Sonntag, 13. Januar 2019

Warum ist bei euch in Europa alles Schlechte schwarz?

(c) vousvoyez
Diese Frage stellte mir vor vielen Jahren mal ein junger Mann aus Gambia, dem aufgefallen war, dass die Farbe Schwarz in unserem Sprachschatz sehr oft verwendet wird, um Negatives zu beschreiben. Wer ohne Fahrschein unterwegs ist, fährt schwarz. Wer ohne Genehmigung einer Erwerbstätigkeit nachgeht, arbeitet schwarz. Wer alles nur negativ sieht, ist ein Schwarzseher, wer alles schlecht macht, ein Schwarzmaler. Wer Witze macht oder gut findet, die sich an der Grenze des guten Geschmacks (oder auch darüber) befindet, hat einen schwarzen Humor. Und so weiter.

Nun, die Farbe Schwarz als Synonym für das Negative zu verwenden, ist tief in unserem kulturellen Sprachschatz verankert. Und das gilt nicht nur für die deutsche Sprache - in meiner Schulzeit haben wir beispielsweise im Englischunterricht auch schon darüber gesprochen, woraufhin eine Mitschülerin zum Spaß das Wort "negativ" einbrachte - obwohl dieses, wie man schon an der Schreibweise erkennen kann, nichts mit dem N-Wort zu tun hat, sondern eher mit "negieren" für "verneinen".

Das Thema, das mich heute umtreibt, hat im weitesten Sinne wohl auch mit "negativ" und "Schwarzmalerei" zu tun. Es geht wieder mal um ein Video, das ich zugeschickt bekam und das eine sehr kontroverse Diskussion auslöste. Ich habe zu diesem Thema vor Jahren mal einen Artikel in einem Magazin zu einem ähnlichen Thema publiziert; leider finde ich den aktuell nicht, aber ich möchte trotzdem mal darüber sprechen.

Zunächst zu dem Video: Es handelte sich hierbei um Auszüge einer Lesung. Gelesen wurde aus Was vom Menschen übrig bleibt: Die Wahrheit über Prostitution, dem Erfahrungsbericht der ehemaligen Prostituierten Rachel Moran. Gelesen wird die übersetzte Version, und zwar von Anja Röhl, deren Vater einst mit der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof zusammen war; auch sie erzählt ihre Geschichte in einem Buch. Ich möchte jetzt nicht auf Frau Moran oder Frau Röhl eingehen, auch nicht explizit auf den Inhalt ihrer Bücher. Mir geht es eher um das Thema, das dieser Lesung zugrunde liegt.

In dem Buch ist davon die Rede, dass Prostitution immer schlecht ist und dass sie in Wirklichkeit von keiner Frau freiwillig betrieben wird, sondern dass immer eine Notsituation zugrunde liegt. Der Diskussion selbst lag die Intention zugrunde, Prostitution ausnahmslos zu verbieten. Ich muss sagen, ich bin mit diesem Thema, wenn überhaupt, nur sehr peripher in Berührung gekommen; ich bin diesem Gewerbe nie nachgegangen, und ich kann auch nicht von mir behaupten, dass ich irgendjemanden gut kenne, der diesem Job schon irgendwann einmal nachgegangen ist. Aber natürlich hat jeder dazu eine Meinung, warum also nicht ich auch?
Vor etwas mehr als drei Jahren hat Amnesty International sich dafür eingesetzt, Prostitution weltweit zu legalisieren. Da war der Aufschrei natürlich groß - interessanterweise auch seitens der Frauenrechtlerinnen, die ja immer der Meinung sind, eine Frau dürfe mit ihrem Körper machen, was sie wolle. Die Befürchtung war, dass man damit Menschenhändlern und Sextouristen Tür und Tor öffne - was an sich nicht falsch ist. Aber ich denke, mit einer Illegalisierung löst man das Problem nicht - im Gegenteil.

Erinnern wir uns doch nur an die Drogenpolitik. Im Laufe der sechziger und siebziger Jahre fanden allerlei berauschende Substanzen Eingang in die westliche Jugendkultur - und kosteten nicht wenigen das Leben. Darauf wurde reagiert, indem nahezu alle Drogen außer Alkohol und Nikotin verboten wurden. Deswegen verschwanden die Drogen jedoch nicht - stattdessen wurden nicht nur diejenigen, die mit ihnen handelten, sondern auch die Konsumenten kriminalisiert. Das Resultat: Menschen, die von Drogen abhängig waren, konsumierten diese heimlich weiter und wurden so an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sie finanzierten ihre Sucht mit Eigentumsdelikten oder illegaler Prostitution, und diejenigen, die sich die Suchtmittel intravenös zuführten, verwendeten oftmals verunreinigte Spritzen. Das Resultat: Menschen, die statt im Krankenhaus im Gefängnis landeten; Menschen, die in die Illegalität getrieben wurden; Menschen, die über ihre Sucht hinaus auch noch auf andere Art und Weise kriminell wurden; Menschen, die nicht nur durch die Drogen, sondern auch durch sexuellen Kontakt mit Fremden oder durch das Verwenden verunreinigter Spritzbestecke krank wurden; Substanzen, die in gestrecktem Zustand noch gefährlicher wurden, als sie ohnehin schon waren. Ein heißer Tipp dazu ist natürlich das Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", das alle Aspekte schildert.
Diesen Teufelskreis zu durchbrechen war nur möglich, wenn man sich von Drogen fernhielt. Was dabei aber außer acht gelassen wird, ist, dass Sucht eine Krankheit ist, die man nicht heilen kann, und dass nur die wenigsten es schaffen, für den Rest ihres Lebens clean zu bleiben. Und so hatten natürlich nur wenige die Chance, auf ein Leben ohne Kriminalisierung hoffen zu dürfen.
Unter diesem Aspekt ist der heutige Umgang mit Drogensucht natürlich ein Fortschritt. Heute können auch Drogenabhängige ein normales Leben führen, mit Wohnung, Beziehung und Job, Spritzen können legal entsorgt und in Kontaktläden getauscht werden, was das Risiko übertragbarer Krankheiten minimiert. Dass Drogen nicht gut sind, weiß jeder, aber was bringt es, jemanden, der schon süchtig ist, aus der Gesellschaft auszuschließen, weil er es nicht schafft, seine Sucht endgültig zu besiegen?

Ich denke, ähnlich verhält es sich mit der Prostitution - Prostitution wird nicht aufhören, zu existieren, wenn sie illegalisiert wird. Stattdessen erschwert es die Möglichkeiten, Prostituierte rechtlich und medizinisch zu schützen. Wenn Prostitution verboten wird, sind auch sämtliche Schutzvorschriften obsolet, und wir haben mehr Menschen, die in den Untergrund gedrängt werden und in der Folge völlig ohne Sinn in Gefängnissen sitzen. Darüber hinaus erschwert es auch den Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten, wenn Prostituierte nicht mehr zur medizinischen Untersuchung verpflichtet werden. Ist es tatsächlich das, was wir wollen?

Ich kann nicht explizit sagen, wie viele Prostituierte ihr Gewerbe tatsächlich vollkommen auf freiwilliger Basis ausüben; dies steht mir auch, denke ich, gar nicht zu, da ich, wie gesagt, nicht wirklich was damit zu tun habe. Natürlich können wir uns auch darüber streiten, wo die Prostitution eigentlich anfängt - in unserer heutigen Zeit könnten wir auch die Öffentlichmachung unseres Privatlebens ein Stück weit auch als Prostitution bezeichnen. Ich bin auch nicht dafür, dass Frauen gezwungen werden, ihren Körper zu verkaufen - aber ich denke, es wäre sinnvoller, gegen die Ursache dieser Form von Ausbeutung vorzugehen, anstatt die Opfer zu kriminalisieren.

Abgesehen davon: Wer will denn einsame Menschen verurteilen, die aus Sehnsucht nach körperlicher Nähe zu Prostituierten gehen? Wenn man Männern, die zu Prostituierten gehen, vorwerfen will, Frauen auszubeuten, könnte man auch Frauen, die südliche Länder aufsuchen und sich dort die körperliche Liebe von Männern erkaufen, die oftmals jung genug sind, um ihre Söhne zu sein, dasselbe vorwerfen. Ja, ich weiß, da steigen möglicherweise ein paar Damen auf die Barrikaden, die sich als "Bezness-Opfer" begreifen - aber ich habe auch nicht vor, alle in einen Topf zu werfen, die mal von einem Afrikaner oder Südamerikaner abgezockt wurden. Jedes Schicksal ist anders - es soll lediglich ein Denkanstoß sein.

Ganz allgemein ist dieses Thema ein weites Feld mit sehr vielen unterschiedlichen Meinungen. Ich könnte extrem viel dazu schreiben, nur fürchte ich, dass dies der Lesbarkeit des Artikels abträglich wäre - und auch der Geduld des Lesers. Abschließend muss ich sagen, dass die Auszüge aus dem Buch, die in diesem Video vorkommen, meiner Ansicht nach nicht besonders gut geschrieben sind. Klar ist Rachel Moran wohl keine professionelle Autorin - aber in diesem Fall werden ja immer Co-Autoren bereitgestellt, die so etwas beruflich machen. Vielleicht sind meine Ansprüche auch etwas zu hoch, aber ich habe andere Erfahrungsberichte gelesen, die jetzt auch keinen extrem intellektuellen Anspruch hatten, aber zumindest gut geschrieben waren.

Vielleicht nähere ich mich dem Thema wieder an - inzwischen habe ich aber so einiges andere, was ich bearbeiten kann. Haltet euch also bereit!

vousvoyez

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