Montag, 15. Januar 2024

Wir möchten uns nicht schuldig fühlen für etwas, das in ferner Vergangenheit geschehen ist, aber wir wollen stolz sein auf das, was in noch fernerer Vergangenheit geschah

Foto von Joshua Sukoff auf Unsplash

Und leider bringen wir es bis jetzt nicht zusammen, beide Seiten unserer Geschichte gleichermaßen als gegeben zu akzeptieren - aus diesem Grund landet man ja heutzutage auch so schnell im rechten Eck, sobald man den Verdacht erregt, dem Heimatbegriff ein wenig zu viel Bedeutung beizumessen. Denn auch das schaffen wir aktuell nicht: heimatverbunden zu sein, ohne Leute, die eine andere Heimat ihr eigen nennen als wir, herabzusetzen, weil sie eine andere Heimat ihr eigen nennen als wir. Nun können wir uns ja durchaus darüber einig sein, dass es weder ein Verdienst noch ein Verbrechen ist, in einem Land geboren worden zu sein, da man selbst ja nichts dazu beigetragen hat - aber es ist doch nichts verkehrt daran, für diesen vollkommenen Zufall dankbar zu sein, vorausgesetzt natürlich, man hat nicht etwa in einem Tunnel im Gaza-Streifen das Licht der Welt erblickt oder am Rande eines aktiven Vulkans. Wenn man aber, wie ich, vergleichsweise noch auf Rosen gebettet wurde, ist eine gewisse Dankbarkeit durchaus angebracht, auch wenn angesichts der aktuellen politischen Verhältnisse mein innerer Thomas Bernhard Amok laufen will. Aber ich hab das, glaube ich, ganz gut gelöst: Ich schaue nämlich nach den Nachrichten immer einen Horrorfilm - so beruhige ich mich am besten.

Ja, nach dem unproduktivsten Jahr in der Geschichte dieses Blogs lesen wir uns jetzt endlich wieder - ich kann nicht sagen, ob 2024 besser, gleich schlecht oder gar noch schlechter wird als 2023, aber nachdem ich jetzt genügend Zeit hatte, meine Wunden zu lecken, hoffe ich doch sehr stark, dass Ersteres zutrifft. Wobei das ja jetzt auch nicht sonderlich schwer sein dürfte - zumal der Grund für meine Unproduktivität ja keineswegs die Ereignislosigkeit des vorigen Jahres war. Beispielsweise ist mir aufgefallen, dass die Anzahl der Vulvenwitze in letzter Zeit explodiert zu sein scheint. Und nein, keine Sorge, zu solchen Witzen werde ich mich auch jetzt nicht herablassen - ich fürchte allerdings, wir werden uns angesichts des neuen Hobby-Trends meiner Geschlechtsgenossinnen, ganz viele total witzige "Hihi-ich-mache-Witze-über-Genitalien-ich-bin-total-versaut-und-crazy"-Witze zu erzählen, in Geduld üben müssen: Immerhin waren die weiblichen Geschlechtsorgane vor noch nicht allzu langer Zeit dermaßen tabu, dass ich als Kind noch nicht mal ein Wort dafür hatte. Aber um Entgleisungen dieser Art soll es heute noch nicht gehen - stattdessen möchte ich das neue Jahr mit einer Korrektur beginnen, die sich angesichts des Weltgeschehens nahezu aufdrängt.

Vor etwas mehr als zwei Jahren habe ich mich bereits mit einem Thema auseinandersetzt, welches aktuell leider wieder präsenter geworden ist - nämlich dem Antisemitismus. Ich habe mich dabei vor allem auf die historische Entwicklung bezogen und bin nebenbei auf die Angriffsgeschichte von Gil Ofarim eingegangen, welche sich im Nachhinein als erstunken und erlogen herausgestellt hat. Auch der historische Abriss ist nicht ganz vollständig und korrekt - vor allem, weil ich ein ziemlich großes Kapitel einfach unterschlagen habe. Hier möchte ich korrigierend eingreifen und außerdem auch noch auf aktuelle Aspekte dieses Themas eingehen - hauptsächlich deshalb, weil momentan wieder sehr viel unreflektiert geteilt und nachgeplappert wird; teils aus reiner Unwissenheit, teils aber auch aus Ignoranz oder gar Böswilligkeit. Zur besseren Lesbarkeit möchte ich den Artikel wieder in zwei Teile aufspalten: Im ersten möchte ich vor allem auf aktuelle Ereignisse eingehen, die zu einer neuerlichen Erstarkung des Hasses gegen unsere jüdischen Mitmenschen führen, im zweiten werde ich die unterschiedlichen Strömungen des gegenwärtigen Antisemitismus behandeln.

Zuallererst muss ich mich allerdings selbst bei der eigenen Nase nehmen und bekennen, dass auch ich auf Gil Ofarims Geschichte hereingefallen bin. Ja, es tut mir Leid, auch ich gehöre in diesem Fall zu den Dummen. Ich habe einfach nicht in Betracht gezogen, dass man eine solche Geschichte einfach so erfinden und dann auch noch darauf beharren könnte, als schon längst alles darauf hingedeutet hat, dass es sich um eine Lüge handelt - und damit nicht nur tatsächlichen Opfern die Glaubwürdigkeit nimmt, sondern auch das Leben anderer Menschen durch falsche Anschuldigungen ruiniert. Und mir will nach wie vor nicht in den Kopf, was Herr Ofarim damit bezwecken wollte: Wollte er endlich mal mehr sein als nur ein ehemaliger Bravo-Starschnitt oder hielt er sich tatsächlich für so wichtig, dass er es nicht aushielt, sich wie der ganz normale Pöbel hinten anstellen zu müssen? Ich weiß es nicht - fest steht allerdings, dass er für mich von einer Person, die mir über weite Strecken meines Lebens weitgehend egal war, zu einem Menschen wurde, den zu sehen ich absolut keine Lust mehr habe, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass sich das in absehbarer Zeit noch ändert. Aber gut - es ist wie es ist, und letztendlich ist er selbst derjenige, dem er damit am meisten geschadet hat.

Die ganze Aktion ist um so problematischer, als Antisemitismus momentan leider wieder mal ein brandaktuelles Thema ist - am 7. Oktober 2023 hat die radikal-islamistische Terror-Organisation der Hamas vom Gazastreifen aus ein Massaker unter der israelischen Bevölkerung ausgelöst. Es war die größte Vernichtung jüdischen Lebens seit dem Holocaust. Seitdem befindet sich Israel wieder mal im Kriegszustand - dem nächsten einer langen Reihe von arabisch-israelischen Kriegen. Aber es ist keineswegs der Angriff der Hamas, welcher für weltweite Proteste sorgt, sondern der Rückschlag Israels im Gazastreifen. Tatsächlich haben Gewaltakte gegen Juden wieder zugenommen, und Linke laufen widerspruchslos auf Demonstrationen von Hamas-Anhängern mit, auf denen offener Judenhass propagiert und Nazi-Parolen skandiert werden. Und das, obwohl sie doch angeblich voll total gegen Nazis sind - und auch alle als solche bezeichnen, die nicht stumpf ihre Ansichten nachplappern. Wie kann sowas nur passieren?

Ganz offensichtlich ist vielen von ihnen nicht klar, dass es sich bei der Ideologie, die sie verteidigen, um eine völkisch-nationalistische, antisemitische Blut-und-Boden-Ideologie handelt, welche ihre Ursprünge nirgendwo anders als in Nazi-Deutschland hat. Das Problem ist, dass sich viele Anhänger linker Strömungen moralisch überlegen fühlen - und wer glaubt, dass er immer Recht hat, dem fällt es natürlich besonders schwer, eigene Fehler einzugestehen und zuzugeben, dass er (oder sie oder es) auch mal im Unrecht war. Und dabei lehrt uns die Geschichte doch, dass eine Querfront aus Rechts- und Linksextremisten zu nichts Gutem führt: denn diese verhalf einst auch jemandem zum Sieg, welcher ansonsten möglicherweise ein schlechter, aber harmloser Postkartenmaler geblieben wäre.

Das aktuelle Problem ist, dass selbst jene Medien, die ansonsten als seriös wahrgenommen werden, Hamas-Propaganda weitergegeben haben - und ja, die Menge an Fake News, welche uns gerade zu diesem Thema erreicht, ist tatsächlich unüberschaubar. Deswegen möchte ich auch gar nicht auf einzelne Meldungen eingehen, sondern lediglich versuchen, das Gut-Böse-Schema, welchem viele von uns aufsitzen, ein wenig aufzubrechen. Denn natürlich plappern alle möglichen Social-Media-Helden unreflektiert nach, was so im Netz kursiert.

Momentan wird jüdisches Leben von drei Seiten massiv bedroht: Von Rechtsradikalen und Neonazis, für die "der Jude" ohnehin das personifizierte Feindbild ist; von islamistischen Fundamentalisten, welche sich auf ihren Glauben berufen, selbst wenn dieses Ausmaß an Hass und Gewalt diesem zuwiderläuft; und von sich moralisch überlegen fühlenden Möchtegern-Linken und Pseudo-Intellektuellen, für die vermeintliche oder tatsächliche Opfer sowieso immer mit Heiligen gleichgesetzt werden - es sei denn, sie widersprechen ihnen. Und das Narrativ des Nahost-Konflikts passt da nur allzu gut: die bösen Israelis, die den guten Palästinensern ihr Land weggenommen haben und sich seitdem dort breit machen.

Dabei ist die Geschichte bei weitem nicht so einfach, wie sie dargestellt wird. Das fängt schon mit Begriffen wie "Palästina" oder "Zionismus" an: Viele berufen sich auf den Begriff "Zionismus", um ihren Antisemitismus zu rechtfertigen, und stellen diesen als etwas ganz Böses dar - obwohl es im Prinzip um nichts anderes geht als um das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat, welcher gewährleistet, dass Juden nicht mehr von der Gnade anderer abhängig sind, eine Idee, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Ebenso wird gerne außer Acht gelassen, dass es nie einen Staat gab, der Palästina hieß - das historische Palästina war eine römische Provinz, welche ursprünglich Gebiete im heutigen Israel und Jordanien bezeichnen. Nach dem Fall des Römischen Reiches gab es keine Region mehr, die diesen Namen trug - erst um 1920 wurde er von den Briten wiederbelebt, als diese das Mandatsgebiet Palästina ausriefen: Ein palästinensisches Volk gab es allerdings niemals - erst 1964 erfolgte die Definition eines solchen durch Jassir Arafat, welcher mit dem Begriff eine "reinrassige" arabische Bevölkerung definierte und gleichzeitig Christen und Juden das Recht auf ihr Land aberkannte. Außerdem formulierte Ahmad Shurkeiri die palästinensische Nationalcharta, welche Waffengewalt als einzige Option zur Befreiung nannte - nicht nur in Palästina, sondern weltweit. Dies erklärt wohl auch, warum die Ermordung und Verschleppung jüdischer Menschen am 7. Oktober 2023 ernsthaft mit der Verteilung von Baklava gefeiert wurde.

In Wirklichkeit geht es darum, Juden das Recht auf Selbstbestimmung im eigenen Land zu nehmen, obwohl die Gründung des Staates Israel völkerrechtlich anerkannt wurde: 1948 wurde das Gebiet des heutigen Israel offiziell an die Juden gegeben, die Araber erhielten dafür Jordanien. Außerdem wurde der Küstenstreifen zwischen Israel und Ägypten, der Gazastreifen, nach dem Ersten Arabisch-Israelischen Krieg 1948/49 zu einem Teil der palästinensischen Autonomie; da er 2007 von der Hamas okkupiert wurde, steht er seitens Israel unter Beschuss. Interessanterweise ist die israelische Armee jedoch offensichtlich darum bemüht, die zivilen Opfer so gering wie möglich zu halten - dass es diese gibt, ist unbestritten, ebenso wie unbestritten ist, dass Krieg niemals etwas Gutes ist. Es ist halt leider einfach, die Konflikte anderer im Internet auszufechten - das hat man ja auch schon beim Ukraine-Krieg gesehen, als die Leopardenpanzer auf TikTok mit Leoparden-Outfits gefeiert wurden, so als handle es sich um ein aufregendes Spiel und nicht um eine Offensive, bei der Menschen ihr Leben lassen müssen. Und da ist es auch egal, auf welcher Seite man steht: So etwas zu feiern zeugt nicht gerade davon, dass man weiß, wofür man sich da einsetzt. Genauso ist auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung nichts, was man leugnen oder gar bejubeln soll - es ist nun mal ein Krieg, egal wie man es dreht oder wendet, und Krieg verursacht immer Leid.

Das Ding ist halt, dass gerade die radikal-islamistische Terror-Einheit Hamas einen eliminatorischen Antisemitismus pflegt - ihnen geht es darum, alle Juden weltweit zu vernichten, und das kommt nicht von ungefähr: Denn die Ideologie der Shoah aus Nazi-Deutschland wurde damals auch in die arabische Welt exportiert, und bis heute hat man sich ganz offensichtlich nicht damit auseinandergesetzt. Tatsächlich habe ich schon Ausschnitte aus dem palästinensischen Kinderfernsehen gesehen, in denen antisemitische Botschaften vermittelt wurden - diese Menschen werden von klein auf manipuliert, und das schon seit Generationen. Das begann bereits 1928 mit der Gründung der Muslimbruderschaft in Ägypten und ihrer Kooperation mit dem von den Briten eingesetzten Großmufti von Israel Mohammed Amin al-Husseini - dieser suchte Hilfe bei Hitler, um die Juden aus Palästina zu vertreiben. Infolgedessen ist auch der Einfluss der Nazi-Ideologie während des Zweiten Weltkriegs auch auf das arabische Volk nicht zu unterschätzen, welcher sich mit dem Islamismus verband. Mit anderen Worten, Nazi-Deutschland und Großbritannien tragen tatsächlich auch eine gewisse Mitverantwortung am Nahost-Konflikt. Auch die 1987 gegründete Hamas fordert offen die Vernichtung aller Juden, weshalb sie die 1993 in Aussicht stehende Zweistaatenlösung ebenso ablehnte wie die rechtsradikalen Anhänger von Benjamin Netanjahu. Auch das Massaker am 7. Oktober richtete sich massiv gegen Leute, welche sich für den Frieden zwischen der jüdischen und muslimischen Bevölkerung einsetzten - einer der Schauplätze des Massakers war ein Musikfestival in der israelischen Negev-Wüste, welches als Friedensfestival gedacht war.

Wir können also zusammenfassen: Der Antisemitismus in unseren Breiten ist sowohl hausgemacht als auch importiert, und er findet im linken Spektrum ebenso statt wie im rechten. Die Behauptung, man sei nicht gegen die Juden, sondern nur gegen die Zionisten, hat sich schon deshalb als Ausrede entlarvt, weil auch Personen jüdischen Glaubens beschimpft und bedroht werden, die mit dem Nahost-Konflikt nichts zu tun haben - einfach nur, weil sie Juden sind. Edel ist es, die toten Juden aus dem Zweiten Weltkrieg zu beweinen - aber sobald sie sich zur Wehr setzen, sind sie doch wieder die bösen. Und das ist nicht erst seit 2023 zu beobachten - seit 1948 blitzen solche Tendenzen immer wieder auf, und das teilweise durchaus auch in gebildeten Kreisen. Denn die Notwendigkeit von Bildung ist zwar unbestritten, sie ist aber kein Allheilmittel: Vergessen wir nicht, dass auch Intellektuelle wie etwa Voltaire oder Luther leidenschaftliche Judenhasser waren und dass Akademiker zu den ersten gehörten, die sich 1933 mit dem NS-Staat identifizierten. Desgleichen gehören Juden- und Israelhass zusammen, denn ohne Judenhass hätte es niemals einen Zionismus gegeben: In Wirklichkeit ist Israelhass also nichts weiter als die geographische Erweiterung des altbekannten Judenhasses. Und aktuell ist dies nur eines von vielen Problemen - momentan zeigen rechtsradikale Parteien wie FPÖ und AfD ihr rassistisches, völkisch-nationales Gesicht deutlicher denn je. Und anstatt sich dagegen zu stellen, ergehen wir, die Gegenseite, uns in Grabenkämpfen - was genauso problematisch ist, denn es verhilft jenen, denen wir keine Macht zugestehen wollen, genau dazu.

Wir sehen also, dass bezüglich Israel und Palästina eine Menge Falschbehauptungen kursieren, die leider nicht immer so leicht von Fakten zu unterscheiden sind. Deswegen möchte ich in meinem nächsten Artikel auf ein paar konkretere Beispiele eingehen. Bis dahin hoffe ich, dass ihr eine gute Zeit habt und die Eiseskälte irgendwie übersteht. Bon voyage!

vousvoyez


Atlas: https://www.youtube.com/watch?v=XQGrGol-vUQ

Die da oben: https://www.youtube.com/watch?v=YkexQ7eUEeI

Tobias Huch: https://www.youtube.com/watch?v=Dbj2DVptQHQ

https://www.youtube.com/watch?v=n1TPI1IEDWc&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=132

https://www.youtube.com/watch?v=NowiEki0ElI&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=136

Rbb: https://www.youtube.com/watch?v=XfJqbLFSpNM&t=0s

Peter's Coffee: https://www.youtube.com/watch?v=LKByb8I_rXE&t=0s



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