerlaubterweise auch viel von seiner Schulzeit) dort verbracht hat: Man hat das Gefühl, durch das Tor der Leinwand eine andere Welt zu betreten. Sehr empfehlen kann ich in diesem Zusammenhang übrigens Allens Film The Purple Rose of Cairo aus dem Jahr 1985, die Geschichte einer Frau, die ständig ins Kino geht, um ihrem tristen Leben zu entfliehen, bis eine Figur von der Leinwand steigt, weil sie sich in sie verliebt hat. Und ja, ich weiß, dass Woody Allen mittlerweile umstritten ist, aber ganz ehrlich: Wenn wir nicht lernen, den Künstler von seinem Werk zu trennen, geraten wir ständig in die Bredouille, weil wir uns ständig fragen müssen, ob der Künstler sein ganzes Leben lang absolut respektierlich war, bevor wir sein Werk genießen. Ich weiß, das ist nicht einfach - aber ich kann's nun mal nicht ändern. Jedenfalls gibt es ein Exemplar der Spezies homo sapiens sapiens, die einem so einen Kinobesuch ganz schön vergällen kann, und das sind diejenigen, die das Geschehen auf der Leinwand permanent kommentieren müssen! Pausenlos hört man sie quatschen: "Ah! Und was macht er jetzt? ... Und warum macht er das? ... Ah, das hab ich mir gedacht, dass das passiert! ... Glaubst du, es passiert das?" Den ganzen Film über wird man permanent auf unangenehme Weise daran erinnert, dass es eine Welt jenseits des Films gibt - und das ist doch nicht der Grund, weshalb man ins Kino geht! Liebe Top-Eierer Numero 22: Keinen interessiert, was ihr sagt, also lasst es bitte bleiben!

Top-Eierer Numero 23: Patrioten

Ich sage es gerne, und ich sage es auch jetzt: Ich mag das Land, in dem ich geboren bin und über dessen Staatsbürgerschaft ich verfüge. Ich habe mehr Rechte als in vielen anderen Ländern dieser Welt, ich kann in Frieden leben und mich verhältnismäßig frei entfalten. Ich mag Österreich, und ich bin auch gerne Europäerin - aber ich glaube an ein modernes, aufgeschlossenes, freies, humanitäres Österreich bzw. Europa. Und ich muss leider sagen, dass mich vor allem die EU angesichts der Situation der Menschen im Flüchtlingslager Moria bitter enttäuscht hat - ebenso wie unsere Regierung, denen es leider wichtiger ist, vor den Rechten gut dazustehen, als dass Menschen ein Dach überm Kopf und was zu essen haben. Leider entwickeln wir uns allmählich zurück zu einer Gesellschaft, hinter der ich nicht stehen kann - eine ausgrenzende, engstirnige, rückschrittliche Gesellschaft, deren Möglichkeiten nur jenen offen stehen, die den Verantwortlichen nach dem Mund reden - und natürlich jenen, die nicht das Pech hatten, unter den falschen Umständen geboren worden zu sein. Eine Gesellschaft, die nur für Patrioten und Nationalisten offen steht. Und es tut mir leid - beides kann ich absolut nicht nachvollziehen. Ja, ich gratuliere dir, dass du in Österreich geboren bist! Starke Leistung, das macht dir so schnell keiner nach! Hier ist dein Pokal! Ganz ehrlich - für mich ist Patriotismus bzw. Nationalismus der letzte Ausweg all derer, die im Leben sonst nichts auf die Reihe bringen. Denn stolz sein kann man, so finde ich jedenfalls, auf Dinge, die man geleistet hat - nicht aber auf Gegebenheiten, auf die man keinen Einfluss hat. Und nein, ich glaube nicht, dass wir uns unser Schicksal irgendwie unbewusst selbst aussuchen - wer so etwas behauptet, sucht nur nach einer Ausrede, warum es okay sein soll, ein egoistisches Arschloch zu sein. Liebe Top-Eierer Numero 23: Besinnt euch auf das, was ihr könnt, und nicht auf das, was euch in die Wiege gelegt wurde!

Top-Eierer Numero 24: Gaffer

Und nein, diese Eierer gehen mir nicht lediglich auf die Nerven: Ich hasse und verachte sie zutiefst. Denn was für ein Arschloch muss man sein, dass einem vor lauter Sensationsgeilheit auf alles andere scheißt? Und leider ist es genau diese Sensationsgeilheit, die die Boulevard-Drecksblätter noch befeuern: Indem Falschinformation gestreut und die Persönlichkeitsrechte von Opfern mit Füßen getreten werden, appelliert man an den niedrigsten Instinkten seiner Leser. Und genau das ist der Grund, warum ich auch die Boulevard-Presse zutiefst verachte. Denn die Gaffer-Mentalität ist für mich der gesellschaftliche Bodensatz: Anstatt sich zu fragen, ob man in einer Notsituation etwas Konstruktives beitragen kann, wird sich am Leid anderer aufgegeilt. Und als ob das noch nicht genug wäre, behindert man auch noch diejenigen, die helfen können und auch wollen - und macht vielleicht gleichzeitig auch noch ein paar Bilder, die man dann im Internet veröffentlichen kann, damit Leute, die genau solche Arschlöcher sind wie du, sich ebenfalls daran aufgeilen kann. Nicht liebe Top-Eierer Numero 24: Wenn ihr nichts Hilfreiches zu einer Situation beitragen könnt, dann schleicht euch gefälligst! Und macht jenen Platz, die im Gegensatz zu euch in der Lage sind, die Situation zu verbessern und jenen zu helfen, die ihr nur begaffen könnt! Und nutzt das Smartphone in eurer Hand, wenn überhaupt, nicht dazu, Fotos und Videos zu machen: Nutzt es, um die Notrufnummer zu wählen! Denn dann hättet ihr tatsächlich mal zur Abwechslung was Hilfreiches beigetragen! Und es tut mir auch nicht leid, dass ich euch nicht mit der angemessenen Höflichkeit begegnen kann - denn nichts ist im Leben umsonst, auch das nicht!

Ah, das tut gut, wenn man gleich am Beginn eines Jahres - vor allem, wenn es verspricht, schwierig zu werden - einmal ganz viel Dampf ablassen kann! Und ich kann euch versprechen - es werden auch wieder Disney-Filme, Mythen und Legenden, Gedankenspiele und alles mögliche andere, was mir so einfällt, auf diesem Blog zu lesen sein. Und lasst uns trotz allem versuchen, positiv zu bleiben - weil Jammern nichts bringt. Und lasst uns das Beste aus der Situation machen - und gleichzeitig hoffen, dass wir uns alle gesund und lebendig wiedersehen! Bon voyage!

vousvoyez