Mittwoch, 23. September 2020

Wie lange hat der Dreißigjährige Krieg gedauert?

Der enorme Schwierigkeitsgrad dieser Frage ist natürlich unvorstellbar hoch und nur mit jener vergleichbar: "Wie viele Gipfel hat das Dreigipfelgebirge?" Da ist die Frage, von wann bis wann er eigentlich gedauert hat (Spoiler: 1618 - 1648) ja schon beinahe eine Beleidigung der Intelligenz. Und da diese Weisheit ja schon so historisch ist, geht es bei mir zumindest teilweise auch gleich historisch weiter - wobei ich das Thema rund um die Sinnhaftigkeit von Black Lives Matter ja schon behandelt habe. Nachdem ich mich aber in der Vergangenheit eher mit Rassismus im Allgemeinen bzw. in Bezug auf die USA sowie mit der viel zitierten Cancel Culture befasst habe, möchte ich heute einmal ganz bewusst einen Blick auf die europäische Rassismus-Geschichte werfen. Und zwar deswegen, weil ich festgestellt habe, dass besonders auch hier noch Redebedarf herrscht. Ganz abgesehen davon, dass dieses Thema im Geschichtsunterricht bis heute ganz offensichtlich zu kurz kommt. Ich möchte mich im übrigen an dieser Stelle bei jenem Herrn bedanken, der es für nötig hielt, rassistische und sexistische Kommentare unter drei meiner Facebook-Posts zu schreiben - er hat einem dieser beiden Artikel zu einer noch größeren Reichweite verholfen. Und mir gleichzeitig gezeigt, dass auf meine Community immer Verlass ist. Dafür möchte ich euch danken.

Ich weiß nicht, ob euch das Wort Maafa ein Begriff ist - es stammt aus dem Swahili und heißt in etwa "großes Unglück". In unseren Breiten handelt es sich um einen politischen Neologismus, sprich, um einen relativ neuartigen Begriff, der sich auf die Verbrechen der Kolonialzeit bezieht. Nun, mir ist schon seit längerer Zeit bewusst, dass, was dieses Thema betrifft, bei uns in Europa eigentlich schon längst ein dringender Aufholbedarf besteht - zumal wir, auch wenn es dem einen oder anderen nicht gefallen mag, inzwischen auch Mitbürger mit afrikanischen Wurzeln bei uns haben, die meiner dummen Gutmenschen-Meinung nach dieselben Chancen und Voraussetzungen haben sollten wie der Rest unserer Bevölkerung. Ich habe beispielsweise erst an der Uni erfahren, dass auch Deutschland Kolonien in Afrika hatte - zuvor hatte ich nur die vage Vorstellung davon, dass das ein englisches, französisches, spanisches und portugiesisches "Ding" ist. Und nicht nur das - vor etwa einem Jahr wollten mir ein paar "Lebensschul"-Absolventen, von denen die meisten mit Sicherheit nur selten ein Buch in die Hand genommen haben, weismachen, dass die Menschenzoos um 1900 doch eine tolle Sache gewesen seien, weil man da was über andere Kulturen gelernt hätte. Nun - dass die Relativierung des Holocaust mittlerweile strafbar ist, finde ich gut und richtig, da die Verharmlosung oder gar Leugnung eines Sachverhaltes, für den es ausreichend Beweise gibt, nichts mehr mit "Meinung" zu tun hat. Allerdings denke ich, sollte dies auch für die Relativierung der Verbrechen der Kolonialmächte gelten. Denn die selbst ernannten "Rebellen" von heute vergleichen sich nicht nur gerne mit Sophie Scholl und tragen jene gelben Aufnäher, mit denen zur Zeit des Nationalsozialismus die Juden gekennzeichnet wurden, häufig werden auch Bilder geteilt, in denen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes mit den máscaras de flandres verglichen wird, jenen Masken aus Weißblech, mit denen in Brasilien afrikanische Sklaven gefoltert wurden. Ganz abgesehen davon, dass es lächerlich ist, verharmlost es auch das Leid von Millionen - genauso wie das Tragen des Judensterns. Ebenso verharmlost es das Leid jener, die in Menschenzoos ausgestellt wurden, zu behaupten, das sei eigentlich eine gute Sache gewesen - ganz abgesehen davon, dass man in diesen Zoos überhaupt nichts von anderen Kulturen gelernt hat, aber dazu komme ich noch.

Bekanntlich beginnt die Kolonialzeit mit der Neuzeit, also Ende des 15. Jahrhunderts mit den Amerika-Reisen von Christoph Kolumbus. Dadurch begann die Bildung europäischer Kolonialreiche in Übersee - zuerst durch die Spanier und Portugiesen, ehe auch die Niederlande, Großbritannien und Frankreich damit begann. Das Ende dieser Zeit wird zwischen den ersten Souveränitätserklärungen nach der Französischen Revolution im 18. Jahrhundert und dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und der Gründung der UNO als Konzept gleichwertiger Nationen datiert. Wie jeder weiß, ist Kolonisation keine rein neuzeitliche Erfindung - auch das antike Griechenland hatte Kolonien. Allerdings unterscheidet sich der neuzeitliche Kolonialismus von dem antiken dadurch, dass dieser eine weitaus stärkere ideologische Komponente beinhaltet - ebenso verhält es sich auch bei dem Begriff der Sklaverei, die es ja in der Antike auch schon gab. Und diese Ideologie ist zu einem sehr großen Teil rassistisch motiviert - so sehr, dass man sogar versuchte, die Grausamkeiten gegen die Einwohner der eroberten Gebiete wissenschaftlich zu begründen. So war man gut drei Jahrhunderte lang nahezu versessen davon, Menschen zu fotografieren, zu vermessen und ihre Wertigkeit anhand körperlicher Merkmale zu bestimmen, ein Vorgehen, das zur damaligen Zeit als hoch modern, extrem fortschrittlich und absolut wissenschaftlich angesehen wurde. Nicht vergessen darf man dabei, dass auch das Christentum - etwa in seiner Verteufelung der Juden und Heiden - als auch die Industrialisierung bei diesen Mechanismen eine wesentliche Rolle spielten. Um Kritik gegen die spanischen Eroberungen in Süd- und Mittelamerika abzuschmettern, die sich auf das neutestamentliche Gewaltverbot berief, bediente man sich der mittelalterlichen Lehre vom "gerechten Krieg" gegen Nicht-Christen, und entwickelte sie weiter. Im Zuge dessen wurde die Zugehörigkeit zur Gesellschaft vermehrt nicht mehr lediglich vom Empfang der Taufe abhängig gemacht, sondern immer mehr auch von der "Reinheit des Blutes" oder auch der "Reinheit der Rasse". So begann sich der Rassebegriff etwa vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zu entwickeln, bis sich im Zuge der Industriellen Revolution die Vorstellung einer unversöhnlichen "Andersartigkeit" und daran gekoppelten Unterlegenheit nicht-weißer Völker festigte, aus der der Glaube einer ewigen Vormundschaftspflicht gegenüber diesen entsprang. So wurde suggeriert, dass eine höherstehende (weiße) "Rasse" für den rückständigen Teil der Menschheit verantwortlich sei - da dieser jedoch häufig "aufsässig" sei, müsse man mit aller zur Verfügung stehenden Härte gegen sie vorgehen, um sie nicht dazu ermutigen, sich zu wehren. (Ähnlich wie man damals glaubte, man müsse dafür Sorge tragen, dass es Fabrikarbeitern möglichst dreckig geht, damit sie nicht "faul" werden, aber das ist eine andere Geschichte, siehe Bill Bryson: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge.)  Um den inneren Frieden zu wahren, setzte man auf "Erziehung zur Arbeit" - allerdings nicht, um die zu Erziehenden zur Selbstständigkeit zu qualifizieren, sondern um die kolonisierten Länder und ihre Bewohner möglichst gewinnbringend ausbeuten zu können. Da dies natürlich nicht immer so funktionierte, wie die weißen Herren sich das vorstellten, waren die Kolonisierten beliebigen Formen willkürlicher Grausamkeit oft schutzlos ausgeliefert. Das Land, in dem mein Partner geboren wurde und das heute den Namen Demokratische Republik Kongo trägt, wurde 1885 von König Leopold II. von Belgien als "Privatbesitz" eingenommen, einschließlich seiner Bevölkerung, die völlig rechtlos war. Im Zuge dessen wurden die Kautschuk-Vorkommen des Landes durch Sklaverei und Zwangsarbeit ausgebeutet, wobei es massenhaft zu Geiselnahmen, Verstümmelungen, Tötungen und Vergewaltigungen kam. Als diese Gräueltaten schließlich bekannt wurden, musste Leopold II. im Jahr 1908 den Kongo an den belgischen Staat abtreten. Zu diesem Zeitpunkt hatten die "Kongogräuel" die Bevölkerung des Landes bereits um etwa die Hälfte reduziert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Aufstand der Herero und Nama gegen die deutschen Kolonialherren im heutigen Namibia blutig niedergeschlagen Die Leichen wurden enthauptet und die Schädel ausgekocht, und hinterher zwang man die Herero- und Nama-Frauen, die Haut und das Fleisch vom Knochen zu entfernen, um die blanken Schädel anzuschließend zu "Forschungszwecken" nach Europa mitzunehmen. Überdies war der Handel mit afrikanischen Schädeln eine Zeitlang durchaus ein florierendes Geschäft, für das Menschen getötet und Leichen exhumiert wurden. Ja, auch die Wissenschaft stellte sich nicht immer in den Dienst der Menschheit - damals diente sie der Eroberung der Welt bzw. dem Kolonialismus. Sie diente dazu, die Andersartigkeit und damit auch die Minderwertigkeit derer zu "beweisen", die man tötete und versklavte, und gleichzeitig die Überlegenheit der eigenen Kultur herauszustellen. In Wirklichkeit hat die Vermessung afrikanischer Schädel jedoch absolut nichts dazu beigetragen, die Frage zu klären, wer wir Menschen eigentlich sind.

Ein Aspekt dieser damals so bezeichneten "Wissenschaft" war es auch, Menschen aus fernen Ländern nach Europa zu verschleppen und neben exotischen Tieren zur Schau zu stellen. Schon Christoph Kolumbus brachte von seiner ersten Entdeckungsreise sieben Menschen aus dem Volk der Arawak nach Spanien, und im Laufe der Erschließung unbekannter Erdteile wurden immer wieder deren Bewohner in europäische Länder verschleppt und dort zur Schau gestellt - dieses Vergnügen wurde allerdings anfangs nur einem erlesenen Publikum zuteil, etwa Adeligen oder reichen Kaufleuten. Aufsehen erregte um 1810 der Fall einer jungen Frau namens Sarah "Saartje" Baartman aus dem Volk der Khoikhoi, die aus Südafrika nach Europa gebracht und ausgestellt wurde; sie erreichte als "Hottentotten-Venus" vor allem in Großbritannien und Frankreich Berühmtheit. Die Faszination lag vor allem in ihrer als exotisch und erotisch scheinenden Körperform, die auch Gegenstand zahlreicher Karikaturen war. Schließlich wurde sie Gegenstand des Interesses von Ärzten, Anatomen und Naturwissenschaftlern, ehe sie 1815, angeblich an einer Lungenentzündung, starb. Von ihrem Körper wurde ein Gipsabdruck angefertigt, ihr Skelett, Gehirn und Geschlechtsteil wurden konserviert, Gipsabdruck und Skelett im Musée national d'histoire naturelle in Paris ausgestellt. Ihre sterblichen Überreste wurden erst 2002 an Südafrika zurückgegeben und dort beigesetzt. Ein bekannter Fall bei uns in Österreich wiederum war der im heutigen Nigeria geborene Angelo Soliman, der im 18. Jahrhundert Kammerdiener des Erbprinzen Alois I. von Liechtenstein war. in die Freimaurerloge aufgenommen wurde und es in Wien zu einiger Berühmtheit brachte. Nach seinem Tod wurde sein Leichnam präpariert und bis 1806 als halbnackter Wilder mit Federn und Muschelkette im Kaiserlichen Naturalienkabinett ausgestellt. Der deutsche Schriftsteller, Historiker und Journalist Philipp Blom vermutet, dass der Kaiser selbst dies veranlasst hätte, der die aufgeklärte Gesellschaft Wiens immer verachtet habe und sie auf diese Weise demütigen wollte. Solimans Tochter bemühte sich vergeblich um die Herausgabe und christliche Bestattung der sterblichen Überreste ihres Vaters; die mumifizierte Körperhülle fiel 1848 der Oktoberrevolution zum Opfer, bei der sie verbrannte, über den Verbleib der restlichen Körperteile ist bis heute nichts bekannt.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte der deutsche Zoodirektor Carl Hagenbeck die Völkerschauen zu einem Massenphänomen. Um 1866 begann der Sohn eines Fischhändlers, exotische Tiere vor allem aus Afrika nach Europa zu importieren und dort zu verkaufen, ehe er entdeckte, dass mit der Vorführung von Menschen weitaus mehr Geld zu machen war. So gehörten schon bald Lappländer samt Rentierherde, später auch Nubier aus dem Sudan sowie Inuit, damals noch "Eskimos" genannt, zu seinem Unterhaltungsprogramm im Berliner Zoo. Schon bald waren Völkerschauen in ganz Europa, aber auch in Nordamerika eine beliebte Attraktion für Jung und Alt. Menschen jeden Alters wurden aus den entlegensten Gebieten der Erde geholt und in Zoologischen Gärten, Panoptiken, auf Jahrmärkten und Volksfesten sowie Kolonial- und Weltausstellungen vorgeführt. Es ging jedoch nicht darum, den Publikum ein authentisches Bild des Lebens anderer Völker zu vermitteln; vielmehr dienten sie dazu, das Stereotyp der "unterentwickelten Rassen" zu festigen, Klischees, die das Publikum glauben sollte und zum allergrößten Teil auch wollte - und die bis in die heutige Zeit nachwirken. So wurden etwa die australischen Aborigines als Kannibalen dargestellt, was gar nicht der Wahrheit entsprach, während Afrikaner als Wesen zwischen Mensch und Affe vorgestellt wurden, was natürlich ebenso wenig mit der Realität zu tun hatte. Beliebt war auch die Zurschaustellung nackter Frauenbrüste, was die "Triebhaftigkeit" und "Primitivität" afrikanischer, südamerikanischer und südpazifischer Völker beweisen sollte - in Wirklichkeit bewies es aber nur die Doppelmoral der damaligen Gesellschaft, in der anständige Damen sich in Unmengen an Kleidung zu hüllen und in enge Korsetts zu zwängen hatten, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, während ihre Männer ungeniert die entblößten Brüste "exotischer" Frauen begafften. Viele der ausgestellten Menschen starben an den Strapazen der Reisen, zu denen sie gezwungen wurden, andere brachten unbekannte Krankheiten mit in ihre Heimatländer. Erst in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg kamen solche Völkerschauen allmählich aus der Mode - die Popularität der amerikanisch-französischen Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Josephine Baker, die die Klischees der "exotischen Wilden" mit ihren Grimassen und ihrem Bananenröckchen ad absurdum führte, läutete eine neue Zeit ein. Für nähere Informationen zu Völkerschauen empfehle ich übrigens die Arte-Dokumentation.

Obwohl sich seither sehr viel verändert hat, wird uns bis heute immer wieder bewusst, wie tief sich die Vorstellung anderer Völker als "zurückgeblieben" und "ursprünglich" in unseren Köpfen verankert hat. So tief, dass selbst Autoren, die sich gegen Diskriminierung eingesetzt haben, nicht frei davon waren - denken wir nur an Pippi Langstrumpf, wo weiße Haut nahezu als "königlich" wahrgenommen wird (wobei Pippi auf die Haltung der Schwarzen Kinder, die sich vor ihr in den Sand werfen, reagiert, indem sie diese Geste erwidert, wodurch sie sie der Lächerlich preisgibt), oder an Jim Knopf, das trotz eindeutig anti-rassistischer Botschaft nicht frei von Stereotypen ist. Was natürlich kein Grund ist, diese Bücher aus den Kinderzimmern zu verbannen - aber ein Anlass, sich mit den Klischees, die sie unbeabsichtigt transportieren, auseinanderzusetzen, um sie endlich hinter sich lassen zu können. Genauso, wie man sich mit den großen Geistern der Aufklärung kritisch auseinandersetzen sollte, anstatt ihre Bücher gänzlich aus den Lehrplänen der Schulen und Universitäten zu verbannen - denn kritisches Denken bedeutet auch, dem schlechten Gedanken einen guten entgegensetzen zu können. Und Aufklärung ist in Wirklichkeit kein Prozess, der in ferner Vergangenheit abgeschlossen wurde - er setzt sich immer noch fort, auch heute.

Natürlich kann man sich jetzt darauf herausreden, dass "Neger" oder "Zigeuner" nur Worte sind. Allerdings darf man nicht vergessen, dass jedes Wort seine Bedeutung, seine Zusammenhänge und seine Geschichte hat, weshalb es nicht einfach so von seiner Wirkung abgekoppelt werden kann, die es auf diejenigen hat, die sie benutzen oder betreffen - und auch nicht von der Haltung, die der Sprecher damit transportiert. Es kann mir doch niemand erzählen, dass es ihm bzw. ihr völlig gleichgültig ist, wenn er/sie als Arschloch, Hurensohn oder Schlampe bezeichnet wird. Warum ist es also so schwer, von Worten abzusehen, die für andere erniedrigend und verletzend sind, wenn man doch weder das eine oder das andere will? Und nein - dass Leute das N-Wort früher benutzt haben, weil sie es nicht besser wussten, ist keine Ausrede. Dass dieses Wort als rassistisch wahrgenommen wird, ist keine ganz neue Erfindung irgendwelcher politisch überkorrekter Gutmenschen, das war von Anfang an so, weil es immer schon eine Fremdbezeichnung gegenüber Sklaven war. Das bedeutet, ursprünglich bezeichnete nigger bzw. Neger Menschen, die millionenfach aus ihrer Heimat verschleppt, ausgebeutet, unterdrückt und häufig auch willkürlich getötet wurden. Und da spielt es auch keine Rolle, dass es dem lateinischen Wort für dunkel bzw. schwarz entlehnt ist - das Wort "Idiot" leitet sich übrigens vom altgriechischen idiotes (ἰδιώτης) ab, was auf Deutsch mit "Privatperson" übersetzt werden kann. Trotzdem würde wohl niemand auf die Idee kommen, zu glauben, dass dieses Wort besonders schmeichelhaft wäre. Sprache ist nun mal nichts Statisches, ansonsten würden wir noch genauso sprechen wie im Mittelalter. Und dass die Umbenennung von Fertigsaucen, Knabberzeug und Süßigkeiten nach wie vor so eine extreme Empörung hervorruft und Leute diskriminierende Sprache als "schöne Kindheitserinnerung" rechtfertigen, zeigt eben, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, was den Kampf gegen Diskriminierung angeht.

Wie ich in einem früheren Artikel schon angemerkt habe: Es ist nicht schlimm, wenn du dich in der Vergangenheit unabsichtlich diskriminierender Sprache bedient hast. Wenn du allerdings auf dieser Sprache beharrst, dann ist das schlimm. Und da brauchst du dich auch gar nicht diskriminiert fühlen - niemand unterstellt dir, dass du es in deiner persönlichen Vergangenheit immer leicht gehabt hättest und dass du nie Opfer von Diskriminierung warst. Es geht halt in dieser Debatte nicht um dich - und ja, auch mir haben die Zehn kleinen Negerlein als Kind nicht geschadet, aber ich spreche halt nun mal aus der Perspektive eines weißen Kindes, also einer Person, die nicht betroffen ist. Trotzdem wusste ich schon, bevor ich meinen Partner getroffen habe, aus eigener Erfahrung, was Diskriminierung ist - ob es nun um das Geschlecht geht, um das Aussehen, über- oder unterdurchschnittliche Intelligenz, körperliche Defizite: Leute finden schnell einen Grund, andere zu beleidigen oder auszugrenzen. Das Absurdeste, was ich einmal erlebte, war, dass ich, als ich etwa fünf Jahre alt war, einmal nicht mitspielen durfte, weil ich nicht blond war. Das ist natürlich nicht mit Rassismus vergleichbar, war aber eine frühe Erfahrung mit Ausgrenzung aufgrund einer unbedeutenden Gegebenheit, für die ich nichts konnte. Ich habe aber nie erlebt, dass ich allein aufgrund meiner Haarfarbe Schwierigkeiten hatte, eine Wohnung oder einen gut bezahlten Job zu finden - als ich allerdings mit meinem Partner auf Wohnungssuche war, musste ich feststellen, dass es selbst im 21. Jahrhundert kaum möglich ist, eine Wohnung in halbwegs zumutbarem Zustand zu finden, wenn man die falsche Hautfarbe hat. Deswegen frage ich - wenn du schon weißt, was Diskriminierung bedeutet, warum machst du es dann selbst nicht besser?

Um das Thema fürs erste abzuschließen, möchte ich noch einmal festhalten: Die Gattung homo sapiens bildet eine bestimmte Art von Lebewesen, die untereinander fortpflanzungsfähig sind und deren Nachkommen - im Gegensatz etwa zu Hybriden aus Pferd und Esel, den Maultieren bzw. Mauleseln - ebenfalls fortpflanzungsfähig ist. Deswegen ist das Beispiel der im Pferdestall geborenen Ratte auch kein vernünftiges Argument, sondern offener Rassismus - und Rassismus ist kein biologisch oder wissenschaftlich begründbarer Sachverhalt, sondern reine Ideologie. Unterschiedliche Hautfarben sind nicht das Merkmal einer "Rasse", sondern eine Mutation, die aufgrund der Umweltbedingungen entstand, denen ihr Träger ausgesetzt war - und als solche nicht bedeutsamer als der Umstand, dass manche von uns Milch vertragen und andere nicht. Wir sehen doch, dass jeder von uns, selbst ein eineiiger Zwilling, sich durch bestimmte Eigenschaften von allen anderen Menschen dieser Welt unterscheidet - warum also wollen viele von uns immer noch glauben, dass Äußerlichkeiten etwas damit zu tun haben, was sich dahinter verbirgt? "Rassen" oder auch Nationen sind willkürliche, von Menschen vorgenommene Festlegungen. Innerhalb welcher Grenzen man geboren wird, ist genauso wenig ein Verdienst wie die Hautfarbe, mit der man zur Welt kommt - keiner von uns hat etwas dafür getan, dass er Österreicher, Deutscher, Belgier, Türke, Amerikaner, Senegalese oder Laote ist, und doch bestimmt es unser ganzes Leben. Wenn genügend Weiße behaupten, sie seien eine andere und obendrein höherwertige "Rasse" als die Schwarzen, Asiaten, Juden oder was auch immer, ist das eine willkürliche, an Machtinteressen gekoppelte Festlegung, die sich nicht auf empirische Daten stützt, sondern auf Meinungen, Weltbilder und/oder eine religiöse Haltung. Rassismus bedeutet, dies nicht zu erkennen bzw. erkennen zu wollen, sondern auf dieser Festlegung zu beharren und gleichzeitig andere abzuwerten, weil sie nicht so sind wie man selbst. Rassismus bedeutet, anderen jene Menschlichkeit abzusprechen, die man für sich selbst in Anspruch nimmt. Rassismus bedeutet, wahllos Gründe zu suchen, um andere abzuwerten, zu verfolgen oder gar zu töten - Gründe, die nicht überprüft werden können. Und was ich persönlich am meisten verachte, sind Rassisten, die sich als besonders "empathisch" verkaufen wollen - etwa jene, die gegen andere Hautfarben und Nationalitäten hetzen, während sie ständig darüber jammern, wie sehr die armen Tiere doch gequält werden, vor allem von diesen bösen Schwarzen und Muslimen, die in ihren beschränkten Hirnen natürlich eine völlig homogene Masse darstellen. Oder die, die für ungeborenes Leben auf die Straße gehen, während Flüchtlingskinder ruhig verrecken dürfen. Und ganz besonders die, die darauf hinweisen, dass nur den hungernden Kindern geholfen werden darf, die in weit entfernten Ländern wohnen, wo sie uns mit ihrer erbärmlichen Erscheinung nicht belästigen.

Vor allem aber sollten wir aufhören, anderen vorzuschreiben, wann sie sich beleidigt zu fühlen haben. Ja, ich weiß, dass der eine oder andere Betroffene gerne mal übers Ziel hinausschießt - aber das bedeutet nicht, dass Nicht-Betroffene die Diskussion darüber bestimmen dürfen, was für Betroffene verletzend ist und was nicht. Es ist nun mal so, dass man die Herkunft einer Person nicht mehr rein am Aussehen festmachen kann - im Prinzip war das ja auch nie so wirklich der Fall, oder warum sonst mussten die Juden zur NS-Zeit die eingangs erwähnten gelben Aufnäher in Form eines Davidsstrerns tragen, damit ihre "Andersartigkeit" überhaupt sichtbar wurde? Hören wir also bitte auf, so zu tun, als hätten wir ein Anrecht auf alles, nur weil wir weiße Europäer sind - und hören wir auf, zuallererst auf die Verfehlungen anderer zu schauen, anstatt vor unserer eigenen Tür zu kehren. Denn letztendlich haben wir nur ein Leben, und das ist irgendwann zu Ende - und hinterher fragt uns garantiert niemand mehr nach Hautfarbe oder ethnischer Herkunft.

vousvoyez

Montag, 14. September 2020

Das Gegenteil von Leergut ist Vollschlecht

Wir wissen ja auch, dass so einiges voll schlecht läuft im Moment - aber zumindest geht es uns gut genug, um uns über Kleinigkeiten aufzuregen, zumal die Schattenseiten der EU aktuell noch immer auf der griechischen Insel Lesbos zu finden sind, so dass unsere satte Gesellschaft sie einfach ausblenden kann. Zumindest jetzt noch - aber ewig wird das nicht so weitergehen können.

Ich habe ja kürzlich darüber geschrieben, dass der allgemeine Konsens, dass Rechtsextremismus und Faschismus nichts Positives sind, heute nicht mehr vorherrscht. Häufig wird auch damit abgelenkt, dass Linksextremismus ja angeblich genauso schlimm ist, oder man heult, weil irgendjemand die Nazi-Keule auspackt, selbst wenn das eigentlich gar nicht der Fall ist. Nun - ich finde den inflationären Gebrauch des Wortes "Nazi" auch unangebracht, schon allein deshalb, weil er das Wort verharmlost. Andererseits frage ich mich, was man erwartet, wenn man Leuten, die eine solche Gesinnung vertreten, nach dem Mund redet, weil "man das ja wohl noch mal sagen wird dürfen". Frei nach dem altbekannten chinesischen Spruch: Wir leben in interessanten Zeiten. Der amerikanische Traum wird zum Alptraum, während der europäische Traum verbrennt.

Nun, so naiv, zu glauben, dass der nationalsozialistische Gedanke mit dem Ende der Nazidiktatur vollständig verschwunden ist, ist wohl keiner. Der Nationalsozialismus starb 1945, aber die Ideen sind nicht untergegangen und leben bis heute weiter. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich erfolgte nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Entnazifizierung, doch im Gegensatz zu unserem Nachbarland haben wir erst sehr viel später mit der ideologischen Aufarbeitung begonnen. Bei uns suhlte man sich sehr lange in der Opferrolle, indem man so tat, als sei man von den sehr bösen Deutschen dazu gezwungen worden, sich an den NS-Verbrechen zu beteiligen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Altnazis bei uns so schnell wieder in hohe politische Positionen aufsteigen konnten und es auch an den Universitäten noch lange nach 1945 rechtsextreme Tendenzen gab. 1949 wurden Sympathisanten und Funktionsträger des österreichischen NS-Regimes im Verband der Unabhängigen (VdU) zusammengefasst, aus dessen Zersplitterung 1956 die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) hervorging.

In den 1970ern wurden die Altnazis allmählich von den Nachgeborenen abgelöst, die keine eigenen Erfahrungen mit der NS-Diktatur gemacht haben, sondern die Ansichten der vorangegangenen Generation kritiklos nachplapperten, so wie das heute fast ausschließlich der Fall ist, dabei aber damals schon gewaltbereiter waren als ihre Altvorderen. Natürlich beschränkt sich die rechtsradikale Szene aber nicht nur auf den deutschsprachigen Raum - auch in anderen europäischen Ländern sowie in den USA gibt es dieselben Ideen, und das nicht erst seit gestern. Auch das neuerliche Erstarken der rechtsradikalen Szene in den 1980ern kam ursprünglich aus dem Ausland - nämlich aus England, wo Ende der 1960er Jahre in einem Londoner Arbeiterviertel die Skinhead-Bewegung entstand, deren Anhänger, wie ich in meinem Artikel über Jugendkulturen erklärt habe, bei weitem nicht alle rechtsradikal sind. Ursprünglich entstand diese Bewegung aus Protest gegen soziale Missstände; ihre Anhänger verstanden sich als anti-bürgerlich, waren aber ansonsten nicht politisch. Dies änderte sich allmählich in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, als sich im Zuge der Punk-Bewegung ein Musikstil entwickelte, der "Oi!" genannt wurde und zu einem Revival der Skinhead-Kultur führte. Im Zuge dessen spaltete sich die Szene in links- und rechtsradikale Strömungen auf, wobei die rechtsextreme Seite begann, einen immer größeren Teil zu vereinnahmen. So verbreitete sich die Skinhead-Bewegung auch in den USA und Kontinental-Europa, wo auch zunehmend Neonazis, die bisher nichts mit der Skinhead-Kultur zu tun gehabt hatten, anfingen, deren Look zu übernehmen. So kommt es, dass Glatzen, Armeestiefel und Bomberjacken bis heute überwiegend mit Rechtsradikalismus assoziiert werden.

Als wegweisend für den rechtsextremen Flügel der Skinhead-Bewegung gilt heute die britische Band Skrewdriver, die gleichzeitig als Vorreiter des Rechtsrock gesehen werden, der die für Jugendliche wenig attraktive Marschmusik, die zuvor innerhalb der rechtsextremen Szene favorisiert worden war, allmählich ablöste. Der Frontmann der Gruppe, Ian Stuart Donaldson, gründete in den 1980er Jahren das internationale rechtsextreme Netzwerk "Blood and Honour", ein Name, der direkt von einem NS-Film über die Hitlerjugend mit dem Titel Blut und Ehre übernommen worden sein soll. Entsprechend sahen auch die Ziele dieser Organisation aus, die sich vor allem darauf fokussierte, junge Leute für die Bewegung zu rekrutieren, ein Bestreben, das vor allem über den musikalischen Weg erlangt werden sollte - weshalb Blood and Honour sich auch größtenteils auf Musikveranstaltungen und den Vertrieb fokussierte. Auch darüber hinaus nutzte er ein Konzept, das bis heute bei Rechten sehr beliebt ist - nämlich die Verknüpfung harmloser Inhalte wie Musik, Tanz, Kochen oder Reisen mit nationalen Ideologien. Bis zu seinem Unfalltod 1993 war Donaldson die prägende Figur der rechtsextremen Bewegung.

In den frühen Achtzigern erreichte die Skinhead-Subkultur den deutschsprachigen Raum - und auch hier bildeten sich bald rechtsradikale Tendenzen heraus und stellten die Weichen für namhafte Rechtsrock-Bands wie Landser, Noie Werte, Störkraft oder die Zillertaler Türkenjäger, die harte Klänge mit aggressiven, explizit fremdenfeindlichen Inhalten verknüpften. Die Texte richteten sich gegen Staatsorgane, Linke und Ausländer, riefen zum "Widerstand" gegen diese auf und verherrlichten die NS-Vergangenheit. Bei uns in Österreich gab es parallel dazu auch einen politischen Umbruch nach rechts; nachdem Parteiobmann Norbert Steger versucht hatte, die FPÖ von ihrem fragwürdigen Image zu befreien, wurde er 1986 von Jörg Haider abgelöst, der das vorwegnahm, was heute bei vielen Rechten bereits gang und gäbe ist: Er inszenierte sich als "Rebell" gegen das "Establishment" bzw. die "Altparteien". Zudem wurde der Ruf unseres Landes durch die Waldheim-Affäre belastet - eine internationale Debatte, in der es darum ging, ob der 1986 bis 1992 amtierende österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim aktiv an NS-Verbrechen beteiligt war. Doch nicht nur bei uns, auch in anderen Ländern führten gesellschaftliche und politische Umbrüche zu einem Auftrieb des Rechtsradikalismus - sozialer Wandel, technologische Modernisierung, geringes Wirtschaftswachstum, hohe Massenarbeitslosigkeit, Reduktion der Sozialausgaben, politische und soziale Umwälzungen in Osteuropa, Migrationsbewegungen, mehr Asylanträge, dazu der Bedeutungsverlust der Nationalstaaten durch wirtschaftliche und politische Globalisierung brachten nicht nur das Beste in den Menschen hervor. Deutlich wurde dies Anfang der 1990er im Zuge der Wiedervereinigung: Schon ein Jahrzehnt zuvor hattem sich etwa in der DDR rechtsextreme Protestbewegungen formiert, die der wachsenden Unzufriedenheit mit den Arbeits- und Lebensbedingungen verschuldet waren. Da öffentlicher Protest in einem Polizeistaat große Risikobereitschaft voraussetzt, zeichneten sich ihre Anhänger durch enorme Gewaltbereitschaft und Brutalität aus. Im Zuge des Falls der Berliner Mauer breitete sich der Neonazismus auch vermehrt im Westen aus - dass das nicht heißt, dass alle Ostdeutschen Nazis sind, denn auch dort handelt es sich vor allem um eine sehr laute Minderheit.

Zwischen 1991 und 1994 kam es in Deutschland zu einem Anschwellen rassistischer Gewalt, während sich in Österreich Briefbomben-Anschläge gegen Menschen, die als Vertreter einer liberalen und ausländerfreundlichen Politik angesehen wurden, häuften - die sich allerdings als Taten des rechtsradikalen Einzeltäters Franz Fuchs herausstellten. Unter Jörg Haider wurde die FPÖ bis Ende der Neunziger außerdem zu einer der stimmenstärksten Parteien, und auch im Osten Deutschlands erkannten Rechtsparteien ein attraktives Rekrutierungsfeld. Auch der Rechtsrock radikalisierte sich Anfang der Neunziger - dem anfangs eher verhaltenen Rassismus wichen nun Vernichtungsphantasien und die Verherrlichung oder Leugnung des Holocausts. Es waren offene Tabubrüche, weshalb ich überzeugt davon bin, dass der Reiz für Jugendliche vor allem darin lag - vor allem, da mir aufgefallen ist, dass viele dieser kleinen Möchtegern-Nazis gar nicht so richtig kapiert haben, was sie da eigentlich unterstützen. In den 1950er Jahren schockierte der Rock'n'Roll durch die explizite Sexualität in seinen Texten - vierzig Jahre später tat der Rechtsrock dasselbe mit der Verherrlichung rassistischer Gewalt.

Dies blieb allerdings auch nicht ungestraft: Viele der Lieder und Alben landeten damals auf dem Index, diverse Bands und Musiker mussten sich vor Gericht zu Vorwürfen der Volksverhetzung, Verbreitung rechtsextremer Propaganda und ähnlichen Anklagen verantworten. Im Jahr 2000 wurde das Netzwerk Blood and Honour in Deutschland verboten, weshalb die offiziellen Strukturen zerschlagen wurden und rechtsextreme Musiker noch stärker in den Fokus des Verfassungsschutzes gerieten. Dies führte dazu, dass rechtsextreme Strukturen allmählich anfingen, aus ihren Fehlern zu lernen - die hetzerischen Texte der Vergangenheit wichen moderateren Tönen, dafür griff die deutsche NPD Donaldsons Strategie, die Jugend durch Musik für rechtsextreme Werte zu gewinnen, wieder auf und verteilte zwischen 2004 und 2011 kostenlose "Wahlkampf-CDs" in den Pausenhöfen deutscher Schulen, bis diese bundesweit beschlagnahmt wurden.

Den neuerlichen Siegeszug rechtsextremer Musik machte jedoch vor allem das Internet möglich - Strukturen wie bei Blood and Honour konnten online weitaus schneller und effektiver aufgebaut werden. So wurde das Internet innerhalb kürzester Zeit die neue Schaltzentrale und das wichtigste Propaganda-Instrument rechtsextremer Gruppierungen, das nicht nur über Musik, sondern auch über Merchandise - etwa Kleidung mit kodierten Logos - funktioniert. Neben dem Verkauf von Tonträgern und Streams erfreuten sich auch Musikfestivals bei Neonazis immer größerer Beliebtheit, wobei diese heutzutage größtenteils auf Privatgrundstücken veranstaltet werden, was den Zugriff der Behörden erschwert, und häufig als "politische Veranstaltungen" angemeldet werden, um mehr Gestaltungsspielraum zu haben, da die Musik häufig von politischen Vorträgen und "Aufklärungsarbeit" begleitet wird.

Dem Rechtsrock ging es aber zunehmend wie einst der Marschmusik - allmählich schwand das Interesse der Jugend an den angestaubten Genres, und die Szene erkannte, dass sie mit Glatzen, Springerstiefeln, nordischen Symbolen und offenem Hass nur bis zu einem gewissen Punkt kam. Und so begannen Rechtsextreme im letzten Jahrzehnt, neue musikalische Wege zu beschreiten und sich gleichzeitig immer mehr der gesellschaftlichen Mitte anzunähern. Die Inhalte - Ausländer und Linke als Feindbild, die sozialdarwinistische Ablehnung von Minderheiten, Relativierung oder gar Leugnung der Verbrechen der NS-Zeit - blieben gleich, ebenso wie die Ziele - Schaffung eines ethnisch homogenen Nationalstaates, in dem weder Juden noch Personen mit Migrationshintergund Platz haben. Sie erschienen jedoch in einem neuen Gewand, wodurch die Grenzen des Sagbaren im letzten Jahrzehnt immer mehr verschoben wurden. Auch die Musiker haben inzwischen ein neues Genre für sich entdeckt, und das ist ironischerweise Hip-Hop und Deutschrap. Neben der Zweckentfremdung schwarzer Musik und der sukzessiven Verunsicherung der gesellschaftlichen Mitte wurde es auch optisch immer schwerer, Rechtsextreme von anderen zu unterscheiden. So bezeichnet sich die junge Fraktion der Identitären Bewegung gerne als "Nipster", eine Fusion aus "Nazi" und "Hipster", und ist äußerlich von Letzteren nicht mehr zu unterscheiden. Ähnlich verhält es sich etwa auch mit Bewegungen wie der Anastasia-Bewegung, die an die Hippies der 1960er Jahre erinnert, jedoch einer zutiefst rassistischen Ideologie entspringt.

Als Pionier des rechtsextremen Rap wird MaKss Damage aus Gütersloh gesehen, der sich 2011 öffentlich als Neonazi outete und dessen Texte durch antisemitische, nationalistische und teilweise auch verschwörungsideologische Inhalte auffielen. Nachdem rechter Rap in seiner Anfangsphase ebenso explizit war wie Rechtsrock, schlägt die neue Generation nach dem Vorbild der Identitären aber bewusst gemäßigtere Töne an, um stärker in den Mainstream vorzudringen. So sind ihre Texte ebenso offen rechtsextrem, enthalten jedoch keine strafrechtlich relevanten Aussagen mehr. Die heute prägende Figur dieses Genres ist Chris Ares, der sich als Teil der "Kulturrevolution von rechts" begreift und seit 2016 vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird.

Was vor allem nicht zu unterschätzen ist, ist die Infiltrierung sozialer Netzwerke durch rechtsextremes Gedankengut. Das Ergebnis wird uns aktuell immer wieder vor Augen geführt: Man scheint vergessen zu haben, dass es kein Verdienst ist, weiß und privilegiert zu sein, weshalb viele heute der Ansicht sind, dass Menschen, die im Mittelmeer ertrinken und in Griechenland wie der letzte Dreck behandelt werden, kein Mitleid verdient hätten - die werden schon selbst schuld sein, dass sie in diese Lage geraten sind, und wenn man denen hilft, kommen immer noch mehr, bis die "weiße Rasse" irgendwann ausgestorben ist. (Ich hoffe, der Sarkasmus war ersichtlich.) Aktuell unternehmen Online-Anbieter wie YouTube oder Facebook halbherzige Versuche, der Flut an Hassbotschaften Herr zu werden und sperren nach und nach die offiziellen Kanäle der patriotischen Bewegung. auch Spotify, Amazon und iTunes reagieren vermehrt auf den öffentlichen Druck und entfernen Musik mit rechtsextremen Inhalten aus ihrem Angebot. Viele Rechtsgestrickte weichen inzwischen auf die russische Social-Media-Plattform VK oder auf den Messenger-Dienst Telegram aus - Letzterer hat sich inzwischen als Lieblings-Marketing-Kanal rechtsextremer Bewegungen etabliert.

Nun, was mich betrifft, ich finde es höchst bedenklich, dass man so lange damit gewartet hat, Rechtsextremismus als das zu erkennen, was es ist, nämlich als eine Gefahr für eine demokratische Gesellschaft. Und deswegen mein Appell an euch: Denkt erst einmal nach, bevor ihr einen Post teilt; widersprecht jenen, die gegen Ausländer und Minderheiten hetzen; bewahrt euch euren gesunden Menschenverstand und vor allem: Lasst euch nicht von irgendwelchen Leuten beeinflussen, die euch einreden wollen, sie seien keine Nazis, dabei aber Äußerungen tätigen, die eindeutig hetzerisch sind. Und vergesst vor allem nicht: Die demokratische Freiheit ist etwas, das immer wieder neu erkämpft werden muss!

vousvoyez

https://www.volksverpetzer.de/hintergrund/rechtsextreme-musik/

https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/198940/zur-entwicklung-des-rechtsextremismus-in-deutschland

Hier noch ein anderer Artikel von mir zum Thema rechte Influencer:

https://weisheitderwoche.blogspot.com/2020/07/ich-kann-hellsehen-im-dunkeln-sehe-ich.html

Samstag, 5. September 2020

Jede Dimension von Dummheit entwickelt ihr Potenzial erst im Kollektiv

(c) vousvoyez

Zugegeben, diese Weisheit hätte eigentlich zum vorigen Artikel gepasst - weil das, wovon er handelt, geradezu exemplarisch dafür ist. Aber der Vorteil dessen, dass ich mich schon das letzte Mal über die Gestalten auf der Berliner Demo ausgekotzt habe (und das, was ich eigentlich schreiben will, noch sehr viel reifliche Überlegung und auch Recherchearbeit bedarf) ist, dass ich mich jetzt wieder mal den schönen Dingen des Lebens widmen kann. Und deswegen möchte ich damit fortfahren, die Hintergründe der als "Klassiker" bezeichneten Disney-Filme unter die Lupe zu nehmen. Wie schon beim letzten Mal, so möchte ich mich auch heute den Romanverfilmungen widmen, die in charmante und bis heute sehr beliebte Zeichentrickversionen umgesetzt wurden.

Alice im Wunderland von Clyde Geronimi, Wilfred Jackson und Hamilton Luske kam im Jahr 1951 in die Kinos und ist eine Adaption zweier Werke der Kinderliteratur, die bis heute zu meinen absoluten Lieblingsbüchern gehören und die ich schon sehr, sehr viele Male sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch gelesen habe - wobei ich vor allem die Originalversion bevorzuge mit ihrer verdrehten Logik und den Nonsens-Reimen, die einerseits in perfektem Englisch verfasst sind, andererseits über eine so erstaunliche Musikalität aufweisen, dass sie eigentlich gar keine Melodien benötigen (will you, won't you, will you, won't you, will you join the dance?). Trotzdem verlinke ich euch hier eine ganz entzückende Vertonung der zuvor zitierten Lobster Quadrille. Die Bücher selbst wurden von dem britischen Schriftsteller Lewis Caroll verfasst, der außerdem auch noch Fotograf, Mathematiker und Diakon war. Seine Bücher zeugen von einer außergewöhnlichen Begabung im Bereich von Wortspiel, Logik und Phantasie - und so hat er mit seinen Werken viele andere Autoren wie James Joyce und André Breton, aber auch bildende Künstler wie Max Ernst bis hin zu zahlreichen Musikern aus dem Rock- und Pop-Genre beeinflusst. Etwas wenigeren Leuten ist bekannt, dass er auch ein Vorreiter im Bereich der künstlerischen Fotografie war; sein bekanntestes Motiv war Alice Liddell, die kleine Tochter des Dekans von Christ Church Henry George Liddell, die gleichzeitig auch das Vorbild für die Heldin von Carrolls Büchern wurde.

Alice's Adventures in Wonderland (Alice im Wunderland) wurde 1865 veröffentlicht und entstand während einer Bootsfahrt auf der Themse, auf der Carroll der zuvor erwähnten Alice Liddell und ihren beiden älteren Schwestern diese Geschichte erzählt haben soll. Zu den ersten Fans dieses Werks gehörten unter anderem Königin Victoria und der junge Oscar Wilde (der übrigens ebenfalls zu meinen Lieblingsschriftstellern gehört). 1871 erschien die Fortsetzung Through The Looking Glass, And What Alice Found There (Alice hinter den Spiegeln) - der Disney-Film fasst die Handlung beider Bücher zusammen, ebenso wie viele andere Adaptionen. Verweise auf die Alice-Bücher finden sich auch in vielen anderen literarischen Werken, etwa Douglas Adams' Per Anhalter durch die Galaxis oder Stephen Kings Tot, aber auch in filmischen Werken, man denke nur an "follow the white rabbit" aus Matrix - wobei dieser Satz heutzutage gern für Verschwörungsmärchen missbraucht wird. Auch in der Musik finden sich viele Verweise auf Alice, etwa bei den Beatles, Aerosmith oder Gwen Stefani, und in der Malerei ließen sich vor allem die Surrealisten von den Büchern inspirieren. Es gibt auch noch Adaptionen für Oper und Ballett sowie als Comics und Mangas, außerdem hat das anderorts schon erwähnte japanische Trickfilmstudio Nippon Animation in den Jahren 1983/84 eine Fernsehserie produziert. Die erste Filmadaption ist ein Stummfilm von Cecil Hepworth aus dem Jahre 1903; die Disney-Version ist die erste Zeichentrickverfilmung. 2010 und 2016 entstanden außerdem Realfilm-Adaptionen der beiden Bücher aus dem Hause Disney unter der Regie von Tim Burton (Alice in Wonderland) und James Bobin (Alice Through The Looking Glass), unter anderem mit Helena Bonham Carter, Johnny Depp und Anne Hathaway.

Die Bücher handeln von einem etwa siebenjährigen Mädchen namens Alice, das sich in beiden Geschichten in eine Welt verirrt, in der sämtliche Gesetze der Logik und Vernunft auf den Kopf gestellt worden sind. In Alice im Wunderland läuft sie einem sprechenden weißen Kaninchen hinterher, erreicht seinen Bau, wo sie in ein tiefes Loch fällt und in einem Raum mit vielen Türen landet, von denen sich nur die kleinste öffnen lässt. Alice ist zu groß, um hindurchzupassen, findet aber ein Fläschchen mit einem Getränk, das sie schrumpfen lässt. Als sie am Ende die Tür passiert hat, findet sie sich in einem Wunderland voller Paradoxa und Absurditäten wieder, in dem sie auf viele merkwürdige Geschöpfe trifft und ständig mit allerlei Nahrungsmitteln und Getränken herumexperimentiert, die sie größer und kleiner machen. In Alice hinter den Spiegeln geht sie durch einen gewöhnlichen Spiegel auf die andre Seite in eine Parallelwelt, in der nicht nur alles spiegelverkehrt, sondern die gesamte Logik auf den Kopf gestellt ist. Während im ersten Buch Spielkarten eine Rolle spielen, sind es im zweiten ein Schachspiel und Schachfiguren. Die Rahmenhandlung des Disney-Films entspricht dem ersten Buch - Alice läuft dem weißen Kaninchen hinterher und fällt ins Innere der Erde -, ansonsten werden, wie schon gesagt, Motive aus beiden Büchern aufgegriffen. So stammen die Grinsekatze, die Raupe, Märzhase und verrückter Hutmacher sowie die Herzkönigin aus Alice im Wunderland, während Twiddledee und Twiddledum, das Walross und der Zimmermann und die sprechenden Blumen Motive aus Alice hinter den Spiegeln sind.

Bemerkenswert an den Büchern sind neben dem Spiel mit der Logik, die diese auch zu beliebten Erzählungen für Mathematiker machen, auch die satirischen Anspielungen - beispielsweise gibt es viele Verweise auf die Schullektionen, die Kinder damals in England auswendig lernen mussten, etwa der Kinderreim von Löwe und Einhorn, der im zweiten Buch thematisiert wird und in dem der Zusammenschluss Englands und Schottlands im frühen 17. Jahrhundert thematisiert wird. Der Disney-Film ist heute ein Klassiker, fiel damals beim Publikum allerdings durch, und auch Disney selbst soll damit nicht zufrieden gewesen sein - ich persönlich finde zwar, dass er an die Bücher nicht heranreicht, allerdings bin ich auch der Ansicht, dass man ihm Unrecht tut. Man orientierte sich halt nicht an den Original-Illustrationen von Sir John Tenniel, sondern interpretierte die Figuren etwas freier, aber so entstand ein eigenständiges Werk, das auch nach fast siebzig Jahren nichts von seinem Zauber verloren hat und doch mit einigen unvergesslichen Momenten aufwarten kann.

Der zweite Film, dem ich mich heute widmen will, ist Peter Pan, ebenfalls unter der Regie von Geronimi, Jackson und Luske, der 1953 in die Kinos kam und auf einigen Kindergeschichten des schottischen Schriftstellers und Dramatikers James Matthew Barrie basiert. Es ist die Geschichte eines Jungen, der nie erwachsen wird, der im Neverland, zu deutsch "Nimmerland", eine Jungengruppe, The Lost Boys (dt. "verlorene Jungen") anführt und gegen den Piratenkapitän Captain Hook kämpft. Die Figur Peter Pan taucht erstmals 1902 in dem ursprünglich für Erwachsene geschriebenen Buch The Little White Bird (Kleiner weißer Vogel) auf und wurde 1904 in dem sehr erfolgreichen, in London uraufgeführten Bühnenstück Peter Pan, The Boy Who Wouldn't Grow Up (Peter Pan, der Junge, der nie erwachsen wurde) verwendet. 1906 wurde der Abschnitt aus Little White Bird als eigenständiges Buch Peter Pan in Kensington Gardens publiziert, 1911 wurde das Bühnenstück unter dem Titel Peter and Wendy als Erzählung in Buchform herausgebracht - Letztere wird für Peter-Pan-Adaptionen am häufigsten verwendet.

Peter Pan wird meist als Junge im Alter von elf bis dreizehn Jahren dargestellt, da die körperlichen Anforderungen für jüngere Kinder meist zu hoch sind - das ist auch der Grund, warum er auf der Bühne eher von jungen Frauen gespielt wird. Er verkörpert die Unschuld, Sorglosigkeit und Abenteuerlust der Kindheit, ohne Verständnis für echte Gefahren oder echtes Leid. Anders als andere Kinder verlässt er diese Erfahrungswelt nicht, da er nicht erwachsen wird und sich nicht verändert. Dieser Aspekt macht ihn in der Psychoanalyse zur Allegorie für die Weigerung, erwachsen zu werden, Reife zu erlangen und das Voranschreiten der Zeit zu akzeptieren, eine Problematik, die entsprechend auch als "Peter-Pan-Syndrom" bezeichnet wird. Die fiktive Insel Nimmerland wiederum kann als Metapher für ewige Kindheit und Jugend, aber auch für Unsterblichkeit und Eskapismus gesehen werden, eine Phantasiewelt, die außer von Kindern von Elfen, Meerjungfrauen, Indianern und Piraten bevölkert wird. Trotz gewisser Aspekte, die der Entstehungszeit zuzurechnen sind, ist die Peter-Pan-Geschichte zeitlos und bietet Identifikationsmöglichkeiten für Kinder aus aller Welt. Manche Interpretationen begreifen das Nimmerland jedoch auch als ein Totenreich und Peter Pan als Todesengel, der verstorbene Kinder dorthin abholt.

Auch im Disney-Film wird die Handlung der Geschichte Peter and Wendy erzählt: Peter Pan verirrt sich in das Haus der Londoner Familie Darling und wird von deren Hund Nana erwischt, die ihm den Schatten abbeißt. In der folgenden Nacht, als die Eltern ausgehen und Nana im Hof angebunden wird, kehrt Peter in Begleitung der kleinen, geflügelten Fee Tinkerbell (im Deutschen auch "Glöckchen" oder "Naseweis" genannt) zurück, um seinen Schatten wieder zu bekommen, und lernt so Wendy, die Tochter der Darlings, kennen, der er anbietet, ihn ins Nimmerland zu begleiten, wo Kinder nie erwachsen werden. Nachdem sie und ihre beiden jüngeren Brüder John (in der deutschen Disney-Version Klaus genannt) und Michael mit Feenstaub bestäubt wurden, können sie wie Peter fliegen und folgen ihm auf die Insel, die sie bereits aus ihren Träumen und Spielen kennen. Sie wohnen mit Peter im unterirdischen Haus der verlorenen Jungs, für die Wendy die Mutterrolle übernimmt, und erleben alle möglichen Abenteuer mit Meerjungfrauen, Indianern und Piraten, bis Wendy und ihre Brüder Heimweh bekommen. Ehe sie Nimmerland verlassen können, werden sie und die verlorenen Jungen jedoch von Peters größtem Widersacher, dem Piratenkapitän Captain Hook, verschleppt. Natürlich gelingt es Peter, sie zu befreien und Hook über Bord zu werfen, der von dem Krokodil gefressen wird, das einmal eine Uhr verschluckt und ihm einst die Hand abgebissen hat. Am Ende werden Wendy, John und Michael wieder nach Hause gebracht; im Original werden die verlorenen Jungen von den Darlings adoptiert, während Peter wieder nach Hause fliegt, und Tinkerbell verliert ihr Leben, als sie Gift zu sich nimmt, das Hook eigentlich für Peter bestimmt hat. Außerdem enthält das Ende des Romans auch eine Zwiespältigkeit: Peters Kindheit kann nur bewahrt werden, wenn er alles Vergängliche vergisst, wie wichtig es auch immer ihm einmal gewesen sein mag. Als er Wendy ein Jahr später wiedersieht, kann er sich weder an Captain Hook noch an Tinkerbell erinnern, und irgendwann vergisst er auch Wendy, bis deren Tochter ihren Platz einnimmt.

Der Disney-Film sollte ursprünglich weitaus düsterer werden - so war ursprünglich geplant, dass die Fee Tinkerbell im Laufe der Geschichte wie im Roman sterben sollte, allerdings statt durch Gift durch eine Bombe - am Ende wurde aus Rücksicht auf das jüngere Publikum allerdings darauf verzichtet. Insgesamt war es die zweite Verfilmung des Peter-Pan-Stoffs nach einem Stummfilm von Herbert Brenon aus dem Jahr 1924, der sehr erfolgreich war und stark an die Bühnenversion angelehnt ist. Im Gegensatz dazu bot die Zeichentrick-Version natürlich ganz neue Möglichkeiten; so trat Peter Pan zum ersten Mal als männliche Person in Erscheinung, während er bisher sowohl auf der Bühne als auch in Brenons Film immer von jungen Frauen dargestellt worden war. Außerdem nahmen der Hund Nana, das Krokodil und Tinkerbell zum ersten Mal Gestalt an, nachdem Nana bisher durch einen Komparsen bewegt, das Krokodil durch ein Ticken hinter der Szene und die Fee durch Lichtwechsel dargestellt worden waren. Insgesamt war Peter Pan einer der erfolgreichsten Disney-Filme und ist bis heute einer der wenigen, die in der Erstsynchronisation auf DVD erhältlich sind, auch wenn die Tonqualität dadurch natürlich nicht den heutigen Standards entspricht. Gleichzeitig ist er die einzige bekannte Filmadaption, in der, abgesehen von einer Szene, keine Dialoge aus dem Bühnenstück verwendet wurden. Bis heute entstanden noch viele andere Real- und Zeichentrickverfilmungen, ich erinnere mich auch an die Nippon-Animation-Version von 1989. 2003 kam die erste Realfilm-Version heraus, in der kein Erwachsener, sondern ein Junge die Hauptrolle übernahm. Natürlich gibt es inzwischen auch eine computeranimierte Serie, erwähnenswert finde ich außerdem Steven Spielbergs Hook von 1991, eine Fortsetzung der bekannten Geschichte, in der Robin Williams den erwachsenen Peter Pan verkörpert, und Marc Fosters Finding Neverland (Wenn Träume fliegen lernen) von 2004, der sich mit der Entstehungsgeschichte befasst und in der Johnny Depp den Autoren J. M. Barrie spielt.

Wie in meinem letzten Artikel über die Disney-Filme musste ich mich auch in diesem wegen des umfangreichen Stoffs auf zwei Filme beschränken. Und natürlich musste ich mich arg zurückhalten, um nicht meterlang meine Gedanken über die Alice-Bücher niederzuschreiben und so diesen Eintrag zu einer unleserlichen "Wurscht" zu verunstalten. Aber dafür habe ich noch eine Menge Material für weitere Artikel und hoffe natürlich, dass ihr dann wieder dabei seid. Bis dahin verabschiede ich mich von euch und hoffe, dass ihr alle gesund bleibt und eure Masken nicht vergesst! Bon voyage!

vousvoyez

Mittwoch, 2. September 2020

Die Proletarier dieser Welt haben nichts zu verlieren als ihre Goldketten


(c) vousvoyez
Findige Geister, wie ihr es größtenteils seid *auf der Schleimspur ausrutsch* werden natürlich schon darauf gekommen sein, dass dieser Spruch eine Abwandlung des Satzes "Die Proletarier dieser Welt haben nichts zu verlieren als ihre Ketten" aus Karl Marx' Manifest der kommunistischen Partei ist. Wobei dieser Satz natürlich bestenfalls als naiv zu bezeichnen ist, denn Mitte des 19. Jahrhunderts, als dieses Werk publiziert wurde, wurden Arbeiteraufstände häufig auch blutig niedergeschlagen. Die hier vorliegende Abwandlung stammt übrigens aus Marc-Uwe Klings humoristischer Textsammlung Die Känguru-Offenbarung. Ich darf euch verraten, dass Marc-Uwes Werk für mich eine Quelle der Inspiration ist, und das schon seit etwa zehn Jahren. Obwohl er durch den Film Die Känguru-Chroniken auch schon im Mainstream angekommen ist. Aber so ist eben der Lauf der Welt.

"Mainstream" ist ja bekanntlich ein Reizwort in der heutigen Zeit. Wie schon erwähnt, benutze ich es nicht mehr allzu gerne, weil es Sachverhalte wie die gegenwärtige Corona-Krise, aber auch das Erstarken des Rechtsradikalismus und die Verbreitung von Verschwörungsideologien verharmlost. Und nachdem ich mich seit Monaten davor gedrückt habe, mich zu dem gegenwärtigen in diesem Blog noch einmal zu äußern, fürchte ich, dass wir da jetzt mal wieder durch müssen. Denn am Samstag sind wieder Leute in Berlin auf die Straße gegangen - Leute, die voll total friedlich gegen die pöhse Corona-Diktatur demonstriert haben. Und die gemeinen linkslinken Gutmenschen sagen jetzt natürlich wieder, da waren lauter Nazis auf der Demo. Das ist wieder mal typisch für die, was anderes können die gar nicht, als ständig die Nazi-Keule auszupacken! Ich hab mich den ganzen Sonntag über in der Dusche eingesperrt und ganz laut geweint, weil das so ungerecht ist! Aber jetzt hab ich mich wieder gefasst und mir gedacht, vousvoyez, so geht das nicht, du musst Nägel mit Köpfen machen! Du musst aller Welt zeigen, dass die, die da in Berlin mitmarschiert sind, auf keinen Fall Nazis waren, sondern nur besorgte Bürger, die sich von der doofen Maske unterdrückt fühlen! Und deswegen beweise ich euch jetzt, dass da nicht ein Nazi dabei war!

1. Die Reichskriegsflagge:
Viele von euch hängen sich ja an dieser schwarz-weiß-roten Fahne auf, die da während der Demo dauernd geschwenkt wurde. Das ist voll ungerecht - was hat das arme Fähnchen euch denn getan? Nur weil sie zur Zeit der Weimarer Republik ein gängiges Symbol unter Rechtsradikalen und Antidemokraten gewesen ist? Und nur weil die Fahne nach der Machtübernahme Deutschlands durch die Nationalsozialisten gehisst wurde und auch nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend von Rechtsparteien verwendet wurde? Also meine Güte, das ist doch echt vernachlässigbar!

2. Aufruf zur Teilnahme durch rechtsextreme bis offen neonazistische Gruppierungen
Also bitte, wer will den friedlichen Demonstranten schon nachtragen, dass sie wissentlich auf eine Demonstration gegangen sind, die vorwiegend von Rechten organisiert wird! Die sind ja nur ganz zufällig da! Das ist ja wirklich eine Frechheit, zu unterstellen, dass jeder, der hinter denen herläuft, diese Bewegung unterstützt! Was ist denn schon groß dabei, Seite an Seite mit Leuten zu laufen, die demokratische Grundrechte mit Füßen treten! Meinungsfreiheit gilt doch eh nur für diejenigen, die die richtige Meinung haben - alle anderen sind nur darauf aus, meine persönliche Meinungsfreiheit zu zensieren !!!!11 Und überhaupt - was ist an diesen Rechtsextremen denn so schlimm, hä? Die wollen uns doch nur retten vor den pöhsen, pöhsen Flüchtlingen, die gleich bei ihrer Ankunft 20.000 Euro geschenkt bekommen, eine Luxusvilla, einen Mercedes, ein Einhorn und ich weiß nicht was noch alles, während der arme Deutsche sich nicht mal mehr die abgenagten Knochen leisten kann, die sie übrig lassen! Abgesehen davon - warum bleiben die denn nicht zu Hause, diese Feiglinge? So ein kleines bisschen Krieg schadet doch nicht! Und außerdem, die Linken sind ja mindestens genauso schlimm, wenn nicht noch viiiiel schlimmer!

Nun, wer mich kennt, der wird wohl schon drauf gekommen sein, dass all das, was ich zuvor geschrieben habe, purer Sarkasmus war. Natürlich hebeln ein paar Spinner, die versucht haben, den Reichstag zu stürmen, noch keine Demokratie aus - aber ich finde es ja äußerst, ähm, lustig, dass einmal mehr alle Politiker vollkommen überrascht sind von dem, was passiert ist. Und das, nachdem es zuvor sogar online angekündigt wurde, wer hätte sich DAS denn denken können? Lustig auch, dass es der Polizei nicht möglich war, diese Spinner lupenreinen Demokraten bereits an den Barrikaden aufzuhalten - ja, dass man überhaupt nur drei Hanseln dort positionierte, wo die Demonstranten laut zahlreicher Ankündigungen in einschlägigen Telegram-Kanälen hinwollten, während auf einer Gegendemo Leute niedergeknüppelt wurden. Und ja, ich weiß, das hört sich jetzt verdammt nach Opferrolle an - etwas, das eigentlich normalerweise von rechts kommt -, aber es ist doch tatsächlich so, oder weshalb sonst mussten die Gedenk-Veranstaltungen zu Ehren der Opfer in Hanau abgesagt werden, während dasselbe Anliegen für diese Demo am Verfassungsgericht scheiterte? Ich hoffe inständig, dass man endlich aus diesen Fehlern lernt und es diesen Idioten Rebellen in Zukunft endlich schwerer macht, solche Himmelfahrtskommandos anzuzetteln! Aber gerade deswegen dürfen zumindest wir nicht so tun, als wäre das für die Aluhütchen irgendein "Sieg" gewesen - denn das war es keinesfalls. Trotzdem sollten wir diese Leute nicht aus den Augen lassen - denn diese berufen sich zwar immer und immer wieder auf das Grundgesetz, demonstrieren aber im Grunde gegen Grundrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder die Meinungsfreiheit, sofern die Meinung nicht ihrer eigenen entspricht - und wollen nebenbei eine neue Verfassung durchsetzen. Und was ich absolut nicht nachvollziehen kann, ist, warum sich diese Glanzlichter nach wie vor so hemmungslos im Netz austoben können, ohne Konsequenzen zu fürchten, dass ihre "Todeslisten" und Mordphantasien einfach ignoriert werden und dass ihre Ankündigungen nicht ernst genommen werden, obwohl sie viele bereits ausgeführt haben. Stattdessen diskutiert man darüber, den Reichstag besser zu schützen - obwohl es doch nicht um das Gebäude geht, sondern um diejenigen, die mit rechtsradikalem, ja faschistischem Gedankengut sympathisieren. Und obwohl sich bereits eine Partei mit rechtsextremem Gedankengut hinter diesen Türen befindet. Ein bisschen erinnert es mich an früher, als es noch weitaus mehr Schnee gab und man in Österreich jedes Jahr total überrascht war, dass es im Winter schneit.

Mich macht das, was aktuell so passiert, ehrlich gesagt ziemlich fassungslos. Ich bin fassungslos, dass es immer noch heißt, man müsse mit diesen Leuten reden und ihre Sorgen ernst nehmen, obwohl wir doch schon seit fünf Jahren erleben, dass sie in ihrer eigenen Phantasiewelt leben und für Fakten nicht mehr zugänglich sind. Sie wollen die Wahrheit nicht hören, weil sie ihre eigene Wahrheit haben, die massiv mit dem, was der Rest der Welt darunter versteht, kollidiert. Und in ihrem Wahn schleppen sie Konservative mit schlechter Medienkompetenz mit, die sich wie trotzige Kinder aufführen, weil sie keine Lust haben, im Supermarkt und in den Öffis eine Maske zu tragen. Aber stößt man diese mit der Nase darauf, mit welchen Leuten sie mitlaufen, sind sie schnell beleidigt. Denn es ist doch egal, mit wem man marschiert, oder? Hauptsache, die Forderungen sind gleich! Nein, ist es eben nicht - denn wer solchen Leuten nachläuft, und das habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben, der nimmt zumindest deren anti-demokratische Ideologie billigend in Kauf. Keiner hat den rechtsextremen Äußerungen auf dieser Demo widersprochen, aber viele haben applaudiert! Und keiner der Veranstalter schaffte sich, sich einigermaßen glaubhaft von rechtsextremem Gedankengut zu distanzieren. Nun, wer hätte auch gedacht, dass Leute, die sich in den letzten Jahren vermehrt als demokratiefeindlich geoutet haben, genau diese Demokratie, die es ihenn ermöglicht, selbst gegen erfundene Probleme auf die Straße zu gehen, mit Füßen zu treten! Wer hätte überhaupt gedacht, dass Leute, die seit Jahren gegen demokratisch gewählte Politiker hetzen, keine lupenreinen Demokraten sein können! Ich hätte wirklich gerne gewusst, wie die Empörung der Rechten ausgesehen hätte, hätte es sich bei den Krawallmachern am Samstag um Linke oder gar um Ausländer gehandelt - was da wohl los gewesen wäre in deren Reihen!

Meine lieben Freunde und Zwetschkenröster: Wir müssen langsam mal begreifen, dass die Spezies "Homo sapiens" nicht absolut unantastbar ist. Und dass Gegebenheiten existieren, die man nicht so einfach verbieten kann - man kann ja einem Vulkan auch nicht das Ausbrechen verbieten. Oder der Sonne das Scheinen. Natürlich kann man heulen, schreien, schimpfen und demonstrieren - es ändert nur halt nichts. Und natürlich gibt es bezüglich des Umgangs mit der Demokratie ausreichend Kritikpunkte. Aber diese werden wohl kaum wahrgenommen werden, wenn man sich in die Reihen derer begibt, die behaupten, Corona sei eine Lüge, Deutschland eine Firma und Bill Gates Teil einer großen Verschwörung. Schon Kant wusste - die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Sprich - es sind nicht ausschließlich meine Wünsche, die zählen, weil die Grundrechte nicht nur mir alleine zustehen. Und was aktuell passiert, ist, dass eine Minderheit auf Biegen und Brechen der Mehrheit ihren Willen aufzwingen will. Dafür setzt man die Gesundheit anderer aufs Spiel, dafür macht man die Bemühungen, die Infektionszahlen so niedrig wie möglich zu halten, einfach so zunichte. Das Ding ist: Wenn du Dinge forderst, die nicht existieren oder die nicht durchführbar sind, wirst du niemals eine Mehrheit erzielen, weil die meisten deine Phantasiegespinste als solche erkennen. Du wirst niemals Erfolge erreichen, eben weil du für etwas kämpfst, das es nicht gibt. Und da Leute, die sowas tun, trotzdem glauben, sie seien im Recht, werden sie irgendwann aggressiv, wenn sie merken, dass sie nicht weiterkommen. Und viele begreifen auch gar nicht, dass die meisten sie nicht ernst nehmen - sie halten sich tatsächlich für weitaus mehr, als sie tatsächlich sind. Deswegen glauben sie ja auch, sie seien "das Volk".

Was mich beunruhigt, ist, dass nach 75 Jahren - das ist gerade mal die Lebenszeit meiner Großmutter mütterlicherseits - unsere Geschichte bedeutungslos geworden zu sein scheint. Dass die Verantwortlichen nicht mehr klare Kante zeigen können, wenn es um Rechtsextremismus geht. Natürlich gab es sie immer schon, die selbstgefällige Mitte, die erklärt, es gäbe zwischen Rechts- und Linksextremismus keine Unterschiede, möglicherweise ist die Gefahr von links sogar noch größer als die von rechts! Aer vor nicht allzu langer Zeit war man sich zumindest in breiten Teilen der Bevölkerung darüber einig, dass Faschismus und Rechtsextremismus nichts Positives ist - aber diese Zeiten scheinen nun vorbei zu sein. Heute bricht man das alles auf eine "andere Meinung" herunter, die man gut oder schlecht finden kann - eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, sich gegen demokratiefeindliche Strömungen auszusprechen, gibt es nicht mehr. Vor noch nicht allzu langer Zeit erkannte man antisemitische Verschwörungsmythen außerdem noch als das, was sie waren - heute ist es für uns nichts Schockierendes mehr, wenn "Aufgewachte" von einer "jüdischen Weltverschwörung" faseln. Und das, obwohl genau dieses Gefasel vor über einem dreiviertel Jahrhundert zu einem der grausamsten Völkermorde der Weltgeschichte führte! Ich finde es, offen gestanden, unfassbar, wie weit sich die Grenzen des Sagbaren schon wieder verschoben haben, ohne dass man noch etwas dabei findet.

Und das ist auch der Grund, warum ich meinen Mund nicht halten kann und will. Weil ich absolut nicht in einer Welt leben möchte, die der von vor 75 Jahren gleicht. Weil ich finde, dass für alle Platz sein muss und nicht nur für die, die den üblichen Verdächtigen in den Kram passt. Und weil ich mir nicht irgendwann einmal vorwerfen lassen will, ich hätte weggeschaut, wie es damals so viele gemacht haben und auch heute viele wieder machen. Eigentlich müssten wir heute schon aufgrund unserer Vergangenheit gescheiter sein - aber der Mensch vergisst ganz offensichtlich zu schnell und zu bereitwillig. Ich hoffe inständig, dass wir uns nicht in ein paar Jahren wieder fragen, wie das alles nur passieren konnte.

vousvoyez

Ein paar Artikel zum Quellen überprüfen und Weiterlesen: