Dienstag, 17. August 2021

Wenn die Supermarktnatur sich erholt, kehren auch bedrohte Warenarten in ihren natürlichen Lebensraum zurück

vongestern.com
Und die nächste patentierte Corona-Weisheit: Ein Kommentar zu den Hamsterkäufen. Wobei das große Rätsel, warum man bei einer bevorstehenden Apokalypse ausgerechnet zuerst an Klopapier denkt, bis heute nicht gelöst ist. Aber okay - man hat ja bereits am Montag danach gesehen, dass diese Massenpanik völlig umsonst war. So wie viele andere Massenpaniken auch - etwa diejenige, über die ich in meinem letzten Beitrag geschrieben habe. Den ich hiermit fortsetzen will; damit ihr aber richtig mitkommt, möchte ich euch empfehlen, ihn erst mal zu lesen, sofern ihr es noch nicht getan habt. Nicht, dass mir hinterher noch Klagen kommen! Und ihr euch dann beschwert: "Das haben wir aber noch nicht besprochen!" No way!

Wie ich zuvor erwähnt habe, war das Satans-Thema in meiner Jugend so unfassbar präsent, dass es sogar die Redakteure und Leser der Bravo beschäftigte - im vorigen Artikel habe ich euch eine Foto-Love-Story verlinkt, die es in sich hat. Die Autoren haben so richtig tief in die Klischeekiste gegriffen - von schwarzer Kleidung über Kapuzengestalten, Ouija-Bretter, verkehrten Kreuzen, Pentagrammen, Gedankenkontrolle und Weihwasser wurde wirklich alles, was für naive Gemüter zu einem gepflegten Satanismus gehört, wild durcheinandergeworfen. Mein Vater hätte gesagt, wie sich der kleine Maxi das eben so vorstellt. Und hier wird bereits ersichtlich, worüber ich bereits geschrieben habe: Horrorfilme à la Rosemary's Baby und Das Omen waren bereits 1994 so sehr ins kollektive Gedächtnis eingegangen, dass kein Satanismus ohne Versatzstücke aus diesen Werken mehr auskam. Das erklärt übrigens auch, warum die Berichte von "Überlebenden" sich so sehr ähneln. Ich habe mir übrigens hierzu noch mal jene Doku angeschaut, die von Kriminalpsychologin Lydia Benecke so heftig kritisiert wird (und die ich euch unten noch einmal verlink habe): Die Diagnose der Dame, von der diese Doku handelt - nämlich die dissoziative Identitätsstörung - kam zustande, nachdem ihre Therapeutin ein Buch darüber gelesen hatte.

Natürlich sind Verschwörungsmythen in Verbindung mit Satanismus aber kein neues Phänomen - man denke etwa an die Hexenverbrennungen der frühen Neuzeit: Da wurde den Delinquenten schließlich auch vorgeworfen, den Teufel beschworen, vielleicht sogar sexuellen Kontakt mit ihm gehabt zu haben. Im 19. Jahrhundert setzte außerdem ein Franzose namens Léo Taxil das Gerücht in die Welt, dass die Freimaurer in Wirklichkeit Satanisten seien, deren oberster Chef in Kontakt mit Satan persönlich stünde, und dass sie in ihren Logentempeln sexualmagische Orgien und Schwarze Messen feierten. In Wirklichkeit wollte Taxil nur finanziellen Nutzen aus dem Misstrauen der katholischen Kirche gegenüber den Freimaurern ziehen, nachdem der Bund ihn ausgeschlossen hatte. Der Schwindel wurde 1896 aufgedeckt, Taxil gab ihn auch selbst zu, aber Mythen sind mitunter zäh - und bis heute gibt es Leute, die an das Märchen eines satanistischen, pädokriminellen Freimaurerordens glauben. Was nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass es ebenso immer noch Leute gibt, die an die längst widerlegte Pizzagate-Affäre glauben. Und genauso hartnäckig hält sich bei manchen von ihnen auch die "Satanic Panic" - auch wenn man sich inzwischen vom Begriff "Satanismus" ein wenig distanziert hat. Heute spricht man eher von "Kulten" - die Inhalte sind allerdings identisch. Was sich etwa auch in jener oben erwähnten Dokumentation Wir sind die Nicki(s) zeigt - die letztes Jahr von der eigentlich seriösen ze.tt herausgegeben worden war: Die Protagonistin ist nämlich niemand anders als diejenige, deren Geschichte bereits zwanzig Jahre zuvor in der ARD-Dokumentation Höllenleben erzählt worden war (die ich euch ebenfalls unten verlinkt habe). Ja, auch seriöse Medien sagen nicht immer die Wahrheit - deswegen ist Gegenlesen auch so wichtig. Aber was soll man sagen - die Dokumentation stammt von zwei jungen Journalistinnen, die diese mit Sicherheit nicht in böser Absicht herausgegeben haben. Und was die Protagonistin angeht - ich bin mir sicher, dass sie nicht lügt. Ich bin überzeugt davon, dass sie das, was sie da erzählt, wirklich glaubt. Auch ihrer Therapeutin Michaela Huber, die sich inzwischen schon zu einer Koryphäe in Sachen ritueller Gewalt entwickelt hat, unterstelle ich keine Lügen - ich finde halt, dass sie nicht wirklich professionell arbeitet, und das ist richtig schade, weil ihre sympathische Art für die Patientinnen mit Sicherheit sehr wohltuend ist. Leider habe ich durch einige Quellen erfahren, dass Frau Huber auch mit Kritik sehr unprofessionell umgeht. Ich finde es außerdem ärgerlich, dass diese Doku so schlecht recherchiert ist - es wird hier leider enorm viel ausgeklammert. Aber mal zum Anfang.

Ich habe mir, um für diese beiden Artikel zu recherchieren, einiges durchgelesen und mir auch ein paar sehr spannende Vorträge angehört - entsprechend habe ich auch etliche Links, die ich an euch weitergeben kann (und die ich vorwiegend unten verlinken werde). Am Interessantesten war für mich ein Interview mit einem Kriminalbeamten, der genau erklärt hat, warum solche Geschichten eher unglaubwürdig sind (zu sehen im Video der SkepKon 2018). Ich persönlich habe unterschiedliche Motive, sie nicht zu glauben: Erstens ähnelt mir das Ganze viel zu sehr den alten Geschichten von der sogenannten Ritualmordlegende, nur dass die Juden und Hexen in dem Fall durch die Satanisten ersetzt wurden - in vielen Fällen wird das alles auch einfach in einen Topf geworfen und kräftig umgerührt -, zweitens ist es vollkommen unrealistisch, dass eine Verschwörung in einem solchen Ausmaß über mehr ein halbes Jahrhundert hinweg geheim bleiben kann und dass alles, was man bis heute hat, die Aussagen angeblich Betroffener ist. Wie bei allen Verschwörungserzählungen gibt es allerdings ein Problem: Es ist schwer, dagegen zu argumentieren, denn erstens sind da eben eine Menge Emotionen im Spiel, zweitens kannst du das Gegenteil nicht beweisen, drittens bist du, wenn du Zweifel hegst, schnell mal der/die/das Böse - oder gar Teil der Verschwörung -, weil du ja schließlich die Aussage der armen Menschen in Zweifel ziehst, die so viel Furchtbares erlebt haben. Aber ich sage mir immer, wenn du nur eine Person zum Nachdenken anregst, hast du mehr erreicht als mit Schweigen.

Die Satanic bzw. Moral Panic, von der ich hier spreche, nahm ihren Anfang im Jahre 1980, als das Buch Michelle Remembers veröffentlicht wurde, der vermeintlich authentische Bericht einer Frau, die angeblich in einer Satanssekte aufgewachsen ist und dort auch Missbrauch erlebt hat. Michelle Smith schrieb das Buch zusammen mit ihrem Therapeuten und späteren Ehemann Lawrence Pazder, einem kanadischen Psychiater, der zuvor Missionar in Afrika gewesen war und dessen Geschichten über die dortigen religiösen Rituale wohl Michelles Phantasie angeregt hatten - jedenfalls fing sie irgendwann an, von satanischen Ritualen aus ihrer Kindheit zu erzählen. Michelle Remembers legte den Grundstein für all das, was später rund um dieses Narrativ aufgebaut werden sollte, und erhob Pazder in den USA und Kanada zum führenden Experten für Satanismus und rituellen Missbrauch - auch wenn schon kurz nach der Publikation erste Zweifel aufkamen, da nichts, was in dem Buch drin stand, bewiesen werden konnte - eher im Gegenteil. Sogar Pazder selbst gab Jahre später zu, dass sich all das möglicherweise nur in Michelles Kopf abgespielt haben könnte.

Zu der Zeit, als Michelle Remembers veröffentlicht wurde, wurden in den USA gerade neue Gesetze verabschiedet, die dazu verpflichteten, den Verdacht auf Missbrauch Schutzbefohlener behördlich zu melden. Tatsächlich wurden in den nächsten Jahren Fälle von angeblichem oder tatsächlichem Kindesmissbrauch immer häufiger mit satanischen Ritualen in Verbindung gebracht. Am bekanntesten ist mit Sicherheit der Fall der McMartin-Vorschule in Manhattan Beach, Kalifornien, gegen dessen Leitung von einigen Eltern der Vorwurf von Kindesmissbrauchs in satanischen Ritualen eingebracht wurde. Es war der längste und teuerste Strafprozess in der Geschichte der USA, aber am Ende konnten die Behauptungen widerlegt und die Angeklagten freigesprochen werden. Viele der Befragungen konnten als fehlerhaft und suggestiv entlarvt werden, etwa die Anwendung anatomisch korrekter Puppen, infolge derer bei allen Kindern sexueller Missbrauch diagnostiziert wurde; die widerlegte Behauptung, unter dem Schulgelände habe sich ein Tunnelsystem befunden, durch das die Kinder zu den Ritualorten gebracht worden sein sollen, weckt unangenehme Assoziationen mit QAnon, und das ist auch kein Zufall, denn diese Bewegung griff viele Mythen der damaligen Zeit wieder auf. Während des Prozesses gegen die McMartin-Schule gab es übrigens mehrere kalifornische Kindergärten, die sich ähnliche Vorwürfe gefallen lassen mussten.

1987 erregte ein Fernsehspecial des amerikanischen Journalisten Geraldo Riviera Aufsehen; es handelte von angeblichen Geheimkulten und manifestierte den Mythos eines weltumspannenden, geheimen Netzwerks aus Satanisten, das Jugendliche mittels Rollenspielen wie Dungeon's & Dragons oder auch Heavy-Metal-Musik und dem Fernsehen verführte und in dem Frauen vorsätzlich geschwängert würden, um deren Babys nach der Geburt zu opfern. Einer der Gäste war Lauren Stratford, eine weitere "Überlebende" satanischer Kulte, die ihre Geschichte in dem 1988 veröffentlichten Bestseller Satan's Underground niederschrieb. Stratford hieß eigentlich Laurel Rose Willson und war Musikerin. Schon zuvor war bekannt gewesen, dass sie unter psychischen Problemen litt und dass sie zu falschen Missbrauchsbeschuldigungen neigte. Ende der 1990er Jahre, als der Satanismus-Hype sich bereits wieder gelegt hatte, trat sie noch einmal in die Öffentlichkeit - diesmal nannte sie sich Laura Grabowski und behauptete, eine Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zu sein. Ihr könnt euch also schon denken, wie glaubwürdig diese Dame tatsächlich ist.

Die erstarkende Macht christlicher Fundamentalisten gab dem Verschwörungsmythos ordentlich Auftrieb, die Beteiligung von Psychotherapeuten sorgte für einen professionellen Anstrich. Und so fand die Satanic Panic ihren Weg nach Kanada, Großbritannien, Australien, Neuseeland, die Niederlande und Skandinavien bis in den deutschsprachigen Raum. Im Laufe der 1990er Jahre veränderte sich die öffentliche Wahrnehmung in den USA jedoch - der verlorene McMartin-Prozess warf erste Zweifel auf, und auch in psychologischen Fachkreisen machte sich allmählich Skepsis breit. Eine Vielzahl erfolgreicher Klagen gegen Psychiater tat ihr übriges, und in den frühen 2000ern glaubten nur noch wenige an satanisch-rituellen Missbrauch. All das kehrte erst Ende letzten Jahrzehnts mit der Machtübernahme Donald Trumps und dem Erstarken von QAnon wieder zurück - auch wenn nicht mehr explizit über Satanismus gesprochen wird und sich der Fokus von den Kindertagesstätten hin zu demokratischen Politikern und Hollywood-Schauspielern verschoben hat.

Umso unverständlicher, dass im deutschsprachigen Raum bis heute teilweise noch so getan wird, als habe es all die Widerlegungen und Prozesse in den USA nie gegeben - wie eben auch in der von mir schon erwähnten ze:tt-Doku. Bis heute werden Bücher wie Vier Jahre Hölle und zurück, das übrigens sogar auf Wikipedia als unglaubwürdig enttarnt wird, als Tatsachenberichte angesehen, und der aufsehenerregende Dokumentarfilm Höllenleben von 2001, der übrigens dieselbe Protagonistin hat wie die ze.tt-Dokumentation, wird immer noch gerne als seriöse Quelle herangezogen. Aber was behaupten die Opfer eigentlich und warum wird das angezweifelt?

Nun - fast alle Personen, die sich für Opfer rituellen Missbrauchs handeln, sind Frauen; sie behaupten häufig, in einer satanischen Sekte aufgewachsen zu sein, Familienmitglieder und Freunde der Familie seien Teil dieses Kults. Dieser soll an besonderen Orten zu satanischen Festtagen magische Rituale durchführen, angeführt von einem Satanspriester in einem schwarzen Kapuzengewand. Die Opfer würden dabei gezwungen, sexuelle Handlungen zu vollziehen, der Verstümmelung von Tieren beizuwohnen oder dieses selbst auszuführen, menschliches Fleisch zu essen oder menschliches Blut, Extremente oder Sperma zu trinken. Ganz allgemein ist oft davon die Rede, dass bei diesen Ritualen Tiere oder sogar Menschen geopfert würden; manche behaupten sogar, absichtlich geschwängert worden zu sein, damit das daraus entstandene Baby gleich nach der Geburt geopfert werden könnte. Die Sekten seien hierarchisch organisiert; auf höchster Ebene befänden sich häufig hochrangige Mitglieder der Gesellschaft, etwa hohe Polizeibeamte, Staatsanwälte, Ärzte oder Industrielle. Deswegen wird auch so oft auf die Frage, warum denn bisher noch niemand einen solchen Kult aufgedeckt hat, damit argumentiert, dass all jene Institutionen, die dies könnten, von Satanisten unterwandert seien - häufig werden auch all diejenigen, die den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten anzweifeln, sofort der Mittäterschaft verdächtigt.

Doch das Problem liegt hier nicht nur in der angeblich so breit gestreuten Mittäterschaft, sondern auch in der Zuschreibung übermenschlicher Fähigkeiten sowohl an die Täter als auch an die Opfer. Ein Begriff, der hier eine wesentliche Rolle spielt, ist, dass diejenigen, die sich für Opfer satanisch-rituellen Missbrauchs halten, sich als "multiple Persönlichkeiten" bezeichnen - sie behaupten, viele Persönlichkeiten in sich vereinen, die häufig völlig konträr zueinander stehen sollen. Nun muss man dazu sagen, dass es das Krankheitsbild Dissoziative Identitätsstörung (DIS) tatsächlich gibt - hierbei übernehmen unterschiedliche Identitätszustände abwechselnd die Kontrolle über das Denken, Fühlen und Handeln des Patienten, der nicht in der Lage ist, all diese Zustände in seine Gesamtpersönlichkeit zu integrieren. Tatsächlich wird auch vermutet, dass diese Störung auf extreme traumatische Erlebnisse in der frühen Kindheit zurückzuführen ist - insgesamt ist diese Erkrankung wohl eher selten. Manche Experten behaupten sogar, sie entstehe erst innerhalb einer Therapie - näheres findet ihr in den unten angeführten Links der Sekteninfo NRW. Therapeuten, die auf angeblichen rituellen Missbrauch spezialisiert sind, behaupten häufig, Multiple könnten mit ihren Energien elektronische Geräte beeinflussen, was so weit gehen kann, dass jede Fehlfunktion eines solchen Geräts auf die Fähigkeiten dieser zurückgeführt wird. Die "Innenpersonen" sollen neben unterschiedlichen Talenten, Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen oft auch unterschiedliche Augenfarben, Sehstärken und Schuhgrößen besitzen; man behauptet, dass einzelne "Innenpersonen" Erkrankungen wie Krebs oder Asthma hätten, die bei anderen nicht aufträten; dass Verletzungen verschwänden, wenn die verletzte Person nach "innen" gehe; das Drogen und Medikamente nur bei einer "Innenperson" wirkten, bei den anderen aber nicht. Dies ist schon deshalb eher unglaubwürdig, weil sich diese "Innenpersonen" ja immer noch denselben Körper teilen - trotzdem gibt es nicht nur Patienten, sondern auch Therapeuten, die diese Behauptungen aufstellen und auch glauben.

Eine weitere Behauptung, die in diesem Zusammenhang sehr beliebt ist, umfasst den Begriff der mind control - angeblich könnten die Täter solche Dissoziationen willkürlich hervorrufen, wodurch es diesen möglich sei, ihr Opfer wie einen Roboter zu "programmieren" und zu "steuern". Dies geschehe durch antrainierte Reize, sogenannte "Trigger", die meist in Codewörtern bestehen, die sofort das gewünschte Verhalten hervorriefen Häufig wird angenommen, dass multiple Patientinnen sich immer noch in der Gewalt ihrer Peiniger befänden, die sie mit Hilfe solcher "Programmierungen" zur weiteren Teilnahme an satanischen Ritualen, zur Prostitution oder sogar zum Mord anstiften würden, möglicherweise auch zum Suizid aus mangelnder Loyalität. Diese Behauptungen haben allerdings einen großen Fehler: Bisher sind all jene, die diese Thesen befürworten, einen wissenschaftlichen Beweis schuldig geblieben, dass es überhaupt möglich ist, einen Menschen oder ein Tier auf diese Art und Weise zu steuern - im Gegenteil weisen die Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften darauf hin, dass ein so hohes Maß an Fremdkontrolle eher nicht möglich ist. Das bekannteste Forschungsprogramm in dieser Richtung ist übrigens MKUltra, ein während des Kalten Krieges von der CIA durchgeführtes Verfahren, in dem Menschen ohne ihr Wissen unter halluzuinogene Drogen gesetzt wurden, um zu testen, ob man an ihnen Bewusstseinskontrolle ausüben könnte - die Ergebnisse waren ernüchternd, viele Probanden bezahlten ihre Teilnahme mit ihrer psychischen und physischen Gesundheit, teilweise sogar mit ihrem Leben. Und denken wir doch mal logisch - wenn es wirklich möglich wäre, eine Person auf solche Art zu kontrollieren, warum ist noch keine Diktatur je darauf gekommen, diese Methode anzuwenden?

Warum aber sind die mutmaßlichen Opfer so überzeugt von ihrer Geschichte? Nun - hier kommt die Forschung zu falschen Erinnerungen ins Spiel, die in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht hat. Diese wird unter jenen, die an rituellen Missbrauch glauben, jedoch diskreditiert - angeblich handle es sich dabei um Vereinigungen von Tätern, denen es lediglich darum gehe, den Opfern ihre Glaubwürdigkeit zu nehmen. Was uns bei Verschwörungsgläubigen so häufig begegnet: Die Welt wird eingeteilt in Freund und Feind, und jeder, der widerspricht, wird sofort der "bösen" Seite zugerechnet. Und dabei sind falsche Erinnerungen bereits ziemlich gut nachgewiesen - das menschliche Gedächtnis ist keine Festplatte, die Erinnerungen speichert und nach Belieben wieder abspielt. Erinnerungen können sehr leicht verfälscht und manipuliert werden - was uns schlüssig erscheint, halten wir für wahr, auch wenn es das nicht ist. Im Zusammenhang mit psychischen Problemen ist der Glaube an verfälschte Erinnerungen zum einen mit dem Wunsch verknüpft, zu verstehen, warum man erkrankt ist, zum anderen mit der Hoffnung, endlich wieder Kontrolle über seine Probleme zu erlangen. Einige Patientinnen haben sich bereits vor Beginn ihrer Therapie über Bücher, Dokumentationen, das Internet oder Selbsthilfegruppen zu dem Thema informiert und sehen dies als schlüssige Erklärung für ihre Beeinträchtigung. Auf diese Weise finden sie möglicherweise auch den passenden Therapeuten, der ihre eigene These stützt und ihre Überzeugungen festigt. Ich möchte außerdem auf einen Artikel der Sekteninfo NRW hinweisen, der von einer Patientin handelt, die von einer Therapeutin in ein solches Narrativ gedrängt wurde - der ist ebenfalls unten verlinkt.

Nun - ich habe ja bereits in meinem Artikel über den Mandela-Effekt auf das Phänomen der falschen Erinnerung hingewiesen. Gerade deswegen möchte ich Betroffenen auch keine Lügen unterstellen - sie empfinden ihre Erinnerungen als real. Fakt ist jedoch, dass anekdotische Evidenz das einzige ist, was von all diesen spektakulären Fällen übrig bleibt. Hinzu kommt noch, dass die Patientinnen natürlich alle nicht gerade mit einem besonders starken Selbstwertgefühl ausgestattet sind - dies kann durch die Exklusivität, "Überlebende" eines Kultes zu sein, zumindest kurzfristig angehoben werden. Zudem kommt, dass zumindest ein großer Teil der Patientinnen wohl wirklich Opfer sexuellen Missbrauchs war, möglicherweise fand dieser in der eigenen Familie statt - es ist aber natürlich einfacher, zu glauben, der Vater sei unter Einfluss eines ominösen Kultes gestanden, immerhin erschüttert so ein Missbrauch ja erheblich das Vertrauensverhältnis. Hinzu kommt, dass Leute, die an diese Dinge glauben, auch gerne emotionalen Druck ausüben - beispielsweise unterstellen sie häufig, dass man Gewalt, Missbrauch oder organisierte Kriminalität leugnet, oder sie deuten die Taten Einzelner wie Fritzl oder Dutroux gerne in rituellen Missbrauch um. Und das ist es, was den Diskurs zerstört und die Sache in eine Richtung lenkt, die unübersehbar schwurbelig ist - weshalb ich auch angefangen habe, daran zu zweifeln.

Nun gut, ich bin froh, dass ich diese Geschichte endlich mal aufgearbeitet habe - es war mir auch eine persönliche Angelegenheit, da ich erstens sowohl von den Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland als auch von der Zeit eigentlich sehr viel halte, und da ich zweitens zu jener Generation gehöre, die in ihrer Jugend vergleichsweise häufig mit Satanic Panic konfrontiert worden ist. Es soll eine kleine Erinnerung daran sein, dass wir niemals aufhören sollten, zu zweifeln und nachzufragen, egal wie seriös uns Quellen auch erscheinen mögen. Und da das Thema jetzt doch ein bisschen schwer verdaulich war, habe ich euch ein Bild aus der Dr.-Sommer-Rubrik der Bravo angefügt, plus einen Link zu einer sehr amüsanten Website. Also bis zum nächsten Mal und bon voyage!

vousvoyez

Mittwoch, 11. August 2021

Die verordnete Ausgangssperre hat auch etwas Gutes: Endlich finden die vor vielen Jahren getrennten Sockenpaare wieder zueinander

© vousvoyez
Ja, ihr habt richtig gesehen: Wir kommen nun zu jenen Weisheiten, die entstanden, als das Coronavirus in unser aller Leben einschlug wie eine Bombe. Und obwohl es noch kaum anderthalb Jahre her ist, fühlt es sich für mich schon so irreal an, als hätte ich es gar nicht selbst erlebt, sondern vor längerer Zeit mal ein Buch gelesen oder einen Film gesehen. Und doch wirkt diese Pandemie bis heute nach, auch wenn die Impfung das Leben für manche von uns doch schon sehr erleichtert hat.

Wer meinen Blog schon länger kennt, weiß natürlich, dass ich die Lockdown-Zeit sehr viel auch zum Schreiben genutzt habe - und dass ich mich auch mit einigen Verschwörungserzählungen befasst habe. Heute möchte ich allerdings noch einmal auf einen Artikel aus Vor-Corona-Zeiten zurückgreifen, da es zu dessen Inhalt sehr viele Anknüpfungspunkte zu Verschwörungsmythen aus jüngster Zeit gibt: Ich möchte noch einmal über Satanismus sprechen bzw. über das, was in Fachkreisen gerne als Satanic Panic bezeichnet wird. Da habe ich nämlich inzwischen so einiges herausgefunden - und zwar tatsächlich so viel, dass ich zwei Teile daraus machen möchte, weil ein einziger beim besten Willen zu lang ist. Im ersten Teil möchte ich ein wenig auf die historischen Hintergründe sowie auf popkulturelle Referenzen eingehen, im zweiten spreche ich dann darüber, was daran wohl eher Verschwörungsmythos ist und vor allem warum.

Bevor ich aber anfange, möchte ich eines noch einmal klarstellen, weil dies ja häufig als Gegenargument herangezogen wird: Ich weiß, dass Kindesmissbrauch existiert, ich kenne selbst Personen, die davon betroffen waren, und es liegt keineswegs in meinem Ermessen, dies klein zu reden; ich weiß auch, dass es organisierte Kriminalität und auch organisierten Kindesmissbrauch gibt; ich will weder die Traumata von Missbrauchsopfern in Frage stellen, noch will ich in irgendeiner Form tatsächlich existierende Missbrauchsfälle in Abrede stellen; ebenso will ich diejenigen, die als Betroffene angeführt werden, keineswegs der Lüge bezichtigen, noch stelle ich in Abrede, dass sie tatsächlich traumatische Erfahrungen hinter sich haben. Dies möchte ich vor allem deswegen erwähnt haben, weil ich weiß, dass gerade das Kinderthema sehr starke Emotionen auslöst - Kinder sind Schutzbefohlene, was bedeutet, dass häufig nur der Verdacht einer potenziellen Gefahr für Kinder dem rationalen Denken abträglich sein kann. Und dass man, wenn man an einer Geschichte zweifelt, bisweilen in den Verdacht gerät, alles anzuzweifeln, was nur irgendwie mit dem Thema zu tun hat - oder gar Teil der Verschwörung zu sein. Ich möchte allerdings noch einmal klarmachen, dass dies absolut nicht hilfreich ist - erfundene Missbrauchsfälle unreflektiert zu glauben und Zweifler zu diskreditieren, hilft tatsächlichen Opfern nicht. Im Gegenteil, es macht sie unglaubwürdig - und überdies läuft man dabei Gefahr, Personen zu Unrecht zu beschuldigen, ganz abgesehen davon, dass man Menschen die therapeutische Hilfe verweigert, die sie eigentlich brauchen. Aber dazu kommen wir noch.

Vor etwas mehr als anderthalb Jahren habe ich über ein Buch geschrieben, das ich vor längerer Zeit einmal gelesen habe und an das ich mich wieder erinnerte, als ich ein Video des YouTube-Kanals SkepticPunk gesehen habe. Ich weiß inzwischen auch, welches Buch es war - gleichzeitig habe ich es aber mit einem weiteren Buch verwechselt, das in denselben Kanon gehört. Das Buch, das ich damals beschrieben habe und das von einer Frau handelt, die seit frühester Kindheit Opfer ritueller Gewalt gewesen sein soll, heißt Vater unser in der Hölle und wurde 2008 veröffentlicht - die Autorin heißt Ulla Fröhling. Was natürlich heißt, dass ich schon älter als fünfzehn oder sechzehn war, als ich es in die Finger bekam - ja, auch als junge Erwachsene war ich nicht immer so abgeklärt und skeptisch, wie ich gerne gewesen wäre. Das Buch, das ich als Jugendliche gelesen und irgendwann einmal ausgemustert habe, heißt Vier Jahre Hölle und zurück; als Autor ist ein gewisser "Lukas" angegeben. Es ist der angeblich authentische Bericht eines Teenagers, der vier Jahre lang in einer mächtigen Satanssekte gewesen sein will. Nun muss man wissen, dass Satanismus in meiner Jugend zu den großen Gefahren gezählt wurde, denen Heranwachsende neben Drogen, AIDS und Rechtsradikalismus ausgesetzt waren. In Deutschland war das Thema anscheinend noch präsenter als hier in Österreich - jedenfalls habe ich erfahren, dass Vier Jahre Hölle und zurück dort häufig im Religionsunterricht besprochen wurde (und teilweise noch wird), als warnendes Beispiel vor verkehrten Kreuzen, Pentagrammen, schwarz gekleideten Leuten und Heavy Metal. In einem weiteren Artikel habe ich ja bereits von jener Dokumentation berichtet, die in unserer Schule sehr beliebt war und in der behauptet wurde, dass Jugendliche, die Metal hören und bestimmte Platten rückwärts spielen, Satanisten werden. Seit mehreren Jahrzehnten wird Satanismus von vielen Leuten als weltumspannender Geheimbund beschrieben, der böse Rituale feiert, in denen unfassbare Grausamkeiten stattfinden - ein Geheimbund, in den unzählige Leute involviert sein sollen, in oberer Instanz sogar Ärzte, Industrielle, Staatsanwälte, Polizeibeamte in hohen Positionen und so weiter. So viele, dass es bis heute unmöglich sei, stichhaltige Beweise für die Existenz dieser Geheimbünde ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Und so bleibt als einziger Beweis das Wort der vermeintlichen Opfer. Na, klingelt's schon bei euch? Nun gut, aber was hat es damit eigentlich auf sich?

Erst mal ist es wichtig, festzuhalten, dass "Satanismus" kein homogenes Konstrukt ist wie etwa Scientology, die Zeugen Jehovas oder die Church of the Lamb of God, um nur ein paar zu nennen. Soll heißen, "den Satanismus" als strukturierte, sektenhafte Organisation gibt es nicht - es gibt vereinzelte, kleinere Gruppierungen, die mal mehr, mal weniger gefährlich sind und die miteinander oft nichts oder nur wenig zu tun haben. Nun wissen wir ja, dass die Figur des Satan keine Erfindung des Christentums ist: Die Dualität von Gut und Böse findet sich auch schon in älteren Religionen - und somit auch die Figur des Teufels als Antagonist. In der englischsprachigen Literatur des 17. Jahrhunderts wiederum, allen voran in John Miltons Dichtung Paradise Lost, tritt Satan als rebellische Figur auf, die dem Menschen das Göttliche in sich selbst bewusst machen soll. Auch in Charles Baudelaires Gedichtband Les Fleurs du Mal, in Marquis de Sades Hauptwerk Les 120 Journées de Sodome ou l'École du Libertinage sowie in Lord Byrons Drama Cain finden sich diese Ideen unter anderem wieder. Im 19. Jahrhundert finden sich hier etwa E. T. A. Hoffmanns phantastischer Roman Die Elixiere des Teufels und Giosuè Carduccis Inno a Satana, während in Hermann Hesses Roman Demian von 1919 von einer Fusion von Gott und Teufel die Rede ist.

Die ersten Ansätze einer satanistischen Vereinigung kann man in den Hellfire Clubs im England des 18. Jahrhunderts verorten, und auch einige okkulte Bewegungen des 19. Jahrhunderts hatten satanistische Tendenzen. Als Begründer des modernen Satanismus gilt der britische Schriftsteller und Okkultist Aleister Crowley, dem es allerdings nicht um die Anbetung eines Satan als Gegenspieler Gottes ging, sondern um die Abkehr von gesellschaftlichen Konventionen und christlichen Werten sowie die Vergöttlichung des Menschen, einschließlich seiner negativen Seiten. Er propagierte die absolute Selbstverwirklichung und die Herrschaft des Starken über den Schwachen, wobei mit Hilfe von okkulten Ritualen die totale Autonomie des Menschen erreicht werden soll. Zu einem eigenständigen antichristlichen Religionssystem wurde Satanismus erst in den 1960er Jahren erhoben, als Anton Szandor LaVey die Church of Satan gründete - nach eigenen Angaben in der Walpurgisnacht des Jahres 1966. Diese Form des Satanismus wird jedoch weniger als tatsächliche Religion denn als Philosophie verstanden - Satan steht hier für die dunklen Aspekte des menschlichen Daseins, allen voran den Sexual- und Selbsterhaltungstrieb. LaVey verfasste mehrere Texte, unter anderem die Satanische Bibel, und führte im Keller seines Stadthauses in San Francisco, gekleidet in ein Faschingskostüm, das mich entfernt an den Kinderfilm So ein Satansbraten erinnert, Schwarze Messen durch, bei denen allerdings keine Babys geopfert oder Menschenfleisch gegessen wurde. Sein Zugang zu dem ganzen Satans-Ding war eher ein rebellisch-parodistischer - es ging ihm um Protest gegen die Verlogenheit von Kirche und Gesellschaft sowie um die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, wie es damals halt so üblich war. Die Anhänger der Church of Satan distanzieren sich übrigens auch heute noch von jeglichen Straftaten - der moderne Satanismus versteht sich eher als atheistische Philosophie, seine Anhänger sind ganz offensichtlich weitaus langweiliger, als die öffentliche Meinung es oft wahrhaben will. Mir ist offen gestanden auch nicht so klar, warum man sich auf einen Satan berufen muss, wenn man sich doch von jeder Gottesvorstellung lossagen will, aber jeder wie er glaubt. Bis heute wird übrigens gerne auf die gruselig aussehenden PR-Fotografien von LaVey zurückgegriffen, wenn irgendwo von Satanismus die Rede ist - oder was man sich halt darunter vorstellt. Auch der in den 1970er Jahren gegründete Order of Nine Angels bezeichnete sich zwar als satanistisch, meinte damit aber ebenfalls keine Verehrung Satans im eigentlichen Sinn - im Gegensatz zu LaVeys Hedonismus liegt ihr Schwerpunkt auf der Entwicklung des Individuums durch gefährliche Situationen, ihr Fokus liegt auf Selbstbeherrschung, Selbstüberwindung und kosmische Weisheit, seine Auslegung ist sozialdarwinistisch. Außerdem bekennen sich seine Anhänger zum Nationalsozialismus, zu ihrer Symbolik gehören die Hakenkreuzflagge, die Anbetung Hitlers und die Leugnung des Holocaust. Aber bei aller Abscheu, die man dieser Gruppierung entgegenbringen kann, beinhalten auch deren Rituale keine Menschenopfer und ähnliche Scherze.

Ganz allgemein war das Satans-Thema in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch immer wieder Teil der Popkultur. Bekannt ist etwa der Rolling-Stones-Song Sympathy for the Devil, der von dem 1966 veröffentlichten Roman Der Meister und Margarita des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow inspiriert ist, welcher sich satirisch gegen die bürokratisch-atheistische Ideologie des sowjetischen Regimes richtete und der den Teufel als Erlöserfigur darstellt. Häufig in diesem Zusammenhang erwähnt wird auch Rosemary's Baby, Roman Polanskis meisterhafte Verfilmung von Ira Levins gleichnamigem Roman aus dem Jahre 1968. Dieser Film handelt von einem jungen Ehepaar mit Kinderwunsch, das in ein Haus in New York zieht, welches bereits seit Generationen einen satanistischen Kult beherbergt, dem auch ihre Nachbarn angehören. Die junge Ehefrau Rosemary ahnt nichts davon, als sie und ihr Mann Guy sich mit den beiden anfreunden - Guy schließt sich dem Kult an und erklärt sich bereit, Rosemary vom Teufel schwängern zu lassen, wenn dafür seine Karriere als Schauspieler endlich in Schwung kommt. Natürlich ist die Satansgeschichte hier nur symbolisch - der Film thematisiert eigentlich den Generationenkonflikt der damaligen Zeit und die Rolle der Frau in dieser Gesellschaft -, aber auch hier ist teilweise schon jene Symbolik vertreten, die heute ins kollektive Gedächtnis eingegangen ist. Sehr großen Einfluss auf unsere Vorstellungen von Satanskulten hatte auch Richard Donners Film Das Omen von 1976, in dem ein totes Baby gegen den Sohn des Satans ausgetauscht wird, der gezeugt wurde, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Doch auch William Peter Blattys Psychoschocker Der Exorzist von 1973, Brian de Palmas Stephen-King-Verfilmung Carrie von 1976, Neil Jordans Romanverfilmung Interview mit einem Vampir von 1994, Stanley Kubricks letzter Film Eyes Wide Shut von 1999 sowie Die neun Pforten von 1999, ebenfalls von Polanski, werden häufig mit unserer Vorstellung von Satanismus in Verbindung gebracht, auch wenn sie nicht direkt von einem Satanskult handeln.

Das, was als "Satanic Panic" bekannt war, begann um 1980 in den USA und schwappte in den 1990er Jahren in den deutschsprachigen Raum über. Die Rede ist von einem weltumspannenden Satanskult, dessen Mitglieder rituellen Missbrauch an Kindern betreiben würden. Diese Massenhysterie wurde von einer breiten Koalition aus christlichen Fundamentalisten, Feministinnen, Ärzten, Polizisten und Sozialarbeitern getragen und wirkt bis in die heutige Zeit nach, auch wenn sie zumindest in den USA dazwischen an Bedeutung verlor. In meiner Jugend war sie jedoch, wie schon gesagt, im deutschsprachigen Raum äußerst präsent - so sehr, dass sogar eine Bravo-Foto-Love-Story sich mit dieser Thematik befasste. Als Gefahrenquellen galten vor allem Rollenspiele, Heavy Metal und Rückwärtsbotschaften auf Schallplatten, auch wenn diese allmählich von der CD ersetzt wurden. Rückwärtsbotschaften wurden schon in den 1970er Jahren gerne mit dem Satanismus verknüpft - etwa durch Jimmy Page, dem Begründer der Rockband Led Zeppelin, der so fasziniert von Aleister Crowley war, dass er sogar dessen Haus in Schottland bewohnte; Crowley propagierte unter anderem die Notwendigkeit des Rückwärtssprechens, welches in der allgemeinen Vorstellung bis heute als Teil des Satanskultes gesehen wird, und Page setzte ihm in dem Song Stairway To Heaven ein Denkmal, indem er in den Song die Rückwärtsbotschaft "So here's my sweet Satan" integrierte. Auch die Thrash-Metal-Band Slayer wurde von der Allgemeinheit gerne mal mit Satanismus in Verbindung gebracht - um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Rockband Tool nahm die Angst vor satanischen Rückwärtsbotschaften übrigens aufs Korn, indem ihr Song Intension rückwärts gespielt mit tugendhaften Sätzen wie "Hör auf deine Mutter, dein Vater hat recht, arbeite hart, bleib in der Schule" aufwarten konnte. Ich muss allerdings zugeben, dass die meisten dieser "satanischen" Botschaften sich für mich nur mit sehr viel Phantasie erschließen. Ein etwas aktuelleres Beispiel für die Beschäftigung mit der Satanssymbolik ist wohl All the good Girls go to Hell von Billie Eilish aus dem Jahr 2019, ein Song, der einen Dialog zwischen Gott und Teufel thematisiert, die sich über die Sinnhaftigkeit des Erhalts der menschlichen Rasse unterhalten, der schließlich gerade im Begriff ist, seine eigene Lebensgrundlage zu zerstören.

Wie ihr also seht, ist Satanismus weniger ein einzelner Kult als ein Sammelbegriff für verschiedene lose Gruppierungen, die sich mit satanischen Inhalten beschäftigen. Die Gründe, warum ein Mensch Interesse an Satanismus entwickelt, sind ebenso vielfältig - ich habe selbst schon Leute kennen gelernt, die sich gern schwarz kleideten und eine Vorliebe für umgedrehte Kreuze und Totenköpfe entwickelten, die aber eigentlich sehr verträgliche, empathische Menschen waren und niemandem je etwas zuleide getan haben. Gerade auf Jugendliche kann Satanismus anziehend wirken, da es ihnen eine Möglichkeit eröffnet, mit der Angst der Erwachsenen zu spielen - sie lesen LaVeys Satanische Bibel und Crowleys Liber Al vel legis, diskutieren virtuell oder analog mit Gleichgesinnten über deren Inhalte und treffen sich auf Friedhöfen, um "Schwarze Messen" zu improvisieren. Natürlich gibt es da mitunter auch destruktive Tendenzen wie Vandalismus, das Töten von Kleintieren oder selbstverletzendes Verhalten, aber in der Regel bleibt es bei dem Kokettieren mit dunkler Ästhetik, wie es etwa in der Gothic-Kultur praktiziert wird - diese wurde zwar auch häufig mit Satanismus in Zusammenhang gebracht, ihr Erscheinungsbild ist jedoch eher ein Ausdruck von Melancholie und Introvertiertheit. Einzelne Fälle jugendsatanistischen Vandalismus werden jedoch gerne von den Medien hochgepusht, weshalb man satanistische Tendenzen von Jugendlichen meist mit Friedhofsschändungen in Verbindung bringt, auch wenn er häufig eher als Ausdruck von Protest und Selbstfindung verstanden werden kann. Der bekannteste Extremfall ist wohl der Mord an einem fünfzehnjährigen Schüler durch den zwei Jahre älteren Hendrik Möbus, Gründer der Black-Metal-Band Absurd, die satanistische und rechtsextreme Tendenzen aufwies. Es gibt aber auch Erwachsene, die Satanskulten anhängen, die sich hauptsächlich auf die Pervertierung des christlichen Ritus konzentrieren. Am bekanntesten ist wohl die Thelema Society aus Niedersachsen, deren Begründer Michael D. Eschner sich für die Reinkarnation von Aleister Crowley hält, nicht nur wegen der Rituale, die auch Ekeltrainings wie den Verzehr von Exkrementen beinhalten, sondern auch, weil Eschner mehrmals wegen sexueller Nötigung verurteilt wurde. Ein weiterer bekannter Kriminalfall in Verbindung mit Satanismus ist der Mord des Ehepaares Daniel und Manuela Ruda an einem Kollegen mit 66 Messerstichen im nordrhein-westfälischen Witten im Jahr 2001, der die Schwarze Szene eine Zeitlang in Verruf brachte.

Wie ihr also seht, gibt es durchaus Fälle, in denen eine zu starke Hinwendung zu Satan durchaus zu Gewalt oder gar Mord führen kann. Doch all das sind keine Beweise, die eine Massenhysterie wie die "Satanic Panic" rechtfertigen - zumal die Beschuldigten häufig nicht einmal was mit Satanismus am Hut hatten. Deswegen will ich mich in meinem nächsten Artikel etwas konkreter dem Verschwörungsmythos selbst widmen. Ich werde mich bemühen, ihn so schnell wie möglich und trotzdem in aller Sorgfalt fertigzustellen, bis dahin wünsche ich euch eine schöne Zeit und passt auf, dass euch kein Typ im Faschingskostüm über den Weg läuft. Bon voyage!

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