Donnerstag, 18. Juni 2020

Ich werde mein Haus in Zukunft mit einem Aufreißfaden sichern - weil ich offenbar die einzige bin, die damit umgehen kann

Der Aufreißfaden soll natürlich Messer, Schere und andere Hilfsmittel zum Öffnen von Verpackungen überflüssig machen. Die Krux daran ist allerdings, dass viele das nicht zu kapieren scheinen bzw. dass manche gar nicht erst danach suchen - stattdessen wird die Verpackung so sehr misshandelt, dass die Gefühle, die beim Anblick eines zerfetzten Kartons mit noch vorhandenem Aufreißfaden in mir freigesetzt werden, mich unweigerlich an einen gewissen Fernsehdetektiv denken lassen, dessen Zwangsneurosen wir es zu verdanken haben, dass er inzwischen zu einem geflügelten Wort geworden ist. Aber gut, ab und an habe auch ich so meinem Ärger mit dem Aufreißfaden - manchmal reißt nämlich die Lasche ab, an der man ziehen soll, während man an ihr zieht! Das soll mal einer verstehen. Aber im Großen und Ganzen scheine ich mit Aufreißfäden weniger Probleme zu haben als andere. Sonst würden sich nicht so viele darüber beschweren, dass die Dinger ja ach so nervig sind.

Und nervig geht es jetzt auch weiter, nämlich mit einer Fortsetzung meiner allseits beliebten Eierer-Liste - die dieses Mal jedoch nicht mehr so Corona-lastig ausfallen wird wie die vorige. Auch wenn ich es mir, offen gestanden, nicht verkneifen kann, ein paar Seitenhiebe an jene ganz speziellen Exemplare zu verteilen, die uns Krisenzeiten wie diese noch ein kleines bisschen weniger erträglich machen. Aber über die allermeisten kritisch Nachdenkenden habe ich mich ja schon in meiner letzten Liste zur Genüge ausgelassen. Deshalb ist diese wieder ein wenig aufgelockert mit anderen Exemplaren nerviger Menschen.

Top-Eierer Numero 9: Die Realitätsverdränger

Und springen wir gleich ins kalte Wasser, damit wir es hinter uns haben! Ich weiß nicht, ob es am Lockdown liegt, als ich vergleichsweise wenig von der Außenwelt mitbekam, oder daran, dass ich mit Außenreizen ohnehin schon so meine Probleme habe - vielleicht ist es beides zusammen -, aber momentan habe ich das Gefühl, als drehe sich die Welt mit doppelter Geschwindigkeit. Beispielsweise habe ich besonders an belebten Plätzen oft das Gefühl, ständig aufpassen zu müssen, dass ich niemanden über den Haufen renne oder dass mich niemand über den Haufen rennt. Viele Leute rasen wie zu Ende der Adventszeit ohne links und rechts zu schauen durch die Gegend - wie Kühe beim Almabtrieb. Zudem fühle ich mich an der Supermarktkassa aktuell ziemlich häufig bedrängt - zumindest, wenn ich auf die glorreiche Idee komme, in der Innenstadt einzukaufen, anstatt einfach zum Hofer ums Eck zu gehen, wo es ein bisschen relaxter zugeht. Aber ich brauche ja unbedingt den Bio-Kaffee und das rosinenfreie Müsli vom SPAR! Zudem ist heute die erste Woche, in der man in Läden und Gastronomie-Betrieben keine Gesichtsmaske mehr tragen muss. Und als sei das noch nicht genug, ist mir auch das Busfahren in letzter Zeit ziemlich zuwider. Das liegt vor allem daran, dass vielen die Sicherheitsvorkehrungen mittlerweile egal zu sein scheint - die Masken werden nicht richtig aufgesetzt, manche tragen gar keine mehr, und häufig stehen alle so dicht gedrängt, dass ich jetzt wieder viel mehr zu Fuß unterwegs bin. Liebe Top-Eierer Numero 9: Nur weil die Maßnahmen jetzt gelockert wurden, heißt es noch lange nicht, dass alles vorbei ist!

Top-Eierer Numero 10: Die extrem aufgeschlossenen Penistorten-Bäckerinnen

Lassen wir also die letzten Corona-Eierer hinter uns und wenden wir uns nun denjenigen zu, die auch vor und nach einer solchen Pandemie hohes Nerv-Potenzial haben. Nun betrifft diese crazy Aufgeschlossenheit natürlich nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Die Frauen haben halt nur das größere Potenzial, sie auch in die Welt zu tragen - sowohl live als auch virtuell. Sie malen Penis-Bilder, backen Vagina-Muffins und Penistorten, sammeln Sexspielzeug, kommen sich dabei wie unglaublich aufgeschlossene, verrückte Hühner vor und finden das alles auch noch sooooo witzig! Hihihi, schau, ein Penis! Da, schon wieder einer, hihihihihi! Hihihihihi, sie hat Penis gesagt! Und natürlich muss das Sexleben auch haarklein auf Social Media ausgebreitet werden - natürlich, um den Neid der anderen Damen zu erwecken, die mit Sicherheit nicht so ein aufregendes Sexleben haben! Und selbstverständlich haben sie alle Fifty Shades of Grey gelesen oder zumindest die Filme gesehen, weshalb es natürlich nicht nur völlig in Ordnung, sondern auch total kühn und wagemutig ist, sich von seinem sexy Männi ein bisschen den Hintern versohlen zu lassen. Selbstredend, dass alle, die dieses Verhalten übertrieben und die Geschlechtsteil-Kunst eher ekelhaft finden, natürlich total spießig sind und gefälligst mal den Stock aus dem Arsch nehmen sollen.
Nun, ich habe an anderer Stelle schon einmal erwähnt, dass dieses Gekicher, wann immer es um menschliche Geschlechtsteile geht, und dieser wahnsinnig lustige Humor in Wirklichkeit auf Leute hinweist, die eigentlich selbst total spießig sind, aber gern crazy und aufgeschlossen wären. Ihr wahnsinnig lustiger, unglaublich schriller und edgy Humor bewegt sich auf dem geistigen Niveau von Kindergartenkindern, die bekanntlich alle Ausdrücke, die nur irgendwie mit Körperausscheidungen und Sexualität zu tun haben, zum Schreien komisch finden. Solche Leute finden dann auch Vulgär-Komödien total super und glauben, dass diese ach so viele Tabus brechen - obwohl sie das ja in Wirklichkeit gar nicht tun, denn wo es keine Tabus mehr gibt, können diese auch nicht gebrochen werden. Und selbst wenn man das tut, spricht das nicht automatisch für Qualität. Ich frage mich, ob diese Leute schon mitgekriegt haben, dass die Zeiten, als dereinst alle Leute in die Kino strömten, um Hildegard Knef in Die Sünderin für ein paar Sekunden nackt zu sehen, schon längst vorbei sind. Sexualität wurde, wie alles andere auch, schon längst von der Konsumgesellschaft vereinnahmt, und als sexuell aufgeschlossen gilt heute derjenige, der für die Befriedigung seiner körperlichen Gelüste einen ganzen Werkzeugkasten benötigt. Natürlich wollen wir nicht zurück in eine Zeit, als alles Sexuelle außerhalb des zeugenden Kontextes als Schande galt - aber es ist gerade die Tatsache, dass der Sexualität jegliches Geheimnis genommen wird, die dieser ihren Reiz entzieht. Entsprechend ist das vorab erwähnte Fifty Shades of Grey mit seinem vertraglich geregelten, neoliberalen Sex auch kein bahnbrechender Tabubruch, sondern lediglich ein Abbild der zum Konsumgut degradierten Sexualität unserer Zeit. Romane wie diese lösen das Versprechen, das sie verheißen, nicht ein und folgen damit den Gesetzen der Konsumgesellschaft - denn natürlich gibt auch Werbung ein Versprechen, von dem wir wissen, dass sie es nie einlösen wird können, denn wie soll mein Leben sich verändern, wenn ich statt diesem Waschmittel jenes kaufe? Dazu passt auch das, was ich an anderer Stelle schon erwähnt habe, nämlich, dass die heutige Pornographie den Menschen entmenschlicht, indem sie ihn auf bestimmte Körperteile reduziert. Liebe Top-Eierer Numero 10: Ihr seid leider nicht die ersten, die auf die Idee gekommen sind, Geschlechtsteile zu malen!

Top-Eierer Numero 11: Prominentengeile

Dieses Exemplar hat durchaus das Potenzial, seinen Horizont zu erweitern, verschwendet aber den letzten Rest seiner geistigen Fähigkeiten fast ausschließlich darauf, wie ein Schwamm jegliche Information über diesen oder jenen Prominenten aufzusaugen. Sie wissen genau, welcher Hollywoodstar seine Frau betrogen hat, was die Lieblingsfarbe von Tom Cruise ist und was David Beckham am 15. 6. 2002 zum Frühstück gegessen hat. Sie kaufen jedes Klatschblatt und schauen sich jede High-Society-Sendung an, tauschen sich mit anderen über die sexuellen Vorlieben von Nicole Kidman aus und können genau sagen, wer das Kleid von Prinz Harrys Ehefrau Meghan entworfen hat. Und natürlich ist es hierzulande ihr größter Traum, einmal auf dem Wiener Opernball von den ORF-Reportern aufgespürt zu werden, damit ihre Verwandten und Freunde sie morgen in der High-Society-Sendung Seitenblicke bewundern können. Ich frage mich häufig, ob solche Leute - hauptsächlich Frauen - überhaupt ein eigenes Leben haben, dass sie sich so sehr für das Leben von Personen interessieren, die sie eigentlich gar nicht kennen. Aber ja - früher hat man über die Nachbarn getratscht, heute tauscht man sich über Prominente aus. Wobei ich denke, dass es nicht ausschließlich daran liegt. Ich denke, dass diese Art von Voyeurismus in Wirklichkeit Ausdruck einer Sehnsucht ist, der Sehnsucht nach der Welt der Reichen und Schönen, zu der sie nie gehören werden. Diese Leute fühlen sich zu jenen hingezogen, die für sie nur Verachtung übrig haben und deren Luxus nur möglich ist, weil sie von ihnen ausgebeutet werden. Ähnlich wie die jungen Leute, die am meisten Gefahr laufen, in die Armutsfalle zu geraten, versuchen, so auszusehen und sich so zu verhalten wie ihre Unterdrücker und sich ihnen auf diese Weise zu unterwerfen, anstatt gegen die Unterdrückung anzukämpfen. Top-Eierer Numero 11 hat keinen Begriff mehr davon, was Freiheit eigentlich ist - er missversteht diesen Begriff als die Freiheit, sich alles kaufen zu können, was er begehrt. Diese unterschwellige Gewissheit, dass seine Sehnsucht sich nie erfüllen wird, macht, dass er den Reichen und Berühmten, denen er völlig unerkannt ist, seinen moralischen Stempel aufdrückt: Er urteilt über ihr Verhalten, ihre Art, sich zu kleiden und über ihren Körper, als sei er derjenige, der die Regeln macht und als hätten andere die Verpflichtung, sich danach zu richten. Ähnlich wie nervige Fangirls sich einbilden, sie hätten zu bestimmen, ob ihr Lieblingssänger eine Freundin haben darf oder nicht. Liebe Top-Eierer Numero 11: Ein bisschen vor der eigenen Türe kehren wäre angebracht.

Top-Eierer Numero 12: Leute, die erpresserische Kettenposts teilen

Wer kennt es nicht: Du hast ein Meme oder einen Text vor dir, mit dem du eigentlich ganz konform gehst, der sogar eine wichtige Botschaft vermittelt. Und am Ende steht dann sowas wie: "Wenn du das nicht teilst, bist du ein schlechter Mensch", "Niemand wird das teilen" oder "Nur wenige werden den Mut haben, das zu teilen". Früher ließ ich mich von sowas noch triggern. Heute teile ich Posts, die so enden, gleich extra nicht - denn ich habe absolut keine Lust, mich erpressen zu lassen. Es ist ja sehr schön, wenn man sich Gedanken macht über den Hunger in der Welt, über Tierquälerei und den Klimawandel, über Mobbing und psychische Erkrankungen. Wenn das niemand tut, ändert sich auch nichts. Die Sache ist halt die - wir ändern die Welt auch nicht, indem wir solche Memes teilen. Im vorletzten Jahrzehnt habe ich all die weltweiten Live-Aid-Konzerte für Afrika miterlebt - geändert hat sich seither nichts. Weil man eben so viele Konzerte geben und Memes teilen kann, wie man will; solange sich in Politik und Gesellschaft nicht grundlegend was ändert, lösen wir solche Probleme nicht. Liebe Top-Eierer Numero 12: Klar könnt ihr euch auch weiterhin über Social Media gegen soziale Ungerechtigkeit und die Ausbeutung unseres Planeten aussprechen - ich mache das schließlich auch. Aber ihr könnt nicht erwarten, dass jeder eure gut gemeinten Posts auch teilen wird. Ich bin gerne bereit, auf Probleme aufmerksam zu machen, aber ich lasse mich nicht dazu nötigen, bestimmte Posts zu teilen, nur weil sie mir erzählen, dass ich scheiße bin, wenn ich es nicht mache. Ähnlich wie auch die Kettenbriefe, in denen steht, dass man nur ein echter Freund ist, wenn man sie teilt - echte Freunde erkennt man nicht daran, dass sie deine Kettenbriefe teilen, sondern vor allem daran, dass die Chemie auch noch stimmt, wenn man mal länger nichts voneinander gehört hat, und dass der eine dem anderen nicht egal ist.

Ich hege die Hoffnung, dass ich jetzt länger nichts mehr zu dem leidigen Thema schreiben muss - zumal ich mittlerweile auch gar nicht mehr so viel Zeit dafür habe, mich über bestimmte Leute aufzuregen. Ich kann also wieder einigermaßen realistisch davon ausgehen, dass ich mich jetzt wieder anderen Dingen zuwenden kann. Natürlich ist es möglich, dass es neuerlich zu einer Ansteckungswelle kommt und ich dann wieder zu viel Zeit habe. Aber natürlich wollen wir das alle nicht hoffen - ich für meinen Teil merke, dass die Rückkehr ins Leben mir doch einiges an Kraft abverlangt, deshalb bin ich nicht so scharf darauf, das in naher Zukunft zu wiederholen. Allerdings haben wir in der Zeit seit Beginn der Krise doch so einiges über Covid 19 gelernt, sprich, möglicherweise werden wir, sollte es zu einem erneuten Anstieg kommen, ein bisschen besser damit umgehen können als beim letzten Mal. Ich hoffe jedenfalls das Beste - und dass ihr gesund bleibt und so gut wie möglich über die Runden kommt. Wir sehen uns jedenfalls mit Sicherheit bald wieder. Bon voyage!

vousvoyez

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