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Nun, ich kann mich über Frau Klums Medienwirksamkeit aufregen. Wie sie sich präsentiert, muss sie jedoch selbst wissen - das ändert nichts daran, dass sie ein Mensch ist und dass man auch ihr die Menschenwürde nicht abzusprechen hat. Einer der am meisten aufgerufenen Artikel in meinem Blog ist ja jener, in dem ich meine persönliche Meinung zur Illegalisierung von Prostitution kundgetan habe. Ich habe auch angemerkt, dass ich mich möglicherweise noch einmal dem Thema annähere. Nun, ich glaube, jetzt ist dieser Moment gekommen - und zwar deshalb, weil aktuell viele, auch prominente, Internet-Nutzer auf dumme Ideen zu kommen scheinen. Ja, liebe Leute, wir müssen wieder mal reden!
Das neue Hobby des deutschen Komikers, Moderators, Entertainers und Schauspielers Oliver Pocher scheint ja zu sein, online über Influencer herzuziehen. Nun, ich kann mit diesem Herrn offen gestanden nicht viel anfangen - mir ist es schleierhaft, wie man den lustig finden kann, deshalb schalte ich auch immer weg, wenn er mal im Fernsehen ist, aber Geschmäcker sind ja bekanntermaßen verschieden. Deshalb hatte ich auch keinen Grund, mich jemals mit seinem Instagram-Account oder sonstigen Social-Media-Aktivitäten von ihm auseinanderzusetzen, aber bekanntermaßen muss man ja nicht immer was dazu tun, um über die Tätigkeiten gewisser Prominenter und solcher, die es gerne werden oder bleiben wollen, in Kenntnis gesetzt zu werden. Ähnlich geht es mir übrigens auch mit den Personen, deren Bloßstellung aktuell für einen digitalen Wirbel sorgt - nämlich Anne Wünsche und ihre Freundin, die sich offenbar für sie eingesetzt hat. Auf Wikipedia wird die als "Laiendarstellerin und YouTuberin" vorgestellt - bekannt wurde sie, wie es aussieht, durch die Sendung Berlin - Tag & Nacht, die ich mir nie angesehen habe. Außerdem hat sie anscheinend auch eine kleine Rolle in der Serie Gute Zeiten, schlechte Zeiten gespielt. Ganz offensichtlich hat sie auch noch einen YouTube-Kanal, auf dem sie, nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Kinder zur Schau stellen soll - ebenso wie ihre Freundin Kim Zarwell, von der ich bis heute ebenfalls noch nie etwas gehört habe, es auf Instagram tut. Okay, das kann man kritisieren - muss man, finde ich, auch. Und das ist es, was Herr Pocher auch tut - angeblich. Denn ich sage: Nein, es geht ihm hier nicht um die Kinder. Es geht ihm lediglich darum, eine Rechtfertigung zu haben, in der Vergangenheit fremder Frauen herumzugraben.
Denn Anne Wünsche hat vor Jahren einmal in einem Porno mitgespielt, und Kim Zarwell hat früher als Domina gearbeitet. Und Herrn Pocher fiel offenbar nichts Besseres ein, als diesen Teil der Vergangenheit jener beiden Damen an den Pranger zu stellen, beispielsweise, indem er Auszüge aus einem bisher nicht bekannten Porno mit Anne Wünsche zeigte. Nun, ich frage mich, ob Oliver Pocher nicht das ein oder andere Mal selbst in den Puff ging - und ob er nicht ab und zu auch mal den einen oder anderen Porno konsumiert. Und warum so viele Leute diesem Verhalten auch noch Beifall spenden und "selbst schuld" rufen - und sich nicht fragen, was für ein Vorbild Herr Pocher seinen eigenen Kindern ist, wenn er fremde Frauen via Social Media als "Huren" und "Schlampen" abstempelt.
Ich habe schon in mehreren früheren Posts dargelegt, wie sehr sich der Umgang mit Sexualität in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert hat - und dass die Medien daran nicht unbeteiligt waren. Hinzu kommt noch, dass der Kampf der Frauen für ihr Recht auf völlige Selbstbestimmung immer noch nicht zu Ende ist - nicht einmal hierzulande, wo wir noch vergleichsweise privilegiert sind. Wir dürfen in die Schule gehen, wir dürfen studieren, wir dürfen einen Beruf ausüben, ohne vorher einen Mann um Erlaubnis zu fragen, wir dürfen wählen und politische Ämter bekleiden. Dennoch gibt es durchaus noch viele von uns, die ein sexistisches Frauenbild unterstützen - etwa, indem wir erklären, eine Frau, deren Persönlichkeitsrechte wegen ihrer früheren Tätigkeit im horizontalen Gewerbe mit Füßen getreten werde, sei selbst schuld. Das ist nicht mehr allzu weit weg von der - durchaus auch von manchen Frauen vertretene - Ansicht, eine Frau, die sexuell belästigt oder vergewaltigt werde, sei selbst schuld, weil sie falsch angezogen sei.
Nun, Sex ist in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig, nachdem die filmische Darstellung von Sexualität lange Zeit tabuisiert wurde. Die sexuelle Befreiung der sechziger und siebziger Jahre wurde schon lange von der Konsumgesellschaft, man möchte sagen, vom "Mainsream" (ein Wort, gegen das ich aus verschiedenen Gründen inzwischen eine Abneigung entwickelt habe), vereinnahmt, so wie die meisten Subkulturen und Jugendbewegungen von der Konsumgesellschaft vereinnahmt wurden - Prominente tragen Punkfrisuren und Tattoos, bunte Hippie-Kleider sind bei H&M erhältlich und einst so subversive Kunst wird heute zu astronomischen Preisen versteigert. So wie Sexualität in der Vergangenheit in übertriebener Art und Weise tabuisiert und totgeschwiegen wurde, übertreiben wir es heute mit der inflationären Sexualisierung innerhalb der Gesellschaft. Nichts ist mehr Phantasie, alles wird ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Die sexuelle Befreiung wurde einst auch als Befreiung der Frau verstanden - leider haben diesen beiden Dinge heute nur noch wenig damit zu tun, denn im Inneren haben die meisten von uns immer noch die Unterscheidung zwischen Hure und Muttergottes parat. Sprich, eine Frau, die ihre Sexualität nicht dem Ziel unterordnet, eine monogame Beziehung mit Fortpflanzungsabsichten anzustreben, hat bis an ihr Lebensende keinen Respekt verdient. Natürlich mag sie innerhalb dieses Rahmens ihre sexuellen Vorlieben ausleben, wie es ihr beliebt - schließlich ist Sex heute, wie gesagt, Teil der Konsumgesellschaft, und mittlerweile bilden diese nicht nur Männer, sondern auch Frauen. Und so halten sich viele Leute für besonders aufgeschlossen, unverklemmt und progressiv, wenn sie in aller Öffentlichkeit über ihr Sexleben plaudern, finden Deko-Elemente, Süßspeisen oder Schmuck in Form von männlichen oder weiblichen Geschlechtsteilen ganz besonders witzig und gewagt und halten sich für besonders verwegen, wenn sie Feuchtgebiete oder A Fifty Shades of Grey lesen bzw. sich die Filme ansehen. Entsprechend wird auch jeder Kritiker erstmal als Spießer diffamiert, und ihm wird auch gern empfohlen, den Stock aus dem Arsch zu nehmen - dabei kapieren diese Leute gar nicht, dass sie im Grunde genommen immer noch weitaus spießiger sind als diejenigen, die sie für spießig halten, denn wie ich schon in einem anderen Artikel erklärt habe, kann man das Brechen von Tabus, die gar keine mehr sind, nicht als "Wagemut" bezeichnen - ganz abgesehen davon, dass ich darauf wetten möchte, dass viele dieser "crazy people" die ersten sind, die sich an dem Shitstorm gegen eine ehemalige Sexarbeiterin beteiligen.
Im Lichte einer solchen Gesellschaft ist es nur richtig, Kinder über Sexualität aufzuklären und ihnen beizubringen, dass sie allein entscheiden, was mit ihrem Körper geschieht - dies wurde nicht nur in meinen Augen viel zu lange verabsäumt, und auch heute gibt es da bisweilen noch Aufholbedarf. Wenn wir uns ältere Filme ansehen, so wird in manchen von ihnen immer noch vermittelt, dass es für einen Mann vollkommen legitim ist, sich über das "Nein" einer Frau hinwegzusetzen - denn eine Frau, die "nein" sagt, meint doch eigentlich "ja". Und eine Frau, die sich "ziert", will doch in Wirklichkeit nicht zugeben, dass ihr die Zudringlichkeiten des Mannes gefallen. Und wenn der Mann die Frau dann doch gegen ihren Willen nimmt, ist sie doch selbst schuld - sie hat bestimmt irgendetwas gesagt oder getan, das den Mann provoziert haben könnte. Eine Einstellung, die offensichtlich auch vor nicht allzu langer Zeit auch noch in Jugendmagazinen vorzuherrschen schien. Daher sind wohl viele der Ansicht, Frauen wie Anne Wünsche hätten es "verdient", in der Öffentlichkeit dergestalt vorgeführt zu werden.
Aber gerade deswegen möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass das Zerren von Videos, die Personen nackt und/oder bei sexuellen Handlungen zeigen, ins Zentrum des öffentlichen Interesses einen Übergriff darstellt, ebenso wie das öffentliche Anprangern von Personen aufgrund dessen, was sie in der Vergangenheit mit ihrem eigenen Körper gemacht haben oder auch in der Gegenwart mit ihm machen - ebenso wie verbale Angriffe, sexuell konnotierte Beschimpfungen und ganz allgemein das öffentliche Stigmatisieren dieser Personen. Und ich glaube nicht nur, dass viele der größten Schreihälse sich sexuell für besonders aufgeschlossen halten - ich bin mir auch ziemlich sicher, dass hier so einige dabei sind, die den Islam wegen der frauenfeindlichen Gesinnung in manchen seiner Strömungen ablehnen und alle Migranten zu Vergewaltigern erklären, weil es unter ihnen auch welche gab bzw. gibt, die Frauen gegenüber sexuell übergriffig wurden bzw. werden. Gerade solche Leute sind es nämlich häufig auch, die die Selbstbestimmung der Frau ansonsten mit Argusaugen beobachten und die gerne Parteien wählen, die am liebsten hätten, dass ihre weibliche Wählerschaft sich auf ihre "natürliche" Aufgabe, Hausfrau und Mutter zu sein, beschränke. Somit sind ihre eigentlichen Motive - nämlich, dass Menschen mit sichtbar anderer Herkunft sich ihnen bestenfalls unterzuordnen hätten - ebenso durchschaubar wie die von Oliver Pocher, der behauptet, es ginge ihm um die Kinder. Denn indem er die Vergangenheit von deren Müttern öffentlich zur Schau stellt, hilft er den Kindern nicht - ganz im Gegenteil, denn indem er aller Welt verkündet, wie moralisch verkommen deren Mutter doch ist, demütigt er nicht nur sie, sondern auch ihre Kinder. Und nicht nur den Kindern von Frau Wünsche und Frau Zarwell, auch seinen eigenen tut er damit keinen Gefallen - denn diese haben jetzt einen Vater, der, anstatt ihnen ein Vorbild zu sein, in der Vergangenheit fremder Frauen herumstochert, um sie in aller Öffentlichkeit bloßstellen zu können.
Und genauso ein fragwürdiges Vorbild liefern auch diejenigen, die sowohl die beiden Damen als auch diejenigen, die in den Chor der allgemeinen Entrüstung nicht mit einstimmen, beschimpfen und bedrohen - denn Herr Pocher hat immer noch etliche minderjährige Fans, die sich ebenfalls eifrig an dem Shitstorm beteiligen. Somit wird die eigentliche Perversion der ganzen Angelegenheit sichtbar: Eben die, dass eine Frau nur dann Respekt verdient, wenn sie sich ihr Leben lang ausschließlich gesellschaftskonform verhalten hat. Und gerade da kommt man in gefährliches Fahrwasser, schon allein, wenn man beobachtet, wie wenig Jugendliche über die Nutzung von sozialen Netzwerken aufgeklärt werden. Wer kennt nicht die Geschichten von Teenager-Mädchen, die sich von ihren ebenfalls völlig unbedarften Teenager-Freunden dazu überreden lassen, ihnen ein Nacktfoto von sich via Smartphone zu schicken - sobald die Beziehung zu Ende ist, rächt sich der Junge an seiner Verflossenen, indem er eben dieses Foto dazu benutzt, um das Mädchen in aller Öffentlichkeit zu demütigen. Würden all die Moralapostel, die jetzt mit dem Finger auf andere zeigen, über die eigene Tochter genauso reden, wie sie sich über fremde Frauen auslassen? Selbst ich, die schon alt genug ist, um die Mutter all dieser Mädchen zu sein, habe erlebt, wie leicht man als junges Mädchen zu etwas verführt werden kann, was man später vielleicht bereut. Ich habe beispielsweise, glaube ich, schon einmal erwähnt, dass ich vor Jahren online nach einem Job neben dem Studium suchte. Die allermeisten Rückmeldungen, die ich bekam waren Angebote, die mir für Nacktaufnahmen und Ähnliches sehr viel Geld versprachen. Ich habe meine Anfrage daraufhin zurückgezogen, aber es zeigte mir bereits vor fast fünfzehn Jahren deutlich, wie sehr junge Mädchen und Frauen schon allein in unseren Breiten den Verlockungen des schnellen Geldes durch Prostitution ausgesetzt sind - und was ist nun mit jenen, die die Konsequenzen ihres Handelns gar nicht richtig einschätzen können, sondern nur ihren Traum von einem Luxusleben fern vom Einfluss der Eltern möglichst schnell verwirklichen wollen? Und diese Verlockungen finden ja nicht nur online statt - wie oft erhielt ich etwa im Alter zwischen dreizehn und dreiundzwanzig Jahren eindeutige Angebote von fremden Männern, die meist alt genug waren, um meine Väter oder gar Großväter zu sein? Und das, obwohl ich in einer Stadt aufgewachsen bin, die im Vergleich zu den meisten anderen auf der Welt noch sehr sicher ist? Ganz zu schweigen von den Frauen aus Osteuropa, die hierzulande im horizontalen Gewerbe ausgebeutet werden; den jungen Mädchen in Südostasien, die von ihren eigenen Eltern an Bordelle verkauft werden; den jungen Frauen aus Nigeria, die von sogenannten "Medizinmännern" mit Versprechungen vom "Paradies Europa" als Prostituierte verkauft werden. Alles Realität, alles nicht schön - und schon allein das sollte genügen, Frauen nicht pauschal für ihr Vorleben zu verurteilen, auch wenn es möglicherweise nicht so respektierlich war.
Ich wiederhole es noch einmal: Ich halte die Art und Weise, wie hier eine Frau mit einer delikaten Vergangenheit zur Schnecke gemacht wird, für einen sehr perversen Aspekt dessen, wozu unsere Konsumgesellschaft verkommen ist. Denn unser Verhältnis zur Sexualität zeigt doch in Wirklichkeit nur, wie sehr diese von jener bereits vereinnahmt wurde: Indem wir Sex zum Konsumprodukt degradieren, kommen wir nach und nach dahinter, dass dieses, wie alle Konsumprodukte, nicht hält, was es verspricht, und reagieren darauf, indem wir uns von jenen bedroht fühlen, die uns den Konsum von Sex ermöglichen - und auf diese herabblicken. Eine häufige Kritik an Pornofilmen ist ja, dass dort eher selten der ganze Mensch, sondern lediglich einzelne Körperteile gezeigt werden. Solche Verhaltensweisen scheinen dies jedoch zu rechtfertigen - denn tritt die Darstellerin als menschliches Wesen in Erscheinung, wird sie herabgewürdigt. Die vermeintliche "Aufgeschlossenheit" kommt also offenbar nur durch Entmenschlichung dessen zustande, worauf sich diese "Aufgeschlossenheit" bezieht. Die Frauen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, dürfen nicht als Menschen wahrgenommen werden, nicht als Schwestern, Töchter, Mütter, nicht als Wesen mit eigenen Gefühlen und Meinungen. Wir glauben, dass wir sexuell befreit sind, aber diese Freiheit hat ein Ende, sobald sie den Rahmen unseres Sicherheitsbedürfnisses verlässt und so ihre Berechenbarkeit verliert. Somit hält Herr Pocher nicht den Frauen einen Spiegel vor, wie viele behaupten, sondern in Wirklichkeit sich selbst - denn anstatt sich auf das zu konzentrieren, was er nach eigener Aussage anprangert, sucht er nach weitaus verderblicheren Geheimnissen, um damit seine Kritik zu rechtfertigen, und zeigt damit nur, dass er im Prinzip nicht zu vernünftiger Kritik fähig ist.
Und alle, die es für "Mobbing" halten, Herrn Pochers Fehlverhalten als solches zu benennen, möchte ich noch einmal daran erinnern, dass Meinungsfreiheit auch beinhaltet, dass man Kritik üben darf. Und dass es Dinge gibt, die man nicht "einfach so stehen lassen" kann - denn wenn wir alles einfach hinnehmen, geht es nur immer so weiter.
vousvoyez
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