Dienstag, 14. Dezember 2021

Wenn alle Stricke reißen, ist man zu fett für die Schaukel

© vousvoyez
Dieser Satz stammt von dem Kabarettisten und Stimmenimitator Alex Kristan, während er Frank Stronach parodierte - in diesem Zusammenhang fiel übrigens auch die Bemerkung "I can't get no desinfection", welche auf den Mangel an Schutzausrüstung zu beginn der Corona-Krise anspielte. Und dass heutzutage nicht mehr Ö3 den schnellsten Verkehrsservice hat, sondern Tinder. Eine App, die ich nie benutzt habe und wohl auch nie benutzen werde - tatsächlich habe ich keine einzige meiner Liebschaften je online kennengelernt. Denn obwohl ich durchaus Paare kenne, die sich so getroffen haben und bei denen es schon lange funktioniert, bin ich da wohl ein bisschen zu misstrauisch. Wobei ich natürlich auch nicht weiß, wie das aussähe, würde ich meinen Partner verlieren - was ich natürlich nicht hoffe.

Im letzten Artikel habe ich euch ja darauf hingewiesen, dass ich aus der Steinzeit komme - genauer gesagt aus der digitalen Steinzeit. Wobei der erste Vorläufer des Computers - die Analytical Engine - bereits aus dem 19. Jahrhundert stammt, während der des Internets, das Arpanet, bereits im Jahre 1969 erstmals angewendet wurde. Die kommerzielle Nutzung des Internets begann in den 1990er Jahren, ich persönlich kam jedoch erst im Gymnasium wirklich damit in Berührung. Und ich staune noch bis heute, wie schnell und nachhaltig sich unser Alltag dadurch verändert hat - so sehr, dass ich den Unterschied deutlich erkenne, wenn ich mich beispielsweise mit einer Person unterhalte, die nur etwa zehn Jahre jünger ist als ich. Ich vergleiche das gerne mit jener Generation, die zum ersten Mal mit dem Fernseher in Berührung kam: Wie man bei uns größtenteils das erste Mal in Bildungseinrichtungen anfing, das Internet zu nutzen, gingen in den 1950er Jahren die meisten Leute zum Nachbarn oder ins nächste Gasthaus, um sich eine ganz bestimmte Sendung im Fernsehen anzusehen. Entsprechend kann man das Gefühl, zum ersten Mal vernetzt zu sein, ebenso wenig erklären, wie uns die Jugend der 1950er Jahre begreiflich machen kann, wie es ist, wenn man zum ersten Mal vor einem Fernsehbildschirm sitzt. Und irgendwie war sie auch recht spannend, die Zeit, als sich das alles entwickelt und verändert hat. Diese Jahre waren geprägt von einer Mischung aus Nostalgie und Zukunftsoptimismus, bis der 11. September 2001 diese Naivität erstmals bröckeln ließ. Und nachdem wir ein paar Jahre lang unsere Jugend in vollen Zügen genossen hatten, mussten wir allmählich feststellen, dass die Zeiten nicht unbedingt besser werden - und dass die ältere Generation das immer noch nicht kapiert zu haben schien.

Eines der ersten digitalen Phänomene war ja dieses Baby, das zu dem Intro des 1970er-Songs Hooked on A Feeling von Blue Swede (diesen Song muss man als Tarantino-Fan einfach kennen) getanzt hat - ich sah es, wie viele andere auch, das erste Mal in der Serie Ally McBeal, wo es als Halluzination die gnadenlos tickende biologische Uhr einer Frau symbolisiert. Eigentlich handelt es sich dabei um ein Testbeispiel für eine Animationssoftware, das für Werbe- und Demonstrationsvideos ausgewählt wurde und sich Ende der 1990er Jahre auf allen möglichen Websites verbreitete. Durch die Verwendung in Ally McBeal wurde es schließlich allen ein Begriff. Das war nicht lange, bevor ein simples Spiel, das eigentlich als Werbegag für die Whisky-Marke Johnny Walker gedacht war, die Bürocomputer eroberte. Ich spreche natürlich von der virtuellen Moorhuhnjagd, die damals mehr oder weniger in aller Munde war. Ursprünglich wurde es in ausgewählten Kneipen auf jeweils zwei Laptops zur Verfügung gestellt; von dort aus muss es irgendjemand es kopiert und ins Internet gestellt haben, jedenfalls verbreitete es sich im Jahr 2000 via E-Mail wie ein Lauffeuer und ist somit eines der ersten Beispiele für virales Marketing, immerhin war es ja immer noch ein Werbetool. Es hieß sogar, dass das Hühnchen mit den doofen Augen ganze Großraumbüros lahmgelegt hätte und so für Umsatzeinbußen verantwortlich sei. Grund für den Erfolg war aber wohl vor allem die simple Handhabung: Es ging in dem Spiel mehr oder weniger nur darum, so viele Moorhühner wie möglich abzuschießen. Da die Viecher eher langsam flogen, war das auch nicht allzu schwer, und im Nachhinein gesehen muss ich auch sagen, es sah wirklich lustig aus, wie sie mit ihren großen, runden Augen treudoof glotzend durch die schottischen Highlands flogen und nur darauf warteten, abgeknallt zu werden. Damals ging mir die Debatte eher auf die Nerven, und mit sechzehn Jahren waren Büros für mich noch so etwas wie ein fremder Planet. Außerdem habe ich dieses englisch-deutsch gemischte Eurodance-Trashlied Gimme Moorhuhn von Wigald Boning gehasst! Die weiteren Spiele sind gänzlich an mir vorbeigegangen, obwohl danach noch einige Sequels auf den Markt gehauen wurden. Ich erinnere mich nur an ein paar kurze, schlecht gezeichnete und kolossal unlustige Moorhuhn-Clips, die eine Zeitlang während der Werbepausen im deutschen Fernsehen gezeigt wurden.

Zur Moorhuhn-Zeit waren Handys noch weit davon entfernt, internetfähig zu sein. Eines kristallisierte sich jedoch bereits sehr schnell heraus: Sobald das Mobiltelefon zum Massenprodukt wurde, war auch der Wunsch da, sich von der Masse abzuheben. Denn wer will schon wie alle anderen sein (*zwinker*)? Mein erstes Handy, das Nokia 3210, war beispielsweise das erste mit austauschbaren Abdeckschalen, die das äußere Erscheinungsbild des Geräts individualisierten. Und natürlich mussten auch die Klingeltöne und Hintergrundbilder so unverkennbar wie möglich sein - wobei sich dadurch, dass Handys bald über Farbdisplays, Videofunktion sowie polyphone Klangdateien verfügten, ungeahnte Möglichkeiten auftaten. Und auf einmal witterte man mit den Klingeltönen das große Geschäft - was die Ära des Jamba-Sparabos einläutete (ich frage mich bis heute, was das mit Sparen zu tun haben soll). Und jener Werbespots, die bestimmt direkt aus der Hölle kamen und die über kurz oder lang auch zur Zerstörung von Musiksendern wie MTV und Viva beitrugen. Auf einmal wurde man dort ständig mit tanzenden lila Nilpferden, ekelhaft niedlichen gelben Küken, singenden Dinosauriern, Fröschen mit Penis (Penis, hihihihihi!) und diversen anderen 3D-animierten Tieren belästigt, dazu nervige Melodien sowie eine kreischige Männerstimme, die dir ins Ohr brüllt: "SCHICKE JETZT FROSCH 1 AN FÜNFMAL DIE DREI!!!" Und natürlich durften zu Weihnachten auch die beiden Tassen nicht fehlen, die sich gegenseitig beschimpften. Waren die nicht niedlich? NEIN, WAREN SIE NICHT! *heul* Ganz im Gegenteil: Diese in Dauerschleife laufenden Videos von niedlichen Kuschelhäschen, fetten Teufeln, die im Eis einbrechen und Maulwürfen, die dich lieben, obwohl du scheiße bist, machten auf Dauer aggressiv - ebenso wie sich ständig wiederholenden Ansagen: "JAMBA SUCHT DEN KLINGELTONSTAR! HEUTE AM START: SWEETY, DAS KÜKEN!" Raaaaaaaaah!

Was sich heutzutage wohl kaum noch jemand vorstellen kann: Hinter all diesen harmlosen Videos und lustigen Klingeltönen verbarg sich eine Abofalle, die am Ende des Monats die Telefonrechnung schon mal empfindlich in die Höhe treiben konnte. Noch dazu bestand die Zielgruppe durch die Präsenz der Dauerschleife-Werbespots auf den Musiksendern größtenteils aus jenen Menschen, die am leichtesten zu beeinflussen sind: Teenagern. Erschwerend kam noch hinzu, dass unter den voreingestellten Klingeltönen der Handys kaum etwas Vernünftiges zu finden war - ich habe sogar Lieder mit der Diktierfunktion aufgenommen und dann als Klingelton installiert, weil mir das, was auf den Handys zu finden war, häufig den letzten Nerv raubte. Und weil ich eben kein Teenager mehr war, der automatisch das tut, was ihm im Fernsehen gesagt wird. Aber so schnell, wie der Klingelton-Hype gekommen war, verschwand er auch wieder in der Versenkung - das Aufkommen der Handys mit USB-Kabel und schließlich der Smartphones mit direktem Internetzugang machte die teuren Abos endgültig obsolet. Aber natürlich war Jamba nicht bereit, so schnell aufzugeben - in den 2010ern stieg man auf so etwas wie Liebestest-Apps um, die allerdings kaum noch jemanden interessierten. Lustigerweise existiert die Jamba-Website immer noch - sie sieht aus, als wäre das Jahr 2005 nie zu Ende gegangen, und bietet immer noch diese Abos an! Für die anscheinend auch immer noch Leute bezahlen! Und als ob das nicht schlimm genug wäre, hat dieses unsägliche Crazy-Frog-Video mit der Beverly-Hills-Cop-Titelmelodie im Hintergrund mehr als eine Milliarde Aufrufe!

Tatsächlich war dieses komische Viech, das eigentlich gar kein Frosch ist - was man mit ein bisschen Kenntnis von Zoologie eigentlich auch selbst herausfinden könnte, denn Frösche haben keinen Penis - seinerzeit der Star der Jamba-Hölle, und das, obwohl anscheinend alle ihn leidenschaftlich gehasst haben. Und ja, auch ich kann nicht begreifen, was an diesem breitmäuligen Vieh mit seinem nervigen "Ding-ding" eigentlich so ansprechend sein soll. Jedenfalls geht die ganze Geschichte des Crazy Frog auf die Aufnahme eines sechzehnjährigen Schweden zurück, der die Geräusche seines Mopeds imitierte. Über einen seiner Freunde fand sie ihren Weg ins damals noch junge Internet, von wo aus sie für eine schwedische Fernsehsendung entdeckt und auf diversen Spaß-Websites hochgeladen wurde. Irgendwann geriet sie in Vergessenheit - bis sie 2003 von dem schwedischen Animator Erik Wernquist wiederentdeckt wurde. Dieser konstruierte für ein Bewerbungsvideo rund um das Geräusch eine Animation, welche er als "The Annoying Thing" bezeichnete - entsprechend der stimmlichen Wiedergabe des Zweitaktmotors eines Mopeds war auch das Gefährt der Figur, die er da kreierte, unsichtbar, während sie selbst Motorradhelm, Windschutzbrille und Lederjacke trägt (ihr Geschlechtsteil sollte später zensiert werden). Er bekam den Job, und nachdem er etwa ein Jahr lang bei Kaktus Film gearbeitet hatte, wurden externe Firmen auf die Animation aufmerksam - eine davon war Jamba. Diese machte die Figur, die den Namen "Crazy Frog" erhielt, zu einem ihrer populärsten Charaktere und bewarb mit ihr den Klingelton Axel F, jenes Instrumentalstück, das durch die Filmreihe Beverly Hills Cop bekannt geworden war. Ich hoffe nur, dass der arme Eddie Murphy nie davon erfahren hat. Jamba scheffelte Millionen mit diesem fürchterlichen Clip - die eigentlichen Schöpfer hinter dem nervigen Nicht-Frosch erhielten nur einen Bruchteil der Einnahmen. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, hat das Vieh auch noch Coldplay von der Spitze der Charts verdrängt! Insgesamt konnte man diesen einen Soundclip von 1997 zu sage und schreibe drei (!!!) CDs verwursten!

Die ständige Präsenz dieser fürchterlichen Animation sorgte jedoch dafür, dass die Leute sie bald zu hassen begannen - natürlich, denn kein normaler Mensch könnte über längere Zeit diese nervige Stimme hören, ohne psychische Schäden davonzutragen. Und du wirst sie auch nicht mehr los - ich werde nach Beendigung dieses Artikels einen halben Tag Barbie Girl hören müssen, um diesen fürchterlichen Eigentlich-nicht-Frosch aus dem Kopf zu bekommen. Entsprechend verkauften sich die Singles auch von Mal zu Mal schlechter, und zum Glück wurde weder aus der geplanten Serie noch aus dem Film etwas - dafür bekam der Crazy Frog ein eigenes Videospiel für PlayStation. Tragisch endete die Geschichte auch für Erik Wernquist, der bis heute sichtlich bestürzt darüber ist, dass es der Crazy Frog sein soll, den er einst der Welt als geistiges Vermächtnis hinterlassen wird. Umso seltsamer, dass dieser fürchterliche Nicht-Frosch mit seinem Axel-F-Clip im Jahre 2018 ein unverhofftes Revival erlebte - das Video klickte sich auf YouTube so gut wie sonst kaum eines, was dazu führte, dass in jüngster Zeit wieder neue Crazy-Frog-Clips produziert wurden. Wobei man sagen muss, dass viele absurd hohe View-Zahlen bestimmter YouTube-Videos wohl dadurch zustande kommen, dass manche Eltern ihre Sprösslinge gerne mal vor YouTube Kids parken - und diese nicht wissen, wie man einzelne Clips überspringt, weshalb sie oft einfach durchlaufen. Nicht die beste Idee, wenn ihr mich fragt, aber als Nicht-Mutter habe ich da nicht mitzureden. Ebenso seltsam finde ich die Wahl des Songs für den neuen Crazy-Frog-Clip, der sich stilistisch genauso nach 2000er-Clubsound anhört wie seine Vorgänger: It's Tricky von Run DMC, einer der wegweisenden Rap-Combos aus den 1980er Jahren. Mit anderen Worten - der Song passt nicht. Null. Und Run DMC haben das auch nicht verdient - deren Musik mag ich nämlich eigentlich ganz gerne.

Zur gleichen Zeit wie die Jamba-Klingeltöne eroberte auch ein weiteres Phänomen, verbunden mit einem weiteren schrecklichen Ohrwurm, das Internet: Schnappi, das kleine Krokodil. Ja, auch dieses Grauen wird von mir heute wieder gnadenlos ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt! Obwohl es sich ja eigentlich, im Gegensatz zu den fürchterlichen Abzocker-Melodien, lediglich um ein harmloses Kinderlied, gesungen von einer Neunjährigen, handelt. Genauer gesagt heißt die Sängerin Joy Gruttmann und ist die Nichte von Iris Gruttmann, Autorin, Komponistin und Musikproduzentin, die unter anderem Lieder für die beliebte Sendung mit der Maus schrieb. Joy sang in ihrem Kinderchor, und im Alter von fünf Jahren wünschte sie sich von ihrer Tante ein Lied ganz für sich alleine. Also schrieb Iris Gruttmann den von Rosita Blissenbach stammenden Text um und komponierte dazu eine Melodie. Das Lied erschien zunächst 2001 auf einer Musikkassette mit Kinderliedern, zwei Jahre später wurde es auf dem Sampler Großes und Kleines mit der Maus veröffentlicht. Von dort aus hat es 2004 wohl irgendeine Person auf eine MP3-Datei konvertiert und im Internet verbreitet - und erreichte innerhalb kürzester Zeit, ähnlich wie Crazy Frog und Moorhuhn, über diverse Foren und Tauschbörsen eine riesige Reichweite, bis es sogar im Radiosender SWR3 gespielt wurde. Es folgte eine CD, die sich massenhaft verkaufte - im Januar 2005 erreichte sie Platz 1 der deutschen Single-Charts und hielt sich da zehn Wochen. Für die Musiksender wurde es außerdem mit einem Zeichentrickvideo kombiniert - und war nicht nur im deutschsprachigen Raum erfolgreich: Unter anderem wurde das Lied ins Englische, Französische, Tschechische, Litauische und Japanische übersetzt. Bereits damals wurde befürchtet, dass der illegale Download urheberrechtlich geschützter musikalischer Werke zu Umsatzeinbußen im Tonträger-Geschäft führen könnten - bei Schnappi schien es jedoch umgekehrt zu sein. Joys zweite Single, Ein Lama aus Yokohama, lief übrigens auch einmal bei Libro in Dauerschleife, als ich gerade irgendwas gesucht habe, während ich irgendein anderes Lied von ihr frisch operiert im Krankenbett hören musste - wie ihr euch also vorstellen könnt, habe ich kein Interesse an weiteren Kostproben ihres musikalischen Talents. Aber zumindest versichert sie, dass sie keines dieser Kinder war, die von ihren Eltern gegen ihren Willen auf die Bühne gezerrt werden. Natürlich gab es von dem Lied auch zahlreiche Parodien, von denen nicht alle besonders schmeichelhaft waren - am bekanntesten ist mit Sicherheit Schri-Schra-Schrödi aus der Gerd-Show. Die Hauptschuld daran, dass das Lied irgendwann in Ungnade fiel, liegt aber sicherlich bei Jamba, die es ebenfalls für ihre Klingeltöne okkupiert haben. Und trotz allen Grolls tut es mir unheimlich leid, dass das Mädchen nach ihrem Erfolg in der Schule gemobbt wurde - anscheinend hatte sie aber genügend Rückhalt in der Familie, jedenfalls wirkt sie heute wie eine relativ gefestigte junge Frau. Von einer weiteren Karriere im Showbusiness träumt sie allerdings nicht - was wahrscheinlich ebenfalls ihr Glück ist, denn einen solchen Erfolg zu wiederholen, ist fast unmöglich.

Und jetzt will ich euch mal was verraten: Eigentlich wollte ich heute etwas Lustiges machen, weil die Themen in letzter Zeit so ernst gewesen sind. Stattdessen habe ich uns jetzt alle re-traumatisiert - es tut mir schrecklich leid! Ich fürchte, wir werden eine Selbsthilfegruppe gründen müssen, um all diese furchtbaren Erfahrungen adäquat verarbeiten zu können. Um den Schaden in Grenzen zu halten, werde ich euch aber zumindest die nervigen Lieder nicht verlinken - sondern im schlimmsten Fall nur die nicht so nervigen Originale. Und ich hoffe, dass ihr mir trotzdem treu bleibt und auch das nächste Mal wieder mit dabei seid! Bon voyage!

vousvoyez

Freitag, 10. Dezember 2021

Eines Tages wird ein großer Arsch am Himmel erscheinen und alles zuscheißen

© vousvoyez
Dies kommt einem immer wieder in den Sinn, wenn man die Welt so betrachtet - und das Verhalten der Menschen, die auf dieser Welt leben. Ich hatte solche Gedanken kürzlich ebenfalls, als ich mitbekommen habe, dass schon wieder einmal Leute gegen die Maßnahmen demonstrieren. Ehrlich gesagt befürchte ich auch, dass sich die Situation bis zum Februar noch weiter zuspitzen wird - immerhin sind das ja hauptsächlich Leute, die nicht geimpft werden wollen. Ich werde wahrscheinlich in Bälde etwas schreiben, das zumindest teilweise mit dieser Situation zu tun hat - aktuell treibt mich jedoch ein anderes Thema um, zu dem ich mich gerne äußern würde.

Ein prägendes Element in unserem Leben sind selbstverständlich Vorbilder - gerade wenn man jung ist, beeinflussen diese das eigene Denken und Handeln doch sehr. Sie können aus dem eigenen Umfeld stammen, in Zeiten der Massenmedien sind es aber natürlich auch zunehmend Stars und Prominente. Dies ist vor allem für Jugendliche bedeutsam, da diese sich allmählich von den Eltern emanzipieren und sich das Umfeld, sowohl real als auch medial, immer mehr erweitert - auch wenn das Vorbild der Eltern am Ende doch eine weitaus größere Rolle spielt, als man gerade in der Pubertät wahrhaben will. Natürlich sucht man sich mitunter auch Vorbilder, mit denen die Erwachsenen nicht einverstanden sind - vielleicht sogar gerade, weil sie mit ihnen nicht einverstanden sind. Das war schon in den 1950ern so mit Rock'n'Roll - in meiner Jugend waren es Neonazis, Raver, Metalheads und Rapper, die da mehr oder weniger im Fokus waren. Die Frage ist halt, wie man damit umgeht, wenn sich der eigene Sprössling Vorbilder aussucht, die man für falsch hält - denn natürlich besteht die Gefahr, dass er umso mehr zu diesen hält, je mehr man selbst sie ablehnt.

Seit meiner Jugend ist natürlich sehr viel passiert, und selbstverständlich haben sich auch die Vorbilder gewandelt. Zumal sich ja der Medienkonsum ebenfalls grundlegend verändert hat - als ich Teenager war, konsumierte man noch vorwiegend Fernsehen und Radio, Musik wurde hauptsächlich per CD gehört, ansonsten gab es Jugendzeitschriften und für die ganz Seltsamen auch Bücher. Das Internet war schon erfunden und wurde natürlich auch genutzt, aber natürlich noch lange nicht in dem Umfang wie heute - viele nutzten dafür hauptsächlich die Schulcomputer, und wer zu Hause Internetanschluss hatte, musste stets darauf achten, keinen Stress mit den Eltern wegen zu hoher Telefongebühren zu bekommen. Zudem gab es weder Facebook noch Instagram, YouTube oder TikTok - viele Server waren nicht einmal schnell genug, als dass man problemlos Videos hätte abspielen können, Webcams und Lautsprecher mussten extra dazugekauft werden. Mit anderen Worten: Ich komme aus der Steinzeit. Deal with it, baby! Heute ist das natürlich anders: Viele nutzen YouTube, TikTok, Instagram & Co., um ihre eigenen Ideen präsentieren zu können, ohne den Umweg über ältere, strenger regulierte Medien wie Fernsehen, Radio oder Printmedien machen zu müssen. In dieser Hinsicht ist das Internet sicherlich ein Segen - ich nutze es ja selbst, um mein Geschreibsel irgendwo anbringen zu können.

Die Kehrseite des Ganzen ist allerdings, dass hier keine Kontrollinstanz agiert, die darauf achten würde, welche Inhalte hier eigentlich gezeigt und konsumiert werden - erlaubt ist, was Klicks bringt. Gleichzeitig gibt es heute weitaus mehr Menschen, die in der Lage sind, andere zu beeinflussen - weshalb eine solche Kontrolle eigentlich auch gar nicht mehr möglich ist -, und auch das Verhältnis zu den Fans ist anders geworden, da von Influencern immer eine gewisse Nähe vorgegaukelt wird. Und das ist vor allem für junge, beeinflussbare Menschen nicht immer das Beste. Kinder leben die Werte, die sie vorgelebt bekommen - und im Netz gilt aktuell das Recht des Stärkeren. Das bedeutet, dass vor allem diejenigen, die am heftigsten provozieren, die meiste Aufmerksamkeit generieren. Explizite Schimpfwörter werden zwar ausgeblendet, aber abseits davon werden drastische Beleidigungen oder "Hate", wie es in diesem Milieu genannt wird, als normal und unterhaltsam gehandelt - das ist der moralische Kompass, mit dem die nächste Generation aufwächst. Wir haben es beim Drachenlord gesehen, über den ich ja schon berichtet habe - Leute, die zum Teil schon erwachsen sind, respektable Berufe haben oder etwas Ordentliches lernen (zur Erinnerung: Die beiden "Hater", aufgrund derer er den Pflasterstein geworfen hat, waren Medizinstudenten), empfinden es als Unterhaltung, einen Menschen mit Müll zu bewerfen und ihn mit seinem toten Vater zu triggern. Und wir sehen es bei reichweitestarken YouTubern wie MontanaBlack, Simon Unge und KuchenTV, die bei Elf- bis Dreizehnjährigen für cool befunden werden und deren oft provokante Aussagen ungefiltert nachgeplappert werden. Und irgendwie scheint es diesen jungen Leuten nicht ganz klar zu sein, was sie da vermitteln, jedenfalls sind sie nicht vorsichtig damit. Und wundern sich, wenn es irgendwann Konsequenzen gibt und die Erwachsenen sie nicht als erstrebenswerte Vorbilder sehen. Andererseits werden einige von ihnen auch grandios unterschätzt: Ähnlich, wie viele argumentieren, dass die Anti-Corona-Demos nicht von Rechten getragen werden könnten, weil die Leute, die da mitlaufen, doch so unauffällig aussehen, können sich viele anscheinend nicht vorstellen, dass ein Unge oder KuchenTV gefährliche Inhalte vermitteln könnten, weil sie doch so "normal" aussehen. Und doch erregte Unge vor ein paar Jahren mit einem Video Aufsehen, in dem er Milch als "Gift" anprangerte, und KuchenTV hat eine Klage wegen Volksverhetzung und Beleidigung am Hals und erregte vor kurzem Aufsehen, als er zugab, seine Freundin verprügelt zu haben.

Tim Heldt ist 26 Jahre alt und betreibt seinen YouTube-Kanal KuchenTV bereits seit vielen Jahren sehr erfolgreich. Inhaltlich ist er der Kategorie "Meinungsblogger" zuzuordnen: Er äußert seine Meinung zu aktuellen Themen, übt aber auch Kritik an anderen YouTubern. Mit seinem ordentlich gescheitelten Blondhaar wirkt er sehr harmlos und brav, aber bekanntlich sollte man sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen - tatsächlich hatte ich immer ein eher ambivalentes Verhältnis zu ihm, habe mich auch selten auf seinen Kanal verirrt. Das liegt daran, dass viele seiner Videos, obwohl er sich nach außen hin freundlich und leutselig gibt, immer einen eher aggressiven Unterton haben und er sich gerne als der Typ mit dem supercoolen edgy-schwarzen Humor inszeniert, was auf mich bei einem Mann seines Alters, der noch dazu bereits Vater ist, denn doch etwas zu unreif wirkt. Hinzu kommt, dass er zwar immer wieder seine Ablehnung rechtsradikaler Bewegungen wie AfD und Pegida versichert, sich aber gerne deren Rhetorik bedient; darüber hinaus mögen seine häufig in Capslock gehaltenen, mit reißerischen Schlagwörtern gespickten Videotitel der Clickbait-Kultur vielleicht Genüge tun, wirken aber nicht unbedingt professionell.

Bereits im Jahre 2017 geriet Tim Heldt ins Kreuzfeuer der Kritik, als er wegen Volksverhetzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 32.000 Euro verurteilt wurde. Damals lud er ein Video hoch, in dem er die Geschichte jener fünfzehnjährigen Schülerin aus Dresden behandelte, die damals einen Preis für Zivilcourage erhalten hatte, nachdem sie einen Mitschüler angezeigt hatte, welcher in einem Whats-App-Chat das Foto einer Rauchwolke geteilt hatte, das er mit "Jüdisches Familienfoto" untertitelt hatte. Heldt beurteilte diesen "Witz" als "gar nicht mal so schlecht" und beleidigte das Mädchen. Nach dem Prozess beschwerte er sich über das deutsche Rechtssystem und ging in Berufung; in einem neueren Video erkennt er immerhin an, dass sein Handeln damals nicht besonders gescheit war, begibt sich dann aber gleich wieder in die Opferrolle und behauptet, der Prozess laufe nur deshalb noch, weil der Staatsanwalt ihn nicht leiden könne. Ähnlich verläuft es auch jetzt - aber was ist eigentlich passiert?

Im Jahr 2018 hat es wohl einen Eklat zwischen Tim Heldt und seiner Freundin gegeben, die damals gar nicht seine Freundin war, jedenfalls hat er sie wohl geschlagen und wurde daraufhin von der Polizei der Wohnung verwiesen - das Thema wurde offenbar auf sämtlichen Social-Media-Kanälen breitgetreten, wobei Heldt anscheinend alles bestritten und seine Freundin drei Jahre lang als Lügnerin hingestellt hat. Ich persönlich denke ja, man sollte seine Beziehungsstreitigkeiten nicht öffentlich austragen, aber das ist noch mal eine andere Geschichte. Jedenfalls hat ein anderer Meinungsblogger das Thema Ende November wieder zur Sprache gebracht, woraufhin Heldt ein Video hochlud, in dem er unter Tränen zugab, dass er seine Freundin, mit der er inzwischen ein Kind hat, damals wirklich geschlagen hatte, und sich dafür entschuldigte. Einen Tag später stellte er das Bekenntnis auf Privat, angeblich, weil er nicht wolle, dass sein Sohn eines Tages deswegen gehänselt würde - was allerdings komplett sinnlos ist, weil man mit nur einem Klick gleich mal etliche Reuploads und Zitate findet. Und das müsste er, der nicht erst seit gestern auf YouTube ist, eigentlich wissen. Stattdessen lud er ein weiteres Video hoch, bei dem auch seine Freundin selbst ein Statement abgab - sie versicherte, dass sie mit dem Thema abgeschlossen habe und bat darum, damit in Ruhe gelassen zu werden. Heldt versprach, Geld an die Opfer häuslicher Gewalt zu spenden, begann aber schon ziemlich bald, all diejenigen zu attackieren, die sich kritisch über ihn äußerten, und das Thema permanent herunterzuspielen. Und als ob das noch nicht genug wäre, veröffentlichte er ein paar Tage später ein Video, in dem er behauptete, das Geständnis sei Fake gewesen und er hätte damit seinen "Hatern" eins auswischen wollen - es sei also nur ein Streich gewesen, ein "Prank", wie man das in der Szene nennt. Und nach ein paar Minuten flüchtete er schon wieder in die Opferrolle und zog über diejenigen her, die ihn zu Recht kritisiert hatten.

Nun - man hätte bei dem ersten Video noch denken können, es ginge Herrn Heldt darum, auf Gewalt in Beziehungen aufmerksam zu machen - zumal er es am 25. November hochlud, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Und seine Aktion stärker eingeschlagen hat als all die Artikel und Memes, die an diesem Tag geteilt wurden. Tatsächlich hätte etwas sehr Positives daraus erwachsen können, hätte er es nur bei diesem einen Video belassen. Auch scheint ihm die Offenbarung nicht geschadet zu haben - die Kommentarsektion ist voll mit solidarischen Beiträgen seiner Fans, die ihn dafür lobten, dass er jetzt endlich alles zugegeben hätte. Und das, nachdem er seine Freundin drei Jahre lang einem Shitstorm ausgesetzt hat, der für sie doch hochgradig traumatisch gewesen sein muss, ohne dass die Sache jemals richtig gestellt hätte. Und bereits am nächsten Tag nimmt er das Video wieder aus der Öffentlichkeit und zerrt sie vor die Kamera - macht sie also erneut zum Opfer. Und als ob das noch nicht genug wäre, erklärt er wieder ein paar Tage später das Geständnis zum "Fake", wobei er vollkommen offen lässt, was daran jetzt eigentlich gefakt war: Will er damit sagen, er hat sie jetzt doch nicht geschlagen? Oder will er damit sagen, dass er sie geschlagen hat, dass es ihm aber nicht leid tut? Und das ist halt das Ding: Viele interpretieren seine Aussage so, dass er sie nicht geschlagen hat, und sie steht wieder als Lügnerin da.

Natürlich ist die ganze Geschichte für all jene, die ihn sowieso nicht leiden können, ein gefundenes Fressen - und tatsächlich haben verdammt viele auch eine Meinung dazu. Was ja auch legitim ist - ich schreibe ja immerhin auch darüber. Trotzdem nehme ich ihm nicht ab, dass er die ganze Aktion nur wegen seiner Kritiker gestartet hat - und um, wie er behauptet, zu beweisen, dass es diesen gar nicht um das Opfer gehe. Ich halte es durchaus für möglich, dass er sein Geständnis revidiert hat, nachdem Rechtsanwalt Christian Solmecke in einem Video erklärt hatte, dass er für seine Tat durchaus noch angezeigt werden könnte - in diesem Fall hätte es ihm allerdings nichts genutzt, denn in einem weiteren Video erklärt Solmecke, dass man ein Geständnis nicht einfach so rückgängig machen kann. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass es Heldt weder darum geht, um Vergebung zu bitten, noch darum, über ein wichtiges Thema aufzuklären - es geht ihm schlicht und ergreifend nur um seine eigene Selbstinszenierung. Und das ist deswegen so verwerflich, weil in einer Zeit wie dieser, wo es immer wieder Lockdowns gibt und die Fälle häuslicher Gewalt sprunghaft ansteigen, auf Kosten der Opfer Clickbait betrieben wird. Denn obwohl es eigentlich um sein eigenes Fehlverhalten geht, zeigt er mit dem Finger auf die, die dieses Verhalten kritisieren und inszeniert sich selbst als Opfer - wieder einmal. Wäre es ihm wirklich um Aufklärung gegangen, hätte er sein eigenes Verhalten und seine Wirkung auf andere reflektiert. Wäre es ihm wirklich darum gegangen, seine Familie zu schützen, hätte er nicht wieder seine Freundin, die all ihre Kräfte eigentlich braucht, um sich um ein kleines Kind zu kümmern, dieser untragbaren Situation ausgesetzt - um sich dann darüber beschwert, dass diejenigen, die ihn kritisieren, auch über sie sprechen, obwohl er doch derjenige war, der das Thema zur Sprache brachte, bei dem es ja um sie geht. Ein solches Verhalten ist für einen erwachsenen Mann einfach nur peinlich und unmoralisch.

Ich finde es auch äußerst fragwürdig, dass er seine Fans dafür gelobt hat, dass sie nach wie vor zu ihm halten - obgleich ich mich frage, ob das nach dem dritten Video immer noch so der Fall ist. Denn ja, er hat immer noch unfassbar viele Follower, ich habe aber den Eindruck, dass ihre Zahl doch ziemlich eingebrochen ist. Das zeigen auch die Kommentare unter dem Video, in dem er behauptet, dass das Heul-Video ein Fake gewesen sei - viele äußern Verwirrung und auch Enttäuschung. Dennoch wäre es in seiner Verantwortung gewesen, das Verhalten seiner Community zu reflektieren und auch zu kritisieren - denn besonders die Kommentare unter dem ersten Video waren teilweise sehr verstörend. Da gab es tatsächlich solche, die versicherten, dass seine Tat völlig okay sei - manche erklärten sogar, dass sie genauso gehandelt hätten; andere wiederum gaben freimütig zu, dass sie ihre Partnerin auch schon geschlagen hätten. Dies zeigt mir im Grunde nur, dass man sich einen KuchenTV niemals zum Vorbild nehmen sollte - denn dadurch, dass Fans ein solches Verhalten dulden, ohne Konsequenzen zu ziehen, normalisiert es sich irgendwann - die Konsequenzen scheinen ja nicht abschreckend genug zu sein. Nicht nur das - die Fanbase eines YouTubers, der mit Leidenschaft den Islam kritisiert, unter anderem aufgrund frauenfeindlicher Tendenzen in bestimmten (nicht allen!) muslimischen Gesellschaften, bedient sich selbst frauenfeindlicher Rhetorik, indem sie ihm etwa dazu gratuliert, dass seine Freundin bei ihm geblieben ist, obwohl er sie geschlagen hat: Sie bewertet eine Frau also anhand dessen, wie viel sie zu erdulden bereit ist. All die Jahre wurde sie von den Fans ihres Partners als Lügnerin abgestempelt und beschimpft, weil diese kritiklos alles glauben, was ihr großer Held sagt - und jetzt wird sie wieder in dieselbe Situation gebracht. Denn es wird immer noch genug kleine Fanboys und -girls geben, die sich nicht eingestehen werden können, dass sie ihrem Idol auf den Leim gegangen sind. Das ist ein Mob, den er selbst herangezüchtet hat - und dem er jetzt die Mutter seines Kindes wieder ausliefert. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, hat er viele Zuseher getriggert, die selbst Opfer häuslicher Gewalt waren.

Ich bin mir bewusst, dass ich dem jungen Herrn mit meinem Artikel auch wieder Aufmerksamkeit verschaffe - aber da er immer noch eine große Reichweite hat und ein sehr brisantes Thema in den Dreck zieht, kann ich einfach nicht anders. Ich habe selbst schon viele Menschen kennengelernt, die von häuslicher Gewalt betroffen waren, und diesen tut man mit einem solchen Verhalten keinen Gefallen. Und man tut den jungen Leuten keinen Gefallen, die so jemanden cool finden und vielleicht auch so werden wollen. Über ein solches Thema macht man keine Witze - und man nutzt es nicht aus, um Aufmerksamkeit zu generieren. Das einzig Gute daran ist, dass sich immer weniger Leute ein solches Verhalten gefallen lassen - möglicherweise doch ein positiver Effekt dessen, dass Idole heutzutage nicht mehr die unerreichbaren Stars sind, die sie früher waren. Und ich hoffe, dass das noch viel mehr wird - weil häusliche Gewalt, egal wer Täter und wer Opfer ist (denn nicht nur Männer sind Täter, und nicht nur Frauen sind Opfer), nicht geduldet werden darf; weil häusliche Gewalt in der Öffentlichkeit immer noch allzu häufig klein geredet wird; weil man an diesem Beispiel sieht, wie häufig die Schuld den Opfern zugeschoben wird - ähnlich einer Vergewaltigung, wo man die Verantwortung des Täters immer noch viel zu gerne daran bemisst, wie das Opfer gekleidet war; weil es immer noch viel zu häufig nicht zur Anzeige kommt, weil die Angst oder Scham viel zu groß ist; und weil die Lockdown-Situation, wie gesagt, das Problem noch verschärft hat. Deswegen eine Bitte: Benennt das Thema als das, was es ist! Und solltet ihr betroffen seid, bitte sucht euch Hilfe - ich werde unten ein paar entsprechende Links anfügen. Ansonsten war's das für heute, und ich hoffe, dass wir uns das nächste Mal wieder lesen. Bon voyage!

vousvoyez

Donnerstag, 2. Dezember 2021

Bill Gates weiß, was er tut, denn er kämpft schon seit der Entwicklung von Windows gegen Viren

© vousvoyez
Und bekanntlich ist Impfen das beste Anti-Virus-Programm - auch wenn manche es nicht glauben. Aber leider ist eine Impfung für Computer noch nicht erfunden worden, deswegen müssen wir uns mit Software herumschlagen. Und ich werde morgen bereits geboostert - und bin gespannt, ob ich nachher Superkräfte entwickle. Die schlimmste Entwicklung ist allerdings wohl nicht das so gefürchtete Omikron, sondern, dass seit Monaten eigentlich nur herumgeeiert wird - und zwar nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland. Dort sogar noch mehr - wer hätte das gedacht! Hallo, wir sind euer kleiner chaotischer kleiner Bruder! Das könnt ihr doch nicht machen!

Teilweise ist dieses Herumgeeiere wohl, wie gesagt, auch auf zu viel Rücksicht gegenüber jenen, die am lautesten schreien, zurückzuführen. Viele dieser Leute begründen ihre Verweigerungshaltung damit, dass der Impfstoff "experimentell" sei bzw. dass die derzeit stattfindenden Impfungen gegen Covid-19 ein "großes Menschenexperiment" seien - manche vergleichen gar Dr. Christian Drosten und die anderen Mediziner und Wissenschaftler, die ihnen nicht sagen, was sie hören wollen, mit Kriegsverbrechern wie Josef Mengele. Bisweilen wird auch die gesamte Pandemiesituation als großes soziales Experiment gesehen - wozu es gut sein soll, daran scheiden sich allerdings die Geister. Und keine Sorge, ich will hier nicht wieder endlos über die Schwurbels lamentieren - ich will mich nur von ihnen inspirieren lassen. Ich möchte heute nämlich tatsächlich über Experimente sprechen.

Auf die Idee kam ich, als ich kürzlich über die Geschichte von dem russischen Schlafexperiment gestolpert bin. Dieses soll in den 1940er Jahren in der Sowjetunion stattgefunden haben und von russischen Wissenschaftlern durchgeführt worden sein, welche testen wollten, was passiert, wenn man Menschen den Schlaf entzieht. Also schloss man fünf politische Gefangene, denen man hinterher die Freiheit versprochen hatte, in einen Raum ein, der über Luken und Mikrofone überwacht wurde - man stattete ihn mit allem aus, was für den täglichen Bedarf notwendig war, und leitete ein Gas hinein, das die Probanden wachhalten sollte. Die ersten Tage verliefen relativ ereignislos, die allgemeine Stimmung wurde jedoch immer pessimistischer; am fünften Tag hörten sie auf, miteinander zu reden und versuchten stattdessen, mit den Wissenschaftlern zu kommunizieren; am neunten Tag begann einer nach dem anderen, unkontrolliert zu schreien, bis die Stimmbänder rissen, bis auf zwei, die dafür Bücher auseinanderrissen, sie mit ihren Exkrementen beschmierten und damit die Luken verklebten. Die nächsten drei Tage hörte man nichts mehr von ihnen - nur der Verbrauch von Sauerstoff wies darauf hin, dass sie noch am Leben waren. Am 15. Tag des Experiments wurde der Raum entgegen der vorgesehenen Beschlüsse von den Wissenschaftlern und Militäreinheiten geöffnet, nachdem man aufgehört hatte, Gas ins Zimmer zu leiten. Der Anblick, der sich ihnen bot, sollte sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr loslassen - vier der Probanden waren noch am Leben, sie hatten sich mit bloßen Händen Fleisch und Organe herausgerissen und sich teilweise auch selbst gegessen (die genauen Details erspare ich euch großmütig), vor allem aber wollten sie nicht, dass das Experiment abgebrochen wurde, und wehrten sich mit erstaunlicher Kraft dagegen, aus dem Raum entfernt zu werden, was einen der Soldaten und auch einem weiteren Probanden das Leben kostete. Da sie alle schwer verletzt war, brachte man sie in einen Operationsraum, wo man versuchte, sie zu betäuben, was kaum möglich war - einer von ihnen starb daran, die anderen beiden wurden letztlich ohne Betäubung operiert, aber obwohl die Prozedur mehrere Stunden dauerte, zeigte keiner von ihnen Anzeichen von Schmerz. Dies veranlasste den befehlshabenden Offizier, das Experiment fortsetzen zu wollen, woraufhin einer der Wissenschaftler ihm die Pistole entriss und ihn sowie die beiden übriggebliebenen Versuchspersonen erschoss.

Grauslich, nicht wahr? So richtig zum Fürchten - und diese Geschichte kursiert seit 2010 regelmäßig durchs Netz, immer mit dem Hinweis, dass sie tatsächlich so passiert sein soll. Nun, ich denke, ich kann euch beruhigen - es gibt keine einzige seriöse Quelle, die den Wahrheitsgehalt bestätigt, und auch ich habe dazu ausschließlich Internetseiten gefunden, die auf urbane Legenden und Creepypastas, also Internet-Gruselgeschichten, spezialisiert sind und keinerlei Anspruch auf Seriosität erheben. Natürlich wurde in den 1940er Jahren tatsächlich sehr viel an Menschen herumexperimentiert, egal ob in der Sowjetunion, den USA, Japan oder auch im nationalsozialistischen Deutschland. Und auch Schlafentzug wurde sowohl als Foltermethode als auch als Experiment angewendet. Allerdings gab es keinen bestätigten Fall, der auch nur annähernd so beschrieben wurde wie die angeführte Geschichte. Doch auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass sie frei erfunden ist, sind es andere leider nicht - etwa die grausamen medizinischen Experimente, die Josef Mengele an KZ-Häftlingen durchführte, oder auch die Erforschung von biologischen und chemischen Waffen, die die japanische Armee in den 1930er Jahren an chinesischen Kriegsgefangenen durchführte. Ich möchte euch allerdings von ein paar nicht ganz so grausamen sozialen Experimenten erzählen, die tatsächlich stattgefunden haben.

Ein Film, der in Schwurbelkreisen sehr beliebt ist, ist Die Welle von Dennis Gansel aus dem Jahre 2008. Er handelt von einem Sozialexperiment, das ein Lehrer mit seinen Schülern durchführt, um ihnen zu demonstrieren, auf  welche Weise eine autokratisches, faschistoides Gesellschaftssystem entstehen kann. Selbstverständlich sehen Verschwörungsgläubige sich in diesem Film als jene, die Widerstand geleistet hätten, während wir anderen die dummen Mitläufer gewesen wären. Wie auch immer, jedenfalls hat ein vergleichbares Experiment in den 1960er Jahren tatsächlich stattgefunden und wurde 1981 tatsächlich schon einmal unter dem Titel The Wave für das US-amerikanische Fernsehen verfilmt. Im selben Jahr schrieb Morton Rhue den gleichnamigen Roman, der vor allem in deutschsprachigen Schulen bis heute zur Pflichtlektüre gehört - auch mir ist er im Unterricht das erste Mal in die Hände gekommen, das Exemplar von damals besitze ich heute noch. Die deutsche Version finde ich prinzipiell gut - teilweise wird die Geschichte, vor allem das Ende, allerdings so sehr dramatisiert, dass nur die erstklassige Arbeit der Schauspieler ihn davor bewahrt, ins Lächerliche abzudriften.

Sowohl der amerikanische als auch der deutsche Film basieren auf dem Experiment The Third Wave des Geschichtslehrers und Basketballtrainers Ron Jones aus dem Jahre 1967. Dieser war gerade frisch von der Universität gekommen und unterrichtete an der Cubberley High School in Palo Alto, Kalifornien. Damals unterrichtete er eine zehnte Klasse und behandelte unter anderem auch den Nationalsozialismus; dabei kam die Frage auf, warum damals in der "normalen" Bevölkerung Deutschlands niemand etwas von der Judenverfolgung und den Gräueltaten in den Konzentrationslagern gewusst haben wollte - eine Frage, die Jones nicht beantworten konnte. Also beschloss er, die darauffolgende Woche für ein Experiment zu nutzen, dessen Abfolge er neun Jahre später in dem Buch No Substitute for Maness: A Teacher, His Kids and the Lessons of Real Life publizierte. Ursprünglich nahmen die drei Geschichtsklassen daran teil, die er unterrichtete, also etwa 90 Schüler; zum Ende hin wuchs die Zahl der Teilnehmer auf insgesamt 200 - das Experiment wurde "The Third Wave" ("Die dritte Welle") genannt. Er begann damit, neue Verhaltensregeln aufzustellen und mit großer Strenge durchzusetzen, verwundert, dass die Jugendlichen sie widerspruchslos akzeptierten. Dann kreierte er daraus eine Bewegung, die er "Die dritte Welle" nannte, betonte die Wichtigkeit von eiserner Disziplin und bedingungslosem Gemeinschaftssinn und teilte den Schülern verschiedene Rollen zu. Diese nahmen die neuen Strukturen positiv auf, zumal dadurch auch der harte Konkurrenzdruck untereinander abgemildert wurde; allerdings regten sich je länger das Experiment dauerte, auch immer mehr Zweifel, da die Dritte Welle zwar einerseits vormalige Außenseiter integrierte, andererseits aber auch Mobbing gegen Andersdenkende initiiert wurde. Zudem erkannte Jones, dass die Grenzen zwischen seiner gespielten Rolle als Diktator und seiner tatsächlichen Funktion als Lehrer immer mehr verschwammen. Und so berief er am fünften Tag eine Versammlung aller Mitglieder der Dritten Welle ein, in der er die Mechanismen auflöste, mit denen er sie manipuliert hatte und die Parallelen zum Verhalten der Schüler und dem der Bevölkerung Deutschlands im Dritten Reich aufzeigte.

Ein weiteres Experiment, das sich mit Folgsamkeit gegenüber Autoritäten beschäftigt, kennt sicherlich auch noch jeder von euch aus der Schulzeit - ich spreche natürlich vom Milgram-Experiment, das erstmals im Jahre 1961 in New Haven, Connecticut, durchgeführt wurde. Dieses von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelte Projekt sollte die Bereitschaft des Durchschnittsmenschen untersuchen, auch dann noch den Anweisungen von Autoritäten zu folgen, wenn diese ihren eigenen ethischen Grundsätzen widersprachen. Vorbild war hierbei Jerome D. Franks Soda-Cracker-Experiment aus den 1930er Jahren, das die Gehorsamsbereitschaft untersuchte, indem Personen dazu gebracht wurden, unter verschiedenen Voraussetzungen zwölf ungesalzene, wenig schmackhafte Kekse zu essen. Der Ablauf ist allgemein bekannt. Versuchspersonen mussten nach Anweisung eines "Versuchsleiters" einem "Schüler" Fragen stellen und diesen bei jedem Fehler mit einem elektrischen Schlag bestrafen, wobei die Spannung jedes Mal erhöht wurde. Was die Probanden jedoch nicht wussten, war, dass sowohl die "Versuchsleiter" als auch die "Schüler" Schauspieler waren und es in Wirklichkeit gar keine Stromschläge gab - sie gingen also davon aus, dass sie den "Schülern" echte Schmerzen zufügten. Hier zeigt sich wieder, dass auch in der Schule nicht immer die Wahrheit gesagt wird: Uns hat man nämlich damals erzählt, dass alle "Lehrer" bis zum Ende mitgemacht und niemand sich widersetzt hätte. So schlimm war es dann aber doch nicht - zwar gingen erschreckend viele bis zur maximalen Spannung, aber es gab durchaus auch ein paar, die sich ab einem gewissen Level weigerten, weiter mitzumachen. Zudem wurde das Experiment nicht nur einmal durchgeführt und auch mehrfach variiert, beispielsweise wurde in einer Wiederholung im Jahre 2006 nach Geschlechtern differenziert - übrigens ohne signifikanten Unterschied. Lange Zeit wurden die Ergebnisse des Milgram-Experiments als Erklärungsmodell dafür herangezogen, warum Menschen etwa foltern oder Kriegsverbrechen begehen. Heute werden die Ergebnisse allerdings nicht mehr unbedingt als repräsentativ angesehen, da beeinflussende Faktoren häufig nicht berücksichtigt wurden. Auch war das Experiment für viele der Versuchspersonen nicht folgenlos; viele litten trotz nachfolgender psychologischer Betreuung noch Jahrzehnte später an posttraumatischen Belastungsstörungen.

Das Stanford-Prison-Experiment, das 1971 von den amerikanischen Psychologen Philip Zimbardo, Craig Haney und Curtis Banks an der Stanford University durchgeführt wurde, ist so populär, dass es mehrmals verfilmt wurde, etwa 2001 in Oliver Hirschbiegels Das Experiment, 2010 in Paul Scheurings The Experiment und 2014 in Kyle Patrick Alvarez' The Stanford Prison Experiment. Bis heute ist es Gegenstand kontroverser Diskussionen. Damals wurden mittels eines Persönlichkeitstests 24 freiwillige Stanford-Studenten aus der Mittelschicht ausgewählt, deren Ergebnisse dem Durchschnitt entsprachen. Per Münzwurf wurden sie in zwei Gruppen eingeteilt - Wärter und Gefangene. Letztere mussten im Vorfeld Dokumente unterschreiben, in denen sie währen der Dauer des Experiments auf einige ihrer Grundrechte verzichteten. Einige Tage später wurden sie "festgenommen" und in Laborräume im Keller der Universität gesperrt, die für die Dauer des Experiments zu Gefängniszellen umgebaut worden waren. Sie bekamen schwere Fußketten, einen Kittel und eine eng anliegende Mütze und wurden mit Nummern versehen, die sie statt ihrer Namen zu verwenden hatten. Die Wärter wiederum wurden mit Gummiknüppeln, Uniformen und Sonnenbrillen ausgestattet - sie hatten die Befugnis, eigenständig Regeln zu bestimmen und nach ihrem Gutdünken für Ruhe und Ordnung zu sorgen, einige erzählten jedoch später, sie seien vom Studienleiter zu besonders strengem Vorgehen angehalten worden. Nun wurden die Gefangenen zu beliebigen Tag- und Nachtzeiten zu Zählappellen aufgerufen; bereits am Morgen des nächsten Tages begannen sie sich zu widersetzen, woraufhin die Wärter begannen, sie fortwährend zu demütigen. Diejenigen, die sich am wenigsten an dem Aufstand beteiligt hatten, wurden bevorzugt behandelt, wodurch die Solidarität untereinander gebrochen und weitere Revolten verhindert wurden. Bereits nach drei Tagen eskalierte die Situation; einige Gefangene erlitten emotionale Zusammenbrüche und mussten entlassen werden, und aufgrund der zunehmend sadistischen Verhaltensweisen der Wärter musste mehrmals eingeschritten werden, um Misshandlungen zu verhindern. Nach sechs Tage wurde das Experiment, das eigentlich für zwei Wochen angedacht gewesen war, abgebrochen werden. Bereits kurz nach seinem Ende geriet es in die Kritik - so wurde evaluiert, dass die Probanden sich keineswegs wie Wärter und Gefangene verhielten, sondern so, wie sie sich Wärter und Gefangene vorstellten. Auch konnte das Ergebnis nicht reproduziert werden, und darüber hinaus wurde auch Zimbargos Rolle innerhalb des Experiments ebenfalls kritisiert; eigentlich war er zur Neutralität und Objektivität verpflichtet, stattdessen beteiligte er sich als leitender Vollzugsbeamter aktiv daran.

Auch das Konformitätsexperiment des Gestaltpsychologen Solomon Asch, dessen Ergebnisse 1951 veröffentlicht wurden, untersuchte die Wirkung von Gruppenzwang auf Einzelpersonen, indem es versuchte, zu reflektieren, inwieweit diese bereit ist, aufgrund dessen offensichtlich falsche Aussagen für richtig zu erklären. Hierzu wurden eine Reihe von Personen an einen Konferenztisch gesetzt, zu denen dann eine Versuchsperson geschickt wurde, welche nicht wusste, dass die anderen eingeweiht waren. Dieser Gruppe wurde auf einer Karte eine Linie gezeigt, die Referenzlinie, und auf einer zweiten drei Vergleichslinie; Aufgabe war es, zu entscheiden, welche der Vergleichslinien gleich lang war wie die Referenzlinie. In der Kontrollgruppe sollte die richtige Einschätzung abgegeben werden, natürlich machte die Versuchsperson in dieser Gruppe auch eher selten Fehler. In der Experimentalgruppe wiederum fanden jeweils achtzehn Schätzungen statt, wobei sechs davon richtig und die restlichen falsch sein sollten. Trotz der Offensichtlichkeit der Fehlurteile passte sich die Versuchsperson bei etwa einem Drittel der Durchgänge der Mehrheit an. Das Experiment wurde mehrfach repliziert, wobei sich herausstellte, dass die erzeugte Konformität umso höher ist, je größer die Gruppe ist. wird die Konformität der Vertrauten aufgebrochen, ist die Fehlerquote der Probanden geringer, ebenso wie wenn einer der Vertrauten sich auf deren Seite stellt. Kritiker wiesen allerdings darauf hin, dass die teilnehmenden Studenten möglicherweise wenig Interesse hatten, sich in einem Konflikt um eine richtige Antwort zu bemühen.

Im vorigen Jahr wurde für den ORF ein Experiment wiederholt, das bereits in den 1970er Jahren für Aufsehen sorgte - und zwar das Blue-Eyes/Brown-Eyes"-Experiment der US-amerikanischen Lehrerin und Anti-Rassismus-Aktivistin Jane Elliot. Diese versuchte, ihren Schülern im Jahre 1970 Rassismus zu erklären, indem sie die Erlebniswelt Betroffener durch die Einteilung in zwei Gruppen simulierte - sie schrieb den Kindern mit braunen Augen positive und denen mit blauen Augen negative Eigenschaften zu, räumte den Braunäugigen Privilegien ein und ermutigte sie, nur miteinander zu spielen und die anderen zu ignorieren. Schon bald wirkte sich das Experiment auf die schulischen Leistungen aus: die der Privilegierten wurden besser, die der Benachteiligten schlechter. In der Woche darauf kehrte Elliot die Verhältnisse um, erhob die Kinder mit blauen Augen in die privilegierte und die mit braunen Augen in die benachteiligte Position. Die Berichte der Schüler wurden in einer Zeitung veröffentlicht, das Experiment erlangte dadurch Bekanntheit. Elliots Ziel war es, anderen Erfahrungen von Personen näherzubringen, die diskriminierten Minderheiten angehören, um auf diese Weise Stigmatisierungen bewusst zu machen und Menschen zu sensibilisieren - aber auch, um zu veranschaulichen, dass man Vorurteile nicht mit Nichtstun bekämpft. Sie wurde zur Aktivistin und hält heute Workshops und Vorträge in aller Welt; 2001 wurde das Experiment in dem Dokumentarfilm The Angry Eye endgültig bekannt. Der häufigste Kritikpunkt an dem Experiment ist, dass Elliot Machtmissbrauch betreibe; ich verstehe diesen Einwand jedoch nicht, da es ja genau das ist, worum es geht. Leider leben wir momentan in einer Zeit, in der sich manche Leute sofort persönlich angegriffen fühlen, wenn man über Diskriminierung von Minderheiten spricht - ein untrügliches Zeichen, dass dieses Problem noch lange nicht gelöst ist.

Nun gut, aber dafür ist die Frage gelöst, was sie sich wohl für diesen Artikel ausgedacht haben mag. Mir jedenfalls war es ein Vergnügen, mich wieder mal auf ein neues Thema zu stürzen und auch ein bisschen etwas zu lernen. Ich hoffe, es hat euch ebenso viel Spaß gemacht wie mir und freue mich schon auf das nächste Mal. Bon voyage!

vousvoyez