Sonntag, 25. Dezember 2022

Wenn ich die Biotonne mit oe24 auskleide, ist der Müll beleidigt

Photo by Krisztian Matyas on Unsplash

Damals, als ich diesen Gedanken hatte, hatte es kurz zuvor in Wien einen Amoklauf gegeben - und die Berichterstattung der Fellner-Medien war unangemessen as fuck. Ich war nur froh, dass weder Freunden noch Familienmitgliedern, die dort leben, etwas passiert ist. Und ich sorge mich wirklich um die Zukunft - aber gerade deshalb muss ich mich und uns auch mal ein bisschen Spaß gönnen. Und da das Jahr ja fast zu Ende ist, schadet es nicht, auch einmal was Lustiges zu machen Und dafür habe ich genau das Richtige gefunden: das museum of failure.

Wir sind ja praktisch alle in der kunterbunten Konsumwelt aufgewachsen; jeder kennt Produkte, die es schon seit Ewigkeiten gibt und die immer gleich aussehen, ohne dass man wirklich darüber nachdenkt. Und dann gibt es wieder die, die ihr Aussehen im Laufe der Jahre verändern - und man ist ganz entzückt, wenn man mal wieder das Design aus der eigenen Kindheit oder gar der Ursprungszeit zu Gesicht bekommt. Dann gibt es solche, die irgendwann vom Markt genommen werden und die man vermisst - oder auch nicht. Denn auch der innovativste Hersteller kann einmal danebengreifen - und bringt etwas auf den Markt, das niemand haben will. Aber gerade aus diesem Grund ist die Geschichte der Flops eine eigene Serie wert. Denn wie wir sehen, ist schon die Liste der Flops bei Coca Cola und Pepsi ganz schön lang.

Der Softdrink-Gigant Coca Cola ist aus unserem Leben mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Als Kinder hielten wir Cola alle für das beste Getränk der Welt - obwohl oder gerade weil unsere Eltern es gar nicht gerne sahen, wenn wir dieses ungesunde, künstlich aromatisierte, zucker- und koffeinhaltige Kohlensäureerzeugnis zu uns nahmen. Wenn es etwa nach mir gegangen wäre - ich hätte den ganzen Tag nur Cola trinken können. Wahrscheinlich war ich aber auch nur deswegen so wild drauf, weil meine Eltern stets darauf achteten, dass ich nicht zu viel davon bekam. Heute trinke ich es nur noch selten - mit den zuckerfreien Varianten kann ich mich nach wie vor nicht anfreunden - selbst Coke Zero hat, wie ich finde, keineswegs diesen "echten Geschmack", der in den ersten Werbespots immer angepriesen worden war. Bevor ich mir das antue, trinke ich lieber gar kein Cola - zumal es viele Getränke gibt, die mir inzwischen besser schmecken und es darüber hinaus eh ungesund ist. Ganz abgesehen davon, dass Coca Cola, wie viele große Firmen, ohnehin viel zu viel Dreck am Stecken hat - aber das ist eine andere Geschichte. Ich verlinke euch unten ein paar Videos dazu.

Coca Cola wurde erstmals 1886 in Atlanta hergestellt und ursprünglich als Arzneimittel gegen Kopfschmerzen gläserweise verkauft. 1892 wurde die Coca Cola Company gegründet; das Unternehmen expandierte schnell und hatte sich bereits in den 1920er Jahren im Alltag der Amerikaner etabliert - gegen Ende des Jahrzehnts setzte es seinen Siegeszug in Europa fort und eroberte schließlich die Welt. Tatsächlich ist Coca-Cola bis heute in praktisch allen Gegenden der Welt das meistverkaufte Cola, auch wenn es natürlich inzwischen unzählige Varianten anderer Firmen gibt. Ernsthafte Konkurrenz gibt es jedoch nur mit einem Unternehmen, nämlich PepsiCo, Inc. Auch Pepsi-Cola, das 1893 in New Bern, North Carolina entwickelt wurde, wurde ursprünglich als Medizinprodukt verkauft - gegen Verdauungsstörungen. Anfangs noch wenig erfolgreich, etablierte es sich jedoch in den 1930er Jahren als Billigvariante von Coca-Cola. Ende der 1950er Jahre begann man, Pepsi mit bekannten Gesichtern als Werbeträger zu vermarkten - der erste Star, der für Pepsi warb, war die Hollywood-Schauspielerin Joan Crawford - und es als Getränk für die Jugend zu vermarkten: Die Werbekampagne "Pepsi Generation" war eine der erfolgreichsten aller Zeiten und wurde Jahrzehnte später noch von Ikonen wie Michael Jackson oder Britney Spears angepriesen.

Der sogenannte "Cola-Krieg", wie der offene Konkurrenzkampf zwischen Coca Cola und Pepsi gemeinhin genannt wird, begann in den 1970er Jahren, als werbewirksame Blindverkostungen den besseren Geschmack von Pepsi gegenüber Coke bestätigten. Natürlich wissen wir um die fehlende Seriosität von Umfragen und dergleichen, die zugunsten der Firma ausfallen, die diese in Auftrag gibt, aber das spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle - es kam gut an und machte Coca Cola ernsthaft seine Vormachtstellung auf dem Softdrink-Markt streitig. Der Höhepunkt des "Cola-Krieges" aber manifestierte sich Mitte der 1980er Jahre, als Coca Cola den folgenschweren Fehler beging, seine Rezeptur zu ändern, die seit 99 Jahren gleich geblieben war.

Pepsi sprach nach wie vor gezielt die Jugend an, was sich auch in seinem Logo widerspiegelte, das sich, im Gegensatz zu dem immer gleichen Coca-Cola-Schriftzug, stets der jeweiligen Zeit anpasste. Um sein Image ebenfalls zu verjüngen, beschloss Coca Cola, seinem Getränk einen neuen, mehr an Pepsi angelehnten Geschmack zu verpassen - und so pries der damals noch sehr beliebte Bill Cosby ab dem 23. April 1985 in allen amerikanischen Fernsehsendern New Coke an, während die Produktion von Coca-Cola mit der alten Rezeptur eingestellt wurde. Und die Leute hassten es - mehr als 400.000 Beschwerdebriefe langten beim Firmensitz in Atlanta ein; Menschen gingen auf die Straße und schütteten das neue Cola demonstrativ in den Gully. Manche begannen sogar, Cola mit dem alten Geschmack zu hamstern, öffentliche New-Coke-Werbung wurde von Buhrufen begleitet - kurzum, es war ein Riesenskandal, den PepsiCo übrigens aufgriff, indem es sich in mehreren Werbespots darüber lustig machte. Die Vereinigung der Old Cola Drinkers of America verteilten Buttons und Poster gegen das neue Getränk und starteten eine Petition, in der sie den neuen Geschmack zurückforderten - notfalls auch mit rechtlichen Schritten. Coca Cola machte dem Drama ein Ende, indem es im Juli 1985 den alten Geschmack wieder einführte. Die neue Rezeptur wurde fortan unter dem Namen Coke II verkauft, während das alte Cola unter Coca Cola Classic lief. 2002 wurde Coke II dann vom Markt genommen, 2009 beim Original der Zusatz Classic wieder weggelassen. Alles, was heute noch an den Skandal von damals erinnert, ist der Hinweis The Original Taste auf Dosen und Flaschen. Im Jahr 2019 jedoch feierte Coke II ein vorübergehendes Comeback anlässlich der Netflix-Serie Stranger Things, die die Geschichte in einer Folge aufgriff - damals produzierte Coca Cola aus Jux 500.000 Dosen mit der Coke-II-Rezeptur. Was davon geblieben ist, ist die endgültige Etablierung des Kultstatus von Coca Cola - böse Zungen behaupten sogar, die Firma habe den Skandal selbst herbeigeführt.

Doch die Geschichte um Coke II war nicht der einzige Flop der Coca Cola Company, und selbstverständlich hat auch PepsiCo nicht nur Erfolge zu verzeichnen. So wurde 2006 ein Getränk namens Coca Cola BlāK eingeführt - ein Erfrischungsgetränk mit Kaffeegeschmack. Es war in den USA und Kanada, außerdem in einigen europäischen Ländern wie Frankreich, Tschechien, Polen, der Slowakei und Litauen erhältlich. In den USA und Kanada wurde es in Glas-, in Europa in Aluminiumflaschen verkauft - Zielgruppe sollten vor allem junge Erwachsene sein (immerhin war der Gilmore-Girls-Komplex damals schon weit verbreitet). Es hielt sich jedoch nur zwei Jahre auf dem Markt, denn die Kunden mochten es nicht. Während es in Frankreich und Kanada mit Rohrzucker gesüßt wurde, wurde in den USA nach kurzer Zeit eine Mischung aus Maissirup, Aspartam und Acesulfam-Kalium verwendet, weshalb der Geschmack hier noch schlechter bewertet wurde. Trotz des Misserfolgs jedoch gab Coca-Cola seine Versuche, ins Kaffeegeschäft einzusteigen, nicht auf - 2010 brachte der lateinamerikanische Coca-Cola-Abfüller Coca Cola FEMSA in Mexiko Kaffeeautomaten unter dem Namen "Blak" auf den Markt, und seit 2019 plant Coca Cola die Einführung weiterer Kaffeeprodukte ins Sortiment.

Aber auch Pepsi scheiterte bei dem Versuch, einen Muntermacher zu kreieren - allerdings schon 1989. Damals, vor dem Siegeszug von Starbucks und Coffee to go, war das Trinken von Kaffee oder Tee längst nicht so trendy wie heute - in manchen Teilen der Welt gehörte es einfach dazu, ohne deswegen gleich Trend zu sein, in anderen eben nicht. Und so gab es einige junge Erwachsene, die morgens statt den üblichen Heißgetränken lieber Cola tranken. An diese Zielgruppe richtete sich Pepsi mit der Entwicklung von Pepsi A.M., das schmeckte wie normales Pepsi, aber doppelt soviel Koffein enthielt. Ein Jahr später wurde es jedoch wieder eingestellt - der Markt für Frühstückslimonade war wohl doch nicht so groß. Vielleicht war aber auch das Marketing nicht gut genug. Manchmal klappt es eben nicht.

In Japan gab es Ende letzten Jahrzehnts einen merkwürdigen Trend - plötzlich kamen allerlei Getränke in Clear-Variante auf den Markt, das heißt, kalorienfrei und durchsichtig wie Wasser. Es gab Clear Drinks mit Kaffee-, Bier-, Tee-, oder Colageschmack, die vor allem auf dem Arbeitsplatz gern konsumiert wurden - wahrscheinlich, weil man gesundheitsbewusster wirkt, wenn man ein farbloses Getränk neben sich stehen hat, sich aber nicht jeder mit Wasser oder Mineralwasser ohne Geschmack anfreunden kann. Allerdings ist farbloses Cola keine Erfindung der Japaner.

Bei Clear Cola handelt es sich eigentlich um ganz normales Cola, jedoch ohne Zuckercouleur, jener Lebensmittelfarbe, welcher dem Getränk seine charakteristische braune Farbe verleiht. Die erste Clear-Cola-Variante wurde Ende der 1940er Jahre von Coca Cola hergestellt, und zwar für den sowjetischen Marschall Georgi Schukow. Dieser leitete damals die sowjetische Militäradministration im besetzten Deutschland und kam durch Dwight D. Eisenhower, zu dieser Zeit Oberkommandeur der Alliierten Streitkräfte, mit Coca Cola in Kontakt. Da US-Produkte in der Sowjetunion damals als Symbole des amerikanischen Imperialismus galten, wollte Schukow sich jedoch nicht von Stalin mit einem Cola in der Hand erwischen lassen, und bat den Konzern daher, speziell für ihn eine farblose Variante zu entwickeln, um das Getränk ein wenig mehr wie Wodka aussehen zu lassen. So wurden an den Marschall tatsächlich mindestens fünfzig Kisten farbloses Cola geschickt - mit weißem Flaschendeckel und einem roten Stern als Logo.

In den späten 1980ern bis in die frühen 2000er hinein waren durchsichtige Produkte sehr beliebt - dieser Trend wurde "Clear Craze" genannt. Er begann mit Limonaden und Kosmetika, deren Farblosigkeit Reinheit, also Zusatzstofffreiheit, suggerieren sollte, und setzte sich fort bei elektronischen Geräten, die in durchsichtigem Gehäuse erhältlich waren, so dass man das Innenleben sehen konnte. Wobei es Letztere bereits in den späten 1930er Jahren gab, nachdem das Plexiglas erfunden war - allerdings eher als Schauobjekte. Mitte der 1980er Jahre jedoch entwickelten mehrere Hersteller transparente Telefone, häufig mit blinkenden Neonlichtern, die das Klingeln des Telefons begleiteten. Kurz darauf wurden auch die Armbanduhren durchsichtig, so dass man auf der Rückseite das Uhrwerk sehen konnte - beliebt waren vor allem die der Marke Swatch: Ich hatte damals selbst so eine. Tatsächlich war damals nahezu alles in der durchsichtigen Variante erhältlich - farblos oder farbig, klar oder matt. Es gab durchsichtige Taschenrechner und Gameboys, Discmen und Kameras, Nintendos und PlayStations, Tamagotchis und Fernseher. Ich erinnere mich noch, dass auch die Kompaktkassetten plötzlich fast alle durchsichtig und farblos waren - und 1998 erregte der Apple iMac G3 mit seinem durchsichtigen Gehäuse, erhältlich in Blau, Grün, Rot, Orange und Violett, für Aufsehen. Ende der Nullerjahre jedoch verschwand dieser Trend, wie er gekommen war, und die meisten elektronischen Geräte waren nunmehr in eleganten Schwarz-, Weiß- und Grautönen erhältlich - was auch in der heutigen Zeit immer noch Standard ist, auch wenn Laptops und Smartphones gerne zusätzlich mit Stickers und bunten Hüllen aufgemotzt werden. Aber im Großen und Ganzen ist das goldene Gehäuse meines Smartphones schon fast eine Farbexplosion in der Masse der schwarzen, grauen und weißen Geräte, die sonst in meiner Wohnung zu finden sind. Da die Y2K-Nostalgie allerdings schon wieder im Kommen ist, ist auch ein Clear-Craze-Revival nicht ausgeschlossen.

Der Clear Craze machte selbstverständlich auch vor den Cola-Marken nicht halt - und so kam 1992 Crystal Pepsi auf den Markt. Ähnlich wie das weiße Cola handelte es sich hierbei um weitgehend normal schmeckendes Pepsi, trendkonform farblos und durchsichtig, aber koffeinfrei, welches vor allem gesundheitsbewusste Kunden ansprechen sollte - selbst wenn es nicht weniger Kalorien enthielt als die schwarzbraune Variante. Anfangs sprach das Produkt noch die Neugierde der Leute an, aber allmählich nutzte sich das ab, und sehr schnell schon blieb Crystal Pepsi in den Regalen stehen. Der Grund war, dass die Leute im Allgemeinen eher unsicher reagierten auf ein Getränk, das wie Mineralwasser aussieht, aber wie Cola schmeckt. Dies liegt daran, dass die visuellen und sensorischen Informationen nicht zueinander passen und daher für Irritation sorgen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum Experimente mit Lebensmittelfarbe in der Regel nicht so gut ankommen. 1993 brachte Coca Cola dann ein Konkurrenzprodukt heraus - eine durchsichtige Variante des Diät-Softdrinks Tab, welche das Kalorienbewusstsein des Clear Craze betonen sollte. 1994 wurden beide Produkte wieder vom Markt genommen - obwohl es von Crystal Pepsi immer mal wieder kurzzeitige Neuauflagen gab. Der große Renner wurde Clear Cola aber nie - zumindest in unseren Breiten.

Doch der Clear Craze war nicht der einzige Hype, auf den die Cola-Konzerne vergeblich aufsprangen. Erinnert ihr euch beispielsweise noch an den Stevia-Hype zu Beginn der 2010er Jahre? Damals war der Süßstoff aus dem Extrakt der ursprünglich aus Paraguay stammenden Stevia-Pflanze der Hoffnungsträger schlechthin für Leute, die gerne süß aßen bzw. tranken, aber mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hatten oder es zumindest glaubten. Und nun sollte es einen Süßstoff geben, mit dem man ohne schlechtes Gewissen schlemmen konnte, ohne zuzunehmen und ohne auf die üblichen künstlichen Süßungsmittel zurückzugreifen und der dazu noch gesund war? Das klang zu schön, um wahr zu sein. Und, na ja, das war es auch. Denn der Geschmack war enttäuschend - ich habe mir damals Stevia-Pastillen gekauft, um damit meinen Kaffee zu süßen, und - was soll ich sagen - es schmeckte scheiße, und ich war bei weitem nicht die Einzige, die von diesem unangenehmen Beigeschmack gar nicht begeistert war. Trotzdem wurde Stevia in vielen Produkten gerne genutzt, um sich ein "gesünderes" Image zu verpassen - und dazu gehörte auch Coca-Cola. Denn damals hatte das Zeitalter des Greenwashings schon volle Fahrt aufgenommen - das goldene McDonald's-M erstrahlte jetzt vor grünem Hintergrund, und auch in den Supermarktregalen sprangen einem massenhaft grüne Verpackungen ins Auge, die einen anschrien: "Ich bin GRÜÜÜÜÜHÜÜÜN! Das heißt, ich bin TOTAL GESUUUUUHUUUND und UMWELTFREEEEEUNDLICH! Kauf mich, sonst bist du BÖSE und wirst FETT!" Und so brachte auch Coca Cola 2013 in Argentinien und Chile ein Produkt mit grünem Etikett auf den Markt - nämlich Coca Cola Life. Und das war, ihr könnt es euch schon denken, mit Stevia gesüßt - und ab 2014 auch in der EU zu haben.

Denn auch Coca Cola spekulierte darauf, sich mit dem neuen Süßungsmittel ein gesünderes Image zu verpassen und entwickelte ein Cola, das nur zur Hälfte mit Zucker und zur anderen Hälfte mit Stevia gesüßt war. Und natürlich wurde es in grünen Dosen und in PET-Flaschen mit grünem Etikett verkauft - denn wir wissen: Alles, was grün ist, ist voll total gesund und umweltfreundlich und so. Und alles, was pflanzlich ist, sowieso - weil da ist ja keine pöhse Kemie drin und so. Nun - jedenfalls bei Coca-Cola hat das nicht gereicht. Ich hab die Stevia-Variante nie angerührt, denn ich hatte ziemlich schnell genug - ich hab später noch ein paar andere Produkte wie Joghurt probiert, aber die waren kaum besser als der selbst gesüßte Kaffee. Und anscheinend waren die meisten Leute der gleichen Meinung - Coca Cola Life verkaufte sich schlecht und verschwand 2017 aus den Läden. Es braucht eben mehr als nur ein grünes Etikett, um zu überzeugen.

Aber nicht nur bei den Getränken selbst griff die Coca Cola Company bisweilen in ... den Misthaufen, haha! Lange vor SodaStream & Co. brachte Coca Cola nämlich zusammen mit der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte & Co. den BreakMate heraus - einen Sodabrunnen, etwa so groß wie eine Mikrowelle, der es auch außerhalb von Restaurants ermöglichen sollte, an Softdrinks zu kommen. Das Gerät enthielt drei Kunststoffbehälter mit Sirup (Cola, Cola Light und Sprite) sowie einen CO₂-Tank, außerdem einen Anschluss für die Wasserleitung, ersatzweise auch ein Reservoir zur Aufbewahrung von Wasser. Im Wesentlichen war er eine frühe Version jener Selbstbedienungs-Sodabrunnen, die heute in vielen Schnellrestaurants zu finden sind. Die Idee hinter dem BreakMate war, Büroangestellten neben Kaffee den ganzen Tag über auch Softdrinks anbieten zu können - bereits zur damaligen Zeit war der Pro-Kopf-Verbrauch von gesüßten Getränken in den USA höher als der von Leitungswasser. Neben der Kaffeemaschine sollte er so zu einem landesweit festen Bestandteil kleinerer Büros werden. Das ist jedoch nicht passiert - die Geräte waren sehr wartungsintensiv, das Mischverhältnis von Soda und Sirup war oft uneinheitlich, und es kam nicht selten vor, dass sich die Aromen vermischten. Und so waren die Kosten für den BreakMate am Ende höher als die Einnahmen; 2007 stellte Coca Cola die Lieferung von Ersatzteilen ein, 2010 wurden auch die Siruptanks vom Markt genommen.

Wie ihr also seht, sind auch die Größten vor Fehltritten nicht gefeit. Und ich möchte mich bei jenen Lesern, die mir ins Ohr schreien wollen, dass ich zu oft den falschen Artikel verwendet habe, entschuldigen: Jedes Mal, wenn ich versuchte, "die Cola" zu schreiben, begann mein Vater in meinem Gedächtnis zu schimpfen: "Wir sind hier in Österreich und hier sagt man 'DAS Cola'!" In manchen Dingen werden wir uns wohl nie einig. Ich wünsche euch noch ein fröhliches Rest-Weihnachten, und vielleicht lesen wir uns in diesem Jahr noch mal wieder, auch wenn ich nichts versprechen kann. Bon voyage!

vousvoyez

Sonntag, 11. Dezember 2022

Skifahren ist das Über-das-Wasser-Gehen des kleinen Mannes

Photo by Jazmin Quaynor on Unsplash
Kaum zu glauben, dass es erst zwei Jahre her ist, dass Peter Klien, Moderator von Gute Nacht Österreich, mit diesem Satz auf die Absurdität der Ausnahmeregelungen für den Wintersport mitten im zweiten Lockdown aufmerksam machte. Gerade mal ein halbes Jahr fast ohne Corona-Maßnahmen, und die damalige Zeit kommt einem bereits sehr unwirklich vor - auch wenn die Infektionszahlen aktuell wieder steigen und ich dort, wo sich direkter Kontakt zu Fremden nicht vermeiden lässt, momentan wieder Maske trage. Jaja, ich bin halt ein unverbesserliches Schlafschaf! Und das Skifahren ist in Österreich so heilig, dass kein Virus und kein Klimawandel seine Bewohner davon abhalten kann - nur das liebe Geld, denn Skifahren ist durch die gestiegenen Preise mittlerweile ein Sport für finanziell Bessergestellte geworden. Aber wir haben ja Gott sei Dank noch den Tourismus, nicht wahr?

Im österreichischen Fernsehen sind Skirennen im Winter nach wie vor so allgegenwärtig wie die omnipräsente Werbung. Als Kind war man begeistert von der kunterbunten Welt der Fernsehwerbung - wobei es bei den meisten von uns ja bekanntlich nur die beiden Programme des ORF zu sehen gab. Als ich zum ersten Mal bei Freunden Satellitenfernsehen sah und entdeckte, dass es im deutschen Privatfernsehen weitaus mehr Werbung gab, die auf Kinder zugeschnitten war - nicht nur Süßigkeiten und Zahnpasta, sondern auch Spielzeug! -, war ich hin und weg. Das wollte ich auch! Und bin im Nachhinein doch froh, dass ich das nicht hatte.

Wie wir ja wissen, spielt Werbung ja mit Emotionen und folgt daher meist einem gewissen Schema - am häufigsten werden da positive Gefühle angesprochen, beispielsweise jetzt zur Weihnachtszeit. In letzter Zeit jedoch fällt auf, dass Firmen vor allem mit Skandalen Aufmerksamkeit erregen. Der Grund dafür liegt wohl daran, dass der Medienkonsument heutzutage sich wohl immer mehr an Extreme gewöhnt hat - es scheint, als sei dies das sicherste Mittel, um die Leute lange genug bei der Stange zu halten. Zusätzlich vermindern Plattformen wie Tik Tok, die hauptsächlich auf Kurzvideos aufgebaut sind, immer mehr die Aufmerksamkeitsspanne. Und da man allmählich das Gefühl hat, schon alles gesehen zu haben, versucht man natürlich auch in der Werbung, mit Extremen zu arbeiten. Und so sind wir vermehrt mit Schockwerbung konfrontiert, die im Gegensatz zur üblichen Werbung irritiert und auf diese Weise die Aufmerksamkeit erhöht.

Nun kennen wir Schockwerbung schon lange aus dem nicht-kommerziellen Kontext - etwa, um auf Missstände aufmerksam zu machen, wie beispielsweise die radikalen Bilder in den Videos von Greenpeace oder jener Werbespot für die Paralympics 2012, wo die Ursachen für die Behinderung der Athleten offen gezeigt wurden. Bisweilen sind auch kommerzielle Werbespots, die auf Schockwirkung zielen, zumindest noch logisch nachvollziehbar - etwa die Werbung des Energy-Drinks K-Fee: Eine friedliche Landschaft und dann eine schreiende Zombie-Gestalt, die plötzlich in die Szene hineinspringt, gefolgt von dem Satz "So wach warst du noch nie". Der Spot musste nach kurzer Zeit wieder aus dem Programm genommen worden, da Zuschauer sich beklagten - aber ich muss zugeben, auch wenn er nach mehrmaligem Anschauen immer noch wirkt, finde ich ihn doch irgendwie witzig. Ein weniger spektakuläres Beispiel ist der Werbespot für die Zahncreme Parodontax, der mit einem blutigen Zahnpastaklecks und einem ausgefallenen Zahn beginnt.

Ein gewisses Risiko ist bei Schockwirkung aber natürlich auch dabei - so manche Firmen haben auf diese Weise ihrem Image mehr geschadet als genützt. Im Jahr 2017 gab es in den USA vermehrt Demonstrationen, etwa gegen den vor einem Jahr vereidigten Präsidenten Donald Trump, gegen die Waffenlobby oder auch gegen rassistische polizeiliche Übergriffe. Zur damaligen Zeit drehte Pepsi einen Werbespot mit Kendall Jenner - darin beendet das Model den Kampf zwischen Polizisten und Demonstrationen mit einer Dose Pepsi-Cola. Bei den Konsumenten kam das jedoch gar nicht gut an - ein privilegiertes weißes It-Girl, das politische Konflikte mit aromatisiertem Zuckerwasser löst, war in dieser Situation denkbar unangebracht. Auch die deutsche Smoothie-Marke True Fruits geriet in den letzten Jahren immer wieder in die Kritik, weil sie ihre Produkte mit sexistischen und rassistischen Sprüchen bewarb.

Aber Provokation in der Werbung ist uns bereits länger bekannt - so verband das Modeunternehmen Benetton Ende des 20. Jahrhunderts mit seinen von Oliviero Toscani gestalteten Plakaten gewinnorientierte Werbung mit Gesellschaftskritik. Die Fotos zeigten ölverschmierte Vögel, eine Nonne, die einen Pfarrer küsste, kopulierende Pferde, einen Hintern mit dem Stempel HIV-positiv, bunte Kondome, die blutigen Uniformen gefallener Soldaten, Porträts zum Tode Verurteilter oder den schwer anorektischen, nackten Körper der Französin Isabelle Caro - und die Menschen liefen Sturm dagegen. Damit hatte die Werbekampagne ihr Ziel erreicht - sie brannte sich ins kollektive Gedächtnis ein. Allerdings blieb auch nicht jede Grenzüberschreitung folgenlos - so bewarb die Automarke Toyota ihr Modell Matrix mit Drohanrufen und angsteinflößenden E-Mails, was letztendlich zu einer Klage führte.

Inzwischen ist es schon normal geworden, dass alle paar Monate ein Aufreger herrscht - und entsprechend häufen sich die Provokationen auch in der Werbung. Erst kürzlich sorgte etwa die Unterwäschekette Intimissimi für einen Aufschrei, als Heidi Klum mit ihrer Tochter Leni in sexy Unterwäsche posierte. Tatsächlich wirken die Bilder, auf denen sich Mutter und Tochter gemeinsam in Spitzendessous und High Heels sexy vor der Kamera räkeln, ziemlich befremdlich. Im Frühjahr diesen Jahres sorgte die deutsche Supermarktkette Edeka mit einem unangenehm anachronistischen Werbevideo für Empörung - ein Vater kriegt weder de Haushalt noch die Versorgung der Tochter richtig hin, und am Ende bedankt sich diese bei ihrer Mutter dafür, dass sie nicht dieser unfähige Mann ist. Tatsächlich ist ein solcher Spot, wie ich finde, für beide Geschlechter beleidigend - aber der Clip sorgte für Aufmerksamkeit. Die stilistischen Fehlgriffe der Modekette Zara waren in einigen Fällen ebenfalls eine Provokation - 2007 musste man eine Handtasche aus dem Sortiment nehmen, die mit bunten Hakenkreuzen verziert war, 2014 sorgte ein T-Shirt mit der Aufschrift White is the New Black für Ärger, und im selben Jahr brachte Zara ein gestreiftes langärmliges Shirt für Kleinkinder auf den Markt, auf dessen Brust ein sechszackiger gelber Stern aufgenäht war. Laut des Unternehmens sollte dieser einen Sheriff-Stern darstellen - tatsächlich erinnerte das Shirt als Ganzes aber eher der Kleidung jüdischer KZ-Häftlinge.

Die meisten seltsamen Anwandlungen hat aber wohl die spanisch-französische Luxusmarke Balenciaga - und das gilt nicht nur für das meist hässliche Design, das manchmal eigenartige Kreationen hervorbringt, etwa Crocs mit hohen Absätzen oder eine 2.000 Euro teure Tasche, die wie die blauen Shopper von IKEA aussieht. Bekanntlich musst du heutzutage reich sein, um arm aussehen zu dürfen - und das scheint sich Balenciaga zum Programm gemacht zu haben: Im Frühsommer diesen Jahres verkaufte die Modekette Turnschuhe, die so zerfetzt und verdreckt waren, dass sie buchstäblich nur noch Müll waren, um 1.450 Euro - wobei sie nur auf den Fotos so dreckig waren. Doch nicht nur die Outfits, auch die Werbekampagnen sorgten immer wieder für Aufreger. So veranstaltete Balenciaga im März dieses Jahres, kurz nach Beginn des Einmarsches von Putins Truppen in die Ukraine, eine Runway-Show, in der, laut Aussage des Unternehmens, auf das Leid der ukrainischen Flüchtlinge aufmerksam gemacht werden sollte - Models stapften, in sündteure Luxusmode gewandet, mit ebenso teuren ledernen Müllsäcken in der Hand, unter einer Art Glassturz durch einen künstlichen Schneesturm, so dass sich die Frage stellt, ob dies wirklich auf Leid aufmerksam macht oder ob dieses eher ausgenutzt wird, um Werbung für seine Produkte zu machen. Letzten Oktober gab es eine ähnliche Runway-Show, in der die Models in einer düsteren, apokalyptischen Szene durch Schlamm wateten - einige von ihnen trugen Rucksäcke, die wie hässliche Teddybären im BDSM-Outfit aussahen; auch diese Szenerie ließ an Krieg und Flucht denken und an Kinder, denen nur noch ein Kuscheltier geblieben ist. Kontroversen gab es jedoch auch firmenintern - etwa in der hauseigenen Model-Agentur, in der Mädchen während eines Castings in ein dunkles, kaltes Treppenhaus gesperrt wurden, während die Veranstalter zum Mittagessen gingen, oder durch den Vorwurf, die Marke klaue Kunst von PoC.

Für den größten Skandal sorgte jedoch ihre jüngste Werbekampagne, die in Kooperation mit dem Fotografen Gabriele Galimberti entstand. Dieser hatte eine Fotoserie namens Toy Stories kreiert, die aus Bildern von Kindern aus aller Welt bestand, die von ihren Spielsachen umgeben sind. Balenciaga bediente sich dieser an sich schönen Idee und machte etwas unangenehm Skurriles daraus: Die Fotos der Marke zeigten ebenfalls Kinder, doch statt des Spielzeugs sind sie von Luxusgegenständen von Balenciaga umgeben, die weder den Bedürfnissen noch den Interessen eines Kindes gerecht werden würden - was vor allem durch die in mehreren Fotos zu findenden Schuhe deutlich wird, die alle Erwachsenengröße haben. Den eigentlichen Skandal löste jedoch der Umstand aus, dass auf jedem Foto diese BDSM-Teddybären zu sehen waren. Kurz darauf veröffentlichte Balenciaga in Kombination mit Adidas ein Foto einer der für sie typischen Hourglass-Taschen mit den charakteristischen drei Streifen, die auf einem Tisch liegt, der von einem Durcheinander an Papieren und Kunstbüchern bedeckt ist. Zu den Papieren gehören auch Gerichtsdokumente, die für einen weiteren Aufschrei sorgte. Und die Kombination aus diesen beiden Werbekampagnen rief alte Freunde von uns auf den Plan.

Diese behaupten nämlich, dass die Gerichtsdokumente Kopien des Prozesses Ashcroft v. Free Spech enthielten, laut dem der Verbot von Kinderpornographie ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit sei. Dazu passen der Bildband des belgischen Künstlers Michaël Borremans, dessen 2018 vorgestellte Bilderserie Fire from the Sun figurative Kleinkindergestalten darstellt, die an Putten erinnern, aber in einem Szenario, das an okkulte Rituale erinnert, sowie der von Matthew Barneys Ausstellung The Cremaster Cycle, die mich an Hieronymus Bosch, aber auch an Luis Buñuel und Salvador Dalí erinnert und die sich in verstörender Bildsprache mit biologischer und psychologischer Formwerdung von Körpern beschäftigt, nur allzu gut. Ich denke, einige von euch ahnen, worauf ich hinauswill - Ritualmordlegende, Satanic Panic, QAnon etc. pp. Nun, die Gerichtsdokumente konnten schnell recherchiert werden - es handelt sich um den Prozess United States vs. Williams, im Zuge dessen ein Gesetz erlassen wurde, welches dezidiert das Anbieten von Kinderpornographie als strafbar erklärt. Balenciaga behauptet, dass diese gerade auf diesem Foto zu sehen seien, sei nur Zufall - aber wie wir wissen, glauben gewisse Leute nicht an Zufälle. Die Initialzündung lieferte Fox-News-Kommentator Tucker Carlson, der gerne mal Verschwörungserzählungen und russische Propaganda nachplappert und der behauptete, Balenciaga würde offen für Kinderpornographie werben. Natürlich war das für QAnons und ähnlich Verstrahlte die Aufforderung, nach versteckten "Hinweisen" auf den Fotos zu suchen, die diese Behauptung stützen. Und was haben wir gelernt? Richtig - wenn man etwas finden will, dann findet man es auch. Und so entdeckte man unter den Luxusgegenständen ein aufgerolltes Absperrband, auf dem die Buchstaben B-A-A-L zu erkennen sind - Baal ist ein Dämon der frühchristlichen Mythologie, dem man Kinderopfer dargebracht haben soll. Aber da hörte das Spiel noch nicht auf - wenn man das Wort Balenciaga mit einem weiteren a versieht, kommt "Baalenciaga" heraus. Gibt man das Wort "Baal enci aga" dann in den Google-Übersetzer ein, soll angeblich der aus dem Lateinischen übersetzte Satz "Baal ist der König" herauskommen. Nun - wenn ich denselben Satz in Übersetzungsprogramm eingebe, erkennt dieses die Sprache Nord-Sotho, eine Bantu-Sprache im südlichen Botswana, aber es übersetzt nur das Wort "Baal" in "Flügel". Gebe ich nur "enci aga" ein, übersetzt das Programm aus dem Spanischen, und heraus kommt "einschalten". Irgendwas kann da also nicht stimmen - zumal die Marke von einem Mann namens Cristóbal Balenciaga gegründet worden war. Ist der jetzt auch Satanist gewesen? Auch entdeckte man unter den Luxusgegenständen mehrere weiße Hasenfiguren, die sofort an die Aufforderung "follow the white rabbit" denken lassen, laut Wahnwichteln eine Extraeinladung für Adrenochrome konsumierende Eliten.

Und so sind QAnon-Gläubige überzeugt davon, dass Balenciaga ein Modehaus des Deep State sei, und einmal mehr wird der irrationale Glaube an Kinderhändler-Ringe innerhalb der Elite gefestigt. Natürlich entschuldigte sich Balenciaga, wobei sie die Schuld gänzlich auf Galimberti abwälzten, um schwere Image-Schäden zu vermeiden. Die Karriere und das Lebenswerk des Fotografen, der inzwischen Morddrohungen bekommt, sind dadurch allerdings unwiederbringlich zerstört, und da Balenciaga seine Bekanntheit vor allem all jenen verdankt, die auf die Empörungswellen aufgesprungen sind, wird es wohl auch in Zukunft nicht auf Skandale verzichten. Allerdings haben sie sich mit der Löschung der Kampagne keinen Gefallen getan - für Verschwörungsgläubige ist das nämlich der ultimative Beweis, dass sie tatsächlich Werbung für Kinderpornographie sei, wodurch der Verschwörungsmythos erst recht explodierte - unter anderem durch Kanye West, der diese Erzählungen bereitwillig aufgriff.

Und so hat Balenciaga unabsichtlich einen Kampf provoziert, den es nicht gewinnen kann - einerseits sprechen sie aufstrebende junge Menschen von der Straße an, die sich ihr Zeug natürlich nicht leisten können, andererseits sagen sie dem von den Eliten zementierten Status Quo den Kampf an. Die Folgen ihrer Kampagne sind nicht mehr aufzuhalten: Prominente stellen Videos online, in denen sie ihre Balenciaga-Produkte verbrennen, und der offensichtlichste Kritikpunkt, nämlich Kinder in einen BDSM-Kontext zu setzen, um überflüssiges Gelumpe zu bewerben, wird stärker skandalisiert als eigentlich nötig. Auch das prominente Aushängeschild der Marke, Kim Kardashian, hat sich inzwischen zurückgezogen, und die Influencerin Cathy Hummels kassierte kürzlich einen Shitstorm, weil sie in Köln im Balenciaga-Outfit zu sehen war. Wie es also aussieht, ist es aktuell gar nicht mehr so cool, diese Marke zu tragen.

Wie ihr also seht, kann man es sich heutzutage extrem schnell mit der Öffentlichkeit verscherzen. Und deshalb ist provokante Werbung immer eine Gratwanderung - und wenn man seine Bekanntheit hauptsächlich darauf aufbaut, ist es im Prinzip nur eine Frage der Zeit, bis man sich mal die Finger verbrennt. Vor allem, wenn man auf Geschmacklosigkeiten setzt, wie Kinder für die eigene Agenda in einen unpassenden Kontext zu transferieren - und somit sehr starke Emotionen anspricht, die bei vielen oft ins Irrationale abdriftet. Wir haben vor ein paar Tagen gesehen, wie gefährlich Radikalisierung durch Verschwörungsmythen werden kann - und ich erinnere daran, dass aus ursprünglich spinnerten Ideen etwas werden kann, das eigentlich niemals wollte und wo man sich hinterher fragt, wie so etwas passieren hatte können, wie die jüngsten Ereignisse zeigen.

Wie dem auch sei, ich wünsche euch bis zum nächsten Mal eine schöne Zeit und passt gut auf euch auf! Bon voyage!

vousvoyez

Samstag, 3. Dezember 2022

Eine Ameise alleine ist strunzdumm, aber zusammen sind sie intelligent; bei manchen Menschen scheint es jedoch umgekehrt zu sein

Photo by Joel Muniz on Unsplash
Dabei könnten wir wie Ameisen sein und sind es manchmal auch - meistens aber eher nicht, und das ist frustrierend. Beispielsweise können wir Frauen untereinander nicht solidarisch sein, wollen aber die gleichen Rechte wie Männer - während wir diese immer noch betrachten wie willenlose Triebwesen, die ständig in Versuchung geraten. Ist das nicht bescheuert? Und dabei wird der Mann schon seit Jahrtausenden so betrachtet, und das hat immer zu Problemen geführt. Aufgrund dessen wird nach einer Vergewaltigung das Opfer bestraft oder zumindest verdächtigt, aufgrund dessen drohen Frauen im Iran, in Katar und in Afghanistan drakonische Strafen, wenn sie die dortige Bekleidungsvorschrift nicht einhalten. Wir trauen Männern keine Verantwortung zu, und diese trauen uns keine zu. Wir müssen ständig beschützt werden, aber gleichzeitig sind wir immer diejenigen, die die unschuldigen Männer in Versuchung führen - das beginnt schon in der Bibel mit Eva, die Adam dazu verführt, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Dass zur Verführung immer zwei gehören, wird da nicht berücksichtigt - und dass Adam doof genug war, zu tun, was eine Nackerte ihm gesagt hat, obwohl er wusste, dass das verboten ist, auch nicht. Und trotzdem halten sich Männer seit Jahrtausenden für die Krone der Schöpfung. Und bevor sich jemand beschwert: Liebe Männer, ich weiß, dass viele von euch bereits anders denken. Deswegen sage ich euch schon im Vorhinein, dass es hier vor allem um die geht, die an einem antiquierten Frauenbild festhalten. Und auch darum, wie sehr wir Frauen das noch verinnerlicht haben.

Ich muss beispielsweise schamhaft zugeben, dass ich in jungen Jahren ein Pick-me-Girl gewesen bin - nur, dass es damals den Ausdruck "Pick-me-Girl" nicht gab, und auch keine Hashtags wie #notlikeothergirls. Hashtags hießen damals noch "Raute" oder "Doppelkreuz" und fanden hauptsächlich Anwendung in der Mathematik, Technik, Medizin, Heraldik oder Schachnotation, um nur ein paar zu nennen. Mit anderen Worten: Ich benutzte sie eigentlich nie. Aber ich war eine von denen, die anders waren als die anderen - vor allem die anderen Mädchen. Wie originell! Das Pick-me-Girl schmückt sich gerne mit "männlichen" Attributen und hat lieber Jungs als Freunde, weil ihr die anderen Mädchen einfach zu zickig und zu oberflächlich sind. Sie will, dass die Jungs sie cool finden - weil sie Bier trinkt statt Cocktails, weil sie nicht permanent mit ihrem Aussehen beschäftigt ist, weil man mit ihr zocken und über Fußball reden kann. Besonders beliebt war dieses Motiv in meiner Jugend in all diesen Teenie-Filmen, die damals ständig in den Kinos liefen. Dort gab es nur zwei Extreme: Auf der einen Seite die Tussis, die immer Pink und Minirock tragen, ein bisschen doof sind, sich nur für Make-up und Jungs interessieren und ständig völlig ohne Grund gemein zu anderen sind; auf der anderen Seite die eine, die "nicht so ist wie die anderen" - die sich schlicht kleidet, eher introvertiert ist und - ganz wichtig! - Bücher liest. Denn Bücher lesen ist in dieser Welt etwas ganz Außergewöhnliches und Originelles und bedeutet, dass Personen, die lesen, immer total tiefgründig sind. Und natürlich sind beide Gegensätze unvereinbar - ein Mädchen, das sich nach der Mode kleidet und schminkt, kann natürlich niemals Bücher lesen! Da wirkt Rory Gilmore von den Gilmore Girls, die Bücher liest und sich mit Mode und Make-up auskennt, schon beinahe revolutionär. Als Teenager habe ich diese Dynamiken nie hinterfragt - und mir ganz selbstverständlich immer die mit dem Buch zum Vorbild genommen, weil ich selbst gerne Bücher lese und mir das ewige Gedöns um Make-up und Mode zu anstrengend ist.

In Wirklichkeit aber machen wir uns damit nur gegenseitig klein - indem wir Klischees zementieren, die wir eigentlich hinter uns lassen wollen, und sie gleichzeitig abwerten: Alles, was "typisch weiblich" ist, ist uncool, weil langweilig und oberflächlich. Deswegen müssen wir immer dieses ganz besondere Schneeflöckchen sein, das sich von der pink gekleideten, sich schminkenden Masse abhebt. Langsam aber sollten wir anfangen, uns zu fragen, warum uns nicht schminken, schlichte Kleidung und Bücher lesen so "besonders" machen soll - und warum wir uns den anderen auf diese Weise überlegen fühlen. Wir sollten uns über internalisierten Sexismus Gedanken machen - also ein Sexismus gegen das eigene Geschlecht, mit welchem wir patriarchale Strukturen zementieren und welcher vor allem die klassischen Rollenklischees umfasst, wobei "typisch weibliche" Eigenschaften abgewertet werden. Mit anderen Worten: Man reduziert andere nicht nur auf Klischees, sondern verurteilt sie gleichzeitig wegen dieser. Deswegen verleibt man sich möglichst viele "typisch männliche" Attribute ein, um sich von den anderen abzugrenzen und Bestätigung von Jungs/Männern zu erhalten. Und dabei sind die Möglichkeiten in Wirklichkeit doch so vielfältig, wenn wir endlich aufhören, uns gegenseitig gegeneinander ausspielen zu lassen. Darum finde ich es großartig, dass es heutzutage Mädchen gibt, die erkannt haben, dass "die anderen Mädchen" in Wirklichkeit nur ein Mythos sind - und sich auf TikTok über das Pick-me-Girl-Syndrom lustig machen. Denn ist es letztendlich nicht viel oberflächlicher, die anderen zu verurteilen, weil sie Kleider und Make-up tragen, als selbst Kleider und Make-up zu tragen?

Aber letztendlich ist dieses Verhalten ja auch ein Resultat dessen, was wir so lange vorgesetzt bekamen: Egal ob in Büchern, Hörspielen, Filmen oder Serien - überall gibt es viele Geschichten, die sich um die Eine und Einzige drehen. Das beginnt schon mit jenen Märchen, in denen sich alles um die Eine dreht, die Auserwählte, die meistens gleichzeitig die Schönste, die Frommste, die Fleißigste ist. Vor allem aber die Schönste. Besonders die Prinzessinnen können außer Schönsein aber nicht viel - meistens sind sie sogar ziemlich doof. Zum Beispiel Schneewittchen, die dreimal auf die böse Königin hereinfällt. Oder Dornröschen, die sich mit der Spindel sticht, obwohl sie vom Fluch der bösen Fee weiß. Häufig werden sie auch von ihrem Prinzen vergessen, der sich gleich mal eine andere angelt - aber daran ist natürlich NIE er schuld, sondern immer die Nebenbuhlerin, weil sie ihn verhext hat. Und entsprechend verhält sich die wahre Braut auch nicht so, wie es jede vernünftige Frau tun würde, indem sie über den Arsch, der sie links liegengelassen hat, hinwegkommt und sich einen neuen sucht - nein, sie macht sich auch noch schön für ihn und setzt alles daran, ihn zurückzuerobern! Da frage ich euch doch: Wie verstrahlt kann man bitteschön sein? Und der Schönsten gegenüber stehen die Bösen, die meistens hässlich, häufig faul und vor allem neidisch auf die Schöne sind. Und am Ende ist es immer der schöne Prinz, der die Prinzessin aus ihrer Misere befreit. Wobei die Prinzen teilweise auch ganz schön doof sind - beispielsweise der im Froschkönig, der die junge Dame, die ihn an die Wand geknallt hat, auch noch heiratet! Aber auch in Serien und Filmen sind Frauenfiguren nicht sehr facettenreich - Schlumpfine ist in den frühen Folgen nicht nur der einzige weibliche Schlumpf, sie wurde auch noch erschaffen, um die friedliche Männergesellschaft in Schlumpfhausen zu stören. Und im Gegensatz zu den anderen ist ihr einziges besonderes Kennzeichen, dass sie weiblich ist. Beispiele gibt es viele.  Auf der anderen Seite haben wir weibliche Trickfilmfiguren, die absurd sexualisiert dargestellt werden - na gut, das kann man zumindest teilweise noch als Karikatur gelten lassen, und zudem gibt es ja ebenso auch extrem sexualisierte Männerfiguren - und vor allem seit den 1990ern oft dünner sind, als es rein anatomisch überhaupt möglich wäre. Über Schönheitsideale schreibe ich allerdings an anderer Stelle.

Halten wir also fest: Wir Frauen sind irrsinnig gut darin, einander in den Rücken zu fallen, aber eher schlecht darin, zusammenzuhalten und uns gegenseitig zu stützen - zumindest öffentlich, privat können wir uns aufeinander verlassen. Vor allem dann, wenn wir uns schon lange kennen. Besonders unfair sind wir zu jenen, die nicht unser Lebensmodell adaptiert haben, welches natürlich absolut perfekt ist. Und recht machen können wir es ohnehin weder uns gegenseitig noch anderen; wollen wir keine Kinder, werden wir vor einem unerfüllten Leben gewarnt; haben wir Kinder, legt uns der Staat beständig Steine in den Weg; haben wir Kinder und gehen arbeiten, sind wir Rabenmütter; bleiben wir aus freien Stücken zu Hause, sind wir rückständig. Aktuell gibt es auf TikTok jedoch Trends, die eher das traditionelle Rollenbild vertreten - nämlich die Stay-at-Home-Girlfriends und die Tradwifes. Nur, damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich finde es ganz wunderbar, dass du dich in deiner Rolle als Hausfrau und Mutter selbst verwirklichen kannst, Karen - aber nicht alle wollen oder können das.

Stay-at-Home-Girlfriends und Tradwifes zeichnen sich vor allem durch eine Gemeinsamkeit aus: Sie haben sich einen reichen Mann geangelt, leben auf deren Kosten und zelebrieren das im Internet. Stay-at-Home-Girlfriends führen vor, wie sie tun und lassen, was sie wollen und wann sie es wollen, ohne einem lästigen Job nachgehen zu müssen. Tradwifes zeigen, wie sie den Haushalt führen und sich, sofern vorhanden, um die Kinder kümmern. Manche sogar im schicken Fünfziger-Jahre-Hollywood-Outfit. Natürlich wird immer nur gezeigt, wie toll das alles ist - entsprechend sehnen sich junge Mädchen, die diese Videos ansehen, häufig danach, ebenfalls so ein tolles Leben zu führen. Was jedoch niemals vorkommt, ist der hohe Preis, den man dafür bezahlt: seine Freiheit, seine Unabhängigkeit und seine Selbstständigkeit. Darüber hinaus wird oftmals ausgeblendet, dass diese Frauen mit ihrem Lebensmodell genauso Geld verdienen wie alle Influencer innen, außen und rundherum - mit anderen Worten, weder verbringen sie ihre Zeit ausschließlich damit, das süße Leben zu genießen, noch sind sie von ihren Männern tatsächlich finanziell abhängig.

Bei Frauen, die neben ihrem Hausfrauendasein keine lukrative Influencer-Karriere am Laufen haben, sieht es jedoch oft ganz anders aus: Da ausschließlich der Mann über das Kapital verfügt, ist das Machtverhältnis im Ungleichgewicht und kann ganz leicht ausgenutzt werden. Und das führt ganz schnell in die Hilflosigkeit und nach einer Trennung auch häufig in die Armut - und aus Angst vor dem finanziellen Abstieg sind Frauen dann in einer unglücklichen oder gar gewaltvollen Beziehung gefangen.

Was die Tradwifes betrifft, so kommt noch eine ganz andere Gefahr hinzu: Dieses Konzept ist nämlich oft hoch ideologisch, und auch wenn nicht alle Frauen, die sich als Tradwifes inszenieren, rechtsradikal sind, so gibt es hier doch sehr viele Schnittstellen: So machen einige von ihnen keinen Hehl daraus, dass ihr Ziel ist, möglichst viele weiße Babys zu "produzieren". Viele sehen ihre Daseinsberechtigung darin, sich dem Mann unterzuordnen und ihm zu dienen. Häufig werden hier auch die fünfziger Jahre romantisiert, ohne zu bedenken, dass die Frau damals selten eine andere Wahl hatte, als Hausfrau und Mutter zu sein; sie hatte kaum Rechte und brauchte die Erlaubnis des Ehemannes, um einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können. Abgesehen davon war Gewalt in der Ehe ein Kavaliersdelikt und eine Vergewaltigung der Ehefrau nicht strafbar.

Die Schnittstellen zwischen Tradwife und rechtsradikaler Ideologie werden vor allem in einem Sharepic sichtbar, das Ende Oktober diesen Jahres viral ging: Es tauchte auf dem Instagram-Kanal der AfD Sachsen auf und stellte die "moderne befreite Feministin" der "traditionellen Ehefrau" gegenüber - wobei Ersterer natürlich nur negative, Letzterer nur positive Eigenschaften zugeschrieben wurden. Das sieht man schon am Erscheinungsbild der beiden: Die "böse" Frau ist pummelig, unvorteilhaft gekleidet, hat ein Tattoo, strähnige Haare und einen miesepetrigen Gesichtsausdruck; die "gute" Frau ist schlank, züchtig gekleidet, mit einem Baby auf dem Arm und zufriedenem Gesicht. Laut des Memes ist der Lebenswandel der "Bösen" ungesund, sie hat kein Selbstvertrauen, schustert ständig an sich herum, hat "Gender" studiert, wechselt pausenlos die Partner und treibt ständig ab; die "Gute" hingegen achtet auf ihre Gesundheit und pflegt ein natürliches Erscheinungsbild, lebt gesund und ist eine patriotische Hausfrau und Mutter. Natürlich sorgte das Bild für Empörung, und binnen kürzester Zeit war es überall zu sehen - auch nachdem die AfD Sachsen es schon längst gelöscht hatte. Entsprechend fand man auch schnell heraus, woher das Bild ursprünglich stammte: nämlich aus der ultrarechten Ecke der Tradwife-Bewegung - deren Sharepic ging nämlich schon vor drei Jahren im englischsprachigen Raum viral. Und auf diesem sind exakt die gleichen Frauen zu sehen, ein Teil des hier abgebildeten Textes wurde auf dem AfD-Meme vollständig übersetzt wiedergegeben. Das einzige, was fehlt, ist der offene Rassismus (die Feministin steht nur auf Schwarze, die Tradwife liebt ihre "Rasse") und die Glorifizierung von Heimunterricht. Auch in Incel-Foren sind beide Memes übrigens sehr beliebt. Ihr erinnert euch, jene Bewegung, in der frustrierte weiße, heterosexuelle Männer sich einbilden, Sex sei ihr gottgegebenes Recht, das ihnen Frauen gefälligst zu gewähren hätten.

Wie ihr also seht, gibt es auch in unseren Breiten noch enorm viel zu tun - und dabei haben wir es besser als viele Frauen in anderen Ländern und Gesellschaften. Ein herausragendes Beispiel ist momentan der Aufstand der Frauen im Iran. Ich habe mich bereits vor längerer Zeit in die Geschichte rund um die Islamische Revolution hineingelesen - wärmstens empfehlen kann ich übrigens Persepolis, das Graphic Novel von Marjane Satrapi, in dem sie zeichnerisch darlegt, was es bedeutet, Frau im Iran nach 1979 zu sein. Denn seit damals sind die Frauen dort nahezu rechtlos. Da sie sich die Schikane durch die dortige Sittenpolizei nicht mehr gefallen ließen, griff das Regime immer härter durch: Am 16. September dieses Jahres wurde die kaum 23jährige Kurdin Jina Mahsa Amini von der iranischen Sittenpolizei verhaftet und zu Tode geprügelt, weil sie ihren Hijab nicht korrekt getragen hätte - von offizieller Seite hieß es, sie sei einem Herzversagen erlegen, die Obduktionsberichte sagten allerdings anderes aus. Daraufhin eskalierten die Aufstände gegen die iranische Regierung: Menschen demonstrierten in den Städten, Frauen schnitten sich öffentlich die Haare ab und verbrannten ihre Hijabs. Etliche von ihnen wurden verhaftet, misshandelt und getötet, aber sie haben bis heute nicht aufgegeben - sie riskieren ihr Leben für ihre Freiheit. Was aktuell im Iran passiert, ist größer als alles, was wir hier veranstalten - es zeigt, dass der Wille der islamischen Frauen auch nach über vierzig Jahren Unterdrückung immer noch nicht gebrochen ist.

Und das gehört zu jenen Themen, die wichtig sind - ebenso, wie die Tatsache, dass hierzulande immer noch viel zu viele Frauen nahezu täglich Opfer von Gewalt werden. Und dass die meisten Politiker auf das eine wie das andere bestenfalls zahnlos reagieren, während in den Kommentarspalten von Twitter, Instagram, Facebook & Co. immer wieder die Forderung laut wird, dass man sich doch lieber wichtigeren Themen widmen soll. Klar - was gibt es auch Unwichtigeres als die Freiheit und Sicherheit der halben Weltbevölkerung. Diese Frauen wollen doch eh nur Aufmerksamkeit! Und überhaupt - warum wollen wir linksgrünversifften Gutmenschen, dass Frauen im Iran ihr Kopftuch ablegen dürfen, wenn wir doch hierzulande alle verschleiern wollen? Nun - das nennt man Instrumentalisierung: Sich den Protest anderer zu eigen machen, um anti-islamische bzw. rassistische Narrative zu verbreiten. Zum Glück scheinen die Proteste der iranischen Frauen sowie die Solidarität auf der ganzen Welt jedoch diesmal das rechtspopulistische Gejaule zu übertönen. Das sollten wir uns für die Zukunft merken. Und um es klarzustellen: Ich bin nach wie vor kein Fan vom Kopftuch - für mich symbolisiert es viel zu sehr patriarchale Ansprüche -, aber ich erkenne auch an, dass die Trägerinnen es vielleicht anders empfinden. Ja, man kann tatsächlich etwas tolerieren, ohne es deswegen gleich toll finden zu müssen - denn wer sich gegen einen Kopftuchzwang ausspricht, muss deshalb nicht gleichzeitig für ein Kopftuchverbot fordern. Das wäre ungefähr so, als würde man Frauen verbieten, ihre Brüste zu bedecken, weil man sich an der Sexualisierung der weiblichen Brust stört.

Halten wir also fest: Bis wir tatsächlich die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau erreichen, muss noch viel getan werden. Trotzdem müssen wir anerkennen, dass wir bisher schon weitaus mehr erreicht haben, als innerhalb eines Jahrhunderts zu erwarten gewesen wäre. Lassen wir uns diese Rechte also nicht wieder nehmen und vor allem - hören wir auf, uns gegenseitig in den Rücken zu fallen. Denn ein so großes Ziel lässt sich nur gemeinsam erreichen.

vousvoyez






Eine legale, billige und bequeme Möglichkeit, den Frauen im Iran und auch anderen Menschen, die in einem Land mit zensiertem Internet leben, Unterstützung zukommen zu lassen:https://snowflake.torproject.org/embed

Mittwoch, 23. November 2022

"Pretty in Plüsch" ist schlimmer, als die Muppets auf Wish zu bestellen

© vousvoyez
Tatsächlich frage ich mich, was die Produzenten geraucht haben müssen, um so eine Show zu erfinden. Ich habe zwar nicht viel davon gesehen, aber mir ist tatsächlich aufgefallen, dass diese Puppen und Stoffviecher alle so aussehen wie fehlkonstruierte Muppetfiguren. Und die Muppets gehörten ebenso zu meiner Kindheit wie regelmäßige Zoobesuche.

Als ich ein Kind war, wandelten sich die winzigen Käfige, die ursprünglich für Zootiere üblich waren, langsam in großzügigere Gehege - und die Tiere wurden weniger als Objekte und mehr als Lebewesen angesehen. Ich erinnere mich an ältere Fotos, die einer meiner Brüder geschossen hat und die die schmiedeeisernen Käfige im Tiergarten Schönbrunn zeigen, in die noch in den 1970er Jahren Großkatzen eingesperrt wurden - wofür es übrigens schon damals heftige Kritik gab. Ein paar der alten denkmalgeschützten Gebäude, etwa der Bärenzwinger, existieren übrigens heute noch - werden aber nicht mehr so genutzt wie ursprünglich gedacht, beispielsweise wird der alte Kaiserpavillon, in dem früher die Papageien untergebracht worden waren, heute als Café und Restaurant genutzt, während der Bärenzwinger schon seit Ewigkeiten leer steht. Und so habe ich bei meinen Besuchen in Schönbrunn eine moderne Tiergarten-Anlage mit weitläufigen Gehegen vorgefunden, die das barocke Ambiente mit moderner Wildtierhaltung kombiniert. Wie viele Kinder, so bin auch ich gerne in den Zoo gegangen, weil ich Tiere mochte. Heute allerdings stelle ich mir die Frage: Sind Zoos eigentlich noch zeitgemäß?

Frühformen zoologischer Gärten gab es laut archäologischen Funden bereits im alten Ägypten und im antiken China; im Alten Orient wurden schon damals exotische Tiere unter den jeweiligen Herrschern ausgetauscht oder als "Zahlungsmittel" eingesetzt. Aus dem 15./16. Jahrhundert ist der den späteren Menagerien ähnliche Zoo des Aztekenherrschers Moctezuma II. bekannt. In Europa wurden sehr häufig Wild und Geflügel aus den nahen Alpenregionen in Klöstern gehalten, im weltlichen Bereich dienten Tiergehege größtenteils der Jagd. Schon damals gab es allerdings auch Menagerien, die der Zurschaustellung von Tieren dienten; die meisten befanden sich in Besitz von adeligen Höfen - berühmt war etwa die königliche Menagerie im Tower of London, welche unter Heinrich III. eingerichtet wurde. Durch Ludwig XIV., der im Schlosspark von Versailles Gehege für exotische Tiere errichten ließ,, kam es zu einer Blütezeit der höfischen Menagerien, die in der frühen Neuzeit zu einer Art Statussymbol wurden, mittels dessen absolutistische Herrscher ihren Reichtum und ihre Exklusivität zur Schau stellten. Diese Tiergärten waren allerdings adeligem Publikum vorbehalten.

Allmählich entwickelte sich auch das Interesse an der wissenschaftlichen Erforschung und Beobachtung lebendiger Tiere - die nicht artgerechte Haltung in den höfischen Menagerien war dabei jedoch nicht von Vorteil, da sich die Tiere dort selbstverständlich nicht ihrer Natur gemäß verhielten. Die sukzessive Auflösung fürstlicher Privatmenagerien um 1800 förderte die Entstehung wandernder Tiersammlungen, die sich immer mehr an der Schaulust des Publikums orientierten. Der älteste Zoo, der von Beginn an wissenschaftlichen Interessen diente, war die Ménagerie du Jardin des Plantes, eine Art Nachfolge-Zoo der Versailler Menagerie der von Anfang an für jeden offen stand und Forschungsmöglichkeiten für namhafte Wissenschaftler bot. Die erste Anlage, welche die Bezeichnung "Zoologischer Garten" führte (womit auf die wissenschaftliche Ausrichtung hingewiesen werden sollte), war der Londoner Zoo.

Der erste Zoo, welcher annähernd modernen Standards entsprach, war Hagenbecks Tierpark in Hamburg. Der Name Carl Hagenbeck ist uns aus einem anderen Artikel bereits bekannt - er stellte nicht nur exotische Tiere, sondern auch Menschen in seinen Zoos aus. Heute bemühen sich Zoos vermehrt, ihre Architektur den Bedürfnissen der Tiere anzupassen - was nicht immer ganz einfach ist, da bei historischen Zoos aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert häufig Tier- und Denkmalschutz kollidieren, so etwa im Zoologischen Garten Berlin oder im bereits erwähnten Tiergaren Schönbrunn, wo die Tiere oft als eine Art Accessoire für interessante architektonische Einfälle benutzt werden. Ansonsten hat sich seit den 1990er Jahren eher die in den USA entwickelte Erlebnisarchitektur durchgesetzt, bei der die Tiergehege deren in ihrer Heimat vorgesehenen Lebensraum nachbilden. Manche Anlagen bauen auch auf das Konzept des Geozoos, in dem sich geographisch zueinander passende Tiere die Gehege teilen. Außerdem gibt es natürlich auch die Zoos, die sich auf bestimmte Lebensräume spezialisiert haben, wie Reptilienzoos, Aquarien, Safariparks oder Schmetterlingszoos. Zu Letzteren gehört auch das Schmetterlingshaus im Wiener Burggarten, das in einem Flügel des berühmten Palmenhauses untergebracht ist. Ich war als Kind einmal drin und musste feststellen, dass Schmetterlinge sich überhaupt nicht gern fotografieren lassen - außer sie sind aufgespießt, aber das wollen wir ja nicht. Auch heute stelle ich übrigens immer wieder fest, dass vor allem Tagfalter nicht gnädig darauf warten, bis du deine Foto-App geöffnet hast. In vielen größeren Zoos befinden sich auch Streichelzooanlagen, die Haustiere beherbergen, die auch angefasst und gefüttert werden dürfen. Zu erwähnen sind außerdem Themenzoos, die sich bestimmten Tierarten widmen, oder Privatzoos, die allerdings ein Kapitel für sich sind.

Womit ich auf die eigentliche Frage zurückkomme: nämlich, ob Zoos in der heutigen Zeit noch sinnvoll sind. Nun kennen wir die Argumente von Zoobefürwortern, die immer wieder hervorgekramt werden, sobald man versucht, ernsthaft über dieses Thema zu diskutieren: Der Zoo diene den Besuchern zur Erholung und Bildung, außerdem der wissenschaftlichen Forschung sowie dem Artenschutz bzw. Arterhalt. Abgesehen davon bietet der Zoo Wildtieren ein längeres und entspannteres Leben, als sie es in freier Wildbahn hätten. Die Frage ist allerdings, inwieweit das zutrifft und wie viele dieser Argumente noch übrig bleiben, wenn man sie genauer betrachtet und auf ihre Validität überprüft.

Kommen wir als erstes zum Thema Artenschutz und wie viel der Zoo wirklich dazu beiträgt. Gerade in Zeiten wie diesen, wo pro Tag etwa 20.000 bis 100.000 Spezies ausgerottet werden und wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern, deren Ausmaß wir noch nicht absehen können, ist das natürlich ein Argument, das zählt. Und es gibt tatsächlich auch Tierarten, die ohne Zoos nicht mehr existieren würden - so gab es erfolgreiche Auswilderungsprojekte etwa des Goldenen Löwenäffchens, des Europäischen Wisent, des Przewalski-Pferdes oder des Kalifornischen Kondors. Natürlich wären diese Projekte ohne den schädlichen Eingriff des Menschen in die Lebensräume dieser Tiere nicht notwendig gewesen, aber das ist nochmal eine andere Geschichte. Gleichzeitig gibt es jedoch auch Tierarten, die nicht mehr ausgewildert werden können und daher nur noch im Zoo existieren - so etwa der Davidhirsch, der Warzenhonigfresser oder die Pinta-Riesenschildkröte. Hier stellt sich natürlich die Frage, was für einen Sinn es hat, diese Tiere sozusagen als lebende Fossilien im Zoo zu konservieren.

Natürlich beteiligen sich Zoos finanziell auch an Artenschutzprogrammen - aber nur ein Bruchteil ihrer Einnahmen wird wirklich darauf verwendet. Dafür kostet die Zoohaltung etwa gleich viel wie die Errichtung von Schutzgebieten, mittels derer Artenschutz auch vor Ort stattfinden könnte. Darüber hinaus werden nach wie vor wilde Tiere für Zoos gefangen und exportiert - und auch wenn sie häufig geschmuggelte Tiere bei sich aufnehmen, initiierten sie andererseits Tierschmuggel auch selbst. Insgesamt gelang den Zoos die Bewahrung von etwa 50 Tierarten vor dem Aussterben, was ja doch nicht allzu viel ist. Dafür wird in Zoos eine weitaus größere Anzahl an Tierarten gehalten, die gar nicht akut vom Aussterben bedroht sind - insgesamt sind das etwa 80 % aller im Zoo lebenden Tierarten.

Der zoologische Artenschutz konzentriert sich außerdem hauptsächlich auf Tiere, die auch Besucher anlocken - und das sind in den meisten Fällen Säugetiere und Vögel. Nun gibt es die meisten bedrohten Arten wahrscheinlich bei den Amphibien, aber Frösche und Salamander sind natürlich lange nicht so beliebt wie Pandabären oder Kondore, und auch mit Würmern, Insekten und Muscheln lockt man keine Leute in den Zoo. Leider schaffen wir es immer noch nicht, der nächsten Generation klarzumachen, dass Tiere auch dann wichtig für das Ökosystem sind, wenn sie nicht putzig, schön oder lustig sind. Wie es aussieht, wird das Erbmaterial von so manchem Exemplar in Zukunft nur noch in sogenannten Tiefkühlzoos existieren - vorausgesetzt natürlich, wir bringen überhaupt noch genügend Energieressourcen auf, um diese Lager langfristig versorgen zu können, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Da ist die nächste Geschichte noch der Bildungsauftrag, vor allem betreffend der Kinder, die schließlich nicht alle einen Urwald oder eine Savanne vor der Haustür haben. Wird dieser tatsächlich erfüllt? Nun, die Studien mit den positivsten Ergebnissen, die diese Argumentation untersucht haben, wurden - Überraschung!, Überraschung! - von Zoos herausgegeben. Fest steht, dass die Ergebnisse von Zoobesuchen bei Kindern in Begleitung einer Lehrperson augenscheinlich besser ist als ohne. Klar gibt es Zoos, die so viel Authentizität wie möglich schaffen wollen, etwa indem sie ganze Körperteile statt nur zerteiltes Fleisch an Raubtiere verfüttern, um zu zeigen, dass das auch zur Natur dazugehört und dass für Fleisch immer ein Tier sterben muss. Manche verabreichen auch keine Verhütungshormone, damit die Zoo-Insassen ihrem natürlichen Paarungstrieb nachgehen können - überzählige Tiere, die nicht an andere Zoos vermittelt werden können, werden dann getötet und manchmal auch an die Raubtiere verfüttert. Dies geschieht übrigens auch mit bedrohten Arten - man will auf diese Weise Inzucht vermeiden und eine gesunde Population erhalten. Eine Geschichte, die ich selbst noch vage auf dem Schirm habe, ist die Tötung des Giraffenbullen Marius im Kopenhagener Zoo mit anschließender Zerteilung vor Publikum, um das Fleisch an die Löwen zu verfüttern - sie verursachte 2014 einen Skandal, der in wüsten Beschimpfungen, Forderungen der Schließung des Zoos oder Entlassung des Zoodirektors und sogar Morddrohungen gipfelte. Selbstverständlich hauptsächlich online - was auch sonst? Und auch im US-Fernsehen, wo sich Leute echauffierten, die garantiert nicht alle Veganer waren. Aber okay, Doppelmoral ist auch nichts Neues. Natürlich ging es da auch um die armen Kinder, die so etwas mit ansehen mussten, anstatt in dem Glauben gelassen zu werden, Fleisch wachse in Supermarktregalen. Manche Zoos bieten auch Versteckmöglichkeiten für die Tiere, so dass man sie vielleicht auch mal nicht sehen kann, und die allermeisten in unseren Breiten erlauben kaum direkten Kontakt mit den Tieren, so dass Kinder lernen, dass Wildtiere keine Streicheltiere sind, auch wenn sie noch so süß aussehen - was angesichts der Tatsache, dass wir seit Jahrtausenden Geschichten erzählt bekommen von Tieren, die sich wie Menschen verhalten, entschieden ein Fortschritt ist. Was nicht bedeutet, dass man diese Geschichten nicht mehr erzählen darf - solange die Kinder lernen, Realität von Fiktion zu unterscheiden, werden sie auch verstehen, dass das nur Geschichten sind. Statt dessen sollte man ihnen vermitteln, dass nicht nur Rehlein und Häslein Respekt verdienen, sondern auch Raubtiere Teil eines funktionierenden Ökosystems sind. Aber braucht es für all das unbedingt einen Zoo? Schließlich gibt es heutzutage genügend andere Möglichkeiten, zu erfahren, wie ein Löwe aussieht - Fernsehen, Kino, Internet, Bücher, Spiele, Dokumentationen. Darüber hinaus kann man mit Kindern auch durchaus mal öfter in die Natur gehen und mit ihnen zusammen die heimische Tierwelt entdecken. Ich habe das als Kind erlebt, und obwohl ich den Zoo mochte, fand ich es mit der Zeit noch viel cooler und aufregender, mit dem Fernglas an einem Berghang eine Gemse zu erspähen (ich weiß, man schreibt jetzt Gämse, aber das sieht so hässlich aus), bei einem Waldspaziergang auf einen Feuersalamander zu stoßen oder beim Schnorcheln die Unterwasserwelt zu entdecken, als auch die exotischsten Tiere wie auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Auch das ist eine gute Lektion fürs Leben - manches ist einfach besser, wenn man etwas dafür getan hat. Und ich habe in den Naturdokumentationen der Reihe Universum weitaus mehr über Tiere und ihre Lebensräume gelernt als im Zoo, der die natürliche Umgebung bestenfalls nachahmen kann, aber nie so sein kann wie sie. Tatsächlich ist nach einem Zoobesuch keine unmittelbare Verhaltensänderung der Besucher gegenüber Natur und Tieren feststellbar.

Bleibt also nur das Totschlagargument der Zoos selbst - nämlich, dass sie den armen Tieren ein längeres und besseres Leben bescheren können als in der gefährlichen Natur. Und ich weiß auch, dass die Pfleger in den Zoos den Tieren nichts Böses wollen - ganz im Gegenteil -, und sie lieben die Tiere auch. Sie sind überzeugt von dem, was sie tun, und das ist auch ihr gutes Recht - genauso wie ich anderer Meinung bin und damit nicht allein dastehe. Tatsächlich haben etliche Wildtiere wie Löwe, Spitzhörnchen und Weißwedelhirsch in Gefangenschaft eine höhere Lebenserwartung - andere hingegen leben in Zoohaltung deutlich kürzer, beispielsweise werden Zoo-Elefanten nur halb so alt wie die in Freiheit. Ganz abgesehen davon kann man sich natürlich fragen, ob ein längeres Leben auch zwangsläufig besser oder glücklicher ist. Tatsächlich zeigen sich nämlich bei vielen Zootieren Verhaltensauffälligkeiten - so beispielsweise bei Schimpansen, die in Gefangenschaft häufig zu Verhaltensabnormitäten wie Koprophagie oder Selbstverletzung neigen. Das Problem ist, dass die artgerechte Haltung mancher Tiere auch mit noch so viel Mühe einfach nicht möglich ist - gerade etwa bei Eisbären oder Elefanten, die einen enormen Bewegungsradius haben. Hinzu kommt, dass Elefanten in freier Wildbahn ständig mit irgendwas beschäftigt sind, während sie im Zoo viel Zeit mit Herumstehen verbringen. Das Problem ist, dass uns Menschen das unterschwellige Leid der Tiere oft gar nicht bewusst ist - beispielsweise, weil viele über keine Mimik verfügen und deswegen immer glücklich aussehen, während sie das in Wirklichkeit gar nicht sind. Ein Faultier ist beispielsweise nicht immer tiefenentspannt, nur weil es diesen Gesichtsausdruck hat, und Delphine sehen zwar immer so aus, als würden sie lachen, aber das heißt nicht, dass sie es auch tun. Und auch ein funktionierendes Paarungsverhalten sagt nicht zwangsläufig etwas über das Wohlbefinden der Tiere aus. Schon allein die Notwendigkeit eines "Enrichments", wie es schon seit längerer Zeit in Zoos praktiziert wird, also das Beschäftigen der Tiere mit immer neuen Spielen, zeigt, dass manche einfach nicht für Zoohaltung geeignet sind.

Klar - viele werden jetzt einwenden, dass "normale" Leute gerne mal exotische Tiere live erleben möchten statt nur auf dem Bildschirm - oder auch mit neueren technischen Möglichkeiten wie Holographie oder Virtual Reality. Und diesen Wunsch kann ich sogar verstehen - andererseits gibt es auf der Welt (noch) so viele Tierarten, dass alle Zoos der Welt nicht ausreichen, damit man alle davon "in echt" zu Gesicht bekommen kann. Abgesehen davon finde ich nicht, dass es das gottgegebene Recht eines jeden siebenjährigen Kevin aus Obergail ist, mal einen echten Eisbären zu Gesicht zu bekommen - sie werden trotzdem immer wissen, wie ein Eisbär aussieht, und wenn es irgendwann keine Eisbären mehr gibt, nützt es uns auch nichts, wenn ein paar Exemplare noch in Zoos dahinvegetieren. Und ich denke auch nicht, dass man Tiere unbedingt live gesehen haben muss, um zu verstehen, dass sie schützenswert sind - immerhin haben es die Dinosaurier geschafft, das Herz vieler menschlicher Fans zu erobern, obwohl man heute nur noch erahnen kann, wie sie aussahen. Und diejenigen, die sich um die Zootiere kümmern, wollen im Grunde nur das Beste für sie. Die Sache ist halt die, dass Zoos zu einem großen Teil immer noch kommerzielle Interessen verfolgen - das heißt, dass es immer wieder einen Publikumsmagneten geben muss, und dazu eignen sich halt vor allem Jungtiere. Viele von euch werden sich bestimmt noch an den Hype um das Eisbärenbaby Knut aus dem Berliner Zoo erinnern, und auch der kleine Pandabär Fu Long lockte viele Besucher in den Tiergarten Schönbrunn.

Alles in allem sind Zoos meiner Meinung nach ein Relikt aus einer kolonialen Vergangenheit, in der das exotische Großwild als Trophäe noch zum guten Ton gehörte. Andererseits weiß ich jedoch, dass Zoos wohl nicht so bald abgeschafft werden, egal wie viele dagegen sind - deswegen würde ich eine Verbesserung der Zookultur schon als Fortschritt sehen. Beispielsweise eben der Verzicht auf Tiere, deren Lebensqualität in Zoohaltung deutlich beeinträchtigt wird, und die Fokussierung der Zucht von Tieren, die man hinterher auswildern kann, anstatt ständig Jungtiere zu produzieren, die niemals die Freiheit sehen werden können, nur weil sie süß sind. Vor allem aber finde ich, man sollte sich weiterhin an das sich immer mehr durchsetzende Prinzip halten, dass Tiere eben keine Menschen sind - und dass  wilde Tiere weder Spielzeug noch Kuscheltiere sind. Zumindest in Europa wäre mir glücklicherweise kein Zoo bekannt, der sich nicht daran hält - ein anderes Kapitel sind da allerdings Privatzoos, wie man sie beispielsweise in den USA oder arabischen Ländern oft findet - vor allem in Dubai. Diese sind häufig rein kommerziell ausgelegt und daher eher selten wirklich an Tierwohl interessiert. Im Gegensatz zu Zoos, die nach modernem Standard geführt werden, werben sie oft mit der Möglichkeit, mit Wildtieren zu spielen, sich mit Großkatzen fotografieren zu lassen oder Raubkatzenbabys zu streicheln. Häufig machen Stars aus Fernsehen und Internet mit ihrem Besuch Werbung für solche Zoos, beliebt ist etwa der Famepark in Dubai, der schon Stars wie Jérôme Boateng, Rihanna oder Mariah Carey empfing. Häufig dienen dort Tierbabys als Aushängeschild, um Besucher anzulocken - was mit diesen geschieht, sobald sie groß und gefährlich geworden ist, ist allerdings nicht immer ganz klar. Bestenfalls landen sie in anderen Privatzoos, die sich als "Rescue Center" inszenieren, etwa der des Prinzen Marcus von Anhalt - was allerdings den Nachteil hat, dass noch mehr Privatpersonen sich dazu inspirieren lassen, Wildtierbabys aufzunehmen, immerhin kann man sie ja in diese "Rescue Center" abschieben, wenn sie unbequem geworden sind. Ganz zu schweigen davon, dass die Besitzer dieser Zoos auch nicht unbedingt Vorbilder im Umgang mit Tieren sind - wie etwa jener schon erwähnte Prinz, der seiner Tochter zu Weihnachten ein Pavian-Baby geschenkt hat, während hierzulande Tierheime jedes Jahr davor warnen, Kindern lebende Tiere als Geschenke unter den Weihnachtsbaum zu setzen. Generell ist Dubai bekannt dafür, dass reiche Privatpersonen, die dort leben, Großkatzen als Statussymbol benutzen, indem sie sie als Haustiere halten. Ähnlich fassungslos machen mich auch die auf YouTube in großer Zahl zu findenden Videos von Affenbabys, die in Privathaushalten gehalten und wie Menschen behandelt werden - was mit ihnen geschieht, sobald sie erwachsen sind, ist allerdings eine andere Frage. Ganz zu schweigen davon, dass oftmals ganze Affenfamilien getötet werden müssen, um ein einzelnes Baby an Privatpersonen verkaufen zu können, weil die Familien diese unverständlicherweise nicht freiwillig hergeben.

Mit anderen Worten: Die Seriosität von Zoos erkennt man vor allem daran, wie viel direkter Kontakt zu Wildtieren möglich ist. Kein Zoo, der sich an moderne Standards hält, wirbt mit dem Streicheln von Löwenbabys oder Spielen mit Äffchen. Deswegen beherbergen Wildtierzoos oft auch noch Gehege mit Haustieren, die man füttern und streicheln kann. Darüber hinaus muss man sich, wie gesagt, nicht unbedingt auf exotische Tiere fixieren - man kann sogar mit domestizierten Tieren ein einmaliges Tierpark-Erlebnis schaffen, etwa mit der Präsentation alter Haustierrassen wie dem Mangalica-Schwein, dem Ennstaler Bergscheckenrind, dem Tiroler Steinschaf, dem Sulmtaler Huhn oder dem Noriker-Pferd, um nur ein paar zu nennen, die beispielsweise bei mir zu Hause wieder ein Comeback erleben. Die sind oft genauso süß wie die Exoten, und im Gegensatz zu Wildtieren kann man sie auch streicheln und füttern. Im essbaren Tiergarten der Zotter-Schokoladenmanufaktur kann man sogar im angrenzenden Restaurant ihr Fleisch verkosten - was anfangs zu Riesenskandalen geführt hat, inzwischen aber zur Normalität gehört. Und Kinder lernen so vor allem, dass ihr Schnitzel von einem lebenden Tier stammt. Empfehlen kann ich in meiner Gegend auch eine kleine Aufzuchtstation für Wildtiere, die gesund gepflegt und nach Möglichkeit wieder freigelassen werden.

Alles in allem gehen die Meinungen bei diesem Thema weit auseinander, und wer wirklich Recht hat, ist nicht immer zu ergründen. Zumal die Diskussionskultur heutzutage ja sehr zu wünschen übrig lässt - aber das ist eine andere Geschichte, die wir ein andermal ergründen werden. Bis dahin wünsche ich euch alles Gute und dass wir uns ganz bald wieder lesen. Ich jedenfalls habe schon wieder sehr viele Themen, denen ich mich in nächster Zeit widmen will. Bon voyage!

vousvoyez