Montag, 14. Dezember 2020

Verharmlosung ist kein Gabaliersdelikt

Eine Weisheit, die im Mai letzten Jahres sehr aktuell war - genauer gesagt am 1. Mai. Damals kam es zu einem Skandal, oder sagen wir besser Skandälchen, weil eine von der SPÖ gebuchte Band bei der Kundgebung in meiner Stadt entgegen der vorher getroffenen Vereinbarung ein Lied von Andreas Gabalier gespielt hat. SPÖ-Landrätin Doris Kampus ging daraufhin auf die Bühne und erinnerte an die Abmachung - Grund dafür war das antiquierte Frauenbild, das der Möchtegern-Lederhosen-Rebell propagiert und das nicht zu den Werten der Partei passt. Ein paar Tage später veröffentlichte Gabalier auf Facebook ein Video, in dem er von "Zensur" und "Faschismus" sprach - denn wie wir wissen, nagt der arme Mann ja am Hungertuch, weil keiner seine tolle Musik hören will. Ich oute mich mal wieder - ich bin auch Faschistin. Denn ich finde Gabaliers Musik einfach nur schrecklich und hätte sie auf einer von mir organisierten Party auch nicht geduldet. Versteht mich nicht falsch - ich bin mir durchaus bewusst, dass mir nicht jede Musik gefallen kann. Und selbstverständlich darf Gabalier fern meiner Gegenwart singen, was, wie und so viel er möchte. Auch wenn ich zugeben muss, dass mir seine reaktionäre Haltung genauso wenig gefällt wie seine Musik. Und, dass er sich bei jeder Gelegenheit künstlich in die Opferrolle manövrieren muss. Zumal Musiker in faschistischen Regimes wohl weitaus mehr zu befürchten haben, als dass bei einer einzigen Veranstaltung ihre Musik nicht gespielt wird.

Nun, ich wage mal zu behaupten, dass dieser Vorfall lediglich Herrn Gabaliers Ego vorübergehend ganz leicht angekratzt hat. Nach wie vor hat er seine Fangemeinde, und nach wie vor darf er uns mit seinen wunderbaren musikalischen Ergüssen beglücken. Wie schon gesagt - wenn der Herr irgendwo singt, wo ich ihn nicht hören muss, ist mir das auch egal. Ich widme mich stattdessen lieber Musik, die mir mehr Freude macht - beispielsweise der von Pink Floyd.

Wie die Beatles, so waren auch Pink Floyd bekanntlich eine sehr erfolgreiche und auch innovative Rockband aus England - genauer gesagt aus Cambridge. (Übrigens haben sie eine Zeitlang tatsächlich in den Londoner Abbey-Road-Studios aufgenommen, in denen auch die Beatles an ihrer Musik gearbeitet haben.) Ihre Bandbreite reichte von Psychedelic bzw. Space Rock in der Frühphase bis hin zu Progressive- bzw. Artrock, ihre Texte setzten sich häufig kritisch mit sozialen und politischen Themen auseinander. Ihr wohl ehrgeizigstes Projekt war das 1979 veröffentlichte Konzeptalbum The Wall, das die Entfremdung eines Rockstars thematisiert und 1982 von Alan Parker mit Bob Geldof in der Hauptrolle verfilmt wurde. Das bekannteste Lied dieses Albums ist wohl der zweite Teil der Song-Trilogie Another Brick In The Wall, den wohl auch viele kennen, die mit Pink Floyd ansonsten nicht viel anfangen können. Und zu diesem Lied gibt es eine Geschichte, die ich euch heute gerne erzählen möchte.

An den Aufnahmen zu dem Album The Wall war unter anderem der aus Deutschland stammende Tontechniker Peter Fischer beteiligt - über den ich jedoch außerhalb jener Geschichte nichts gefunden habe. Dieser war eines Nachts alleine im Studio, um die Aufnahme fertigzustellen; am nächsten Morgen war er nicht mehr auffindbar, aber als die Band und andere Studio-Mitarbeiter sich die fertige Aufnahme anhörten, soll ihnen eine Veränderung in dem Text aufgefallen sein, der von dem Kinderchor gesungen wird - nämlich die deutschen Worte "hol ihn, hol ihn unters Dach". Einige Tage später wurde Peter Fischer gefunden - er hatte sich auf dem Dachboden des Studios erhängt. Später erfuhr man, dass er in einem Waisenhaus aufgewachsen war, in dem er des Öfteren schwer misshandelt und auf dem Dachboden eingesperrt worden war. Es gibt noch eine weitere Geschichte, in der behauptet wird, dass Fischer und ein anderer Techniker Mitglieder einer satanischen Sekte gewesen sein sollen, dass aber Fischer sich kurz vor der Arbeit an dem Album von dieser losgesagt hat. In einem Racheakt mischte der andere Tontechniker die Passage "hol ihn, hol ihn unters Dach" in das Album, woraufhin Fischer, sobald er den Befehl hörte, diesen automatisch ausführte und sich auf dem Dachboden erhängte. 

Wieder eine andere Geschichte erzählt, dass einer der Produzenten des Albums ein Deutscher namens Helmut Schlosser gewesen sein soll, der zuvor als Rektor in einem Jungeninternat gearbeitet hat. Angeblich lockte er damals häufig Jungen auf den Dachboden, um sie dort zu vergewaltigen, was unter den Schülern ein offenes Geheimnis war, aber man konnte ihm nie etwas nachweisen, und irgendwann wurde er dann als Musikproduzent erfolgreich. Als er nun an dem Album The Wall arbeitete, wurde er eines Tages erhängt auf dem Dachboden des Studios aufgefunden - die Platte war bereits fertig abgemischt, beinhaltete aber eine Passage, von der Pink Floyd sich nicht erinnern konnte, sie aufgenommen zu haben, nämlich den deutschen Satz "hol ihn, hol ihn unters Dach". Man vermutete, dass sich ehemalige Schüler auf diese Weise gerächt haben sollen.

Was mag dahinter stecken? Und welche dieser Geschichten ist wahr und welche nicht? Ist überhaupt irgendeine von ihnen wahr? Schauen wir uns das doch einmal genauer an:

Wie schon erwähnt, hat der Song Another Brick In The Wall eigentlich drei Teile. Diese stellen drei Lebensphasen von Pink, der zentralen Figur dieses Albums, dar. Der zweite Teil handelt vom Aufbegehren der Jugend gegen eine repressive, gefühlskalte Erwachsenenwelt; darin verarbeitet der Bassist Roger Waters seine Erfahrungen während seiner Schulzeit im England der 1950er Jahre, als man versuchte, den Willen der Schüler mit Gewalt zu brechen und sie so zu funktionierenden Mitgliedern der Gesellschaft zu machen - wie es auch in John Lennons Working Class Hero so eindringlich ausgedrückt wird: "They hurt you at home and they hit you at school, they hate you if you're clever and they despise the fool 'till you're so fucking crazy you can follow their rules." ("Sie verletzen dich zu Hause und sie schlagen dich in der Schule, sie hassen dich, wenn du intelligent bist, und sie verachten den Narren - bis du so scheißverrückt bist, dass du ihre Regeln befolgen kannst.") Im Wesentlichen besteht der Text von Another Brick In The Wall nur aus sechs sich wiederholenden Zeilen, die zuerst von der Band, dann von einem Kinderchor - genauer gesagt von Schülern der Londoner Islington Green School, die sich in der Nähe des Tonstudios befand - gesungen werden. Ich finde, dass vor allem die Filmsequenz einem auch ohne die Legende des erhängten Mitarbeiters schon eine Gänsehaut bescheren kann: In einer Schule, die eher an eine Fabrik erinnert, wird den Kindern jegliche Individualität genommen; sie marschieren in einen Tunnel, aus dem sie mit uniformen Masken wieder herauskommen, marschieren blind hintereinander her und betreten ein Förderband, das sie in den Trichter eines Fleischwolfs führt, wo sie zu einer gleichförmigen Masse aus Fleisch verarbeitet werden. Die anschließend stattfindende Revolution kippt jedoch vom Sinnhaften ins Sinnbefreite - die Message ist letztendlich, dass Bildung zwar notwendig ist, dass sie aber nur funktionieren kann, wenn sie die Individualität des zu Bildenden anerkennt, und dass das Aufbegehren gegen repressive Verhältnisse auch ins blind Zerstörerische umschlagen kann.

Das alles erklärt aber nicht, wie auf einmal der Satz "hol ihn hol ihn unters Dach" in die Aufnahme kommt. Nun, ich habe mir den Song noch einmal angehört - und tatsächlich konnte ich, nachdem ich die Geschichte das erste Mal gehört habe, statt "all in all it's just a[nother brick in the wall]" ("alles in allem ist es nur ein weiterer Stein in der Mauer") eben jenen deutschen Satz hören. Die Sache ist allerdings die: Ich habe ihn erst gehört, nachdem ich auf ihn gewartet habe. Und die Erklärung dafür ist simpel: Es gibt keinen deutschen Satz in diesem Text. Die Kinder singen unverkennbar Englisch in typischer Cockney-Manier, weshalb die Worte für ein auf die deutsche Sprache ausgerichtetes Gehör ein wenig undeutlich klingen. Überlegen wir nur: Wie soll ein Tontechniker in eine englische Aufnahme, gesungen von Kindern, die womöglich gar kein Deutsch können, auf einmal über Nacht einen deutschen Satz schmuggeln?

Die Erklärung ist wieder einmal langweilig einleuchtend: Was für das Sehen gilt, trifft auch auf das Hören zu - wenn man etwas hören will, dann hört man es auch. Ein paar von euch sind bestimmt schon auf jene YouTube-Videos gestoßen, in denen es um solche Songverhörer geht - da wird auf einmal aus "I've got the power" von SNAP! der deutsche Name "Agathe Bauer" oder aus "all the leafs are brown" in California Dreaming "Anneliese Braun", Eros Ramazotti singt "lauter Doofe, niemand gescheit", obwohl es eigentlich "Laura dov'è, mi manca sai" heißt, und das bekannte Lied des kamerunischen Pop-Duos Wes, das doch eigentlich in Duala gesungen wird, beginnt mit "Hol mal die Zange" - aber eigentlich singen sie natürlich "Sôh ndêri nsang hé". Anneliese scheint übrigens recht beliebt zu sein - denn das New-Age-Musikprojekt Enigma setzte ihr 1990 in dem Song Sadeness Part I mit dem Satz "Oh Anneliese, popel nicht" ebenfalls ein Denkmal - aber natürlich lautet der lateinische Text "cum angelis et pueris". In einem anderen Artikel habe ich, glaube ich, schon von einem Freund erzählt, der als Fünfjähriger immer "Austria fett" sang, worauf ich diese beiden Worte immer hörte, sobald im Autoradio jener Song von John Lennon zu hören war, wo es im Refrain heißt: "All we are saying [is give peace a chance]". Natürlich sind solche Verhörer besonders häufig, wenn man die gesungene Sprache nicht oder nur unzureichend beherrscht - das Ohr macht aus fremden Klängen schlicht und einfach vertraute. Verhörer können jedoch auch bei deutschen Songs vorkommen - ein bekanntes Beispiel ist etwa ein Satz aus dem Song Pflaster der deutschen Gruppe Ich & Ich, der da lauten soll: "Es tobt der Hamster vor meinem Fenster". In Wirklichkeit heißt es natürlich "es tobt der Hass da vor meinem Fenster". Upsi! Manchmal versteht man auch gar nichts - wie bei dem Song Freestyler von den Boomfunk MCs aus dem Jahr 1999, wo viele nur kryptische Worte verstehen, die nach "waka maka fon" klingen - obwohl es in Wirklichkeit ["Straight from the top of my dome, as I rock, rock, rock, rock,] rock the microphone" heißt. Der Schriftsteller und Journalist Axel Hacke hat solchen Verhörern sogar schon ganze drei Bücher gewidmet: Der weiße Neger Wumbaba ist ein Verhörer aus Matthias Claudius' Gedicht Abendlied: "[...und aus den Wiesen steiget] der weiße Nebel wunderbar." Überflüssig zu erwähnen, dass ich das Lachen herunterbeißen musste, als ich in einer Vorlesung ebendieses Gedicht laut vorlesen sollte.

Wie ihr seht, hab ich wieder einmal eine spannende, mysteriöse Geschichte ein bisschen zu logisch erklärt. Das tut mir leid - wird wieder vorkommen! Ich hoffe, ihr seid dann alle wieder mit dabei. Bis dahin bleibt schön brav - und vor allem gesund!

vousvoyez

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