Ich weiß nicht, ob euch das Wort Maafa ein Begriff ist - es stammt aus dem Swahili und heißt in etwa "großes Unglück". In unseren Breiten handelt es sich um einen politischen Neologismus, sprich, um einen relativ neuartigen Begriff, der sich auf die Verbrechen der Kolonialzeit bezieht. Nun, mir ist schon seit längerer Zeit bewusst, dass, was dieses Thema betrifft, bei uns in Europa eigentlich schon längst ein dringender Aufholbedarf besteht - zumal wir, auch wenn es dem einen oder anderen nicht gefallen mag, inzwischen auch Mitbürger mit afrikanischen Wurzeln bei uns haben, die meiner dummen Gutmenschen-Meinung nach dieselben Chancen und Voraussetzungen haben sollten wie der Rest unserer Bevölkerung. Ich habe beispielsweise erst an der Uni erfahren, dass auch Deutschland Kolonien in Afrika hatte - zuvor hatte ich nur die vage Vorstellung davon, dass das ein englisches, französisches, spanisches und portugiesisches "Ding" ist. Und nicht nur das - vor etwa einem Jahr wollten mir ein paar "Lebensschul"-Absolventen, von denen die meisten mit Sicherheit nur selten ein Buch in die Hand genommen haben, weismachen, dass die Menschenzoos um 1900 doch eine tolle Sache gewesen seien, weil man da was über andere Kulturen gelernt hätte. Nun - dass die Relativierung des Holocaust mittlerweile strafbar ist, finde ich gut und richtig, da die Verharmlosung oder gar Leugnung eines Sachverhaltes, für den es ausreichend Beweise gibt, nichts mehr mit "Meinung" zu tun hat. Allerdings denke ich, sollte dies auch für die Relativierung der Verbrechen der Kolonialmächte gelten. Denn die selbst ernannten "Rebellen" von heute vergleichen sich nicht nur gerne mit Sophie Scholl und tragen jene gelben Aufnäher, mit denen zur Zeit des Nationalsozialismus die Juden gekennzeichnet wurden, häufig werden auch Bilder geteilt, in denen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes mit den máscaras de flandres verglichen wird, jenen Masken aus Weißblech, mit denen in Brasilien afrikanische Sklaven gefoltert wurden. Ganz abgesehen davon, dass es lächerlich ist, verharmlost es auch das Leid von Millionen - genauso wie das Tragen des Judensterns. Ebenso verharmlost es das Leid jener, die in Menschenzoos ausgestellt wurden, zu behaupten, das sei eigentlich eine gute Sache gewesen - ganz abgesehen davon, dass man in diesen Zoos überhaupt nichts von anderen Kulturen gelernt hat, aber dazu komme ich noch.
Bekanntlich beginnt die Kolonialzeit mit der Neuzeit, also Ende des 15. Jahrhunderts mit den Amerika-Reisen von Christoph Kolumbus. Dadurch begann die Bildung europäischer Kolonialreiche in Übersee - zuerst durch die Spanier und Portugiesen, ehe auch die Niederlande, Großbritannien und Frankreich damit begann. Das Ende dieser Zeit wird zwischen den ersten Souveränitätserklärungen nach der Französischen Revolution im 18. Jahrhundert und dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und der Gründung der UNO als Konzept gleichwertiger Nationen datiert. Wie jeder weiß, ist Kolonisation keine rein neuzeitliche Erfindung - auch das antike Griechenland hatte Kolonien. Allerdings unterscheidet sich der neuzeitliche Kolonialismus von dem antiken dadurch, dass dieser eine weitaus stärkere ideologische Komponente beinhaltet - ebenso verhält es sich auch bei dem Begriff der Sklaverei, die es ja in der Antike auch schon gab. Und diese Ideologie ist zu einem sehr großen Teil rassistisch motiviert - so sehr, dass man sogar versuchte, die Grausamkeiten gegen die Einwohner der eroberten Gebiete wissenschaftlich zu begründen. So war man gut drei Jahrhunderte lang nahezu versessen davon, Menschen zu fotografieren, zu vermessen und ihre Wertigkeit anhand körperlicher Merkmale zu bestimmen, ein Vorgehen, das zur damaligen Zeit als hoch modern, extrem fortschrittlich und absolut wissenschaftlich angesehen wurde. Nicht vergessen darf man dabei, dass auch das Christentum - etwa in seiner Verteufelung der Juden und Heiden - als auch die Industrialisierung bei diesen Mechanismen eine wesentliche Rolle spielten. Um Kritik gegen die spanischen Eroberungen in Süd- und Mittelamerika abzuschmettern, die sich auf das neutestamentliche Gewaltverbot berief, bediente man sich der mittelalterlichen Lehre vom "gerechten Krieg" gegen Nicht-Christen, und entwickelte sie weiter. Im Zuge dessen wurde die Zugehörigkeit zur Gesellschaft vermehrt nicht mehr lediglich vom Empfang der Taufe abhängig gemacht, sondern immer mehr auch von der "Reinheit des Blutes" oder auch der "Reinheit der Rasse". So begann sich der Rassebegriff etwa vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zu entwickeln, bis sich im Zuge der Industriellen Revolution die Vorstellung einer unversöhnlichen "Andersartigkeit" und daran gekoppelten Unterlegenheit nicht-weißer Völker festigte, aus der der Glaube einer ewigen Vormundschaftspflicht gegenüber diesen entsprang. So wurde suggeriert, dass eine höherstehende (weiße) "Rasse" für den rückständigen Teil der Menschheit verantwortlich sei - da dieser jedoch häufig "aufsässig" sei, müsse man mit aller zur Verfügung stehenden Härte gegen sie vorgehen, um sie nicht dazu ermutigen, sich zu wehren. (Ähnlich wie man damals glaubte, man müsse dafür Sorge tragen, dass es Fabrikarbeitern möglichst dreckig geht, damit sie nicht "faul" werden, aber das ist eine andere Geschichte, siehe Bill Bryson: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge.) Um den inneren Frieden zu wahren, setzte man auf "Erziehung zur Arbeit" - allerdings nicht, um die zu Erziehenden zur Selbstständigkeit zu qualifizieren, sondern um die kolonisierten Länder und ihre Bewohner möglichst gewinnbringend ausbeuten zu können. Da dies natürlich nicht immer so funktionierte, wie die weißen Herren sich das vorstellten, waren die Kolonisierten beliebigen Formen willkürlicher Grausamkeit oft schutzlos ausgeliefert. Das Land, in dem mein Partner geboren wurde und das heute den Namen Demokratische Republik Kongo trägt, wurde 1885 von König Leopold II. von Belgien als "Privatbesitz" eingenommen, einschließlich seiner Bevölkerung, die völlig rechtlos war. Im Zuge dessen wurden die Kautschuk-Vorkommen des Landes durch Sklaverei und Zwangsarbeit ausgebeutet, wobei es massenhaft zu Geiselnahmen, Verstümmelungen, Tötungen und Vergewaltigungen kam. Als diese Gräueltaten schließlich bekannt wurden, musste Leopold II. im Jahr 1908 den Kongo an den belgischen Staat abtreten. Zu diesem Zeitpunkt hatten die "Kongogräuel" die Bevölkerung des Landes bereits um etwa die Hälfte reduziert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Aufstand der Herero und Nama gegen die deutschen Kolonialherren im heutigen Namibia blutig niedergeschlagen Die Leichen wurden enthauptet und die Schädel ausgekocht, und hinterher zwang man die Herero- und Nama-Frauen, die Haut und das Fleisch vom Knochen zu entfernen, um die blanken Schädel anzuschließend zu "Forschungszwecken" nach Europa mitzunehmen. Überdies war der Handel mit afrikanischen Schädeln eine Zeitlang durchaus ein florierendes Geschäft, für das Menschen getötet und Leichen exhumiert wurden. Ja, auch die Wissenschaft stellte sich nicht immer in den Dienst der Menschheit - damals diente sie der Eroberung der Welt bzw. dem Kolonialismus. Sie diente dazu, die Andersartigkeit und damit auch die Minderwertigkeit derer zu "beweisen", die man tötete und versklavte, und gleichzeitig die Überlegenheit der eigenen Kultur herauszustellen. In Wirklichkeit hat die Vermessung afrikanischer Schädel jedoch absolut nichts dazu beigetragen, die Frage zu klären, wer wir Menschen eigentlich sind.
Ein Aspekt dieser damals so bezeichneten "Wissenschaft" war es auch, Menschen aus fernen Ländern nach Europa zu verschleppen und neben exotischen Tieren zur Schau zu stellen. Schon Christoph Kolumbus brachte von seiner ersten Entdeckungsreise sieben Menschen aus dem Volk der Arawak nach Spanien, und im Laufe der Erschließung unbekannter Erdteile wurden immer wieder deren Bewohner in europäische Länder verschleppt und dort zur Schau gestellt - dieses Vergnügen wurde allerdings anfangs nur einem erlesenen Publikum zuteil, etwa Adeligen oder reichen Kaufleuten. Aufsehen erregte um 1810 der Fall einer jungen Frau namens Sarah "Saartje" Baartman aus dem Volk der Khoikhoi, die aus Südafrika nach Europa gebracht und ausgestellt wurde; sie erreichte als "Hottentotten-Venus" vor allem in Großbritannien und Frankreich Berühmtheit. Die Faszination lag vor allem in ihrer als exotisch und erotisch scheinenden Körperform, die auch Gegenstand zahlreicher Karikaturen war. Schließlich wurde sie Gegenstand des Interesses von Ärzten, Anatomen und Naturwissenschaftlern, ehe sie 1815, angeblich an einer Lungenentzündung, starb. Von ihrem Körper wurde ein Gipsabdruck angefertigt, ihr Skelett, Gehirn und Geschlechtsteil wurden konserviert, Gipsabdruck und Skelett im Musée national d'histoire naturelle in Paris ausgestellt. Ihre sterblichen Überreste wurden erst 2002 an Südafrika zurückgegeben und dort beigesetzt. Ein bekannter Fall bei uns in Österreich wiederum war der im heutigen Nigeria geborene Angelo Soliman, der im 18. Jahrhundert Kammerdiener des Erbprinzen Alois I. von Liechtenstein war. in die Freimaurerloge aufgenommen wurde und es in Wien zu einiger Berühmtheit brachte. Nach seinem Tod wurde sein Leichnam präpariert und bis 1806 als halbnackter Wilder mit Federn und Muschelkette im Kaiserlichen Naturalienkabinett ausgestellt. Der deutsche Schriftsteller, Historiker und Journalist Philipp Blom vermutet, dass der Kaiser selbst dies veranlasst hätte, der die aufgeklärte Gesellschaft Wiens immer verachtet habe und sie auf diese Weise demütigen wollte. Solimans Tochter bemühte sich vergeblich um die Herausgabe und christliche Bestattung der sterblichen Überreste ihres Vaters; die mumifizierte Körperhülle fiel 1848 der Oktoberrevolution zum Opfer, bei der sie verbrannte, über den Verbleib der restlichen Körperteile ist bis heute nichts bekannt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte der deutsche Zoodirektor Carl Hagenbeck die Völkerschauen zu einem Massenphänomen. Um 1866 begann der Sohn eines Fischhändlers, exotische Tiere vor allem aus Afrika nach Europa zu importieren und dort zu verkaufen, ehe er entdeckte, dass mit der Vorführung von Menschen weitaus mehr Geld zu machen war. So gehörten schon bald Lappländer samt Rentierherde, später auch Nubier aus dem Sudan sowie Inuit, damals noch "Eskimos" genannt, zu seinem Unterhaltungsprogramm im Berliner Zoo. Schon bald waren Völkerschauen in ganz Europa, aber auch in Nordamerika eine beliebte Attraktion für Jung und Alt. Menschen jeden Alters wurden aus den entlegensten Gebieten der Erde geholt und in Zoologischen Gärten, Panoptiken, auf Jahrmärkten und Volksfesten sowie Kolonial- und Weltausstellungen vorgeführt. Es ging jedoch nicht darum, den Publikum ein authentisches Bild des Lebens anderer Völker zu vermitteln; vielmehr dienten sie dazu, das Stereotyp der "unterentwickelten Rassen" zu festigen, Klischees, die das Publikum glauben sollte und zum allergrößten Teil auch wollte - und die bis in die heutige Zeit nachwirken. So wurden etwa die australischen Aborigines als Kannibalen dargestellt, was gar nicht der Wahrheit entsprach, während Afrikaner als Wesen zwischen Mensch und Affe vorgestellt wurden, was natürlich ebenso wenig mit der Realität zu tun hatte. Beliebt war auch die Zurschaustellung nackter Frauenbrüste, was die "Triebhaftigkeit" und "Primitivität" afrikanischer, südamerikanischer und südpazifischer Völker beweisen sollte - in Wirklichkeit bewies es aber nur die Doppelmoral der damaligen Gesellschaft, in der anständige Damen sich in Unmengen an Kleidung zu hüllen und in enge Korsetts zu zwängen hatten, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, während ihre Männer ungeniert die entblößten Brüste "exotischer" Frauen begafften. Viele der ausgestellten Menschen starben an den Strapazen der Reisen, zu denen sie gezwungen wurden, andere brachten unbekannte Krankheiten mit in ihre Heimatländer. Erst in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg kamen solche Völkerschauen allmählich aus der Mode - die Popularität der amerikanisch-französischen Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Josephine Baker, die die Klischees der "exotischen Wilden" mit ihren Grimassen und ihrem Bananenröckchen ad absurdum führte, läutete eine neue Zeit ein. Für nähere Informationen zu Völkerschauen empfehle ich übrigens die Arte-Dokumentation.
Obwohl sich seither sehr viel verändert hat, wird uns bis heute immer wieder bewusst, wie tief sich die Vorstellung anderer Völker als "zurückgeblieben" und "ursprünglich" in unseren Köpfen verankert hat. So tief, dass selbst Autoren, die sich gegen Diskriminierung eingesetzt haben, nicht frei davon waren - denken wir nur an Pippi Langstrumpf, wo weiße Haut nahezu als "königlich" wahrgenommen wird (wobei Pippi auf die Haltung der Schwarzen Kinder, die sich vor ihr in den Sand werfen, reagiert, indem sie diese Geste erwidert, wodurch sie sie der Lächerlich preisgibt), oder an Jim Knopf, das trotz eindeutig anti-rassistischer Botschaft nicht frei von Stereotypen ist. Was natürlich kein Grund ist, diese Bücher aus den Kinderzimmern zu verbannen - aber ein Anlass, sich mit den Klischees, die sie unbeabsichtigt transportieren, auseinanderzusetzen, um sie endlich hinter sich lassen zu können. Genauso, wie man sich mit den großen Geistern der Aufklärung kritisch auseinandersetzen sollte, anstatt ihre Bücher gänzlich aus den Lehrplänen der Schulen und Universitäten zu verbannen - denn kritisches Denken bedeutet auch, dem schlechten Gedanken einen guten entgegensetzen zu können. Und Aufklärung ist in Wirklichkeit kein Prozess, der in ferner Vergangenheit abgeschlossen wurde - er setzt sich immer noch fort, auch heute.
Natürlich kann man sich jetzt darauf herausreden, dass "Neger" oder "Zigeuner" nur Worte sind. Allerdings darf man nicht vergessen, dass jedes Wort seine Bedeutung, seine Zusammenhänge und seine Geschichte hat, weshalb es nicht einfach so von seiner Wirkung abgekoppelt werden kann, die es auf diejenigen hat, die sie benutzen oder betreffen - und auch nicht von der Haltung, die der Sprecher damit transportiert. Es kann mir doch niemand erzählen, dass es ihm bzw. ihr völlig gleichgültig ist, wenn er/sie als Arschloch, Hurensohn oder Schlampe bezeichnet wird. Warum ist es also so schwer, von Worten abzusehen, die für andere erniedrigend und verletzend sind, wenn man doch weder das eine oder das andere will? Und nein - dass Leute das N-Wort früher benutzt haben, weil sie es nicht besser wussten, ist keine Ausrede. Dass dieses Wort als rassistisch wahrgenommen wird, ist keine ganz neue Erfindung irgendwelcher politisch überkorrekter Gutmenschen, das war von Anfang an so, weil es immer schon eine Fremdbezeichnung gegenüber Sklaven war. Das bedeutet, ursprünglich bezeichnete nigger bzw. Neger Menschen, die millionenfach aus ihrer Heimat verschleppt, ausgebeutet, unterdrückt und häufig auch willkürlich getötet wurden. Und da spielt es auch keine Rolle, dass es dem lateinischen Wort für dunkel bzw. schwarz entlehnt ist - das Wort "Idiot" leitet sich übrigens vom altgriechischen idiotes (ἰδιώτης) ab, was auf Deutsch mit "Privatperson" übersetzt werden kann. Trotzdem würde wohl niemand auf die Idee kommen, zu glauben, dass dieses Wort besonders schmeichelhaft wäre. Sprache ist nun mal nichts Statisches, ansonsten würden wir noch genauso sprechen wie im Mittelalter. Und dass die Umbenennung von Fertigsaucen, Knabberzeug und Süßigkeiten nach wie vor so eine extreme Empörung hervorruft und Leute diskriminierende Sprache als "schöne Kindheitserinnerung" rechtfertigen, zeigt eben, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, was den Kampf gegen Diskriminierung angeht.
Wie ich in einem früheren Artikel schon angemerkt habe: Es ist nicht schlimm, wenn du dich in der Vergangenheit unabsichtlich diskriminierender Sprache bedient hast. Wenn du allerdings auf dieser Sprache beharrst, dann ist das schlimm. Und da brauchst du dich auch gar nicht diskriminiert fühlen - niemand unterstellt dir, dass du es in deiner persönlichen Vergangenheit immer leicht gehabt hättest und dass du nie Opfer von Diskriminierung warst. Es geht halt in dieser Debatte nicht um dich - und ja, auch mir haben die Zehn kleinen Negerlein als Kind nicht geschadet, aber ich spreche halt nun mal aus der Perspektive eines weißen Kindes, also einer Person, die nicht betroffen ist. Trotzdem wusste ich schon, bevor ich meinen Partner getroffen habe, aus eigener Erfahrung, was Diskriminierung ist - ob es nun um das Geschlecht geht, um das Aussehen, über- oder unterdurchschnittliche Intelligenz, körperliche Defizite: Leute finden schnell einen Grund, andere zu beleidigen oder auszugrenzen. Das Absurdeste, was ich einmal erlebte, war, dass ich, als ich etwa fünf Jahre alt war, einmal nicht mitspielen durfte, weil ich nicht blond war. Das ist natürlich nicht mit Rassismus vergleichbar, war aber eine frühe Erfahrung mit Ausgrenzung aufgrund einer unbedeutenden Gegebenheit, für die ich nichts konnte. Ich habe aber nie erlebt, dass ich allein aufgrund meiner Haarfarbe Schwierigkeiten hatte, eine Wohnung oder einen gut bezahlten Job zu finden - als ich allerdings mit meinem Partner auf Wohnungssuche war, musste ich feststellen, dass es selbst im 21. Jahrhundert kaum möglich ist, eine Wohnung in halbwegs zumutbarem Zustand zu finden, wenn man die falsche Hautfarbe hat. Deswegen frage ich - wenn du schon weißt, was Diskriminierung bedeutet, warum machst du es dann selbst nicht besser?
Um das Thema fürs erste abzuschließen, möchte ich noch einmal festhalten: Die Gattung homo sapiens bildet eine bestimmte Art von Lebewesen, die untereinander fortpflanzungsfähig sind und deren Nachkommen - im Gegensatz etwa zu Hybriden aus Pferd und Esel, den Maultieren bzw. Mauleseln - ebenfalls fortpflanzungsfähig ist. Deswegen ist das Beispiel der im Pferdestall geborenen Ratte auch kein vernünftiges Argument, sondern offener Rassismus - und Rassismus ist kein biologisch oder wissenschaftlich begründbarer Sachverhalt, sondern reine Ideologie. Unterschiedliche Hautfarben sind nicht das Merkmal einer "Rasse", sondern eine Mutation, die aufgrund der Umweltbedingungen entstand, denen ihr Träger ausgesetzt war - und als solche nicht bedeutsamer als der Umstand, dass manche von uns Milch vertragen und andere nicht. Wir sehen doch, dass jeder von uns, selbst ein eineiiger Zwilling, sich durch bestimmte Eigenschaften von allen anderen Menschen dieser Welt unterscheidet - warum also wollen viele von uns immer noch glauben, dass Äußerlichkeiten etwas damit zu tun haben, was sich dahinter verbirgt? "Rassen" oder auch Nationen sind willkürliche, von Menschen vorgenommene Festlegungen. Innerhalb welcher Grenzen man geboren wird, ist genauso wenig ein Verdienst wie die Hautfarbe, mit der man zur Welt kommt - keiner von uns hat etwas dafür getan, dass er Österreicher, Deutscher, Belgier, Türke, Amerikaner, Senegalese oder Laote ist, und doch bestimmt es unser ganzes Leben. Wenn genügend Weiße behaupten, sie seien eine andere und obendrein höherwertige "Rasse" als die Schwarzen, Asiaten, Juden oder was auch immer, ist das eine willkürliche, an Machtinteressen gekoppelte Festlegung, die sich nicht auf empirische Daten stützt, sondern auf Meinungen, Weltbilder und/oder eine religiöse Haltung. Rassismus bedeutet, dies nicht zu erkennen bzw. erkennen zu wollen, sondern auf dieser Festlegung zu beharren und gleichzeitig andere abzuwerten, weil sie nicht so sind wie man selbst. Rassismus bedeutet, anderen jene Menschlichkeit abzusprechen, die man für sich selbst in Anspruch nimmt. Rassismus bedeutet, wahllos Gründe zu suchen, um andere abzuwerten, zu verfolgen oder gar zu töten - Gründe, die nicht überprüft werden können. Und was ich persönlich am meisten verachte, sind Rassisten, die sich als besonders "empathisch" verkaufen wollen - etwa jene, die gegen andere Hautfarben und Nationalitäten hetzen, während sie ständig darüber jammern, wie sehr die armen Tiere doch gequält werden, vor allem von diesen bösen Schwarzen und Muslimen, die in ihren beschränkten Hirnen natürlich eine völlig homogene Masse darstellen. Oder die, die für ungeborenes Leben auf die Straße gehen, während Flüchtlingskinder ruhig verrecken dürfen. Und ganz besonders die, die darauf hinweisen, dass nur den hungernden Kindern geholfen werden darf, die in weit entfernten Ländern wohnen, wo sie uns mit ihrer erbärmlichen Erscheinung nicht belästigen.
Vor allem aber sollten wir aufhören, anderen vorzuschreiben, wann sie sich beleidigt zu fühlen haben. Ja, ich weiß, dass der eine oder andere Betroffene gerne mal übers Ziel hinausschießt - aber das bedeutet nicht, dass Nicht-Betroffene die Diskussion darüber bestimmen dürfen, was für Betroffene verletzend ist und was nicht. Es ist nun mal so, dass man die Herkunft einer Person nicht mehr rein am Aussehen festmachen kann - im Prinzip war das ja auch nie so wirklich der Fall, oder warum sonst mussten die Juden zur NS-Zeit die eingangs erwähnten gelben Aufnäher in Form eines Davidsstrerns tragen, damit ihre "Andersartigkeit" überhaupt sichtbar wurde? Hören wir also bitte auf, so zu tun, als hätten wir ein Anrecht auf alles, nur weil wir weiße Europäer sind - und hören wir auf, zuallererst auf die Verfehlungen anderer zu schauen, anstatt vor unserer eigenen Tür zu kehren. Denn letztendlich haben wir nur ein Leben, und das ist irgendwann zu Ende - und hinterher fragt uns garantiert niemand mehr nach Hautfarbe oder ethnischer Herkunft.
vousvoyez