Mittwoch, 19. Mai 2021

Donald Trump hat nicht mehr alle Häferln in der Kredenz

© vousvoyez
Dass der ehemalige US-Präsident nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, sollte uns zumindest nicht überraschen. Inzwischen finden ja wieder große Öffnungsschritte statt, doch bei aller Vorfreude macht mir das, offen gestanden, auch ein bisschen Angst. Und nachdem es im letzten Jahr hieß, ein neuer Lockdown wird nicht mehr kommen, und wir uns gut sechs Monate lang mit einem halbgaren Lockdown herumquälten, traue ich dem Ganzen noch nicht so richtig. Aber zumindest ich bin jetzt wieder ein bisschen ausgelasteter als zuvor, was ihr anhand meiner stagnierenden Aktivität auf diesem Blog wohl auch schon gemerkt habt. Aber trotzdem kann ich immer mal wieder ein paar Stunden des Schreibens und Recherchierens einlegen, weshalb ich mich wieder einmal mit ein paar Disney-Filmen auseinandersetzen konnte. Aber nachdem ich mich das letzte Mal mit nur auf einen Film beschränkt habe, werden es heute wieder mal zwei sein, die auf literarische Vorlagen zurückgehen.

The Hunchback of Notre Dame (dt.: Der Glöckner von Notre Dame) ist frei nach dem gleichnamigen historischen Roman des bekannten französischen Schriftstellers und Politikers Victor Hugo adaptiert und kam im Jahre 1996 in die Kinos, Regie führten Gary Trousdale und Kirk Wise. Trotz der Befürchtungen, der Film sei nicht kindgerecht genug, wurde er ein Kassenschlager und 1997 für einen Oscar in der Kategorie beste Filmmusik nominiert. Eine meiner ersten CDs war der Soundtrack zu diesem Film.

Tatsächlich kann man die Romanvorlage wohl kaum als Kinderbuch bezeichnen - eher wurde Hugo von seinem Kollegen Alphonse de Lamartine nach Erscheinen des Buches mit Shakespeare verglichen. Notre-Dame de Paris war sein vierter Roman, der im Jahre 1831 veröffentlicht wurde und als Vorlage für Opern, Musicals, ein Ballett und mehrere Verfilmungen diente. Gerade im Jahr 2019, in jener Woche, als die Kathedrale von Notre Dame dem Großbrand ausgesetzt war, gehörte dieser Historienroman zu den meistverkauften Büchern. Der Reiz von Hugos Romanen, von denen viele auf den Index der verbotenen Bücher des Vatikans gesetzt wurden - allerdings hauptsächlich die nach 1849 erschienenen, politisch motivierten - liegt laut dem deutschen Literatur- und Kulturwissenschaftler Erich Auerbach in den extremen Kontrasten zwischen dem Erhabenen und dem Grotesken. Was sich gerade in Notre-Dame de Paris widerspiegelt, ein sprachlich raffiniertes Werk, jedoch mit überlangen Passagen, die regelmäßig von der Haupthandlung abschweifen und die etwa Paris oder die Architektur der Kathedrale von Notre Dame bis ins kleinste Detail beschreiben - was andererseits aber auch wieder wertvolle Dokumentationen für die Nachwelt sind -, und mit unfassbar unsympathischen Charakteren. Auffällig ist auch der offene Rassismus, der aus heutiger Sicht als höchst problematisch gelten kann, nicht nur gegenüber den Roma und Sinti, sondern auch betreffend anderer Nationen. Auch der Antisemitismus und Ableismus sind für den heutigen Leser sehr auffällig - besonders die drastische Beschreibung von Quasimodo und anderen Menschen mit Behinderung, die einem auf der anderen Seite aber auch die Ausgrenzung dieser deutlich vor Augen führt, und die von Hugo geschlossene Conclusio, dass Hässlichkeit mit Misserfolg und einem Mangel an Fähigkeiten einhergeht. Ebenso bezeichnend ist der Chauvinismus, der in diesem Buch immer wieder hervorsticht, etwa wenn es um das Verhalten von Esmeralda geht, das als "typisch Frau" gekennzeichnet wird - bei aller Kritik darf man jedoch nicht vergessen, dass das Buch im 19. Jahrhundert geschrieben wurde und dass die darin zu findende Diskriminierung auch ein Stück weit der Zeit verschuldet ist, in welcher es entstand.

Verständlich also, dass die Disney-Version eine deutlich abgespeckte und abgemilderte Fassung des Romans ist - aus einem düsteren historischem Werk wird hier eine moralische Botschaft, bei der es darum geht, dass man sich nicht von Äußerlichkeiten und Vorurteilen täuschen lassen soll. Und um in die Geschichte ein wenig Pep zu bringen, werden dem einsamen Glöckner Quasimodo drei sympathische Gesellen zur Seite gestellt: Denn wie zu jedem gotischen Bauwerk, so gehören auch zur Kathedrale von Notre Dame die Figuren der Gargoyles und Chimären, steinerne Wasserspeier, die im Film lebendig werden und - in Anlehnung an den Autor des Originalwerks - Victor, Hugo und Laverne heißen. Auch Quasimodos Herkunft wird anders beschrieben - während der im Buch als Wechselbalg vor der Kathedrale von Notre Dame ausgesetzt wird, hat er im Film eine liebende Mutter, die von Quasimodos späterem Ziehvater Frollo, der "Zigeuner" hasst, von den Stufen vor dem Portal von Notre Dame gestoßen und dabei getötet wird. Im Roman ist Quasimodo auch so ziemlich die einzige Figur, mit der man Sympathie empfinden kann - wie im Film, so verbirgt sich auch im Buch hinter dem abstoßenden Äußeren und der gewaltigen Körperkraft eine friedfertige Seele, die sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt. Dass der Protagonist von dem Glockengeläut fast taub geworden ist, wird jedoch nur in der Vorlage erwähnt. Die junge Tänzerin Esmeralda hingegen, im Film eine starke und mutige Frauenfigur mit einem mitfühlenden Herzen, ist bei Hugo eine naive Sechzehnjährige, auch wenn sie durch ihr tänzerisches Talent bei den "Zigeunern" hohes Ansehen genießt, und rettungslos in den schönen Soldaten Phoebus verschossen, während sie um Quasimodo, dem sie im Film eine gute Freundin wird, einen großen Bogen schlägt, da sie seinen Anblick nicht ertragen kann - im Gegensatz zu ihrem filmischen Pendant sind ihr die Gefühle ihrer Mitmenschen egal, und obgleich sie viele Verehrer hat, fühlt sie sich nur zu den Schönen und Starken hingezogen. Auch ihre begabte Ziege Djali kommt im Buch vor, hat hier jedoch goldene Hufe und Hörner. Im Buch wird zudem angedeutet, dass Esmeralda ihrer Mutter von den "Zigeunern" geraubt und heimlich gegen den entstellten Quasimodo eingetauscht wurde. Auch die Figur des Hauptmanns Phoebus de Châteaupers wird im Film weitaus sympathischer dargestellt als im Buch. Die Romanfigur ist eitel und selbstverliebt, interessiert sich hauptsächlich für Alkohol und Sex und bringt der hoffnungslos verblendeten Esmeralda keinerlei Respekt entgegen - alles, was er für sie empfindet, ist körperliches Verlangen. Doch auch als er das Interesse an ihr verliert, hält sie an der aussichtslosen Liebe zu ihm fest. Disney hat aus diesem ungehobelten Klotz einen charmanten Ritter gemacht, der Esmeralda aufrichtig liebt und bereit ist, alles für sie aufs Spiel zu setzen. Der Bösewicht Frollo, der im Film Richter ist, ist im Buch ein Diakon, der sich sexuell zu Esmeralda hingezogen fühlt, sie jedoch genau dafür hasst, da seine Begierde sein Keuschheitsgelübde in Gefahr bringt. Auch die "Zigeuner", allen voran deren Anführer Clopin, werden im Film weitaus positiver dargestellt. Einige Figuren schafften es überhaupt nicht in den Film, etwa Pierre Gringoire, der glücklose Theaterschreiber, der von Esmeralda durch eine Heirat vor der Hinrichtung gerettet wird; Jehan Frollo du Moulin, der jüngere Bruder Frollos, ein aufsässiger Student, der sich im Laufe der Geschichte den "Zigeunern" anschließt; die Klausnerin, die Quasimodo einst in Paris aussetzte und stets den Verlust ihrer Tochter beklagt; und Fleur de Lys, Phoebus' Verlobte, zu der er am Ende zurückkehrt. Auch ansonsten sind nur wenige Szenen in Buch und Film übereinstimmend, und auch das Ende des Films weicht stark von der Romanvorlage ab: Während Quasimodo schließlich Frollo besiegen kann und einen Platz in der Gesellschaft findet, ist das Ende des Buches weitaus tragischer, denn während auch hier Quasimodo seinen Stiefvater von der Kathedrale stoßen kann, schafft er es nicht, Esmeraldas Hinrichtung zu verhindern. Etwa zwei Jahre später wird in der Gruft von Montfaucon Quasimodos Skelett gefunden, welches das von Esmeralda eng umschlungen hält.

Der zweite Film, den ich heute besprechen möchte, ist Der Schatzplanet aus dem Jahr 2002 von Ron Clements und John Musker, eine sehr freie Adaption von Robert Louis Stevensons bekanntem Jugendroman Treasure Island (dt. Die Schatzinsel), der die Handlung dieses Buches aus dem 19. Jahrhundert in ein futuristisches Szenario überträgt. Trotz dieser klugen Interpretation und der liebevollen Gestaltung floppte der Film an den Kinokassen - was schade ist, denn dies machte der Ära der handgezeichneten Disney-Filme für eine Weile den Garaus. Ich muss allerdings zugeben, dass der Film damals ebenfalls komplett an mir vorbeigegangen ist - ich war damals in einer Phase, in der ich betont anspruchsvolle Filme in abgeranzten kleinen Kinos bevorzugte. Jaja, ich weiß, das klingt nicht sonderlich sympathisch - aber es war halt so, und trotz allem war das für mich eine durchaus wertvolle Zeit. Und ich rechtfertige mich mal wieder, ohne dass das jemand von mir verlangt. Hach, ich kleiner Tunichtgut ich!

Der schottische Autor Robert Louis Stevenson, ein weiterer Schriftsteller des viktorianischen Zeitalters, starb mit nur 44 Jahren, hinterließ aber ein äußerst umfangreiches literarisches Werk. Ein weiteres bekanntes Stück Literatur dieses rebellischen und abenteuerlustigen Schriftstellers, der viel von der Welt gesehen hat, ist auch die Schauernovelle Der seltsame Fall des Dr. Jeckyll und Mr. Hyde. Treasure Island war sein erster Roman, der während eines Kuraufenthalts in Davos (Schweiz) entstand, nachdem Stevenson an Tuberkulose erkrankt war. In dieser Zeit beschäftigte er sich viel mit seinem Stiefsohn Lloyd, dem der Roman letztendlich auch gewidmet wurde - die Idee dazu entstand, als er für den Jungen eine Schatzkarte anfertigte, die die Phantasie des Dreißigjährigen ungemein beflügelte. Die Geschichte erschien erstmals als Mehrteiler unter einem Pseudonym in der Jugendzeitschrift Young Folks, fand dort jedoch wenig Beachtung. Erst ihre Veröffentlichung als Roman im Jahr 1883, illustriert mit zahlreichen Holzschnitten des Franzosen George Roux, bescherte dem Abenteuerroman den verdienten Erfolg - was wohl vor allem der Sehnsucht der Menschen nach Abenteuern und Freiheit mitten in der sich immer mehr technisierenden Welt des Industriezeitalters zu verdanken war. Kaum ein anderes Werk hat unser Bild von Piraten und Seefahrern bis heute so nachhaltig geprägt wie dieses. Zu Lebzeiten sehr populär, wurde Stevenson nach dem Ersten Weltkrieg in Großbritannien lange Zeit missachtet und in die Kinder- und Horrorliteratur-Ecke geschoben, eine Ausgrenzung, die darin gipfelte, dass er von den späten 1960ern bis in die frühen 2000er in vielen Enzyklopädien der englischen Literatur gar nicht erwähnt wurde - was schade ist, denn nicht nur wurde damit eine ungemein spannende Künstlerpersönlichkeit missachtet, es wurde ebenso unter den Teppich gekehrt, dass dieser viele Schriftsteller von Rang und Namen, darunter auch seine Zeitgenossen Joseph Conrad und Henry James, beeinflusst hat. Zudem war er, anders als die meisten, in fast jedem literarischen Genre zu Hause - auch wenn er ein überaus scharfer Kritiker des damals herrschenden literarischen Stils des Realismus und Naturalismus war. Der mich übrigens auch nicht sonderlich begeistert, um bei der Wahrheit zu bleiben. Es war aber vor allem diese anti-moralistische, subjektivistische Haltung, die er mit Kollegen wie Oscar Wilde und George Moore teilte, die uns zahlreiche moralisch fragwürdige, aber gerade deswegen faszinierende literarische Figuren bescherte.

Disney wagte den Versuch, den alten Stoff in ein Science-Fiction-Szenario zu überführen - eine Idee, die bereits in den 1980er Jahren in der deutsch-italienischen Fernsehserie Der Schatz im All umgesetzt worden war. Dabei hatte man sich redliche Mühe gegeben, so viele Elemente so sinnvoll wie möglich aus der klassischen Vorlage in ein anderes Genre zu übertragen. Auf diese Weise wird diese spannende, sprachlich geschliffene und mit trockenem Humor glänzende Erzählung einer neuen Generation nähergebracht. Aus dem einbeinigen, sympathischen und doch hinterfotzigen Schiffskoch Long John Silver wird so ein Cyborg, aus dem übermütigen Schiffsjungen Jim Hawkins ein leidenschaftlicher jugendlicher Solarsurfer, der von einer Zukunft als Raumfahrer träumt, aus der alten Schatzkarte ein Hologramm, aus dem exzentrischen Einsiedler Ben Gunn ein unter Kurzschlüssen leidender Roboter. Insgesamt wurde ein klassisches Piratenszenario in den Weltraum verlagert, wobei physikalische Gesetze nur sehr lose berücksichtigt wurden - aber hey, im Film ist eben alles möglich, nicht wahr? Und auch an eine namentliche Referenz wurde gedacht: Das fliegende Piratenschiff trägt den Namen RLS Legacy (Robert Louis Stevensons Erbe). Doch während Jim Hawkins und Long John Silver sich am Ende des Films wieder einander annähern, bleibt Silver im Buch doch stets windig und undurchsichtig. Im Großen und Ganzen ist Treasure Island ein Roman, der nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene noch begeistern kann. Abgesehen von der Disney-Version erinnere ich mich noch an eine Zeichentrickserie aus den frühen 1990er Jahren, in der die dargestellten Charaktere alle Tiere waren, und an die Muppets-Version aus dem Jahre 1996. Außerdem gibt es noch eine Realverfilmung von Disney aus dem Jahr 1950 mit dem dreizehnjährigen Bobby Driscoll in der Hauptrolle, dem das tragische Schicksal eines ehemaligen Kinderstars einen frühen Tod bescherte.

Auf jeden Fall kann man sagen, dass beide Filme, die ich hier besprochen habe, sehr spannende Hintergründe vorzuweisen haben, deren Auseinandersetzung sich durchaus lohnt. Ich persönlich kenne von Victor Hugo außer dem Glöckner von Notre Dame übrigens noch den weitaus politischeren Roman Les Misérables, der allerdings wieder von dieser extremen Tragik des Realismus gekennzeichnet ist, bei der es mir mitunter ein wenig schwer fällt, ernst zu bleiben. Was Stevenson betrifft, so habe ich mich zum ersten Mal mit seiner Vita auseinandergesetzt - und ich muss sagen, dass diese alles andere als langweilig ist. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie viel man herausfindet, wenn man die Hintergründe der einzelnen Filme betrachtet. Nun ja - ich werde auf jeden Fall mal das verlängerte Wochenende genießen und freue mich schon darauf, wenn wir uns wieder lesen. Bis dahin eine schöne Zeit und übertreibt es mir nur nicht mit dem Feiern der Lockerungen! Bon voyage!

vousvoyez

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