Mittwoch, 27. Februar 2019

Es gibt für alles einen Krebs, sogar für die Sternzeichen

Und Im Wendekreis des Krebses ist ja der viel diskutierte Skandalroman von Henry Miller, der in Deutschland auch eine Zeitlang indiziert war. In Zeiten von Feuchtgebiete kommt einem das ziemlich lächerlich vor. Wobei die Qualität einer Charlotte Roche natürlich nicht mit der von Henry Miller vergleichbar ist. Provokation ist eben kein Garant für Qualität.

Aber der Sittenverfall beschäftigt uns ja schon seit Anbeginn der Zivilisation - ähnlich wie die schwindende Moral der "heutigen Jugend". Und generell, dass alles immer schlechter wird und dass früher alles viel besser war. Oder dass man es heute so gut hat im Gegensatz zu früher. Selbst in meiner Generation tun viele so, als wären wir in bitterer Armut aufgewachsen. Dabei hatten wir doch alles - und hätte es damals Smartphones gegeben, wären viele, die sich heute darüber aufregen, bestimmt die ersten gewesen, die eines gehabt hätten. Aber lassen wir das.

Da mein Blog thematisch ja äußerst flexibel ist, habe ich mir gedacht, ich beschäftige mich möglicherweise auch mal mit Büchern und Filmen. Wobei vor allem das Filmthema ja schon öfter vorgekommen ist. Aber ich möchte jetzt auch mal was anderes machen, als unlogische Hollywood-Streifen durch den Kakao zu ziehen. Ich möchte auch über Filme zu schreiben, die mich geprägt oder gar begeistert haben. Und andere, die mich laut dem Grundtenor vieler Kritiker wahrscheinlich schwerst verdorben haben.
Deswegen möchte ich heute einmal über Disney-Filme sprechen. Heutzutage kann wohl keiner mehr von sich behaupten, dass ihm Disney nicht ein Begriff ist. Selbst die harsche Kritik, die der Disney-Konzern bzw. die Filme im Laufe der Jahrzehnte einstecken musste, konnten dem unwiderstehlichen Zauber des Disney-Universums nichts anhaben. Seit dem ersten Kinofilm, Schneewittchen und die sieben Zwerge von 1937, kommt keine Kindheit mehr ohne Disney-Filme aus.

Was war der erste Disney-Film, den ihr bewusst geschaut habt? Meiner war Robin Hood aus dem Jahr 1974, der Film über den bekannten englischen Volkshelden, in dem die legendären Figuren aus der schon oftmals verfilmten Geschichte alle als Tiere dargestellt werden - Robin Hood selbst als Fuchs, Little John als Bär, König Richard und Prinz John als Löwen, Bruder Tuck als Dachs, der Sheriff von Nottingham als Wolf und so weiter. Ich habe inzwischen schon einige Verfilmungen der Robin-Hood-Geschichte gesehen, viele davon sind auch durchaus sehenswert, aber keine hat bei mir so einen Eindruck hinterlassen wie dieser Disney-Film damals, als ich vier Jahre alt war. Ich sprach danach tagelang von nichts anderem mehr und wollte ihn immer und immer wieder sehen.

Auch mein erster Kinofilm war von Walt Disney - Susi & Strolch. Ich muss damals fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, und wie alle, so war auch ich verzaubert von dem süßen Hundefilm aus dem Jahr 1955. Bei kleinen Kindern ist es zum Glück völlig egal, wie alt der Film ist - erst wenn man größer wird, fängt man an, sich über die alten Schinken zu beschweren, die die Alten viel besser finden als den "Schmarren", der heutzutage produziert wird.
Man mag es nicht glauben - diese Aussagen gab es auch in meiner Kindheit. Und das, obwohl die Disney-Zeichentrickfilme damals immer noch handgezeichnet waren und nur wenig mit dem Computer nachgeholfen wurde. Der erste komplett computeranimierte Disney-Film - und gleichzeitig auch der erste vollständig am Computer erstellte Langfilm - ist Toy Story aus dem Jahr 1995. Ich glaube, ich hab den dann ein Jahr später gesehen - also muss ich ungefähr zwölf gewesen sein. Die Idee selbst - Spielsachen, die in Abwesenheit des Kindes lebendig werden - hatte durchaus was für sich, aber man war irritiert von dem damals noch neuen 3-D-Stil, der im Gegensatz zu dem alten, handgezeichneten Stil äußerst steril wirkte. Erst später entwickelten die computeranimierten Disney-Filme ihren eigenen Reiz.

Heute entstehen nur noch computeranimierte Disney-Filme, und nicht nur das - ältere handgezeichnete Filme wie Der König der Löwen und Die Schöne und das Biest werden auch noch in 3D und/oder als Spielfilm neu aufgelegt. Viele regen sich über diese Entwicklung auf, und ich kann das auch gut verstehen - auch mir gefällt das nicht so ganz. Ich muss jedoch auch zu bedenken geben, wie schnell die Technik in den letzten 30 Jahren vorangeschritten ist - vor allem im Computerbereich. Vieles ist neu und aufregend, besonders, was die Filmtechnik betrifft. Was früher der Action-Held war, sind heute die Special-Effects - klar ist man davon begeistert. Aber ich glaube, dass der Reiz des Neuen irgendwann einmal vorbei sein wird. In meiner Jugend verschwanden Schallplatten und Kassetten zugunsten der CD aus den Zimmern junger Leute. Heute besinnen sich viele trotz der enorm verbesserten Technik wieder zurück auf das gute alte Vinyl. Ich denke, dass irgendwann einmal auch wieder handgezeichnete Filme gefragt sein werden. Denn der Charme dieser ganz eigenen Kunst ist nach wie vor ungebrochen.

vousvoyez

Sonntag, 10. Februar 2019

Wenn man die Rolltreppe hinauffährt, kommt man dann auch wieder hinunter?

(c) vousvoyez
In meiner Studentenzeit musste ich mich mit mehreren Nebenjobs über Wasser halten. Am liebsten waren mir die Aufsichtsjobs in Galerien - man verdiente zwar lächerlich wenig, aber die Arbeitszeiten waren äußerst flexibel, und ab und an konnte man die Leerlauf-Zeiten fürs Lernen nutzen. Bei einem Job in einem großen Museum für zeitgenössische Kunst, das damals neu eröffnet wurde, war das nicht immer möglich, aber man hatte das eine oder andere interessante Erlebnis. In Erinnerung geblieben ist mir beispielsweise der erste Arbeitstag im gesamtheitlich eröffneten Museum. Die Ausstellungsräume waren durch Rolltreppen, genannt "Travellator", miteinander verbunden - diese führten allerdings nur nach oben, hinunter ging es über eine Treppe im hinteren Teil des Gebäudes. Angesichts dessen war die meist gestellte Frage an mich an diesem Tag, ob man, wenn man mit der Rolltreppe hinaufgefahren ist, auch wieder herunterkommt - die Versuchung war groß, zu antworten: "Nein, Sie müssen bis an Ihr Lebensende da oben bleiben", aber im Dienstleistungssektor ist Höflichkeit nun mal oberste Priorität. Insgeheim darf man aber natürlich wieder einmal am Vorhandensein der menschlichen Intelligenz bei manchen Individuen zweifeln.

An anderer Stelle habe ich ja schon erläutert, dass mich diese Zweifel auch befallen, sobald ich mich ein wenig tiefer ins World Wide Web bewege. Ich glaube, sogar mehrmals. Und ein Thema, das ich schon seit längerer Zeit immer wieder verfolge, sind die sogenannten Challenges.

Sprechen wir in diesem Zusammenhang einmal über Mutproben. Ich denke, so etwas hat jeder in seiner Kindheit und Jugend schon erlebt - Situationen, in denen man sich die Achtung seiner Altersgenossen erwerben musste, indem man seinen Wagemut unter Beweis stellte. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mich da meistens herausgehalten habe, weil ich eher ängstlich war. Heute betrachte ich die Dinge ein bisschen anders - natürlich sind die meisten dieser Mutproben schlicht und einfach dumm, aber ich glaube, dass dies eines der Dinge ist, die in unserem evolutionären Gedächtnis fest verankert sind - seine eigenen Grenzen ausloten einerseits und seinen Platz in der Gruppe sichern andererseits.
Seit meiner Kindheit hat sich recht viel verändert, und dazu gehören eben auch die Mutproben. Damals ging es hauptsächlich darum, auf diesen Baum zu klettern, jenen Nachbarn zu ärgern, sich in eine unheimliche Umgebung zu trauen oder sich einen Film anzuschauen, der nicht für das Alter des Sehers geeignet ist. Heute verbreiten sich Mutproben, wie so vieles, auch viral. Vor etwa zwei Jahren hörte ich über die nicht-digitalen Medien beispielsweise zum ersten Mal von der sogenannten Blue-Whale-Challenge, die viele Jugendliche in den Selbstmord trieb. In einem anderen Artikel habe ich ja auch schon die Momo-Challenge erwähnt, die ähnlich ablief. Die Blue-Whale-Challenge stammt ursprünglich aus Russland und lief über ein soziales Netzwerk - man meldete sich an und bekam einen bestimmten Nutzer, der sozusagen als Mentor fungierte, zugeteilt. Dieser stellte einem innerhalb von 50 Tagen bestimmte Aufgaben, die gruselig, aber harmlos anfingen und sich zu selbstverletzenden Aktionen steigerten, bis sie schließlich in den Selbstmord des Teilnehmers mündeten. Wer den Suizid verweigerte, der wurde bedroht. Ich weiß nicht, ob es diese Challenge noch gibt - ich habe schon sehr lange nichts mehr davon gehört. In unserer schnelllebigen Zeit ändert sich ja vieles auch von heute auf morgen.

Eine andere Challenge wird Run-the-Gauntlet-Challenge genannt. Sie ist auf der gleichnamigen Seite zu finden und besteht darin, dass man sich eine bestimmte Anzahl von Gore-Videos ansehen muss, die immer schlimmer werden - Videos mit ekelhaften Inhalten, die vor allem das Verletzen und Sterben von Tieren und Menschen zeigen. Ziel der Challenge ist es, herauszufinden, wie weit man kommt, ehe man abbrechen muss. Das erinnert ja noch beinahe an zwei meiner Freunde, die in der Zeit zwischen Kindheit und Pubertät eine Phase hatten, in der ihnen kein Horrorfilm brutal genug sein konnte. Ich habe mir übrigens mal die Herz-Rausreiß-Szene aus "Indiana Jones - Tempel des Todes" angesehen, die mir als so brutal und eklig erzählt wurde - und eigentlich nur lachhaft wirkt. Das ist allerdings auch was anderes, als echte Verletzungen, Verstümmelungen oder gar Tötungen anzusehen. Besonders sehr junge Menschen geben ja auch heute damit an, dass ihnen auch die brutalsten Splatter-Filme zu weich sind - aber ich wette, nicht einmal die Hälfte von ihnen würde einen richtig heftigen Splatter verkraften. (Nur zur Richtigstellung: Ich halte auch nicht alles aus) Echte Verletzungen und Tode zu sehen, war vor Erfindung des Darknet auch nicht so einfach - man hörte nur von dem Film "Gesichter des Todes", in dem manche (oder gar alle? Früher hieß es alle, inzwischen aber nicht mehr) Todesfälle echt sein sollen.

Der Gipfel der dummen Mutproben, die in den letzten Jahren im Netz kursierten, ist für mich aber die sogenannte Tide-Pod-Challenge. Tide Pods sind handelsübliche Waschmittelkapseln, also flüssiges Waschmittel in auflösbarer Folie. Die Challenge besteht darin, eine solche Kapsel in den Mund zu nehmen, bis sich die Folie auflöst und die Flüssigkeit austritt. Nun lernt man ja eigentlich schon im Kindergarten, dass Waschmittel nicht zum Trinken da ist, und spätestens mit zehn Jahren sollte man eigentlich schon kapiert haben, dass dieses Zeug nicht in den Körper gehört - und im schlimmsten Fall einen äußerst schmerzhaften Tod verursacht. Und auch, wenn man das Waschmittel ausspuckt, nachdem sich die Kapsel aufgelöst hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass man doch etwas davon schluckt. Mit einem Wort: Die Tide-Pod-Challenge ist eigentlich nicht viel mehr als der Versuch, dumme Menschen zu beeindrucken - und nur weil man heute dafür gefeiert wird, ist man morgen nicht unbedingt, überspitzt ausgedrückt, der neue Held der Nation.

Die neueste Challenge basiert auf dem post-apokalyptischen Netflix-Horrorfilm Bird Box mit Sandra Bullock, der Ende letzten Jahres herauskam. In diesem Film geht es um irgendwelche Monster, die man nicht sieht, die aber diejenigen, die sie ansehen, in den Selbstmord treiben. In der Bird-Box-Challenge geht es hauptsächlich darum, so zu tun, als wäre dieser Film Realität; wie die Schauspieler in dem Film verbindet man sich die Augen, wenn man das Haus verlässt, und fährt sogar mit verbundenen Augen Fahrrad oder Auto. Dies ist in gewisser Weise sogar noch dümmer, als Waschmittel in den Mund zu nehmen - denn keiner kann behaupten, er wüsste nicht, was passieren kann, wenn man nichts mehr sieht. Die Geschichte geht offensichtlich schon so weit, dass öffentlich vor der Gefährlichkeit dieser Challenge gewarnt werden muss.

Nun ist es ja so, dass viele Leute extrem leichtgläubig sind, wie wir hier schon mehrmals erörtert haben. Und dass man mit YouTube-Videos, in denen man so tut, als würde man mit verbundenen Augen Auto fahren, besonders sehr junge Zuschauer auf dumme Ideen bringt. Aber ist unsere Jugend in den letzten Jahrzehnten tatsächlich dümmer geworden?
Ich denke nicht. Die meisten dieser Trends schwappen ja aus den USA zu uns rüber, und dort ist der Umgang mit Kindern schon seit geraumer Zeit extrem von Angst geprägt - eine Haltung, die wohl auch damit zu tun hat, dass man ziemlich schnell eine Klage am Hals haben kann. Man traut Kindern kaum noch etwas zu und ist äußerst versessen darauf, ihr Leben zu kontrollieren und rund um die Uhr darauf zu achten, dass sie sich nur ja nicht wehtun - und dadurch eben auch keine Erfahrungen machen. Diese beinahe schon wahnhaft anmutende Kontrolle wird durch die moderne Technik natürlich auch ungemein erleichtert - Eltern können ihre Kinder bspw. im Kindergarten via Tablet beobachten und sogar aktiv in die Arbeit der Betreuer eingreifen. Selbst Eltern, die ihre Kinder anders erziehen wollen, haben nicht viele Möglichkeiten, dies auch durchzusetzen - weil es ja immer wieder so Leute gibt, die nichts anderes zu tun haben zu scheinen, als etwa das Jugendamt zu informieren, wenn das zwölfjährige Kind alleine in die einen Häuserblock entfernte Schule geht (was ich bereits mit sieben Jahren tat). Und die Behörden da auch nicht unbedingt hilfreich sind. In einem solchen von Angst geprägten Klima haben junge Menschen natürlich nicht viele Möglichkeiten, ihre körperlichen und psychischen Grenzen auszutesten - und kommen wahrscheinlich deswegen auf dumme Ideen.

Eine sehr verbreitete Kritik in der heutigen Zeit ist ja, dass die Kinder viel zu sehr in Watte gepackt werden. In gewissem Sinne stimmt das wohl auch. Klar, man argumentiert das gerne damit, dass die Welt früher viel sicherer war - aber war sie das wirklich? Der größte Unterschied war wohl, dass es früher noch kein Internet gab, wo man praktisch täglich mit Horrormeldungen bombardiert wurde. Das Problem ist meines Erachtens, dass Kindererziehung eines der vielen eigentlich ganz alltäglichen Dinge ist, die heutzutage fast schon zur Religion geworden sind. Jeder will recht haben, keiner akzeptiert die Meinung anderer, und alle mischen sich in fremde Angelegenheiten, weil sie glauben, es besser zu wissen. Wie weit wird das noch gehen? Ich weiß es nicht. Wir werden sehen.

vousvoyez