Samstag, 22. Januar 2022

Chippendale-Möbel sehen aus, als würden sie jeden Moment weglaufen

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Als ich Bill Brysons fabelhaftes Buch Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge gelesen hatte, in der unter anderem der Chippendale-Stil Erwähnung fand, hat mich das neugierig gemacht, und so habe ich die Chippendale-Möbel gegoogelt. Dazu muss ich sagen - ich bin zwar durchaus zwischen Antiquitäten aufgewachsen, aber natürlich in Kontinental-Europa, wo Chippendale nicht ganz so gefragt ist wie im englischsprachigen Raum. Stilistisch erinnern mich die Mahagoni-Stücke durch die geschwungenen Beine sehr an den französischen Rokoko, und tatsächlich stammen die Originalstücke auch aus dieser Zeit - allerdings erinnert das untere Ende der Beine so sehr an Pfoten, dass ich, als ich die Fotos gesehen habe, das Gefühl hatte, als würde bei all diesen Stühlen, Tischen und Kastln permanent Fluchtgefahr herrschen. Aber an lustigen Möbeln ist ja nichts verkehrt. Ganz im Gegensatz zu all dem, was gerade auf der Welt passiert.

Hier in Österreich soll es mit 1. Februar eine allgemeine Impfpflicht geben - und ich persönlich stehe dem Ganzen nach wie vor skeptisch gegenüber. Versteht mich nicht falsch: Ich weiß, dass diese "Notbremse" eine Reaktion auf die alarmierend hohen Infektionszahlen ist, und ich weiß auch, dass eine hohe Impfquote notwendig ist, um dem etwas entgegenzusetzen. Ebenso weiß ich, dass das nicht möglich sein wird, solange Leute mit teilweise vollkommen absurder Argumentation Stimmung gegen die Impfung machen und andere ihnen blind glauben. Aber warum zur dreifach durchgenudelten Zahnpastatube muss der neue Krisenstab, die Gecko-Kommission (Gesamtstaatliche COVID-Krisenkoordination), so auftreten, als befänden wir uns in einem Krieg? Ich persönlich finde die Rhetorik, die General Rudolf Striedinger an den Tag legt, eher beunruhigend, ebenso wie den Umstand, dass er ständig im Tarnanzug auftreten muss. Und ebenso beunruhigend finde ich, dass es offenbar möglich ist, sich von der Impfpflicht freizukaufen - dies passt genau zu der bisherigen Vorgehensweise der ÖVP-Regierung, für die Profitgier während der Pandemie stets an erster Stelle stand, und zwar auf Kosten der Gesamtbevölkerung. Aber was ist auch anderes zu erwarten von Wirtschaftsliberalen, die sich so lange einen Dreck darum geschert haben, dass Massentierhaltung, die Abholzung der Wälder und die generelle Ausschlachtung der Natur uns irgendwann noch mal auf den Kopf fallen wird? Denn eines ist klar: Pandemien wie die aktuelle haben ihren Ursprung in unserem rücksichtslosen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Und selbst wenn wir COVID-19 in den Griff bekommen, ist die nächste Gesundheitskrise nur eine Frage der Zeit.

Ich habe in meinen letzten drei Artikeln ein großes Thema behandelt - nämlich die Schnittpunkte zwischen Rechtsextremismus und Esoterik. Damit habe ich versucht, zu erklären, warum auf den Demos gegen die Maßnahmen Leute, die eigentlich keine Nazis sind, so völlig unreflektiert hinter Reichsbürgerfahnen und Hetzparolen herlaufen, ohne diese zu hinterfragen oder ihnen zu widersprechen. Und das, obwohl sie sich am liebsten mit den Opfern jenes grausamen Regimes von damals vergleichen. Aber es ist ja bekannt, dass solche Leute die Sachverhalte gerne umkehren - so, wie sie sich beispielsweise auch als die großen Beschützer der Kinder aufspielen, während sie diese auf jede "Querdenker"-Demo mitschleppen und als Argument für alles missbrauchen. So gab es zu Beginn des aktuellen Schuljahres eine Riesendebatte darüber, dass Eltern ihre Kinder vermehrt von der Schule abmeldeten. Wie sich zeigte, handelten viele dabei überstürzt, denn nur einen Monat später saßen viele dieser Kinder wieder in ihren alten Klassen. Klar - viele Eltern hatten sich das so easy vorgestellt wie beim Homeschooling, wo das Lernmaterial von den Lehrern gestellt worden war, und nicht mit einkalkuliert, dass sie sich in Zukunft selbst darum kümmern würden müssen. Versteht mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen Heimunterricht, solange er in einem vernünftigen Rahmen stattfindet und die Kinder trotzdem die Möglichkeit haben, Kontakt zu Gleichaltrigen zu pflegen. Und auch ich bin der Meinung, dass unser Schulsystem schon lange nicht mehr zeitgemäß ist und dringend einer umfassenden Sanierung bedarf. Das Ding ist halt - über das schlechte Schulsystem wird bereits seit Jahrzehnten debattiert, ohne dass sich deshalb die Schulabmeldungen gehäuft hätten. Und ich zweifle auch stark daran, dass alle Eltern, die ihre Kinder Anfang September aus der Schule genommen haben, diesen tatsächlich Heimunterricht in adäquater Qualität bieten können. Deswegen war mir von Anfang an klar, dass neben jenen Eltern, denen die Schulen aufgrund fehlender Schutzmaßnahmen nicht sicher genug waren, auch ein erheblicher Teil dabei war, dem es hauptsächlich darum ging, den Maßnahmen zu entgehen.

Aber natürlich gibt es sie auch, die andere Seite - Eltern, die sich darum sorgen, dass ihr Kind in der Schule nicht ausreichend geschützt ist. Und das ist in der Tat ein Problem - das wiederum ebenso deutlich zeigt, wie sehr die Corona-Politik vieler westlicher Industriestaaten dem neoliberalen Diktat unterworfen ist. Und so sind Kinder um jeden Preis in der Schule zu halten, damit deren Eltern nicht von der Arbeit freigestellt werden müssen und weiterhin Profite erwirtschaften können. Ebenso, wie um jeden Preis der Wintertourismus stattzufinden hat - trotz Lockdowns und trotz etlicher Antsteckungsfälle beim Après-Ski. Und obwohl von Anfang an klar sein hätte müssen, dass der Ansatz, dass Krankenhäuser Profit abwerfen müssen, grundfalsch ist. Ein Problem, das nicht erst seit gestern existiert - schon 2016 forderte FPÖ-Saubermann Norbert Hofer den Abbau von Intensivbetten, was bereits vor Corona zu einer Verknappung der Kapazitäten führte. Ironischerweise rechtfertigen die selbst ernannten "Rebellen" die Leugnung des Pandemie-Problems gerne mit dem Abbau der Betten - ohne dabei den Abbau des Personals ins Feld zu führen, das es ja schließlich auch braucht, weil Betten allein noch keine Patienten betreuen. Und dabei sind wir in Österreich im internationalen Vergleich noch ziemlich gut aufgestellt.

Womit wir uns auch dringend auseinandersetzen müssen, ist mit unserem Verständnis von Journalismus. Während der ganzen Pandemie wurde sich redlich bemüht, alle zu Wort kommen zu lassen - mit dem Ergebnis, dass Fakten nur allzu häufig auf "Meinungen" runtergebrochen wurden und irgendwann der Eindruck entstand, der wissenschaftliche Konsens sei geringer, als er tatsächlich ist. Weil man glaubte, jeder noch so abstrusen Minderheitenmeinung eine Bühne geben zu müssen. Auch von Seiten der Rezipienten wird häufig sehr laut nach objektiver, neutraler Berichterstattung geschrien. Aber das, meine lieben Leser und Innen, ist reine Utopie. Denn kein Journalist ist absolut objektiv und neutral. Und im Prinzip wissen wir ja, was diejenigen welchen mit "objektiv" und "neutral" eigentlich meinen: Nämlich, dass Journalisten gefälligst ihre Meinung wiedergeben und ihr Weltbild bestätigen sollen. Hier in Österreich hatte dieser Schrei nach Objektivität, der in Wirklichkeit die Forderung nach einem Rechtsruck ist, schon häufiger unschöne Folgen - etwa die Forderung des ehemaligen Innenministers und Pferdefreundes Herbert Kickl, regierungskritische Medien mit Unterdrückung von Informationen zu bestrafen. Oder auch die Unterstützung wohlwollender Medien durch Inserate und unfassbare Mengen an Steuergeld, welche hierzulande auf eine lange Tradition zurückblickt. Und trotz des Rundfunkvolksbegehrens aus dem Jahre 1964, welches dem ORF politische Neutralität zusichern sollte, ist auch dieser vor politischer Instrumentalisierung nicht sicher. Zu spüren bekommen haben das vor allem Satire-Formate, zuletzt Peter Kliens Sendung Gute Nacht, Österreich, die allerdings seit letzter Woche wieder auf die Bildschirme zurückgekehrt ist.

Die Forderung nach Objektivität ist schon deshalb absurd, weil wir in Österreich und auch in Deutschland in der Regel ziemlich genau wissen, welchen Platz auf der politischen Skala welches Medium in etwa einnimmt. Um das zu erkennen, muss man sich natürlich mit dem Inhalt auseinandersetzen - es reicht aber zumindest hierzulande schon, sich anzusehen, wem welches Medium gehört. Und zu erkennen, dass auch im breiter aufgestellten ORF Führungspositionen politisch besetzt werden - das bemerkt man dann daran, wie das Programm gestaltet ist. In anderen Ländern ist das nicht so - im englischsprachigen Raum etwa ist die politische Richtung einzelner Medien transparent, und trotzdem können sie professionelle journalistische Arbeit leisten, und darüber hinaus kann man dies als Zuschauer auch leichter einordnen. Und überdies ist es nicht die Aufgabe des Journalismus, jedem Hansel nach dem Mund zu reden und jeden Trottel zu Wort kommen zu lassen - das muss auch mal ganz klar gesagt werden. Natürlich wird es immer ein paar Meinungen geben, die am Rand des Spektrums zu verzeichnen sind - aber es ist weder möglich noch wünschenswert, jede von ihnen gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen.

Und ja, die Medien haben sich in dieser Pandemie auch nicht immer vorbildlich verhalten - etwa im Umgang mit der rechtsradikalen Instrumentalisierung der Proteste gegen die Maßnahmen. Das war auch der Grund, warum mir die letzten drei Artikel so wichtig waren - ich wollte ein wenig die Mechanismen sichtbar machen, mit denen rechtsradikale Gruppierungen es verstehen, so viele Denkrichtungen wie möglich vor ihren Karren zu spannen. Man tönt zwar laut, dass man den Leuten zuhören und sie ernst nehmen muss - das Ding ist aber halt, das passiert nicht. Denn schon vor der Pandemie wurden Rechtsgestrickte immer wieder unterschätzt - so hatten FPÖ-Wähler in Österreich immer den Rang der "Protestwähler", und ja, auch ich habe das eine Zeitlang nur allzu bereitwillig geglaubt. Aber spätestens seit der Ibiza-Affäre sollte uns klar sein, dass dahinter mehr steckt als nur Protest - denn hartgesottene FPÖ-Wähler sind trotzdem nicht von ihrem Kurs abgewichen. Ich fürchte, wir werden uns damit abfinden müssen, dass es den meisten von ihnen eben nicht darum geht, Verbesserungen für sich selbst zu erwirken - sondern Verschlechterungen für diejenigen, die sie nicht wollen. Und dies zeigt sich vor allem durch den restriktiven Umgang der türkis-blauen Regierung mit Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund - genau dies ist der Grund, warum die FPÖ bei einer gewissen Klientel so beliebt ist: Sie wählen die FPÖ nicht aus Protest und trotz ihres ewigen "Ausländer-raus"-Geschreis, sondern gerade deswegen. Selbst wenn es gegen ihre eigenen sozialen Interessen geht. Und eigentlich sollten Menschen mit ein bisschen Lebenserfahrung, die in Österreich leben, so wie ich beispielsweise, langsam bewusst sein, dass wir hierzulande schon immer stabile, sehr rechtslastige Milieus hatten, die mehr oder weniger geduldet waren - viele Kinder wachsen bereits in diesen Denkmustern auf. Ich selbst bin bereits in meiner Schulzeit mit rechtsradikalen Burschenschaften in Berührung gekommen - selbst wenn ich deren Parallelwelt als brave Austro-Bolschewistin (keine Selbstbezeichnung!) natürlich nie betreten habe. Zudem wird häufig übersehen, dass auch andere Parteien zur Verankerung ihres Weltbildes beigetragen haben. Dass es ideologische Überschneidungen von FPÖ und ÖVP gibt, sollte außerdem jedem klar sein, der sich mit unserer Geschichte einigermaßen auskennt: Die FPÖ wurde aus Altnazis gegründet, die ÖVP aus katholischen Austrofaschisten. Entsprechend ist es auch lächerlich, von einem "linken Mainstream" zu schwadronieren.

Und ebenso wie der Rechtsradikalismus nach wie vor tendenziell eher unterschätzt wurde, hat man auch die Rolle der sozialen Medien viel zu lange unterschätzt. Zugegeben - es war auch nicht leicht, diesen etwas entgegenzusetzen. Dass Rechtsextreme und Corona-Leugner sich vor allem auf der russischen Plattform Telegram organisieren und dort ihren Gewaltphantasien hemmungslos freien Lauf lassen, ist schon längst kein Geheimnis mehr. Im Mai letzten Jahres wurden bei Hausdurchsuchungen von Ex-Soldaten durchaus auch Waffen gefunden - nachdem diese auf Telegram spekulierten, wie man am einfachsten zu diesen kommen könnte. Dabei ist natürlich zu erwähnen, dass nicht alle, die diese Phantasien in Worte fassen, auch tatsächlich Gewalt anwenden - aber die Gefahr, dass einer von ihnen es doch einmal tut, ist nicht zu unterschätzen. All diesen Gruppierungen aber ist die Messenger-App Telegram eine digitale Heimat - denn auch wenn die Sicherheitsmaßnahmen auf Facebook und Twitter eher lasch sind, sind sie dort praktisch nicht vorhanden. Dies soll sich jedoch in naher Zukunft ändern - angeblich. Ich persönlich glaube das erst, wenn ich es sehe - denn auch Facebook ist nach wie vor wankelmütig und intransparent, wenn es um die Gemeinschaftsstandards geht. Klar, offensichtliche Falschinformation wird entweder gelöscht oder mit einem Faktencheck versehen - aber ich bin nicht die einzige, die schon Erfahrung mit Sperrungen hatte, für die es keine Erklärung gab, während offen gewalttätige Kommentare stehen blieben, weil sie angeblich gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen. Mein Profil wurde sogar schon eingeschränkt, ohne dass ich es mitbekommen habe - weil ich die betroffenen Funktionen nie genutzt habe. Abgesehen davon, dass Faktenchecks nur dann etwas bringen, wenn diejenigen, an die sie sich wenden, sie auch anerkennen. Und ähnlich wie bei Facebook, so will auch bei Telegram keiner zuständig sein.

Ich muss ehrlich sagen - ich weiß nicht, wie es dieses Jahr weitergehen wird. Aktuell sind wir bei den Infektionszahlen auf einem Höchststand, getan wird dagegen so wenig wie noch nie. Ich hoffe natürlich, dass Professor Drosten Recht hat und wir nach Ende der fünften Welle in eine etwas positivere Zukunft blicken können. Aber eines ist gewiss - wir werden uns mit den Themen, die ich hier angeschnitten habe, auch nach der Pandemie beschäftigen müssen.

vousvoyez

Mittwoch, 12. Januar 2022

Ich bin für die Frauenquote, denn ich will endlich auch mal über alte weiße Frauen schimpfen

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Wie wir wissen, gehen die Meinungen bei Quotenregelungen ja häufig auseinander. Aber es wäre tatsächlich mal eine Überlegung wert, das Feindbild ein wenig von den alten weißen Männern abrücken zu lassen - allein deswegen, damit diejenigen, die sich so gerne in der Opferrolle suhlen, dazu weniger Möglichkeiten haben. Ihr seht es, ich spalte schon wieder die Gesellschaft - auch wenn ich nur die Betreiberin eines kleinen, unbedeutenden Blogs bin, der in den unendlichen Weiten des Internets eine höchst untergeordnete Rolle spielt. Aber augenscheinlich sind all diejenigen, die auf gewisse Problematiken aufmerksam machen, und dazu gehöre ich auch, schuld daran, dass die Gesellschaft sich spaltet - zumindest, wenn es nach denjenigen geht, die Rechtsextremen hinterherlaufen, auf Telegram ihre Gewaltphantasien ausleben und es für "Diktatur" halten, nicht allen anderen ihren Willen aufzwingen zu können. Und das, obwohl wir Geimpften ja eigentlich schon seit September 2021 über den Jordan gegangen sein sollten.

Obwohl es ja jetzt wieder heißt, dass wir binnen fünf Jahren alle tot sein werden. Eine Behauptung, die mich, ehrlich gesagt, ziemlich ratlos zurücklässt - denn warum bringt die böse Elite ausgerechnet die braven, gehorsamen, obrigkeitshörigen Schlafschafe um und lässt die erwachten, selber denkenden, kritischen Rebellen am Leben? Wenn doch abzusehen ist, dass diese mit Sicherheit nicht das tun werden, was die Eliten von ihnen verlangen? Andererseits würde ich, um ehrlich zu sein, eh nicht so gern erleben wollen, dass diese Leute dann übrig bleiben und unsere Welt gestalten sollen. Denn selbst wenn wir "Schlafschafe" es ja angeblich sind, die den Hass auf "Andersdenkende" befeuern, so erkenne ich doch weitaus mehr Hass in einschlägigen Telegram-Gruppen - es war ein Maskenverweigerer und selbst ernannter Freiheitskämpfer, der den jungen Mann an der Tankstelle in Idar-Oberstein erschossen hat, und es war ein Impfverweigerer, der in Königs Wusterhausen sich und seine gesamte Familie ausgelöscht hat, weil er sich der Verantwortung nicht stellen wollte, einen Impfpass gefälscht zu haben. Ehrlich gesagt verstehe ich immer noch nicht, warum so viele das nicht sehen wollen - und ich habe auch schon lange genug von jenen, die allen, die nicht ihre Meinung wiedergeben, Spaltung vorwerfen, dabei aber ihre eigene soziale Verantwortung nicht wahrnehmen wollen; die jenen hinterherlaufen, deren Interesse die Destabilisierung der Demokratie ist, ohne dies erkennen zu wollen; die glauben, man müsse jeden Blödsinn akzeptieren und mit denen man nicht mehr normal reden kann; die anscheinend nicht wissen, was sie wollen, Hauptsache dagegen, und die sofort ausfällig werden, sobald sie keine Argumente mehr haben. Letztendlich sind es doch diejenigen, die sich freiwillig aus dem gesellschaftlichen Konsens zurückgezogen haben, die am lautesten "Spaltung" schreien.

In meinen letzten beiden Artikeln habe ich mich mit rechter Esoterik beschäftigt - mit ihren Ursprüngen sowie mit esoterischen Strömungen während der Zeit des Nationalsozialismus. Ich habe das auch gemacht, um zu zeigen, warum es so wichtig ist, antidemokratischen Ideologien keinen Raum zu lassen: Weil sie jede Gelegenheit nutzen, um anschlussfähig zu werden und sich ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft zu bahnen. Deswegen möchte ich auch an diesem Thema anknüpfen und zeigen, auf  welche Weise Rechtsesoterik bis heute in unserer Kultur verankert ist.

Wie ich ja schon erläutert habe, wurden esoterische Tendenzen in den Jahren vor der Pandemie von vielen nicht mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht. Das liegt vor allem daran, dass vieles, was wir heutzutage unter Esoterik verstehen, lange Zeit mit Hippies und New Age in Verbindung gebracht haben. Dies in Kombination mit den ganzen Blumerln und Engerln gab dem Ganzen so ein nettes, verspieltes, kuscheliges Image, machte es jedoch gleichzeitig auch perfide - und damit gefährlich. Und ich wiederhole es noch einmal: Nicht jeder, der an Glücksbringer oder Pendel glaubt, ist deswegen gleich ein Nazi, und darum soll es auch nicht gehen - ich möchte nur aufzeigen, wie leicht es sein kann, die Grenzen zu einem Weltbild zu überschreiten, das jenem aus dem dunkelsten Kapitel der Geschichte gar nicht mehr so unähnlich ist. So sollte man beispielsweise hellhörig werden, sobald jemand anfängt, von "Lichtwesen" zu schwafeln - denn natürlich wird heutzutage kaum noch jemand von "Rassen" fabulieren, aber dieses Denkschema ist da leider sehr ähnlich, weshalb es an alte Ideologien anschlussfähig ist.

Warum viele Hippies sich damals Alternativreligionen wie der Esoterik zuwandten, ist leicht zu beantworten: Da sie alte Werte in Frage stellten, galt das natürlich auch für die eigene religiöse Erziehung, und da es eben nicht jeder schafft, sich von jeglichem Glauben loszusagen, suchten viele von ihnen ihr Heil in alternativen Glaubensrichtungen. Vor allem fernöstliche Religionen und Philosophien waren für viele von ihnen äußerst attraktiv - was selbsternannte Gurus ausnutzten, um sich in Europa eine goldene Nase zu verdienen. Zu nennen wären hierbei etwa die Spirituelle Erneuerungsbewegung (Transzendentale Meditation) des Maharishi Mahesh Yogi, die vor allem viele prominente Anhänger hatte - junge Berühmtheiten aus Film und Popmusik wie etwa die Beatles, die Beach Boys, Donovan, Clint Eastwood und Mia Farrow strömten zu seinen Meditationskursen nach Indien -, oder auch die Neo-Sannyas-Bewegung eines Bhagwan Shree Rajneesh, welche in den 1980er Jahren jedoch in Ungnade fiel, nachdem einige ihrer Anhänger in Indien wegen diverser Drogen- und Prostitutionsdelikte im Gefängnis landeten, während in den USA einige aus der Kommunenleitung ebenfalls in die Kriminalität abglitten. Außerdem gab es auch Vorwürfe von jenen, die im Umfeld der Neo-Sannyas-Bewegung aufgewachsen waren - es war die Rede von Ausbeutung, der Verabreichung von Psychopharmaka, Gewalt und sexuellem Missbrauch von Minderjährigen. Laut einiger Quellen passten auch einige Aussagen von Bhagwan selbst nicht zu dem friedlichen Happy-Hippie-Image - so soll er genetische Verbesserungen des Menschen, die Tötung von Kindern mit Behinderung und den Ausschluss Homosexueller aus der Gesellschaft befürwortet sowie den Juden eine indirekte Mitschuld am Aufstieg Adolf Hitlers gegeben haben. Ganz allgemein haben bestimmte Kommunen, die im Zuge der Hippie-Zeit gegründet wurden, die Unschuld der Blumenkinder besonders nachhaltig zerstört. Dazu gehört beispielsweise auch die AA-Kommune, die zuerst in der Wiener Praterstraße und dann im südlichen Burgenland residierte und deren Gründer, der Aktionskünstler Otto Muehl, 1991 wegen Kindesmissbrauchs und Verstoßes gegen das Suchtmittelgesetz verurteilt wurde. Noch prominenter ist natürlich die Manson-Familie, die sich Ende der 1960er Jahre um den Möchtegern-Musiker Charles Manson gründete. Dieser scharte im Sommer 1967 eine Gruppe junger Leute um sich, meist Ausreißer mit labiler Persönlichkeit, zum größten Teil Frauen mit oft problematischem familiärem Hintergrund. Diese wurden manipuliert und mit Drogen gefügig gemacht, mit den Morden an der hochschwangeren Schauspielerin Sharon Tate und dem Ehepaar LaBianca machten sie weltweit Schlagzeilen, einige von ihnen sitzen bis heute in Haft, und Manson selbst hatte bis zu seinem Tod immer noch Anhänger. Aber auch ganz allgemein währte der Traum von immerwährendem Frieden und Liebe nicht lang, und das zeigte sich vor allem in der Hippie-Hochburg, Haight-Ashbury in San Francisco, schon sehr früh - schon bald waren dort nicht nur Marihuana und LSD im Umlauf, sondern auch härtere, gefährlichere Drogen, auch die Vermüllung und Verwahrlosung wurden zunehmend zum Problem, und bald griffen Raub und Vergewaltigung um sich. Und obwohl die meisten Geschichtsbücher das Rolling-Stones-Konzert auf dem Altamont Speedway im Dezember 1969, als ein junger Afro-Amerikaner direkt vor der Bühne von Sicherheitskräften erstochen wurde, als das Ende der unschuldigen Hippie-Seligkeit markieren, wurde die Hippie-Kultur bereits zwei Jahre zuvor symbolisch zu Grabe getragen, während die Jugendkultur zunehmend politischer und umstürzlerischer wurde. Trotz alledem hat sich durch Hippies und New Age bei vielen ein falsches Bild von Esoterik etabliert - nämlich das einer versponnen, entrückten, aber harmlosen Weltanschauung. Noch einmal: Das bedeutet nicht, dass alle, die an Esoterik glauben, Nazis sind, aber man sollte doch genau hinsehen, wo Leute sich von den Naturgesetzen und einer evidenzbasierten Sicht auf die Welt entfernen.

Ein prominentes Beispiel ist momentan das Anti-Impf-Thema, welches zur Zeit aus naheliegenden Gründen sehr im Vordergrund steht, das jedoch praktisch schon existiert, seit es Impfungen gibt. Bereits im 19. Jahrhundert, als die ersten Impfungen - gegen Pocken - verabreicht wurden, gab es Leute, die diese ablehnten - häufig aus ähnlichen Gründen wie heute: weil die Erwartungen an die Wirkung zu hoch geschraubt wurden; weil die Angst vor den Nebenwirkungen größer war als die Angst vor den Krankheiten, gegen die geimpft wurde; weil es den religiösen Überzeugungen widersprach; weil "Zwangsimpfen" die Persönlichkeitsrechte einschränken würde ... kommt euch das nicht bekannt vor? Und wie heute, so waren des auch damals hauptsächlich medizinische Laien, die gegen Impfungen wetterten, und ebenso wurde der kausale Zusammenhang mit dem Rückgang der Pockenfälle bestritten, obwohl dieser nach der Einführung der Impfung einsetzte. Die erste gesetzliche Impfpflicht 1874 rief gleichzeitig auch die erste Impfgegnerschaft auf den Plan - die damals stärkste Vereinigung war die sogenannte "Lebensreformbewegung", die eine Rückkehr zur Natur propagierte und Impfungen als Vergiftung des gesunden Körpers betrachtete. Gleichzeitig war auch dieses Thema schon früh antisemitisch aufgeladen, und die Panikmache der Impfung glich ebenso der heutigen - sie war emotional gefärbt, größtenteils irrational und wissenschaftsfeindlich. Im Dritten Reich war die Einstellung zu Impfungen sehr ambivalent: Einerseits wurden sie als Dienst an der "Volksgemeinschaft" propagiert und im Konzentrationslager Buchenwald mit einem Fleckfieberimpfstoff experimentiert, andererseits gab es unter nationalsozialistischen Führungspersönlichkeiten auch Anhänger der Germanischen Medizin, die erklärte Impfgegner waren, so wie Himmler und Heß, die wir ja in meinem vorigen Artikel schon kennengelernt haben. Im Rahmen dessen fiel damals auch häufig der Kampfbegriff "Schulmedizin", der im 19. Jahrhundert von Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, geprägt wurde, der damit abfällig Ärzte bezeichnete, die seinen Hypothesen nicht folgen wollten. Medizinische Fortschritte standen nicht im Einklang mit der Blut-und-Boden-Ideologie der Germanischen Medizin - Heilkunde sollte dem "Volkskörper" dienen, aber Viren und Bakterien, genauso wie die Heilmittel dagegen, kennen weder Nation noch "Rasse". Kein Wunder, dass so viele Nationalsozialisten ein Faible für "Alternativmedizin" hatten - sie wollten der "verjudeten" bzw. "marxistischen" Wissenschaft eine "arische" entgegensetzen, welche auf dem "unverbildeten deutschen Volksgeist" beruhen sollte.

Heute kommt der Begriff "Schulmedizin" ohne das Adjektiv "verjudet" aus - dennoch wird er meist abwertend verwendet, und bis heute trägt die sogenannte "Alternativmedizin" häufig antisemitische Züge, auch wenn ihre eher grün angehauchten, veganen Anhänger solche Unterstellungen natürlich gar nicht gern hören. Dennoch haben ihre eugenische Züge, die man bei den meisten ihrer Ausrichtugen erkennt, unbequem viel mit der damaligen Ideologie gemeinsam: Krankheiten unterstützen Kinder bei der Entwicklung, die Schwachen werden durch die Natur aussortiert - Vulgärdarwinismus in seiner Reinform. Eine Gruppierung, die verhältnismäßig offen antisemitisch argumentiert, sind die Anhänger der Germanischen Neuen Medizin bzw. Germanischen Heilkunde nach Ryke Geerd Hamer, der tatsächlich für insgesamt mehr als 140 unnötige Todesfälle verantwortlich war. Schlagzeilen machte hierzulande der Fall der damals sechsjährigen Olivia Pilhar, die an Nierenkrebs erkrankte und deren Eltern Anhänger Hamers waren. Sie verweigerten eine konventionelle Krebstherapie, woraufhin ihnen das Sorgerecht entzogen wurde, und flohen mit ihrer Tochter nach Spanien; mehrere Wochen später kehrten sie auf Druck der Behörden hin nach Österreich zurück, Olivia wurde mit einer Operation und Chemotherapie behandelt und auch geheilt. Natürlich freut es mich, dass die Kleine erwachsen werden durfte und es ihr anscheinend auch gut geht - was ich allerdings gar nicht verstehen kann, ist, warum ihr Vater immer noch an Hamers Ideologie festhält und sie im Netz propagiert. Tatsächlich behauptet er, dass seine Tochter bereits vor der Operation schon fast geheilt gewesen sei und ist darüber hinaus auch noch Anhänger des "Staatenbundes", sozusagen dem österreichischen Pendant der Reichsbürger. Hamer starb im Jahre 2017 - seine Anhänger behaupten bis heute, Impfungen und Chemotherapien seien ein von Juden initiierter "Holocaust am deutschen Volk" und alle Onkologen seien Juden.

Schon in den Jahren vor Corona war die Impfgegnerschaft wieder im Aufschwung - doch obwohl die Argumentation der aus dem 19. Jahrhundert frappierend ähnlich ist, gibt es doch einen Unterschied: Damals war die Impfung eine neue Entwicklung - heute allerdings sind die meisten schweren Infektionskrankheiten durch den Erfolg der Impfungen nicht mehr so präsent wie noch vor einem halben Jahrhundert. Schon vor 2020 gab es immer mehr übertriebene Panik besonders vor der MMR-Impfung (Mumps, Masern und Röteln), die vor allem Mütter betraf. Erklärte Impfgegner-Mütter sind der Ansicht, es sei nicht nur unnötig, gegen "harmlose Kinderkrankheiten" zu impfen, sondern es sei sogar wichtig für die Entwicklung eines Kindes, diese zu durchleben - immerhin hätte man früher auch nicht geimpft und habe so ein gutes Immunsystem entwickelt, und überdies sei es besser, die Kinder im Dreck spielen zu lassen, um das Immunsystem zu stärken. Was dabei außer Acht gelassen wird, ist allerdings, dass man früher schlicht keine andere Wahl hatte, weil es noch keine Impfungen gab; dass bei jeder zehnten Masern-Erkrankung Komplikationen auftreten; dass Masern das Immunsystem keineswegs stärken, sondern eher schwächen; dass noch Jahre nach der Genesung eine tödliche Gehirnentzündung auftreten kann; und dass unsere Eltern uns zwar im Dreck spielen ließen, uns aber trotzdem beibrachten, auf welche Gefahrenquellen wir achten müssen. Der Grund ist, dass viele dieser Mütter der längst widerlegten Studie von Dr. Andrew Wakefield glauben, der behauptete, die MMR-Impfung löse Autismus aus. Häufig werden auch andere Beschwerden, die damit in keinem Zusammenhang stehen, für Impfschäden erklärt - ich habe sogar schon mitbekommen, dass Eltern versucht haben, Folgen von Kindesmisshandlung als Impfschäden zu verkaufen. Das Problem an der Sache ist, dass es sogar in Gesundheitsberufen, etwa in der Pflege oder Geburtshilfe, Impfskeptiker gibt, die dann gerne die Eltern verunsichern. Und natürlich sind da auch Anhänger von Alternativmedizin, Anthroposophie oder Esoterik an vorderster Front dabei. Auch der "Ungeimpft"-Judenstern war schon vor der Corona-Pandemie in Verwendung, ebenso wie "normale" Impfgegner schon damals Gruppierungen mit faschistischen Tendenzen widerspruchslos in ihren Reihen geduldet haben.

Die Pandemie hat die Impfgegner aktuell noch weiter radikalisiert - auch wenn es aktuell hauptsächlich speziell um die Impfung gegen Covid-19 geht. Hier kommen Wissenschaftsfeindlichkeit, übertriebene Panik vor Impfschäden, Misstrauen gegen Pharmaunternehmen, Medizin und staatliche Einrichtungen zusammen, meistens in Kombination mit Unwissenheit und den irreführenden Medienberichten. Durch ihre Präsenz in den sozialen Netzwerken hat man oft den Eindruck, dass es sich bei dieser kleinen Minderheit um eine Menge handle, die der großen Zahl an Impfbefürwortern gleichrangig gegenüberstehe - vor allem auch, weil die Anti-Impf-Kampagnen häufig viel aufdringlicher sind als die Aufrufe zum Impfen. Generell erfahren wir durch diese Pandemie aber vor allem zwei Dinge: Dass staatliche Grenzen reine Illusion sind, denn ein Virus interessiert das nicht, und dass wir diese Krise wohl nur schwer in den Griff bekommen können, solange es Länder gibt, in denen ein Großteil der Einwohner nicht geimpft ist und das Virus munter weiter mutieren kann.

All diesen Ideologien gemein ist häufig eine Abkehr vom Fortschritt und der "Zurück-zur-Natur"-Gedanke, auch wenn dieser keineswegs nur auf rechter Seite vertreten ist - in ihrer Anfangszeit war das auch eine Intention der Partei Die Grünen, und selbst Leute wie ich, die versuchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten möglichst klima- und menschenfreundlich zu konsumieren, betreten da oft ein Minenfeld. So habe ich kürzlich entdeckt, dass der Beruhigungstee, den ich im Reformhaus gekauft habe, einen "entstörten" Barcode hat. Seit geraumer Zeit glauben viele Esoterikgläubige, dass Strichcodes eine ungesunde Strahlung beinhalten, die durch das Einscannen an der Kassa "Gift" freisetzen und den menschlichen Organismus schwächen. Um dem entgegenzuwirken, waren die Codes in Bio-Läden früher häufig durchgestrichen, inzwischen wurden die aufgedruckten Querbalken aber aufgrund von Kritik durch liegende Achten oder Muster in Form eines Yogis ersetzt. Alternativ kann man in Esoterik-Shops jedoch auch spezielle, viel zu teure Filzstifte zum "Entstören" kaufen, oder man legt die eingekauften Sachen auf einen "Hildegard Orgonakkumulator", ein Brett mit eingeprägten Symbolen, das im Wesentlichen nur aus Glas und mehreren Schichten Eisenblech und Filz besteht, dafür aber mehr als tausend Euro kostet. In Wirklichkeit besteht das Muster eines Barcodes aus ganz banaler Tinte, die auf ganz langweiliges Papier gedruckt ist - durch die Hell-Dunkel-Abfolge kann der Scanner, der aus einem ganz normalen Laserstrahl besteht, Informationen über das Produkt herauslesen. Also absolut nichts Spektakuläres - aber erkläre das mal jemanden, der an diesen Unfug glaubt!

Auch Bioresonanz-Geräte waren in Bioläden eine Zeitlang der letzte Schrei - Bioresonanz ist ebenfalls Teil der Alternativmedizin und soll zur Behandlung diverser Krankheiten dienen, auch solcher, die es gar nicht gibt. Ähnlich wie bei der Homöopathie und anderen Schwurbeleien, so ist auch die Wirksamkeit dieser Methode über den Placebo-Effekt hinaus nicht nachgewiesen. Auch die Biodynamik und die Reformbewegung sind in Bio-Läden oft allgegenwärtig, und sogar der Kopp-Verlag, welcher auf Rechtsesoterik und Pseudowissenschaft spezialisiert ist, hat eine eigene Bio-Produktreihe mit Naturkosmetik, Nahrungsergänzungsmitteln und Pseudo-Medizinprodukten. Aber auch hier sollte man differenzieren - nicht alle Bioladen-Besitzer sind Anhänger rechter Esoterik, viele bedienen einfach nur die vorhandene Nachfrage und wissen möglicherweise selbst nicht genau, welche Ideologie hinter dem steckt, was sie anbieten.

Ebenso sind, wie schon gesagt, auch nicht alle Menschen, die irgendwelche Schrullen haben, automatisch Nazis - im Grunde genommen haben wir das ja alle, und wir alle glauben mitunter an Sachen, die nachweislich falsch sind. Allerdings ist der Schritt, an dem es gefährlich wird, schnell gemacht - etwa, wenn ein nett aussehender Hippie auf YouTube dich, ohne dass du es merkst, in den Kaninchenbau der antisemitischen Narrative führt. Häufig sind es Menschen in Lebenskrisen, die auf diese Weise dorthin gelockt werden - etwa Krebskranke oder deren Angehörige, mit deren Ängsten Geschäfte gemacht werden, häufig sogar von promovierten Ärzten. Generell geschieht die Hinwendung zu Esoterik oder Verschwörungsideologien häufig in Zeiten, in denen Menschen den Kontrollverlust fürchten - sei es in persönlichen oder, so wie jetzt, in gesellschaftlichen Krisen. Einerseits kann man so alles auf eine ominöse höhere Macht projizieren, gleichzeitig wertet man sich selbst auf, indem man sich einbildet, über ein spezielles "Geheimwissen" zu verfügen. Zudem ist es, wenn man einmal an einen Verschwörungsmythos glaubt, viel leichter, an den nächsten zu glauben - aktuell verbindet alle die Impfgegnerschaft, weshalb die Distanzierung von Rechtsextremismus überhaupt nicht mehr stattfindet. Der harte Kern glaubt generell sowieso alles, während antisemitische Narrative oft nicht erkennbar sind - statt dessen wird das Gefühl bestätigt, dass "irgendwas nicht stimmt", und so kommt man neben dem Antisemitismus auch schnell zu anderen Dingen, etwa zur Einwanderung als Waffe, ein besonders ekliges Werkzeug, wie ich finde, weil dies sicher einen großen Teil dazu beiträgt, dass ein nicht unerheblicher Teil der westlichen Bevölkerung es mittlerweile ganz in Ordnung findet, Flüchtlinge an den Grenzen zu verprügeln, Kinder im Dreck schlafen und Menschen im Meer ertrinken zu lassen.

Nun müssen wir uns vor Augen halten, dass Anteile an nationalsozialistischem Gedankengut auch nach 1945 immer noch in der deutschsprachigen Gesellschaft verankert waren und sind. Und angesichts dessen, was ich schon erörtert habe, ist es nicht verwunderlich, dass sich diese früher oder später wieder mit der Szene der Alternativmedizin-Befürworter verbunden hat. Interessant ist ja auch, dass Homöopathie in Indien als traditionell-spirituelle Verbindung zu Deutschland verstanden wird sowie als Gegenentwurf zur britischen Kolonialmedizin. Generell ist all diesen Denkstrukturen ein dualistischer Ansatz eigen: Gut gegen böse, künstlich gegen natürlich; die Suche nach Gründen von Dingen, die geschehen, ist allerdings ein menschliches Grundbedürfnis, und auch die Algorithmen auf Facebook und YouTube fördern das Abrutschen in den Verschwörungsglauben. Häufig erkennt man bei jenen, die tendenziell eher an Verschwörungsmythen glauben, einen Mangel an Medienkompetenz, der verhindert, dass Menschen sich mit der Verlässlichkeit ihrer Quellen befassen, außerdem sind diese Vorträge und Demos für viele auch ein Gemeinschaftserlebnis, so dass nicht die Fakten, sondern die Funktion entscheidet. Die Art und Weise, wie Menschen die Welt sehen, hängt oft auch von ihrer Angst vor Kontrollverlust ab - das Gefühl von Fremdbestimmung ab, der Glaube, von fremden Mächten gesteuert zu werden, ist ein Indiz dafür, dass so ein Kontrollverlust mit der Suche nach Verantwortlichen einhergeht. Prinzipiell gehört Kontrolle zu den Grundbedürfnissen des Menschen - das ist auch der Grund, warum es für uns beispielsweise weniger schlimm ist, uns selbst Schmerzen zuzufügen, als wenn ein anderer das tut. Das Perfide bei Schwurbelmedizinern ist, dass sie einerseits schwer erkrankten Menschen einreden, dass sie selbst schuld an ihrer Erkrankung sind, während sie gleichzeitig Menschen, die zufällig eine schwere Erkrankung überlebt haben, als Marketingstrategie benutzen, obwohl sei sie selbst nichts dazu beigetragen haben: Jeder "Erfolg" der Alternativmedizin wird als Beweis gewertet, jeder Misserfolg nennt sich "Erstverschlimmerung". Zu Anhängern von Hamers Lehre gehört etwa auch Ruediger Dahlke, der einerseits behauptet, der antisemitische Teil fehle in seiner eigenen Lehre, andererseits aber auch auf Corona-Demos Reden hält.

Ein besonders perfides Beispiel für Rechtsesoterik ist die Familienlandsitzbewegung bzw. Anastasia-Bewegung. Sie bezieht sich auf eine Buchreihe des russischen Autors Wladimir Megre und propagiert die Aussteiger-Kultur bzw. die Rückkehr zur Natur. Protagonistin dieser furchtbar kitschigen Romane ist eine junge Frau, die auf den Covers nach "arischem" Schönheitsideal auch immer mit langen blonden Haaren dargestellt wird und die allein auf einer Waldlichtung in der sibirischen Taiga lebt. Ihre Darstellung offenbart ein extrem patriarchalisches Bild von Weiblichkeit mit Idealen wie Sanftmütigkeit und Reinheit - die Bücher sind voll von antisemitischen Verweisen und rechten Idealen, die Rede ist von einer jüdischen Weltverschwörung, propagiert wird eine Abkehr von der modernen Welt, insgesamt handelt es sich um eine in esoterischem Kitsch verpackte Blut-und-Boden-Ideologie in Verbindung des Vedisch-Indischen mit dem Russisch-Nordischen ("Wedrussisch"). Die Familienlandsitzbewegung ist derzeit die größte Sekte in Russland, hat sich aber auch schon in den deutschsprachigen Raum ausgebreitet. Ihre Anhänger spielen die Szenerien in dem Buch nach, betreiben Stadtflucht und lassen sich in dünn besiedelten Gebieten nieder. Dort werden die rechtsradikalen Tendenzen meist nich tsofort erkannt, denn die Leute sind meistens jung und wirken wie freundliche Hippies, die auch sehr engagiert sind - sie initiieren soziale Projekte und tun praktisch alles, um ihre wahre Gesinnung zu verbergen. dies bewirkt, dass sie in diesen Gegenden allmählich immer präsenter werden; sie leben autark, sind aber knallharte Antisemiten und Rassisten, die Umsturzphantasien frönen. Dass ihre Ideologie so anschlussfähig ist, macht sie gefährlich, da vor allem Reichsbürger und andere Verschwörungsgläubige sehr anfällig für sie sind.

Auch andere rechtsextreme und rechtsesoterische Bewegungen haben sich in den letzten Jahrzehnten alle Mühe gegeben, anschlussfähig zu werden - und das leider nicht ohne Erfolg. Ich habe ja in meinem letzten Artikel die Schwarze Sonne erwähnt, die gerne anstelle des Hakenkreuzes verwendet und von vielen bis heute nicht als rechtsradikales Symbol erkannt wird. Aber auch andere Erkennungszeichen sind für Außenstehende oft nicht sofort zu entschlüsseln, zumal sie nicht ausschließlich von Rechten verwendet werden. Dazu gehört beispielsweise der Thorshammer oder Mjölnir aus der germanischen Mythologie; der ebenfalls germanische Wotansknoten oder Valknut; das Keltenkreuz, welches auch in der White-Power-Bewegung in den USA verwendet wird; die Triskele, die auch im Ku-Klux-Klan genutzt wird und das Erkennungszeichen der "Afrikaaner Weerstandsbeweging" war, welche für die Apartheid in Südafrika kämpfte; die stilisierte Darstellung es Reichsadlers, wenn auch ohne das in den Fängen gehaltene Hakenkreuz; das Eiserne Kreuz, das schon vor seiner Verwendung im Dritten Reich eine lange Tradition im Preußischen Militär hatte; Hammer und Schwert als Symbol von Soldaten und Arbeitern; einige Runen, deren Bedeutung im rechtsextremen Kontext reine Interpretation ist, wie etwa die Tiwaz-Rune, die Odal-Rune, die Lebens- bzw. Todesrune oder auch die Siegrune, die dem lateinischen S ähnelt. Daneben wurden aber auch neue Symbole etabliert, etwa der griechische Buchstabe Lambda in Gelb auf schwarzem Grund im gelben Kreis, welcher als Erkennungszeichen der Identitären Bewegung dient, oder aber auch das von Heiko Schrang so genannte "Zeichen der Wahrheit", ein Punkt in einem Kreis. Im Zuge der US-Präsidentschaftswahl wurde aber auch die von Matt Furie gezeichnete Comicfigur Pepe der Frosch häufig von der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung als Meme verwendet, obwohl sich der Zeichner klar von deren Ideologie distanziert.

Generell ist Esoterik in unserer Gesellschaft sehr tief verankert und wird oft unterschätzt; in jeder Mädchen- und Frauenzeitschrift findet man  Tarotkarten, Pendel und Horoskope, während Jungs sich eher mit Aliens und UFOs befassen. Das wird als "normal" empfunden, wobei seriöse Ufologen sich immer wieder von der rechten Szene distanzieren müssen, die ihren Bereich unterwandern wollen. Häufig wird auf die Verletzlichkeit der Menschen gebaut, neben tödlichen Krankheiten sind das oft Schwangerschaften, wo alles gemacht wird, was nicht unmittelbar zum Schaden gereicht. Es gibt Menschen, denen es leicht fällt, zu glauben und die eher zur Esoterik neigen - viele wollen auch glauben und nicht zweifeln, und natürlich kann Glaube auch eine Ressource sein, die Sicherheit gibt. Manche Leute kommen nicht mit Ungewissheit klar, und wer auf alles eine Antwort haben will, dem wird die Wahrheit nicht genügen. Ersichtlich wird das etwa in der Alternativmedizin, die gespickt ist mit Vorurteilen gegenüber allem, was als "mächtig" wahrgenommen wird, wie etwa die Pharmafirmen. Das bedeutet jedoch nicht, dass gläubige Menschen automatisch der Esoterik zugewandt oder wissenschaftsfeindlich sind. Das Schwierige ist, dass auch hier die Grenzen oft fließend sind - da kann ich, die ich katholisch erzogen wurde, mit Heiligenbildchen, Reliquien und Engelchen, ein Liedchen davon singen.

Abschließend kann man feststellen, dass es mittlerweile mehr ins kollektive Bewusstsein vorgedrungen ist, dass Rechtsextremismus und Esoterik nicht zwangsläufig einen Widerspruch darstellen, sondern dass häufig eher das Gegenteil der Fall ist - etwas, das vor der Pandemie häufig nicht geglaubt wurde. Die aktuelle Tendenz zu Verschwörungsideologien ist eine toxische Kombination aus dem Leidensdruck von Teilen der Bevölkerung sowie Leuten, die diesen ausnutzen, um Macht zu erlangen. Und da rechte Propaganda Geld kostet, wird sie häufig durch den Verkauf von Esoterikprodukten finanziert - wir sehen das beispielsweise bei prominenten Schwurblern wie Attila Hildmann oder Michael Wendler, die ihren Lebensunterhalt inzwischen hauptsächlich mit Prepper- oder Esoterik-Artikeln bestreiten. Die meisten Verschwörungsgläubigen sind auch deswegen so schwer zugänglich, weil es ihnen nicht um Fakten geht, sondern um ihre Identität - viele von ihnen definieren sich bereits über ihren "Aktionismus"; wenn sie diesen also in Frage stellen, müssten sie sich selbst in Frage stellen. Deshalb sollten wir uns auch von den Spaltungs-Vorwürfen nicht irre machen lassen - man muss nicht jedem zuhören, man muss nicht alles verstehen und man muss nicht auf jeden Unsinn eingehen. Ich hoffe, euch hat dieser Exkurs in die Welt der Rechtsesoterik gefallen - wir lesen uns bald wieder, und ich hoffe, dass ihr bis dahin gut auf euch aufpasst. Bon voyage!

vousvoyez

Freitag, 7. Januar 2022

Natürlich lügen die Sterne nicht - sie können ja auch nicht reden

Photo by Jannis Edelmann on Unsplash
Es sei denn, man glaubt an Astrologie - was ich bekanntermaßen nicht tue. Und wie gesagt - ich habe kein Problem damit, wenn jemand anders es tut. Was ich allerdings gar nicht leiden kann, ist, wenn jemand versucht, mir seinen Glauben aufzuzwingen. Oder wenn dieser das Leben anderer beeinträchtigt - so wie die aktuell häufig stattfindenden Demos von Corona-Leugnern und Impfgegnern. Bekanntlich habe ich die immer weiter voranschreitende Radikalisierung dieser Leute zum Anlass genommen, mich mit rechtsesoterischen Strömungen auseinanderzusetzen - im letzten Artikel habe ich mich den Wurzeln rechter Esoterik gewidmet, diesmal möchte ich mich mit esoterischen Strömungen im Nationalsozialismus auseinandersetzen.

Wie schon angemerkt, hatte Hitler mit Esoterik nicht allzu viel am Hut - in seinem Werk Mein Kampf  hatte er nur Spott für sie übrig, und auch sonst war ihm nicht daran gelegen, eine germanische Alternativreligion zu begründen. Natürlich war er fasziniert von Mythen wie etwa dem von Parzival, allerdings war er wohl eher an der Oper interessiert. Manche derart gelagerte Gruppierungen erfuhren zwar in der Anfangszeit des Nationalsozialismus eine gewisse Duldung, und die eine oder andere hatte durchaus auch Einfluss, aber nach der Machtübernahme wurden jedoch all diese Bündnisse verboten, da Hitler sie als "Sekten" begriff. Nach aktuellen historischen Erkenntnissen hatten die damals existierenden okkulten Gruppierungen ganz allgemein nur wenig Einfluss auf Hitler und die NSDAP. Dennoch gab es auch in seinem innersten Kreis Personen, die eine Affinität zur Esoterik hatten, auch wenn dies eher Einzelfälle waren. Zu ihnen gehörte etwa Reichsinnenminister Heinrich Himmler, der sich mit Okkultismus und östlichen Religionen beschäftigte. Er ließ sich von dem Ariosophen Karl Maria Wiligut beraten, der von sich behauptete, Hellseher zu sein, und begründete die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe, welche sich hauptsächlich damit beschäftigte, die vermeintliche Überlegenheit der "arischen Rasse" gegenüber allen anderen ethnischen Gruppen wissenschaftlich zu legitimieren. Diese finanzierte die Expedition nach Tibet 1938/39 unter der Leitung von Ernst Schäfer, welche sowohl der Suche nach kälteresistenten Getreidesorten und einer robusten Pferderasse für die Kriegswirtschaft als auch nach mutmaßlichen Restbeständen ur-arischer Populationen gewidmet werden sollte. Auch Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, ein fanatischer Anhänger des Führerkultes, suchte regelmäßig Rat bei Astrologen und Hellsehern. Seine und Himmlers Neigungen zur Esoterik waren in Hitlers innerstem Kreis jedoch Ausnahmen und wurden als Privatvergnügen gehandhabt - auch extreme Ausprägungen esoterisch-völkischen Gedankenguts wie etwa die Ariosophie hatten nur oberflächlichen Einfluss auf den Nationalsozialismus.

Eine Gruppierung, um die sich bis heute zahlreiche Verschwörungsgeschichten ranken, ist die 1918 von Rudolf von Sebottendorf gegründete Thule-Gesellschaft. Wie Jörg Lanz von Liebenfels und Guido von List, so hatte auch Sebottendorf einen gefälschten Adelstitel - in Wirklichkeit hieß er Rudolf Glauer und war der Sohn eines Lokomotivführers. Er fuhr mehrere Jahre zur See und kam so mit Okkultismus in Berührung, aber auch mit Sufismus, islamischer Mystik, Theosophie und Theozoologie. In seinen nicht sehr zuverlässigen Memoiren Bevor Hitler kam behauptete er, in Istanbul eine mystische Loge gegründet zu haben; während des Ersten Weltkriegs kehrte er nach Deutschland zurück und heiratete die Tochter eines reichen Kaufmanns, von deren Vermögen er fortan lebte. Außerdem trat er dem völkischen Germanenorden bei, der sich jedoch 1916 auflöste. Zusammen mit den verbliebenen Münchner Mitgliedern gründete er schließlich in dem Luxushotel Vier Jahreszeiten einen Ableger des Ordens, die Thule-Gesellschaft, benannt nach der sagenhaften Insel Thule. Die Mitglieder waren hauptsächlich Aristokraten, Akademiker und Geschäftsleute, man beschäftigte sich auch mit Ariosophie und nordischer Mythologie - in der Hauptsache war die Thule-Gesellschaft aber eine politische Bewegung.

Haupttätigkeit der Thule-Gesellschaft war vor allem antisemitisch geprägte Propaganda - "der Jude" wurde als "Todfeind" inszeniert, die unruhigen Zustände innerhalb der Münchner Räterepublik auf eine "jüdische Weltverschwörung" zurückgeführt. Ziel dieser Organisation war die Vertreibung aller Juden aus Deutschland und die Errichtung einer Diktatur - Ministerpräsident Kurt Eisner wurde als Landesverräter und Zerstörer bayerischer Traditionen diffamiert. Publiziert wurde über den Münchner Beobachter, welcher 1920 von der NSDAP okkupiert und in Völkischer Beobachter umbenannt wurde. Der Kampfbund Thule, militärischer Zweig der Thule-Gesellschaft, beteiligte sich ab 1918 an den Vorbereitungen eines Staatsstreich, einen Entführungsversuch Eisners sowie mehreren Gewalttaten. 1919 wurde Eisner von einem ehemaligen Mitglied der Thule-Gesellschaft ermordet - Anton Graf von Arco auf Valley war aufgrund seiner jüdischen Mutter aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden und wollte mit dem Mord seine nationale Gesinnung unter Beweis stellen. Thule-Aktivist Karl Harrer war außerdem Gründungsmitglied der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), die 1920 zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wurde. Im April 1919 wurden etwa zwanzig Mitglieder der Thule-Gesellschaft im Hotel Vier Jahreszeiten von der räterepublikanischen Militärpolizei festgenommen, sieben von ihnen wurden vier Tage später im Luitpold-Gymnasium erschossen.

Das gewaltsame Ende der Münchner Räterepublik brachte auch den Zerfall der Thule-Gesellschaft mit sich - Sebottendorf zog sich aus der Organisation zurück, nachdem er dafür verantwortlich gemacht worden waren, dass die Militärpolizei an Mitgliederlisten gekommen war. 1925 war sie auf weniger als 20 Mitglieder geschrumpft und wurde mangels Unterstützung aufgelöst. Es gab mehrere vergebliche Versuche einer Neugründung, zuletzt 1933 von Sebottendorf selbst; nachdem er jedoch sein Buch veröffentlicht hatte, indem er sich selbst eine Vorreiterrolle der Nationalsozialisten zuteilte, wurde dieses verboten. Er selbst wurde 1934 kurzzeitig inhaftiert und anschließend aus Deutschland abgeschoben. Danach verliert sich seine Spur.

Nach dem Zweiten Weltkrieg rankten sich immer mehr Mythen, Spekulationen und Verschwörungsmärchen um die Thule-Gesellschaft. Zum Teil waren daran Sebottendorfs Memoiren nicht ganz unschuldig, wurde darin ihr Einfluss auf den Nationalsozialismus doch deutlich übertrieben. Die französischen Autoren Louis Pauwels und Jacques Bergier behaupteten in ihrem Buch Le matin des magiciens (dt. Aufbruch ins Dritte Reich) aus dem Jahr 1960, Hitler sei an die Macht gekommen, weil zwei Mitglieder der Thule-Gesellschaft ihm ihre Kenntnisse über okkulte Kräfte übermittelt hätten. Hinweise dafür gibt es außerhalb des Buches jedoch nicht, weshalb diese Behauptung als reine Fiktion betrachtet wird. Dietrich Bronder wiederum behauptet in seinem 1964 publizierten Buch, das wie Sebottendorfs Memoiren den Titel Bevor Hitler kam trägt, die Thule-Gesellschaft habe geheime Verbindungen zu geheimen Klosterorden in Tibet gepflegt. Trevor Ravenscroft ging in The Spear of Destiny (dt. Der Speer des Schicksals) von 1972 sogar so weit, zu behaupten, die Thule-Gesellschaft habe Juden und Kommunisten in satanischen Ritualen geopfert. All dies ist mit Sicherheit reine Fiktion, zumal es für all diese Behauptungen keine Belege gibt - allerdings gab und gibt es natürlich durchaus rechtsextreme Gruppierungen nach dem Zweiten Weltkrieg, die "Thule" in ihrem Namen führten. Zu ihnen gehört etwa das 1980 gegründete Thule-Seminar oder auch das nicht mehr existierende Thule-Netz.

Im Gegensatz zur Thule-Gesellschaft gibt es für die Existenz einer Vril-Gesellschaft keinerlei historischen Beleg - trotzdem ist sie Gegenstand zahlreicher verschwörungsideologischer und pseudohistorischer Texte, die behaupten, sie habe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich existiert. Der Begriff "Vril" tauchte jedoch bereits 1871 erstmals auf - und zwar in Edward Bulwer-Lyttons Roman The Coming Race (dt. Das kommende Geschlecht). Darin ist von den Vril-Ya die Rede, einer unterirdischen Menschenrasse, die über eine psychische Vitalenergie verfügen, welche sie Normalsterblichen weit überlegen macht - diese Energie wird "Vril" genannt. Dieser Begriff wurde in der Folge von okkultistischen Autoren, darunter auch Blavatsky, übernommen, die damit angeblich real existierende, geheime Naturkräfte bezeichnen, welche nur durch Magie genutzt werden könnten. Um die Jahrhundertwende versuchten Okkultisten und Spiritisten, der sich rasant entwickelnden Wissenschaft und Technik, die vielen Menschen Angst machte, eine ihnen ebenbürtige Lehre über die Beherrschung irdischer und kosmischer Kräfte entgegenzusetzen - bis in die 1930er Jahre hinein erlebten sie einen großen Aufschwung, das "Vril"-Konzept ging dabei mit dem Wunsch der Vereinigung von Wissenschaft und Spiritualität einher. Dass Bulwer-Lytton eigentlich nur einen Unterhaltungsroman geschrieben hatte und auch gar keine anderen Absichten hatte, wurde in diesen Kreisen nicht berücksichtigt.

Die Legende einer Vril-Gesellschaft geht darauf zurück, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg mindestens einen Privatzirkel gab, dessen Mitglieder sich ausschließlich mit der "Vril"-Kraft beschäftigten. Dies schrieb der deutsche Raketenpionier Willy Ley 1947 in dem Magazin Astounding Science Fiction in einem Artikel, in dem er zu erklären versuchte, warum der Nationalsozialismus in Deutschland so erfolgreich war, und dies auf die große Popularität irrationaler Überzeugungen in der Zeit vor dem Krieg zurückführte. Tatsächlich gab es einen okkulten Zirkel namens Reichsarbeitsgemeinschaft "Das kommende Deutschland" (RAG), welche 1930 zwei kleinere Pamphlete veröffentlichte; eines trug den Titel "Vril" - Die kosmische Urkraft - darin behauptete die RAG, sie verfüge über eine Technik, welche dazu geeignet sei, die "Vril"-Kraft zu nutzen. Der Inhalt dieser Schrift ist fast identisch mit dem einer Broschüre zweier österreichischer Autoren, in welchem ein Perpetuum mobile beschrieben wird, das der österreichische "Erfinder" Karl Schappeller erfunden haben soll, was darauf schließen lässt, dass vor allem dessen Fans an dem Pamphlet der RAG mitgewirkt haben - namentlich ist nur ein gewisser Johannes Täufer erwähnt, über den jedoch nichts bekannt ist und dessen Name mit Sicherheit ein Pseudonym ist.

Die Existenz einer angeblichen "Vril-Gesellschaft" wurde erstmals in Le matin de magiciens behauptet - diesem Buch zufolge sei sie eine wichtige NS-Organisation gewesen. Dabei bezogen die Autoren sich auf Leys Artikel, obwohl ihre Beschreibung nur oberflächlich Ähnlichkeit mit der Sekte hatte, über die er geschrieben hatte - weitere Belege für ihre Behauptungen gibt es aber nicht. Dennoch inspirierten sie andere Autoren zu eigenen Spekulationen über die Rolle dieser ominösen "Vril"-Gesellschaft, aber auch diese beruhen nicht auf nachgewiesenen Fakten. 1992 verknüpften zwei Autoren aus der Tempelhofgesellschaft die Legende von der "Vril"-Gesellschaft in ihrer Schrift Das Vril-Projekt mit dem noch älteren Mythos der Reichsflugscheiben und der des außerirdischen Volks der Aldebaraner. Einen größeren Leserkreis erreichte diese Geschichte allerdings durch den Rechtsesoteriker Jan Udo Holey, der 1993 unter dem Pseudonym Jan van Helsing das Buch Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert veröffentlichte. Auch andere Autoren beschrieben in ihren Publikationen verschiedene Variationen dieser Legende - handfeste Belege für die Existenz einer einflussreichen "Vril"-Gesellschaft gibt es aber, wie gesagt, bis heute nicht.

Die Tempelhofgesellschaft, welche nachweislich Verbindungen zum deutschsprachigen rechtsextremen Netzwerk pflegte, beschäftigte sich jedoch nicht nur mit der "Vril"-Gesellschaft, Reichsflugscheiben und Aldebaranern, sondern auch mit den Ursprüngen der Deutschen und dem Konzept der Schwarzen Sonne. Dieses Symbol, das seit den 1990er Jahren zu den Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene gehört, hat als Vorlage ein Ornament, welches von Zwangsarbeitern des Konzentrationslagers Niederhagen in die Mitte des Marmorbodens des Obergruppenführersaals im Nordturm der Wewelsburg in Form von Mosaiksteinen eingesetzt wurde. Diese in der Renaissance errichtete Burg befindet sich in der Stadt Büren im Kreis Paderborn, Nordrhein-Westfalen und wurde von 1934 bis 1945 von der SS genutzt, wobei das Gebäude teilweise umgestaltet wurde. Himmler plante, daraus ein SS-Schulungszentrum zu machen, letztendlich wurde es zu einem Versammlungsort für die SS-Gruppenführer. Leitender Architekt der Umbauarbeiten war Hermann Bartels; Karl Maria Wiligut hatte jedoch erheblichen Einfluss auf die Innenausstattung, die von etlichen pseudogermanisch anmutenden Verzierungen geprägt war - so auch das dunkelgrüne Sonnenrad im Obergruppenführersaal, das wohl auf die "germanische Licht- und Sonnenmystik" hinweisen soll. Okkulte Rituale fanden hier jedoch wohl eher nicht statt. Dennoch hat die Schwarze Sonne bereits seit den 1950er Jahren vielfach das Symbol des inzwischen verbotenen Hakenkreuzes ersetzt.

Das Swastika oder Hakenkreuz, das wir heute als Symbol des Nationalsozialismus kennen, wurde ebenfalls schon zuvor von der Thule-Gesellschaft genutzt - hier in Kombination mit einem Strahlenkranz und einem Schwert mit blanker Klinge. Nun wissen wir ja, dass die Swastika keineswegs eine Erfindung aus damaliger Zeit gewesen ist - das älteste bekannte Hakenkreuz-Symbol stammt aus dem Jahre 10.000 v. Chr. Diese Zeichen wurden in verschiedenen Kulturen des Altertums in Asien und Europa, manchmal auch in Afrika und Amerika, immer wieder einmal gefunden, ihre Bedeutung ist jedoch nicht einheitlich - im Hinduismus, Jainismus und Buddhismus werden sie bis heute als Glückssymbole verwendet und haben mit den heraldischen Hakenkreuzen in Europa nichts zu tun. Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Swastika zum Zeichen der angeblichen "arischen" Rasse verklärt, und so wurde sie zur NS-Zeit zum zentralen Bestandteil der Flagge des Dritten Reichs. Seit damals repräsentiert es in unseren Breiten Ideologie, Gewaltherrschaft und Verbrechen des Nationalsozialismus, weshalb es heutzutage nur noch zu Aufklärungszwecken verwendet werden darf. In meiner Jugend waren sie sogar im antifaschistischen Kontext verboten, etwa in durchgestrichener Form - bis dieses Verbot im Jahre 2007 aufgehoben wurde. Heute wird das Hakenkreuz durch verschiedene andere Symbole ersetzt, aber darauf möchte ich erst im nächsten Artikel näher eingehen.

Eine bekannte Figur im Zusammenhang mit Verschwörungsmythen, die sich um die Zeit des Nationalsozialismus drehen, war der 2014 verstorbene deutsche Rechtsesoteriker Axel Stoll, der mit seinen unfreiwillig komischen YouTube-Videos bekannt geworden ist. Der studierte Geologe organisierte seit 2002 zusammen mit zwei anderen die sogenannten Neuschwabenlandtreffen, einen Stammtisch aus Verschwörungsideologen, Antisemiten und Geschichtsrevisionisten, welche später auch auf der Videoplattform übertragen wurden und von den meisten als bizarre Realsatire wahrgenommen wurden. Außerdem hatte Stoll diverse Auftritte in Fernsehsendungen und Dokumentarfilmen. Er fabulierte über die angebliche technologische Überlegenheit des Dritten Reiches und vertrat exotische oder veraltete Positionen in Naturwissenschaft und Technik - so sprach er des Öfteren von ominösen Wesenheiten, die angeblich in der Hohlerde leben, sowie einem deutschen Weltraumprogramm zur Zeit des Nationalsozialismus mit sogenannten Reichsflugscheiben, die im wesentlichen fliegende Untertassen sind. In dessen Rahmen habe mit Nikola Tesla eine Expedition zum Pluto stattgefunden. Außerdem gehörte er zu jenen, die glauben, die Nazis hätten um 1945 die dunkle Seite des Mondes besiedelt, die Mondlandung der Amerikaner anzweifeln und das AIDS-Virus leugnen.

Einen Auftrieb für Verschwörungsmythen zur Zeit des Nationalsozialismus lieferten natürlich auch Filme - etwa Jäger des verlorenen Schatzes von Steven Spielberg und George Lucas aus dem Jahre 1981, der erste Teil der Indiana-Jones-Reihe. Darin erhält Indiana Jones den Auftrag, die verschollene Bundeslade zu finden, bevor Hitler es tut - dem Mythos nach soll eine Armee mit der Lade an ihrer Spitze unbesiegbar sein. Ebenso beliebt ist Timo Vuorensolas Science-Fiction-Komödie Iron Sky aus dem Jahre 2012, in dem eine Gruppe von Astronauten bei einer Mondlandung auf die Nachfahren von 1945 auf den Mond geflohenen Nationalsozialisten trifft. Der Film nimmt Bezug auf die Verschwörungsmythen um die Reichsflugscheiben und Neuschwabenland.

Wie ihr also seht, gibt es eine Menge Mythen um angeblich okkulte Nazis, aber keine Beweise dafür, dass mehr als nur Einzelpersonen innerhalb der nationalsozialistischen Riege der Esoterik zugewandt waren. In meinem nächsten Artikel werde ich mehr Bezug auf die Gegenwart nehmen - bis dahin hoffe ich, dass ihr alle gesund bleibt und nichts anstellt. Bon voyage!

vousvoyez

Sonntag, 2. Januar 2022

Ist eine chinesische Katze eigentlich Miaoist?

Photo by petr sidorov on Unsplash 
Vielleicht sollte man da einmal die ganzen Winkekatzen (Maneki-neko) fragen, die gefühlt in jedem zweiten Haushalt herumstehen - auch wenn das keine chinesischen, sondern japanische Figuren sind und da ja doch ein erheblicher Unterschied besteht. Aber wenigstens sind sie näher an China als wir. Ein weiterer Beweis, dass die Katzen die Weltherrschaft an sich gerissen haben - sie stehen nicht nur mit den Chinesen in Verbindung, sie haben uns auch noch dazu gebracht, hässliche winkende Ebenbilder von ihnen in die Wohnung zu stellen, in dem Glauben, sie brächten uns Glück. Wahrscheinlich sind aber zumindest die mechanischen Winkekatzen in Wirklichkeit nur dazu da, damit die Katzen uns ausspionieren können. Das sollte man mal all jenen erzählen, die momentan gerade auf die Straße rennen, um für ihre "Freiheit" zu kämpfen. Oder besser nicht - wer weiß, auf was für Ideen die sonst kommen.

Mittlerweile scheint es ja bereits zur neuen Normalität zu gehören, dass eine gewisse Klientel jedes Wochenende maskenlos und laut brüllend durch die Hauptstadt marschiert und all jene tyrannisiert, die eigentlich nur in Ruhe einkaufen oder sonst etwas erledigen wollen. Und nein, das habe ich nicht ausschließlich aus den bösen Systemmedien - mittlerweile habe ich mit mehreren Leuten gesprochen, die sich am Wochenende nicht mehr in die Innenstadt trauen bzw. ihren Kindern nicht mehr erlauben, da hinzugehen. Sprich, normale Menschen dürfen sich nicht mehr sicher fühlen, weil man lieber ein paar Schreihälsen das Feld überlässt - die behaupten, für die Freiheit zu kämpfen, dabei aber all jenen, die nicht mit ihnen mitlaufen wollen, diese Freiheit nehmen. Ich wünsche mir, dass das wenigstens im neuen Jahr anders wird.

Ja, 2021 ist zu Ende - und es hat uns leider nicht die erhoffte Erleichterung verschafft, ganz im Gegenteil. Und vom neuen Jahr wird nicht allzu viel Gutes erwartet, rollt doch schon die nächste Infektionswelle  mit Karacho heran - und zumindest hier in Österreich will von den Verantwortlichen niemand etwas davon wissen, weil Skifahren und die Wirtschaft über alles gehen. Und das, obwohl bereits vor möglichen Ausfällen der kritischen Infrastrukturen gewarnt wird. Aber in der Bevölkerung scheint sich so eine Art "Wurschtigkeit" eingeschlichen zu haben - wer die Pandemie ernst nimmt, achtet nach wie vor darauf, die Regeln so gut es geht einzuhalten, während alle anderen tun, was sie wollen. Und ständig hat man irgendwelche Diskussionen mit jenen, die nach wie vor die komplette Aufhebung aller Maßnahmen fordern, weil sie die Warnungen für übertrieben halten oder die Pandemie gar für erfunden. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang übrigens, dass sogar Leute, die ich eigentlich für gescheiter gehalten hätte, die "Diffamierung" der Demonstranten beklagen, weil da ja nicht nur Nazis mitmarschieren, sondern auch "ganz normale Leute". Und mir drängt sich die Frage auf, ob diejenigen, die so etwas ernsthaft für ein Argument halten, die letzten 30 Jahre unter einem Stein gelebt haben - eigentlich sollte doch mittlerweile jeder kapiert haben, dass die Zeit, in der Neonazis mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln aufmarschierten, schon lange vorbei ist und dass viele von ihnen inzwischen die Outfits und Symbole ursprünglich linker oder sogar linksradikaler Bewegungen übernommen haben. Ganz abgesehen davon, dass ich persönlich die hohe Anzahl von "normalen Leuten" eher alarmierend finde - denn damit werden auch rechtsextreme Ideologien immer mehr normalisiert und legitimiert. Noch einmal zur Erinnerung: Es war die Duldung der "normalen Leute", die den Nationalsozialisten letztendlich zur Macht verhalf.

Ein wesentlicher Unterschied zu damals ist allerdings, dass der Nationalsozialismus in den 1930er Jahren jede individuelle Ausdrucksform unterdrückte, indem er die völlige Unterwerfung gegenüber dem Kollektiv verlangte. Heutzutage wird die absolute Freiheit des Individuums verlangt, auch auf Kosten des Kollektivs - so sehr, dass diese Forderungen schon eugenische Züge tragen: Man propagiert die Freiheit der "Gesunden" und stellt dafür das Recht der "Schwachen" auf Leben in Frage. Das weckt durchaus unangenehme Assoziationen mit dem Narrativ des "gesunden Volkskörpers". Und ja, tatsächlich ist ein wesentliches Merkmal faschistischer Gruppierungen - womit die Brücke zur Vergangenheit wieder geschlagen ist - alles zu verachten, was als "schwach" klassifiziert wird. Da erkennt man schon daran, wie über die moderne Gesellschaft hergezogen wird: Diese sei "verweichlicht", "hysterisch", "dekadent", "unmännlich" - und so wird auch der Umgang mit der Pandemie als symptomatisch für diese "panische" Gesellschaft gesehen. Denn egal, wie ernst man das Virus nimmt, es ist auf keinen Fall eine Option, sich nach den "Schwachen" zu richten. Und hier zeigt sich die faschistische Grundhaltung: Das Schwache ist nicht schützenswert, und in einer Gesundheitskrise haben diejenigen, die besonders gefährdet sind, eben Pech gehabt. Und diese Einstellung ist brandgefährlich - denn das wird nach Corona nicht einfach aufhören. Und es schockiert mich, dass auch Menschen, die ich bisher eigentlich als friedliebend und empathisch wahrgenommen habe, sich selbst dieser Narrative bedienen, wenn auch manchmal in etwas abgemilderter Form.

Überraschend ist für manche auch, dass unter diesen "normalen Leuten" auch immer wieder tanzende, singende, klatschende, trommelnde und meditierende Leute zu finden sind, die eher esoterisch angehaucht zu sein scheinen und von ihrem Kleidungsstil her mehr an Hippies erinnern. Das sind auch diejenigen, die häufig als Argument herangezogen werden, warum es sich bei den Demonstranten um eine "Querfront" zwischen Rechts und Links handle. Denn Hippies sind ja immer links und stehen voll auf Love and Peace und so - oder kann es etwa sein, dass wir hier, wie auch bei den Neonazis, schon wieder Opfer unseres eigenen, nur allzu vereinfachenden Weltbildes geworden sind, das irgendwie immer noch im 20. Jahrhundert festzustecken scheint?

Um das zu eruieren, erlaube ich mir als erstes mal eine kleine historische Auffrischung: Die Hippie-Bewegung entstand Mitte der 1960er Jahre aus der Beat Generation heraus, einer Gruppe amerikanischer Literaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine Subkultur stellten, welche mit den Konventionen der Mehrheitsgesellschaft brach und einen freizügigeren, weniger konformistischen Lebensstil propagierte. Auch die Hippies stellten die Ideale der Wohlstandsgesellschaft in Frage, verabschiedeten sich von ihren sexuellen Tabus, träumten von einem Leben im Einklang mit der Natur und forderten ein friedliches Miteinander sowie das Ende ausgrenzender Mechanismen wie etwa Rassismus. Sie pflegen einen kreativen, offenen Lebensstil und waren durch ihre bunten Gewänder, lange Haare bei beiden Geschlechtern sowie auffällige Accessoires leicht erkennbar. Ihre Bewegung breitete sich von San Francisco, Kalifornien aus auf die ganze westliche Welt aus - ihre Anhänger waren hauptsächlich weiße Jugendliche aus der Mittelschicht, die der Enge ihres Elternhauses entfliehen wollten. Von ihrer Lebenseinstellung her kann man die damaligen Hippies durchaus als links bezeichnen, auch wenn die meisten sich eher unpolitisch gaben - allerdings zeigte sich bereits zur Blütezeit dieser Bewegung eine nicht unerhebliche Hinwendung vieler ihrer Anhänger zur Esoterik. Und spontan würde man dazu natürlich sagen, das macht doch nichts - und das kann ich auch gut verstehen, denn mir ist es prinzipiell auch vollkommen wurscht, ob jemand Heilsteine in der Tasche trägt oder sich einen Talisman umhängt. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht - und ich möchte auch erklären, warum.

Zunächst müssen wir uns da natürlich fragen - was ist Esoterik eigentlich? Nun - eine allgemein anerkannte Definition dieses Begriffs gibt es nicht. Die Religionswissenschaft fasst unter diesem Begriff unterschiedliche religiös-spirituelle Aktivitäten zusammen, während die Geschichtswissenschaft bestimmte westlich-kulturelle Strömungen, die gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, als "esoterisch" beschreibt. Im Großen und ganzen ist es ein weites Feld, welches in unserem Verständnis ebenso Astrologie und Glücksbringer umfasst wie auch Engelskult, Hexerei, Wahrsagerei, Schamanismus, Theosophie, Anthroposophie, biologisch-dynamische Landwirtschaft und vieles mehr. Und man kann sie auch nicht pauschal als gefährlich oder ungefährlich bezeichnen - viele von uns haben gewisse Tendenzen zur Esoterik, aber die Ausprägung ist doch sehr unterschiedlich. Das bedeutet natürlich, dass nicht jeder, der an Sternzeichen glaubt oder seine Ängste wegmeditiert, deswegen gleich mit der Wurzelrassen-Kosmologie einer Helena Blavatsky kokettiert. Schwierig wird es allerdings, wenn esoterische Ideen dermaßen ins Gedankengut Einzug halten, dass Menschen für rationale Argumentationen nicht mehr zugänglich sind. Und diese Haltung wird in Krisensituationen noch verstärkt - wenn man die welt nicht mehr versteht, ist man häufig zugänglicher für einfache Erklärungen und ein dualistisches Weltbild, innerhalb dessen man sich leichter zurechtfindet als in dem komplexen System der Wirklichkeit.

Die rechtsgerichtete Ausprägung der Esoterik begann bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als man sich, wie ich in meinem Artikel über Spiritismus bereits erklärt habe, vermehrt den sakral-transzendenten Bereichen der Wirklichkeit zuwandte, wohl als Reaktion auf eine immer unübersichtlichere, sich immer mehr technisierende und industrialisierende Welt. Während auf der einen Seite viele, die sich dem Spiritismus zuwandten, nach besseren humanitären Lebensbedingungen strebten, gab es auch andere, weitaus hierarchischere Richtungen. Zu ihnen gehörte auch die Theosophische Gesellschaft, eine okkulte Organisation, die 1875 in New York City gegründet wurde. Sie ging davon aus, dass die fundamentale Essenz allen Existierenden mit einem kosmischen Bewusstsein verwandt sei , das es belebe und beseele. Initiator und Präsident dieser Gruppierung war der US-amerikanische Rechtsanwalt Henry Steel Olcott, die zentrale Figur war jedoch dessen Lebensgefährtin Helena Petrovna Blavatsky, eine Russlanddeutsche, die zwei Jahrzehnte lang durch Europa, Asien und Amerika gereist war, wo sie angeblich von "Meistern" und Adepten die Grundlagen für ihre späteren Lehren vermittelt bekommen hatte. Olcott hatte sie auf ihrer letzten Reisestation in New York über ihr gemeinsames Interesse an Spiritismus kennengelernt. Die Hinwendung vom Spiritismus zur Theosophie vollzog sich, als sie die Erklärung spiritistischer Phänomene von der Wirkung der Geister Verstorbener hin zu Emanationen eines universalen Geistes umdeutete. Von großer Bedeutung war in der Theosophie die Verbindung westlicher Esoterik mit östlichen spirituellen Lehren, was die Esoterik des 20. Jahrhunderts entscheidend prägen sollte. Wichtig waren außerdem auch westliche Lehren wie etwa der Okkultismus oder die Kabbala. Ein Element der Theosophie aber war die sogenannte "Wurzelrassenlehre" aus Blavatskys 1888 erschienenem Buch The Secret Doctrine (dt. Die Geheimlehre) - hier formulierte sie die Hypothese von insgesamt sieben "Menschenrassen", von denen die sogenannten "Arier" die gegenwärtig höchste Entwicklungsstufe erlangt hätten. Sie räumte zwar ein, dass all diese "Rassen", wenn auch nicht miteinander verwandt, so doch in ihrem innersten Wesen gleich seien, aber dennoch fußen ihre Ausführungen auf dem hierarchischen Konzept der Rassenevolution, an dessen Spitze die "arische" bzw. germanische "Rasse" stehe.

Um 1895 spaltete sich die Theosophische Gesellschaft nach etlichen Skandalen und Meinungsverschiedenheiten in mehrere kleine Gruppen auf, die sich im Laufe der Zeit teilweise immer mehr von der ursprünglichen Lehre entfernten. In Deutschland legte die Internationale Theosophische Verbrüderung von Franz Hartmann ihren Fokus vor allem auf das Studium "arischer" Vorstellungen und wandte sich später auch dem Nationalsozialismus zu. Rudolf Steiner wiederum gehörte zur Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, ehe er sie 1913 verließ und eine eigene Lehre, die Anthroposophie, gründete. Diese ist im Großen und Ganzen ein Sammelsurium aus deutschem Idealismus, Goetheanismus, Gnosis, christlicher Mystik, fernöstlicher Lehren sowie den neuesten naturwissenschaftlichen Kenntnissen der damaligen Zeit; im Zentrum steht eine "Geheimwissenschaft", die Steiner laut eigener Behauptung mit Hilfe von "Hellseherorganen" erlangt habe. Ein Hauptsaspekt seiner Lehre aber ist die Anwendung des Evolutionsgedankens auf die spirituell-geistige Entwicklung. Auch er formulierte eine Rassenlehre, die stark an das Konzept von Blavatskys "Wurzelrassen" angelehnt war - wobei er hier von "Epochen", Hauptzeitaltern" oder "Zeiträumen" der spirituellen menschlichen Entwicklung sprach. Elemente der Anthroposophie finden wir bis heute in verschiedenen Lebensbereichen wieder - etwa die Waldorfpädagogik, die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Eurythmie oder auch die Naturkosmetik von Weleda. Und ich muss zugeben, ich habe auch schon Produkte dieser Linie benutzt und fand sie sogar gut - wie ihr also seht, ist es gar nicht so leicht, sich dem zu entziehen.

Eine weitere Lehre, die sich auf die von Blavatsky stützte, war die gnosisch-dualistische, explizit auf Rassismus basierende Ariosophie des österreichischen Hochstaplers Jörg Lanz von Liebenfels. Der ehemalige Zisterzienser führte einen Doktortitel, für den es keine Belege gab, und auch der Adelstitel war nur erfunden. Um die Jahrhundertwende begann er, polemische Schriften zu verfassen, die sich unter anderem mit Anthropologie, Archäologie und Frühgeschichte mit dem Fokus auf die "arische Rasse" befassten und verkehrte in alldeutschen und sozialdarwinistischen Kreisen. Irgendwann begann er, über den "Kampf" der sogenannten Arier gegen die "Nichtarier" oder "Affenmenschen" zu phantasieren und krude Hypothesen zur "Rassenhygiene" auzustellen, laut derer eine "Reinzucht" der "arischen Rasse" bei vollständiger Unterwerfung der "arischen" Frau erforderlich sei. Diese Ansicht war zur damaligen Zeit allerdings nicht ungewöhnlich - Germanentümelei und völkisches Gedankengut waren damals weit verbreitet. 1903/04 entwickelte Lanz dann die auf den Schilderungen antiker Schriftsteller basierende "Theozoologie", eine Lehre, die auf der Behauptung basierte, der Sündenfall beruhe darauf, dass sich einst die göttlichen Arier mit Tieren vermischt hätten, woraus "minderwertige Rassen" hervorgegangen seien, welche die legitime Vorherrschaft der Arier bedrohten - besonders in Deutschland, wo es noch die meisten von ihnen gäbe. Darauf basierend, gründete er den Neutempler-Orden, einen Zusammenschluss "rassebewusster", ausschließlich männlicher Deutsch-Österreicher, dessen erster Sitz sich in der Burgruine Werfenstein im oberösterreichischen Strudengau befand - im Laufe der Jahre wurden weitere Priorate in Deutschland und Ungarn gegründet, die jedoch zur Zeit des Nationalsozialismus alle aufgelöst wurden. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie ließ sich Lanz in Ungarn nieder, wo die Bolschewiki in ihm einen Hass auf Juden und Sozialisten auslösten, der schon an Verfolgungswahn grenzte - davor waren die Frauen sein wichtigstes Feindbild gewesen, da sie seiner Ansicht nach nur als "Zuchtmütter" zu gebrauchen seien. 1925 fasste er seine Lehre in einem Grundriss der ariosophischen Geheimlehre zusammen; 1929 veröffentlichte er eine "Geheimbibel", in der er die Heilige Schrift aus ariosophischer Sicht kommentierte. Ab Mitte der 1920er Jahre stilisierte er sich als "Vordenker" Adolf Hitlers, jener hatte mit Esoterik allerdings nichts am Hut und auch für Lanz nicht viel übrig. Doch weder Hitlers Ablehnung noch der Zusammenbruch des Deutschen Reiches brachten Lanz davon ab, zu behaupten, dass Hitler seine Ideen von ihm gehabt hätte. In seinen letzten Lebensjahren behauptete er außerdem, Wegbereiter Lenins gewesen zu sein.

Ein weiterer wichtiger Inspirator der Ariosophie war der österreichische Schriftsteller und Esoteriker Guido von List. Wie Lanz, so führte auch er einen gefälschten Adelstitel; er stammte aus einer Wiener Kaufmannsfamilie und zeigte schon in jungen Jahren eine Neigung zur Kunst, aber auch zu Esoterik und germanischer Mythologie. Außerdem glorifizierte er die Natur und lehnte das städtische Leben ab. Sein erster Roman Carnuntum fand großen Anklang im völkischen Lager, spätere Bücher waren sehr von der Vorstellung eines Wotan-Kultes beeinflusst, verbunden mit zunehmend antisemitischen Motiven. Sein Manuskript über eine "arische Ursprache" sowie Deutungen der Runen und anderer Symbole in alten Inschriften wurde von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften abgelehnt, sein Rückhalt in der Wiener Gesellschaft war jedoch enorm; 1907 legte er sich das Adelsprädikat "von" zu, bei späteren Untersuchungen behauptete er, sein Großvater habe den Adelstitel abgelegt. 1908 gründeten seine Freunde und Anhänger, zu denen viele namhafte Deutschnationale und Esoteriker gehörten, die Guido-von-List-Gesellschaft zur Förderung seiner "Forschungen" und Publikationen. 1911 gründete er den Hohen Armanen-Orden als inneren Zirkel der List-Gesellschaft.

Im Nationalsozialismus wurden Geheimbünde verboten, die Ideen der Ariosophie wurden nach 1945 jedoch in verschiedenen neugermanischen Gruppierungen, aber auch im Odinismus der USA wieder aufgegriffen. Auch die Anthroposophie erlebte nach dem Ende des 1945 eine Renaissance. Der Begriff "Ariosophie" wird heute aus verständlichen Gründen nicht mehr verwendet, allerdings sind in der Szene bis heute noch bestimmte Wortschöpfungen zu hören; die Waldorfschulen und -kindergärten sind uns bis heute ebenso ein Begriff wie die Anthroposophische Medizin und die biologisch-dynamische Landwirtschaft, welche vor allem durch die Bio-Marke Demeter vertreten ist. Besonders in den 1960er Jahren boomten anthroposophische Einrichtungen, insgesamt sind die Anthroposophen in 103 Ländern mit über 10.000 Einrichtungen tätig. Das Interesse an der Anthroposophie selbst verzeichnet jedoch erst seit den 1980er Jahren wieder vermehrt einen Anstieg - ich erinnere mich, dass auch meine Großmutter mütterlicherseits eine Zeitlang regen Austausch mit anthroposophischen "Geisteswissenschaftlern" pflegte. Und ich schreibe dieses Wort nicht umsonst in Anführungszeichen - die Wissenschaftlichkeit ist nämlich keineswegs erwiesen, da Steiners Thesen mit der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie nicht vereinbar sind. Auch die Vorstellungen von "Menschenrassen", basierend auf einer spirituell-geistigen "Evolution", sind immer noch zu finden, was nicht weiter verwunderlich sind, gehören sie doch zu den Grundbausteinen des anthroposophischen Konzepts - auch wenn heutige Anthroposophen behaupten, damit nichts mehr zu tun zu haben. Auch sonst spricht man in der Szene nicht sehr gern über die braun gefärbte Vergangenheit, da diese das Gesamtkonzept zerstören würde. Auch die Impfgegnerschaft ist unter Anthroposophen und anderen Gruppierungen, die ihnen nahe stehen, sehr weit verbreitet, selbst wenn die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte Impfungen für sinnvoll hält und auch Rudolf Steiner sich für die Pockenimpfung aussprach. Dennoch stützen sich anthroposophische Impfgegner gern auf seine Lehren, laut derer Krankheiten nicht unterdrückt, sondern durchlebt werden sollten, da diese Sünden aus vorhergehenden Leben neutralisieren würden.

Wie ihr seht, ist alles also nicht ganz einfach. Ich muss beispielsweise zugeben, dass ich selbst dem Konzept der Waldorfpädagogik nicht abgeneigt war, bevor ich erfuhr, welche Ideologie dieser zugrunde liegt. Zudem sind die Meinungen ehemaliger Waldorfschüler, die ich kennengelernt habe, sehr zweigeteilt - die einen haben sehr positive, die anderen sehr negative Erfahrungen gemacht. Möglicherweise kommt es auf die einzelnen Schulen an, vielleicht auch auf die individuelle Veranlagung derjenigen, die sie besucht haben. Im übrigen möchte ich anmerken, dass die Arier in Wirklichkeit ein frühgeschichtliches Volk aus Indien und dem Iran waren und keineswegs eine nordische "Rasse", die von den bösen, bösen Juden bedroht wurde. Und da dieses Thema wieder einmal viel zu viel Stoff bietet, habe ich mich entschlossen, den vorliegenden Artikel diesmal in drei Teile zu teilen; nachdem wir die Wurzeln der Rechtsesoterik erörtert haben, möchte ich mich in meinem nächsten Post der Bedeutung von Esoterik im Nationalsozialismus widmen, während ich im dritten auf die Auswirkungen auf die Gegenwart eingehen werde. Freut euch alle auf mehr und bis zum nächsten Mal!

vousvoyez