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Photo by Luis Villasmil on Unsplash |
Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für all jene, die sowieso schon ein Problem mit jugendlichen Aktivisten und Menschen mit anderer Hautfarbe haben - und die sich nur allzu gerne in der Opferrolle suhlen. Und so haben sich Boulevard-Presse, Konservative und Rechtspopulisten in den letzten Wochen begeistert über den "Woke-Wahnsinn" und die "Cancel Culture" der jungen Generation ereifert - und auf einmal setzen sich die, die in puncto Rassismus sonst nicht gerade zimperlich sind, für das Recht ein, Dreadlocks zu tragen, während jene, die sich eigentlich für gesellschaftlichen Fortschritt einsetzen, auf einmal Töne anschlagen, die man zuletzt von den strafgeilen Konservativen der 1960er Jahre gewöhnt war, welche männlichen Jugendlichen nahelegten, ihre Haare abzuschneiden.
Nun wisst ihr ja, dass ich generell das, wofür sich Fridays for Future eigentlich einsetzt, durchaus befürworte und überhaupt nicht damit einverstanden bin, dass Versäumnisse der Vergangenheit auf dem Rücken der jungen Generation ausgetragen werden soll - sei es Klimawandel, Bildungsmisere oder staatliche Verschuldung. Und selbstverständlich ist mir klar, dass es sich bei FfF Hannover nicht um die gesamte Bewegung handelt, sondern nur um eine regionale Zweigstelle. Andererseits erleben wir jedoch aktuell genau das, was bereits mit vielen Jugendkulturen passiert ist - nämlich die Kommerzialisierung von Fridays for Future. Denn einerseits ist der Name inzwischen eine geschützte Marke, die bereits Milliarden wert ist, andererseits wird der Klimaschutz-Aktivismus bereits seit einiger Zeit von allen möglichen Startup-Unternehmen vereinnahmt - während man bei Talkshows aktuell häufig das Gefühl hat, dass Moderatoren, Gäste und Innen diese nichtsnutzige Jugend am liebsten selbst an die Front schicken würden, auch wenn die meisten von ihnen selbst Krieg nur aus den Medien kennen. Gleichzeitig springen auch die etablierten Unternehmen auf den FfF-Zug auf, indem sie selbst ein bisschen Grünfärberei betreiben - und am Ende geben sich selbst McDonald's und Nestlé besonders nachhaltig und menschenfreundlich. So ist aus ein paar jungen Querulanten, die freitags auf die Straße gingen, inzwischen eine Wirtschaftsmarke geworden, und sowohl Unternehmen als auch Medien schmücken sich gerne mit deren Frontleuten, um eine junge Zielgruppe zu erreichen.
Gleichzeitig darf man jedoch nicht vergessen, dass sie auf eines der wichtigsten Themen unserer Zeit aufmerksam machen wollen - nämlich den menschengemachten Klimawandel, der nun mal ein ganz reales Problem ist und von dem man das Gefühl hat, dass die Verantwortlichen sich mit dem Thema nur sehr peripher auseinandersetzen wollen. Denn obgleich sich die Auswirkungen des Klimawandels schon heute zeigen, ist das Thema immer noch so abstrakt, dass man damit keine Wahlen gewinnen kann - vor allem, weil die Entscheidungsträger die härtesten Konsequenzen wahrscheinlich nicht mehr erleben werden. Entsprechend haben sich die Aktivisten aus Hannover mit ihrer Ausladung der Musikerin Ronja Maltzahn auch ziemlich in die Nesseln gesetzt - denn man kann sich nicht dem Anti-Rassismus verschreiben, gleichzeitig aber Personen aufgrund ihrer Frisur und Hautfarbe ausschließen. Und man kann einer Person nicht mangelnden Respekt an anderen Kulturen unterstellen und ihr im gleichen Atemzug vorschreiben, was sie mit ihren Haaren zu machen hat. Nun habe ich ja bereits einen Artikel geschrieben, in dem ich erklärt habe, wie ich zu dem Thema Cultural Appropriation, also kulturelle Aneignung, stehe. Und ich wiederhole: Selbstverständlich kann ich verstehen, dass Minderheiten über die Entfremdung ihrer kulturellen Attribute nicht gerade erfreut sind - aber anstatt darüber zu diskutieren, schafft man nur wieder jene Barrieren, die man ursprünglich mal einreißen wollte. Und ganz nebenbei spricht man wieder für eine marginalisierte Gruppe, die eigentlich auch ganz gut für sich selbst sprechen könnte - denn soweit ich mitbekommen habe, sind viele BPoC gar nicht erfreut darüber, dass weiße Jugendliche wieder mal über ihren Kopf hinweg über ihre Befindlichkeiten entschieden haben, sie aber jetzt mit den Konsequenzen konfrontiert werden. Im Wesentlichen passiert genau das, was ich vor gut einem Jahr schon kritisiert habe: Nämlich, dass ein Thema, das eigentlich angesprochen werden müsste, inzwischen wieder zu einer dieser ewigen "Wer-nicht-für-uns-ist-ist-gegen-uns"-Debatten geführt hat. Und dass genau das getan wird, was Rechten so gerne vorgeworfen wird: Nämlich, Kultur und Hautfarbe als etwas Statisches, Unveränderliches, klar Abgrenzbares zu definieren, selbst wenn man einem Menschen die ethnische Herkunft nicht immer gleich ansieht. Muss also das hellhäutige Kind einer Person of Colour in Zukunft einen Abstammungsnachweis mit sich führen, um nicht aufgrund seiner Frisur in den Verdacht zu geraten, kulturelle Aneignung zu betreiben?
Und dabei sollten wir inzwischen alle begriffen haben, dass verfilzte Haare in der Menschheitsgeschichte nicht ausschließlich Schwarzen vorbehalten waren, sondern auf allen Kontinenten und in allen ethnischen Gruppen getragen wurden und werden - etwa am spanischen Hof im 16. Jahrhundert, von aztekischen Priestern, den indischen Sikhs und muslimischen Derwischen. Dass sich die Vorstellung manifestiert hat, Dreadlocks seien ausschließlich ein Ausdruck Schwarzer Identität, ist eine popkulturelle Referenz, die ihren Ursprung in der jamaikanischen Rastafari-Kultur hat - einer religiös motivierten Protestbewegung des frühen 20. Jahrhunderts, die später vor allem durch Bob Marley und andere Reggae-Musiker bekannt gemacht wurde. Und dabei entspricht diese Subkultur keineswegs dem woken Ideal, mit dem sich Communities wie Fridays for Future so gerne schmücken - denn das Weltbild der Rastafaris ist extrem patriarchal und homophob. Versteht mich nicht falsch - ich höre selbst gerne Reggae, aber bisweilen irritiert mich doch, wie sehr diese Aspekte immer wieder ausgeblendet werden. Ebenso, wie in der aktuellen Debatte kaum darauf eingegangen wird, dass es keine homogene "schwarze" Kultur gibt - und dass in vielen ethnischen Gruppen Afrikas südlich der Sahara Dreadlocks verpönt sind. Und auch Afrikaner, die sich Dreadlocks stehen lassen, tun dies nicht immer aus kulturellen, sondern bisweilen aus rein ästhetisch-modischen Gründen - was man ebenfalls als "kulturelle Aneignung" verstehen könnte. Und Malcolm X, der Initiator der Black-Panther-Bewegung, sah Dreadlocks als Verleugnung der eigenen Identität, da diese dem Afro-Haar seine Sichtbarkeit nähmen. Im übrigen möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass weiße Dreadlock-Träger zwar keine Opfer von Rassismus werden, dass sie aber ebenfalls mit Diskriminierung konfrontiert werden - ob in der Gesellschaft, im Beruf oder auch dadurch, dass sie von der Polizei eher kontrolliert werden als Menschen, die keine Dreadlocks tragen. Klar kann man einwenden, dass Dreads freiwillig getragen werden - aber vielen geht es eben gerade darum, sich diskriminierten Gruppen anzunähern und sich durch ein gewisses Äußeres mit ihnen zu solidarisieren.
Das ist auch der Grund, warum ich bisweilen ein wenig mit meiner Zugehörigkeit zum linken Lager hadere - während die Rechten sich gegen einen "gemeinsamen Feind" größtenteils einig sind, erklären wir unsere Gesinnungsgenossen selbst zum Feind, indem wir versuchen, uns gegenseitig im "Wokesein" zu übertrumpfen und dabei all jene abwerten, die uns nicht zu hundert Prozent nach dem Mund reden. Dabei schießen viele gern über das Ziel hinaus, indem sie allen, bei denen sie Attribute einer anderen Kultur entdecken, pauschal die Fähigkeit absprechen, dieser Respekt entgegenzubringen - und somit aktiv erneut an einer Entfremdung der Kulturen untereinander arbeiten. Dabei vereint Ronja Maltzahn in ihrer Band Künstler aller Kontinente und Kulturen und setzt sich für Diversität und gegenseitige Akzeptanz ein. Und auch auf die Ausladung von FfF Hannover reagierte die 28jährige wesentlich erwachsener als viele, die wesentlich älter sind als sie. Im Großen und Ganzen zeigt sich hier aber eines der Hauptprobleme von FfF - nämlich, dass diese Organisation sich größtenteils aus Menschen zusammensetzt, denen es an Lebenserfahrung fehlt und an Kompetenz, auf die Realität von Menschen einzugehen. Und das meine ich überhaupt nicht böse - im Gegenteil, ich habe früher auch Sachen geglaubt, von denen ich heute weiß, dass sie nicht haltbar sind. Denn als Jugendlicher und junger Erwachsener denkt man, man sei klüger als die meisten anderen und habe die perfekte Lebensformel gefunden, die man sofort aller Welt überstülpen will. Andererseits brauchen wir auch die Energie, Naivität und Leidenschaft der Jugend, um unsere Gesellschaft voranzubringen. Und gerade deswegen ist es auch wichtig, nicht auf den Zug der Konservativen aufzuspringen und alle FfF-Aktivisten als faule Schulschwänzer zu beschimpfen, sondern als gesellschaftliches Korrektiv einzugreifen, wenn diese sich etwas zu weit aus dem Fenster lehnen. Denn letztendlich braucht es uns alle, um etwas zu verändern.
vousvoyez
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