Mittwoch, 16. Januar 2019

Du sollst kein Universum betreten, in dem du nicht vierteln kannst

Dies ist ebenfalls eines der Zehn Gebote aus der Spaßreligion, die ich vor drei Jahren mit einem Arbeitskollegen gegründet habe. Damals war er 21 Jahre alt - und weckte entsprechend auch die Mutterinstinkte einiger älterer Kolleginnen. Zumal wir in der Nähwerkstatt natürlich einen Frauenüberschuss hatten. Wie viele sehr junge Leute, so war auch er, was die Aufmerksamkeit betrifft, nicht leicht bei der Stange zu halten; als er einmal während der Arbeit über irgendein Universum quatschte, fragte ihn eine Kollegin, ob man in diesem Universum auch vierteln könne. Gemeint war das Vierteln des Saumes einer Pumphose für Babys, ein Vorgang, der das Annähen eines Bündchens erleichtert. Deswegen ist es, wenn man den Nähgott anbetet, natürlich von Vorteil, wenn man sich nur in Universen aufhält, in denen man so etwas tun kann. Ich denke, dieses Gebot könnte man auch für andere Berufe anwenden - beispielsweise, wenn man den Küchengott anbetet.

Da ich diese Tätigkeit zurzeit nicht ausübe, ist der Glaube daran natürlich obsolet geworden - dabei hätte ich es interessant gefunden, hierfür eine Heilige Schrift zu verfassen, in der all die schrägen Gedanken verzeichnet sind, die wir damals so ausbrüteten.
Es dürfte euch inzwischen nicht entgangen sein, dass ich nicht nur gerne schreibe, sondern auch gerne lese. Die Liebe zum geschriebenen Wort teile ich mit meiner ganzen Familie - und das, obwohl nicht alle so leicht Zugang zu Büchern fanden. Mein Vater beispielsweise las bis in die Vierziger hinein fast nur Comics. Einer seiner ersten Lieblingsautoren aber war Umberto Eco, von dem er fast alle Bücher gelesen hat, die zu seinen Lebzeiten herauskamen. Auch ich habe einige davon gelesen - nicht nur die Romane, sondern auch die Artikel, die er in der italienischen Zeitschrift L'Espresso veröffentlichte und die ebenfalls übersetzt und in Büchern gesammelt wurden. Ich besitze bis heute noch etliche davon.

In einem dieser Artikel geht es um den Wert eines gesunden Misstrauens. Eco berichtet darin über Presseausschnitte, in denen es um ihn selbst ging und die nicht nur nicht immer der Wahrheit ent-, sondern die sich auch oft widersprachen, und über das Dilemma dessen, inwieweit man den Medien glauben darf. Als Beispiel erzählte er, wie er versucht hatte, seiner Tochter, als diese noch klein war, Medienkompetenz beizubringen. Er erklärte ihr, dass sie einen bestimmten Werbespot nicht glauben dürfe, weil das Fernsehen lüge. Als die Nachrichten daraufhin meldeten, dass es in Turin geschneit hatte, glaubte sie, dass auch dies nicht stimme, was sowohl bei ihr als auch bei ihrem Vater ein Dilemma auslöste - denn wie soll man einem kleinen Kind erklären, wie Medien funktionieren?

Heutzutage, wo wir ständig mit Nachrichten bombardiert werden, ist das natürlich ungleich schwieriger. Ich bin ja auch noch sozusagen mit den "alten" Medien aufgewachsen, also Fernsehen, Printmedien und Radio. Vor dem Hauptabendprogramm gab es im Fernsehen die Nachrichten, morgens beim Frühstück die Zeitung und zwischendurch das Radio. Auch mir wurde schon damals erklärt, dass ich nicht alles glauben soll, was die Medien behaupten, und auch ich habe eine Zeit gebraucht, bis ich überhaupt nur irgendwie dahinter gestiegen bin, was ich jetzt glauben kann und was nicht. Heute ist die Herausforderung weitaus größer.

Die Rechtspopulisten in Europa machen es sich da natürlich einfach - sie lösen es wie Donald Trump und erklären alles, was kritisch gegen sie ist, zu "Fake News". Diese Strategie scheint auch bei so manchem auf fruchtbaren Boden zu fallen - es gibt genügend Leute, die irgendwelchen haarsträubenden Äußerungen dubioser Internetseiten mehr Glauben schenken als dem seriösen Journalismus. Das hab ich ja in meinen Artikeln über Verschwörungsideologien auch schon angesprochen. Immer mehr ist man nur noch bereit, zu diskutieren, wenn die Äußerungen der eigenen zementierten Meinung entsprechen. Immer mehr schenkt man denen Gehör, die uns erzählen, schuld daran, dass wir dieses und jenes nicht haben, seien andere - und das betrifft durchaus nicht nur die Rechten, diese schreien halt nur oft am lautesten. Es ist halt heute so, dass du dir oft nicht mehr aktiv selbst aussuchst, mit welcher Meinung du konfrontiert werden willst, zumindest dann nicht, wenn es um digitale Medien geht - meist schreibt dir das heute irgendein Algorithmus vor. In Marc-Uwe Klings Roman QualityLand wird dieser Sachverhalt herrlich auf die Spitze getrieben - in dieser Zukunftsvision wird man medial nur noch mit der eigenen Meinung gefüttert und hat gar nicht mehr die Möglichkeit, sich mit anderen Ansichten zu konfrontieren. Und dabei ist das so ungeheuer wichtig - hätte ich mein Leben lang nur gehört und gelesen, was mit meiner Meinung konform geht, hätte ich nie Kritik einstecken müssen, dann würde ich heute wahrscheinlich in einer Seifenblase leben, die mir eine Schwarz-Weiß-Welt vorgaukelt.

Das soll nach wie vor nicht bedeuten, dass die etablierten Medien ausschließlich die Wahrheit erzählen. Die Presseausschnitte über Umberto Eco sollten uns ein Beispiel sein, dass dem eben auch nicht immer so ist. Auch seriöse Journalisten werden von einer Meinung geprägt, auch seriöse Medien folgen einer bestimmten Richtung. Aber für mich ist das kein Grund, irgendwelchen populistischen und/oder schwurbeligen Websites mehr zu glauben, wo man die Quelle oftmals gar nicht mehr ermitteln kann und die häufig sogar die offensichtlichsten Fakten ignorieren. Das wichtigste ist - wie Eco schon bemerkt hat -, ein gesundes Misstrauen zu bewahren. Die Presse- und Meinungsfreiheit sind nun mal auch Grundpfeiler einer modernen Demokratie - wobei man diese beiden Dinge natürlich richtig verstehen sollte. Diese Art von Freiheit bedeutet, dass man sagen darf, was man will, ohne vom Staat dafür bestraft zu werden. Sie bedeutet aber auch, dass man für das, was man sagt oder schreibt, auch kritisiert und in Frage gestellt werden darf - denn Meinungsfreiheit gilt nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere, die eben auch eine andere Meinung haben. Und die dürfen diese Meinung genauso haben wie du deine. Unter diesem Gesichtspunkt verwundert auch die Empörung gegen unseren Innenminister nicht, der forderte, dass regierungskritische Medien nur noch eingeschränkte Informationen erhalten sollen.

Klar - für die Abschaffung einer gefestigten Demokratie bedarf es weitaus mehr als solcher glorreichen Ideen. Man soll wachsam sein, aber keineswegs panisch - dies führt zu nichts. Man tut lediglich gut daran, die Zeichen zu erkennen - und im Rahmen seiner Möglichkeiten gegenzusteuern. Aber den Untergang zu prophezeien, hilft niemandem - denn dann sind wir auch nicht besser als diejenigen, die heute das Ende unseres Abendlandes voraussagen - nur um morgen festzustellen, dass alles doch nicht so schlimm ist.

vousvoyez

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