Sonntag, 2. Januar 2022

Ist eine chinesische Katze eigentlich Miaoist?

Photo by petr sidorov on Unsplash 
Vielleicht sollte man da einmal die ganzen Winkekatzen (Maneki-neko) fragen, die gefühlt in jedem zweiten Haushalt herumstehen - auch wenn das keine chinesischen, sondern japanische Figuren sind und da ja doch ein erheblicher Unterschied besteht. Aber wenigstens sind sie näher an China als wir. Ein weiterer Beweis, dass die Katzen die Weltherrschaft an sich gerissen haben - sie stehen nicht nur mit den Chinesen in Verbindung, sie haben uns auch noch dazu gebracht, hässliche winkende Ebenbilder von ihnen in die Wohnung zu stellen, in dem Glauben, sie brächten uns Glück. Wahrscheinlich sind aber zumindest die mechanischen Winkekatzen in Wirklichkeit nur dazu da, damit die Katzen uns ausspionieren können. Das sollte man mal all jenen erzählen, die momentan gerade auf die Straße rennen, um für ihre "Freiheit" zu kämpfen. Oder besser nicht - wer weiß, auf was für Ideen die sonst kommen.

Mittlerweile scheint es ja bereits zur neuen Normalität zu gehören, dass eine gewisse Klientel jedes Wochenende maskenlos und laut brüllend durch die Hauptstadt marschiert und all jene tyrannisiert, die eigentlich nur in Ruhe einkaufen oder sonst etwas erledigen wollen. Und nein, das habe ich nicht ausschließlich aus den bösen Systemmedien - mittlerweile habe ich mit mehreren Leuten gesprochen, die sich am Wochenende nicht mehr in die Innenstadt trauen bzw. ihren Kindern nicht mehr erlauben, da hinzugehen. Sprich, normale Menschen dürfen sich nicht mehr sicher fühlen, weil man lieber ein paar Schreihälsen das Feld überlässt - die behaupten, für die Freiheit zu kämpfen, dabei aber all jenen, die nicht mit ihnen mitlaufen wollen, diese Freiheit nehmen. Ich wünsche mir, dass das wenigstens im neuen Jahr anders wird.

Ja, 2021 ist zu Ende - und es hat uns leider nicht die erhoffte Erleichterung verschafft, ganz im Gegenteil. Und vom neuen Jahr wird nicht allzu viel Gutes erwartet, rollt doch schon die nächste Infektionswelle  mit Karacho heran - und zumindest hier in Österreich will von den Verantwortlichen niemand etwas davon wissen, weil Skifahren und die Wirtschaft über alles gehen. Und das, obwohl bereits vor möglichen Ausfällen der kritischen Infrastrukturen gewarnt wird. Aber in der Bevölkerung scheint sich so eine Art "Wurschtigkeit" eingeschlichen zu haben - wer die Pandemie ernst nimmt, achtet nach wie vor darauf, die Regeln so gut es geht einzuhalten, während alle anderen tun, was sie wollen. Und ständig hat man irgendwelche Diskussionen mit jenen, die nach wie vor die komplette Aufhebung aller Maßnahmen fordern, weil sie die Warnungen für übertrieben halten oder die Pandemie gar für erfunden. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang übrigens, dass sogar Leute, die ich eigentlich für gescheiter gehalten hätte, die "Diffamierung" der Demonstranten beklagen, weil da ja nicht nur Nazis mitmarschieren, sondern auch "ganz normale Leute". Und mir drängt sich die Frage auf, ob diejenigen, die so etwas ernsthaft für ein Argument halten, die letzten 30 Jahre unter einem Stein gelebt haben - eigentlich sollte doch mittlerweile jeder kapiert haben, dass die Zeit, in der Neonazis mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln aufmarschierten, schon lange vorbei ist und dass viele von ihnen inzwischen die Outfits und Symbole ursprünglich linker oder sogar linksradikaler Bewegungen übernommen haben. Ganz abgesehen davon, dass ich persönlich die hohe Anzahl von "normalen Leuten" eher alarmierend finde - denn damit werden auch rechtsextreme Ideologien immer mehr normalisiert und legitimiert. Noch einmal zur Erinnerung: Es war die Duldung der "normalen Leute", die den Nationalsozialisten letztendlich zur Macht verhalf.

Ein wesentlicher Unterschied zu damals ist allerdings, dass der Nationalsozialismus in den 1930er Jahren jede individuelle Ausdrucksform unterdrückte, indem er die völlige Unterwerfung gegenüber dem Kollektiv verlangte. Heutzutage wird die absolute Freiheit des Individuums verlangt, auch auf Kosten des Kollektivs - so sehr, dass diese Forderungen schon eugenische Züge tragen: Man propagiert die Freiheit der "Gesunden" und stellt dafür das Recht der "Schwachen" auf Leben in Frage. Das weckt durchaus unangenehme Assoziationen mit dem Narrativ des "gesunden Volkskörpers". Und ja, tatsächlich ist ein wesentliches Merkmal faschistischer Gruppierungen - womit die Brücke zur Vergangenheit wieder geschlagen ist - alles zu verachten, was als "schwach" klassifiziert wird. Da erkennt man schon daran, wie über die moderne Gesellschaft hergezogen wird: Diese sei "verweichlicht", "hysterisch", "dekadent", "unmännlich" - und so wird auch der Umgang mit der Pandemie als symptomatisch für diese "panische" Gesellschaft gesehen. Denn egal, wie ernst man das Virus nimmt, es ist auf keinen Fall eine Option, sich nach den "Schwachen" zu richten. Und hier zeigt sich die faschistische Grundhaltung: Das Schwache ist nicht schützenswert, und in einer Gesundheitskrise haben diejenigen, die besonders gefährdet sind, eben Pech gehabt. Und diese Einstellung ist brandgefährlich - denn das wird nach Corona nicht einfach aufhören. Und es schockiert mich, dass auch Menschen, die ich bisher eigentlich als friedliebend und empathisch wahrgenommen habe, sich selbst dieser Narrative bedienen, wenn auch manchmal in etwas abgemilderter Form.

Überraschend ist für manche auch, dass unter diesen "normalen Leuten" auch immer wieder tanzende, singende, klatschende, trommelnde und meditierende Leute zu finden sind, die eher esoterisch angehaucht zu sein scheinen und von ihrem Kleidungsstil her mehr an Hippies erinnern. Das sind auch diejenigen, die häufig als Argument herangezogen werden, warum es sich bei den Demonstranten um eine "Querfront" zwischen Rechts und Links handle. Denn Hippies sind ja immer links und stehen voll auf Love and Peace und so - oder kann es etwa sein, dass wir hier, wie auch bei den Neonazis, schon wieder Opfer unseres eigenen, nur allzu vereinfachenden Weltbildes geworden sind, das irgendwie immer noch im 20. Jahrhundert festzustecken scheint?

Um das zu eruieren, erlaube ich mir als erstes mal eine kleine historische Auffrischung: Die Hippie-Bewegung entstand Mitte der 1960er Jahre aus der Beat Generation heraus, einer Gruppe amerikanischer Literaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine Subkultur stellten, welche mit den Konventionen der Mehrheitsgesellschaft brach und einen freizügigeren, weniger konformistischen Lebensstil propagierte. Auch die Hippies stellten die Ideale der Wohlstandsgesellschaft in Frage, verabschiedeten sich von ihren sexuellen Tabus, träumten von einem Leben im Einklang mit der Natur und forderten ein friedliches Miteinander sowie das Ende ausgrenzender Mechanismen wie etwa Rassismus. Sie pflegen einen kreativen, offenen Lebensstil und waren durch ihre bunten Gewänder, lange Haare bei beiden Geschlechtern sowie auffällige Accessoires leicht erkennbar. Ihre Bewegung breitete sich von San Francisco, Kalifornien aus auf die ganze westliche Welt aus - ihre Anhänger waren hauptsächlich weiße Jugendliche aus der Mittelschicht, die der Enge ihres Elternhauses entfliehen wollten. Von ihrer Lebenseinstellung her kann man die damaligen Hippies durchaus als links bezeichnen, auch wenn die meisten sich eher unpolitisch gaben - allerdings zeigte sich bereits zur Blütezeit dieser Bewegung eine nicht unerhebliche Hinwendung vieler ihrer Anhänger zur Esoterik. Und spontan würde man dazu natürlich sagen, das macht doch nichts - und das kann ich auch gut verstehen, denn mir ist es prinzipiell auch vollkommen wurscht, ob jemand Heilsteine in der Tasche trägt oder sich einen Talisman umhängt. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht - und ich möchte auch erklären, warum.

Zunächst müssen wir uns da natürlich fragen - was ist Esoterik eigentlich? Nun - eine allgemein anerkannte Definition dieses Begriffs gibt es nicht. Die Religionswissenschaft fasst unter diesem Begriff unterschiedliche religiös-spirituelle Aktivitäten zusammen, während die Geschichtswissenschaft bestimmte westlich-kulturelle Strömungen, die gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, als "esoterisch" beschreibt. Im Großen und ganzen ist es ein weites Feld, welches in unserem Verständnis ebenso Astrologie und Glücksbringer umfasst wie auch Engelskult, Hexerei, Wahrsagerei, Schamanismus, Theosophie, Anthroposophie, biologisch-dynamische Landwirtschaft und vieles mehr. Und man kann sie auch nicht pauschal als gefährlich oder ungefährlich bezeichnen - viele von uns haben gewisse Tendenzen zur Esoterik, aber die Ausprägung ist doch sehr unterschiedlich. Das bedeutet natürlich, dass nicht jeder, der an Sternzeichen glaubt oder seine Ängste wegmeditiert, deswegen gleich mit der Wurzelrassen-Kosmologie einer Helena Blavatsky kokettiert. Schwierig wird es allerdings, wenn esoterische Ideen dermaßen ins Gedankengut Einzug halten, dass Menschen für rationale Argumentationen nicht mehr zugänglich sind. Und diese Haltung wird in Krisensituationen noch verstärkt - wenn man die welt nicht mehr versteht, ist man häufig zugänglicher für einfache Erklärungen und ein dualistisches Weltbild, innerhalb dessen man sich leichter zurechtfindet als in dem komplexen System der Wirklichkeit.

Die rechtsgerichtete Ausprägung der Esoterik begann bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als man sich, wie ich in meinem Artikel über Spiritismus bereits erklärt habe, vermehrt den sakral-transzendenten Bereichen der Wirklichkeit zuwandte, wohl als Reaktion auf eine immer unübersichtlichere, sich immer mehr technisierende und industrialisierende Welt. Während auf der einen Seite viele, die sich dem Spiritismus zuwandten, nach besseren humanitären Lebensbedingungen strebten, gab es auch andere, weitaus hierarchischere Richtungen. Zu ihnen gehörte auch die Theosophische Gesellschaft, eine okkulte Organisation, die 1875 in New York City gegründet wurde. Sie ging davon aus, dass die fundamentale Essenz allen Existierenden mit einem kosmischen Bewusstsein verwandt sei , das es belebe und beseele. Initiator und Präsident dieser Gruppierung war der US-amerikanische Rechtsanwalt Henry Steel Olcott, die zentrale Figur war jedoch dessen Lebensgefährtin Helena Petrovna Blavatsky, eine Russlanddeutsche, die zwei Jahrzehnte lang durch Europa, Asien und Amerika gereist war, wo sie angeblich von "Meistern" und Adepten die Grundlagen für ihre späteren Lehren vermittelt bekommen hatte. Olcott hatte sie auf ihrer letzten Reisestation in New York über ihr gemeinsames Interesse an Spiritismus kennengelernt. Die Hinwendung vom Spiritismus zur Theosophie vollzog sich, als sie die Erklärung spiritistischer Phänomene von der Wirkung der Geister Verstorbener hin zu Emanationen eines universalen Geistes umdeutete. Von großer Bedeutung war in der Theosophie die Verbindung westlicher Esoterik mit östlichen spirituellen Lehren, was die Esoterik des 20. Jahrhunderts entscheidend prägen sollte. Wichtig waren außerdem auch westliche Lehren wie etwa der Okkultismus oder die Kabbala. Ein Element der Theosophie aber war die sogenannte "Wurzelrassenlehre" aus Blavatskys 1888 erschienenem Buch The Secret Doctrine (dt. Die Geheimlehre) - hier formulierte sie die Hypothese von insgesamt sieben "Menschenrassen", von denen die sogenannten "Arier" die gegenwärtig höchste Entwicklungsstufe erlangt hätten. Sie räumte zwar ein, dass all diese "Rassen", wenn auch nicht miteinander verwandt, so doch in ihrem innersten Wesen gleich seien, aber dennoch fußen ihre Ausführungen auf dem hierarchischen Konzept der Rassenevolution, an dessen Spitze die "arische" bzw. germanische "Rasse" stehe.

Um 1895 spaltete sich die Theosophische Gesellschaft nach etlichen Skandalen und Meinungsverschiedenheiten in mehrere kleine Gruppen auf, die sich im Laufe der Zeit teilweise immer mehr von der ursprünglichen Lehre entfernten. In Deutschland legte die Internationale Theosophische Verbrüderung von Franz Hartmann ihren Fokus vor allem auf das Studium "arischer" Vorstellungen und wandte sich später auch dem Nationalsozialismus zu. Rudolf Steiner wiederum gehörte zur Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, ehe er sie 1913 verließ und eine eigene Lehre, die Anthroposophie, gründete. Diese ist im Großen und Ganzen ein Sammelsurium aus deutschem Idealismus, Goetheanismus, Gnosis, christlicher Mystik, fernöstlicher Lehren sowie den neuesten naturwissenschaftlichen Kenntnissen der damaligen Zeit; im Zentrum steht eine "Geheimwissenschaft", die Steiner laut eigener Behauptung mit Hilfe von "Hellseherorganen" erlangt habe. Ein Hauptsaspekt seiner Lehre aber ist die Anwendung des Evolutionsgedankens auf die spirituell-geistige Entwicklung. Auch er formulierte eine Rassenlehre, die stark an das Konzept von Blavatskys "Wurzelrassen" angelehnt war - wobei er hier von "Epochen", Hauptzeitaltern" oder "Zeiträumen" der spirituellen menschlichen Entwicklung sprach. Elemente der Anthroposophie finden wir bis heute in verschiedenen Lebensbereichen wieder - etwa die Waldorfpädagogik, die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Eurythmie oder auch die Naturkosmetik von Weleda. Und ich muss zugeben, ich habe auch schon Produkte dieser Linie benutzt und fand sie sogar gut - wie ihr also seht, ist es gar nicht so leicht, sich dem zu entziehen.

Eine weitere Lehre, die sich auf die von Blavatsky stützte, war die gnosisch-dualistische, explizit auf Rassismus basierende Ariosophie des österreichischen Hochstaplers Jörg Lanz von Liebenfels. Der ehemalige Zisterzienser führte einen Doktortitel, für den es keine Belege gab, und auch der Adelstitel war nur erfunden. Um die Jahrhundertwende begann er, polemische Schriften zu verfassen, die sich unter anderem mit Anthropologie, Archäologie und Frühgeschichte mit dem Fokus auf die "arische Rasse" befassten und verkehrte in alldeutschen und sozialdarwinistischen Kreisen. Irgendwann begann er, über den "Kampf" der sogenannten Arier gegen die "Nichtarier" oder "Affenmenschen" zu phantasieren und krude Hypothesen zur "Rassenhygiene" auzustellen, laut derer eine "Reinzucht" der "arischen Rasse" bei vollständiger Unterwerfung der "arischen" Frau erforderlich sei. Diese Ansicht war zur damaligen Zeit allerdings nicht ungewöhnlich - Germanentümelei und völkisches Gedankengut waren damals weit verbreitet. 1903/04 entwickelte Lanz dann die auf den Schilderungen antiker Schriftsteller basierende "Theozoologie", eine Lehre, die auf der Behauptung basierte, der Sündenfall beruhe darauf, dass sich einst die göttlichen Arier mit Tieren vermischt hätten, woraus "minderwertige Rassen" hervorgegangen seien, welche die legitime Vorherrschaft der Arier bedrohten - besonders in Deutschland, wo es noch die meisten von ihnen gäbe. Darauf basierend, gründete er den Neutempler-Orden, einen Zusammenschluss "rassebewusster", ausschließlich männlicher Deutsch-Österreicher, dessen erster Sitz sich in der Burgruine Werfenstein im oberösterreichischen Strudengau befand - im Laufe der Jahre wurden weitere Priorate in Deutschland und Ungarn gegründet, die jedoch zur Zeit des Nationalsozialismus alle aufgelöst wurden. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie ließ sich Lanz in Ungarn nieder, wo die Bolschewiki in ihm einen Hass auf Juden und Sozialisten auslösten, der schon an Verfolgungswahn grenzte - davor waren die Frauen sein wichtigstes Feindbild gewesen, da sie seiner Ansicht nach nur als "Zuchtmütter" zu gebrauchen seien. 1925 fasste er seine Lehre in einem Grundriss der ariosophischen Geheimlehre zusammen; 1929 veröffentlichte er eine "Geheimbibel", in der er die Heilige Schrift aus ariosophischer Sicht kommentierte. Ab Mitte der 1920er Jahre stilisierte er sich als "Vordenker" Adolf Hitlers, jener hatte mit Esoterik allerdings nichts am Hut und auch für Lanz nicht viel übrig. Doch weder Hitlers Ablehnung noch der Zusammenbruch des Deutschen Reiches brachten Lanz davon ab, zu behaupten, dass Hitler seine Ideen von ihm gehabt hätte. In seinen letzten Lebensjahren behauptete er außerdem, Wegbereiter Lenins gewesen zu sein.

Ein weiterer wichtiger Inspirator der Ariosophie war der österreichische Schriftsteller und Esoteriker Guido von List. Wie Lanz, so führte auch er einen gefälschten Adelstitel; er stammte aus einer Wiener Kaufmannsfamilie und zeigte schon in jungen Jahren eine Neigung zur Kunst, aber auch zu Esoterik und germanischer Mythologie. Außerdem glorifizierte er die Natur und lehnte das städtische Leben ab. Sein erster Roman Carnuntum fand großen Anklang im völkischen Lager, spätere Bücher waren sehr von der Vorstellung eines Wotan-Kultes beeinflusst, verbunden mit zunehmend antisemitischen Motiven. Sein Manuskript über eine "arische Ursprache" sowie Deutungen der Runen und anderer Symbole in alten Inschriften wurde von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften abgelehnt, sein Rückhalt in der Wiener Gesellschaft war jedoch enorm; 1907 legte er sich das Adelsprädikat "von" zu, bei späteren Untersuchungen behauptete er, sein Großvater habe den Adelstitel abgelegt. 1908 gründeten seine Freunde und Anhänger, zu denen viele namhafte Deutschnationale und Esoteriker gehörten, die Guido-von-List-Gesellschaft zur Förderung seiner "Forschungen" und Publikationen. 1911 gründete er den Hohen Armanen-Orden als inneren Zirkel der List-Gesellschaft.

Im Nationalsozialismus wurden Geheimbünde verboten, die Ideen der Ariosophie wurden nach 1945 jedoch in verschiedenen neugermanischen Gruppierungen, aber auch im Odinismus der USA wieder aufgegriffen. Auch die Anthroposophie erlebte nach dem Ende des 1945 eine Renaissance. Der Begriff "Ariosophie" wird heute aus verständlichen Gründen nicht mehr verwendet, allerdings sind in der Szene bis heute noch bestimmte Wortschöpfungen zu hören; die Waldorfschulen und -kindergärten sind uns bis heute ebenso ein Begriff wie die Anthroposophische Medizin und die biologisch-dynamische Landwirtschaft, welche vor allem durch die Bio-Marke Demeter vertreten ist. Besonders in den 1960er Jahren boomten anthroposophische Einrichtungen, insgesamt sind die Anthroposophen in 103 Ländern mit über 10.000 Einrichtungen tätig. Das Interesse an der Anthroposophie selbst verzeichnet jedoch erst seit den 1980er Jahren wieder vermehrt einen Anstieg - ich erinnere mich, dass auch meine Großmutter mütterlicherseits eine Zeitlang regen Austausch mit anthroposophischen "Geisteswissenschaftlern" pflegte. Und ich schreibe dieses Wort nicht umsonst in Anführungszeichen - die Wissenschaftlichkeit ist nämlich keineswegs erwiesen, da Steiners Thesen mit der wissenschaftlichen Erkenntnistheorie nicht vereinbar sind. Auch die Vorstellungen von "Menschenrassen", basierend auf einer spirituell-geistigen "Evolution", sind immer noch zu finden, was nicht weiter verwunderlich sind, gehören sie doch zu den Grundbausteinen des anthroposophischen Konzepts - auch wenn heutige Anthroposophen behaupten, damit nichts mehr zu tun zu haben. Auch sonst spricht man in der Szene nicht sehr gern über die braun gefärbte Vergangenheit, da diese das Gesamtkonzept zerstören würde. Auch die Impfgegnerschaft ist unter Anthroposophen und anderen Gruppierungen, die ihnen nahe stehen, sehr weit verbreitet, selbst wenn die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte Impfungen für sinnvoll hält und auch Rudolf Steiner sich für die Pockenimpfung aussprach. Dennoch stützen sich anthroposophische Impfgegner gern auf seine Lehren, laut derer Krankheiten nicht unterdrückt, sondern durchlebt werden sollten, da diese Sünden aus vorhergehenden Leben neutralisieren würden.

Wie ihr seht, ist alles also nicht ganz einfach. Ich muss beispielsweise zugeben, dass ich selbst dem Konzept der Waldorfpädagogik nicht abgeneigt war, bevor ich erfuhr, welche Ideologie dieser zugrunde liegt. Zudem sind die Meinungen ehemaliger Waldorfschüler, die ich kennengelernt habe, sehr zweigeteilt - die einen haben sehr positive, die anderen sehr negative Erfahrungen gemacht. Möglicherweise kommt es auf die einzelnen Schulen an, vielleicht auch auf die individuelle Veranlagung derjenigen, die sie besucht haben. Im übrigen möchte ich anmerken, dass die Arier in Wirklichkeit ein frühgeschichtliches Volk aus Indien und dem Iran waren und keineswegs eine nordische "Rasse", die von den bösen, bösen Juden bedroht wurde. Und da dieses Thema wieder einmal viel zu viel Stoff bietet, habe ich mich entschlossen, den vorliegenden Artikel diesmal in drei Teile zu teilen; nachdem wir die Wurzeln der Rechtsesoterik erörtert haben, möchte ich mich in meinem nächsten Post der Bedeutung von Esoterik im Nationalsozialismus widmen, während ich im dritten auf die Auswirkungen auf die Gegenwart eingehen werde. Freut euch alle auf mehr und bis zum nächsten Mal!

vousvoyez

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