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Ich muss zugeben - ich habe Clowns schon als Kind nicht gemocht. Allerdings wusste ich damals nicht, dass ich mit dieser Abneigung nicht allein war - es schien irgendwie Gesetz zu sein, dass alle Kinder Clowns mögen. So war die zentrale Figur im Kinderprogramm des ORF von den späten 1960ern bis hinein in die 1990er ebenfalls ein Clown - und tatsächlich hat Habakuk alias Arminio Rothstein das österreichische Kinderfernsehen geprägt wie kaum ein anderer, so sehr, dass sein Einfluss auch heute noch erkennbar ist. Doch trotz seiner enormen kreativen Kraft sind nicht alle seiner selbst kreierten Puppen in positiver Erinnerung - zum Teil wohl auch, weil sie immer irgendwie versifft aussahen, wie diese alten Teddybären in den Spielzeugmuseen, und weil sie mit ihrem dauerlustigen Gehabe einen so scharfen Kontrast zu dem traurigen Clown bildeten. Und tatsächlich war es wohl diese Traurigkeit, die Kinder zweier Generationen nachhaltig verstört hat - Michael Mittermeier, der als Bayer ja auch mit österreichischem Fernsehen vertraut ist, sagte einmal, dass es nur den Österreichern einfallen konnte, im Kinderfernsehen einen depressiven Clown zu zeigen. Und auch privat scheint Rothstein, der seine künstlerische Begabung entdeckte, als er sich als Sohn eines Juden im Keller vor den Nazis versteckte, und dessen extreme Wutanfälle berüchtigt waren, eine zutiefst tragische Figur gewesen zu sein, aber das war in seiner Generation verständlicherweise keine Seltenheit. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die künstlerisch innovativen Werke des frühen Kinderfernsehens nicht immer so kindgerecht waren, bisweilen stimmt das sogar wirklich - so wurde Rothsteins Adaption von Teja Aichers Zwerg Bumsti 1982 eingestellt, weil die Darstellung der Ehe zwischen einem Alkoholiker-Zwerg und einer Maus bereits für damalige Verhältnisse als zu frauenfeindlich galt. Einen auffälligen Kontrast zu dem immer etwas düster wirkenden Clown Habakuk bildete der noch lange nach Rothsteins Tod in der Kindersendung Am Dam Des auftretende, von Heinz Zuber dargestellte Clown Enrico, der mit seinem Blümchenhut, dem schwarz-grün karierten Mantel und dem italienischen Akzent weitaus freundlicher wirkte. Tatsächlich habe ich ich vor ihm nicht gefürchtet - allerdings fand ich ihn mit seiner überdrehten Art eher nervig.
Eine weitere Clownsfigur, die mir in meiner Kindheit öfter begegnete, ist der Pierrot bzw. sein weibliches Pendant, die Pierrette, die in den 1980er Jahren aus irgendeinem Grund etliche Poster in Mädchenzimmern, aber auch Kleidung und andere Alltagsgegenstände zierte - deswegen habe ich ein solches Poster als Artikelbild gewählt. Ich erinnere da etwa an den Film La Boum - in der Szene, in der Protagonistin Vic auf ihre erste Party geht, trägt Sheila O'Connor, die ihre beste Freundin Pénélope verkörpert, ein Sweatshirt mit Pierrette-Motiv. Warum diese Figur ausgerechnet damals so beliebt war, konnte ich nicht herausfinden - dass Pierrot damals schon längst Eingang in die Popkultur gefunden hatte, wird aber beispielsweise in dem Video zu David Bowies Song Ashes To Ashes ersichtlich. Die melancholisch-poetische Figur des Pierrot etablierte sich zur Zeit der Romantik im 19. Jahrhundert und fusionierte Einflüsse der Commedia dell'Arte mit denen des französischen Jahrmarkt-Theaters - der erste Pierrot-Darsteller war der böhmisch-französische Pantomime Jean-Baptiste Gaspard Debureau. Bis in die Gegenwart hinein tauchte die Figur immer wieder auf, etwa als Porzellanfigur in den Kaufhäusern der 1920er Jahre, wo erstmals auch die Pierrette zu sehen war, oder auf den Gemälden von Künstlern wie Henri Toulouse-Lautrec oder Pablo Picasso. Sie inspirierte das moderne Körpertheater eines Étienne Decroux und Marcel Marceau, die Kostüme von Balletts wie Igor Strawinskis Petruschka und Jean Cocteaus Parades, aber auch die von Madonnas Girlie-Show-Welttournee viele Jahre später. Vor allem aber diente diese Figur den Frauen der Moderne, die sich mehr und mehr die Selbstbestimmung erkämpften, als modische Inspiration. So verkleidete sich die Schriftstellerin Fanny zu Reventlow, die bereits in jungen Jahren gegen ihr adeliges Elternhaus rebellierte, als Pierrot, um in der Münchner Künstlerszene wilde Partys zu feiern - sie diente vielen Schriftstellern als Muse, darunter Heinrich und Thomas Mann, Rainer Maria Rilke sowie Frank Wedekind, der ihr in seinem Theaterstück Erdgeist mit der Figur der Lulu ein Denkmal setzte. Diese stand wiederum Pate für viele andere literarische und filmische Figuren, etwa Nabokows Lolita, die von Marlene Dietrich gespielte Lola Lola in Der blaue Engel sowie Gelsomina in Fellinis La Strada.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich erfahren, dass es für die Angst vor Clowns sogar einen Fachbegriff gibt, wie für alles im Leben: Coulrophobie. Warum manche von uns unter einer solchen leiden, ist einfach erklärt - Clowns verhalten sich außerhalb der üblichen gesellschaftlichen Norm, was in vielen Menschen Unsicherheit hervorruft. Hinzu kommt, dass durch die Schminke, vor allem durch das aufgemalte Lächeln, die Mimik verzerrt wird, was für viele von uns mit Unbehagen verknüpft ist, da wir Menschen genetisch darauf geeicht sind, Gesichter zu lesen. Es ist ja kein Zufall, dass die Killer bekannter Slasher-Filme wie Halloween oder Freitag der 13. meistens Masken tragen, oder, wie Freddy Kruger in Nightmare on Elm Street, verzerrte Gesichter haben. Bei Kindern ist es wohl die Kombination aus Vertrautem und Ungewohntem, die Abneigung hervorruft.
Generell ist ein Clown ja eigentlich zur Belustigung da - trotzdem hat sich in der Popkultur das Bild es bösen Clowns bzw. Horrorclowns etabliert, der die liebenswerten Eigenschaften des klassischen Spaßmachers konterkariert. Der Schweizer Autor Richard Weihe, der hauptsächlich für seine biographischen Werke über Künstler bekannt wurde, bezeichnete ihn als "Schwarzclown" - in Anlehnung an das klassische Artisten-Duo des seriösen, intellektuellen Weißclowns und des sympathischen, tölpelhaften Rotclowns ("dummer August"). Den meisten professionellen Clowns ist er jedoch eher ein Ärgernis, da sie ihn als Gefahr für das Ansehen ihres Berufsstandes betrachten - und das, obwohl böse Clowns keineswegs eine Erfindung der neueren Geschichte sind. Tatsächlich hat das Erscheinungsbild des Clowns Ähnlichkeit mit den Darstellungen von Dämonen und anderen höllischen Kreaturen. Als Vorläufer der heutigen bösen Clowns kann etwa der Harlekin betrachtet werden, einer derben Spaßmacherfigur, die mit der Commedia dell'Arte in Verbindung gebracht wird, die aber bereits im 11. Jahrhundert erwähnt wurde. Auch den Hofnarren des Mittelalters und der frühen Neuzeit wurde eine Nähe zum Teufel nachgesagt, da sie innerhalb der Gesellschaft eine Sonderstellung einnahmen, beispielsweise als einzige Kritik an herrschenden Verhältnissen üben durften, und daher oft ein zwielichtiges Image hatten. Häufig waren sie nicht einfach Menschen mit komischem Talent, sondern hatten eine Behinderung, waren kleinwüchsig oder psychisch auffällig, also Menschen, die zur damaligen Zeit gesellschaftlich geächtet waren. Ein weiteres Beispiel ist der Pulcinella, eine Figur aus dem süditalienischen und neapolitanischen Volkstheater, die ebenfalls Eingang in die Commedia dell'Arte fand - eine bucklige Gestalt, meist mit langer Nase, später war ihr Erkennungszeichen ein weites, weißes Gewand, eine schwarze Halbmaske und ein spitzer Hut. Er verbreitete Klatsch und Tratsch und hatte allgemein keinen besonders guten Ruf in der Gesellschaft. In der Literatur finden sich Motive des bösen Clowns etwa in Edgar Allen Poes Erzählung Hop-Frog von 1849 und in Catulle Mendès' Theaterstück La femme de Tabarin von 1887. Ruggero Leoncavallos Oper Pagliacci (dt. Bajazzo) von 1892 weist große Ähnlichkeit zu Mendes' Stück auf; die Figur des Canio, der am Ende seine Frau und deren Geliebten mit dem Dolch ermordet, weckt Assoziationen zu den modernen Killerclowns.
Einer der ersten bösen Clowns in der Popkultur ist zweifellos der Joker aus der Batman-Reihe mit seiner weißen Haut, den grünen Haaren und den grinsenden roten Lippen, der meistens als sadistischer Psychopath dargestellt wird, auch wenn er zwischen den 1940er und den 1970er Jahren eher als weitgehend harmloser, infantiler Spaßmacher etabliert war. Auch Michael Myers im Film Halloween von 1978 trägt, als er im Kindesalter seinen ersten Mord begeht, ein Clownskostüm, und in Tobe Hoppers Poltergeist von 1982 wird einer der Protagonisten beinahe von einer von einem Dämon besessenen Clownspuppe erwürgt. Und auch in der Popmusik kommen böse Clowns vor: In ihrem Song Alptraum droht Nina Hagen der angesprochenen Person damit, ihr in Gestalt eines Clowns zu erscheinen und sie zu misshandeln, der Perkussionist der Metal-Band Slipknot trägt eine Clownsmaske und das Rap-Duo Insane Clown Posse tritt gleich als böse Clowns geschminkt auf. Der bekannteste Horrorclown ist aber wohl Pennywise aus Stephen Kings Roman Es, 1990 von Tim Curry und in der Neuverfilmung 2017 von Bill Skarsgård dargestellt. Ich erinnere mich daran, wie wir diesen Film einen ganzen Sommerurlaub lang diskutierten, ohne dass ich ihn je gesehen hätte - als ich ihn dann schließlich doch zu Gesicht bekam, war ich heftig enttäuscht: Ich hatte ihn mir viel gruseliger vorgestellt! Tatsächlich fand ich John Carroll Lynch als Twisty, der Clown aus der vierten (2014) und siebten (2016) Staffel der Fernsehserie American Horror Story weitaus angsteinflößender - so sehr, dass ich mir die Folge nicht zu Ende anschauen konnte, obwohl ich schon Filme ausgehalten hatte, die weitaus schlimmer waren. Was zeigt, wie individuell die Schmerzgrenze bei Horrorfilmen ist. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch Stephen Ciodos völlig bekloppte Science-Fiction-Horror-Komödie Killer Klowns from Outer Space aus dem Jahre 1988, in der bösartige Killerclown-Aliens über eine Kleinstadt herfallen, die Doctor-Who-Folgen mit den Robot Clowns aus den Jahren 1988/89 und die völlig abgedrehte Kunst von R. K. Sloane, in der auch immer wieder alle möglichen gruseligen Clownsfiguren zu sehen sind.
Aber böse Clowns begegnen uns nicht nur in künstlerischen Werken, sondern auch in den von mir schon häufig erzählten Wandersagen. So kursierte im Jahre 1981 die Geschichte, dass in Brookline, Massachusetts als Clowns verkleidete Männer versucht hätten, Kinder in ihren Van zu locken, woraufhin sich im Mittleren Westen und Nordosten der USA die Angst vor "Phantom Clowns", wie sie genannt wurden, verbreitete. 1985 wurde dasselbe in Phoenix, Arizona erzählt, 1991 wanderte die Geschichte nach West Orange, New Jersey, vier Jahre später tauchte sie sogar in Honduras auf und 2008 in Chicago, Illinois. Die zeitliche Einordnung legt nahe, dass sich hier die Geschichten über böse Clowns mit der Satanic Panic, über die ich ja schon berichtet habe, vermischten - Beweise für böse Clowns, die Kinder entführen, gibt es bis heute nicht. Dafür gibt es das schon erwähnte Horrorclown-Phänomen - reale Sichtungen von Personen, die als gruselige Clowns herumspazieren, um andere zu erschrecken. Dieses existiert im Großen und Ganzen bereits seit den 1980er Jahren - ursprünglich waren es jedoch nur Einzelfälle. Die meisten Sichtungen gibt es in den USA, das Phänomen tritt jedoch auch in Kanada, Großbritannien, Frankreich und selbst in Deutschland, Österreich und der Schweiz immer wieder, besonders um Halloween, auf. Im Jahr 2013 erregte ein Student aus Großbritannien mediale Aufmerksamkeit, als er sich an verschiedenen Orten in Northampton als böser Clown verkleidet zeigte. 2014 tauchten in Frankreich vermehrt gruselige Clowns in der Öffentlichkeit auf, die unechte, aber auch echte Waffen mit sich führten - manche von ihnen wurden auch gewalttätig. 2016, nachdem eine Person mit Clownsmaske in Greenville, South Carolina aufgetaucht war, kam es vor allem in den USA zu den meisten angeblichen oder tatsächlichen Sichtungen von Horrorclowns - dies ging so weit, dass Hunderte Studenten von der Pennsylvania State University im Oktober dieses Jahres auf Clownsjagd gingen, allerdings ohne Erfolg. Mitte Oktober wurde ein Jugendlicher in Schweden von einer Person mit Clownsmaske niedergestochen, und auch in Deutschland häuften sich die Angriffe von als Horrorclowns verkleideten Tätern, was eine umfangreiche mediale Berichterstattung zur Folge hatte - insgesamt sind 415 Fälle registriert. Seit damals gibt es vor allem um Halloween immer wieder mal Leute, die behaupten, Horrorclowns gesehen zu haben - bei den meisten im Netz kursierenden Sichtungen handelt es sich aber wohl um Falschmeldungen.
Reale Killerclowns sind im Vergleich zu all den Geschichten und Legenden natürlich nicht so verbreitet, aber es gibt durchaus Mordfälle, die mit Clowns in Zusammenhang stehen. So wurde im Mai 1990 eine Frau namens Marlene Warren in Wellington, Florida vor ihrer Haustür von einem Clown ins Gesicht geschossen. Der Mord konnte erst 27 Jahre später aufgeklärt werden - bei der Täterin soll es sich um die Geliebte von Warrens Ehemann gehandelt haben. Der bekannteste "Killerclown" ist aber wohl John Wayne Gacy, ein Serienmörder aus Chicago, der in den 1970er Jahren insgesamt 33 Jungen und junge Männer tötete, nachdem er sie gefoltert und vergewaltigt hatte. Ansonsten trat er häufig als Pogo der Clown in einem selbst genähten Kostüm auf Straßenfesten auf, um Kinder zu unterhalten - einer jener netten Familienväter, denen man so etwas niemals zugetraut hätte. Ende 1978 wurde er gefasst, nachdem bereits zuvor zwei überlebende Opfer gegen ihn ausgesagt hatten, und gestand die Taten - 1994 wurde er im Stateville Correctional Center in Illinois mittels Injektion hingerichtet.
Alles in allem kann man wohl sagen, dass Clowns nicht immer unbedingt die sympathischsten Wesen sind - auch wenn die bösen Clowns, soweit ich es sehe, in der Minderheit sind. Die meisten sind tatsächlich freundliche Menschen, die einfach nur Kinder zum Lachen bringen wollen, und manche von ihnen leisten auch durchaus wertvolle Arbeit - etwa die Roten Nasen, die schwerkranken Menschen den Alltag für ein paar Stunden ein wenig schöner gestalten. Entsprechend möchte ich euch, ob Coulrophobiker oder nicht, darum bitten, nicht alle Clowns in einen Topf zu werfen. Und dass ihr auf euch aufpasst und nicht mit Fremden redet, die wie Horrorclowns aussehen. Stattdessen hoffe ich, dass ihr gut durch die neue Corona-Welle kommt und hoffe, dass wir uns bald wieder lesen. Bon voyage!
vousvoyez
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