Donnerstag, 29. April 2021

Wenn du nicht hier bist, weiß ich, du bist woanders

© vousvoyez
Dies ist der erste Satz eines meisterhaften Gedichts, dessen Urheber ich leider nicht mehr ermitteln kann. Ich halte es aber durchaus für möglich, dass es aus einer Facebook-Gruppe stammt, die angefüllt ist mit zahlreichen verkannten Lyrikern und Innen. Vor allem Innen. Früher sind deren großartige Werke nämlich meistens in Schubladen versauert und nur einmal jährlich bei Familien- und Betriebsfeierlichkeiten ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt worden, um seine verborgenen sadistischen Tendenzen auszuleben. Heute fühlt sich offenbar jede/r Zweite und Dritte zu Höherem berufen, weil es so einfach geworden ist, seine literarischen Ergüsse online oder im Eigenverlag zu publizieren. Kann man doof finden, ja - ist aber ein Preis, den ich sehr gerne bezahle dafür, dass ich meinen Blog hier betreiben darf. Denn zu Höherem berufen bin ich ja ganz offensichtlich auch nicht.

Dennoch gibt es immer wieder Leute, die meine Sachen anscheinend gerne lesen - und das war auch bei meinem letzten Post der Fall, wofür ich mich noch einmal ganz herzlich bedanken will. Trotzdem gibt es eine Sache, die ich leider ansprechen muss, auch wenn ich mir sicher bin, dass zumindest der allergrößte Teil meiner geschätzten Leser und Innen sich nicht mitgemeint fühlen muss. Ich habe nämlich erfahren, dass die Hersteller von Pinky Gloves ihr Produkt inzwischen zurückgezogen haben - und das ist ja an sich eine gute Nachricht. Was mich allerdings schockiert hat, ist, dass die beiden Herren auch Gewalt- und Morddrohungen gegen sich und ihre Familien erhalten haben. Ähnlich übrigens wie die Teilnehmer von #allesdichtmachen, für die sogar schon ein Berufsverbot gefordert wurde. Und das, meine Lieben, ist absolut nicht cool, wirklich überhaupt nicht! Kritik üben an einem Produkt, das an den Bedürfnissen einer Zielgruppe so komplett vorbei geht? Oder an einer Kunstaktion, die nach Ansicht vieler nicht gut umgesetzt ist? Das ist richtig und legitim. Fremde Leute wegen eines pinken Plastikhandschuhs und ein paar YouTube-Videos bedrohen? Verdammt noch mal. NEIN! NO, NEE, NON, NÃO, NEI, NE, HANNI, E LOCO TE, NEJ, LĀ, NEM, IIE ... ich weiß nicht, in wie vielen Sprachen ich deutlich machen soll, dass ich ein solches Verhalten für absolut unangebracht halte! Und nicht nur das - es schadet auch unserer Demokratie. Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden wir in ein paar Generationen wieder von Baum zu Baum hüpfen - und von den Affen gemobbt, die nicht glauben wollen, dass wir gemeinsame Vorfahren haben. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.

Wobei die meisten von uns sich ja zum Glück darüber einig sind, dass Drohungen ein Mittel sind, zu dem man niemals greifen sollte. Stattdessen bedient man sich anderer Methoden, um Diskussionen auf Social Media mit Humor zu nehmen. Die Faktenchecker-Seite mimikama hat deshalb einen Leitfaden für nervige Standard-Kommentare publiziert, woraufhin sich eine rege Diskussion darüber entspann, mit welchen sinnlosen Kommentaren man häufig zugetextet wird, wenn man die Meinung jener nicht teilt, die ich gerne unter dem Begriff "die üblichen Verdächtigen" zusammenfasse. Und da ich ja selbst gerne und viel kommentiere, habe ich selbst einige sehr häufig gebrauchte Kommentare zusammengetragen, denen man im Dschungel von Facebook, Twitter & Co. immer wieder begegnet.

Bei aller Aufregung sollten wir aber nicht vergessen, dass Al Bundy 1966 vier Touchdowns in einem Spiel gemacht hat und den Polk High School Panthers damit zur Stadtmeisterschaft verholfen hat! In China ist soeben ein Sack Reis umgefallen!

Da ich ja bekanntlich überhaupt kein Fan der Serie Eine schrecklich nette Familie bin, finde ich den Al-Bundy-Satz auch außerhalb der Pandemie eher blöd als lustig. Umso nerviger ist es, diesen Satz pausenlos lesen zu müssen, wenn Leute einen Post ins Lächerliche ziehen wollen. Was den Sack Reis betrifft, so habe auch ich bisweilen das entsprechende GIF gepostet. Nun könnte ich ja klugscheißen und darauf hinweisen, dass chinesische Reissäcke liegend gelagert werden und entsprechend auch nicht umfallen können, aber das wäre angesichts dessen, dass ich im Glashaus sitze, wohl ein bisschen doof. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings sagen, dass ich den Sack Reis eher unter Posts mit irrelevantem Prominentenklatsch gesetzt habe und nicht unter Meldungen, in denen es um überlastetes medizinisches Personal, Pandemie-Todeszahlen, Seenotrettung oder rassistische Übergriffe ging.

Die Verschwörungstheorien vom letzten Jahr sind alle wahr geworden!

Ach wirklich? Checken wir das doch mal: Bei der Corona Impfung wird ein Mikrochip implantiert, der einen kontrollieren und überwachen soll!¹ Das Coronavirus wurde erfunden, um eine neue Weltordnung zu schaffen!² Donald Trump rettet gerade Kinder, die im Untergrund leben, sexuell missbraucht und zur Gewinnung von Adrenochrome gefoltert werden!³ Das Coronavirus ist nur eine harmlose Grippe!⁴ Der Tod von George Floyd ist von Schauspielern inszeniert!⁵ Nun, die Antworten auf diese Fragen habe ich euch unten verlinkt, damit ihr auch etwas zu tun habt - selbstverständlich konnte ich nur eine kleine Auswahl zusammenstellen, aber ich denke, das Wichtigste habe ich fürs Erste mal unter den Hut gebracht.

Google doch mal! Informier dich mal! Recherchier doch selbst! Ich gebe meine Quellen nicht öffentlich preis!

Dies liest man oft von Leuten, die gerne krude Behauptungen raushauen, gleichzeitig aber zu faul sind, sie zu belegen - oder es schlicht und ergreifend nicht können, weil sie nur wiedergeben, was sie irgendwann einmal irgendwo aufgeschnappt haben. Im übrigen sollte inzwischen bekannt sein, dass Google seine Suchergebnisse nach Aufrufzahlen listet - und nicht nach Seriosität der Quellen. Und nein - nicht derjenige, der den Wahrheitsgehalt einer Behauptung anzweifelt, ist verpflichtet, diese zu belegen, sondern derjenige, der die Behauptung aufstellt. Am besten gefallen mir diejenigen, die von "recherchieren" sprechen - denn dieses Wort gibt der Vorgehensweise, nach Informationen zu suchen, die der eigenen Meinung entsprechen, einen "seriösen" Anstrich. Der YouTuber Ascendancer, der die Schwurbelszene aus eigener Erfahrung kennt, hat einmal beschrieben, wie verdammt schwer es ist, sich mit Quellen zu befassen, die das eigene Weltbild widerlegen. Wobei ich denke, wer wirklich eine fundierte Meinung hat, dem fällt es leichter, sich auch mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Ganz großes Kino ist es, zu sagen, dass man seine Quellen nicht preisgibt - suggeriert es doch, dass man zu einem auserwählten Kreis gehöre und über ein geheimes Wissen verfüge. In Wirklichkeit ist es jedoch nur ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Person ihre Behauptung lediglich aus dem Allerwertesten gezogen hat - denn welche Quelle ist so geheim, dass man sie nicht preisgeben, gleichzeitig aber ihre Inhalte nach Lust und Laune im World Wide Web verteilen darf?

Lern erst mal selber denken! Das ist meine Meinung. Punkt! Ein Verschwörungstheoretiker ist einer, der hinterfragt!

Ich finde es ja recht interessant, dass Leute, die sich bisher ganz offensichtlich noch nie Gedanken über irgendetwas gemacht haben, in letzter Zeit plötzlich angefangen haben, "kritisch" zu sein, "selbst" zu denken und zu "hinterfragen". Einerseits habe ich das in meinem persönlichen Umfeld erlebt, bei Leuten, die in ihrer Denkweise bislang recht oberflächlich waren, andererseits merkt man an gewissen Kommentaren, dass bei vielen, die sich für die großen Denker und Hinterfrager halten, dies bislang keineswegs zu ihren großen Stärken gehörte. Deswegen picken sie sich meist auch nur die Rosinen heraus, die ihre Ansichten bestätigen, und nennen das dann "selber denken". Und betonen zusätzlich noch, dass das ihre Meinung sei - das dahinter ausgeschriebene "Punkt!" soll die anderen dabei so beeindrucken, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, ihnen weiterhin zu widersprechen. Hilft halt nur nicht wirklich viel - es wirkt eher hilflos, weil es den Eindruck erweckt, dass der Person die Argumente ausgegangen sind und sie trotzdem hofft, die anderen einschüchtern und so davon abhalten zu können, ihr weiterhin Contra zu geben. Stattdessen zeigt sie damit etwas, das die meisten, die zu Verschwörungsglauben tendieren, miteinander verschwindet - nämlich, dass es in Wirklichkeit gar nicht ihre Meinung ist. Denn wer wirklich eine eigene Meinung hat und diese auch präzise begründen kann, der muss erstens nicht ständig betonen, dass das seine Meinung ist, und zweitens kann er, wie gesagt, eher akzeptieren, dass es neben seiner eigenen Meinung auch noch andere gibt. Leute, die ständig erwähnen, dass das, was sie von sich geben, ihre Meinung sei, wiederholen in Wirklichkeit nur das, was sie irgendwo aufgeschnappt haben und was gleichzeitig in ihr Weltbild passt - man kann im Umkehrschluss also davon ausgehen, dass sie diese Meinung erst haben, seit sie sie von anderen übernommen haben. Es ist also ein bisschen so wie bei der Werbung, die Probleme kreiert, die niemand hatte, bevor sie nicht von ihr erwähnt wurden. Und wenn gar nichts mehr hilft, begibt man sich halt in die Opferrolle - indem man suggeriert, dass nur diejenigen "hinterfragen", die von anderen als "Verschwörungstheoretiker" bezeichnet werden, und alle anderen vollkommen kritiklos dem "Mainstream" folgen.

Du bist doch eh schon von den Staatsmedien indoktriniert! Ich sehe schon, die Gehirnwäsche hat gewirkt! Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen die Wahrheit gar nicht berichten! Du glaubst aber auch alles, was die Mainstreammedien dir vorbeten! Öffentlich-rechtliche Medien und Faktenchecks sind doch alle von der Regierung gekauft! Die Medien sind alle gleichgeschaltet! Die Zeitungen schreiben alle dasselbe!

Die Behauptung, dass die kritischen Hinterfrager in Wirklichkeit nur bei jenen zu finden sind, die in der Außenwelt als Verschwörungsgläubige wahrgenommen werden, fördert ein Problem zutage, das in den letzten Jahren immer mehr zunimmt: Nämlich, dass viele Leute das Vertrauen in die öffentlichen Medien verloren haben - und das leider  nicht ganz zu Unrecht. Das kann ich, die ich in einem Land lebe, in dem die Boulevardmedien so mächtig sind wie in keinem anderen, sogar sehr gut nachvollziehen. Ich begegne diesem Problem dadurch, dass ich meine Informationen aus Zeitungen beziehe, die nicht die Kronen-Zeitung sind und auch nicht aus der Fellner-Gruppe stammen - oder von der deutschen Springer-Presse. Andere sehen die Lösung darin, dass sie den offiziellen Medien einfach überhaupt nichts mehr glauben und stattdessen auf dubiose Quellen und "alternative Fakten" vertrauen. Die ihnen erzählen, dass die Öffentlich-Rechtlichen alle von der Regierung gekauft sind - und wenn sie mal kritisch über diese berichten, dann nur, weil sie davon ablenken wollen, dass sie in Wirklichkeit Teil der Verschwörung sind. Was gleichzeitig auch bedeutet, dass alle, die die Darstellung offizieller Medien nicht pauschal ablehnen, bereits von diesen "indoktriniert" und "gehirngewaschen" seien. Da hilft es auch nichts, dass man die Informationen, die man aus Nachrichtensendungen und Zeitungen bezieht, durch Faktenchecker-Seiten wie mimikama, correctiv oder den Volksverpetzer ergänzt, denn obwohl diese ehrenamtlich betrieben und durch Spenden finanziert werden, sind sie laut jenen, die "alternativen Medien" vertrauen, ebenfalls vom Staat gekauft. Wobei häufig übersehen wird, dass gerade jene, die man für vertrauenswürdiger hält als den "Mainstream", es nicht selten trickreich verstehen, ihren Gläubigen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ein prominentes Beispiel ist etwa Michael Ballweg, der Initiator von "Querdenken", der sich Geld "schenken" lässt, weil Spenden steuerpflichtig sind, und auch sonst finanziell ordentlich von der Pandemie profitiert hat. Stattdessen behauptet man, dass die Medien alle "gleichgeschaltet" seien - ein Narrativ, das aus der dunklen Zeit der NS-Diktatur stammt und ursprünglich das Bestreben dieser beschrieb, Institutionen und Körperschaften der nationalsozialistischen Weltanschauung anzugleichen. Es handelt sich hierbei also wieder einmal um eine Verharmlosung der NS-Vergangenheit. Wobei gerade die Reaktionen auf die #allesdichtmachen-Aktion das Gegenteil zeigen - denn ich konnte mehrmals innerhalb von ein und demselben Medium sehr unterschiedliche Ansichten dazu finden. Amüsant finde ich ja auch, dass Leute, die behaupten, die Zeitungen schrieben alle das gleiche, im selben Atemzug zugeben, gar keine Zeitungen zu lesen - ja kruzifix, wie kannst du dann bitte wissen, dass die alle das gleiche schreiben? Aber wie ich schon öfter angemerkt habe, meinen solche Personen in Wirklichkeit eigentlich, dass die Medien nicht ihre Meinung abbilden - wobei es, wie ich finde, völlig legitim ist, Zeit und Druckerschwärze nicht an jenen zu verschwenden, die ständig Falschinformationen verbreiten. Gerade diejenigen, die behaupten, sich für Presse- und Meinungsfreiheit einzusetzen, wollen in Wirklichkeit den Medien vorschreiben, was sie zu berichten haben, und bedrohen Leute, die nicht ihre Meinung teilen. Anhand dessen können wir uns gut überlegen, wer hier wirklich für Meinungsfreiheit steht.

Wir leben in einer Meinungsdiktatur! Ich schreibe jetzt besser nichts, sonst werde ich zensiert! Ich habe eine kontroverse Meinung! Wer in der Demokratie schläft, wird in der Diktatur aufwachen! Schnell teilen, bevor es zensiert wird!

Und genau diejenigen, die es nicht aushalten, dass nicht alle ihrer Meinung sind, lamentieren den lieben langen Tag, dass wir in einer "Meinungsdiktatur" leben - während sie ungehindert auf die Straße gehen und ihre Schilder hochhalten dürfen, während sie straffrei Regierungsmitglieder verunglimpfen und ihre Meinung frei im Internet verbreiten. Meinungsfreiheit bedeutet nicht nur, seine Meinung frei äußern zu dürfen, sondern auch, dass andere zu dieser Äußerung eine andere Meinung haben und diese ebenso frei aussprechen dürfen. Gewalt- und Morddrohungen, bewusste Lügen und Hetze gegen andere haben jedoch nichts mehr mit Meinung zu tun, weshalb Gesetze gegen Hassrede entgegen der Behauptung eines Lesers nichts mit "Zensur" zu tun haben. Und Meinungsfreiheit bedeutet auch nicht, dass man dazu verpflichtet ist, jeder Meinung einen Raum zu geben. Entsprechend ist klar, was Leute, die erklären, dass sie nichts schreiben werden, damit erreichen wollen - entweder wollen sie sich wichtig machen, oder sie wissen sehr genau, dass das, was sie äußern wollen, Widerspruch provoziert oder gar einen Gesetzesverstoß darstellt. Ähnlich verhält es sich auch mit jenen, die ständig betonen müssen, was für eine kontroverse Meinung sie doch haben - sie wollen, dass andere sie für besonders edgy und mutig halten, weil sie nicht dem "Mainstream" folgen. Und mit jenen, die empfehlen, etwas schnell zu teilen, bevor es "zensiert" wird - um das noch einmal klarzustellen: Facebook, Twitter & Co. sind keine staatlichen Institutionen, sondern kommerzielle Unternehmen, deren größtes Interesse darin besteht, möglichst viele Nutzer zu generieren, um an diesen Geld zu verdienen - und deren Nutzungsbedingungen du zustimmst, um dir einen Account erstellen zu können. Meiner Ansicht nach - und damit bin ich nicht alleine - reagieren diese ohnehin viel zu langsam, teilweise auch völlig undurchsichtig, wenn es um die Durchsetzung ihrer Gemeinschaftsstandards geht. So hat Twitter Donald Trumps Account erst dann gesperrt, als klar war, dass jener das Potenzial hatte, Nutzer von der Plattform zu vertreiben, das aber nur am Rande. Gerne wird auch der Satz "Wer in der Demokratie schläft, wird in der Diktatur aufwachen" zitiert, der fälschlicherweise Goethe zugeschrieben wird. Und wie auch das abgewandelte Fragment von Bertold Brecht, "Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht", so ist auch dieser so allgemein gehalten, dass sich jeder damit schmücken kann. Auch wenn er durchaus einen wahren Kern enthält, denn Demokratie muss man sich immer wieder aufs Neue erkämpfen - aber man wird sie nicht schützen, indem man Meinungen unterdrückt, die einem nicht passen, und Vertretern von antidemokratischen Ideologien hinterherläuft. Und dass die Querdenken-Bewegung in Deutschland mittlerweile unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, liegt nicht daran, dass ihre Anhänger eine andere Meinung vertreten, sondern daran, dass innerhalb dieser Bestrebungen herrschen, den Staat abzuschaffen, dass zu Kampf und Gewalt aufgerufen wird und dass es bereits gewalttätige Übergriffe gegen Maskenträger, Journalisten und Polizisten gab - und das weiß ich nicht nur von Faktenchecker-Seiten, ich höre es auch häufig von Leuten, die bereits näher am Geschehen waren als ich.

"Mainstreammedien"; "Staatsfunk"; "DDR 2.0"; "Meinungsdiktatur"; "Lügenpresse"

Womit wir bei jenem Vokabular sind, das häufig von dieser Klientel angewendet wird. Das mit der Meinungsdiktatur habe ich ja bereits hinreichend erklärt. Häufig hört man auch den Begriff "Mainstreammedien", der ähnlich wie der Begriff "gleichgeschaltet" suggeriert, dass diese nur noch eine einzige Meinung wiedergeben dürfen - gleichzeitig wird hier das Narrativ "wir gegen die" bedient. Sprich, auf der einen Seite die große Mehrheit, die blind dem "Mainstream" hinterherläuft, auf der anderen Seite die mutigen Rebellen, die sich trauen, zu widersprechen. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff "Lügenpresse" - ein Propagandawort, das in der Vergangenheit von antisemitischen Katholiken, Propagandisten des Ersten Weltkriegs, Nationalsozialisten und DDR-Kommunisten verwendet wurde. Seit Beginn der 2000er wird er vor allem von rechtsextremen Gruppierungen gebraucht. Die Intention ist klar: Man unterstellt damit den offiziellen Medien pauschal, bewusst Falschaussagen zu tätigen, um die Meinung "des Volkes" zu lenken. Ich sage es noch einmal: Die offiziellen Medien haben nicht immer recht, aber einem ganzen Medienapparat undifferenziert bewusstes Lügen zu unterstellen, weil er nicht die eigene Meinung widergibt, ist schon sehr kurzsichtig. Ein weiterer häufig gebrauchter Begriff ist "Staatsfunk" - so wurden die Medien der NS-Zeit bezeichnet, nachdem sie verstaatlicht und zentralisiert worden waren, um als Propagandainstrument zu dienen. Es handelt sich also wieder mal um Verharmlosung der NS-Zeit. Die Öffentlich-Rechtlichen wiederum wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Gegenentwurf zum Großdeutschen Rundfunk nach Vorbild der BBC in Deutschland gegründet - also unabhängig vom Staat und ohne dass dieser sich einmischen darf. In Österreich war das ein bisschen anders - dieser wurde erst nach dem Volksbegehren aus dem Jahr 1964 zu einer öffentlich-rechtlichen Institution. Der Wert einer solchen wurde mir erst zu Beginn des Jahres 2019 so richtig bewusst, als die FPÖ die GIS, also die Rundfunkgebühren, abschaffen und den ORF zu einem parteikonformen Propaganda-Kanal umfunktionieren wollte. Gerne wird auch von einer "DDR 2.0" gesprochen - ein Narrativ, der natürlich auf die Steuerung von Medieninhalten seitens des Zentralkomitees der DDR anspricht und im Wesentlichen dasselbe behauptet, nämlich, dass der Staat die Medien kontrolliere.

Wie ihr also seht, ist der "Schatz" der Standardsätze und -begriffe, denen man auf Social Media immer wieder begegnet, sehr reichhaltig - so sehr, dass ich ihn nicht in einem einzigen Artikel unterbringen konnte. Abschließend möchte ich noch sagen, dass es auch mir nicht darum geht, andere Meinungen zu diskreditieren - ich möchte lediglich dazu anregen, mit der eigenen Wortwahl etwas achtsamer umzugehen. Nicht nur, weil man durch einen bestimmten Sprachgebrauch gerne einmal in entsprechenden Schubladen landet, sondern vor allem auch, weil die meisten dieser Totschlag-"Argumente" jegliche differenzierte Diskussion schnell mal im Keim ersticken. Wir sehen uns also bald wieder, und ich hoffe, dass ihr bis dahin brav bleibt und gut auf euch acht gebt. Bon voyage!

vousvoyez

Donnerstag, 15. April 2021

Respekt für Jan Böhmermann, dass er einen Präsidenten ins Weiße Haus geschmuggelt hat


Hier präsentiere ich euch ein Fundstück aus einer Kommentarspalte. Damals habe ich mir ein paar alte Folgen von Neo Magazin Royale angesehen - und bin dabei auf jene Sendung gestoßen, in der Jan Böhmermann zwei Schauspieler in die Doku-Soap Schwiegertochter gesucht schmuggelte, um die Missstände aufzudecken, die vor allem den Umgang mit den Kandidaten bestimmen. Denn obwohl die beiden Schauspieler sich selbst ohnehin schon eine sehr skurrile Biographie verpasst haben, schaffte es der Sender ernsthaft, sie noch eigenartiger wirken zu lassen. Dies veranlasste einen Kommentatoren zu der Bemerkung, dass wohl auch der damals noch nicht lange vereidigte US-Präsident Donald Trump von Herrn Böhmermann eingeschmuggelt sein musste. Warum ich das witzig fand, brauche ich findigen Geistern wie euch *wieder mal ordentlich Schleim verspritz* wohl nicht zu erklären.

Aber nicht nur Herr Böhmermann kann einem Witz nicht widerstehen - auch ich kann es einfach nicht lassen. Wobei ich mich natürlich nicht mit einem großen deutschen Satiriker vergleichen kann, dessen Provokationen ich manchmal zwar etwas übertrieben finde, aber durchaus für notwendig erachte, schon allein deshalb, weil gute Satire meiner Meinung nach einer der vielen, vielen Bausteine einer funktionierenden Demokratie ist. Aber heute soll es nicht um Herrn Böhmermann gehen, nein - ich möchte über die neue Sau sprechen, die gerade wieder durchs Dorf getrieben wird. Nicht, weil ich so scharf darauf bin, Themen aufzugreifen, die gerade "in" sind, sondern weil ich bereits den halben Tag darüber lachen muss - auch wenn das Ganze natürlich etwas ärgerlich ist. Und weil ich mich da einfach reinsteigern MUSS. Isso.

Was haben wir Frauen doch für ein Glück! Seit Jahrhunderten als Menschen zweiter Klasse behandelt, quälten wir uns durch Zeiten, in denen wir ausschließlich als Haushaltssklaven, Sexspielzeug und Gebärmaschine betrachtet wurden - durch Zeiten der Entmenschlichung, durch Zeiten unendlicher Scham und unvorstellbarer Qual. Und doch hielten wir den Kopf erhoben, erkämpften uns ein weitgehend selbstbestimmtes Leben, eroberten die Schulen und Universitäten, die Theater und Sporthallen, die Wahlkabinen und Parlamente. Trotzdem ist es bis heute nicht einfach, Frau zu sein - immer noch werden wir für dieselbe Arbeit schlechter entlohnt als Männer, werden eher Opfer von sexueller Belästigung und geschlechtsbedingter Herabwürdigung, erleben die Sexualisierung, aber gleichzeitig auch die Tabuisierung unserer Weiblichkeit, müssen immer noch doofe Fragen beantworten, sofern wir keine Kinder haben wollen. Aber das soll jetzt alles ein Ende haben: Nämlich mit Pinky Gloves, dem innovativen Hygieneprodukt für die Frau! Mit dem man nie wieder unschuldige Menschen mit seiner monatlichen Unpässlichkeit belästigen muss!

Nun, was ist Pinky Gloves? Wer Englisch kann, ist natürlich klar im Vorteil: Als Pinky Gloves wird ein Hygienehandschuh aus Kunststoff bezeichnet. Einweghandschuhe gibt es schon, sagst du? Dann halte dich gut fest: Dieser Handschuh ist nicht nur in einem niedlichen Schächtelchen mit Herzchenschrift und glänzender Prägung erhältlich, er ist auch noch PINK! Ja, ihr habt richtig gelesen! Wo doch jeder weiß, dass alle Frauen total verrückt nach Pink sind! Und natürlich auch viel zu dumm, um zu begreifen, dass ein Produkt EXTRA FÜR SIE gemacht ist, wenn es nicht in einem Augenkrebs fördernden Barbie-Pink daherkommt! Kennt man ja von den Damenrasierern, die ja meistens auch pink sind - für die Frauen, die zu doof zum Lesen sind und gleichzeitig auch doof genug, um sich ihre hübschen Köpfchen nicht darüber zu zerbrechen, dass sie zwar exakt das gleiche Produkt kaufen, das die Herren der Schöpfung für ihr Gesicht verwenden, für dieses aber deutlich mehr bezahlen, weil es PINK ist! Dafür gibt es sogar einen Namen: Pink Tax. Und diese Pink Tax bezahlen wir Frauen für alle Produkte, die speziell für uns hergestellt sind - selbst wenn diese dieselben Inhaltsstoffe haben wie die nicht-pinken für Männer. Aus diesem Grund bin ich auch eine sehr böse Frau, die den gleichen Rasierer verwendet wie ihr Freund, weil sie nicht einsieht, warum sie für eine Farbe, sie sie ohnehin hässlich findet, mehr bezahlen muss - UM GOTTES WILLEN, WIE KANN SIE NUR! Nicht nur, dass sie sich erfrecht, ein Produkt für Männer zu verwenden - SIE HASST AUCH NOCH PINK! Sie kann doch nur vom Teufel besessen sein! RETTE SICH WER KANN!!! Und nicht nur das - sie stellt sich auch noch die Frage, warum man als Frau weniger Geld für die gleiche Arbeit verdient, gleichzeitig aber mehr für Pflegeprodukte bezahlen soll. Und warum wir bis vor einem Jahr auf durchaus notwendige Monatshygiene-Produkte (also Binden und Tampons) auch noch eine Luxussteuer zu zahlen hatten. Und warum gewisse Herren der Schöpfung kollektiv ausgerastet sind, als sie erfuhren, dass auf öffentlichen Damentoiletten in Schottland Binden und Tampons - haltet euch fest - GRATIS zur Verfügung stehen sollen! Ja, ihr habt recht gehört - die Damen verlangen nicht nur das allgegenwärtige kratzige Häuslpapier, sondern auch noch ... ähm ... "Material" für ihre ekligen Unpässlichkeiten! Oh mein Gott, die Welt steht nicht mehr lange! Hör gefälligst auf, unangenehme Fragen zu stellen, das schickt sich nicht für eine Frau!

Stattdessen sollte ich dankbar sein. Dankbar dafür, dass zwei Herren vier Jahre gebraucht haben, um einen pinkfarbenen Einweghandschuh zu erfinden, der nicht nur mich und meine Geschlechtsgenossinnen, sondern überhaupt alle menstruierenden Personen vor dieser ekligen Unpässlichkeit retten, mit der wir die arme Männerwelt seit Anbeginn der Evolution belästigen! Denn, so erzählten die beiden ehemaligen Bundeswehrsoldaten in der Fernsehshow Höhle der Löwen, die Idee kam ihnen, als sie in einer Wohngemeinschaft lebten, die außer ihnen nur von Frauen bevölkert war, und auf die glorreiche Idee kamen, den Mülleimer des gemeinschaftlichen Badezimmers zu inspizieren. Was sie da gesucht oder gar erwartet haben, kann ich euch nicht sagen - jedenfalls waren sie nach einer ausführlichen Analyse des Inhalts, wie sie erklärten, sehr "verwundert". Woraufhin sie von ihren Mitbewohnerinnen erfuhren, dass diese Probleme mit der Entsorgung ihrer Monatshygiene hätten. Und was tut man als heldenhafter Mann angesichts solch haarsträubender Nöte? Richtig - man macht sich bewusst, dass man es selbst in der Hand hat, so viel unnötiges Leid zu beenden! Und tut das, was man von Kind an schon getan hat - man rettet die hilflose Prinzessin vor dem bösen Drachen! Mit anderen Worten - man entwickelt ein Produkt, das es den Frauen ermöglicht, sich nicht mehr mit ihren unappetitlichen Körperflüssigkeiten auseinandersetzen zu müssen. Hallo - wir verwöhnten Damen aus Westeuropa müssen doch froh und dankbar sein, dass wir in der Zeit, in der wir unsere Tage haben, nicht aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden, wie es in weitaus repressiveren Teilen der Welt immer noch üblich ist! Da darf man doch nicht so kleinlich sein!

Denn es ist ja schon ein Wunder, dass ich immer noch lebe, wo ich doch seit meinem dreizehnten Lebensjahr ohne pinkfarbene Einweghandschuhe menstruieren muss! Vergesst diese Papierbeutel, die in öffentlichen Toiletten die Entsorgung der Monatshygiene-Artikel unterstützen. Vergesst das Toilettenpapier und vor allem - vergesst, dass es nicht erst seit gestern Einweghandschuhe aus Latex oder Kunststoff gibt. Denn diese sind ja nicht pink! Und nicht nur das - man muss sie zuknoten, anstatt sie, wie Pinky Gloves, einfach mit einem Klebestreifen zu verschließen! Huch, ZUKNOTEN, sowas kriegen wir geistig minderbemittelten Wesen doch nicht hin! Und nicht nur das - jede dieser Verpackungen enthält ganze ZWÖLF PAAR Handschuhe! Hört ihr, zwölf PAARE! Damit man, nachdem man mit dem einen das Tampon herausgezogen, darin eingewickelt und zugeklebt hat, mit dem anderen ein sauberes Tampon platzieren kann, ohne sich mit bloßen Händen "da unten" anfassen zu müssen! Und nicht nur das - so ein kleines Schächtelchen kostet fast vier Euro! Also ungefähr so viel wie eine Großpackung handelsüblicher Haushaltshandschuhe.

Wer in meinem Alter ist, wird sich mit Sicherheit noch an die alten OB-Werbespots erinnern - jene, in denen engagierte Damen erklärte, dass die Geschichte der Menstruation eine Geschichte voller "Missverständnisse" sei. Nur, um diese Missverständnisse um ein neues zu erweitern: Denn wie viele Kinder, so habe auch ich jahrelang darüber gerätselt, was es mit diesem merkwürdigen geriffelten Watteröllchen mit der türkisen Schnur am Ende auf sich hat, das die Frau im Fernsehen in ihrer Handfläche versteckt. Wobei ich ehrlich sagen muss - im Gegensatz zu Standard-Kolumnistin Beate Hausbichler bin ich persönlich nicht der Meinung, dass es lebensnotwendig ist, Menstruationsblut in Werbespots zu zeigen. Oder wenn, dann wäre ich für Gleichberechtigung - dann sollte in Werbespots für Windeln auch Babykacke gezeigt werden. Wenn schon alles offenlegen, dann sollten schließlich nicht nur wir Frauen dafür herhalten müssen. Aber das müssen wir ja sowieso nicht - denn dank Pinky Gloves müssen die Herren der Schöpfung nicht mehr "verwundert" sein, wenn sie in Mistkübel hineinschauen. Und Worte wie "sauber", "diskret" und "unsichtbar" können wieder trenden. Und als sei das noch nicht genug, ist das gute Stück auch noch recyclebar - wenn auch natürlich nur, wenn es getrennt von seinem Inhalt entsorgt wird. Moment einmal - WTF???

Fassen wir also noch einmal zusammen: Pinky Gloves ist ein pinker Einweghandschuh, der nicht nur teurer ist als vergleichbare, nicht explizit als Damenhygiene ausgeschriebene Produkte, die nicht pink sind, ein Thema, um dessen Enttabuisierung aktuell gekämpft wird, erneut tabuisiert und darüber hinaus auch noch alle Bemühungen, endlich nicht mehr den Geldbeutel überstrapazieren zu müssen, nur weil man das Pech hat, ein paar Tage im Monat zu menstruieren, ins Lächerliche zieht - er trägt auch noch zum Müllproblem bei, indem er den Markt mit NOCH mehr Einwegprodukten aus Plastik überschwemmt! Da ist es natürlich VÖLLIG unverständlich, dass die Zielgruppe auf Twitter und Facebook einen Shitstorm gestartet hat, der sich gewaschen hat. Leider befürchte ich, dass trotz dieses Shitstorms genügend Damen dieses unnötige Produkt kaufen wollen - spätestens dann, wenn die coolen Influencerinnen es für sich entdecken. Und den bekanntlich leicht zu beeindruckenden Teenies erklären, dass sie ohne pinken Einweghandschuh nicht überleben können. Ich hoffe nur, dass sich ein paar Damen der Unpässlichkeiten jener Herren annehmen, die es für unzumutbar halten, sich nach dem Urinieren die Hände zu waschen - und einen blauen Einweghandschuh entwickeln, damit diese das eklige Ding "da unten" nicht mehr mit bloßen Fingern berühren müssen.

vousvoyez


https://www.youtube.com/watch?v=J7X2FEMzvXU

https://www.stern.de/gesundheit/pinky-gloves-fuer-die-periode--das-haben-wir-gerade-noch-gebraucht--30477046.html

https://www.zeit.de/zett/liebe-sex/2021-04/pinky-gloves-menstruation-hoehle-der-loewen-alternative

Mittwoch, 14. April 2021

Bei Strache gegen die FPÖ ist es wie bei Bayern gegen Salzburg: Ich hoffe immer, dass beide verlieren

© vousvoyez
Ein Gefühl, das wohl viele mit mir teilen. Wobei es abseits vom Ibiza-Skandal ja ziemlich ruhig um unseren ehemaligen Witzekanzler (hihi) geworden ist. Außer dass er mal den einen oder abstrusen Social-Media-Post raushaut. Und so der Faktencheck-Seite FPÖ Fails neuen Zündstoff liefert. Und ihren Fans, zu denen auch ich mich zähle, zumindest einen täglichen Lacher. Den wir momentan ja auch dringend brauchen. Abseits davon sind die Schlagzeilen natürlich nach wie vor voll von Hiobsbotschaften, weshalb ich finde, wir sollten uns, wenn möglich, auch Ruhephasen schaffen und uns davon ablenken. Und nachdem mir in letzter Zeit wieder die eine oder andere spannende urbane Legende untergekommen ist, möchte ich mich heute wieder einmal mit diesen auseinandersetzen.

Auf die erste Geschichte stieß ich schon einige Jahre zuvor, aber bei der Recherche zum letzten Artikel wurde sie mir in einer Dokumentation ganz zufällig wieder in Erinnerung gerufen: Die Geschichte des traurigsten Liedes der Welt. Dieses entstand im Oktober 1932: Der ungarische Dichter László Jávor soll den Schmerz darüber, von seiner Verlobten verlassen worden zu sein, verarbeitet haben, indem der das Gedicht Szomorú Vasárnap (dt. Trauriger Sonntag) niederschrieb und den Pianisten Rezső Seress darum bat, eine Melodie dazu zu komponieren. So entstand 1933 eine der am meisten gecoverten Melodien überhaupt, die im englischsprachigen Raum unter dem Titel Gloomy Sunday, im deutschsprachigen als Das Lied vom traurigen Sonntag berühmt wurde. Von dem ungarischen Text gab es noch eine zweite Fassung, die von Seress während des zweiten Weltkriegs geschrieben wurde, den Titel Vége a világnak ... (Ende der Welt) trägt und in der es nicht mehr um die Trauer einer verlorenen Liebe geht, sondern um den Verlust der Menschlichkeit durch die Grausamkeit des Krieges. Die englischsprachige Version, die gleichzeitig auch die bekannteste ist, stammt von Sam M. Lewis und wurde für eine Aufnahme des Jazz-Saxophonisten Hal Kemp aus dem Jahr 1936 verfasst. Sie wurde von vielen namhaften Musikern gecovert; am bekanntesten ist sicher die Version von Billie Holiday, es sind aber auch eine Reihe anderer bekannter Namen wie Paul Robeson, Ricky Nelson, Ray Charles, Elvis Costello, Genesis, Sinéad O'Connor oder Björk darunter. Aber warum erzähle ich euch das überhaupt?

Ganz einfach: Es gibt nämlich Leute, die glauben, dass dieses Lied verflucht ist. Denn angeblich soll jeder, der es hört, hinterher den Drang verspüren, Suizid zu begehen - weshalb es auch "Lied der Selbstmörder" genannt wird. Tatsächlich wird dieses Gerücht von manchen so ernst genommen, dass es auf YouTube zu einem Re-Upload der Originalversion ernsthaft eine Trigger-Warnung gibt. Die traurige Stimmung dieses Liedes machte es Seress tatsächlich schwer, einen Verlag zu finden, der sich bereit erklärte, die Noten zu drucken; 1935 entstand mit dem ungarischen Sänger Pál Kalmár die erste Tonaufnahme. Bereits 1936 gab es erste Berichte über Suizidfälle, die mit dem Lied in Verbindung standen - so wurde von einem jungen Mann erzählt, der sich in einem Budapester Café von der Band dieses Lied gewünscht hätte; anschließend sei er nach Hause gegangen und habe sich erschossen. Ein weiterer Fall erzählt von einer Frau, die von ihren Nachbarn an einer Drogenüberdosis gestorben in ihrer Wohnung aufgefunden worden sei, während ihr Grammophon Szomorú Vasárnap in Dauerschleife spielte. Auch Jávors Ex-Verlobte soll sich, nachdem sie das Lied gehört hatte, umgebracht und einen Zettel mit den Worten "Szomorú vasárnap" hinterlassen haben. Und so gab es haufenweise Berichte über Suizidfälle, die angeblich durch das Lied ausgelöst worden sein sollen - meist sollen sie ein Notenblatt mit dem Lied in der Hand gehalten oder einen Abschiedsbrief mit den Worten "trauriger Sonntag" hinterlassen haben. Auf diese Weise wurde die internationale Öffentlichkeit auf die ungarische "Selbstmordhymne" aufmerksam - und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Geschichten sowohl Lewis' Übersetzung als auch die deutsche Version beeinflusst haben, denn in der ungarischen Originalversion ist noch nicht von einer Todessehnsucht die Rede - auch wenn diese zumindest in der englischen Version in der letzten Strophe revidiert und als Traum entlarvt wird. Bille Holidays Interpretation stammt von 1941 und machte das Lied vor allem in den englischsprachigen Ländern bekannt. Doch auch ihre Version wurde mit vielen Suizidfällen in Verbindung gebracht, weshalb die BBC den Song bis zum Jahr 2002 offiziell aus ihrem Programm strich. Im Jahr 1999 wurde die Geschichte des Liedes in dem deutsch-ungarischen Film Ein Lied von Liebe und Tod fiktiv aufgearbeitet, wobei in der Handlung wieder das Motiv der tragischen Liebe aufgegriffen wurde, während der deutsche Text ebenfalls eine Abwandlung ist und sich auf die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs bezieht.

Aber was stimmt denn nun und was nicht? Nun - es wird vermutet, dass die Geschichte rund um die Entstehung des Liedes nicht ganz der Wahrheit entspricht und dass der Text erst nachträglich zur Melodie hinzugefügt wurde. Dafür spricht die ausdrucksstarke, geradezu hypnotisch wirkende Diktion, die in Billie Holidays Version aufgebrochen ist und sich so stärker an der Intensität und Variabilität ihrer Stimme orientiert. Auch bei der Anzahl der Suizide, die mit diesem Lied in Verbindung stehen, wurde offensichtlich maßlos übertrieben, wie es bei urbanen Legenden ja üblich ist. Ich persönlich denke, dass die Häufung der Suizidfälle auch mit der Zeit zu tun haben könnte, in der dieses Lied entstand - in einer Zeit der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Leute nicht mehr weiterleben wollen. Zudem ist Ungarn offenbar für seine hohe Suizidrate bekannt. Ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass nur ein Lied Menschen, die zuvor nie den Wunsch verspürten, ihrem Leben ein Ende zu setzen, in den Suizid getrieben hat - ich habe es mir im Zuge der Recherchen jetzt mehrmals angehört, und obgleich ihr ja inzwischen wisst, dass meine Psyche nicht ganz so stabil ist wie die manch anderer und ich mir, zumal ich sehr stark auf Musik reagiere, das wahrscheinlich nicht anhören kann, ohne zu heulen, wenn es mir wirklich schlecht geht, habe ich deswegen nicht gleich die Absicht, mir das Leben zu nehmen. Was ich aber sagen kann, ist, dass Menschen mit schweren Depressionen und erhöhter Suizidalität generell dazu neigen, besonders traurige Musik zu hören, die zu ihrer Stimmung passt. Da ist es gar nicht weiter verwunderlich, dass eine so auffallend melancholische Melodie auch den einen oder anderen Suizid begleitet hat. Im übrigen könnte ich mir vorstellen, dass auch der tragische Tod des Komponisten zur Legendenbildung beitrug: Im Jahr 1968 stürzte sich Resző Seress aus dem Fenster seines Apartments in Budapest - an einem Sonntag. Er überlebte, strangulierte sich aber ein paar Tage später selbst im Krankenhaus. Es wird vermutet, dass er es nicht verkraftet hat, dass er nie wieder etwas geschafft hat, das so erfolgreich war wie Szomorú Vasárnap.

Auch die zweite Legende, von der ich euch erzählen will, hat die Kunst zum Thema - wenn auch die Werke, um die es geht, meiner Ansicht nach qualitativ nicht an den traurigen Sonntag heranreichen. Genauer gesagt will ich über eine Gemäldereihe sprechen, die angeblich verflucht sein soll. Es handelt sich hierbei um die Bilder von Giovanni Bragolin, dessen genaue Identität ich jedoch auch nach vielen Stunden Recherche nicht zu hundert Prozent herausfinden konnte. Unter diesem Namen fand ich am häufigsten einen venezianischen Maler und Restaurator namens Bruno Amadio, der in er Nachkriegszeit selbst gemalte Bilder an Touristen verkauft haben soll; seine Motive waren hauptsächlich Alltagsszenen, berühmt wurden jedoch vor allem seine Porträts von weinenden Kindern. Warum die so beliebt waren, kann ich nicht sagen - sie sind handwerklich einwandfrei ausgeführt, wenn auch auf eine eher kitschig-anachronistische Art und Weise, aber das Motiv ist doch sehr eigenwillig. Zwanzig Bildern von weinenden Jungen soll er den Titel "Zigeuner-Zyklus" (huch, sie hat das Z-Wort gesagt!) gegeben haben, obwohl die abgebildeten Buben eindeutig weiß waren. In Verbindung mit Bragolin tauchen jedoch auch weitere Namen auf, etwa J. Bragolin, J. Bzuglin sowie ein spanischer Maler namens Franchot Seville.

Die Entstehungsgeschichte der Bilder der weinenden Kinder ist ebenso völlig unklar - es kursieren viele Legenden darüber im Internet, aber zu keiner einzigen konnte ich auch nur eine halbwegs seriöse Quelle finden. Eine Geschichte erzählt, er habe in den 1960er Jahren einen kleinen Jungen auf einem spanischen Campingplatz aufgelesen, der weinte, weil er seine Eltern verloren hatte. Ein paar Tage später soll das Kind mitsamt seinen Eltern während eines Brandes auf eben jenem Campingplatz ums Leben gekommen sein. Eine andere Geschichte spricht von einem Geschwisterpaar, das während des Krieges mit ansehen musste, wie die Eltern getötet wurden; die beiden streuten von da an weinend durch die Straßen und wurden irgendwann das Motiv von Bragolins Bildern, ehe sie selbst umkamen. Andere unterstellen dem Maler wiederum, er habe Kinder entführt und gequält, um sie zum Weinen zu bringen und zu porträtieren - allerdings frage ich mich, warum es zu nicht einem dieser angeblichen Entführungsfälle irgendwelche anderen Quellen, beispielsweise Zeitungsartikel, gibt. Manche behaupten gar, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, nachdem er mit seinen Bildern keinen finanziellen Erfolg hatte, und dieser ihm auftrug, nur noch weinende Kinder zu malen. Das alles ist jedoch fast ausschließlich in Kommentaren in den sozialen Netzwerken zu finden, oder in YouTube-Videos und auf privaten Blogs ohne Quellenangabe. Ebenso verhält es sich auch mit dem Grund, warum ich das schreibe - diese Bilder sollen nämlich angeblich verflucht sein.

Was die Identifizierung des Künstlers unter anderem so schwierig macht, ist die Tatsache, dass nur drei der Originalporträts signiert sind - von all diesen Bildern gibt es unzählige Kopien, und die Vermutung liegt nahe, dass nicht alle Porträts, die im Umlauf sind, von demselben Maler stammen. Zudem existieren viele der Originale auch gar nicht mehr wegen der Geschichte mit dem Fluch. Erstmals bekannt wurde diese im Jahr 1985 durch die britische Boulevardzeitung The Sun - berichtet wurde von mehreren schweren Bränden in London, bei denen Häuser bis auf die Grundmauern niederbrannten. Ein Gegenstand blieb jedoch immer unversehrt - nämlich die Porträts der weinenden Kinder von Bragolin. Nachdem dieser Bericht veröffentlicht worden war, gingen in der Redaktion der Sun unzählige Anrufe und Briefe ein, die alle von Brandkatastrophen in Zusammenhang mit diesen Bildern berichteten. Schließlich gab die Sun eine Sondermeldung heraus, die ihre Leser dazu aufforderte, ihnen ihre persönlichen Exemplare der Porträts der weinenden Kinder zukommen zu lassen. Anschließend wurden Tausende dieser Bilder in einer Massenaktion verbrannt. Kurz darauf soll ein Reporter der Sun bei einem Hausbrand in Weston-Super-Mare umgekommen sein - das einzige, was unversehrt blieb, war das Porträt eines weinenden Jungen, das neben seiner Leiche gefunden wurde. Es gibt aber auch Geschichten, die behaupten, dass die Häuser, in denen sowohl das Porträt eines weinenden Jungen als auch das eines weinenden Mädchens hing, vor Bränden geschützt seien - die beiden Bilder zu trennen, bringe allerdings ebenfalls Unglück. Übrigens soll es auch keinen Unterschied machen, ob das Gemälde ein Original oder nur ein Nachdruck sei. Bis heute findet man im Internet immer noch zahlreiche Berichte von Bränden oder anderen Unglücksfällen, die von den Bildern verursacht worden sein sollen.

Ich muss ganz ehrlich sagen - was ich persönlich von der Geschichte halte, kann ich nicht ganz präzise beantworten. Wie ihr wisst, suche ich immer nach einer möglichst logischen Erklärung - und da ich die Sun doch ein kleines bisschen und den Mechanismus von Boulevardblättern im Allgemeinen recht gut kenne, bin ich mir ziemlich sicher, dass diese Geschichte nicht unerheblich aufgebauscht wurde, auch wenn ich nicht weiß, in welchem Ausmaß. In einer Facebook-Gruppe schrieben einige, dass sie ein solches Bild zu Hause gehabt hätten und es bei ihnen auch gebrannt hätte - aber ihr wisst ja, wie das ist: Im Internet kann man alles erzählen. Andere wiederum berichten, dass sie, ihre Eltern oder ihre Großeltern so ein Bild gehabt hätten und dass nie etwas passiert sei. Ich habe auch den Artikel eines österreichischen Influencers entdeckt, der so ein Bild auf einem Flohmarkt erstanden und von Kommentatoren auf YouTube und Instagram viele düstere Warnungen bekommen hat. Soweit ich das aber erkennen kann, erfreut sich der junge Mann bis heute bester Gesundheit und wirkt auch nicht so, als sei er obdachlos.

Wie ihr also seht, bin ich wieder mal enttäuschend realistisch und gnadenlos unmystisch, wie die meisten von euch es wohl schon von mir gewöhnt sind. Dafür möchte ich mich in aller Form entschuldigen und hoffe, dass ihr mich deswegen nicht mit den Resten eures Osterfrühstücks bewerft. Denn sonst muss ich euch nämlich verfluchen - und morgen Abend wird ein böses rosarotes Einhorn zu euch nach Hause kommen und euch Helene Fischer vorsingen! Aber bis dahin hoffe ich, dass ihr auch weiter brav meinen Blog lest. Und erkenne, dass dies einer jener Artikel ist, dessen Ende auch für mich völlig überraschend gekommen ist. Bon voyage!

vousvoyez

Donnerstag, 1. April 2021

Ich bin so motiviert, ich könnte Gänseblümchen ausreißen

© vousvoyez
Und das kommt uns ja gerade recht - denn immerhin ist gerade Frühling geworden, und auch vor meinem Fenster sprießen die Gänseblümchen. Auch wenn die Motivation bei mir momentan nur so lálá ist. Aber wenigstens nicht, wenn's ums Schreiben geht. Denn zu schreiben habe ich genug - diesen Artikel zum Beispiel, denn den habe ich schon seit Wochen geplant. Ich möchte mich nämlich wieder ins Reich der Sagen und Legenden begeben. Heute möchte ich nämlich über gruselige Orte in meinem Heimatland sprechen - ein paar habe ich selbst schon gesehen, andere noch nicht. Aber ich liebe nun mal solche Geschichten.

Wie viele von euch wissen, lebe ich in der Steiermark - und hier spielt auch eines der frühesten literarischen Werke über einen Vampir, nämlich die Novelle Carmilla des irischen Schriftstellers Joseph Sheridan Le Fanu aus dem Jahre 1872. Die Geschichte hatte auch einen prägenden Einfluss auf Bram Stokers berühmten Roman Dracula - dieser sollte nämlich ursprünglich auch in der Steiermark spielen, ehe Stoker sich für Transsylvanien als Schauplatz entschied. Le Fanus Entscheidung, die Handlung von Carmilla in der Steiermark anzusiedeln, kam daher, dass er ein halbes Jahr hier verbrachte und die Bevölkerung als rückständig, dumpf und abergläubisch empfand. Während seine Figur Carmilla gerne als Symbol der sexuell selbstbestimmten Frau (und Lesbe) gesehen wird - und somit als Vorreiterin. Was meine eigene Stadt betrifft, so fallen mir spontan vor allem zwei gruselige Orte ein: die Blutgasse, durch die einst die Verurteilten zur Hinrichtung geführt wurden, die aber meistens abgesperrt ist - es handelt sich hierbei übrigens um eine sogenannte "Reiche", eine sehr enge Gasse, die angelegt wurde, damit das Regenwasser ungehindert abfließen konnte -, und die Bassgeige, ein Kellerverlies im Glockenturm auf dem Schloßberg (ja, den schreibt man auch heute noch so), das angeblich als Gefängnis diente, in Wirklichkeit aber als Gemüselager diente.

Ich habe euch ja bereits von der Legende der Blutgräfin erzählt - die ungarische Gräfin Erszébet Báthory, die unter anderem auf Burg Lockenhaus im Burgenland lebte, die das Blut jungfräulicher Mädchen getrunken und darin gebadet haben soll, um sich ihre ewige Jugend zu bewahren. Möglicherweise hat auch ihre Geschichte Bram Stoker inspiriert, obwohl das umstritten ist. Burg Lockenhaus soll übrigens ursprünglich eine Templerburg gewesen sein, auch wenn es Historiker gibt, die dies bestreiten - so gibt es dort die Bluthalle, so genannt, weil hier einst die Tempelritter überwältigt und niedergemetzelt wurden, nachdem es den Truppen des ungarischen Königs Karls I. durch den Verrat eines Knechts gelang, in die Burg einzudringen. Dem Burgvogt gelang es, zusammen mit seinen verbliebenen Leuten zu fliehen, wurde aber von den feindlichen Truppen verfolgt und samt seiner Getreuen auf einer Wiese, die heute noch Totenwiese heißt, niedergemetzelt. Angeblich sollen in der Bluthalle immer noch die Blutspuren der gefallenen Ritter zu sehen sein - ich kann es allerdings nicht beurteilen, denn als ich dort war, war ich erst fünf Jahre alt, und Fotos habe ich keine gefunden. Auch die Geister der gefallenen Ritter sollen hier immer noch spuken.

Eine weitere Burg aus dem Burgenland, um die sich allerlei Legenden ranken, ist die höchstgelegene des Bundeslandes über dem Tauchental, nämlich Burg Bernstein, die etwa zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert errichtet wurde. Diese märchenhaft wirkende Anlage inmitten eines romantischen Gartens befand sich während der ersten Jahrtausendwende am Knotenpunkt zwischen Österreich, Ungarn und Böhmen und war daher häufig Gegenstand von Machtkämpfen, außerdem wechselte sie häufig den Besitzer. Seit 1892 gehört sie der Familie Almásy, inzwischen fungiert das Gebäude als Hotel mit Restaurant, und das, obwohl hier Gespenster ihr Unwesen treiben sollen. Eines von ihnen soll der Geist des Ahnherrn Palatin Johann II. Ivan von Güssing sein, zu Lebzeiten der "Rote Ritter" genannt, ein gefürchteter Raubritter aus dem 13. Jahrhundert, der Kirchen plünderte und sogar Angehörige des Klerus niedermetzelte; er fiel in einem Kampf auf der Burg und soll seither dort als Geist herumgehen. Bekannt ist diese Erscheinung auch als der "Rote Ivan" oder einfach nur "Schlosshansl" - eine hagere, rothaarige Gestalt mit einem bösen Lachen, gekleidet in ein rotes Wams, der sowohl in als auch außerhalb der Burg gesehen wurde - so sagt man. Häufig soll er sich an den Betten von Kindern zeigen, manchmal macht er sich jedoch auch nur durch lautes Poltern, schwere Schritte und das Scheppern seiner Rüstung bemerkbar. Vielleicht sollte ihm mal jemand Schmieröl besorgen.

Eine weitaus bekanntere Geistererscheinung in Burg Bernstein ist die Weiße Frau, die seit dem 16. Jahrhundert erscheinen soll. Weiße Frauen sind in unseren Breiten ja recht weit verbreitet - außer in Burgen und Schlössern sind sie häufig an Straßenrändern zu finden. Dass weibliche Adelige zu Weißen Frauen werden, liegt wahrscheinlich daran, dass sie früher häufig in ihren Brautkleidern beerdigt wurden - oder in weißen Totenkleidern, die Brautkleidern sehr ähnlich sahen. Bei der Weißen Frau von Bernstein soll es sich um Catharina Frescobaldi handeln, die italienischen Ehefrau des früheren Burgherrn Lorenz Újlaki - auch wenn in Wirklichkeit keiner weiß, woher sie kommt. Der Sage nach zog Újlaki in den Krieg gegen die Türken und ließ die Gattin in der Obhut seines Knappen zurück. Nachdem er lange Zeit nicht zurückkehrte, hielt Catharina ihn für tot, ließ sich mit dem Knappen ein - und wurde von ihrem Ehemann mit ihm in flagranti im Bett erwischt. Dieser erstach den Nebenbuhler und mauerte die Untreue im schwarzen Turm ein - andere behaupten auch, er habe sie erstochen oder in den Brunnen geworfen. Jahre später war er der erste, dem Catharina Frescobaldi als Weiße Frau erschien; der Schreck brachte ihn um. Seitdem gibt es zahlreiche Berichte über ihre Erscheinung - die meisten um die Jahrhundertwende. Beschrieben wird sie als kleine, zierliche Frauengestalt mit langen, dichten Haaren und traurigem Blick, die ein wallendes weißes Gewand sowie eine párta, einen ungarischen Kopfschmuck ähnlich einem Diadem, trägt und von einem hellen Licht umgeben ist. Meine Großmutter erzählte immer, dass sie mit einer Hand eine Wunde an ihrem Hals verberge; andere wollen sogar den Griff eines Stiletts herausragen gesehen haben. Manche behaupten, sie bitte die Lebenden mit winkenden Gebärden, ihr zu folgen. Manche wollen sie vom Schlosshof aus an einem Saalfenster gesehen haben; andere behaupten, sie hätten sie über die Treppen schweben gesehen. Ihr Weg soll sie stets in die Kapelle führen, wo sie vor dem Altar niederkniet und dann verschwindet. Ihre Erscheinung häuft sich angeblich zu Kriegszeiten; so soll es aus der Zeit des Italienischen Unabhängigkeitskrieges um 1860 mehrere Berichte über ihre Erscheinung gegeben haben, die jedoch nur mündlich überliefert worden waren. Erste schriftliche Zeugnisse stammen aus der Zeit um 1899/1900; aus dem Jahr 1929 existiert eine parapsychologische Untersuchung, bei der unterschiedliche Berichte gesammelt wurden von Leuten, die die Weiße Frau gesehen haben wollen. Einer von ihnen erzählt von einem Fackelzug der Dorffeuerwehr aus dem Jahre 1912, bei dem sie der Familie des Burgherrn sowie vielen Bewohnern des Dorfes Bernstein erschienen sein soll. Manche hatten nachts auch nur Lichterscheinungen ohne Weiße Frau. Es gibt sogar ein paar alte Fotografien, die angeblich die Weiße Frau von Bernstein zeigen - eines habe ich sogar gesehen, und zwar in einem Buch, das meine Großmutter einmal aus der Universitätsbibliothek geholt hatte. Wenn ihr mich jedoch nach meiner Meinung fragt, hat jemand irgendetwas, vielleicht Seidenpapier, auf das Fotopapier gelegt, bevor er es belichtet hat, aber ich kann mich natürlich auch irren. Auf jeden Fall sind bis heute viele davon überzeugt, dass es die Weiße Frau wirklich gibt und dass sie bis heute in den alten Gemäuern zu finden ist.

Eine weitere Burg, die Gegenstand zahlreicher Sagen und Legenden ist, ist Schloss Moosham im Salzburger Lungau, und ich muss sagen, selbst wenn man nicht abergläubisch ist, hat dieses wuchtige Gemäuer, das vor der grünen Waldkulisse auf einem felsigen Hügel über dem Tal der Mur thront, durchaus etwas Einschüchterndes. Auf den Fundamenten eines römischen Kastells gebaut, wurde es im 12. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt und blickt auf eine lange, bewegte Geschichte zurück. Dieser Ort war der Schauplatz von zahlreichen Hexenprozessen, und insgesamt 66 Hinrichtungen wurden hier vollzogen. Kein Wunder also, dass viele davon überzeugt sind, dass hier die Geister Verstorbener umgehen sollen. Sowohl der Gerichtsraum als auch die Folterkammer sind heute noch zu besichtigen. Überliefert ist auch die Sage eines Gerichtsdieners namens Anton, genannt der "Schörgen-Toni". Dieser soll ein sehr brutaler Mensch gewesen sein, der mit Vorliebe andere quälte, dafür aber nie zur Rechenschaft gezogen wurde, so dass die Leute behaupteten, er habe seine Seele dem Teufel verkauft. Und so soll in einer stürmischen Nacht ein Wagen mit vier schwarzen Pferden nach Schloss Moosham gekommen sein, und ein Diener des Höllenfürsten holte den Schörgen-Toni heraus, der jämmerlich um sein Leben bat, und fuhr mit ihm über den sogenannten Schindergraben, einen holprigen Weg, der zwischen Wald und Wiesen Richtung Murtal führt, hinab in die Hölle. Eine andere Geschichte erzählt von zwei Brüdern, die einst auf Schloss Moosham lebten und ein liebevolles Verhältnis zueinander pflegen, bis sie sich eines Tages in dasselbe Mädchen verliebten. Von da an begannen sie sich zu hassen, noch mehr, als einer von ihnen bei einem Turnier einen goldenen Ring gewann, den das Mädchen gespendet hatte. Sie zogen in verschiedene Teile des Schlosses und waren von da an verfeindet, bis sie sich eines Tages, vom ergreifenden Lied eines Sängers, der vor das Schloss gekommen war, gerührt, wieder versöhnen wollten; als jedoch der eine Bruder den goldenen Ring an der Hand des anderen erblickte, kam der alte Hass wieder auf, und die beiden töteten einander in einem furchtbaren Schwertkampf. Noch Jahre später behaupteten Wanderer, sie hätten die beiden vor dem Schloss kämpfen sehen. Und auch im Schloss soll es zahlreiche Geistererscheinungen geben - es gibt Berichte über kalte Luftzüge, die aus Schränken kommen, über Möbelstücke, die sich von selbst bewegen und über Geisterhände, von denen man berührt werden kann. Die Besitzer selbst bestreiten diese Gerüchte, und ich konnte mich selbst auch noch nicht davon überzeugen, aber wer weiß - nur weil ich nicht an Gespenster glaube, muss ich nicht unbedingt Recht haben. *zwinker zwinker*

Aber bei uns zu Hause gibt es nicht nur Weiße Frauen - seit den 1980er Jahren soll in der Salzburger Region Pinzgau, aber auch im Pongau und im Bereich der Erzdiözese Salzburg, immer wieder eine "schwarze Frau" gesichtet worden sein. Der Legende zufolge handelt es sich dabei um den Geist einer 23jährigen Kellnerin aus St. Peitz, die vor Jahren mit ihrem Auto auf der Bundesstraße verunglückte. Sie kam mit dem Auto von der Straße ab und stürzte auf die daneben liegenden Bahngleise, wo sie von einem Zug erfasst und mehrere Meter mitgeschleift wurde. Der Gendarmerie zufolge sei die junge Frau nicht sofort gestorben, sondern hätte noch eine Zeitlang eingequetscht im Autowrack gellend um ihr Leben geschrien. Die Geschichte war damals Gesprächsthema Nummer eins in der Region. Seit damals gibt es immer wieder Berichte über eine unheimliche, schwarze Frau, die am Straßenrand umherwandelt und um Mitnahme bittet. Wer sie mitnimmt, dem offenbart sie im Auto, dass er einen Unfall gehabt hätte, wenn er nicht für sie angehalten hätte, und löst sich in Luft auf.

Der letzte Spukort, von dem ich euch heute erzählen will, liegt in Wien - genauer gesagt in Albern im 11. Wiener Gemeindebezirk. Hier liegt seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Friedhof der Namenlosen, so genannt, weil dort zwischen 1840 und 1940 Leichen aus der Donau bestattet wurden, die zu stark verwest waren, als dass man ihre Identität hätte feststellen können. Aber auch Unfallopfer und Opfer ungeklärter Kriminalfälle fanden hier ihre letzte Ruhe, ebenso wie Leute, die Suizid begangen hatten und denen die Beisetzung auf konfessionellen Friedhöfen nicht erlaubt worden war. Mit dem Bau des Alberner Hafens und den Getreidesilos wurden durch die geänderten Strömungsverhältnisse kaum noch Wasserleichen angespült - seither ist der kleine Friedhof mit seinen schlichten schmiedeeisernen Kreuzen stillgelegt, wird aber als Kulturdenkmal weitergeführt, und am ersten Sonntag nach Allerheiligen gibt es immer noch eine Gedenkfeier zu Ehren der namenlosen Toten. Aber nicht nur das - der Friedhof der Namenlosen soll einer der spukintensivsten Orte Europas sein. Immer wieder gibt es Berichte von Nebelgestalten, die Besucher hier gesehen haben wollen - sogar im Internet kursieren zahlreiche Fotos irgendwelcher Geister, an deren Echtheit ich aber, ehrlich gesagt, zweifle. Aber wie gesagt - ich bin nicht allwissend.

Ein Ort, an dem es zwar nicht spukt, der aber durchaus als gruselig bezeichnet werden kann, ist das Beinhaus im oberösterreichischen Hallstatt, das die größte Schädelsammlung Europas beherbergt. Es befindet sich an der Nordseite der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt und wurde im 12. Jahrhundert errichtet. Hier werden die Gebeine ganzer Generationen vollständig aufbewahrt; insgesamt liegen 1200 Schädel in dem Karner, von dem 610 bemalt sind. Das Beinhaus entstand, da der Friedhof sehr klein ist, keine Erweiterungsmöglichkeit besteht und früher noch keine Feuerbestattungen erlaubt waren - deshalb wurden die Schädel und die Röhrenknochen nach etwa zehn bis fünfzehn Jahren wieder exhumiert; man stapelte die Knochen im Karner, reinigte die Schädel, bleichte sie in der Sonne und bemalte sie sie mit Blumenkränzen, außerdem versah man sie mit Namen, Geburts- und Sterbedaten. Ich war als Jugendliche zweimal in dem Beinhaus - es ist gruselig, aber zugleich auch spannend, sich dort aufzuhalten.

Wie ihr seht, gibt es gruselige Orte betreffend wieder einmal viel, worüber ich schreiben und recherchieren kann. Und wie häufig, so ist es mir auch diesmal nicht gelungen, alles, worüber ich berichten will, in einem einzigen Artikel abzuhandeln. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass auch dieses Thema uns auch in Zukunft begleiten wird - vielleicht wage ich auch einen Blick ins Ausland, wenn ihr brav seid! *grins* Ich hoffe sehr, dass das Lesen euch ebenso viel Spaß gemacht hat wie mir, und wir lesen uns sehr bald wieder. Ein paar weiterführende Links habe ich euch unten noch aufgelistet - falls ihr euch ein Bild von den Orten machen wollt -, und oben habe ich euch noch ein Bild von einem selbst gebastelten Geist dagelassen. Bis zum nächsten Mal!

vousvoyez


https://www.diepresse.com/1550349/vor-transsylvanien-die-steirischen-wurzeln-des-vampirmythos

https://www.meinbezirk.at/simmering/c-lokales/geister-feinstoffliche-oder-doch-ein-streich-der-psyche_a90296#gallery=null

http://www.burgbernstein.at/Geschichte.html

https://www.schlossmoosham.at/sagen-schloss-moosham-unternberg-lungau.html

https://dachstein.salzkammergut.at/oesterreich-poi/detail/400341/beinhaus-in-der-michaelskapelle.html