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Das Internet ist ja bekanntermaßen auch eine gute Möglichkeit, sich selbst oder anderen das Fürchten beizubringen. Wie der eine oder andere vielleicht schon weiß, habe ich letzten Sommer über ein Social-Media-Phänomen berichtet, das besonders jüngere Nutzer in Atem gehalten hat, nämlich die Geschichte von Momo, dem gruseligen Whatsapp-Mädchen. Hier nur ein grober Überblick, den Rest könnt ihr in meinem alten Artikel nachlesen: Bei Momo handelt es sich in Wirklichkeit um eine Skulptur aus einem Kunstmuseum in Tokio, deren Foto letzten Sommer als Profilbild eines japanischen Whatsapp-Accounts namens "Momo" erschien. Das Thema wurde vor allem von Trash-YouTubern bis zum Erbrechen ausgeschlachtet und in sozialen Netzwerken breitgetreten, in Spanien und Deutschland warnte sogar die Polizei vor Fake-Accounts auf Whatsapp, es tauchten gruselige, aber letztlich kindische Kettenbriefe auf, die Todesdrohungen enthielten und es gab Gerüchte, dass es eine Momo-Challenge gäbe, die der Blue-Whale-Challenge ähnlich sein sollte. Am Ende kam dann sogar das Gerücht auf, dass sich in Argentinien ein zwölfjähriges Mädchen im Zuge dieser Challenge umgebracht haben soll. Eine Menge heiße Luft also - aber mit der Ahnung einer echten Gefahr.
Gegen Ende des Sommers kam es, wie es letztendlich kommen musste - die Leute verloren nach und nach das Interesse an dem Thema, immer mehr von ihnen waren genervt, und die Geschichte lief sich irgendwann tot.
Doch so manche totgeglaubten Trends haben es an sich, irgendwann ein Revival zu erleben. Und so ergeht es zurzeit auch Momo.
Es gibt bereits seit einiger Zeit eine App von YouTube, die nur kindgerechte Videos zulassen soll, so dass Eltern ihre Sprösslinge bedenkenlos vor dem Internet "parken" können, wenn sie mal ihre Ruhe haben wollen. Diese Plattform nennt sich "YouTube Kids". Was sich gar nicht so schlecht anhört. Das Problem ist jedoch, dass YouTube Kids, ebenso wie das normale YouTube, durch einen Algorithmus kontrolliert wird - und dieser ist fehlerhaft.
Vor etwa zwei Jahren tauchten auf YouTube Kids immer wieder Videos auf, die alles andere als kindgerecht waren - Videos, die bei Kindern beliebte Figuren wie Peppa Pig, Elsa aus dem Disney-Film Die Eiskönigin, Micky Maus, Paw Patrol oder Spiderman zeigten, auf die jungen Zuseher jedoch extrem verstörend wirkten: das Schweinchen Peppa Pig, das von einem sadistischen Zahnarzt gefoltert wird; Elsa, die zusieht, wie Spiderman in die Badewanne pinkelt, in der sie gerade sitzt; Micky Maus, die von einem Auto überfahren wird, wobei Blut über die Straße spritzt, vertraute Figuren in Videos voller Gewalt oder Pornographie. Unter dem Schlagwort "Elsagate" tauschten sich Eltern via Social Networks über diese Videos aus.
Inzwischen haben sich die Kontrollen verschärft, und besagte Videos sind von der Plattform genommen worden. Dennoch garantiert YouTube Kids bis heute keine 100%ige Sicherheit, und überdies sollte sowieso klar sein, dass Smartphone und Tablet keine passenden Kinderspielzeuge sind und das Internet den Babysitter nicht ersetzen sollte - auch wenn ich manchmal den Eindruck habe, dass so manche es bis heute nicht kapiert haben, wenn ich Zweijährige sehe mit Smartphones, die fast so groß sind wie sie selbst.
Was aber hat das alles mit Momo zu tun?
Seit einiger Zeit kursieren in ganz Europa Medienberichte, die wieder einmal einige Hysterie hervorrufen. Die Rede ist davon, dass in Videos von Peppa Pig und Fortnite, die auf YouTube Kids zu sehen sind, auf einmal das Gesicht von Momo erscheint sowie eine Stimme oder ein Schriftzug, die damit drohen, die Kinder zu töten oder sie auffordert, sich selbst oder ihre Eltern umzubringen. Die Rede ist davon, dass diese Videos "gehackt" worden seien oder automatisch pausiert hätten, um mittendrin Momo zu zeigen und den Kindern zu drohen, oder dass Momo plötzlich nicht nur in Fortnite-Videos, sondern im Spiel selbst auftauchen würde. Tatsache ist, und das weiß sogar ich als Laie, dass man Videos, die einmal auf YouTube hochgeladen wurden, nicht einfach "hacken" kann und dass es auch nicht möglich ist, Videos zu pausieren, um irgendwas anderes "einzuschieben". Wenn diese Videos also tatsächlich existieren, dann müssen sie schon so, wie man sie sieht, hochgeladen worden sein. Und wir wissen ja, dass das nicht allzu schwierig ist. Es ist schlicht und einfach schwachsinnig, zu glauben, irgendeine geheimnisvolle "Momo" würde sich in Kindervideos "hacken", um unsere Sprösslinge zu ängstigen und zu bedrohen.
Als sei das nicht noch genug, werden die vergangenen Ereignisse wild durcheinandergemischt; man spricht von Kindern und Jugendlichen, die sich angeblich reihenweise umgebracht haben, nachdem sie die so genannte "Momo-Challenge" gespielt haben, und bringt die aktuelle Panikmache mit den verstörenden Peppa-Pig-Videos der Vergangenheit in Verbindung, obwohl diese nichts miteinander zu tun haben.
Tatsache ist: Als man bei YouTube versuchte, diese Videos zu beseitigen, wurden schlicht und ergreifend keine gefunden - und tatsächlich gab es auch keinerlei Meldungen seitens der YouTube-Konsumenten, die die Existenz dieser Videos bestätigten. Die einzige Quelle, die man fand, war eine unautorisierte Facebook-Seite, auf der eine Mutter berichtete, dass ihr Sohn ihr erzählt hatte, er hätte Videos gesehen, in denen Momo plötzlich auftauchte - diese Videos konnte er ihr jedoch nicht zeigen. Daraufhin haben verschiedene Eltern in eigenen Posts wohl vor dieser neuen Wendung im totgeglaubten Momo-Hype gewarnt, woraufhin andere Eltern diese Posts wahrscheinlich geteilt und so auf Facebook verbreitet haben. Man erlebt es ja immer wieder - Leute teilen Meldungen auf Facebook, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Ja, ich gebe zu, anfangs hab ich zeitweise auch mitgemacht - bis ich eben gemerkt habe, dass viele dieser Meldungen nur Hoaxes sind. Fakt ist: Es gibt keine Beweise dafür, dass diese Videos existieren oder in der Vergangenheit existiert haben.
Was die bekannten Selbstmordfälle betrifft, die angeblich ein Resultat der Momo-Challenge gewesen sein sollten, so konnte nie nachgewiesen werden, dass diese tatsächlich etwas damit zu tun hatten. Auch bei dem eingangs erwähnte Suizid-Fall des Mädchens aus Argentinien gibt es keine konkreten Hinweise, dass die Momo-Challenge daran schuld war.
Das Absurdeste an dieser Geschichte ist, dass auch Prominente, Schulen und sogar die Polizei vor einer Challenge warnen, deren Existenz nie bestätigt wurde. Was wohl daran liegt, dass die Geschichte zum Selbstläufer wurde und immer mehr und mehr aufgebläht wird. In Wirklichkeit gibt es nicht einmal einen Beweis, dass die Momo-Challenge überhaupt existiert. Möglicherweise haben einzelne Kinder und Jugendliche auch ein wenig dick aufgetragen, um andere zu beeindrucken oder zu ängstigen - in sehr jungen Jahren kann man die Tragweite bestimmter Behauptungen ja noch gar nicht einschätzen. Was Eltern und Kinder in Angst und Panik versetzt, ist also wohl keine erfundene Horrorgestalt, die im Internet ihr Unwesen treibt, sondern schlicht und einfach die übersteigerte Darstellung der Medien.
Den einzigen Nutzen, den wir daher aus der ganzen Sache ziehen können, ist also bestenfalls der, dass man Kinder nicht mit dem Internet allein lassen sollte. Ich weiß, als Kinderlose habe ich leicht reden, aber ab und zu schnappe ich in verschiedenen Internet-Portalen halt Posts auf, die mir nichts anderes zeigen, als dass diejenigen, die sie geschrieben sind, eindeutig zu jung sind, um allein im Internet zurechtzukommen.
vousvoyez
https://www.mimikama.at/allgemein/hysterie-um-die-momo-challenge-und-peppa-pig-videos/
https://www.youtube.com/watch?v=nhMa-lAT-xQ
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