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Nun hat uns Covid-19 ja immer noch fest im Griff - und für uns, die wir in der Sicherheit eines westlichen Industrielandes Ende des 20. Jahrhunderts/Anfang des 21. Jahrhunderts aufgewachsen sind, wo wir bisher alles machen und alles haben konnten, was uns gerade einfiel, ist dies eine ziemlich neue Erfahrung. Dabei vergessen wir häufig, dass Pandemien jetzt nichts völlig Ungewöhnliches sind. Ich habe ja bereits ein wenig über AIDS geschrieben, das bekanntlich auch zu einer Pandemie wurde, auch wenn die Übertragungswege anders sind. Es gab aber tatsächlich immer wieder Krankheiten, die eine Zeitlang das öffentliche Leben erheblich beeinflusst haben. Und die bekannteste davon ist die Pest. Diese war Ursache für eine der verheerendsten Pandemien der Weltgeschichte - eine Pandemie, die heute als "Schwarzer Tod" bekannt ist. Am heftigsten wütete sie in der Zeit zwischen 1346 und 1353 - damals kostete sie insgesamt etwa 25. Millionen Menschen, rund einem Drittel der damaligen Weltbevölkerung, das Leben. Übertragen wird sie durch das Bakterium Yersinia pestis, das 1894 durch den Arzt und Bakteriologen Alexandre Émile Jean Yersin entdeckt wurde. Dieses gelangte vermutlich in der Spätantike aus dem Orient über Handelswege nach Europa. Übertragen wird es durch Insektenbisse, vor allem durch Flöhe, die von Ratten auf Menschen übersprangen, aber auch - ähnlich wie SARS-Cov-2 - durch Tröpfcheninfektion. Am häufigsten ist die Beulenpest, die durch Flohbisse ausgelöst wird und vor allem durch die schmerzhaften Beulen an Hals, Achselhöhlen und in der Leistengegend charakterisiert wird, die durch eine Infektion der Lymphgefäße und Lymphknoten entstehen und durch innere Blutungen blau und schwarz gefärbt sind. Neben ihr gibt es noch die Lungenpest, die vor allem durch Tröpfcheninfektion übertragen wird, aber nur unter äußerst ungünstigen Umständen zur Epidemie werden kann, da ihre Ausbreitung sehr spezifisch ist. Wenn Erreger in die Blutbahn geraten, etwa über offene Wunden, kann es außerdem zur Pestsepsis führen - die zu Zeiten, als es noch keine Antibiotika gab, ein Todesurteil war. Bekannt ist darüber hinaus die weitaus harmlosere Variante, die abortive Pest, durch die Antikörper gebildet werden. Bei unkontrolliertem Ausbruch treten alle Formen der Krankheit auf, am häufigsten jedoch Beulen- und Lungenpest.
Vor allem die erste große Pandemiewelle im 14. Jahrhundert bewirkte, dass viele Menschen Trost in der Religion suchten; Wallfahrten, Prozessionen und Bittgottesdienste, ja sogar "Geißelzüge" waren an der Tagesordnung, der "Pestheilige" St. Rochus wurde intensiv verehrt. Auf der Suche nach einem Sündenbock kam es immer wieder zu Pogromen gegen damalige kulturelle Randgruppen; am stärksten zu spüren bekamen das die Juden, die vielerorts für die Seuche verantwortlich gemacht wurden, etwa durch die Unterstellung, Brunnen und Quellen vergiftet zu haben. Judenviertel wurden überfallen und ihre Bewohner niedergemetzelt, andere wurden von ihren Heimatorten vertrieben; etliche begingen auf die eine oder andere Weise Selbstmord, um einer Zwangstaufe zu entgehen. Natürlich wirkte sich die Pest auch stark auf das künstlerische Schaffen aus in den Zeiten, in denen sie wütete. So gibt es zahlreiche allegorische Darstellungen des "schwarzen Todes", etwa als Skelett oder halb verwesender Leichnam, oder auch die des Totentanzes auf sakralen Wandbildern, auf denen Angehörige jedes Alters und Standes im Tanz mit dem Sensenmann abgebildet sind. Literarisch wurden diese dunklen Zeiten etwa in der Novellensammlung Il Decamerone des italienischen Schriftstellers Giovanni Bocciacco verarbeitet, der vom Schwarzen Tod in Florenz berichtet, oder in Daniel Defoes fiktivem Bericht Journal of the Plague Year (Die Pest in London), der von der besonders verheerenden Pestwelle in London 1665/66 erzählt, aber auch in Jeremias Gotthelfs Rahmennovelle Die schwarze Spinne. Ich möchte an dieser Stelle auch an Edgar Allen Poes Erzählung König Pest erinnern, oder auch an Die Maske des Roten Todes, in dem es zwar um die Cholera geht, die aber Parallelen zu Pesterzählungen enthält. Bei uns in Österreich zeugen vor allem die zahlreichen Dreifaltigkeits- und Pestsäulen von dieser düsteren Zeit - auch in meiner Heimatstadt gibt es einige davon. Für mich war die Pest als Kind immer etwas Unheimliches, nicht Greifbares - fern meiner Erlebniswelt und vielleicht deswegen auf diffuse Art und Weise bedrohlich. Wobei ich mir sicher bin, dass die unheimlichen Darstellungen aus dieser Zeit, die bis heute in Museen und historischen Stätten zu finden sind, dazu auch beigetragen haben. Auch die Darstellungen der Pestärzte mit ihren seltsamen Schutzmasken (in dem schnabelartigen Fortsatz waren übrigens Kräuter, deren Geruch vor der Krankheit schützen sollte) haben bekanntlich etwas Gruseliges. Und auch die Sagen und Legenden, die sich um diese Pandemie gebildet haben.
In Österreich ist aus Pestzeiten vor allem der Wiener Gassenhauer O du lieber Augustin, alles ist hin überliefert, der auf einer bekannten Volkssage des 17. Jahrhunderts basiert. Diese handelt von einem sehr bekannten und beliebten Straßenmusiker, der in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Wien lebte. Er zog mit seinem Dudelsack durch die am besten besuchten Spelunken der Stadt und unterhielt die Leute mit seinen zotigen Liedern und Späßen. Viel Geld verdiente er damit nicht, denn er soll immer schon ein freudiger Trinker gewesen sein. Im Jahr 1679 wütete nun die Pest in Wien und raffte so viele Menschen dahin, dass die Straßen und Plätze buchstäblich mit Leichen gepflastert waren, so sehr, dass man mit dem Beerdigen dieser gar nicht mehr hinterher kam. Sogenannte Siech-Knechte luden die Kranken und Toten auf Sammelwagen und brachten sie in die Lazarette oder zu den als "Pestgruben" bezeichneten Massengräbern, in denen sie die sterbenden und toten Körper stapelten, bis sie voll waren, um sie dann zuzuschütten. Da es wegen der hohen Ansteckungsgefahr schwierig war, Siech-Knechte anzuwerben, wurden damals häufig Kriminelle aus Gefängnissen dazu verpflichtet, weshalb sich bis heute allerlei düstere Legenden um sie ranken. Als Augustin in dieser Zeit wieder einmal zu viel getrunken hatte und in der Gosse seinen Rausch ausschlief, wurde er dort von solchen Siechknechten aufgelesen, die ihn für tot hielten und deshalb auf ihren Karren luden, ehe sie ihn zusammen mit den Toten in eine Pestgrube in der Nähe der Kirche St. Ulrich am Neubau warfen, das provisorisch mit Kalk abgedeckt wurde. Dort erwachte der gute Mann zwischen den Leichen, konnte aber nicht aus eigener Kraft herausklettern; so rief und spielte er auf seinem Dudelsack so lange, bis man ihn hörte und aus der Grube rettete. Im frühen 19. Jahrhundert wurde an dieser Stelle der bis heute zu besichtigende Augustinbrunnen errichtet. Bis heute gilt die Augustin-Geschichte, die in verschiedenen Varianten erzählt wird, so etwas wie eine Versinnbildlichung des Galgenhumors.
Zu den Methoden, der Pest Einhalt zu gebieten, gehörte es etwa, eine Jungfrau zu opfern - meist, indem man sie lebendig begrub. Dies funktionierte laut Sage meistens auch, außer im Gurktal in Kärnten, wo die Bewohner, die die Jungfrau geopfert hatten, mit einem sintflutartigen Unwetter bestraft wurden, das viele Leben kostete. Von der grausamen Tat zeugt heute noch ein Steinkreuz auf dem Weg von Weitensfeld nach Gurk; wer um Mitternacht daran vorbeigeht, soll immer noch das Wimmern des Mädchens hören, und man erzählt sich, dass ihr Geist einmal jährlich dort erscheint. In Virgen in Tirol wurde keine Jungfrau geopfert, sondern einmal im Jahr ein weißer Widder, nachdem man während einer Prozession von der Wallfahrtskirche Obermauern nach Maria Lavant beobachtet hatte, wie der Sensenmann von einem solchen Tier vertrieben wurde. Von diesem Ereignis zeugt noch ein Bildstock, aber ich habe keine Ahnung, ob heutzutage immer noch Widder geopfert werden - Jungfrauen aber wohl nicht mehr. In Oberösterreich wiederum waren offenbar die Ziegenböcke Heilsbringer - und mussten dafür nicht einmal ihr Leben lassen. So soll in Tragwein jemand von der Pest verschont geblieben sein, weil er immer einen Ziegenbock mit sich schleifte, während in Neuhofen an der Krems ebenfalls die Anwesenheit eines Ziegenbocks ausreichte, um nicht krank zu werden. Vielleicht sollte ich das auch einmal probieren; blöd nur, dass Ziegenböcke in Supermärkten, Apotheken und wohl auch an meinem Arbeitsplatz nicht so gerne gesehen sind - außer vielleicht, ich behaupte, das sei ein Therapieziegenbock. Weit verbreitet war auch die Ansicht, dass das Verbrennen irgendwelcher geruchsintensiver Kräuter die Krankheit fernhalten sollte - so gibt es in Kitzbühel die Sage des "Pestmandls", das von Haus zu Haus ging und die Seuche mittels aromatischer Kräuter "ausräucherte".
Natürlich glaubte man damals auch, dass Heilquellen einen vor dem Pesttod bewahren könnten - im burgenländischen Girm in der Gemeinde Deutschkreutz befindet sich etwa der 1245 erstmals erwähnte Plattenbrunn, dessen Wasser gegen die Pest helfen sollte, und auch in Leobersdorf bei Wien soll es so eine Quelle geben. In vielen Sagen wird auch der Ratschlag zum Verzehr von Enzian, Baldrian, Anis oder Wacholderbeeren gegeben - Letztere sollen laut Volksglauben auch gegen Dämonen helfen. Die Ratschläge werden in den Sagen abwechselnd von Vögeln, irgendwelchen Männlein oder auch Stimmen vom Himmel gegeben - in Hofgastein soll es ein Geist gewesen sein. In der Wachau wurde zusätzlich am Tag des heiligen Sebastian bei Wasser und Brot gefastet - doppelt hält eben besser! Manchmal kamen die Ratschläge allerdings auch zu spät - so wie in Vorarlberg, wo eine Stimme am Himmel erst dann zu Anis riet, als schon alle tot waren. Ich würde ja nicht nur Stimmen vom Himmel, sondern auch Geister, Vögel und Männlein nach ihrer wissenschaftlichen Kompetenz fragen, aber auf mich hört ja wieder einmal keiner. Nun gut.
Die Pest wird in den Sagen häufig durch Vorzeichen angekündigt, oder sie tritt als allegorische Figur auf. Vor dem Pestjahr in Wien 1679 behaupteten die Weinbauern der Umgebung, sie hätten seltsame Irrlichter gesehen oder einen Glanz in der Luft, was auch immer man sich darunter vorstellen soll. Ein anderer erzählte, er habe auf dem Weg von Hernals nach Wien (Hernals war damals noch nicht in die Stadt integriert) auf einem freien Feld, auf dem später die Pesttoten begraben wurden, das Placebo Domino gehört. Übrigens leitet sich von diesem Psalm das Wort "Placebo" für wirkstofflose Arzneimittel ab - früher war er nämlich Teil des Trauerrituals nach dem Tod eines Angehörigen. Da er jedoch ab dem 14. Jahrhundert häufig von bezahlten "Trauernden" gesungen wurde, wurde das Wort "Placebo" (die Übersetzung aus dem Lateinischen lautet: "ich werde gefallen") irgendwann ein Synonym für "so tun als ob". Allegorisch tritt die Pest häufig als alte Frau auf - oder auch synonym mit dem Tod. So sind Sagen von Fährmännern beliebt, die sie unwissentlich über einen Fluss führten und zum Dank dafür als einzige die Seuche überlebten. In einer Sage aus dem Mühlviertel wiederum tritt die Pest als kleiner Junge auf, der den Weg nach Kollerschlag nicht finden kann, woraufhin eine alte Witwe ihn bis dorthin trug und dabei feststellte, dass er immer schwerer wurde, bis sie bemerkte, dass es der Tod war - aus Dank dafür, dass sie ihn getragen hatte, blieb sie allerdings von der Pest verschont. In Bruck an der Leitha wiederum kam es einem jungen Burschen zugute, dass er in einem dieser Inzestdörfer lebte, in dem alle miteinander verwandt sind - als eine schwarze Frauengestalt, die er ein Stück getragen hatte, ihm riet, auf die Fenstersimse seiner Verwandten Steine zu legen, damit sie von ihr verschont blieben, musste sie feststellen, dass es in seinem Heimatort für sie nichts zu tun gab.
Das Vorbild für die meisten Pestsäulen in Österreich ist übrigens die barocke Dreifaltigkeitssäule am Graben in Wien, die nach der Pestepidemie 1679 errichtet wurde. Mit ihren vielen Engelsfiguren und dem großzügigen Blattgold ist sie stilprägend für den Wiener Hochbarock und eine der markantesten plastischen Kunstwerke im Stadtgebiet - im Zuge der Corona-Krise ist sie in jüngster Zeit auch wieder eine Anlaufstelle für Leute geworden, die Trost im Gebet suchen. Künstlerische Andenken an die Pestzeit gibt es überall im Land - in meiner Stadt markierte eine 1685 errichtete bronzene Dreifaltigkeitssäule ihr Ende, die heute am Karmeliterplatz zu sehen ist. Auch die barocke Karlskirche in Wien hat ihren Ursprung in den Zeiten der Pest; damals gelobte Kaiser Karl VI., eine Kirche zu Ehren des heiligen Karl Borromäus zu bauen, wenn Gott die Stadt von der Seuche befreie. (Und ich bin ganz stolz auf mich selbst, weil ich gerade ohne nachzusehen erkannt habe, dass der Baustil byzantinisch ist. *angeb*) Als katholisches Land suchte man auch Zuflucht zu den Pestheiligen, derer es mehrere gab - etwa den schon erwähnten heiligen Sebastian, jenen römischen Soldaten, der gerne mit Pfeilen durchbohrt dargestellt wird; den heiligen Antonius von Padua, der auch für verlorene Dinge zuständig ist und von dem meine Großmutter einst behauptete, er sei so geldgierig; den ebenfalls schon erwähnten Rochus von Montpellier, der sozusagen der Hauptzuständige in Pestfragen war; oder auch Karl Borromäus, seines Zeichens Erzbischof von Mailand, den ich persönlich als Inquisitor der Gegenreformation nicht anbeten würde, aber mich fragt ja wieder mal keiner.
Wie ihr seht, gibt es über die Pestzeiten in Europa unzählige Sagen und Legenden - selbst bei uns in Österreich sind es so viele, dass ich nur einen kleinen Einblick geben konnte. Heutzutage ist die Pest nicht gänzlich von der Bildfläche verschwunden und in unseren Breiten auch immer noch melde- und quarantänepflichtig, aber in der Regel gut behandelbar. In den 1940er Jahren wurden Pesterreger im Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieg als Biowaffen eingesetzt. Angesichts dessen, dass uns diese Krankheit hier mittlerweile fast nur noch aus Erzählungen bekannt ist, sehen wir jedoch, dass wissenschaftlicher bzw. medizinischer Fortschritt durchaus nicht zu verachten ist. Auch wenn so manche mir vielleicht erklären werden, es liege ausschließlich an der verbesserten Hygiene, aber hey - auch die Erkenntnis von deren Wichtigkeit ist Teil des wissenschaftlichen Fortschritts. Ich bin übrigens schon gespannt, was eines Tages von der heutigen Zeit übrigbleiben wird - und ob und was wir daraus lernen. Und wenn ich meine Großmutter wäre, würde ich jetzt jammern, wie viel Arbeit dieser Artikel gemacht hat, obwohl mich niemand darum gebeten hat, ihn zu schreiben. Aber wie auch immer - bleibt gesund, macht keinen Blödsinn und wir sehen uns in Kürze wieder! Bon voyage!
vousvoyez