![]() |
https://sherlockholmes.fandom.com/de/wiki/Cottingley_Fairies?file=Cottingley-faires.jpg |
Im echten Leben sieht's dann meistens schon ein bisschen anders aus. Wobei ich kürzlich im Standard eine lustige Geschichte gelesen habe - über einen Typen, dem nach der Covid-Impfung die Testikel angeschwollen seien, woraufhin ein österreichischer Forscher konterte, dass diese Symptome eher auf eine Chlamydien-Infektion hinwiesen, also auf eine Geschlechtskrankheit. Mit anderen Worten: Pass auf, welche Geschichten du in die Welt setzt - ansonsten könnte es peinlich für dich werden!
Geschichten, die anders ausgehen, als man es erwartet, gibt es ja immer wieder. Ich habe ein paar Jahre lang im Stadtbezirk Waltendorf gelebt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eine eigenständige Marktgemeinde war, ehe er 1938 eingemeindet wurde. Hier lebte einst eine Berühmtheit aus der Welt des Spiritismus: Maria Silbert, die Seherin von Waltendorf, deren Séancen vor allen in den 1920er Jahren sehr beliebt waren. Schon ihre Großmutter soll Hellseherin gewesen sein, ihre eigene Gabe hätte sich schon im Kindesalter gezeigt. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs begann die verwitwete ausgebildete Lehrerin und zehnfache Mutter, spiritistische Sitzungen in ihrer Wohnung abzuhalten. Berichtet wird davon, dass sich der Tisch bewegte und Klopfgeräusche zu hören waren, außerdem sei es zu geisterhaften Erscheinungen gekommen. Bekannt wurde vor allem ihr Hausgeist "Nell" (kurz für Vincentius Coronelli), einst Ordensgeneral der Franziskaner, der sich mittels Klopfzeichen verständigt haben soll - es existiert sogar ein Abdruck seines Gesichtes, das er 1922 auf Wunsch eines Séance-Teilnehmers in weichen Ton gedrückt haben soll. Bekannt sind auch mehrere Geistererscheinungen in einem südsteirischen Weinhaus, die in ihrer Anwesenheit stattgefunden haben sollen. Als Frau Silbert 1936 starb, soll ein bläuliches Lichtband aus ihrem Mund auf die Straße hinausgeschwebt sein. Doch schon zu ihren Lebzeiten gab es nicht nur Bewunderer, sondern auch Zweifler, unter ihnen auch der Experimentalphysiker Hans Benndorf, der 1924 mehrere Augenzeugenberichte veröffentlichte, laut derer es sich bei dem Medium um eine Schwindlerin gehandelt haben soll. So soll sie Teilnehmer unter dem Tisch mit dem Fuß angestupst und behauptet haben, die Berührungen kämen von Geistern, und bei dem vermeintlichen Ektoplasma habe es sich um einen gestrickten Strumpf gehandelt. Als nach Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Wohnung entrümpelt wurde, stieß man auf einen Tisch, in dessen Beine Federn eingebaut waren, die das Möbel mittels eines Knopfs auf der Unterseite der Tischplatte zum Hüpfen brachten. Trotzdem gibt es natürlich bis heute Personen, die sie für ein echtes Medium halten - auch wenn Zeitzeugen mittlerweile rar geworden sind. In einer parapsychologischen Zeitschrift wird in einem weinerlichen Artikel behauptet, sie sei von einer großen Anzahl von Wissenschaftlern untersucht worden, die alle bestätigt haben sollen, dass ihre Gaben echt seien - wie in vielen Fällen waren das allerdings wohl eher jene, die ohnehin schon an Spiritismus und Parapsychologie glaubten, was zur damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches war.
Geschichten über Geistererscheinungen und dergleichen sind Themen, die wohl bereits aktuell sind, seit es Menschen gibt - die Entstehung des modernen Spiritismus wird allerdings meistens mit den Fox-Schwestern in Verbindung gebracht. Familie Fox lebte in einem Haus in Hydesville im Staat New York, dem nachgesagt wurde, dass es hier spuke, und tatsächlich berichtete die Familie des Öfteren von einem Klopfen und Schleifen, dessen Ursache nicht feststellbar sei. Im Jahr 1848 behaupteten die beiden jüngsten Töchter Margret und Catherine, damals zwölf und fünfzehn Jahre alt, sie hätten die Fähigkeit, mit diesen Geistern in Kontakt zu treten; irgendwann schaffte es Kate, den Geist dazu zu bringen, auf ihr Fingerschnippen zu antworten - von da an kamen immer wieder Nachbarn ins Haus, um sich das Phänomen vorführen zu lassen. Die Mädchen behaupteten, dass vor ihrem Einzug jemand in dem Haus ermordet worden sei, und tatsächlich fand man im Keller ein paar Knochen, die man als Beweis verbuchte. Daraufhin bezichtigten die Schwestern einen der vorherigen Bewohner des Mordes - dieser wurde zwar weder verhört noch verhaftet, verlor jedoch sein gesellschaftliches Ansehen. Als daraufhin immer mehr Leute ins Haus kamen, um die hellsichtigen Mädchen zu sehen, schickten die Eltern Margret und Kate zu deren ältester Schwester Leah und ihrem Bruder David nach Rochester - wo jedoch ebenfalls schon bald in deren Häusern Klopfzeichen zu hören waren. Bald formierte sich aus Freunden und Nachbarn die erste spiritistische Gemeinde in den USA; die Fox-Schwestern waren schon bald so berühmt, dass prominente Persönlichkeiten zu ihren Séancen erschienen, die beiden ganz Amerika und Europa bereisten und es schon bald etliche Nachahmer gab, die behaupteten, mit Geistern zu sprechen.
Doch der Ruhm forderte auch seinen Tribut, wie es häufig bei jungen Stars der Fall ist; Kate und Maggie waren während ihrer Séancen häufig Themen ausgesetzt, die von jungen Damen der Gesellschaft normalerweise ferngehalten wurden. Plötzlich befreit von gesellschaftlichen Zwängen und dem strengen Elternhaus, verfielen die beiden Mädchen Alkohol und Leichtsinn. Beide verwitweten früh, Kate war alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen, und 1888 kam es vorübergehend zum Bruch zwischen den beiden. Als sie sich dann auch noch mit Leah zerstritten, beschlossen sie, ihr eins auszuwischen, und Maggie gestand vor einem großen Publikum in New York, dass ihre und Kates spirituelle Fähigkeiten in Wirklichkeit reiner Schwindel waren - eine Hinterlist, wie man sie kleinen Mädchen natürlich nicht zugetraut hätte. So hatten sie die Klopfgeräusche in ihrem Elternhaus mit einem Apfel an einer Schnur fabriziert; außerdem konnten sie Laute durch das Knacken ihrer Zehengelenke erzeugen, die natürlich unter den langen Kleidern der damaligen Zeit nicht zu sehen waren. Moderne Untersuchungen fanden zudem heraus, dass es sich bei den Knochen, die damals im Keller des Hauses gefunden worden waren, um Tierknochen gehandelt hatte. So fielen die beiden Schwestern in Ungnade, wurden von ihren Freunden und Kollegen verstoßen, bezeichneten den Spiritismus als böse und starben in Armut. Trotzdem wuchs die Spiritismus-Bewegung in den USA und Europa weiterhin, und auch heute gibt es immer noch viele, die daran glauben, und alle möglichen Modeerscheinungen, die damit zu tun haben.
Dass die Ostküste den USA bei der Entwicklung des modernen Spiritismus eine so große Rolle spielte, ist übrigens kein Zufall - denn die religiösen Bewegungen wie Quäker und Mormonen, die sich hier angesiedelt hatten, waren schon lange überzeugt davon, dass es möglich sein müsste, mit Engeln oder Toten zu kommunizieren. Zudem trug die zunehmende Industrialisierung und Verstädterung mit Sicherheit auch zu der Sehnsucht der Menschen nach Übersinnlichem bei. Gleichzeitig waren spiritistische Bewegungen gesellschaftlich häufig sehr progressiv - ihre Anhänger:innen kämpften beispielsweise nicht selten für Frauenrechte und die Abschaffung von Sklaverei und nutzten Geisterbeschwörungen, um ihren Interessen Nachdruck zu verleihen, denn natürlich waren auch alle beschworenen Geister für die Gleichberechtigung aller. Zudem war Spiritismus eine der wenigen Nischen, in denen es Frauen gelang, sich finanziell unabhängig zu machen, Besonders der Amerikanische Bürgerkrieg im Jahre 1860 verschaffte dem Spiritismus an Bedeutung, denn natürlich wollten die Hinterbliebenen mit ihren verstorbenen Angehörigen Kontakt aufnehmen. Nicht umsonst ist die literarische Romantik sehr von Schauerromanen geprägt, und wie wir wissen, entstand damals auch die erste Horrorliteratur.
Wie schon angedeutet, gab es damals natürlich auch etliche prominente Persönlichkeiten, die sich dem Spiritismus zuwandten. Zu ihnen gehörte etwa Arthur Conan Doyle, Autor der berühmten Sherlock-Holmes-Reihe, über die ich an anderer Stelle ja bereits berichtet habe; dieser befasste sich bereits zu Studienzeiten mit Spiritismus und Okkultismus. Sein Glaube daran wurde vor allem von einem Mädchenstreich befeuert, der natürlich wieder an die Fox-Schwestern denken lässt: Im Jahr 1917 kamen die Cousinen Elsie Wright und Frances Griffith, damals sechzehn und neun Jahre alt, auf die Idee, Elsies Vater zu foppen, indem sie sich seine Fotokamera ausborgten und sich gegenseitig inmitten geflügelter Gnomen und Feen an jenem Bach im englischen Dorf Cottingley, an dem sie immer spielten, fotografierten. Die Märchengestalten waren von Elsie aus Princess Mary's Gift Book, einer illustrierten Sammlung aus Erzählungen und Gedichten, auf Karton abgezeichnet, ausgeschnitten und mit Hutnadeln versehen worden. 1920 fielen die Fotos in die Hände des damals bekannten Theosophen Edward Gardner, der die Aufnahmen zusammen mit einem Fotografie-Experten als echt zertifizierte - in der Folge wurden sie als einer der größten Presseschwindel des 20. Jahrhunderts bekannt. Nun, natürlich ist aus heutiger Sicht absolut nicht mehr nachzuvollziehen, wie man auf diese Fotos hereinfallen kann, aber ich finde trotzdem, dass sie ziemlich gut gemacht sind, vor allem gemessen an den damaligen fotografischen Mitteln. Aus diesem Grund habe ich sie auch als Titelbild für diesen Artikel gewählt. Tatsächlich glaubte jedoch Doyle bis zu seinem Lebensende an die Echtheit der Fotos und damit auch an die Existenz von Feen - obwohl vor allem die modischen Frisuren der Feengestalten den Spott seiner Zeitgenossen erregten und diese sogar an der geistigen Gesundheit des Schriftstellers zweifeln ließen.
Um die wissenschaftliche Akzeptanz von Geistererscheinungen zu steigern, freundete sich Doyle mit dem berühmten Zauber- und Entfesselungskünstler Harry Houdini an; dieser litt zu dieser Zeit sehr an dem unerwarteten Tod seiner Mutter, der in ihm gleichzeitig auch eine bizarre, morbide Faszination für alles weckte, was nur irgendwie mit Sterben zu tun hatte. Wie viele Spiritismus-Gläubige, so hielt auch Doyle Houdini für einen echten Magier mit übersinnlichen Fähigkeiten. Darüber hinaus hielt Doyle seine zweite Ehefrau Jean Leckie für ein begabtes Medium; um Houdini von ihren Kräften zu überzeugen, ließ er sie in einer Séance sozusagen durch die Hand von Houdinis Mutter Briefe an deren Sohn schreiben. Dieses Kunststück überzeugte den Illusionisten allerdings nicht; da Houdini das Kind ungarischer Einwanderer war, war es äußerst unwahrscheinlich, dass seine Mutter ihm einen Brief in grammatikalisch korrektem Englisch schrieb. Auch die anderen Geisterbeschwörerinnen, die er durch Doyle kennenlernte, überzeugten ihn nicht; als professioneller Illusionskünstler durchschaute er ihre Tricks natürlich schnell. So wurde Houdini zu einem erklärten Spiritismus-Skeptiker; den Kampf gegen betrügerische Geisterbeschwörer betrachtete er als Lebensaufgabe. Er wurde Mitglied des Komitees der Wissenschaftszeitschrift Scientific Americans, die einen Geldpreis für denjenigen ausschrieb, der seine magischen Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte - der jedoch nie vergeben wurde. Houdini entlarvte einen nach dem anderen der selbst ernannten Medien, wodurch er sich in der Spiritisten-Gesellschaft selbstverständlich viele Feinde machte; die Aufklärung über Spiritisten-Tricks war sogar fester Bestandteil seiner nach wie vor gut besuchten Zaubershows. Sein Kampf gegen betrügerische Medien ging sogar über seinen Tod hinaus: Er hatte mit einer Frau, die auch als Assistentin in seinen Shows aufgetreten war, ein Codewort vereinbart; jedes Jahr zu Halloween lud Bess Houdini verschiedene Spiritisten zu einer Séance, um zu prüfen, ob einer von ihnen dieses Codewort herausfinden könnte. Einem gelang es tatsächlich - im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass dieser mit Bess eine Affäre hatte.
Auch Houdinis Kampf gegen betrügerische Medien tat der Faszination für Spiritismus und Okkultismus, wie wir wissen, keinen Abbruch. Und auch nach dem Tod des großen Illusionisten gab es immer wieder spektakuläre Fälle von angeblichen Geistererscheinungen. Eine davon ereignete sich Anfang der 1980er Jahre im bayerischen Neutraubling bei Regensburg: Im Sommer 1981 wurde die Praxis des Zahnarztes Kurt Bachseitz von Anrufen mit verstellter Stimme heimgesucht; wenig später war die Stimme des vermeintlichen Geistes, der sich "Chopper" nannte, auch aus Abflüssen und Spucknäpfen zu hören. Meistens beleidigte und tyrannisierte er die Patienten, manchmal belästigte er auch die sechzehnjährige Zahnarzthelferin Claudia Judenmann, in die er verliebt gewesen sein soll. Bachseitz erstattete Anzeige gegen unbekannt; nicht lange danach wurden Choppers Eskapaden zu einem Medienereignis. Weder die Polizei noch die Fernmeldetechniker der Deutschen Bundespost, die eine Fangschaltung installiert hatten, konnten dem Phänomen auf die Schliche kommen. Schon bald gaben sich Zeitungsjournalisten und Fernsehteams gegenseitig die Tür in der Hand, sogar in Japan, USA und Neuseeland wurde von dem mysteriösen Fall berichtet. Leute strömten in die Praxis und ließen sich die Zähne behandeln in der Hoffnung, von Chopper beleidigt zu werden - sie wurden nicht enttäuscht. Am stärksten befeuert wurde der Medienhype jedoch wahrscheinlich von dem berühmten Freiburger Parapsychologen Hans Bender, der zwar erklärte, dass es sich wohl um ein höchst irdisches Phänomen handelte, aber seine Anwesenheit wurde dennoch als Bestätigung für die Bedeutung des Falles gesehen und Claudia Judenmann zum Medium stilisiert. Je mehr Leute sich bemühten, den Fall aufzuklären, desto reißerischer berichteten die Medien darüber - bis die Kriminalpolizei Regensburg Anfang 1982 den Fall übernahm. Zu diesem Zeitpunkt war die Praxis täglich von Journalisten und Kamerateams überlaufen; besonders die hübsche Claudia schien den Medienrummel sichtlich zu genießen. Die Anwesenheit der Soko trug jedoch letztlich ziemlich schnell zur Aufklärung des "mysteriösen" Falles bei; den Beamten entging nämlich nicht, dass Chopper nur sprach, wenn die junge Zahnarzthelferin im Raum war, und dass sie den Anwesenden im Raum währenddessen immer den Rücken zudrehte. Irgendwann beobachtete einer von ihnen im Spiegel, wie Claudia zu Choppers Geplärre die Lippen bewegte. Kurzerhand beendeten sie die Farce und nahmen die junge Frau sowie ihren Arbeitgeber und dessen Ehefrau ins Verhör. Diese gaben zu, dass sie sich die besondere Akustik der gekachelten Räume zunutze gemacht hatten, um über Hohlgefäße Choppers Geisterstimme zu erzeugen. Warum sie sich diese Geschichte ausgedacht haben, ist bis heute nicht ganz geklärt - wahrscheinlich handelt es sich um einen Scherz, der aus dem Ruder gelaufen ist. Letztendlich wurden alle drei zu hohen Geldstrafen verurteilt; vom öffentlichen Druck gepeinigt, ließ das Ehepaar Bachseitz sich später freiwillig in eine psychiatrische Klinik einweisen, während Claudia, die ihre Arbeitsstelle verloren hatte, eine andere Identität annahm.
Wieder einmal seht ihr also, dass unerklärliche Phänomene meistens sehr logisch zu erklären sind - aber dennoch scheint der Wunsch, sich zu gruseln, in der menschlichen Natur verankert zu sein. Wie ich in meinen Satanismus-Berichten erklärt habe, war es ja auch in meiner Jugend eine Zeitlang Mode, sich mit Gläserrücken und Ritualen mit Kerzen und Spiegeln zu beschäftigen - so sehr, dass selbst den Bravo-Heften oft solche Dinge wie Pendel, Tarot-Karten oder Ouija-Brettern beilagen, vor deren Benutzung dann auf den Dr.-Sommer-Seiten eindringlich gewarnt wurde: der berühmte rosarote Elefant also. Und auch heute gibt es immer wieder Trends, die allerdings natürlich an die Zeit angepasst sind, seien es YouTube-Videos über Rituale zum Nachmachen oder auch gruselige Internet-Phänomene wie Momo oder Jonathan Galindo. Ich bin mir sicher, dass auch die nächste Generation wieder ihre eigenen Gespenstergeschichten haben wird, bei denen sie sich gruseln kann. Gespenstergeschichten hören eben nie auf, spannend zu sein.
vousvoyez
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen