Donnerstag, 23. September 2021

Donald Trump hält sich nicht nur für Gott - er denkt, er ist Chuck Norris

© vousvoyez
Damals, als dieser Spruch fiel, habe ich noch nicht zu hoffen gewagt, dass wir die dicke Orange so schnell wieder los sind. Wobei ja nach wie vor noch nicht klar ist, ob das für immer so bleibt - der harte Kern seiner Anhänger ist ja nach wie vor davon überzeugt, dass seine Abwahl nicht rechtmäßig war. Und wie viele von uns, die mit seiner Politik, um es mal milde auszudrücken, absolut nicht einverstanden waren, vermutet haben, ist die QAnon-Bewegung, die Trump als den Erlöser stilisiert, alles andere als harmlos. Und es gibt eine Gruppierung, die mit dieser durchaus Überschneidungen aufweist und die ebenfalls keineswegs harmlos ist, und das ist die "Querdenken"-Bewegung, die vor allem eines eint: Nämlich die rigorose Ablehnung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Und da ich mich in der Vergangenheit bereits mehrfach dazu geäußert habe, sehe ich mich in der Verantwortung, auch zu dem jüngsten Ereignis Stellung zu beziehen.

Meine Lieben, der Herbst hat begonnen, und leider hat sich die Befürchtung vieler, dass die Pandemie-Situation noch nicht vorbei ist, bestätigt. Denn die Infektionszahlen steigen wieder, und anstatt dass man frühzeitig darauf reagiert hat, hat man den Sommer über alles schleifen lassen. Der einzige Unterschied zu früher ist allerdings, dass die allermeisten, die jetzt in den Intensivstationen liegen, nicht geimpft sind. Was bedeutet, dass wohl genau das eintreten wird, was, denke ich, keiner gewollt hat: Nämlich dass es in erster Linie für Ungeimpfte zu rigorosen Einschränkungen kommen wird. Und ungerecht ist das vor allem denjenigen gegenüber, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht impfen lassen können. Aber nicht nur das ist es, was neben den bevorstehenden Bundestagswahlen in Deutschland momentan auf Social Media vielfach die Runde macht: Letzten Samstag musste ein junger Mann sein Leben lassen, weil er jemanden dazu aufgefordert hat, eine Maske aufzusetzen. Er war zwanzig Jahre alt, Student und arbeitete nebenbei in einer Aral-Tankstelle in Idar-Oberstein, Rheinland-Pfalz. Als er einem Kunden den Verkauf eines Sixpacks Bier verweigerte, weil dieser keine Maske tragen wollte, holte der 49jährige eine Schusswaffe von zu Hause und tötete den Kassierer durch einen gezielten Schuss in den Kopf. Der Polizei gegenüber erklärte er später, er sei durch die aktuelle Pandemie-Situation "belastet" gewesen und habe mit dem Mord an dem jungen Mann "ein Zeichen setzen" wollen.

Wie ihr wisst oder euch denken könnt, wird diese Tat in den sozialen Netzwerken sehr kontrovers diskutiert. Während die einen sich fragen, was mit unserer Gesellschaft passiert ist, dass ein Mensch, noch dazu einer, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte, wegen etwas so Banalem wie einer Maske sterben musste, versuchen die anderen, die Tat zu einem "tragischen Einzelfall" zu stilisieren, der mit Querdenken überhaupt nichts zu tun hat. Manche sprechen auch von einer "False-Flag-Aktion" oder wollen "der Antifa" die Schuld in die Schuhe schieben, während andere wiederum "die Regierung" oder "das System" dafür verantwortlich machen. Ich hörte auch von "Mord im Affekt" oder gar "Notwehr"; manche betrieben auch Täter-Opfer-Umkehr, denn hätte der junge Mann den Kunden nicht dazu aufgefordert, eine Maske zu tragen, wäre das alles nicht passiert. Manche erklären sogar, sie hätten in dieser Situation genauso gehandelt, rufen sogar zu weiteren Morden auf. Und das ist eben der Punkt: Inzwischen ist bekannt, dass der Täter in den Narrativen der Corona-Leugner äußerst bewandert ist, dass er rechtspopulistische Medien konsumierte und Anhänger der AfD ist, dass er schon vor zwei Jahren Gewaltphantasien äußerte und Waffen hortete. Die Tat geschah also weder im Affekt noch aus Notwehr - der Mann holte eine Schusswaffe von zu Hause und kehrte in die Tankstelle zurück in der Absicht, denjenigen zu töten, der ihn zum Tragen einer Maske aufgefordert hatte. Es war eiskalter Mord und nichts anderes. Und das ist der Punkt: Nicht alle, die sich als "Querdenker" bezeichnen, sind potenzielle Mörder, aber es gibt durchaus Leute unter ihnen, die Gewalt durchaus für ein legitimes Mittel halten, um sich gegen etwas zu wehren, was sie als Menschenrechtsverletzung empfinden. Rechtsanwalt Chan-jo Jun bezeichnet dies als "stochastischen Terrorismus": Einer großen Anzahl von Menschen, die für sich genommen wahrscheinlich niemals auf die Idee kommen würden, einen Mord zu begehen, wird so lange eingeredet, ungerecht behandelt zu werden, dass diese eine gewalttätige Reaktion auf dieses Unrecht letztendlich als "Notwehr" empfinden - und einer von ihnen irgendwann tatsächlich zum Mörder wird. Und nein - das bedeutet auch nicht, dass alle "Querdenker" Terroristen sind. Allerdings haben einige von ihnen die Möglichkeit, dass ein Außenstehender ihretwegen sein Leben verliert, billigend in Kauf genommen, und man muss kein Genie sein, um zu verstehen, dass die Zündele auf Social Media durchaus ihren Teil dazu beigetragen hat, dass letztendlich einer von ihnen zur Waffe griff. Daran gibt es nichts schönzureden.

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, dem kann nichts entgangen sein, dass ich immer wieder mal darauf aufmerksam gemacht habe, dass "Querdenker" und Konsorten weitaus mehr sind als nur ein Haufen harmloser Spinner. Ich erlebe es bereits seit über einem Jahr nahezu täglich auf Facebook, Twitter und Instagram: Man stilisiert sich selbst als unterdrückte Minderheit, Rebell und Widerstandskämpfer und vergleicht sich selbst und seine Gesinnungsgenossen mit Sophie Scholl und den Juden im Zweiten Weltkrieg; man erklärt alle Andersdenkenden zum Feind und reagiert oft höchst aggressiv auf jeglichen Widerspruch; Politiker, Wissenschaftler und Journalisten werden als das ultimative Böse dargestellt, so sehr, dass ihnen selbst das Menschsein abgesprochen wird; man fordert die Verurteilung, Inhaftierung und manchmal sogar Hinrichtung seiner vermeintlichen Unterdrücker; man bildet sich ein, über ein "geheimes Wissen" zu verfügen, erhebt sich über all die dummen "Schlafschafe" und erklärt sie zu Mittätern, denn sie sind die Stützen des Systems. Diese Leute haben vielen Versprechungen geglaubt, die nicht gehalten werden konnten, und wurden vermehrt zum Sturz eines Systems mobilisiert, der dann nicht stattfand - sie haben so viel Aggression aufgestaut, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich diese irgendwann einmal entlädt. Was geschehen ist, kam nicht einfach so aus dem Nichts - bereits auf den Demonstrationen wurden Journalisten angegriffen, die zu Handlangern der "Lügenpresse" erklärt wurden; man verhielt sich aggressiv gegenüber Ärzten und Wissenschaftlern, die nicht sagten, was man hören wollte, und beging Anschläge auf Impfzentren. Eigentlich hätte all dies schon viel früher hellhörig machen müssen - stattdessen werden Rechtsradikale und Verschwörungsideologen immer noch als "besorgte Bürger" verharmlost.

Was bleibt, ist die Tatsache, dass eine Banalität dazu führte, dass jemand es für notwendig befand, einen anderen Menschen "symbolisch" hinzurichten. Eine einfache Maske wurde zu einem Politikum, indem ein Teil der Bevölkerung wohlhabender Nationen diesen als Symbol für ihre angebliche Unterdrückung stilisierte. Die Verpflichtung, an bestimmten Orten eine Maske aufzusetzen, wird als Erniedrigung verstanden, diejenigen, die auf die Ausführung dieser Pflicht bestehen, als Handlanger einer vermeintlichen Diktatur, die Verweigerung derselben als Akt der Rebellion im Namen der Freiheit. Die Gewalt begann nicht damit, dass ein junger Mann, der seinen Job machte, durch einen Kopfschuss getötet wurde; sie begann mit verbalen Angriffen, mit Drohungen gegen all jene, die man zum Feind stilisiert hatte, mit körperlicher Aggression auf Demonstrationen, mit Aufforderungen zur Verurteilung all jener, die man für die aktuelle Situation verantwortlich macht, mit dem Versuch, die demokratische Grundordnung zu delegitimieren. Deswegen mein Appell an all diejenigen, die das immer noch nicht begriffen haben: Selber denken und hinterfragen ist nicht nur legitim, sondern auch wichtig - aber das bedeutet, auch sich selbst und seine eigene Meinung immer wieder zu überprüfen und nicht blind alles zu glauben, nur weil es einem gerade gut gefällt. Denn auch wenn ihr es nicht wahrhaben wollt: Auch diejenigen, die nicht eurer Meinung sind, sind in der Lage, selbst zu denken und zu hinterfragen. Auch diejenigen, die die Existenz der Pandemie anerkennen, plappern nicht unkritisch alles nach, was " die da oben" vorbeten und feiern nicht alle Maßnahmen unhinterfragt ab. Und es ist auch ein bisschen inkonsequent, einerseits so kritisch jenen gegenüber zu sein, die einem nicht sagen, was man hören will, andererseits aber so blind jedem zu glauben, von dem man sich bestätigt fühlt. Es ist nicht alles so einfach, auch wenn es noch so verlockend ist, das zu denken. Jeder aufmerksame Leser dieses Blogs, der ehrlich zu sich selbst ist, muss doch zugeben, dass auch ich durchaus Kritik übe an jenen Dingen, die falsch laufen - der Unterschied ist halt, dass ich vermeintliche Lösungen von rechts nicht als solche begreife. Ich habe in meinem Leben auf die harte Tour gelernt, dass unangenehme Dinge nicht einfach so verschwinden, nur weil man die Augen davor verschließt.

Und um das klarzustellen: Jemanden "symbolisch" hinzurichten, weil er die eigene Meinung nicht teilt, ist undemokratisch und menschenfeindlich - ebenso aber auch, solche Taten zu relativieren, zu verharmlosen oder sogar gutzuheißen. Das geht über die Art von Reibung hinaus, die zu jeder Demokratie gehören und die diese auch aushalten muss. Wer so handelt, hat kein Interesse an einem demokratischen Diskurs - man muss sich doch nur mal anhören, was manche dieser Leute so von sich geben, und erkennt sofort, dass die Hysterie und Panikmache nicht von diesen ausgeht, die über eine Pandemie aufklären, sondern von jenen, die von "Verbotsdiktatur", "Linksrutsch" und "Bevölkerungsaustausch" fabulieren. All diese verbalen Entgleisungen haben einen fundierten Protest so gut wie unmöglich gemacht. Und ja, noch einmal: Nicht alle, die sich als "Querdenker" bezeichnen, sind Nazis, aber es scheinen sich doch etliche, die dort was zu sagen haben, mit rechtsextremem Gedankengut recht wohl zu fühlen. Ich bin mir bewusst, dass man mit vielen, die sich im Widerstand wähnen, nicht mehr vernünftig diskutieren kann, aber ich hoffe doch, dass ich vielleicht den einen oder anderen noch erreichen kann. Mein Gedanke ist bei der Familie des zwanzigjährigen Alexander W., der sein Leben verlor, weil er seinen Job zufriedenstellend erledigen wollte - ich wünsche ihnen viel Kraft und Mut in der nächsten, zweifelsohne sehr, sehr schweren Zeit. Mes condoléances sincères!

vousvoyez

https://www.tagesspiegel.de/politik/entsetzen-ueber-mord-in-idar-oberstein-vermeintlichen-feinden-wird-das-menschsein-abgesprochen/27633130.html

https://www.youtube.com/watch?v=VYc7jwou5Iw

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen