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Warum mir dieses Zitat so passend schien, kann ich euch natürlich auch verraten: Es erinnert mich an all diejenigen, die, so wie ich, die Dreißig schon lange überschritten haben und sich also nicht mehr zur Jugend zählen - und die jetzt genau das tun, was wir, als wir selbst noch Jugendliche waren, lächerlich oder gar ärgerlich fanden: sich über die heutige Jugend aufregen. Und ständig lamentieren, dass früher alles besser war. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Ich möchte nicht so werden! Denn ich habe sie nicht vergessen, diese "alten Leute", die ständig lamentierten, dass die eigene Generation sich - im Gegensatz zur heutigen - noch zu benehmen gewusst hätte. Und wie ich in einem anderen Artikel schon erzählt habe, kommen mir da immer die alten Nachrichtensendungen aus den Siebzigern in den Sinn, in denen Personen mittleren Alters mit Trachtenhut und Hubertusmantel interviewt wurden und sich über die "heutige Jugend" mokierten, die sie nicht mehr verstünden. Ja, ich weiß - wir werden alle älter, und das macht mitunter Angst. Aber sowohl das Anbiedern an die jüngere Generation als auch, von diesen zu verlangen, genauso zu sein, wie man es selbst gewesen ist, ist keine Lösung - denn all das macht uns nicht jünger, ganz im Gegenteil. Wir werden dadurch nur verbittert - klar macht die heutige Jugend Dinge, die wir mitunter nicht verstehen, aber das ist auch nicht unsere Aufgabe. Alles, was wir tun können, ist gelassen zu bleiben.
Nun weiß ich natürlich, dass Gelassenheit in Zeiten wie diesen mitunter richtig schwierig ist - besonders, wenn wir sehen, was die Politik aufführt, was einzelne Individuen aufführen, wie unser Leben zurzeit aussieht ... da fällt es mitunter schon ganz schön schwer, gelassen zu bleiben, auch wenn das momentan am hilfreichsten wäre. Aber wir sind eben alle nur Menschen. Das Problem ist aktuell jedoch, dass Zeiten wie diese Verschwörungsmythen enorm begünstigen - wir haben eine Gefahr, die nicht greifbar ist, eine ungewisse Zukunft, viel zu viel Zeit und teilweise auch viel zu wenig Medienkompetenz - und ein Informationsmedium, in dem man sich aussuchen kann, was man für richtig halten will und was nicht. Weil eben jeder Tölpel heutzutage seinen Gedankenmüll in die Öffentlichkeit rotzen kann. Früher hatte jeder Ort einen Dorftrottel, von dem man wusste, dass man das, was er so von sich gab, nicht ernst nehmen soll - heutzutage jedoch haben die Dorftrottel die Möglichkeit, sich zu vernetzen, und halten sich jetzt für eine geheime Elite, die über ein besonderes Wissen verfügt.
Ja, mitunter habe ich tatsächlich den Eindruck, dass es besser wäre, der einen oder anderen Person das Internet wegzunehmen, damit sie wieder zur Besinnung kommt. Allerdings weiß ich, dass das leider nicht so einfach machbar ist. Andererseits entwickle ich mitunter das Bedürfnis, meinen Kopf ganz fest gegen die Wand zu donnern, wenn ich mir so ansehe, was für haarsträubende absolut glaubwürdige Dinge mitunter im Umlauf sind. So wie gestern der Post aus einer Gruppe von QAnon-Gläubigen - die Mutter eines eineinhalbjährigen Kindes stellte mit sehr vielen heulenden Emojis die Befürchtung in den Raum, ihr Baby sei bei der Geburt gegen einen Klon eingetauscht worden. Was einem bei dieser Behauptung natürlich als erstes in den Sinn kommt, ist das Capgras-Syndrom - ein sehr seltenes Krankheitsbild, das sich darin äußert, dass Betroffene glauben, ihnen nahestehende Personen seien durch identisch aussehende Doppelgänger ersetzt worden. Ich persönlich musste da sofort an die mittelalterliche Wechselbalg-Legende denken - jenen Aberglauben, laut dem Phantasiewesen wie Druden, Elfen oder Zwergen Müttern ihre neugeborenen Kinder unbemerkt wegnehmen und gegen dämonische Wesen eintauschen, in der Absicht, ihnen zu schaden. Dies war damals, wie ich schon in einem anderen Artikel angemerkt habe, eine wirksame Methode, um die Misshandlung von missgebildeten oder behinderten Kindern zu rechtfertigen. Ich kann hier natürlich keine Fern- bzw. Laiendiagnose aufstellen, aber meiner persönlichen Meinung leidet diese Frau an einer schweren psychischen Erkrankung und sollte sich im Interesse des Kindes schleunigst in Behandlung begeben.
Auf der anderen Seite verstärken solche Behauptungen in mir einen Gedanken - nämlich, dass wir uns mit Riesenschritten auf dem Weg in ein neues Mittelalter bewegen. Und ich bin bei weitem nicht die erste, die das sagt - schon Umberto Eco formulierte diese These in seinem Roman Das Fucaultsche Pendel von 1988, der als satirisches Werk gegen esoterische Strömungen gesehen werden kann, auch wenn ich zugeben muss, dass die Lektüre desselben ein hartes Stück Arbeit ist. Also nichts, um in schnellen, leicht verdaulichen Häppchen zu Information zu kommen. Das Internet ist eine wunderbare Sache - aber es neigt leider dazu, menschliche Schwächen auszunutzen, sehr ähnlich wie Glücksspielautomaten. Im Großen und Ganzen gilt nur eine Devise: Möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um möglichst viele Klicks zu generieren. Und dies gelingt halt am besten mit möglichst reißerischen, emotionalisierenden und polarisierenden Inhalten. So kommt es, dass wir als Online-Community immer mehr zu Hassrede und Verschwörungserzählungen neigen. Denn nüchterne, harte Fakten sind selten so spannend wie verstiegene Behauptungen. Auf diese Weise wird das gegenseitige Vertrauen zerstört, und Menschen beginnen, an Fakten zu zweifeln und stattdessen einen neuen Aberglauben zu entwickeln - in dem es plötzlich ganz logisch und glaubwürdig ist, dass die Erde flach ist, dass im Inneren der Erde Echsenmenschen leben, dass eine nicht näher genannte Elite uns versklaven will oder es auch schon längst getan hat - die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Der heißteste Scheiß unter Schwurbelfritzen Wahrheitssuchenden ist aktuell die Angst vor Textilfasern - ja, ganz recht, dieselben Menschen, die unsereins erklären, dass wir eine Panikstörung hätten, weil wir gegenüber eines Krankheitserregers, von dem wir nicht wissen, wie unser Körper darauf reagieren wird, Vorsicht walten lassen, haben Angst vor stinknormalen Fusseln! Und teilen ganz aufgeregt Videos von Würmern, "Morgellons", "Nanobots" oder wie immer sie das auch nennen, die sie angeblich auf FFP2-Masken oder Teststäbchen gefunden haben. Ja, ganz recht, dieselben Leute, die unsereins immer "Panikmache" vorwerfen, machen Panik vor stinknormalen Textilfusseln! Am meisten amüsiert hat mich ein Instagram-Video von zwei Herren, die so ein Teststäbchen unter ein Spielzeug-Mikroskop auf einem leicht fleckigen Tischtuch hielten, das Fädchen, das sie da erblickten, noch lautstark anpusteten und sich dann vor Panik fast überschlugen, weil das Ding sich bewegte! Das gab es ja noch nie, dass ein Fusselchen sich bewegte, wenn man darauf blies! Oh mein Gott, die Welt steht nicht mehr lange! Wir werden alle sterben!!!!!!!!!111111111111
Man muss dazu allerdings sagen: Verschwörungsmärchen über "Morgellons" und so Zeug gibt es nicht erst seit gestern. Der Begriff stammt aus dem 17. Jahrhundert und tauchte erstmals in einem Werk des englischen Arztes Sir Thomas Browne auf. Im Jahr 2002 wurde der Begriff wiederentdeckt und fand vor allem durch das Internet große Verbreitung. Bei Morgellons bzw. der Morgellons-Krankheit handelt es sich um eine eingebildete Hautkrankheit, bei der angeblich bunte Fasern unter der Haut gebildet werden; in der Medizin wird dies als Variante des Dermatozoenwahns begriffen, eine psychische Störung, bei der Betroffene glauben, Lebewesen - meist Würmer oder Insekten - unter der Haut zu haben, die sich bewegen und Juckreiz auslösen. Das Ganze ist natürlich alles andere als witzig, lässt sich aber mit Neuroleptika ziemlich gut behandeln. Der Biologe und Forensiker Mark Benecke zeigt in einem Video, auf welche Weise sich der Morgellons-Wahn bilden kann; wenn man nämlich Hautschuppen vom Körper kratzt und diese sich zusammenwuzeln, gerät da meist auch der Abrieb von Textilfasern hinein, die dann unter dem Mikroskop sichtbar werden.
Nun wissen wir ja auch, dass es Leute gibt, die eigentlich schon seit Beginn der Pandemie Stimmung gegen die Maßnahmen machen. Zuerst hieß es, ein Mund-Nasen-Schutz helfe nicht gegen die Viren; dann wurden Geschichten erfunden von Kindern, die an den Masken erstickt sein sollen; dann gab es abenteuerliche Geschichten über den PCR- und den Antigen-Test - dass dieser genutzt werde, um einen Chip ins Hirn zu implantieren, mit dem man uns kontrollieren und überwachen kann; dass das Teststäbchen die Blut-Hirn-Schranke zerstöre -; und natürlich ist nicht das Virus die Gefahr, sondern die ganz böse Impfung, denn in Wirklichkeit sei es diese, die uns krank mache, und die Pandemie sei nur erfunden bzw. geplant worden, um uns krankimpfen zu können! Das steht im Internet, also ist es wahr! Und aktuell hat man halt wieder mal die Morgellons-Geschichte ausgegraben, um zu "beweisen", wie gefährlich die Maßnahmen doch seien! Und nicht wenige Leute fallen darauf rein und teilen panisch die entsprechenden Videos. Und nennen das dann "recherchieren". Während unsereins ratlos zurückbleibt und sich so richtig verarscht fühlt - und sich gleichzeitig fragt, warum es so viele zu geben scheint, die sich liebend gern verarschen lassen, obwohl sie sich sonst permanent von aller Welt verarscht fühlen. Besonders von "denen da oben".
Denn diese "Morgellons" oder "Nanobots" sitzen selbstverständlich nicht zufällig auf diesen Masken und Tupfern - die werden von der Regierung da draufgesetzt! Oder von Bill Gates! Oder von wem auch immer! Von wem genau, weiß ich bis jetzt noch nicht - und was das für einen Sinn haben soll, schon gar nicht. Genau erklären kann mir das auch keiner. Aber es ist wahr !!!!11 Natürlich - denn diese Behauptung wurde ja nicht vom bösen Mainstream in die Welt gesetzt, sondern von alternativen Quellen, die so absolut vertrauenswürdig sind, dass man gar nicht erst nach Beweisen fragen muss! Schon allein deshalb, weil sie nichts mit Wissenschaft am Hut haben. Denn Wissenschaft ist ja bekanntlich pöhse! Das einzige, was ich bisher herausfinden konnte, war, dass diese "Nanobots" sich angeblich ins Gehirn fressen, damit dieses dann durch 5G kontrolliert werden kann. Das pöhse, pöhse 5G! In meiner Jugend, als die ersten Handys auf den Markt kamen, war es die Handystrahlung, durch die wir eines Tages alle an Krebs erkranken werden - davon redet heutzutage niemand mehr. Dann war es das WLAN, das laut Aussagen gewisser Individuen total gefährlich sei - davon höre ich heute seltsamerweise ebenfalls nichts mehr. Und jetzt ist es auf einmal 5G, das daran schuld ist, dass die Vögel tot vom Himmel fliegen und das alles ganz, ganz schrecklich ist! Vielleicht sind es sogar diese, die die Corona-Pandemie verursachen, die es ja eigentlich gar nicht gibt! Und wieder frage ich mich, warum man eigentlich noch ein Smartphone besitzt, wenn man doch solche Angst davor hat, kontrolliert zu werden! Und wo man zu jener Zeit war, als man den Überwachungskapitalismus noch hätte verhindern können. Jetzt zu heulen, ist ein bisschen spät.
Warum Leute überhaupt auf sowas anspringen, ist eigentlich recht einfach erklärt: Es ist die allseits beliebte Methode der Emotionalisierung. Und diese funktioniert am besten über den Beschützerinstinkt (siehe "Masken töten Kinder") - oder eben über den Ekel. Und diesen zu erzeugen, ist einfach - denn Fusseln und Fasern findet man überall, sie fliegen in der Luft herum und setzen sich an jeder Oberfläche ab. Jeder Abstrich enthält diese Fusselchen - und wenn man in einer nicht sterilen Umgebung mit einem Mikroskop hantiert, dann bleiben die Dinger selbstverständlich überall hängen. Und natürlich bewegen sie sich auch, wenn sie von einem Luftzug gestreift werden oder wenn sie sich in elektrostatischer Bewegung befinden - jedes Kind weiß doch, was beispielsweise passiert, wenn man einen Luftballon an seine Haare reibt! Es ist sogar ein Video in Umlauf, in dem jemand eine Maske aufschneidet und darin Maden zu finden sind, und Leute glauben das - Kinder, lasst ihr euch wirklich so gern verarschen? Nehmt doch mal so eine FFP-2-Maske zur Hand und tastet sie ab - wenn da wirklich Maden drin wären, müsste es doch ordentlich wuseln! Habt ihr noch nie gesehen, wie eine Biotonne aussieht, die im Sommer längere Zeit nicht geleert wurde? Glaubt ihr wirklich, ihr würdet nicht merken, wenn diese Maden in der Maske drin wären, die ihr auf der Haut tragt? Wenn ihr mir nicht glaubt, untersucht es doch selbst und schneidet so eine Maske auf! Und ganz abgesehen davon: Wozu soll da jemand Maden reinstecken? Ach, was frage ich! Bei der ganzen Geschichte haben wir es wieder einmal mit einem Phänomen zu tun, worüber ich schon häufiger gesprochen habe: Wenn man etwas unbedingt sehen will, dann sieht man es auch. Ob es nun eine Notrufnummer in den Wimpern eines Popstars ist oder Würmer in Masken. Ich frage mich nur, warum so viele von uns nach einem Jahr Pandemie noch immer nicht genug davon haben, sich allerlei Wahnvorstellungen einreden zu lassen. Nicht nur das - sehr viele behaupten sogar, die Verschwörungstheorien, die vor einem Jahr noch als solche belächelt würden, wären inzwischen alle wahr geworden. Aber welche genau, kann mir niemand sagen. Und komisch - mir ist nicht bekannt, dass jemandem durch den Covid-Test das Hirn ausgeflossen wäre, dass auch nur ein Kind nachweislich an einer Maske erstickt ist, dass es auch nur einen Beweis gäbe, das mit dem Impfstoff auch noch ein Kontrollchip injiziert worden wäre. Aber ja, das wird ja von den bösen Systemmedien alles verheimlicht!
Was ich an all diesen Geschichten so ärgerlich finde, ist, dass uns ständig Phantom-Diskussionen über Morgellons und Impftote aufgezwungen werden, während vernünftige Kritik an den Maßnahmen größtenteils untergeht. Dass Maßnahmenkritiker nur als solche gelten, wenn sie möglichst oft mit Worten wie "Mainstream", "Staatsfunk", "Impfzwang" und "Diktatur" um sich werfen, während sie jenen, die nicht an ihre Märchen glauben und nicht mit Rechtsradikalen mitlaufen, unkritische Regierungstreue vorwerfen, obwohl das oft gar nicht stimmt. Ich möchte euch nur an eines erinnern: Die NS-Zeit begann nicht, weil alle auf einmal Nazis geworden sind - sie entstand vor allem deshalb, weil der brave Durchschnittsbürger billigend in Kauf nahm, dass Nazis die Politik übernahmen - und viele diesen sogar jubelnd nachgelaufen sind, weil sie glaubten, Hitler würde die Welt retten. Ein kleiner Tipp: Wenn schon demonstrieren, dann bitte ohne rechtsgestrickte Parolen. Und statt sofortiger Aufhebung notwendiger Maßnahmen vielleicht einmal etwas Sinnvolles fordern - etwa endlich finanzielle Unterstützung für jene, die aufgrund der Pandemie keinen Job mehr haben, anstatt für große Firmen. Eine effektivere Impfstrategie, die nicht mehr erlaubt, dass irgendwelche Bürgermeister sich vordrängen. Dass man aufhört, uns mit Phrasen wie "die nächsten beiden Wochen werden entscheidend sein" abzuspeisen. Bessere Arbeitsbedingungen für das Gesundheitspersonal. Bessere Home-Schooling-Bedingungen für Familien in finanzieller Notlage. Es gäbe so vieles, wofür es sich lohnen würde, zu kämpfen - und ihr beschränkt euch darauf, wie Kleinkinder herumzuplärren! Und irgendwelche Märchen zu glauben, um alles schlecht zu reden, was nur irgendwie dazu beitragen könnte, die Situation bald wieder erträglicher zu machen! Meine lieben Freunde und Zwetschkenröster: Hört endlich auf, euch verarschen zu lassen!
vousvoyez
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