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Photo by Sarah Brown on Unsplash |
In meiner Trilogie zur Rechtsesoterik habe ich ja ziemlich ausführlich auf die Schnittpunkte zwischen Esoterik, der Hippie-Ideologie und Rechtsextremismus verwiesen. Gleichzeitig habe ich auch ein wenig erklärt, warum der sonnenselige Hippie-Traum von Liebe und Frieden ziemlich schnell ausgeträumt war und dabei auf toxische Gruppierungen verwiesen, welche diesen unter anderem zerstörten. Heute möchte ich auf eine von ihnen eingehen, weil ich kürzlich einen recht spannenden Podcast dazu gehört habe und Lust hatte, mich ein wenig damit auseinanderzusetzen. Also habe ich beschlossen, dies mit euch zu teilen. Deswegen möchte ich heute ein wenig näher auf Charles Manson und seine berüchtigte "Familie" eingehen.
Charles Manson wird gerne als einer der berüchtigtsten Serienkiller bezeichnet - dabei wird allerdings oftmals vergessen, dass er kein Mörder im klassischen Sinne war. Tatsächlich haben zwar einige Menschen durch seine Schuld auf grausame Art und Weise ihr Leben verloren, aber er hat keinen von ihnen eigenhändig umgebracht - er war bei den Morden nicht einmal persönlich zugegen. Trotzdem wird er bis heute als der Inbegriff des Bösen gehandelt, hatte bis zu seinem Tod eine beachtliche Fanbase und ist aus der Popkultur auch heute nicht mehr wegzudenken. Deswegen möchte ich heute der Frage nachgehen, wer er eigentlich war und versuchen, mal ein bisschen eine andere Perspektive aufzuzeigen.
Charles Miles Maddox wurde 1934 in Cincinnati, Ohio als uneheliches Kind der sechzehnjährigen Kathleen Maddox geboren. Ein paar Monate nach der Geburt ihres Kindes heiratete sie William Manson, dessen Nachnamen Charles annahm - seinen leiblichen Vater lernte er nie kennen. Kathleen entstammte wohl selbst einer eher verwahrlosten Familie und war wohl keine Person, der man ein kleines Kind anvertrauen würde - fünf Jahre nach der Geburt ihres Sohnes wurde sie wegen bewaffneten Raubüberfalls inhaftiert, der Junge kam in dieser Zeit bei Verwandten unter. Nach ihrer Entlassung lebte sie mit Charles in heruntergekommenen Hotels, hatte Alkoholprobleme und zahlreiche Affären. Mit zwölf kam Manson in ein Erziehungsheim, wo er als launenhaft, nicht anpassungsfähig und wenig lernbereit eingestuft wurde, außerdem attestierte man einen Verfolgungswahn. Bis er zwanzig war, verbrachte er die meiste Zeit in verschiedenen Jugendstrafanstalten und Gefängnissen, dazwischen brach er immer wieder aus und war an verschiedenen Raubüberfällen beteiligt. Man erkennt also, dass er eine sehr instabile Kindheit hatte und schon früh kriminelles Verhalten zeigte; die wichtigste Überlebensstrategie für ihn war jedoch manipulatives Verhalten, das er sich schon sehr früh aneignete und das bis zu seinem Tod sein hervorstechendes Merkmal bleiben würde. Die schwierige Kindheit ist selbstverständlich keine Entschuldigung für seine Taten - sie zu verstehen, hilft jedoch dabei, ihn als Menschen adäquat einordnen zu können. Mit etwa achtzehn schien er sich jedoch zu rehabilitieren - er brachte sich selbst Lesen und Schreiben bei und ging zum ersten Mal einer geregelten Arbeit nach. Am 8. Mai 1954 wurde er wegen guter Führung auf Bewährung entlassen.
1955 heiratete er, seine Frau wurde schon bald schwanger, und er versuchte, sich ein halbwegs solides Leben aufzubauen - eine Ambition, die jedoch nicht lange vorhielt, und so landete er bald wieder im Gefängnis. Seine Frau lernte inzwischen einen anderen Mann kennen und ließ sich scheiden, auch zu seinem Kind hatte er von da an keinen Kontakt mehr. Auch seine zweite Ehe hielt nicht lange, dazwischen verdingte er sich als Zuhälter und verstieß mehrmals gegen die Bewährungsauflagen, so dass er 1961 eine zehnjährige Haftstrafe antreten sollte. In dieser Zeit beschäftigte er sich mit der Scientology-Lehre und lernte, auf der Gitarre zu spielen. Mitte der 1960er Jahre entdeckte er die Beatles und ihre Musik, die seinen Bestrebungen eine neue Richtung gaben - die ungeheure Popularität der vier jungen Liverpooler und die riesige Masse an Fans, die sie anzogen, erweckten in dem 1,57 m kleinen Häftling den Wunsch, ebenfalls ein berühmter Musiker zu sein und Menschenmassen zu begeistern, und er begann, zu komponieren - nach den Morden nahm er während seiner Haft sogar ganze Alben auf. Im März 1967 wurde er vorzeitig entlassen - er war 32 Jahre alt und hatte mehr als die Hälfte seines Lebens in Besserungsanstalten und Gefängnissen verbracht. Es überrascht also nicht, dass er in Gefangenschaft besser zurechtkam als in Freiheit.
Als Manson entlassen wurde, war die Hippie-Ära gerade auf ihrem Höhepunkt. Die Jugend suchte nach Orientierung, stellte die Werte der konservativen Gesellschaft in Frage, wollte Freiheit, lehnte sich auf, suchte nach neuen Regeln und Werten und war entsprechend auch für vieles offen. Dies waren ideale Bedingungen für Manson - vertraut mit manipulativem Verhalten, erfasste er intuitiv sehr schnell, auf welche Weise er dadurch seine persönlichen Vorteile ziehen konnte. Also ging er nach Berkeley, verdingte sich dort als Bettler und Straßenmusiker und lernte schließlich die 23jährige Bibliotheksgehilfin Mary Brunner kennen, bei der er einzog und die in Folge das erste Mitglied der Manson Family wurde - außerdem war sie die Mutter seines dritten Sohnes. Ihr folgte die neunzehnjährige Obdachlose Lynette Fromme, genannt "Squeaky". Den Sommer 1967, in der Popkultur als "Summer of Love" bekannt, verbrachte Manson mit ihnen und ein paar anderen in Haight-Ashbury, einem der Zentren der Hippie-Kultur. Sie praktizierten "freie Liebe", machten Musik, lebten von dem Gratis-Essen, das von gemeinnützigen Organisationen verteilt wurde, und nahmen natürlich auch Drogen - vor allem LSD. Von Anfang an pickte sich Manson die jungen Leute, vor allem Mädchen und Frauen, heraus, die aus problematischen Familienverhältnissen kamen und nach einer Vaterfigur suchten, wobei er es verstand, sich ihre Naivität zunutze zu machen. In meinem Artikel über Wahrsagen habe ich ja erklärt, was Cold Reading bedeutet - in etwa so ist auch Manson vorgegangen, und so gelang es ihm, eine Gruppe junger Frauen und ein paar Männer um sich zu scharen, die bereit waren, ihm überallhin zu folgen, ohne ihn je in Frage zu stellen. Sie reisten zuerst in einem VW-Bus, dann in einem schwarz angemalten Schulbus durch verschiedene Bundesstaaten der USA - wie es damals halt bei vielen so üblich war. Unterwegs sammelten sie etliche weitere Anhänger und Innen ein, die Jüngste war erst vierzehn - und Manson schaffte es tatsächlich, nach ein wenig LSD ihren Vater davon zu überzeugen, sie bei ihm zu lassen. Ende November, Anfang Dezember 1967 zog die "Familie" in ein Haus im Topaga Canyon im Los Angeles County, das einer Satanistin gehörte.
Das vielleicht Merkwürdigste an Manson ist, dass seine Weltanschauung nicht so recht zur gängigen Hippie-Philosophie zu passen schien. So hielt er beispielsweise absolut nichts von der damals allmählich erstarkenden Frauenbewegung, im Gegenteil - er war der Ansicht, dass sich die Frau dem Mann klaglos unterzuordnen und ihm zu dienen habe und dass Frauen ganz allgemein keine Seele hätten. Da er jedoch die Herrscher- in eine Beschützerrolle umdeutete, konnte er seine Anhängerinnen davon überzeugen, dass alles nur zu ihrem Besten geschehe. Und da er die Schwachpunkte anderer schnell erkannte, schuf er schon bald eine sektenartige Struktur innerhalb seiner "Family", die er mit strenger Autorität führte; neue Mitglieder wurden mit Hilfe von Drogen und Sex angeworben und gefügig gemacht. Außerdem war Mansons Philosophie zutiefst rassistisch: Er prophezeite, dass die schwarzen Amerikaner 1969 einen Aufstand beginnen und in den Villen reicher Weißer grausame Morde begehen würden, die nur die Manson Family überleben würde. Da die Schwarzen jedoch zu dumm seien, um ihren Herrschaftsstatus aufrecht zu erhalten, würden sie irgendwann einmal ihn, Charles Manson, freiwillig mit der Weltherrschaft betrauen. Er lockte also mit dem üblichen Versprechen: der Zugehörigkeit zu einem exklusiven "Club", der allen anderen überlegen sei. Um die vollständige Unterwerfung all seiner Anhänger zu gewährleisten, sortierte Manson allerdings immer wieder Mitglieder aus, die es wagten, etwas von ihm in Frage zu stellen - auf diese Weise blieben nur diejenigen übrig, die ihn kritiklos anbeteten und ihm widerspruchslos folgten. Denen erzählte er dann, dass er Jesus und Satan in einer Person sei sowie die Wiedergeburt von Aleister Crowley.
Viele Anhängerinnen Mansons schafften Geld und Nahrungsmittel durch Prostitution herbei, außerdem schickte er immer wieder die Hübschesten von ihnen aus, um neue Mitglieder anzuwerben. So lernten zwei seiner Mädchen beim Trampen Dennis Wilson, den Schlagzeuger der Beach Boys, kennen, und machten ihn mit Manson bekannt. Die beiden philosophierten, nahmen gemeinsam Drogen, machten Musik und schrieben Songs miteinander; in Folge nahmen er und seine Brüder ein Demo-Band mit Manson auf. Die Manson Family nistete sich außerdem in Wilsons Villa am Sunset Boulevard ein und ließ sich von ihm durchfüttern. Mansons musikalische Ambitionen hingen wohl mit seiner narzisstischen Persönlichkeit zusammen - zur damaligen Zeit sind ja nicht nur die Beatles, sondern auch viele andere junge Musiker mit ihrem Talent sehr erfolgreich geworden, und er erhoffte sich ebenfalls einen Platz in diesem Olymp. Wie viele, die aus einem Umfeld stammen, das gesellschaftlich geächtet wird, war es sein Ziel, eines Tages reich und berühmt zu sein. Gleichzeitig baute er die Beatles sehr in seine Phantasiegeschichten mit ein - vor allem ihr Weißes Album hatte es ihm angetan, auch wenn es nach meinem Dafürhalten nicht unbedingt ihr bestes ist. In seiner "Lehre" bezog er sich auf viele Songs gerade aus diesem Album. So bezeichnete er seine apokalyptischen "Visionen" eines Rassenkrieges in Anlehnung an einen dieser Songs als "Helter Skelter", während er das Lied "Piggies" auf dessen angebliche Opfer, die Oberschicht, bezog. Außerdem behauptete er, die Beatles würden als die vier apokalyptischen Reiter ihn und alle Mitglieder der Manson Family zusammen mit Jesus in die ewige Seligkeit führen. Bei der Methode, sie gefügig zu machen, spielten auch Drogen eine nicht unwesentliche Rolle - vor allem LSD, mit dessen Hilfe er ihr Bewusstsein und ihre Empfindungen veränderte. Dabei nahm er insgeheim nie so viel wie die anderen, um den Eindruck absoluter Selbstkontrolle zu erwecken. Und so schaffte er es, sie glauben zu machen, was sie vorher nie geglaubt hatten, und zu tun, was sie sonst nie getan hätten - und je mehr ihrer persönlichen Grenzen er zerstörte, desto leichter war es für ihn, sie dazu zu bringen, zu tun, was er wollte.
Über Dennis Wilson lernte Manson den Musikproduzenten Terry Melcher, Sohn der Sängerin und Schauspielerin Doris Day, kennen. Dieser zeigte zwar Interesse an seiner Musik, doch das reichte nicht aus, ihn tatsächlich unter Vertrag zu nehmen. Dafür übernahmen die Beach Boys die Melodie seines Songs Cease to Exist, der Text wurde jedoch stark verändert und trug am Ende den Titel Never Learn Not To Love. Das waren wohl die beiden stärksten narzisstischen Kränkungen, die Manson zugefügt wurden - auf der einen Seite der Produzent, der ihm den Plattenvertrag verwehrte, auf der anderen Seite die Band, die einen seiner Songs übernahm und ihn nicht einmal als Autor erwähnte. Wie alle Betrüger, so schätzte auch er es nicht, wenn er auf einmal der Betrogene war, und Gerechtigkeit war in seiner Welt nur das, was für ihn selbst gerecht war. Nun kann man natürlich spekulieren, was gewesen wäre, wenn es anders gekommen wäre, aber das hat wenig Sinn - im Großen und Ganzen kann man aber sagen, dass diese Kränkungen offenbar etwas in ihm ausgelöst hatten: Als er begriff, dass er nicht Superstar werden konnte, beschloss er, stattdessen als Superschurke in die Geschichte einzugehen und sich gleichzeitig zu rächen.
Mitte 1968 zog die Family auf die Spahn Movie Ranch, ein Filmgelände in der Nähe von Los Angeles, das vor allem für Westernfilme sehr beliebt war. Es hatten sich inzwischen psychische und physische Gewalt in die Kommune eingeschlichen, vor allem aber wuchs die Gewalt gegen Außenstehende. Der erste Mord an dem Musiklehrer Gary Hinman war wohl so etwas wie ein Test, der zeigen sollte, wie weit zu gehen Mansons Anhänger bereit waren. Mansons zutiefst instabiler Charakter zeigte sich vor allem dadurch, dass er immer die absolute Bestätigung von seinen Anhängern forderte und mit dieser dennoch nie zufrieden war. Es ging ihm eigentlich nur darum, sich selbst aufzuwerten, indem er seinen Anhängern den liebenden Vater vorspielte - in Wirklichkeit waren sie ihm aber vollkommen egal, und sie waren auch austauschbar. Er bestimmte alles, was innerhalb der Kommune geschah, einschließlich der Frage, wer mit wem Sex haben durfte, und wer kritische Fragen stellte, wurde aussortiert. Eine tiefgründige Philosophie schuf er nicht, und ich bin mir auch nicht sicher, ob er auch nur die Hälfte von dem, was er verzapft hat, tatsächlich auch selbst glaubte. Er hat aber ganz offensichtlich recht gut begriffen, dass Sekten immer mit einem gewissen Eliteversprechen arbeiten - und Rassismus war in der damaligen Zeit auch nichts Ungewöhnliches. Den Mord an Hinman ließ er einen seiner wenigen männlichen Anhänger, den Musiker Bobby Beausoleil, ausführen, nachdem er selbst den Raum verlassen hatte - er wollte zwar Macht über Leben und Tod, hatte aber kein Interesse daran, selbst Hand anzulegen. Nach dem Mord schrieben sie mit Hinmans Blut "Political Piggy" an die Wände. kurz darauf wurde Beausoleil gefasst und in Untersuchungshaft genommen.
Inzwischen war Wilson aus seiner Villa in Bel Air ausgezogen, sein Management hatte die Manson Family vor die Tür gesetzt; nachdem Manson mit der Entführung seines Sohnes gedroht hatte, beschlossen er und Melcher, für eine Weile unterzutauchen. Melcher vermietete sein Haus an den Regisseur Roman Polański und dessen schwangere Ehefrau Sharon Tate, deren Gesicht vielen von uns sicher noch aus dem Film Tanz der Vampire bekannt ist. In der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 drangen vier Mitglieder der Manson Family gewaltsam in das Haus ein; Polański weilte noch in London, Tate war mit Freunden in dem Haus. Sie alle wurden mit Messerstichen und Schüssen auf bestialische Weise ermordet, nachdem sie zuvor einen jungen Mann getötet hatten, der mit dem Hauswart befreundet und zufällig gerade anwesend war. Sharon Tate soll ihre Mörder noch vor ihrem Tod angefleht haben, wenigstens ihr Kind zu verschonen - anschließend schrieb Susan Atkins, die Manson auf einer Party in Haight-Ashbury kennen gelernt hatte, mit dem Blut der Schauspielerin "PIG" an die Haustür. Manson waren hier ganz offensichtlich nicht die Opfer wichtig, sondern der Schauplatz - außerdem wollte er wohl auf diese Weise die von ihm vorausgesagten Rassenunruhen provozieren und gleichzeitig eine Atmosphäre der Angst schaffen. Außerdem griff er die aktuelle Stimmung in der Gesellschaft auf, denn die Angst vor einem Bürgerkrieg war damals allgegenwärtig. Einen Tag später ermordeten ein paar Mitglieder der "Family" das erfolgreiche Unternehmer-Ehepaar Leno und Rosemary LaBianca in ihrem Haus in Los Feliz, Los Angeles. In Leno LaBiancas Bauchdecke war das Wort "WAR" geritzt worden, in seiner Kehle steckte ein Brotmesser, in seinem Bauch eine Gabel. Auf dem Kühlschrank standen mit Blut die Worte "Healter Skelter", an den Wänden waren "Rise" und "Pigs" hinterlassen worden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass Rosemary LaBiancas Geldtasche in einem Schwarzenviertel deponiert worden war, damit die Leute dort ihre Kreditkarten benutzten und man ihnen die Morde anlasten konnte. Der Grund, warum ausgerechnet die LaBiancas ausgewählt wurden, die die Mansons nur vom Sehen kannten, ist bis heute unklar - möglicherweise wollte Manson damit signalisieren, dass niemand vor ihm sicher war.
Eine Woche später wurden einige Mitglieder der Manson Family wegen Autodiebstahls festgenommen. Manson verdächtigte den Stuntman Donald "Shorty" Shea, sie verraten zu haben - nach der Entlassung der Family-Mitglieder verschwand er spurlos, seine Leiche wurde jahrelang nicht gefunden. Am 12. Oktober wurde die Manson Family bei einer Razzia festgenommen, nachdem sie eine Straßenbaumaschine angezündet hatten, und wegen Brandstiftung und schweren Diebstahls angeklagt. Eine Woche nach ihrer Inhaftierung stellte sich heraus, dass Susan Atkins vor zwei ihrer Mitgefangenen mit ihrer Beteiligung an den Tate- und LaBianca-Morden angegeben hatte - schon bald konnte man ihnen die Urheberschaft daran nachweisen, ebenso wie an dem Mord an Gary Hinman und dem Verschwinden von Donald Shea. Selbst in dieser Situation hatte Manson seine "Jünger" noch fest im Griff, und es war auch offensichtlich, dass sie die meiste Zeit unter dem Einfluss von Drogen standen, die während der Verhandlung ins Gefängnis geschmuggelt worden waren. Während des Prozesses ritzte sich Manson ein X auf die Stirn - symbolisch dafür, dass er sich aus der Gesellschaft ausgestrichen hatte -, was seine Anhänger sofort nachmachten. Im Prozessverlauf wandelte er dieses X in ein Hakenkreuz um, das bis zu seinem Tod sehr prominent zu sehen war. Am 29. März 1971 wurden die Angeklagten zum Tode in der Gaskammer verurteilt - nach der Abschaffung der Todesstrafe 1972 wurde die Strafe in lebenslänglich umgewandelt. Manson starb 2017 im Alter von 83 Jahren im California State Prison Corcoran an Darmkrebs.
Auffällig ist, dass er auch während seiner Zeit im Gefängnis noch Anhänger generierte - und das, während viele Mitglieder der Family zu ihrer Haftzeit anfingen, sich zu distanzieren und ihre Taten zu bereuen. Tatsächlich haben manche von ihnen eine erstaunliche Entwicklung hinter sich, wurden erwachsen und reflektiert - was natürlich das, weswegen sie in Haft sind, nicht relativiert, aber vielleicht hilft es anderen, daraus zu lernen und ein wenig vorsichtiger zu sein. Wobei ja nicht alle Menschen in gleichem Maße anfällig sind für Manipulation - deswegen selektierte Manson seine Mitglieder auch immer wieder und fokussierte sich vor allem auf junge, unerfahrene Menschen mit problematischem familiärem Hintergrund, die er mit Hilfe gruppendynamischer Methoden in Verbindung mit Drogen gefügig machte. Auf diese Weise brachte er zu dem Punkt, an dem sie nicht mehr hinterfragen konnten, da sie sonst nicht mehr Teil jener "Familie" gewesen wären, bei der sie ein Zuhause gefunden hatten - emotionale Erpressung, wie es in vielen Sekten auch üblich ist. Auch diejenigen, die die Morde begingen, wurden schon sehr genau ausgewählt - und das waren vor allem jene, die sich schon in hinreichendem Maße abhängig gemacht hatten. Der ideologische Part tat dabei sein übriges - sie wussten sehr wohl, dass das, was sie taten, falsch war, aber sie taten es ja sozusagen für einen "höheren" Zweck, und deswegen waren sie in diesem Moment überzeugt, etwas Gutes zu tun. Etwas Ähnliches hatten wir ja beispielsweise auch bei dem Mord in Idar-Oberstein: Der Täter war überzeugt, zu den "Guten" zu gehören, aber um ein Ziel zu erreichen, das er für "gut" befand, musste er etwas Schlechtes tun.
Doch obwohl die meisten ehemaligen Mitglieder der Familie sich im Gefängnis von ihm abwandten, gab es noch diejenigen, die unverbrüchlich zu ihm hielten - allen voran die bereits schon erwähnte Lynette Fromme, die bei den Morden interessanterweise nie dabei war und deshalb natürlich auch nicht mit den anderen inhaftiert wurde. Sie fungierte nach den Verhaftungen immer noch als sein Sprachrohr, und der missglückte Anschlag auf US-Präsident Gerald Ford hatte im Großen und Ganzen nur das Ziel, ins Gefängnis zu kommen und ihrem "Guru" nahe zu sein. Sie kam aus einer der kaputtesten Familien und schaffte es offenbar nie, aus der Rolle, die ihr zugeteilt wurde, herauszukommen - bis heute erklärt sie in Interviews, dass sie Manson liebt und dass er ihr Gott ist. Und es gab noch Jahre später neue Fans, beispielsweise Afton Elaine Burton, die sich "Star" nannte und Manson jahrelang Briefe ins Gefängnis schrieb, ihn sogar heiraten wollte - sie sieht der 2009 verstorbenen Susan Atkins äußerlich sehr ähnlich und war zumindest zu Mansons Lebzeiten in ihrem Verhalten ein Abbild der Frauen aus der Manson Family, die alle sehr kindlich wirkten. Das war auch genau Mansons Beuteschema, denn bei erwachsenen, selbstbewussten Frauen wäre er niemals so erfolgreich gewesen. Die Frage ist, ob sich "Star" ihrem Idol unbewusst untergeordnet hat oder ob sie, genauso wie er, ebenfalls eine Betrügerin gewesen ist - es gibt ja den Verdacht, dass sie nach seinem Tod Anspruch auf seinen Leichnam erheben wollte, um auf diese Weise Geld zu verdienen.
Das vielleicht wirklich Tragische an der ganzen Geschichte ist, dass Manson im Gefängnis genau das bekommen hat, was er immer schon wollte - nämlich Aufmerksamkeit. Da er den Großteil seines Lebens in Gefängnissen verbracht hatte, war er in Haft möglicherweise glücklicher als in Freiheit - und zusätzlich hatte er auch noch eine riesige Fanbase. Die größte Strafe für ihn wäre mit Sicherheit gewesen, wenn er gänzlich in Vergessenheit geraten wäre, aber daran war von Anfang an nicht zu denken - schon der Prozess war von gewaltigem öffentlichem Interesse, und Manson wusste sehr genau, dass sein Ruhm noch über seinen Tod hinausreichen wurde. Tatsächlich wird der Manson-Kult von Generation zu Generation weitergetragen - schon in den 1970er Jahren wurden Merchandise-Artikel mit seinem Konterfei verkauft, an denen er teilweise sogar mitverdiente, bis heute wird er immer wieder als düstere Ikone der Popkultur und Personifikation des absolut Bösen stilisiert, viele berühmte Musiker bedienten sich an seinen Songs oder Zitaten. Brian Warner wählte sogar seinen Künstlernamen, indem er den Vornamen der Schauspielerin Marilyn Monroe mit dem Nachnamen von Charles Manson verknüpfte, um als Marilyn Manson zwei Extreme der Popkultur einander gegenüberzustellen. Wobei ich zugeben muss, dass ich seine Musik eine Zeitlang rauf und runter gehört habe. Auch Guns N'Roses haben eine Zeitlang ziemlich intensiv mit Mansons Image kokettiert - sie coverten seinen Song Look At Your Game, Girl, und Sänger Axl Rose trat mit einem T-Shirt auf, auf dem sein Gesicht aufgedruckt war. Und auch Manson selbst wurde im Gefängnis ziemlich oft interviewt und zierte die Titelseiten von Life und Rolling Stone, man schrieb Bücher und drehte Filme über ihn.
Auch im Gefängnis trieb er sein Spiel weiter - er war nicht so dumm, zu glauben, dass er bei Berufungsverhandlungen eine Chance hätte, aber sie gaben ihm die Gelegenheit, weiterhin die Rolle des Unverstandenen zu spielen. Viele haben sich von seinen seltsamen Äußerungen angesprochen gefühlt, andere haben sich darüber aufgeregt - im Grunde genommen hat er sie aber alle verarscht. Ich finde, man sollte ihn als das sehen, was er war - eben ein lupenreiner Betrüger und keiner, den man bewundern sollte. Nicht nur, weil er für diese grausamen Morde verantwortlich war, sondern auch, weil er sich eigentlich ziemlich feige verhalten hat: Er hat Menschen zu Morden angestiftet, bei denen er nicht einmal zugegen war; er hat diejenigen vorgeführt, die ihm gegenüber absolut loyal waren; er hat seinen Anhängerinnen sogar noch während der Gerichtsverhandlung so sehr manipuliert, dass sie alle Schuld auf sich nahmen. In Wirklichkeit war er ein Opfer, das sich aufgespielt hat, als wäre es mächtig, das aber niemals authentisch war - und in das alle hineinprojizieren konnten, was sie wollten. Er hatte noch nicht einmal die Stärke, die Taten, zu denen er andere angestiftet hatte, selbst mit anzusehen - eine Schwäche, die er bis an sein Lebensende zu vertuschen suchte. Bis zu seinem Tod ist der kleine Junge geblieben, der von seiner Mutter verstoßen wurde und der sich nie wertvoll gefühlt hat. Das sollten wir uns alle vor Augen halten, und das ist auch der Grund, warum ich diesen Artikel geschrieben habe: Damit wir endlich aufhören, Charles Manson als Ikone zu sehen, und anfangen, ihn als das zu sehen, was er wirklich war - nämlich ein Betrüger. Ich weiß, dass ich nicht genügend Reichweite habe, um ein breites Umdenken zu bewirken, aber wenn ich zumindest einen klitzekleinen Teil dazu beitragen kann, dann hat es sich gelohnt.
vousvoyez