![]() |
iStock |
Und bekanntlich wissen wir ja alle, dass Studien heute unabdingbar sind, um hanebeüchenen Behauptungen etwas entgegenzusetzen. Wobei das ja nicht bei allen funktioniert - ich kann euch gar nicht sagen, wie ermüdend ich mittlerweile Sätze wie "Traue keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast" finde. Ein Witz verliert halt an Schlagkraft, wenn man ihn zu oft wiederholt. Besonders, wenn er vollkommen unangebracht ist - und von Leuten kommt, die in Wirklichkeit überhaupt nichts von Humor verstehen.
Als ich mir das letzte Video von unserem Schwurbelbarden Xavier Naidoo angesehen habe, ist mir das auch aufgefallen - der Mann hat sich zumindest in seinem Habitus überhaupt nicht verändert. Seine Art zu reden ist so salbungsvoll und bedeutungsschwanger wie eh und je, und das ist halt auch einer der Gründe, weshalb ich diesen Jammerlappen wohl niemals vollends ernst nehmen werde können. Er nimmt sich selbst und alles was er tut so unfassbar wichtig, dass jenes Hirnareal, in welchem bei anderen Menschen der Humor sitzt, bei ihm nur ein gähnendes schwarzes Loch zu sein scheint. Das ist auch das, was er mit den anderen Schwurbelinos und Schwurbelettas gemeinsam hat - selbst diejenigen, die sich ständig als besonders humorvoll inszenieren und pausenlos alles "ironisch" meinen, nehmen das, was sie unter "Humor" verstehen, so bierernst, dass es mit Humor nichts mehr zu tun hat. Und so wirken diejenigen, die sich Eimerchen über den Kopf stülpen oder ihre primären Geschlechtsteile mit OP-Masken bedecken, weder lustig noch mutig, sondern einfach nur jämmerlich - gerade deswegen, weil sie sich besonders clever, frech und kreativ dabei vorkommen. Traurig eigentlich.
Ja, inzwischen müsste auch der letzte Eremit im hintersten Arschlochwinkel mitbekommen haben, dass Xavier Naidoo sich entschuldigt hat. Und jeder, ob wichtig oder unwichtig, hat dazu bereits seine Meinung gesagt - also kommt's auf eine mehr oder weniger auch nicht mehr an, nicht wahr? Nun habe ich mich ja schon vor zwei Jahren bereits zu der singenden Beileidskarte geäußert, nachdem er um ein paar erfundene Kinder geheult hat und so zu einem sehr dankbaren Meme geworden ist - und habe angedeutet, dass er schon zu jenem Zeitpunkt kein unbeschriebenes Blatt mehr war. Um so überraschender kam jetzt sein jüngstes Statement, in welchem er auf einmal das Gegenteil all dessen behauptete, was er vor allem in den letzten beiden Jahren so rausgehauen hatte - und das, nachdem er vor noch nicht allzu langer Zeit noch fleißig russische Propaganda verbreitet hatte. Wobei natürlich die Frage im Raum steht, ob es wirklich so überraschend ist, aber dazu komme ich noch. Und selbstverständlich rennen seine Gesinnungsgenossen jetzt verstört durch die Gegend wie kopflose Hühner - wie kann es sein, dass "ihr" Xavier auf einmal mit "dem Feind" paktieren will? Und wie zu erwarten, mussten sich viele von ihnen auf der Stelle Luft machen - beispielsweise sein enger Kumpel, der vegane Koch und Hirsehitler Attila Hildmann, der mit antisemitischen Schwurbel-Parolen um sich warf und sich dann feige in die Türkei verdrückt hat, als es ihm in Deutschland nicht mehr sicher genug war. Er fühlte sich verraten, zog Parallelen zur Dolchstoßlegende und verglich Naidoo - Gott bewahre! - mit Jan Böhmermann, Olaf Scholz und Annalena Baerbock. Wie gemein!
Aber nicht nur Hildmann hüpft aktuell herum wie das Rumpelstilzchen persönlich - auch Michael Wendler, der sogar noch schlechtere Musik machen kann als der gute Xavier, ließ es sich nicht nehmen, aus seinem selbst gewählten "Exil" in den USA heraus seiner Schockiertheit Luft zu machen. Und auch dem QAnon-Fan und Hetzjournalisten Oliver Janich fielen auf den Philippinen vor lauter Schreck die Beruhigungspillen in die soeben aufgeschlagene Kokosnuss. Nachdem ihm diese anschließend von einem Koboldmaki geklaut worden war, welches kurz darauf selig in einer Baumhöhle schlummerte, berief er zusammen mit zwei anderen Schwurbelköpfen ernsthaft eine "Sondersendung" ein, in der die drei mit todernster Miene den haarsträubendsten Quatsch von sich gaben, so als befänden sie sich gerade in einer höchst gravierenden Staatskrise. Währenddessen erklärte "Volkslehrer" Nikolai Nerling, nachdem er sich an seinen Eiernockerln verschluckt hatte, dass Xavier Naidoo eh nie ein richtiger "Führer" gewesen sei und dass es nun Zeit wäre, sich nach einem neuen umzusehen. Markus Haintz verwandelte sich derweil in ein Fragezeichen und reflektierte scharfsinnig zusammen mit Bodo Schiffmann, der nur mit Mühe die Krokodilstränen zurückhalten konnte, darüber, ob hinter dem Video nicht möglicherweise selbst eine Verschwörung stecken könnte. Wie kreativ! Und nicht nur die beiden stecken ihre Köpfe zusammen - auch beim "gemeinen Fußvolk" auf Telegram ist mittlerweile der Teufel los! Denn diesen scharfsinnigen Geistern ist natürlich nicht entgangen, dass Xavier Naidoo in seinem Video keine Brille trägt! Klar - ich fange auch immer an zu lügen, sobald ich meine Brille absetze. Ich kann einfach nicht anders! Viele vermuten hinter dem Video einen Deep Fake, manche glauben gar, er werde von den pöhsen Satanisten erpresst, welche die Familie seiner ukrainischen Frau als Geisel genommen hätten. Oliver Janich liefert sogar den "Beweis" für eine mögliche Verschwörung - ein noch relativ neues Video vom Spiegel, in dem jemand spekuliert, ob einer der prominenten Verschwörungsideologen möglicherweise mal eine Kehrtwendung macht. So oder so, die Telegram-Bubble ist wieder mal in ihrem Element. Gleichzeitig zeigt sich in Situationen wie diesen, auf welch tönernen Füßen diese "Wahrheits-" und "Freiheitsbewegung" in Wirklichkeit steht - eine einzige Person, die in einem kurzen Video ihre Ansichten revidiert, reicht aus, dass alle sofort Zeter und Mordio schreien und die wildesten Theorien darüber spinnen, wie es nur so weit kommen konnte.
Aber natürlich interessiert euch brennend, wie ich Xaviers Statement einschätze, nicht wahr? Immerhin hat sich vor mir ja noch keiner dazu geäußert, bis auf alle! Und leider kann ich euch auch nichts Neues mitteilen: Ich bin genauso zwiegespalten wie die meisten anderen auch. Nun habe ich ja das Glück, dass sein Sprachrhythmus und seine Reimkunst in mir stets ein Gefühl erzeugen, welches jenem gleicht, das man empfindet, wenn jemand mit sehr langen Fingernägeln über eine Schultafel kratzt - und wenn man kein Fan ist, muss man sich nicht erst mühsam distanzieren. Zumal mir seine Äußerungen auch schon vor vielen Jahren, als er noch ein wesentlich breiteres Publikum hinter sich hatte, suspekt waren. Jajaja, die Frau mit der großen Brille will sich mal wieder profilieren - aber sind wir uns doch ehrlich, der gute Mann war doch in Wirklichkeit nie ein unbeschriebenes Blatt! Seit fast einem Vierteljahrhundert fällt er immer wieder mit antisemitischen, rassistischen, nationalistischen und homophoben Äußerungen auf - all jene Geisteshaltungen, die laut der Aussagen in seinem Video mit seinen Werten nicht vereinbar seien. Und gerade aus diesem Grund sollten wir sein Statement mit Vorsicht genießen. Aber was meine ich damit, dass es vielleicht doch nicht so überraschend kam, wie es scheint?
Aktuell verlieren die "Corona-Rebellen" ja massiv an Bedeutung - die Maßnahmen gegen das Coronavirus werden allmählich aufgehoben, und mit vorsichtigen Schritten kehrt man wieder zur Normalität zurück. Gleichzeitig hat der Ukraine-Krieg das seit zwei Jahren vorherrschende Thema ein wenig mehr aus den Schlagzeilen verdrängt, während die rechte Bubble sich aufgrund dieses Ereignisses so ein bisschen selbst zerlegt. Andererseits laufen auch schon wieder Live-Veranstaltungen an, die ersten Konzerte und Festivals werden bereits auf den Weg gebracht. Wir dürfen nicht vergessen, dass Xavier fast sein halbes Leben lang ein äußerst gefragter Musiker war, der keineswegs nur in der Szene der Rechtsgestrickten und Verschwörungsideologen beliebt war. In den letzten beiden Jahren hat er sich mit seinen Verschwörungserzählungen und menschenverachtenden Äußerungen allerdings endgültig ins Aus geschossen - das einzige, was ihm noch blieb, war seine Reichweite auf Telegram, und selbst die ist jetzt, wo die Pandemie kein so großes Thema mehr ist, im Schwinden begriffen. Und nachdem die meisten Veranstalter mit dem armen Xavier nichts mehr zu tun haben wollen, es aber andererseits wieder etwas ruhiger um ihn geworden ist, ist es jetzt doch besonders günstig, wieder aus der Versenkung aufzutauchen mit einem "Haha, war gar nicht so gemeint, gehen wir wieder zur Tagesordnung über!"
Versteht mich nicht falsch: Ich hoffe wirklich, dass er es ernst meint. Das Ding ist nur: Es ist nicht das erste Mal, dass der gute Herr Naidoo einen solchen Move startet. Das war auch in der Vergangenheit schon immer wieder seine Masche. Der Mann war immer schon ein talentierter Blender - nicht umsonst haben ihn sogar Leute verteidigt, die es eigentlich besser wissen müssten. Auf diese Weise hat er dazu beigetragen, fragwürdige Äußerungen sukzessive in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Nach seinem Rauswurf bei DSDS hat er offen zugegeben, die Medien instrumentalisiert zu haben, um für ein neues Album zu werben und seine Ideologie unter die Leute zu bringen. Bereits 1998 musste in einer MTV-Live-Sendung der Ton abgeschaltet werden, weil Naidoo die Legitimität der Bundestagswahlen negiert hatte. Ein Jahr später bezeichnete er sich in einem Interview als "Rassist [...] ohne Ansehen der Hautfarbe". In vielen seinen Liedern - bevorzugt jenen, die gut versteckt auf seinen Alben publiziert wurden - stellt er die Demokratie in Frage, verbreitet die altbekannten antisemitischen Verschwörungserzählungen und verbreitet Anti-Amerikanismus. Viele seiner Songtexte hätten jeder Rechtsrockgruppe zu Ehren gereicht - in jenem Lied, das ihn seinen Posten als DSDS-Juror kostete und auch den Rest seiner Fans, die noch über einen klaren Kopf verfügten, gegen ihn aufbrachte, nutzt er explizit faschistische Sprache und ruft zu Gewalt und Bürgerkrieg auf. Er machte die Reichsbürgerbewegung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und die QAnon-Sekte im deutschsprachigen Raum bekannt - sprich, er hat in diesem Spiel keineswegs eine passive Rolle gespielt, sondern erheblichen Schaden in der Gesellschaft angerichtet. Und das soll jetzt alles wieder gut sein, nur weil er sich drei Minuten lang vage entschuldigt hat? Ernsthaft? Soll es wirklich genügen, dass jemand sich von den letzten zwei Jahren distanziert, wenn seine eher ... ähm ... schwierige Haltung schon fast ein Vierteljahrhundert zurückreicht? Ist ein kurzes Video genug, damit wir alle Hand in Hand mit ihm barfuß über Blumenwiesen hüpfen und dabei We Shall Overcome singen? Und ich kann verstehen, dass viele die Hoffnung hegen, auch andere verlorene Schäfchen aus dem Sumpf der Verschwörungsideologien zurückholen zu können, wenn man ihm die Hand reicht - aber sollen wir signalisieren, dass jeder Promiente sich nach Belieben wie die letzte Wildsau aufführen darf, solange er sich hinterher artig entschuldigt?
Ich finde, wir sollten bereit sein, jemanden, der in die Gesellschaft zurückkehren will, die Hand zu reichen - aber wir sollen es uns und ihm damit auch nicht zu leicht machen. Wir sollten genau beobachten, wie Herr Naidoo sich in nächster Zeit verhalten wird, anstatt ihm sofort wieder den roten Teppich auszurollen. Und wir sollten skeptische Stimmen nicht in derselben Manier niederschreien, wie unsere Schwurbelfreunde jede Meinung niederschreien, die nicht ihre ist. Wir haben es nun mal nicht mit einem x-beliebigen Typen zu tun, der sich mal in was verrannt hat, sondern mit einem prominenten Musiker, der zwei Jahrzehnte lang bewusst und mit Vergnügen gezündelt hat. Deswegen darf man durchaus skeptisch sein und das auch äußern - und man muss es aushalten, dass es möglicherweise Leute gibt, für die das Thema Xavier Naidoo immer ein bisschen ein rotes Tuch bleiben wird. Das mag dem einen oder anderen unfair erscheinen, aber man kann halt nicht von allen Menschen grenzenlose Geduld erwarten. Es mag sein, dass gerade seine direkte Betroffenheit durch den Ukraine-Krieg - immerhin hat er eine ukrainische Ehefrau - ihn zum Umdenken bewegt hat. Und selbstverständlich ist der Ausstieg aus der rechtsextremen Verschwörungsszene ei großer Schritt, der sehr viel Mut und Selbstreflexion erfordert. Ich möchte euch nicht dazu anhalten, eure Türen für immer zu verschließen - ich möchte euch nur bitten, ein bisschen vorsichtig zu sein. Alles andere wird die Zeit zeigen. Und damit ihr mir nicht böse seid, dass ich euch doch noch mit Xavier Naidoo geärgert habe, füge ich noch ein Foto von einem Koboldmaki hinzu.
vousvoyez