Dienstag, 29. Dezember 2020

Ich fühle mich - wie alle Verrückten - kerngesund!

(c) vousvoyez
Ein Satz, der wohl auf viele von uns zutrifft - der aber laut Aussage einer mir bekannten Person von einem ihrer Professoren getätigt worden sein soll. Nun ist es ja nichts Neues, dass "Verrückte" sich für "normal" halten und umgekehrt. Im Großen und Ganzen haben wir uns wohl alle schon einmal gefragt, ob wir verrückt sind oder die Welt - oder gar beide. Besonders in jungen Jahren, wenn man sozusagen auf der Suche nach sich selbst ist, stellt man sich diese Frage wohl sehr oft - zumindest bei mir war das so. Heute erkläre ich häufig so ernsthaft, wie es mir nur möglich ist, dass ich immer schon wusste, dass ich einen Vogel habe - aber seit es offiziell ist, geniere ich mich nicht mehr dafür. Und sind wir uns ehrlich - so ein kleines bisschen einen Hau hat doch jeder von uns, oder nicht?

Manche halten wohl meine Faszination für urbane Legenden für verrückt - zumal ich ja nicht wirklich daran glaube. Aber ich finde es immer wieder interessant, wie viele davon im Umlauf sind - und wie viele immer noch geglaubt werden, obwohl sie eindeutig widerlegt sind. Und was für Geschichten aus ganz simplen Sachverhalten entstehen können Vor allem aber habe ich bei meiner letzten Recherche ein paar sehr vielversprechende Quellen gefunden. Und nachdem ich kürzlich erst wieder von einer urbanen Legende gehört habe, möchte ich euch diese heute erzählen.

Diese Legende ist jüngeren Datums und hängt mit einem sehr tragischen und auch grausamen Fall zusammen, der sich im Jahr 2004 in einer japanischen Grundschule abgespielt hat. Damals, genauer gesagt am 1. Juni, wurde ein zwölfjähriges Mädchen in einer Schule in Sasebo, einer Stadt, die zur Präfektur Nagasaki gehört, von einer Mitschülerin umgebracht. Die Elfjährige attackierte ihr Opfer mit einem Teppichmesser, schlitzte ihm die Kehle und die Arme auf. Nicht lange nach der Tat kursierte das Foto der Tatverdächtigen im Internet; es zeigt ein völlig normal wirkendes asiatisches Mädchen vor einem Schulgebäude in einem lilafarbenen Pullover der University of Nevada, weshalb sie bald unter dem Namen "Nevada-tan" im Internet bekannt wurde - wobei "tan" eine Variation der japanischen Verniedlichungsform "chan" ist -, da nach japanischem Recht die Namen minderjähriger Täter nicht veröffentlicht werden dürfen. Das Mädchen tauchte schon bald als typischer Manga-Cartoon auf - ein Kind in einem blutbefleckten Nevada-Pullover mit einem Messer in der Hand -, aber auch auf Cosplay-Veranstaltungen und Comic Cons, es gab sogar eine Band, die sich nach ihr benannte (die heute allerdings Panik heißt), und so wurde sie zu einer Art Internet-Berühmtheit, vor allem eben aufgrund ihres für eine Mörderin ungewöhnlich jungen Alters. Nach der Tat wurde die Schülerin in einem Jugendheim in Nagasaki untergebracht, von wo aus sie im September 2004 in eine Strafanstalt für jugendliche Mädchen in der Präfektur Tochigi überstellt wurde, der einzigen in ganz Japan, in der es möglich ist, Insassinnen in Isolationshaft zu nehmen. Dort blieb sie bis zu ihrer Entlassung im Jahr 2013. Was aber war geschehen, dass eine Elfjährige ein anderes Kind mit einem Teppichmesser umbrachte? Hier kommt nämlich die urbane Legende der sogenannten Red Rooms ins Spiel.

Dieses Mädchen soll nämlich häufig im Internet gewesen sein und dort auch eine eigene Website betrieben haben. In der Kommentarfunktion dieser Website soll ihr Opfer sie denn auch beleidigt haben, weshalb es an jenem 1. Juni zum Streit zwischen den beiden Mädchen mit letztendlich tödlichem Ausgang gekommen sein soll. Nun - Streitigkeiten und Zickenkriege sind unter frühpubertären Mädchen bekanntlich nichts Ungewöhnliches. Trotzdem würden wohl nur sehr, sehr wenige auf die Idee kommen, deswegen gleich einen Mord zu begehen - zumal ich nicht denke, dass dies ein Mord im Affekt gewesen sein kann, denn wie viele elfjährige Schulmädchen laufen regelmäßig mit einem Teppichmesser durch die Gegend? Aber wie so häufig, wenn ein junger Mensch die Hemmschwelle überschreitet und ein anderes Leben beendet, so ist natürlich nie das soziale Umfeld dafür verantwortlich, sondern selbstverständlich ausschließlich der Medienkonsum. *sarcasm* Und so soll es auch in diesem Fall gewesen sein - denn jene Elfjährige, die als Nevada-tan bekannt wurde, soll sich regelmäßig in sogenannten Red Rooms aufgehalten haben. Nun, was sind Red Rooms? Als "Red Rooms" bezeichnet man Internetseiten mit interaktiven Live-Streams, die übertragen sollen, wie echte Menschen gefoltert und misshandelt, manchmal sogar getötet werden - man kann dabei zuschauen oder sich sogar über Live-Chats aktiv einbringen, indem man beispielsweise vorschlägt, was mit dem Opfer als nächstes passieren soll. Heute findet man solche Seiten nur noch in den Untiefen des legendären Darknet, aber damals sollen sie in Asien auch über normale Suchmaschinen wie Google auffindbar gewesen sein. Vor etwa einem Jahr gab es auch Gerüchte, dass der eine oder andere Red Room über normale Browser zu finden sein soll.

Ich weiß nicht, wie gut ihr euch daran erinnern könnt, aber es ist noch nicht allzu lange her - höchstens vier, fünf Jahre -, da waren das Deep Web und das Darknet in aller Munde. Vor allem das Darknet bietet immer wieder Stoff für düstere Legenden - denn durch die Anonymität soll hier praktisch alles möglich sein, von illegalem Datenaustausch über Waffen- und Drogenhandel bis hin zu Kinderpornographie. Hier erhält man Zugang über alle anonymen Netzwerke und kann diese aufsuchen, ohne selbst identifiziert zu werden - dies funktioniert aber nur mittels spezieller Browser. Bei all den Gruselgeschichten wird allerdings gerne übersehen, dass das Darknet sehr wohl auch seine nützlichen bzw. nicht-grausamen Seiten hat - denn in Ländern wie China, Nordkorea, Syrien oder dem Irak ist es essenziell für eine unabhängige Berichterstattung und überwachungsfreie Kommunikation und in diesem Rahmen besonders für Journalisten sehr nützlich. Darüber hinaus wird es gerne von Whistleblowern sowie Menschenrechtsorganisationen genutzt, ebenso von Privatpersonen, die nicht wollen, dass ihre Nutzerprofile zu Werbezwecken missbraucht werden. Es ist also ein bisschen banaler, als gerne getan wird - aber auch wenn das Surfen im Darknet grundsätzlich nicht illegal ist, erleichtert es durch die Anonymität doch illegale Handlungen. Entsprechend ist es naheliegend, dass Red Rooms, wenn überhaupt, nur im Darknet existieren können. Und doch gab es offenbar auch solche Live-Streams, die im Surface Web, also dem allgemein zugänglichen Web, zu finden waren - etwa einen mit dem Namen A.L.I.C.IA., auf dem allerdings nicht wirklich was zu sehen war, oder einen, auf dem angeblich ein ISIS-Mitglied gefangen gehalten und gefoltert wurde, aber auch auf diesem war eigentlich nichts Ungewöhnliches zu sehen. Es liegt also nahe, dass zumindest diese beiden Red Rooms gar nicht echt gewesen sind.

Wenn man das Internet durchforstet, findet man selbstverständlich zahlreiche Zeugenaussagen, die darauf schwören, dass es diese Red Rooms wirklich gibt - auch wenn sie selbst im Darknet noch schwer zu finden seien. Beweise gibt es dafür allerdings keine. Nun, ich hab mir mal erklären lassen, wie diese Tor-Browser, über die man ins Darknet gelangt, überhaupt funktionieren - und diese nutzen die sogenannte Onion-Routing-Methode, die die Anonymität überhaupt erst gewährleistet. Diese beeinträchtigt die Geschwindigkeit dieser Browser allerdings erheblich, was gleichzeitig natürlich auch das Streaming erschwert - dafür müsste man auf Flash Video zurückgreifen, was wiederum der Anonymität abträglich wäre. Und wer einen echten Mord live miterleben will, ist mit Sicherheit nicht so scharf drauf, seine Identität preiszugeben - jedenfalls wage ich das mal zu behaupten. Was allerdings nicht bedeutet, dass es diese Websites nicht wirklich gibt; man kann sie offenbar tatsächlich finden, allerdings wird man dort höchstwahrscheinlich nicht das sehen, was man zu sehen erwartet. Es handelt sich nämlich ziemlich sicher um Abzocker-Seiten, die deine Neugierde und Sensationsgeilheit (oder was auch immer dich dazu treibt, zuzusehen, wie andere Menschen gequält oder gar getötet werden) ausnutzen, um dir eine Menge Geld abzuknöpfen. Ich würde also an eurer Stelle auf alle Fälle die Finger davon lassen.

In diesem Zusammenhang gibt es übrigens noch die Legende eines Ortes im Internet, der noch viel darker als das Darknet sein soll - nämlich Marianas Web, benannt nach dem Marianengraben, der tiefsten Stelle im Ozean, das lediglich über einen verschlüsselten Code erreichbar sei. Diesen könne jedoch nur ein Quantencomputer entschlüsseln, die bekanntlich noch nicht für den kommerziellen Erwerb freigegeben sind - das heißt also, no chance for you, baby! Und das ist natürlich jammerschade, denn Marianas Web soll angeblich die größten Geheimnisse der Menschheit enthalten - also etwa geheime Papiere des Vatikan, Informationen über Außerirdische und Reptiloide sowie die versunkene Stadt Atlantis oder auch Antworten auf die großen Fragen der Menschheit (woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir nachher essen). Sprich - die Lösungen auf all die Fragen, die die Menschen in all den Jahrtausenden nicht beantworten konnten, sollen jetzt auf einmal an irgendeinem Ort im Internet, der praktisch für niemanden erreichbar ist, ebenso verfügbar sein wie die Auflösung auf der Rückseite eines Rätselheftes. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber in meinem Kopf läutet da ziemlich laut die Bullshit-Glocke.

Wie ihr seht, ist die Bandbreite der Internet-Märchen ganz wirklich wahren Geschichten aus dem Internet nach wie vor unerschöpflich. Deshalb werden wir alle in Zukunft noch sehr viel davon haben. Und zumindest solange der Lockdown anhält, werdet ihr sicher noch sehr viel von mir haben. Wenn ich mir meinen Blog so durchsehe, so stelle ich fest, dass dieses selten beschissene Jahr zumindest etwas Positives hat - in all der Zeit, in der ich schon blogge, war ich noch nie so produktiv wie 2020. Ich habe in diesem Jahr tatsächlich mehr geschrieben als in all den drei vorangegangenen Jahren zusammengenommen. Und kann es irgendwie immer noch nicht so richtig glauben. Trotzdem hoffe ich - wie alle anderen auch - auf einen positiveren Verlauf des nächsten Jahres. Deswegen: Bon voyage!

vousvoyez

Montag, 28. Dezember 2020

Die Venga Boys haben #ibizagate inszeniert, um wieder in die Charts zu kommen

(c)vousvoyez
Nun - aus welcher Zeit diese Weisheit stammt, muss ich euch mit Sicherheit nicht mehr lang und breit erklären. Und so abstrus dieser Gedanke auch ist, so ist er doch naheliegender, als er auf den ersten Blick erscheint, denn im Spätfrühling bzw. Frühsommer letzten Jahres feierte Going To Ibiza ein unverhofftes Comeback in die österreichischen Charts - und avancierte von einem eher unterdurchschnittlichen Eurodance-Machwerk für Partylöwen, Innen und allen dazwischen zu einem "Protestsong" für all diejenigen, die von Schwarz-Blau bzw. Türkis-Blau die Nase voll hatten. Und somit auch für mich. Auch wenn ich wohl nie freiwillig die Venga Boys hören werde - sieht man mal von jenem Tag ab, als der türkisblaue Spuk völlig unverhofft zu Ende ging.

Nun, diese Tage sind schon lange vorbei, Blau musste inzwischen Grün weichen, aber so viel besser ist unser Leben deswegen nicht geworden - eher das Gegenteil, auch wenn die Regierung daran zur Abwechslung mal nicht schuld ist. Ein sehr schwieriges Jahr geht gerade zu Ende, und wir alle haben nur den einen Wunsch, nämlich, dass das nächste uns Erleichterung verschafft - auch wenn die Meinungen darüber, wie das erreicht werden soll, mitunter weit auseinandergehen. Viele sperren sich noch dagegen, sich impfen zu lassen, aber ich bin echt neugierig, wie lange das dauert - vor allem bei jenen, die sich nur deshalb als die großen Rebellen aufspielen, weil das momentan bequemer ist, als sich der Realität zu stellen. Aber darüber möchte ich gar nicht sprechen - ich möchte mich einer Phrase widmen, mit der ich mich an dieser Stelle schon auseinandergesetzt habe, der aber im Jahr 2020 eine besondere Bedeutung zukam. Ich möchte wieder über Cancel Culture sprechen.

Nun habe ich ja bekanntlich (und oben verlinkt) schon einen anderen Artikel verfasst, in dem ich mich damit auseinandergesetzt habe. Und nein, ich nehme kein einziges Wort davon zurück. Allerdings ändert das nichts daran, dass "cancel culture" sich im Laufe von 2020 zu einem weiteren Unwort entwickelt hat, das sofort zur Anwendung kommt, sobald von unliebsamer Seite Kritik geübt wird - und zwar ist es besonders beliebt bei Rechtsgestrickten oder auch bei Personen des öffentlichen Lebens, die in ihren Aussagen durchaus als fragwürdig bezeichnet werden können, etwa dem Entertainer Dieter Nuhr oder auch Julian Reichelt, seines Zeichens Chefredakteur der BILD-Zeitung. Gemeint ist damit in diesem Zusammenhang, dass die linksgrünversifften Gutmenschen die Meinungsfreiheit abschaffen und ihr eine politisch korrekte "Meinungsdiktatur" entgegensetzen wollen, in der man überhaupt nichts mehr sagen darf. Schluchz! Und nein, meine Lieben, das ist nicht dasselbe wie das Bestreben, diskriminierende Fehltritte der Vergangenheit totschweigen zu wollen. Denn der Unterschied ist: Wer sich heute diskriminierend äußert, tut dies zumindest größtenteils in vollem Bewusstsein dessen - und wer sich grundsätzlich weigert, Kritik anzunehmen, der sollte sich überlegen, ob er überhaupt dazu geeignet ist, Person des öffentlichen Lebens zu sein. Denn egal was du tust, es wird immer irgendjemanden geben, dem es nicht passt - noch mehr, wenn viele Leute dich kennen.

Nun scheint es ja heutzutage in jenen Kreisen, die sich am lautesten und ausdauerndsten über cancel culture aufregen, en vogue zu sein, Witze zu reißen, die nur so strotzen vor Menschenverachtung, um dann hinterher zu erklären, das sei "schwarzer Humor". Bei so manchem Zeitgenossen, der ansonsten durchaus als intelligent und eloquent zu bezeichnen ist, scheint das so weit zu gehen, dass dessen geistiges Niveau unter den Meeresspiegel sinkt, sobald er bzw. sie versucht, witzig zu sein. Das liegt wohl vor allem daran, dass diese Leute sich einbilden, dass jeder, der nicht dasselbe witzig findet wie sie selbst, deswegen automatisch spießig oder gar prüde ist - im Gegensatz dazu kann man sich selbst dann besonders modern, aufgeschlossen, edgy, innovativ, vielleicht sogar avantgardistisch vorkommen. Lustigerweise sind das häufig dann auch diejenigen, für die es zwar voll okay ist, sich über Klischees, die sie selbst nicht betreffen, lustig zu machen, weil das ja "schwarzer Humor" ist, die allerdings sofort zu heulen anfangen, sobald diese sie selbst betreffen. Denn der privilegierte, ignorante, heterosexuelle Weiße soll selbstverständlich immer differenziert betrachtet werden, während eine Frau sich gefälligst nicht so anstellen soll, wenn man sie zum hundertsten Mal auf ihren Körper reduziert, und ein Schwarzer gefälligst zu lachen hat, wenn er den tausendsten bescheuerten Witz über sein angeblich übergroßes "bestes Stück" zu hören bekommt.

Und wenn dann der eine oder andere Betroffene - oder auch jene, die Diskriminierung einfach nicht gut finden - Kritik übt, dann wird sehr schnell einmal von cancel culture gesprochen. Und häufig auch dramatisiert: So gab es diesen Sommer eine Riesendebatte um cancel culture, nachdem die Kabarettistin, Poetry-Slammerin und inzwischen auch Autorin Lisa Eckhart vom Harbour Front Literaturfestival in Hamburg ausgeladen wurde, nachdem der "Schwarze Block" angeblich mit Gewalt gedroht habe, sollte sie dort tatsächlich auftreten (nach einem gewaltigen Aufschrei wurde die Ausladung allerdings wieder zurückgezogen). Ich muss zugeben, anfangs habe ich das auch geglaubt - und egal ob mir ein Künstler bzw. eine Künstlerin gefällt oder nicht, das geht für mich überhaupt nicht klar. Selbstverständlich ist Kritik erlaubt und auch wünschenswert, aber dann bitte auf sachlicher Ebene. Im übrigen finde ich es auch nicht in Ordnung, dass man Frau Eckhart so schnell ausgeladen hat. Ich gebe offen zu, ich mag ihre "Kunst" überhaupt nicht - sie ist für mich das beste Beispiel jener, die außer Provokation, wenn auch gewandet in vermeintlicher Eloquenz, nichts zu bieten haben und dazu tendieren, jeden geistigen Müll als "schwarzen Humor" zu bezeichnen. Nicht alles, was provokativ ist, ist deswegen automatisch gut. Allerdings finde ich auch - wenn man jemanden einlädt, dann sollte man auch dazu stehen, und wenn man sich nicht über eine Person informieren kann, bevor man sie einlädt, dann muss man die Konsequenzen eben tragen. Aber auch das hat nichts mit cancel culture zu tun - wer eine Veranstaltung ausrichtet, entscheidet selbst, wen er ein- oder auslädt. Das kann man gut finden oder auch nicht - es ist eben so. Und Frau Eckhart scheint das auch nicht geschadet zu haben - ganz im Gegenteil, denn durch diese false-flag-Aktion konnte sie sehr viele Leute auf ihre Seite ziehen, die unter normalen Umständen gar nichts mit ihr anfangen könnten, weil sie als "Opfer einer eingeschränkten Kunstfreiheit" gehandelt wird.

Aber Frau Eckhart macht ja nur Satire, sagst du, und hält anderen Leuten damit den Spiegel vor! Nun - das hat allerdings auch nur dann einen Wert, wenn man sich selbst im Spiegel erkennt. Solche Argumente kommen aber hauptsächlich von jenen, die glauben, es gehe um die anderen und nicht um sie selbst. Häufig vergleicht man das auch mit Helmut Qualtingers Monolog Der Herr Karl, nach dessen Uraufführung im ORF die Telefone heiß liefen durch jene, die sich ertappt fühlten. Aber genau das ist eben der Unterschied zu Frau Eckhart - der Herr Karl präsentiert sich als der durchschnittliche Kleinbürger, der sein Fähnchen immer nach dem günstigsten Wind dreht und stets mit jenen mitläuft, die gerade den Ton angeben, ohne diese Haltung je in Frage zu stellen. Das war zu einer Zeit, als der Österreicher sich gerne als unschuldiges Opfer des nationalsozialistischen Deutschland sah - der Monolog des Herrn Karl gehörte zu den ersten künstlerischen Werken, die aufzeigten, wie verlogen diese Haltung in Wirklichkeit war (und bis heute ist). Insofern haben wir unseren geliebten Nachbarn so einiges voraus - heutzutage hört auch so mancher Deutscher gar nicht gern, dass seine Vorfahren in Wirklichkeit keine armen Opfer gewesen sein sollen. Das Geniale am Herrn Karl ist vor allem jener Mechanismus, den ich auch schon bei Otto, der Film angesprochen habe - der Herr Karl präsentiert sich nicht als brüllender, gewalttätiger Nazi, sondern als sympathischer, charmanter, etwas naiv wirkender Allerweltsmensch, sozusagen als der nette Nachbar, den man vor einer Urlaubsreise darum bitten würde, die Blumen zu gießen und den Wellensittich zu füttern (siehe dazu auch Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen von Hannah Arendt). Diese Kombination war es letztendlich auch, die hierzulande für eine gewaltige Welle der Empörung gesorgt hat - der Vergleich mit den getroffenen Hunden liegt hier natürlich nahe.

Was Frau Eckhart betrifft, so bedient diese sich auf betont künstlich-theatralische Weise der billigsten Klischees - wobei hier der schlechten Gegenwart eine vermeintlich bessere Vergangenheit gegenüber gestellt und sich so ans Publikum angebiedert wird. Wer sich im Spiegel erkennt bzw. erkennen will, lacht über die eigenen Fehler - vorgeführt werden ihm aber lediglich die Fehler der anderen, und über die zu lachen ist ja bekanntlich nicht schwer. Schon als Kind wurde mir beigebracht, dass eine humorvolle Person sich selbst immer mit einbezieht und dass ein guter Satiriker den Spiegel auch nutzt, um selbst hineinzuschauen - und das sehe ich bei einer Frau Eckhart nun einmal nicht. Im Gegenteil - sie beruft sich auf eine "Kunstfigur", von welcher sowohl sie selbst als auch der Zuschauer immer ganz bequem weit entfernt sind. So kann sie sich auch selbst relativ einfach jeglicher Debatte entziehen - bis sie eben gezwungen ist, doch mal Stellung zu beziehen, etwa dann, wenn die AfD sie vor ihren Karren spannen will. Und diejenigen, die sich für besonders progressiv halten, offenbaren in Wirklichkeit genau das Gegenteil - nämlich Borniertheit und Kleingeistigkeit. Aber vielleicht irre ich mich auch - nichts liegt mir ferner als Unfehlbarkeit, und wer eine andere Meinung hat, darf sie selbstverständlich auch haben. Um ehrlich zu sein, hoffe ich auch ein bisschen, dass ich mich irre. Aber nur ein ganz kleines bisschen!

Selbstverständlich wird die so bezeichnete cancel culture nun auch häufig dazu verwendet, das Ende der Demokratie heraufzubeschwören - denn immerhin wird hier eine ihrer heiligen Kühe, nämlich die Kunstfreiheit, angegriffen. Dabei übersieht man jedoch eines: Gerade die Diskussion über einen Künstler und dessen Werk sowie die Entscheidung, ob man dieses konsumieren will oder soll, ist alles andere als undemokratisch. Reichweite ist kein Naturgesetz, das einem automatisch zugestanden werden muss - vielmehr hängt es immer von den Entscheidungen des Einzelnen ab. Ich hätte mit Sicherheit eine viel größere Reichweite, würde ich mich nicht standhaft weigern, diesen Blog hier zu monetarisieren - aber das ist eine bewusste Entscheidung, die ich ändern kann oder auch nicht. Ich kann mich nicht beschweren, dass diese Zeilen von eher wenigen Leuten gelesen werden, wenn ich nichts tue, um dies zu ändern. Aber wisst ihr was - es hat auch Vorteile, nicht populär zu sein. Denn im Gegensatz zu anderen muss ich mich nur sehr selten mit dem Bodensatz der Online-Community auseinandersetzen. Und darüber bin ich, ehrlich gesagt, nicht wirklich beleidigt - zumal der Anteil meiner Leser sich im letzten Jahr deutlich erhöht hat. Im Gegenzug entscheide ich allerdings auch selbst darüber, was ich konsumiere und was nicht, was ich gut finde und was nicht, kurz - ich nehme meine Stellung als mündiger Bürger wahr, indem ich die Inhalte, die ich konsumiere, ebenso hinterfrage und mir gleichzeitig auch dessen bewusst bin, dass ich als Einzelperson sehr wohl einen Einfluss auf deren Reichweite habe, und sei er auch noch so klein. Gleichzeitig kann ich auch nicht davon ausgehen, dass mein persönlicher Geschmack für andere immer auch Relevanz hat - was für mich eher unwichtig ist, kann für andere durchaus wichtig, vielleicht sogar verletzend sein und umgekehrt. Und ein Witz ist ja auch im jeweiligen Kontext zu betrachten - so kann ich über die Frauenwitze meines Bruders durchaus lachen, weil ich ihn kenne und weiß, dass er nicht der Ansicht ist, dass Frauen außerhalb der Küche nichts verloren haben, und dies auch schon durch Taten bewiesen hat.

Nun muss ich zugeben, dass ich kein großer Freund von Boykottaufrufen bin - wie ich in meinem oben verlinkten Artikel auch anklingen ließ. Der Grund ist, dass diejenigen, die diese Waffe nutzen, sich häufig nicht bewusst sind, wie mächtig sie eigentlich ist - und dass sie sich leicht gegen die Falschen richten lässt. Dies lässt sich auch bezüglich der Art von cancel culture beobachten, über die ich damals gesprochen habe - sobald jemand sich auch nur einen Fehltritt erlaubt, wird häufig gar nicht mehr auf den Kontext geschaut, sondern sofort ein vollständiger Boykott gefordert. Aber nicht jede Kritik an einem Künstler bzw. dessen Werk ist gleich ein Boykottaufruf - und überdies haben auch nicht unbedingt ausschließlich "Linke" und "Gutmenschen" bezüglich dessen besonders oft Aufmerksamkeit erlangt. Systematische Hetzjagden gab es allerdings sehr häufig gerade von rechtsextremer Seite - und da reichten oftmals Kleinigkeiten zur Eskalation, die sich nicht in Aufrufen, gewisse Inhalte nicht mehr zu konsumieren, erschöpften, sondern häufig in Gewaltphantasien, sexueller Belästigung oder sogar Morddrohungen gipfelten.

Nun sind Scheindebatten, die durch den Begriff cancel culture angerichtet wurden, alles andere als hilfreich - im Gegenteil, sie spielen nur denjenigen in die Hände, die sich dadurch in ihrem Weltbild einer "linken Meinungsdiktatur" bestätigt fühlen. Auf diese Weise können diese nämlich von ihrem eigenen Bestreben ablenken, jede kritische Stimme durch falsche, überzogene Vorwürfe systematisch aus der Öffentlichkeit zu mobben. Was ich mir für die Zukunft wünsche, ist, dass wir wieder lernen, unser Gegenüber nach den Inhalten zu bewerten, die es transportiert, anstatt uns auf Oberflächlichkeiten zu beschränken - und vor allem, dass wir wieder anfangen, einigermaßen gesittet zu kommunizieren und nicht alles auf radikalisierte Narrative zu reduzieren. Kunst lebt von offenem Diskurs und nicht von kritikloser Anbetung - ansonsten hätte es diesbezüglich nie eine Entwicklung gegeben. Ich kann nicht sagen, ob wir uns in diesem Jahr noch einmal lesen, aber eines ist klar - ich komme wieder, keine Frage!

vousvoyez

Montag, 21. Dezember 2020

Gib den Leuten die Chance, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln, denn das können sie am besten

(c) vousvoyez
Ein Satz, der sich im vergangenen Jahr auf zwei FPÖ-Politiker bezog - der in diesem Jahr aber für sehr viele erschreckend aktuell ist. Besonders, wenn man sich ansieht, wie groß die Menge an Leuten ist, die gerade in Corona-Hotspots ihre kostbare Freiheit auf Kosten anderer verteidigen - ist es Zufall, dass die Ansteckungszahlen gerade in jenen Regionen explodieren, in denen fleißig demonstriert wurde? Aber okay - dieses Thema habe ich, glaube ich, schon zur Genüge ausgereizt. Ich möchte heute lieber über etwas anderes schreiben.

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, dem wird sicher schon aufgefallen sein, dass ich mich immer wieder mal mit modernen Mythen und urbanen Legenden befasst habe - nachdem ich kürzlich wieder mal ein bisschen nachjustiert habe, ist mir aufgefallen, dass diese Website voll davon ist. Nun, ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder von uns zumindest eine dieser kleinen Horrorgeschichten kennt, die auch ganz wirklich echt wahr sind! Hat mir der Hund vom Kollegen vom Schwippschwager meiner Urstrumpftante dritten Grades gesagt! Also muss es auch stimmen! Und deswegen habe ich mir wieder einmal ein paar von diesen "netten" kleinen Geschichten angeschaut.

Auf die Idee gekommen bin ich, als ich herausgefunden habe, wie das Märchen entstand, dass es in China angeblich normal sei, menschliche Babys zu essen. Nun - wir wissen, dass die Essgewohnheiten in Asien für westliches Verständnis oft mehr als befremdlich sind. Aktuell stehen ja gerade diese hart in der Kritik, nachdem im letzten Jahr eine etwas, ähm, ungewöhnliche Mahlzeit zu einer weltweiten Pandemie geführt hat. Aber wie auch immer man dazu stehen mag - ich kann euch versichern, es ist dort trotzdem nicht normal, Babys zu essen. Das ganze Gerücht entstand durch eine Kunstaktion. Wir wissen ja, dass die chinesische Zensurpolitik extrem restriktiv ist - was sicherlich mit ein Grund ist, warum zeitgenössische Aktionskunst dort häufig sehr extremistisch ist. Einer der kontroversesten chinesischen Künstler ist aber wohl der in Chengdu geborene Zhu Yu, der schon häufig mit sehr drastischen Aktionen aufgefallen ist. Weltberühmt wurde er jedoch mit einem Projekt, das er Eating People nannte: Er ließ sich dabei fotografieren, wie er abgetriebene menschliche Föten auf unterschiedliche Weise zubereitete und verzehrte - Föten, die er illegal aus medizinischen Einrichtungen besorgt haben will. Ob das tatsächlich stimmt, lässt sich nicht überprüfen. Laut eigener Aussage wollte er damit die überkommene Ethik seines Landes herausfordern, in dem Kannibalismus zwar genauso verpönt wie im Westen, aber gesetzlich nicht ausdrücklich verboten sei - während im Gegensatz dazu die meisten nichts dabei finden, Tiere zu verspeisen. Die Bilder sind bis heute ohne Probleme im Internet zu finden - ich habe mir die Suche danach geschenkt, bin beim Googeln des Künstlers aber leider trotzdem drauf gestoßen (auch wenn ich ganz schnell weggeklickt habe). Im November 2000 sollte die Fotoserie bei einer Underground-Show mit dem Titel Fuck Off im Rahmen der 3. Biennale in Shanghai vorgestellt werden - die Bilder wurden jedoch am Abend vor der Eröffnung der Ausstellung aufgrund von Massenprotesten wieder abgehängt. Im Mai 2001 verbot das Kulturministerium in Peking die Verwendung tierischer und menschlicher Körperteile in der Kunst. 2003 wurde die Aktion durch eine BBC-Dokumentation auch in Europa bekannt. Das Thema wurde allerdings schon früher aufgegriffen und verbreitet: Die malaysische Boulevard-Zeitung Perdana Sari veröffentlichte ein Foto aus dieser Aktion und behauptete, dieses sei in einem Restaurant in Taiwan aufgenommen worden, wo den Gästen auf Wunsch menschliche Föten serviert würden. Wer sich diese Fotos antun will, kann es gerne tun, aber wenn ihr hinterher Probleme mit dem Essen habt, beschwert euch bitte nicht bei mir!

Nicht alle urbanen Legenden sind so grausam, aber tatsächlich sind alle in irgendeiner Form eklig oder gruselig. Als ich ein Teenager war, erzählte man sich untereinander, dass man nach Bob Marleys Tod in seinen Dreadlocks mehrere Insektenarten gefunden haben soll. Die Gerüchte von Rastafrisuren, in denen ganze Nester von Insekteneiern und -larven gefunden worden sein sollen, hielten sich hartnäckig. Was Bob Marley betrifft, so wusste ich schon, nachdem ich die Biographie von Timothy White gelesen habe, dass die Geschichte erfunden ist - der Reggae-Musiker starb im Alter von 36 Jahren an Krebs und verbrachte die letzten Lebenswochen in einer Spezialklinik in Bayern, wo er unter anderem einer Chemotherapie unterzogen wurde, bei der er seine berühmte Löwenmähne verlor. Der Begriff "Dreadlocks" stammt aus der Rastafari-Kultur, die sich in den 1930er Jahren in Jamaika bildete. Diese religiöse Gemeinschaft, die aus den Nachfahren afrikanischer Sklaven besteht, lässt sich die Haare lang wachsen und verfilzen, um sich von westlichen Schönheitsidealen abzugrenzen. Doch erfunden haben sie diese Frisur nicht - schon in antiken Kulturen ließen sich Menschen, die keine Bürsten und Kämme kannten, die Haare wachsen und verfilzen. Auch heute gibt es weltweit indigene Völker, die ihre Haare so tragen - und nicht nur bei den Rastafaris, auch in vielen anderen Religionen haben Dreadlocks eine spirituelle Bedeutung, etwa bei indischen Sikhs oder den muslimischen Derwischen. In westlichen Industrieländern tragen vor allem jüngere Leute gern Dreadlocks, entweder als Ausdruck einer alternativen Lebensweise oder aus rein modischen Gründen. Für viele Schwarze sind sie Ausdruck der Zugehörigkeit zur Community, weshalb vor allem Afro-Amerikaner es gar nicht gern sehen, wenn Weiße Dreadlocks tragen - viele sind der Ansicht, diese würden ihre Kultur imitieren, ohne sie wirklich verstehen oder anerkennen zu wollen. Da Rastafaris aus rituellen Gründen Cannabis konsumieren, werden Dreadlocks in unseren Breiten auch gern mit Drogenkonsum in Verbindung gebracht - aber selbstverständlich hat das eine mit dem anderen nicht zwingend etwas zu tun. Und was die Hygiene betrifft - natürlich bedürfen Dreadlocks ab einer gewissen Länge einer intensiveren Pflege als unverfilzte Haare. Dass Leute, die Dreadlocks tragen, automatisch keinen Wert auf Hygiene legen, dass Dreadlocks schimmeln, faulen oder eine Einladung für Ungeziefer sind, ist allerdings ein Gerücht. Ich bin mit einem Mann zusammen, der schon häufiger Dreadlocks getragen hat, da er eine Haarstruktur hat, die automatisch zu den bekannten Strähnen verfilzt - seine Haare waren allerdings nie weniger gepflegt als die anderer Menschen, die keine Dreadlocks tragen.

Eine urbane Legende, die in den USA schon lange bekannt und mit einer Mutprobe verknüpft ist, die aber auch hier schon längst sozusagen zur Allgemeinbildung gehört, ist natürlich die von "Bloody Mary". Das Bloody-Mary-Spiel ist vor allem auf Partys sehr beliebt, um sich gegenseitig seinen Mut zu beweisen. Es gibt unzählige Varianten dies Spiels und natürlich auch ebenso viele Behauptungen darüber, was passieren soll, nachdem man das Ritual durchgeführt hat - genauso, wie auch die Geschichten selbst vielfältig sind. Meist geht es darum, sich mit einer brennenden Kerze vor den Spiegel eines dunklen Badezimmers zu stellen und dreimal "Bloody Mary" zu sagen. Überhaupt ist das Bad der beliebteste Raum, wenn es darum geht, dieses Ritual durchzuführen - wohl, weil Bäder immer über einen Spiegel verfügen, dafür aber häufig kein Fenster haben, weshalb man sie am einfachsten abdunkeln kann. Manchmal wird davon gesprochen, dass man das Ritual allein durchführen muss, manchmal von mehreren Personen, die beteiligt sein sollen; auch die Anzahl der "Bloody-Mary"-Rufe können variieren, manchmal muss man auch Sprüche aufsagen wie "Ich glaube an Bloody Mary", "Ich stahl dein Baby, Bloody Mary" oder "Ich habe dein Baby getötet, Mary Worth". Hin und wieder muss man auch mit roter Farbe oder Lippenstift etwas auf den Spiegel malen, etwa eine Treppe oder die Zahl 666. Hat man das befolgt, soll Bloody Mary erscheinen - entweder im Spiegel oder auch hinter einem oder in der Badewanne. In den meisten Geschichten wird von einer dunkelhaarigen Frau erzählt, deren Gesicht vernarbt oder verstümmelt sein soll, mit leerem Blick oder auch leeren, blutigen Augenhöhlen; manche berichten auch von einer blutbedeckten Gestalt oder einem Gesicht, das zur Hälfte eine schöne Frau, zur anderen Hälfte ein Totenschädel sein soll. Was mit dem Beschwörer passieren soll, darüber ist man sich ebenso wenig einig: Entweder es erscheinen Kratzspuren überall am Körper, oder Bloody Mary taucht auf und macht die Person verrückt, die sie gerufen hat, oder sie kratzt ihr die Augen aus, reißt ihr das Gesicht ab, zieht sie in den Spiegel hinein, schneidet ihr die Kehle durch, ertränkt sie in der mit ihrem Blut gefüllten Badewanne, bringt die Person und alle ihre Freunde um oder zwingt sie dazu, alle ihre Freunde und sich selbst umzubringen. Manchmal sieht man auch nur gruselige Sachen im Spiegel, oder die Wände fangen an zu bluten oder die Badewanne füllt sich mit Blut statt mit Wasser, wenn die Person sie benutzen will. Kurzum, Bloody Mary ist ein wirklich entzückendes Herzchen und ein Gewinn für jede Kinderparty. Aber wo kommt sie eigentlich her?

Obwohl sie meist Bloody Mary genannt wird, ist sie unter verschiedenen Namen bekannt - Mary Worth, Mary Jane, Hell Mary, Mary Lou oder auch Bloody Bones, Black Agnes, Agnes und so weiter. Die häufigste Geschichte ist die einer Mary Worth, Mary Whales oder Mary Jane, die im 17. Jahrhundert in Massachusetts gelebt und ein entstelltes Gesicht gehabt haben soll, weshalb die Kinder sie verspottet und "Bloody Mary" genannt haben sollen. Irgendwann soll sie in Salem der Hexerei beschuldigt und hingerichtet worden sein, aber bis heute soll sie sich an Kindern dafür rächen, dass sie einst verspottet wurde. Anderorts erzählt man sich aber auch die Geschichte einer alten Kräuterhexe, die in einem Wald in Pennsylvania gelebt und kleine Mädchen entführt haben soll, um mit Hilfe ihres Blutes wieder jung und schön zu werden - bis sie von den Bewohnern eines nahen Dorfes, aus dem mehrere Mädchen verschwunden waren, auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Bevor sie starb, soll sie die Dorfbewohner verflucht haben - jeder, der vor einem Spiegel ihren Namen laut ausspreche, würde eines schrecklichen Todes sterben. Eine andere Legende erzählt von einer jungen Frau bzw. einem Mädchen namens Mary aus Jackson, Michigan, das einen Unfall hatte und für tot erklärt wurde, obwohl sie nur im Koma lag. Sie wurde begraben, aber die Mutter hörte nach der Beerdigung jede Nacht ihre Schreie aus dem Grab dringen. Als sie die anderen endlich überzeugen konnte, nachzusehen, fand man Kratzspuren an der Innenseite des Sarges und Blut an den Fingernägeln der Leiche. Seitdem soll sie jedem erscheinen oder gar jenen töten, der sie beschwört. Manche verbinden die Legende aber auch mit Maria I. Tudor, der Tochter von Heinrich VIII., dem Begründer der anglikanischen Kirche, der insgesamt sechsmal heiratete und seine unerwünschten Ehefrauen zum Teil mit recht grausamen Methoden wieder "loswurde". Diese ließ im 16. Jahrhundert fast dreihundert Protestanten hinrichten in dem Bestreben, den Katholizismus erneut als Staatsreligion zu etablieren. Eine andere Geschichte erzählt, dass sie, da sie mehrere Fehlgeburten erlebte, den Wunsch hegte, ihre toten Kinder irgendwann einmal wiederzusehen - weshalb man in den Spiegel "Bloody Mary, ich habe dein Kind" sprechen soll. Andere vermuten dahinter auch die von mir bereits erwähnte "Blutgräfin" Erzsébet Báthory, die jedoch allein wegen ihres Namens aus dem Schema herausfällt. Ihr seht also, es gibt viele unterschiedliche Varianten, und welche man nun glauben oder nicht glauben soll, kann man sich selbst aussuchen. Ich persönlich finde, dass dieser Variantenreichtum schon ausreicht, um den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte anzuzweifeln, aber wenn ihr mögt, könnt ihr euch mal über die Rituale schlau machen und das eine oder andere davon ausprobieren - aber bitte nur, wenn ihr wirklich starke Nerven habt! Für etwaige Geistererscheinungen übernehme ich keine Haftung. Da dieses Ritual vor allem bei jungen Mädchen sehr beliebt ist, wird übrigens vermutet, dass dieses auf Pubertäts- bzw. Menstruationsängste zurückgeführt werden könnte. Ob das stimmt, kann ich allerdings nicht beurteilen.

Zu den ebenfalls am weitesten verbreiteten modernen Sagen zählt auch jene des "Amokläufers", der seine Opfer mittels einer AIDS-Spritze mit dem HI-Virus infizieren soll. Immer wieder kursieren Kettenbriefe auf allen möglichen Social-Media-Plattformen, die von einer Person erzählen, die in Kinos oder Diskotheken in Süddeutschland oder Österreich ahnungslosen Menschen unbemerkt HIV-verseuchte Spitzennadeln in den Körper gestochen haben soll, manchmal mit der Aufschrift "Willkommen im Club". (Blieben die etwa unbemerkt im Körper stecken? Ihr seht schon, die Geschichte ist mehr als kryptisch.) Im Jahr 2002 gab es sogar eine Meldung von einem Vorfall in einer Diskothek in Linz - Näheres ist nicht bekannt. Manchmal wird auch von infizierten Spritzen erzählt, die in U-Bahnsitze oder Handschuhe gesteckt werden, oder von Fremden, die von Tür zu Tür gehen und jedem, der ihnen aufmacht, infektiöses Blut injizieren soll. Die Geschichte ist auf jeden Fall uralt und existiert wohl schon, seit das HI-Virus bekannt ist - ähnlich wie es in praktisch jeder österreichischen Stadt einen Kebabstand bzw. eine Pizzeria geben soll, in der schon mal jemand vom Küchenpersonal ins Essen ejakuliert haben soll. (In meiner Stadt war es ein Kebabstand - und ausgerechnet einer der saubersten.) Meist wird die Spritzen-Geschichte so interpretiert, dass derjenige, der die Leute sticht, mit seiner eigenen Infektion nicht fertig wird und sich an den Gesunden rächen will, indem er sie in seinen "Club" holt, also ebenfalls infiziert. Nun, wer diesen Blog schon länger verfolgt oder mich auf anderen Kanälen oder sogar persönlich kennt, hat sicher schon mitbekommen, dass ich in den Achtzigern geboren und somit in einer Zeit aufgewachsen bin, in der AIDS bereits ein weltweites Problem darstellte und somit in aller Munde war. Auch wir wurden etwa von Beginn unserer Geschlechtsreife an jedes Jahr mehrmals über das HI-Virus als mögliche Folge ungeschützten Geschlechtsverkehrs aufgeklärt. Aber auch wenn ich schon sehr früh eine ungefähre Vorstellung davon hatte, wie AIDS übertragen wird, kursierten doch alle möglichen Gerüchte bezüglich der Möglichkeiten, sich anzustecken. So wurde etwa behauptet, dass man von einem Münzspiel, das bei uns als "Abschießen" bekannt war, da dem Verlierer mit der Kante eines Zehn-Schilling-Stücks die Fingerknöchel blutig geschossen wurden, AIDS bekommen könnte - oder auch vom Küssen.

Nun, ich bin schon lange kein Teenager mehr, und im Zuge all der Aufklärungsgeschichten und nach nochmaligem Informieren auf Websites der AIDS-Hilfe kann ich nur sagen - ob von den Spritzen-Geschichten irgendeine wahr ist, kann ich zwar nicht beurteilen, aber es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass jemand mittels zufällig gestochener Spritzen mit dem HI-Virus infiziert wird. Klar ist das Risiko bei Junkies, sich durch gemeinsames Benutzen von Drogenspritzen zu infizieren, gegeben - aber Ansteckungen über Spritzen sind praktisch nur möglich, wenn direkt in die Vene gespritzt wird, was in einer Disco oder einem Kinosaal wohl kaum möglich ist, immerhin muss man die Vene erst einmal finden und dann auch treffen. Abgesehen davon ist so eine Nadelstichverletzung von ungeübten Händen doch recht schmerzhaft, weshalb sie wohl kaum unbemerkt bleiben würde. Darüber hinaus wissen wir ja, dass skandalöse Geschichten sozusagen die Essenz der Sensationsjournalismus sind, sprich, wenn auf diese Weise tatsächlich schon einmal eine HIV-Infektion stattgefunden hätte, dann können wir uns sicher sein, dass diese Geschichte sehr leicht und in mehrfacher Ausführung zu finden wäre. Wenn ich mich aber so durch Google scrolle, lese ich nur Dementi von Seiten wie mimikama oder eben der AIDS-Hilfe, gefolgt von ein paar reißerischen Meldungen dubioser Schwurbelseiten ganz wirklich echt wahren Geschichten hoch seriöser Seiten mit alternativen Fakten.

Das war eine Auswahl von ein paar modernen Märchen ganz wirklich wahren Geschichten, von denen ich teilweise schon als Jugendliche die eine oder andere Ausführung kannte (und auch glaubte, wie ich zu meiner großen Schande gestehen muss). Und da ihr wisst, dass ich an solchen urbanen Mythen aber so was von wahren Geschichten immer schon meine Freude hatte, könnt ihr sicher sein, dass es nicht die letzte gewesen sein wird. Einstweilen hoffe ich, dass wir die nächsten Tage und Wochen überstehen und dass das neue Jahr, auf das wir nun zusteuern, endlich ein wenig Erleichterung bringt. Ich schätze aber, da wir in Kürze den nächsten "harten" Lockdown vor uns haben, sehen bzw. lesen wir uns in diesem Jahr wahrscheinlich noch mal wieder. Bis dahin bon voyage!

vousvoyez

Mittwoch, 16. Dezember 2020

Zum Hofer geht man nur einkaufen

(c) vousvoyez
Und dass wir bereits bei dieser Weisheit angekommen sind, zeigt, dass das Jahr 2020 zumindest schreibtechnisch eine äußerst produktive Zeit für mich war - klar, was soll man auch sonst tun, wenn man alle paar Wochen gezwungen ist, die Füße stillzuhalten. Die vorliegende Weisheit war eine der vielen, vielen Sätze, die mir im Zuge des Ibiza-Skandals vor gut anderthalb Jahren untergekommen sind. In diesen seligen Tagen gab es so viele großartige Sätze und Weisheiten, dass ich mit dem Mitschreiben gar nicht mehr hinterherkam. Der Titel dieses Artikels bezieht sich auf Norbert Hofer, Bundesparteiobmann der FPÖ, der bereits kurz nach Veröffentlichung des Videos als Nachfolger des in Ungnade gefallenen Heinz-Christian Strache gehandelt wurde - eine Überlegung, die eine Facebook- oder Twitter-Userin (so genau weiß ich es nicht mehr) zu der Bemerkung veranlasste, dass der Hofer lediglich zum Einkaufen da sei. Gemeint war hier natürlich die Supermarktkette Hofer, die Teil der deutschen Unternehmensgruppe Aldi Süd ist. Als Kind fand ich es übrigens tatsächlich irritierend, dass das Hofer-Logo eher einem A als einem H gleicht - bis ich mitbekam, dass Aldi dasselbe Logo hat. Übrigens gibt es den Hofer mit Aldi-Logo auch in Slowenien.

Nun, ich bleibe dabei, dass ich froh bin, dass wir die FPÖ-Kasperln los sind - auch wenn ich die Art und Weise, wie aktuell bei uns mit der Corona-Pandemie umgegangen wird, als hoch problematisch ansehe. Allerdings kann ich auch nichts anderes tun als einen kühlen Kopf zu bewahren und meine sozialen Kontakte auf ein Minimum zu beschränken - und mich mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigen. Deshalb möchte ich heute meine Recherchen zu den Disney-Filmen fortsetzen.

The Many Adventures of Winnie The Pooh (dt. Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh) von Wolfgang Reithermann und John Lounsbery erschien im Jahre 1977 und ist der letzte, an dem Walt Disney persönlich indirekt noch beteiligt war. Im Wesentlichen ist er eine Zusammenstellung dreier Kurzfilme, die früher im Kino erschienen waren - Winnie Pooh And The Honey Tree von 1966, Winnie Pooh And The Blustery Day von 1968 und Winnie Pooh And Tigger, Too! von 1974 - und basiert auf den Winnie-The-Pooh-Büchern des englischen Schriftstellers Alan Alexander Milne: Winnie-the-Pooh (Pu der Bär) aus dem Jahr 1926 und The House at Pooh Corner von 1928. Die Markenrechte wurden 1961 an die Walt Disney Company verkauft, die mit ihrer Adaption ein Frenchise aufbaute.

Die Winnie-the-Pooh-Geschichten sind alle von den Stofftieren von Milnes 1920 geborenem Sohn Christopher Robin inspiriert - der als einzige menschliche Figur ebenfalls in den Büchern vorkommt. Milnes Frau Daphne de Sélincourt hatte sich eigentlich eine Tochter gewünscht, und tatsächlich wurde Christopher Robin als kleines Kind auch häufig mädchenhaft gekleidet und frisiert. Milne selbst wiederum, schwer traumatisiert von seinen Erlebnissen im Ersten Weltkrieg, hatte eigentlich gar keine Kinder gewollt. Den Großteil seiner Kindheit verbrachte der Junge daher in der Obhut seiner Nanny, die Eltern bekam er kaum zu Gesicht. Wie viele Kinder, die an Einsamkeit gewöhnt sind, flüchtete sich Christopher Robin häufig in eine Phantasiewelt, in der vor allem seine Stofftiere eine Rolle spielten, allen voran ein bei Harrods erstandener Teddybär der Marke Alpha Farnell, den er zu seinem ersten Geburtstag bekommen hatte und der zunächst den Namen "Edward Bear" trug, später dann aber nach dem Vorbild der Schwarzbärin Winniepeg aus dem Londoner Zoo in "Winnie-the-Pooh" umbenannt wurde. Als Christopher Robin fünf Jahre alt war, kaufte sein Vater ein Landhaus bei Hartfield in Sussex; das nahe gelegene Naturschutzgebiet Ashdown Forest inspirierte den Jungen zum Hundert-Morgen-Wald, dem Wohnort von Pu dem Bären. Die Geschichten erregten die Aufmerksamkeit seines Vaters, der anfing, sie aufzuschreiben und als Buch zu veröffentlichen. Dieses machte den kleinen Christopher Robin über Nacht berühmt, was dessen Vater eine Heidenangst einjagte. Christopher Robin war anfangs noch erfreut über so viel Aufmerksamkeit - dies änderte sich jedoch, als er mit zehn Jahren in ein Jungeninternat geschickt wurde, wo seine Klassenkameraden ihn verspotteten und demütigten. Auch die Beziehung zu seinem Vater litt unter seinem Status als Kinderbuchfigur - später warf er ihm vor, seinen Wunsch nach Ruhm auf seinem Rücken ausgetragen zu haben. Nach seiner Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Abschluss in Englischer Literatur auf dem College in Cambridge distanzierte er sich von seinen Eltern, heiratete und zog in den Südwesten Englands. Aber auch sein Vater verlor mehr als nur seinen Sohn: Nach dem Erfolg von Winnie-the-Pooh schaffte er es nicht mehr, mit anderen literarischen Formen von der Öffentlichkeit akzeptiert zu werden. Erst im fortgeschrittenen Alter schaffte es Christopher Robin, sich mit seiner Vergangenheit zu versöhnen.

Die Figur des Bären erschien erstmals 1924 in dem Gedicht Teddy Bear, in dem der Bär noch seinen alten Namen Edward trägt. Außerdem wurde durch das zweite Buch das Spiel "Pooh Sticks" populär - die Spieler werfen Stöcke von einer Brücke und beobachten, wessen Stock früher auf der anderen Seite der Brücke wieder herauskommt. Im Gegensatz zur Disney-Version gibt es in Pu baut ein Haus außerdem immer wieder Hinweise darauf, dass Christopher Robin älter wird - im letzten Kapitel verabschiedet er sich von den Bewohnern des Hundert-Morgen-Waldes, und sein Eintritt ins Internat wird angedeutet. Neben den beiden Romanen gibt es außerdem zwei Gedichtbände, die seit 1999 gemeinsam veröffentlicht werden. Ich persönlich lernte die Geschichte als Hörspiel kennen, das heutige Bild der Winnie-Pooh-Geschichte ist allerdings tatsächlich eher von der Disney-Adaption geprägt. Die originalen Stofftiere Christopher Robin Milnes sind in der New York Public Library ausgestellt. In den letzten ein, zwei Jahrzehnten ist Winnie-the-Pooh außerdem eine beliebte Projektionsfläche für Hobbypsychologen. Man behauptet nämlich, Christopher Robin habe mit den Figuren unterschiedliche Aspekte einer gestörten Persönlichkeit zum Ausdruck gebracht. Wahlweise behauptet man auch gern, jeder einzelne Charakter stehe für eine Droge, aber das ist wohl eher scherzhaft gemeint. Es gibt sogar schon einen eigenen Namen für das Phänomen der Ferndiagnose anhand des Vergleichs mit Winnie-Pooh-Charakteren: Die Pooh-Pathologie. Ich persönlich halte diese eher für problematisch, da sie ein kompliziertes Themenfeld vereinfacht und verniedlicht - und ernsthafte Erkrankungen verharmlost. 

Ebenfalls im Jahre 1977 erschien The Rescuers (dt.: Bernard und Bianca - Die Mäusepolizei) unter Wolfgang Reithermans Regie; 1990 folgte die Fortsetzung The Rescuers Down Under (dt.: Bernard und Bianca im Känguruland) unter der Regie von Hendel Butoy und Mike Gabriel. Der erste Bernard-und-Bianca-Film erhielt 1978 einen Oscar in der Kategorie "Bester Song" für Someone's Waiting For You und war vor allem im deutschsprachigen Raum einer der erfolgreichsten Disney-Kinofilme. Der zweite Film hingegen, obwohl technisch aufwändig gemacht, blieb an den Kinokassen weit unter den Erwartungen. Die Filme basieren auf der Miss-Bianca-Kinderbuchserie der englischen Schriftstellerin Margery Sharp, Geschichten über eine abenteuerlustige Mäusedame - speziell auf dem ersten Band The Rescurers (dt.: Miss Bianca und ihre Freunde) aus dem Jahr 1959, der sich in dem ersten Film wiederfindet. Der zweite übernimmt allerdings nur noch die beiden Hauptcharaktere aus den Büchern.

In beiden Filmen geht es um die Rettung eines Kindes durch die humorvolle, abenteuerlustige Bianca und den abergläubischen, aber in brenzligen Situationen zuverlässigen Bernard, der in Miss Bianca verliebt ist. Bianca ist ungarische Botschafterin der Rettungshilfsvereinigung, die im Keller der Vereinten Nationen in New York untergebracht ist und von dort aus gute Taten vollbringt; der schüchterne New Yorker Bernard arbeitet dort als Hausmeister. Im ersten Film werden sie beauftragt, das Waisenmädchen Penny zu retten, das von der habgierigen Madame Medusa in die Teufelssümpfe in Louisiana entführt worden ist und dort in einem auf Grund gelaufenen Raddampfer festgehalten wird, um in einer Piratenhöhle nach einem riesigen Diamanten zu suchen. Unterstützt werden sie dabei vom Albatros Orville sowie von den Sumpfbewohnern, die Madame Medusa ebenfalls loswerden wollen. Beim Lesen einer Filmkritik vor ein paar Jahren fiel mir auf, wie sehr sich die Zeiten und das Bewusstsein inzwischen geändert haben, denn darin wurde sich so sehr darüber aufgeregt, dass Libellchen, der "Motor" des Blattes, das als Boot für die Mäuse fungiert, mit Alkohol "gestärkt" wird, dass der Rest des Films daneben praktisch unterging. Am Ende des Films werden Bernard und Bianca ein Paar - und sind es im zweiten Film immer noch, wo es darum geht, Cody zu retten, der im australischen Outback von dem Wilderer Percival C. McLeach entführt worden ist, der von dem Jungen die Information über den Ort erpressen will, wo das goldgefiederte Adlerweibchen Marahute, mit dem Cody befreundet ist, ihre Eier versteckt hat. Dabei erhalten sie Hilfe von Wilbur, dem Bruder Orvilles aus dem ersten Film, sowie der Springmaus Jake, die unverhohlenes Interesse an Bianca zeigt und sicher nicht zufällig eine gewisse Ähnlichkeit mit Mick aus Crocodile Dundee hat. In beiden Filmen können die Kinder natürlich gerettet werden - und am Ende des zweiten Films hält Bernard um Biancas Hand an. Bernard und Bianca - Die Mäusepolizei wartet mit einer verfeinerten Kopiertechnik auf, die die Konturen weicher erscheinen lässt - ich persönlich finde ihn ein kleines bisschen besser als den zweiten Film, vor allem aber habe ich immer das Bild der sich abschminkenden Madame Medusa vor Augen, wenn ich künstliche Wimpern sehe. Außerdem wurden 1999 3,4 Millionen Exemplare der VHS-Version des Films zurückgerufen, weil sich in zwei Hintergrundbildern bei der Postproduktion das Bild einer nackten Frau eingeschlichen hat - was man allerdings nur erkennen kann, wenn man sehr, sehr, sehr aufmerksam ist und den Film in Zeitlupe abspielt. Trotzdem wird es bis heute häufig als Beispiel für die moralische Verkommenheit dieser in ihrer Gesamtheit vollkommen asexuellen Filme angeführt.

The Fox And The Hound (dt.: Cap und Capper) wurde im Jahr 1981 veröffentlicht; Regie führten Ted Berman, Richard Rich und Art Stevens. Er basiert auf dem Jugendroman Fuchsspur: Geschichte einer Feindschaft (dt.: The Fox And The Hound) des amerikanischen Autors Daniel P. Mannix aus dem Jahr 1967, der außerdem als Journalist, Fotograf, Filmemacher, Filmstatist, Bühnenmagier und Tiertrainer arbeitete - er reiste mit seiner Frau um die Welt und zog mit ihr exotische Tiere auf. Aus seinem Roman über die Feindschaft zwischen dem Fuchs Todd (dt. Cap) und dem Hund Copper (dt. Capper) wird im Disney-Film jedoch die Geschichte einer Freundschaft, die sich über äußere Bedingungen hinwegsetzt. Es ist ein eher konventionell gestalteter Film, von der Dynamik her ruhig und natuverbunden, der relativ unaufgeregt die wertvolle Botschaft eines verständnisvollen Miteinanders transportiert. In der Originalfassung werden die beiden erwachsenen Hauptcharaktere von Mickey Rooney und Kurt Russell gesprochen. In der deutschen Videoveröffentlichung von 1995 wurde der Name der Füchsin Vixie in Trixie umgeändert, da man fürchtete, dass es sonst unerwünschte Assoziationen gäbe (ihr dürft gerne raten, welche) - der eigentliche Name ist von vixen, dem englischen Wort für "Füchsin", abgeleitet. Todd ist übrigens das altenglische Wort für Fuchs - ich finde es ein wenig schade, dass die Namen in der deutschen Übersetzung geändert wurden.

Die Aussage der Romanvorlage ist komplett gegensätzlich zu der des Films - aus einem Buch, das einerseits die Entwicklung eines Fuchses und eines "Schweißhundes" (Bluthundes) dokumentiert, andererseits das Eingreifen des Menschen in den Kreislauf der Natur auf dramatische Art und Weise ins Bewusstsein ruft, wird bei Disney ein familienfreundlicher Tierfilm, der dazu ermutigt, die eigenen Grenzen in Frage zu stellen. In beiden Geschichten geht es um einen Fuchs, der von Menschen großgezogen wird und die Gefahr, die von ihnen und den Jagdhunden ausgeht, nie richtig begreifen lernt. Doch während der Werdegang von Todd und Copper im Buch relativ unabhängig voneinander erzählt wird, treffen sie im Film bereits als Jungtiere aufeinander und werden Freunde, nicht ahnend, dass Copper zur Jagd, unter anderem auch auf Füchse, ausgebildet werden soll. Wie im Roman, so wird auch im Film der alte Jagdhund Chief von einem Zug angefahren, doch während dies bei Disney der Punkt ist, in der die freundschaftlichen Gefühle Coppers in wütenden Hass umschlagen, lässt ihn das im Roman relativ unberührt; seine Feindschaft zu Todd rührt eher aus der Loyalität zu seinem Herrchen. Das Original endet offenbar dramatisch - wie, kann ich allerdings leider nicht sagen, da das Buch schwer zu bekommen ist und ich deshalb noch keine Möglichkeit hatte, es zur Gänze zu lesen.

Da über die Miss-Bianca-Bücher nicht viele Informationen zu finden waren (dass ich über Fuchsspur ein wenig genauer berichten konnte, war ein Glücksfall - ein anderer Blog, den ich unten verlinken werde), habe ich mir diesmal wieder drei Filme vorgenommen. Ich hoffe, ich kann damit dazu beitragen, euch die aktuell nicht einfache Zeit ein wenig zu verkürzen. Da uns noch ganze zwei Wochen bleiben, bis dieses schwierige Jahr endlich vorüber ist, bin ich zuversichtlich, dass wir uns noch einmal lesen. Bis dahin bon voyage!

vousvoyez


https://buchperlenblog.com/

Montag, 14. Dezember 2020

Verharmlosung ist kein Gabaliersdelikt

Eine Weisheit, die im Mai letzten Jahres sehr aktuell war - genauer gesagt am 1. Mai. Damals kam es zu einem Skandal, oder sagen wir besser Skandälchen, weil eine von der SPÖ gebuchte Band bei der Kundgebung in meiner Stadt entgegen der vorher getroffenen Vereinbarung ein Lied von Andreas Gabalier gespielt hat. SPÖ-Landrätin Doris Kampus ging daraufhin auf die Bühne und erinnerte an die Abmachung - Grund dafür war das antiquierte Frauenbild, das der Möchtegern-Lederhosen-Rebell propagiert und das nicht zu den Werten der Partei passt. Ein paar Tage später veröffentlichte Gabalier auf Facebook ein Video, in dem er von "Zensur" und "Faschismus" sprach - denn wie wir wissen, nagt der arme Mann ja am Hungertuch, weil keiner seine tolle Musik hören will. Ich oute mich mal wieder - ich bin auch Faschistin. Denn ich finde Gabaliers Musik einfach nur schrecklich und hätte sie auf einer von mir organisierten Party auch nicht geduldet. Versteht mich nicht falsch - ich bin mir durchaus bewusst, dass mir nicht jede Musik gefallen kann. Und selbstverständlich darf Gabalier fern meiner Gegenwart singen, was, wie und so viel er möchte. Auch wenn ich zugeben muss, dass mir seine reaktionäre Haltung genauso wenig gefällt wie seine Musik. Und, dass er sich bei jeder Gelegenheit künstlich in die Opferrolle manövrieren muss. Zumal Musiker in faschistischen Regimes wohl weitaus mehr zu befürchten haben, als dass bei einer einzigen Veranstaltung ihre Musik nicht gespielt wird.

Nun, ich wage mal zu behaupten, dass dieser Vorfall lediglich Herrn Gabaliers Ego vorübergehend ganz leicht angekratzt hat. Nach wie vor hat er seine Fangemeinde, und nach wie vor darf er uns mit seinen wunderbaren musikalischen Ergüssen beglücken. Wie schon gesagt - wenn der Herr irgendwo singt, wo ich ihn nicht hören muss, ist mir das auch egal. Ich widme mich stattdessen lieber Musik, die mir mehr Freude macht - beispielsweise der von Pink Floyd.

Wie die Beatles, so waren auch Pink Floyd bekanntlich eine sehr erfolgreiche und auch innovative Rockband aus England - genauer gesagt aus Cambridge. (Übrigens haben sie eine Zeitlang tatsächlich in den Londoner Abbey-Road-Studios aufgenommen, in denen auch die Beatles an ihrer Musik gearbeitet haben.) Ihre Bandbreite reichte von Psychedelic bzw. Space Rock in der Frühphase bis hin zu Progressive- bzw. Artrock, ihre Texte setzten sich häufig kritisch mit sozialen und politischen Themen auseinander. Ihr wohl ehrgeizigstes Projekt war das 1979 veröffentlichte Konzeptalbum The Wall, das die Entfremdung eines Rockstars thematisiert und 1982 von Alan Parker mit Bob Geldof in der Hauptrolle verfilmt wurde. Das bekannteste Lied dieses Albums ist wohl der zweite Teil der Song-Trilogie Another Brick In The Wall, den wohl auch viele kennen, die mit Pink Floyd ansonsten nicht viel anfangen können. Und zu diesem Lied gibt es eine Geschichte, die ich euch heute gerne erzählen möchte.

An den Aufnahmen zu dem Album The Wall war unter anderem der aus Deutschland stammende Tontechniker Peter Fischer beteiligt - über den ich jedoch außerhalb jener Geschichte nichts gefunden habe. Dieser war eines Nachts alleine im Studio, um die Aufnahme fertigzustellen; am nächsten Morgen war er nicht mehr auffindbar, aber als die Band und andere Studio-Mitarbeiter sich die fertige Aufnahme anhörten, soll ihnen eine Veränderung in dem Text aufgefallen sein, der von dem Kinderchor gesungen wird - nämlich die deutschen Worte "hol ihn, hol ihn unters Dach". Einige Tage später wurde Peter Fischer gefunden - er hatte sich auf dem Dachboden des Studios erhängt. Später erfuhr man, dass er in einem Waisenhaus aufgewachsen war, in dem er des Öfteren schwer misshandelt und auf dem Dachboden eingesperrt worden war. Es gibt noch eine weitere Geschichte, in der behauptet wird, dass Fischer und ein anderer Techniker Mitglieder einer satanischen Sekte gewesen sein sollen, dass aber Fischer sich kurz vor der Arbeit an dem Album von dieser losgesagt hat. In einem Racheakt mischte der andere Tontechniker die Passage "hol ihn, hol ihn unters Dach" in das Album, woraufhin Fischer, sobald er den Befehl hörte, diesen automatisch ausführte und sich auf dem Dachboden erhängte. 

Wieder eine andere Geschichte erzählt, dass einer der Produzenten des Albums ein Deutscher namens Helmut Schlosser gewesen sein soll, der zuvor als Rektor in einem Jungeninternat gearbeitet hat. Angeblich lockte er damals häufig Jungen auf den Dachboden, um sie dort zu vergewaltigen, was unter den Schülern ein offenes Geheimnis war, aber man konnte ihm nie etwas nachweisen, und irgendwann wurde er dann als Musikproduzent erfolgreich. Als er nun an dem Album The Wall arbeitete, wurde er eines Tages erhängt auf dem Dachboden des Studios aufgefunden - die Platte war bereits fertig abgemischt, beinhaltete aber eine Passage, von der Pink Floyd sich nicht erinnern konnte, sie aufgenommen zu haben, nämlich den deutschen Satz "hol ihn, hol ihn unters Dach". Man vermutete, dass sich ehemalige Schüler auf diese Weise gerächt haben sollen.

Was mag dahinter stecken? Und welche dieser Geschichten ist wahr und welche nicht? Ist überhaupt irgendeine von ihnen wahr? Schauen wir uns das doch einmal genauer an:

Wie schon erwähnt, hat der Song Another Brick In The Wall eigentlich drei Teile. Diese stellen drei Lebensphasen von Pink, der zentralen Figur dieses Albums, dar. Der zweite Teil handelt vom Aufbegehren der Jugend gegen eine repressive, gefühlskalte Erwachsenenwelt; darin verarbeitet der Bassist Roger Waters seine Erfahrungen während seiner Schulzeit im England der 1950er Jahre, als man versuchte, den Willen der Schüler mit Gewalt zu brechen und sie so zu funktionierenden Mitgliedern der Gesellschaft zu machen - wie es auch in John Lennons Working Class Hero so eindringlich ausgedrückt wird: "They hurt you at home and they hit you at school, they hate you if you're clever and they despise the fool 'till you're so fucking crazy you can follow their rules." ("Sie verletzen dich zu Hause und sie schlagen dich in der Schule, sie hassen dich, wenn du intelligent bist, und sie verachten den Narren - bis du so scheißverrückt bist, dass du ihre Regeln befolgen kannst.") Im Wesentlichen besteht der Text von Another Brick In The Wall nur aus sechs sich wiederholenden Zeilen, die zuerst von der Band, dann von einem Kinderchor - genauer gesagt von Schülern der Londoner Islington Green School, die sich in der Nähe des Tonstudios befand - gesungen werden. Ich finde, dass vor allem die Filmsequenz einem auch ohne die Legende des erhängten Mitarbeiters schon eine Gänsehaut bescheren kann: In einer Schule, die eher an eine Fabrik erinnert, wird den Kindern jegliche Individualität genommen; sie marschieren in einen Tunnel, aus dem sie mit uniformen Masken wieder herauskommen, marschieren blind hintereinander her und betreten ein Förderband, das sie in den Trichter eines Fleischwolfs führt, wo sie zu einer gleichförmigen Masse aus Fleisch verarbeitet werden. Die anschließend stattfindende Revolution kippt jedoch vom Sinnhaften ins Sinnbefreite - die Message ist letztendlich, dass Bildung zwar notwendig ist, dass sie aber nur funktionieren kann, wenn sie die Individualität des zu Bildenden anerkennt, und dass das Aufbegehren gegen repressive Verhältnisse auch ins blind Zerstörerische umschlagen kann.

Das alles erklärt aber nicht, wie auf einmal der Satz "hol ihn hol ihn unters Dach" in die Aufnahme kommt. Nun, ich habe mir den Song noch einmal angehört - und tatsächlich konnte ich, nachdem ich die Geschichte das erste Mal gehört habe, statt "all in all it's just a[nother brick in the wall]" ("alles in allem ist es nur ein weiterer Stein in der Mauer") eben jenen deutschen Satz hören. Die Sache ist allerdings die: Ich habe ihn erst gehört, nachdem ich auf ihn gewartet habe. Und die Erklärung dafür ist simpel: Es gibt keinen deutschen Satz in diesem Text. Die Kinder singen unverkennbar Englisch in typischer Cockney-Manier, weshalb die Worte für ein auf die deutsche Sprache ausgerichtetes Gehör ein wenig undeutlich klingen. Überlegen wir nur: Wie soll ein Tontechniker in eine englische Aufnahme, gesungen von Kindern, die womöglich gar kein Deutsch können, auf einmal über Nacht einen deutschen Satz schmuggeln?

Die Erklärung ist wieder einmal langweilig einleuchtend: Was für das Sehen gilt, trifft auch auf das Hören zu - wenn man etwas hören will, dann hört man es auch. Ein paar von euch sind bestimmt schon auf jene YouTube-Videos gestoßen, in denen es um solche Songverhörer geht - da wird auf einmal aus "I've got the power" von SNAP! der deutsche Name "Agathe Bauer" oder aus "all the leafs are brown" in California Dreaming "Anneliese Braun", Eros Ramazotti singt "lauter Doofe, niemand gescheit", obwohl es eigentlich "Laura dov'è, mi manca sai" heißt, und das bekannte Lied des kamerunischen Pop-Duos Wes, das doch eigentlich in Duala gesungen wird, beginnt mit "Hol mal die Zange" - aber eigentlich singen sie natürlich "Sôh ndêri nsang hé". Anneliese scheint übrigens recht beliebt zu sein - denn das New-Age-Musikprojekt Enigma setzte ihr 1990 in dem Song Sadeness Part I mit dem Satz "Oh Anneliese, popel nicht" ebenfalls ein Denkmal - aber natürlich lautet der lateinische Text "cum angelis et pueris". In einem anderen Artikel habe ich, glaube ich, schon von einem Freund erzählt, der als Fünfjähriger immer "Austria fett" sang, worauf ich diese beiden Worte immer hörte, sobald im Autoradio jener Song von John Lennon zu hören war, wo es im Refrain heißt: "All we are saying [is give peace a chance]". Natürlich sind solche Verhörer besonders häufig, wenn man die gesungene Sprache nicht oder nur unzureichend beherrscht - das Ohr macht aus fremden Klängen schlicht und einfach vertraute. Verhörer können jedoch auch bei deutschen Songs vorkommen - ein bekanntes Beispiel ist etwa ein Satz aus dem Song Pflaster der deutschen Gruppe Ich & Ich, der da lauten soll: "Es tobt der Hamster vor meinem Fenster". In Wirklichkeit heißt es natürlich "es tobt der Hass da vor meinem Fenster". Upsi! Manchmal versteht man auch gar nichts - wie bei dem Song Freestyler von den Boomfunk MCs aus dem Jahr 1999, wo viele nur kryptische Worte verstehen, die nach "waka maka fon" klingen - obwohl es in Wirklichkeit ["Straight from the top of my dome, as I rock, rock, rock, rock,] rock the microphone" heißt. Der Schriftsteller und Journalist Axel Hacke hat solchen Verhörern sogar schon ganze drei Bücher gewidmet: Der weiße Neger Wumbaba ist ein Verhörer aus Matthias Claudius' Gedicht Abendlied: "[...und aus den Wiesen steiget] der weiße Nebel wunderbar." Überflüssig zu erwähnen, dass ich das Lachen herunterbeißen musste, als ich in einer Vorlesung ebendieses Gedicht laut vorlesen sollte.

Wie ihr seht, hab ich wieder einmal eine spannende, mysteriöse Geschichte ein bisschen zu logisch erklärt. Das tut mir leid - wird wieder vorkommen! Ich hoffe, ihr seid dann alle wieder mit dabei. Bis dahin bleibt schön brav - und vor allem gesund!

vousvoyez

Dienstag, 8. Dezember 2020

Wer behauptet, der Nationalsozialismus sei links gewesen, sucht wohl auch im Baumarkt nach Hammerhaien

Und derselbe glaubt natürlich auch, dass die Demokratische Republik Kongo demokratisch ist, dass die FPÖ irgendwas mit Freiheit zu tun hat und Zitronenfalter Zitronen falten. Mit anderen Worten: Es ist nicht überall das drin, was draufsteht. Und der Nationalsozialismus hat trotz des Wortes "Sozialismus" eine äußerst ausgrenzende, hierarchische Ideologie, und das ist nun mal das hervorstechende Gedankengut der extremen Rechten. Es sagt übrigens auch keiner, dass die Linke überhaupt gar nie Fehler gemacht hat oder macht - der Stalinismus und der Terrorismus der RAF sind da nur zwei Beispiele, die mir da so ganz spontan einfallen. Aber lasst uns doch bitte aufhören, ständig nach Ausreden zu suchen, um sich nicht mit der eigenen Gesinnung auseinandersetzen zu müssen!

Das gehört zu den Themen, über die zu schreiben ich schon lange, sehr lange nachsinne. Allerdings habe ich da, wie man so schön sagt, den roten Faden noch nicht gefunden - und irgendwas raushauen mag ich jetzt auch nicht. Aber es gibt ja auch genügend andere Themen, über die ich sprechen kann. Deswegen dachte ich mir, machen wir jetzt mal was total cresi Unkonventionelles und diesen Artikel mit einem äußerst aussagekräftigen Titel zu einem reinen Plauder-Werk. Wow, ich habe ja schon fast Angst vor meiner eigenen Verrücktheit, ihr nicht auch? Aus irgendeinem Grund muss ich gerade an die Serie Malcolm mittendrin denken, als Vater Hal seinen Söhnen lauthals verkündet, ihre Mutter habe eine ganz unglaublich verrückte Idee - und diese verrückte Idee besteht dann darin, Eiscreme "vom guten Porzellan" zu essen. Ist das nicht irre?

Nun, wie wir ja alle wissen, steht inzwischen Weihnachten vor der Tür - und was sich keiner von uns je gedacht hätte: Es wird kein Weihnachten, wie wir es bisher kannten. Der deutsche Ministerpräsident Armin Laschet nannte es gar das "härteste Weihnachten, das die Nachkriegsgeneration je erlebt hat". Nun, das mag vielleicht auf diejenigen zutreffen, die Weihnachten auf der Intensivstation verbringen müssen - ja, für die ist es eine richtig harte Zeit. Aber was die Mehrheit der wohlstandsverwahrlosten Deutschen und auch Österreicher anbelangt, so frage ich mich langsam, was wir machen, wenn uns mal eine viel unmittelbarere Gefahr für Leib und Leben bedroht - stellt euch mal vor, ihr dürft nicht mehr "Christstollen" sagen, weil ihr sonst von Godzilla gefressen werdet! Schreit ihr dann auch "Zensur" und lasst euch dann freiwillig auffressen, um zu zeigen, dass ihr euch nicht in eurer Freiheit einschränken lassen wollt? Und denkt ihr jetzt, ich drehe nun endgültig am Rad? Nun, zumindest habe ich meine Hose noch nicht verkehrt an, und ich weiß, dass ich nicht Napoleon bin. Nur falls ihr fragt.

Ja, Weihnachten - jenes große Ereignis im Jahr, das einem Monat voller Gejammer und Gestöhne folgt. Denn wie wir wissen, ist die Adventszeit keineswegs so besinnlich, wie sie sein sollte - jeder ist gestresst, jeder will vor dem Jahreswechsel noch so viel wie möglich erledigt haben, jeder beteiligt sich an der großen Konsum-Orgie, zu der dieses Fest schon seit längerer Zeit degradiert wurde. Vor allem aber habe ich bis zum letzten Jahr ständig Leute gehört, die darüber gejammert haben, dass sie über Weihnachten so viele Verwandte sehen müssen, die sie eigentlich gar nicht sehen wollen und dass das Fest sicherlich ganz furchtbar wird, so wie in jedem Jahr. Viele haben mir sogar einigermaßen glaubhaft versichert, ihnen wäre es lieber, man würde Weihnachten gleich ganz ausfallen lassen - ist ja eh nur verlogen und braucht kein Mensch. Das Lustige daran ist aber, dass es in diesem Jahr plötzlich umgekehrt ist - auf einmal gibt man zu bedenken, dass es total wichtig sei, dass man den Weihnachtsabend mit möglichst vielen Verwandten verbringt und dass das möglicherweise die letzten Weihnachten von Oma und Opa seien, die müsse man unbedingt miteinander verbringen, weil man sonst wieder zu viele Ausreden hat, warum man die alten Zauseln nicht einfach mal an einem ganz normalen Tag im Altersheim besucht - und aktuell unter gewissen Hygiene-Auflagen, natürlich. Ganz ehrlich - wie viele von euch feiern Weihnachten unter normalen Umständen denn tatsächlich mit über zehn Personen? Im übrigen fürchte ich, dass uns die geplanten Lockerungen über die Feiertage im nächsten Jahr fürchterlich auf den Kopf fallen könnten - aber das ist eine andere Geschichte.

Ja, diese Adventszeit ist so ohne Krampuslauf und Glühweinstand auf jeden Fall um einiges anders als in all den Jahren davor. Aber zumindest das Fernsehen bemüht sich darum, uns nach wie vor mittels Filmen, Serien und Werbespots die heile Welt vorzuspielen. Nun - das ist nicht unbedingt was Neues, das war schon in all den Jahren zuvor schon. Der Unterschied ist aber wohl, dass es uns heuer ganz besonders auffällt. Ich denke, dass wir gerade in diesem Jahr daraufgekommen sind, wie sehr uns die Konsum- und Wohlstandsgesellschaft eigentlich "verzogen" hat. Unser gestörtes soziales Zusammenleben hat dazu geführt, dass viele sich in Ersatzdrogen wie Arbeit, Geld und Konsum geflüchtet haben - auf diese Weise haben wir uns eine Gesellschaft aus rücksichtslosen Egoisten geschaffen, die ihre eigenen, persönlichen Bedürfnisse für das Wichtigste auf der ganzen Welt halten. Von solchen Menschen Solidarität zu erwarten, ist leider utopisch, denn sie haben sie nie gelernt. Dass eine immer höhere Anzahl Einzelner aggressiver wird, ist nicht erst seit Corona so - wir sind eine gelangweilte, übersättigte Gesellschaft, die sich in ihrem übersteigerten Narzissmus suhlt, wenn sie einmal nicht kriegt, was sie will. Traurig aber wahr.

Und trotzdem gibt es Dinge, die in diesem Jahr genauso sind wie immer - beispielsweise die Weihnachtsfilme, die auch heuer nicht fehlen dürfen. Sobald ich mitbekommen, wie Deutsche sich über die Filme unterhalten, die man in diesem Jahr unbedingt wieder sehen muss, merke ich, dass ich in einem anderen Land lebe. Denn in Österreich gibt es vor allem zwei Filme, die in keinem Jahr fehlen dürfen: Single Bells und die Fortsetzung O Palmenbaum. Filme, wie sie österreichischer nicht sein können: tiefschwarzer, bitterböser Humor und das genaue Gegenteil von den üblichen Weihnachtsfilmen, in denen am Ende immer alles gut wird, selbst wenn es sich um ein Dickens-Märchen handelt (wobei Letztere ja auch immer gut ausgehen, oder hab ich da was übersehen?). Und so schauen sich unsere lieben Nachbarn in der Vorweihnachtszeit einen osteuropäischen Siebziger-Jahre-Märchenfilm namens Drei Haselnüsse für Aschenbrödel an, während wir uns einen Film zu Gemüte führen, in dem die Mutter eine Gans zubereitet, die sie vorher aus dem Biomüll gefischt hat, ein kleines Mädchen im Weihnachtszimmer auf den Boden kotzt, nachdem ihre Oma sie mit Eierlikör abgefüllt hat, ein Teenager seiner Mutter erläutert, dass auch der Weihnachtskarpfen ein Recht auf Leben hat und am Ende der verkrüppelte Christbaum in Flammen steht. Fröhliche Weihnachten!

Wobei natürlich sowohl in Österreich als auch in Deutschland die amerikanischen Weihnachtsfilme sich schon seit mindestens zwei Generationen größter Beliebtheit erfreuen. Ich erinnere da nur an Kevin - Allein zu Haus und Kevin - Allein in New York, zwei Filme, die den armen Macaulay Culkin als kleinen Jungen weltberühmt machten und uns sowohl bei unseren Nachbarn als auch in unserem eigenen Land viel zu viele Kevins bescherten. Woran ich mich aber noch aus meiner Kindheit erinnere, ist, dass diese Filme und Serien mich immer verwirrt haben - und zwar wegen des Weihnachtsmanns. Denn zu uns in Österreich kommt natürlich nicht der Weihnachtsmann, sondern das Christkind. Wobei die Kinder meiner Schwester, als sie noch kleiner waren, an beide geglaubt haben, da sie einen Teil ihrer Kindheit in Berlin verbracht haben. Der größte Unterschied zwischen Christkind und Weihnachtsmann ist natürlich: Wir alle wissen, wie der Weihnachtsmann aussieht, da er zur Weihnachtszeit in Werbespots, Filmen und Serien omnipräsent ist. Wie das Christkind aussieht, bleibt allerdings der individuellen Phantasie überlassen. Mich hat es verwirrt, als man mir im Kindergarten sagte, das Christkind sei eigentlich das Jesuskind - denn das Jesuskind ist doch ein Baby, und ein Baby kann keine Geschenke bringen! In meiner Vorstellung war das Christkind ein blondes, geschlechtsloses Kind von etwa zehn Jahren in einem weißen Nachthemd. Andere wiederum streiten sich gern darum, ob das Christkind ein Junge oder ein Mädchen ist. Heutzutage wird der Weihnachtsmann auch in Österreich immer beliebter, aber in der Regel sträuben sich vor allem die Eltern bis heute dagegen, ihren Kindern vom Weihnachtsmann als vom Christkind zu erzählen, was ich auch nachvollziehen kann - man gibt eben am liebsten weiter, was man aus der eigenen Kindheit kennt.

Ähnlich verhält es sich auch mit Krampus und Nikolaus - in Österreich aus irgendeinem Grund auch "Nikolo" genannt. Der Nikolaus ist so ziemlich im gesamten deutschsprachigen Raum zugegen, während der Krampus, soweit ich das mitbekommen habe, eher auf den Ostalpenraum beschränkt ist. Der Krampus gehört zu den vielen Relikten aus vorchristlicher Zeit, die inzwischen Eingang in unsere christlichen Rituale gefunden haben - wobei man bei uns in der Steiermark auch gerne "Kramperl" oder auch "Bartl" sagt. Wobei die traditionellen Krampusläufe in diesem Jahr natürlich weitgehend ausgefallen sind - ein Grund für so manche, zu argwöhnen, dass uns mit der aktuellen Pandemie in Wirklichkeit nur die Kultur gestohlen werden soll. Wobei ich dieses Jahr erfreulich wenig Gejammer um Klapperkläuse und Wintermärkte gehört habe - hoffen wir, das setzt sich im nächsten Jahr fort. Früher waren Krampusläufe für viele Mitwirkende die willkommene Gelegenheit, sich mit möglichst viel Alkoholischem zuzuschütten und hinterher harmlose Passanten zu verprügeln - ein "Brauch", der aus dem Salzkammergut übernommen wurde, der aber zum Glück schon seit Jahren verboten ist, denn ich muss zugeben, dass das auch für mich ein Grund war, am 5. Dezember die Innenstadt zu meiden. Der Krampus ähnelt in seinem Aussehen mehr oder weniger dem Teufel, weshalb ich als Kind immer geglaubt habe, die beiden seien identisch. Außerdem erinnert er auch an die sogenannten "Schiachperchten", die im alpenländischen Raum in den Raunächten laufen - und die im übrigen dafür verantwortlich sind, dass man bei uns eine hässliche Frau gern auch als "Perchtn" bezeichnet, obwohl es parallel zu den Schiach- auch die Schönperchten gibt, die im Gegensatz zu diesen bei Tag unterwegs sind. Soweit ich weiß, wird der Nikolaus im nord- und westdeutschen Raum von Knecht Ruprecht begleitet, ein Name, den in amerikanischen Filmen und Serien gerne einmal der Helfer des Weihnachtsmanns verpasst kriegt, was aber nicht korrekt ist - genauso wenig, wie es korrekt ist, den Weihnachtsmann als "Nikolaus" zu bezeichnen, weil die Figur eben eine gänzlich andere ist. Was mich betrifft - mir wurde oft gedroht, dass, wenn ich nicht brav sei, nicht nur der Nikolaus, sondern auch der Krampus zu mir käme, was aber  nie passiert ist. Unvergesslich ist mir aber der letzte Nikolausabend, den ich feierte - ich war damals etwa neun oder zehn und bei einer befreundeten Familie zu Gast, in der der jüngste Sohn, damals höchstens drei Jahre alt (und inzwischen selbst Vater), frech auftrumpfte und erklärte, dass er dem "Scheißer" von Krampus eine reinhauen würde. Als sein älterer Bruder zusammen mit einem Freund als Krampus verkleidet unten vorbeiging, war er allerdings nicht mehr so mutig.

Zu Weihnachten ist natürlich auch das Essen ein beliebtes Gesprächsthema - seien es die Weihnachtskekse, Christstollen oder auch, was es am Weihnachtsabend zu essen gibt. In meiner Familie gibt es zur Weihnachtszeit allerdings keinen Christstollen, sondern eine Nusspotize. Dabei handelt es sich um einen steirischen Hefekuchen, in Kärnten unter dem Namen "Reinling" bekannt, bei dem eine Füllung aus Hasel- oder Walnüssen in den Germteig gerollt wird. Daher kommt auch der Name - povitica oder potica ist slowenisch und heißt soviel wie "einwickeln" bzw. "einrollen". Unvergesslich Eingang in unsere Familiengeschichte fand die weihnachtliche Nusspotize durch meine Großmutter mütterlicherseits, die bei uns allen den Eindruck hinterließ, es gäbe auf der Welt nichts Schwierigeres, als eine Nusspotize zu backen. Schon im Frühling, wenn die Nussbäume blühten, stöhnte sie: "Wenn ich mir die anschaue, tut mir jetzt schon das Kreuz weh!" Im Sommer, wenn sich auf den Ästen langsam die Früchte bildeten, jammerte sie dann: "I seh scho, des wird a Nussjahr!" Und richtig wurden dann im Herbst die Nüsse gesammelt und gemahlen - auch wenn es bereits damals gemahlene Nüsse in jedem Supermarkt zu kaufen gab. Gegen Weihnachten fing Großmama dann an, sich zu beschweren, wie viele Leute wieder eine Nusspotize von ihr haben wollten - in Wirklichkeit wäre keiner beleidigt gewesen, wenn sie keine Nusspotize gebacken hätte, aber dann hätte sie ja einen Grund weniger gehabt, sich zu beklagen, und dann hätte sie uns auch nicht ermahnen können, nicht in der Küche herumzulaufen, weil sonst der Teig zusammenfällt. Meine Mutter erzählte mir, dass sie tatsächlich immer dachte, das Backen einer Nusspotize sei eine außergewöhnliche Herausforderung - bis Großmama das Rezept an meine Schwester weitergab und diese die Nusspotize auch für meine Mutter entmystifizierte.

Das traditionelle Weihnachtsessen besteht bei uns in der Steiermark meist aus einem Gänsebraten oder auch Karpfen. In vielen Regionen Deutschlands ist es anscheinend sehr verbreitet, Am Weihnachtsabend Würstchen mit Kartoffelsalat zu servieren, während in der Schweiz Raclette offenbar ganz oben auf der Liste der beliebten Weihnachtsessen steht. Was mich betrifft, so bin ich kein großer Fan von Karpfen, obwohl ich Fisch eigentlich liebe - aber ich finde, Karpfen schmeckt immer ein bisschen so, als würde man in den Grund vom Neusiedlersee hineinbeißen. Was Gans betrifft, so habe ich diese noch nie gegessen - nur Gänseleberpastete, und die brauche ich auch nicht unbedingt. Einmal hat meine Mutter am zweiten oder dritten Weihnachtsfeiertag Ente zubereitet, ich meine mich aber zu erinnern, dass ich davon auch nicht so begeistert war. Entenbrust aß ich früher gerne bei meinem Lieblingschinesen in der Innenstadt, den es allerdings schon lange nicht mehr gibt. Bei uns gab es am Weihnachtsabend immer ein Fondue, bestehend aus einer Fleischsuppe mit Stückchen aus Schweine-, Rind- und Hühnerfleisch, die manche von uns mit Champignons aufwerteten und die mit den selbst gemachten Mayonnaisen meines Vaters in vier verschiedenen Geschmacksrichtungen (normal, Ketchup, Knoblauch, Kräuter) verzehrt wurden, für die er allerdings kein spezielles Rezept hatte und die ich deswegen leider nie wieder essen werde. Vor dem Fondue gab es außerdem kalte Vorspeisen, etwa mit Räucherlachs, "falschem" Kaviar, Shrimps, Pasteten und allen möglichen anderen Sachen, die man unterm Jahr nicht oft bekommt. Heute feiern wir meist bei meiner Schwester, und da gibt es hauptsächlich kalte Platte - da die Vorbereitungen ohnehin stressig sind, muss man sich nicht mehr antun als unbedingt nötig, nicht wahr?

In meiner Kindheit durfte selbstverständlich der auch Weihnachtsbaum, hierzulande auch Christbaum genannt, nicht fehlen. Sobald ich alt genug war, um nicht mehr ans Christkind zu glauben, wies meine Mutter meinen Vater an, niemals ohne mich auf den Weihnachtsbaummarkt zu gehen - denn ihrer Aussage nach würde er sonst "irgendeinen Besen" kaufen. Bis ich sechzehn war, wohnten wir in einer Altbauwohnung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit Decken, die über vier Meter hoch waren. Jedes Jahr sagte meine Mutter: "Diesmal kaufen wir aber keinen so hohen Baum", und jedes Jahr reichte er bis zur Decke. Das bedeutete, dass jeden Tag mein nicht sehr sportlicher Bruder auf einer langen Leiter herumturnen und unter der Decke, wo sich die Hitze staute, den Schmuck auf die höchsten Äste hängen musste. Sehr beliebt waren bei uns die Rum-Kokos-Kugeln, die jedes Jahr in andersfarbiges Seidenpapier gewickelt wurden und dem Baum sein charakteristisches Aussehen verliehen. Ich mochte sie allerdings weniger gern - meine Lieblingssüßigkeiten vom Baum waren immer die Schokoschirmchen der Firma Küfferle, wobei ich allerdings nicht die einzige war. Ein großer Nachteil bei einem so hohen Baum war allerdings, dass nach Weihnachten immer viel zu viele Zuckerl übrigblieben - die dann in einen Schirmständer gepackt wurden, und jedes Mal, wenn man etwas Süßes haben wollte, hieß es: "Iss erst einmal das weg, was wir zu Hause haben", - obwohl man das Zeug schon langsam nicht mehr sehen konnte.

Nun - wie ich in diesem Jahr Weihnachten feiern werde, kann ich noch nicht sagen. Um ehrlich zu sein, ist es mir auch nicht so wichtig. Alles, was ich weiß, ist, dass sich zu Silvester mit Sicherheit nicht allzu viel verändern wird. Denn in jungen Jahren war es für mich unvorstellbar, an diesem Tag nicht auf irgendeiner Party zu sein - aber so richtig Freude daran hatte ich nie, und seit Jahren bin ich froh, dass ich diesen Tag mit meinem Partner zu Hause verbringen kann, und das völlig ohne schlechtes Gewissen. Ich schätze mal, dass wir uns in diesem Jahr noch einmal sehen bzw. lesen werden, deswegen hebe ich mir eventuelle Weihnachts- und Neujahrswünsche mal vorsorglich für später auf. Sollte ich vor Jänner nicht mehr zum Schreiben kommen, haben wir halt Pech gehabt, nicht wahr? Hihihi! Zum Abschluss noch den Satz einer Freundin, der sich auf mein heutiges Foto bezieht: "I mecht wissen, wer des erfunden hat, dass trockene Orangen schön san!"

vousvoyez

Mittwoch, 2. Dezember 2020

Jeder Mensch hat das Recht auf seinen röhrenden Hirsch

(c) vousvoyez

Das spätromantische Motiv des röhrenden Hirsches ist heutzutage ja bekanntlich der Inbegriff von Kitsch und Spießigkeit - besonders, wenn es in gediegenem Rahmen ans Kopfende des Bettes gehängt wird. Da gehört es wohl auch hin, denn immerhin wird hier ja das Balzritual eines Tieres dargestellt - passenderweise auch ein recht patriarchales. Passionierte Maler röhrender Hirsche wie Christian KrönerGuido von Maffei und Moritz Müller malten diese am liebsten in Seitenansicht und mit einer Hauchfahne vor dem Maul. Etwa ab den 1960ern kam der röhrende Hirsch allerdings allmählich aus der Mode - und nachdem er bereits seit Jahrzehnten vielfach kopiert in den hintersten Winkeln der Antiquitätengeschäfte versauert, nimmt heutzutage keiner mehr sein Recht auf ihn in Anspruch. Ein Jammer! Wobei der arme Hirsch vor dem Zweiten Weltkrieg schon nicht so häufig hinters Bett gehängt wurde wie etwa der Elfenreigen oder Josef Untersbergers Christus am Ölberg. So kann's gehen!

Und nachdem ich euch jetzt unbeabsichtigt zweimal mit den intellektuell Benachteiligten unserer Gesellschaft gequält habe, möchte ich jetzt wieder mal auf Vergnüglicheres zurückkommen und meine Recherchen über Disney-Filme fortsetzen. Wobei ich mich heute zweien widmen will, die mich durch meine eigene Kindheit begleitet haben und sich um zwei mittelalterlichen Sagengestalten drehen, deren Legenden die europäische Literatur mitgeprägt haben. Zufällig führte bei beiden auch Wolfgang Reithermann Regie.

Der erste Film, mit dem ich mich heute befassen will, ist The Sword In The Stone (dt. Die Hexe und der Zauberer) aus dem Jahr 1963. Seine literarische Vorlage stammt von dem britischen Autor T. H. White und heißt The Once And Future King (dt. Der König auf Camelot) - die Disney-Version behandelt allerdings nur den ersten der insgesamt fünf Bände dieses Klassikers der Fantasy-Literatur. Die Romanreihe umfasst die Lebensgeschichte des englischen Sagenkönigs Arthur (auch Artus) genannt von der Kindheit bis zum Tod - wobei der erste Band seine Jugendjahre bis zu seiner Berufung zum König umfasst. Im Film ist Arthur ein zwölfjähriger Junge, der vom Ritter Sir Hector zusammen mit dessen leiblichem Sohn Kay großgezogen und abwertend "Floh" genannt wird. Er ahnt nichts von seinem Schicksal - ganz im Gegensatz zum Zauberer Merlin, der Jahrhunderte voraus in die Zukunft sehen kann und deshalb die Bestimmung des Buben bereits kennt. Er wird sein Mentor, was sich vor allem darin äußert, dass er ihn in verschiedene Tiere verwandelt, um ihn über die Geheimnisse und Tücken des Lebens aufgeklärt. In einen Vogel verwandelt, landet Floh auf der Flucht vor einem Habicht schließlich im haus der bösen Hexe Mim, die ihre Zauberkunst für wesentlich stärker hält als die Merlins, ihm allerdings im anschließenden Zauberturnier unterliegt. Floh wird schließlich Knappe seines Ziehbruders Kay, der in London an einem Turnier um die Krone von England teilnimmt. Dort entdeckt er das Schwert in dem Stein, von dem am Beginn des Films die Rede ist und von dem die Legende besagt, dass derjenige, der imstande ist, es aus dem Stein zu ziehen, der rechtmäßige König von England ist. Nichtsahnend zieht Floh das Schwert heraus, nachdem er das von Kay vergessen hat, und findet sich plötzlich auf den Königsthron wieder. Nachdem er sich der Aufgabe anfangs nicht gewachsen fühlt, überzeugt ihn Merlin schließlich, sie anzunehmen.

Über die Hintergründe der Geschichte wird im Film keine Auskunft gegeben: Der Sage nach ist Arthur der Sohn des alten Königs Uther Pendragon ist, der im ständigen Krieg gegen die Schotten, Iren und Sachsen sein Leben verlor. Um das Leben seines Sohnes, des rechtmäßigen Erben, zu retten, wird Arthur von Merlin selbst in die Obhut des Ritters Hector gegeben, und Merlin war es auch, der das Schwert Excalibur, dessen Name im Film ebenfalls nicht genannt wird, geschmiedet und in den Stein getrieben hat, aus dem es nur der wahre König Englands wieder herausziehen kann. Dass all das im Film ausgelassen wird, spielt jedoch keine Rolle, da man der Geschichte auch so ganz gut folgen kann - das gab mir Jahre später im Englischunterricht sogar die Motivation, noch mehr über diesen Sagenkreis zu erfahren. Im Vergleich zu den meisten Disney-Filmen war Die Hexe und der Zauberer nicht ganz so erfolgreich, ich finde online auch nur wenig gute Kritiken, allerdings denke ich persönlich, dass er in puncto Charakterentwicklung und Lernmöglichkeiten den kommerziell erfolgreicheren Filmen in nichts nachsteht. Vor allem von der Hexe Mim sind in meiner Familie so tolle Sprüche überliefert wie "Ich hasse die Sonne!" und "Hab ich was gesagt von keinen lila Drachen?" Die Hexe und der Zauberer war übrigens auch der letzte Kinofilm, der noch zu Disneys Lebzeiten veröffentlicht wurde.

Wie schon erwähnt, behandelt der Film die Artuslegende, die ab dem 12. Jahrhundert fester Bestandteil der höfischen Literatur war. Sie ist übrigens auch eng mit dem Sagenkreis um den Zauberer Merlin, den Heiligen Gral und die Wilde Jagd verbunden. Der historische Kern der Artuslegende wird in der Zeit der Völkerwanderung um 500 n. Chr. verortet - ein historischer König Artus/Arthur ist allerdings nicht belegt. Heute wird vermutet, dass die Geschichte sich aus mündlichen Überlieferungen entwickelt hat, die von Briten, die vor den Angelsachsen aufs europäische Festland geflüchtet waren, in die französische Bretagne gebracht wurde. Von dort aus verbreitete sich die Legende über die Normannen über fast ganz Europa bis hinauf nach Skandinavien. Ich selbst habe mich im Studium ebenfalls mit Versatzstücken der Artuslegende befasst, die Eingang in die mittelalterliche Literatur des deutschsprachigen Raums fanden - etwa mit dem mittelhochdeutschen Versroman Parzival des Dichters Wolfram von Eschenbach. Dazu muss man vor allem wissen, dass vor dem 18. Jahrhundert noch kein Verständnis des "geistigen Eigentums" existierte - Dichter hatten nicht die Aufgabe, eigene Geschichten zu erfinden, sondern, bereits bekannte Geschichten neu zu interpretieren, wobei es zum guten Ton gehörte, sich möglichst großzügig anderer Quellen zu bedienen. So sehr, dass viele von ihnen die Quellen sogar erfanden, um selbst erfundene Zugaben mit reinzuschmuggeln. Auf diese Weise wurden Legenden nicht nur tradiert, sondern im Laufe der Zeit auch ausgeschmückt, bis sie schließlich mit der Ursprungsgeschichte wenig bis gar nichts mehr zu tun hatten. Das gibt es heute zwar auch noch, wird aber wesentlich transparenter gehandhabt, als es damals der Fall war - was natürlich auch daran liegt, dass wir, im Gegensatz zu damals, eine durch und durch alphabetisierte Gesellschaft sind. So verfuhr man auch mit der Artuslegende, die, in spätantiker Zeit angesiedelt, größtenteils nach mittelalterlichen Wertmaßstäben des Christentums und Feudaladels erzählt wurde und auch keltische und orientalische Elemente in sich aufnahm; mit der Legende um den Heiligen Gral fanden auch Versatzstücke der christlichen Liturgie und des Reliquienkultes darin Eingang, und auch die vom anglo-normannischen Dichter Wace erstmals eingeführte Tafelrunde wurde fester Bestandteil der Geschichte.

Die erste schriftlich überlieferte vollständige Artusgeschichte befindet sich in der Historia Regnum Britanniae (Geschichte der Könige Britanniens) von Geoffrey of Monmouth aus der Zeit um 1135. Die Legende verbreitete sich zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert ausgehend von Frankreich, und spätestens in der Barockzeit schien sie zur Allgemeinbildung gesellschaftlich Bessergestellter zu gehören. Vor allem die spätmittelalterliche Hanse scheint eine Hochburg der Artus-Verehrung gewesen zu sein - im 15. Jahrhundert bauten Händler sogar einen Artushof in Danzig (heute Polen). Auch in Tirol sind noch zahlreiche mittelalterliche Wandmalereien mit Artus-Motiven erhalten, etwa in der Burg Runkelstein in der Nähe von Bozen, Südtirol. Andere Herrscher schmückten sich ebenfalls gerne mit den Mythen um König Arthur, um sich selbst populärer zu machen - so wurde von Richard Löwenherz behauptet, er sei im Besitz des Schwertes Excalibur gewesen.

Womit wir schon beim nächsten Film wären, über den ich heute sprechen will, und die Legende, auf die er sich bezieht. Es handelt sich um Robin Hood aus dem Jahr 1973, der über Jahre hinweg mein Lieblingsfilm war. Robin Hood ist bekanntermaßen ein englischer Volksheld, der zentraler Held vieler spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Balladenzyklen, dessen Geschichte natürlich auch schon oft verfilmt wurde - ich erinnere mich beispielsweise an den (aus heutiger Sicht ziemlich blöden) Film Robin Hood - König der Vagabunden von 1938 mit Erol Flynn in der Hauptrolle, der allerdings viele spätere Werke geprägt hat; an Kevin Reynolds' actionreiches Spektakel Robin Hood - König der Diebe von 1991 mit Kevin Costner in der Hauptrolle, den ich mir damals natürlich nicht anschauen durfte; und an Mel Brooks' alberne Parodie Robin Hood - Helden in Strumpfhosen, der unverkennbar an Reynolds' Film angelehnt ist. Außerdem möchte ich den Film Robin and the 7 Hoods (dt. Sieben gegen Chicago) nicht unerwähnt lassen, eine leider nicht sehr bekannte Gangster-Komödie aus dem Jahre 1964, in der die Robin-Hood-Geschichte durch Frank Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis Jr. und Bing Crosby persifliert wird - in Erinnerung blieb mir vor allem jene Szene, in der ein Tanzlokal kurzerhand zu einer Kirche umfunktioniert wird und all die Schluckspechte auf einmal angesichts ihrer Alkoholsucht Abbitte leisten. Die erste Robin-Hood-Geschichte, die ich allerdings kannte, war eben jener Film von Disney.

Das Besondere an diesem Film ist, dass hier die Charaktere durch anthropomorphe Tiere dargestellt werden - Robin Hood und Maid Marian sind Füchse, Little John ist ein Bär, Bruder Tuck ein Dachs, Alan A'Dale ein Hahn, König Richard und Prinz John sind Löwen, der Sheriff von Nottingham ist ein Wolf und so weiter. Die Handlung ist im Wesentlichen gleich wie in den meisten anderen moderneren Nacherzählungen dieses Stoffes: Richard Löwenherz, König von England, befindet sich auf einem Kreuzzug im Heiligen Land, woraufhin sich sein Bruder John des Throns bemächtigt und die Bevölkerung unterjocht, um sich durch horrende Steuern selbst zu bereichern. Robin Hood und seine Gefolgsleute sind König Richard jedoch treu geblieben und lassen keine Gelegenheit aus, die Reichen zu berauben, um deren Vermögen an die Armen zu verteilen. Um diesen endlich zur Strecke zu bringen, provoziert Prinz John seinen Ehrgeiz, indem er ein Bogenturnier veranstaltet und als ersten Preis einen Kuss von Maid Marian in Aussicht stellt, für die Robin Hood immer schon eine Zuneigung hatte. So kommt Robin als Storch verkleidet zu dem Turnier und wird von Prinz John enttarnt, kann aber der Hinrichtung mit Hilfe seiner Freunde entkommen. In der Folge werden die Steuern so sehr erhöht, dass sich die arme Landbevölkerung kaum noch ernähren kann; wer die Steuer nicht entrichten kann, wird verhaftet. Erneut versucht Prinz John, seinen Widersacher zur Strecke zu bringen, indem er die Hinrichtung des ebenfalls inhaftierten Bruder Tuck plant, damit Robin Hood zu seiner Rettung eilt. Zusammen mit Little John befreit dieser ihn und die anderen Gefangenen und teilt die aus Prinz Johns Schlafkammer gestohlenen Geldsäcke unter ihnen, wobei er nur mit knapper Not den Schergen Prinz Johns entgeht. Am Ende kommt König Richard zurück, kommandiert seinen Bruder und dessen Anhänger zu Strafarbeiten im Steinbruch ab, und Robin Hood heiratet seine Maid Marian.

In dem Film werden einige Szenen aus älteren Werken - etwa aus dem Dschungelbuch und Aristocats - wiederverwertet, außerdem hat Little John sowohl im Englischen (Phil Harris) als auch im Deutschen (Edgar Ott) den gleichen Synchronsprecher wie Baloo der Bär. Ebenfalls erwähnenswert ist die akzentfreie Synchronstimme von Prinz John sowohl im englischen Original als auch in der deutschen Fassung, die von Peter Ustinov gesprochen wird, während Alan A'Dale im Englischen von dem Countrysänger Roger Miller, im Deutschen von dem Liedermacher Reinhard Mey gesprochen wird. Hervorzuheben ist vor allem der Humor, der von allen Altersklassen verstanden wird - trotzdem wird das Elend der Unterdrückten nicht ausgespart und auf kindgerechte Weise erklärt.

Wie auch bei König Arthur, so ist auch ein historischer Robin Hood nicht belegt - die Figur veränderte sich im Laufe der Zeit stark. Ursprünglich ein gefährlicher Wegelagerer einfacher Herkunft, der habgierige Geistliche und Adelige beraubt und sich dabei mittelalterlich-grausamer Praktiken bedient, entwickelte er sich im Laufe der Zeit zu einem enteigneten angelsächsischen Adeligen und in der Folge zu einem Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit - ein Motiv, das etwa im 16. und 17. Jahrhundert aufkam. Auch der Ort seines Wirkens variiert zwischen Sherwood Forest (Nottinghamshire) und Barnsdale Forest (South Yorkshire), ehe er auf Sherwood Forest festgelegt wurde. Der Name Robin Hood taucht erstmals in sechs verschiedenen Quellen aus dem 13. Jahrhundert auf - damals galt er in England allerdings als Synonym für "Gesetzesbrecher", weshalb man annimmt, dass die mündliche Überlieferung bereits damals schon über längere Zeit im Volk verbreitet war. In der schottischen Geschichtsschreibung finden sich auch Parallelen zwischen Robin Hood und dem schottischen Freiheitskämpfer William Wallace. Der erste, der die Geschichte von Robin Hood in die Zeit der Gefangenschaft des englischen Königs Richard Löwenherz durch Heinrich VI. 1192 - 1194 verlegte, war der schottische Renaissance-Schriftsteller, Theologe und Philosoph John Major, der auch das heute vorherrschende positive Bild des human agierenden Räuberhauptmanns prägte, dessen Gesetzesbrüche einzig dem Wohl der Bedürftigen dienten. Im Großen und Ganzen tauchen viele Eigenschaften, die den populären Robin Hood bis heute prägen, jedoch schon in den spätmittelalterlichen Balladen auf: Er lebt mit seinen Gefährten als Geächteter im Wald, widersetzt sich dem repressiven Jagdverbot in den königlichen Forsten, ist der Feind der als korrupt beschriebenen weltlichen und geistlichen Oberschicht, aus der seine bevorzugten Opfer stammen, ein ausgezeichneter Kämpfer und Bogenschütze, der als tollkühn, listig und lebensfroh, aber auch als fromm beschrieben. Einfache Leute behandelt er stets freundlich, auch wenn in den frühen Werken von der Verteilung der Beute an die arme Bevölkerung noch nicht die Rede ist.

Das Bild Robin Hoods als Sozialrevolutionär prägten vor allem die erstmals 1425 in Exeter bezeugten Robin-Hood-Spiele, die bis in die frühe Neuzeit Bestandteil des englischen Maifestes waren, in deren Rahmen vielerorts von als Robin Hood und seine Gefährten verkleidete Schauspieler Wohltätigkeitssammlungen durchführten. Zu diesen Spielen gehörte auch eine Art volkstümliches Tanztheater, bei dem etwa der Charakter der Maid Marian eingeführt wurde, wohl nach dem Vorbild der französischen Hirtenromanze Jeu de Robin et Marion von Adam de la Halle aus dem Jahre 1283. In der elisabethanischen Ära wird Robin Hood in den Dramen The Downfall and Death of Robert, Earl of Huntington (1601) von Anthony Munday und Henry Chettle zu dem im Titel genannten Grafen, während Marian mit Matilda, der Tochter des anglonormannischen Adligen Robert Fitzwalter, gleichgesetzt wird. Ende des 18. Jahrhunderts verfasste der Antiquar Joseph Ritson eine Anthologie der ihm bekannten Balladen, die vor allem Walter Scotts Roman Ivanhoe von 1819 nachhaltig beeinflusste, in dem Robin Hood zwar nur eine Nebenrolle einnimmt, mit dem aber ein Bild von ihm geschaffen wird, an dem sich viele spätere Autoren bis heute orientieren.

Wie ihr augenscheinlich mitbekommen habt, liegen mir diese beiden Filme sehr am Herzen - vor allem aber bieten sie viel Stoff zum Aufarbeiten, so dass ich tatsächlich wieder mal Mühe hatte, mich so kurz wie möglich zu fassen. Natürlich gibt es auch weiterhin noch Stoff für Fortsetzungen, ich werde auch sicherlich noch genügend andere literarische und filmische Quellen aus meiner Kindheit finden, denen ich mich zu gegebener Zeit widmen kann. Bis dahin bon voyage!

vousvoyez