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Zum Beispiel war das Attentat auf Donald Trump voll total inszeniert - kennt man ja. Und Herbert Kickl ist kein Teil des Establishments und will die "kleinen Leute" vor den ganz pöhsen Ausländern retten. Und wer Superreiche kritisiert, ist ja nur neidisch und so - viel wichtiger ist es, sich verteidigend vor jene zu werfen, die einen in Wirklichkeit meistens nicht mal mit dem Arsch anschauen wollen. Und ich war nicht sechs Monate lang zu faul zum Schreiben, sondern wurde von Aliens entführt - leider haben sie mich wieder freigelassen. So ein Pech auch!
Das Meckern über "die da oben" ist wohl so alt wie die Menschheit selbst - allerdings ist es illusorisch, zu glauben, wir könnten unsere Gesellschaft ohne Regelwerk in den Griff bekommen. Und deswegen möchte ich mich einem Thema widmen, welches kürzlich wieder heiß diskutiert wurde, und dafür möchte ich euch zwei kleine Geschichten präsentieren - auch wenn ich mir sicher bin, dass ihr zumindest eine davon bereits kennt.
Am 6. März 1981 wurde Klaus Grabowski während einer Zeugenaussage vor Gericht mit sechs Schüssen getötet - Schützen war die 30jährige Gastronomin Marianne Bachmeier, deren siebenjährige Tochter Grabowski ein Jahr zuvor ermordet hatte. Anna Bachmeier hatte am 5. Mai 1980 mit Erlaubnis ihrer Mutter die Schule geschwänzt und war auf dem Weg zu einer Freundin gewesen, als der 35jährige Fleischer sie in seine Wohnung lockte, dort mehrere Stunden lang festhielt, mit einer Strumpfhose erdrosselte und anschließend in einem Erdloch verscharrte. Vor Gericht versuchte er mehrmals, eine Teilschuld auf das Kind abzuwälzen - er behauptete, Anna habe versucht, von ihm Geld zu erpressen, indem sie ihm drohte, ihrer Mutter zu sagen, er habe sie unsittlich berührt. Tatsächlich war er bereits wegen sexuellen Missbrauchs vorbestraft: 1976 hatte er sich einer Kastration unterzogen, um aus der Haft entlassen zu werden, jedoch zwei Jahre später durch eine Hormonbehandlung seine sexuellen Triebe wiederherstellen lassen. Laut Bachmeier waren es die Erpressungsvorwürfe gegenüber ihrer Tochter, die sie zu dem Entschluss brachten, dass Grabowski nicht mehr weiterleben dürfe. Ihre Tat und der anschließende Prozess gegen sie sorgten für riesige mediale Aufmerksamkeit - viele Leute solidarisierten sich mit ihr, forderten gar ihren Freispruch. Am Ende wurde sie zu sechs Jahren Haft wegen Totschlags und unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt, allerdings nach zwei Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt. Sie lebte einige Jahre in Lagos (Nigeria) und anschließend in Palermo, ehe ihr 1996 Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde. Daraufhin kehrte sie nach Lübeck zurück, wo sie vor Annas Ermordung gelebt hatte, und starb im September '96 im Alter von 46 Jahren.
Marianne Bachmeier spaltet die Gesellschaft bis heute in zwei Lager: Die einen sehen in ihr eine Heldin, ein Vorbild, ja fast schon eine Heilige, eine liebende Mutter, die ihre Freiheit opferte, um sich noch über ihren Tod hinaus für ihre Tochter einzusetzen; für die anderen war sie eine Rabenmutter, eine kaltblütige Mörderin, die ihr Kind in Wirklichkeit gar nicht geliebt hatte, sondern lediglich die Aufmerksamkeit genoss, die ihr durch die Öffentlichkeit zuteil wurde. Für viele revidierte sich das Bild der fürsorglichen Mutter, nachdem ihre Vergangenheit öffentlich wurde - Bachmeier stammte aus eher schwierigen Familienverhältnissen und hatte bereits in sehr jungen Jahren zwei Töchter zur Welt gebracht, die sie zur Adoption freigegeben hatte; laut einiger Quellen hätte sie auch Anna weggeben wollen. Sie betrieb zusammen mimt ihrem damaligen Lebensgefährten ein Szenelokal in Lübeck, ihre Tochter war sehr viel sich selbst überlassen - Autorin Tanja Stern geht sogar so weit, zu behaupten, Bachmeier habe ihre Mutterliebe erst nach dem Tod ihres Kindes entdeckt. Nun, inwieweit das stimmt, kann ich nicht beurteilen - fest steht, dass sicher auch die große Sympathie, welche der attraktiven jungen Frau entgegenschlug, dafür verantwortlich war, dass ihr Urteil so milde ausfiel. Denn wenn wir ganz ehrlich sind, dann deutet nichts darauf hin, dass Bachmeiers lediglich im Affekt und ohne jeden Vorsatz gehandelt hat - sie hatte sich eine Pistole besorgt und diese ins Gerichtsgebäude geschmuggelt, dessen Sicherheitsvorkehrungen mit den heutigen überhaupt nicht vergleichbar waren, und sie hatte Grabowski so präzise getroffen, dass dies ohne vorheriges Üben nicht möglich gewesen wäre.
Und doch behaupteten und behaupten viele ihrer Sympathisanten, dass sie genauso gehandelt hätten wie sie - liebende Eltern, die allein schon bei dem Gedanken, jemand könnte ihrem Kind so etwas antun, Rachegelüste empfinden; anständige Menschen, die bereit sind, ihre moralischen Grenzen zu überschreiten und eine Mörderin zu glorifizieren. Hier zeigt sich wieder einmal mehr eine Schwachstelle unserer Zivilisation - denn hinter all dem steht im Prinzip nichts anderes als der Volkszorn, welcher nach Genugtuung schreit. Und die Forderung nach einem Recht auf Rache, für welches ein Rechtsstaat eigentlich nicht ausgerichtet ist - gepaart mit der Dämonisierung eines Täters, dessen Opfer man schon allein aufgrund seines Alters keine unbewusste Mitschuld geben kann.
Eine ähnliche Diskussion bietet sich in dem Fall um die 48jährige Claudine "DeeDee" Blanchard an, welche am 14. Juni 2015 in Springfield, Missouri in ihrem Bett tot aufgefunden wurde, ermordet von siebzehn Messerstichen. Sofort machte man sich auf die Suche nach ihrer 23jährigen Tochter Gypsy Rose, die seit ihrer Geburt an mehreren schweren Erkrankungen litt, darunter dem Schlafapnoesyndrom, Muskeldystrophie, Leukämie, Asthma und einem Hirnschaden. Seit ihrem fünften Lebensjahr saß sie im Rollstuhl, seit ihrem zwölften Lebensjahr musste sie über eine Magensonde ernährt werden, sie trug eine Brille und musste zeitweise künstlich beatmet werden, ihr geistiges Niveau war dauerhaft auf dem Stand einer Siebenjährigen. Man befürchtete, dass die schwerbehinderte junge Frau von den Mördern ihrer Mutter entführt worden war; umso überraschter war man, als man sie vierundzwanzig Stunden später bei ihrem Freund Nicholas Godejohn auffand - gesund und munter.
Gypsy Rose Blanchard wurde 1991 in Louisiana geboren; nach dem Hurrikan Katrina, welcher ihr Haus zerstörte, war Dee Dee mit ihr nach Missouri gezogen. Die herzzerreißende Geschichte rund um die aufopferungsvolle Mutter mit ihrer schwerkranken Tochter erhielt bald große Aufmerksamkeit - man sammelte Spenden, sie bekamen von einer Wohlfahrtsorganisation ein Haus zur Verfügung gestellt und dienten als Inspiration für Menschen in ähnlichen Situationen. Dee Dee teilte ihr Schicksal unter anderem auf Facebook - umso irritierender war der Eintrag auf ihrem Account am 14. Juni 2015, der da lautete: "Das Miststück ist tot". Schon bald rückten Gypsy Rose und ihr Freund in den Fokus der Ermittlungen - denn mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass nicht die Tochter die Kranke in der Beziehung war: Gypsy Rose Blanchard war von Geburt an kerngesund, aber ihre Mutter litt an einer extremen Form des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms.
Tatsächlich betrifft das Krankheitsbild Münchhausen by proxy größtenteils Mütter, die Opfer sind daher vor allem deren Kinder. Es handelt sich hierbei um eine psychische Störung ,die sich darin äußert, dass eine Person bei einem anderen Menschen Krankheiten erfindet, übersteigert oder aktiv herbeiführt, um anschließend medizinische Behandlung einzufordern. Häufig wird perfide Manipulation eingesetzt, etwa indem Messdaten verfälscht, Körpersubstrate manipuliert oder mittels Medikamenten, Giften oder körperlicher Misshandlung Symptome herbeigeführt werden. Ziel dieses Handelns ist es, bei seinem Umfeld Aufmerksamkeit und Mitgefühl, vielleicht sogar Bewunderung zu ergattern - all das, was Dee Dee Blanchard in Fülle zuteil wurde. Schon kurz nach Gypsys Geburt erfand sie alle möglichen schweren Erkrankungen, an denen das Mädchen leiden sollte - sie fälschte medizinische Dokumente und Geburtsurkunden, wechselte mehrmals Wohnort und Namen, ließ ihre Tochter von über hundert verschiedenen Ärzten behandeln, wechselte die Klinik, sobald jemand Verdacht schöpfte. Sie verbot Gypsy, sich anmerken zu lassen, dass sie wohl gehen konnte und geistig nicht zurückgeblieben war - ihren Gehorsam erlangte sie mit Schlägen. Dee Dee rasierte ihrer Tochter die Haare ab, damit sie krebskrank aussah, verabreichte ihr Medikamente mit schmerzhaften Nebenwirkungen und unterrichtete sie zu Hause, damit niemand auf die Idee kam, dass sie möglicherweise gar nicht kognitiv beeinträchtigt war.
Doch je älter Gypsy wurde, desto stärker begann sie, das Handeln ihrer Mutter in Frage zu stellen. Als Teenager begann sie, sich aufzulehnen, während Dee Dee alles tat, um die Kontrolle zu behalten. Gypsy Rose fand Zuflucht im Internet, zu dem sie sich heimlich Zugang verschaffte, während ihre Mutter schlief. So lernte sie auf einer christlichen Dating-Plattform Nicholas Godejohn kennen, der vorbestraft war und unter psychischen Störungen litt. Zwischen ihm und Gypsy entspann sich über mehrere Jahre eine virtuelle Liebesbeziehung - die darin gipfelte, dass Gypsy Nicholas bat, ihre Mutter zu töten. Und so betrat Godejohn im Juni 2015 das Haus der Blanchards; Gypsy Rose überreichte ihm ein Messer und versteckte sich im Badezimmer, während er ihre Mutter erstach. Ein paar Tage später riefen besorgte Nachbarn die Polizei; nachdem man Gypsy bei ihrem Freund aufgefunden hatte, wurde sie schnell vom Opfer zur Tatverdächtigen. Ein Jahr später wurde sie wegen Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt - Godejohn bekam lebenslänglich.
Die Öffentlichkeit ist bis heute fasziniert vom Fall Gypsy Rose Blanchard - ein Jahr nach ihrer Verurteilung wurde die Dokumentation Mommy Dead and Dearest ausgestrahlt, es gab zahlreiche Interviews und Liveschaltungen aus dem Gefängnis, TV-Sendungen und eine preisgekrönte True-Crime-Serie folgten. Als ihr nach acht Jahren die vorzeitige Entlassung zugestanden wurde, war sie längst eine Kultfigur - sie erstellte ihren eigenen Instagram-Account, der nahtlos an ihre Popularität anschließt, und ist fast jeden Tag in Talkshows zu Gast, wobei sie erklärt, dass ihr Fokus auf Aufklärung liege und darauf, dass es auch gewaltfreie Wege aus unerträglichen Situationen gibt. Inzwischen hat sie einen ihrer Verehrer geheiratet, zu Godejohn hat sie keinen Kontakt mehr.
Wir sind uns mit Sicherheit alle einig, dass auch dieser Fall wirklich sehr speziell ist - die Täterin war extremer Misshandlung ausgesetzt, und keiner von uns kann mit Gewissheit sagen, wie er (sie, xier etc.) in diesem Fall gehandelt hätte. Die Frage ist allerdings, ob dies eine Anstiftung zum Mord rechtfertigt. Wie ehrlich ist Gypsy Roses Einsicht, was ihre Tat betrifft? Und was ist mit Nicholas Godejohn, dessen Leben sie immerhin zerstört hat? Auf Social Media wird sie gefeiert und zur Heldin stilisiert - die zahlreichen Berichte über sie haben sie nahbar gemacht, und natürlich ist man geneigt, Sympathie zu empfinden für ein Opfer, das irgendwann zum Täter wurde. Manche behaupten jedoch, dass ihr Charakter ebenso manipulativ sei wie der ihrer Mutter - inwieweit das stimmt, kann und will ich allerdings nicht beantworten. Fest steht, dass es ein Mord war, welcher der jungen Frau ihre jetzige Popularität ermöglichte und dass sie nun die Aufmerksamkeit genießt, nach der ihre Mutter so gierig war. Allerdings muss man sich vor Augen rufen, dass Gypsy Rose wohl niemals richtig frei sein wird - von der Geiselhaft der Mutter über das Gefängnis geht es nun in den goldenen Käfig der Öffentlichkeit, ihr Image wird ewig von den Medien bestimmt werden.
Das Wort, das diese beiden Fälle wohl am präzisesten beschreibt, ist Selbstjustiz - der gleiche Akt, dem wohl auch der Anschlag auf Donald Trump vor ein paar Wochen zugrunde liegt. Auch hier ist man geneigt, zu bedauern, dass die dicke Orange den Anschlag überlebt hat - doch abgesehen davon, dass Mord niemals eine Option sein sollte, hätte es auch die Situation nicht verbessert, denn dann wäre er endgültig zum Märtyrer geworden, vielleicht hätte es gar einen Bürgerkrieg gegeben. Aber wie auch immer - Selbstjustiz ist nicht umsonst strafbar, denn sie missachtet das Gewaltmonopol des Staates. Nun sind wir natürlich alle Menschen - und der Wunsch nach Rache und Genugtuung eint uns zu einem gewissen Grad wohl alle. Doch das Verlangen nach Selbstjustiz läuft nicht nur dem Rechtsstaat zuwider, es ist auch gefährlich - sie erinnert an den Begriff des "gesunden Volksempfindens", welcher in wilhelminischer Zeit definiert wurde und die Grundlage der NS-Justiz bildete; im Allgemeinen wird damit eine konservative Grundhaltung bezeichnet, welche "Sitte" und "Anstand" definieren soll. Beliebt sind diese Begrifflichkeiten besonders bei solchen, die so tun, als seien ihre Behauptungen, so irrsinnig sie auch sein mögen, normale und richtige, eben "gesunde" Ansichten, welche in der Bevölkerung ihre Resonanz finden würden. Womit sich der Kreis wieder schließt: Fragen wir uns einmal, was geschehen würde, wenn jeder Recht und Unrecht nach seinem Gutdünken ausleben könnte - wie schnell Menschen ohne Beweise für ihre Schuld von einem wütenden Mob gelyncht werden würden, weil ihnen seine Nase nicht passt. Wir sehen jetzt schon, wie schnell gegen die Unschuldsvermutung gewettert wird, sobald man trotz fehlender Beweise beschlossen hat, eine Person für schuldig zu befinden. Entsprechend muss Selbstjustiz, so verständlich sie auch ist, auch strafbar bleiben - so schwer das manchmal auch hinzunehmen ist angesichts dessen, was Menschen einander antun.
Nun, meine Lieben, ich muss zugeben, ich habe diesen Blog ganz schön schleifen lassen - ich habe es einfach nicht geschafft, mich hinzusetzen und zu schreiben, obwohl ich es mir immer fest vorgenommen hatte. Es liegt nicht daran, dass ich keine Ideen hätte - ich hatte einfach nicht den Kopf, sie auch umzusetzen. Möglicherweise war ich doch ausgelaugter, als ich dachte - aber dennoch hoffe ich, dass ich mich nun öfter aufraffen kann, um wieder was zu schreiben. Bis hoffentlich bald also!
vousvoyez
Bachmeier: https://www.youtube.com/watch?v=PtEve0sBzK4
https://www.youtube.com/watch?v=PtEve0sBzK4
https://www.youtube.com/watch?v=JuqGl7myxwA
Blanchard: https://www.youtube.com/watch?v=aMB4capCeY8
https://www.youtube.com/watch?v=fud_p1KK4nQ
https://www.youtube.com/watch?v=MbTyER0-nj4
https://www.youtube.com/watch?v=eTqUV5xxDLA
Münchhausen by proxy: https://blackbox.podigee.io/2-blackbox-2-munchhausen-by-proxy