Mittwoch, 14. April 2021

Bei Strache gegen die FPÖ ist es wie bei Bayern gegen Salzburg: Ich hoffe immer, dass beide verlieren

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Ein Gefühl, das wohl viele mit mir teilen. Wobei es abseits vom Ibiza-Skandal ja ziemlich ruhig um unseren ehemaligen Witzekanzler (hihi) geworden ist. Außer dass er mal den einen oder abstrusen Social-Media-Post raushaut. Und so der Faktencheck-Seite FPÖ Fails neuen Zündstoff liefert. Und ihren Fans, zu denen auch ich mich zähle, zumindest einen täglichen Lacher. Den wir momentan ja auch dringend brauchen. Abseits davon sind die Schlagzeilen natürlich nach wie vor voll von Hiobsbotschaften, weshalb ich finde, wir sollten uns, wenn möglich, auch Ruhephasen schaffen und uns davon ablenken. Und nachdem mir in letzter Zeit wieder die eine oder andere spannende urbane Legende untergekommen ist, möchte ich mich heute wieder einmal mit diesen auseinandersetzen.

Auf die erste Geschichte stieß ich schon einige Jahre zuvor, aber bei der Recherche zum letzten Artikel wurde sie mir in einer Dokumentation ganz zufällig wieder in Erinnerung gerufen: Die Geschichte des traurigsten Liedes der Welt. Dieses entstand im Oktober 1932: Der ungarische Dichter László Jávor soll den Schmerz darüber, von seiner Verlobten verlassen worden zu sein, verarbeitet haben, indem der das Gedicht Szomorú Vasárnap (dt. Trauriger Sonntag) niederschrieb und den Pianisten Rezső Seress darum bat, eine Melodie dazu zu komponieren. So entstand 1933 eine der am meisten gecoverten Melodien überhaupt, die im englischsprachigen Raum unter dem Titel Gloomy Sunday, im deutschsprachigen als Das Lied vom traurigen Sonntag berühmt wurde. Von dem ungarischen Text gab es noch eine zweite Fassung, die von Seress während des zweiten Weltkriegs geschrieben wurde, den Titel Vége a világnak ... (Ende der Welt) trägt und in der es nicht mehr um die Trauer einer verlorenen Liebe geht, sondern um den Verlust der Menschlichkeit durch die Grausamkeit des Krieges. Die englischsprachige Version, die gleichzeitig auch die bekannteste ist, stammt von Sam M. Lewis und wurde für eine Aufnahme des Jazz-Saxophonisten Hal Kemp aus dem Jahr 1936 verfasst. Sie wurde von vielen namhaften Musikern gecovert; am bekanntesten ist sicher die Version von Billie Holiday, es sind aber auch eine Reihe anderer bekannter Namen wie Paul Robeson, Ricky Nelson, Ray Charles, Elvis Costello, Genesis, Sinéad O'Connor oder Björk darunter. Aber warum erzähle ich euch das überhaupt?

Ganz einfach: Es gibt nämlich Leute, die glauben, dass dieses Lied verflucht ist. Denn angeblich soll jeder, der es hört, hinterher den Drang verspüren, Suizid zu begehen - weshalb es auch "Lied der Selbstmörder" genannt wird. Tatsächlich wird dieses Gerücht von manchen so ernst genommen, dass es auf YouTube zu einem Re-Upload der Originalversion ernsthaft eine Trigger-Warnung gibt. Die traurige Stimmung dieses Liedes machte es Seress tatsächlich schwer, einen Verlag zu finden, der sich bereit erklärte, die Noten zu drucken; 1935 entstand mit dem ungarischen Sänger Pál Kalmár die erste Tonaufnahme. Bereits 1936 gab es erste Berichte über Suizidfälle, die mit dem Lied in Verbindung standen - so wurde von einem jungen Mann erzählt, der sich in einem Budapester Café von der Band dieses Lied gewünscht hätte; anschließend sei er nach Hause gegangen und habe sich erschossen. Ein weiterer Fall erzählt von einer Frau, die von ihren Nachbarn an einer Drogenüberdosis gestorben in ihrer Wohnung aufgefunden worden sei, während ihr Grammophon Szomorú Vasárnap in Dauerschleife spielte. Auch Jávors Ex-Verlobte soll sich, nachdem sie das Lied gehört hatte, umgebracht und einen Zettel mit den Worten "Szomorú vasárnap" hinterlassen haben. Und so gab es haufenweise Berichte über Suizidfälle, die angeblich durch das Lied ausgelöst worden sein sollen - meist sollen sie ein Notenblatt mit dem Lied in der Hand gehalten oder einen Abschiedsbrief mit den Worten "trauriger Sonntag" hinterlassen haben. Auf diese Weise wurde die internationale Öffentlichkeit auf die ungarische "Selbstmordhymne" aufmerksam - und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Geschichten sowohl Lewis' Übersetzung als auch die deutsche Version beeinflusst haben, denn in der ungarischen Originalversion ist noch nicht von einer Todessehnsucht die Rede - auch wenn diese zumindest in der englischen Version in der letzten Strophe revidiert und als Traum entlarvt wird. Bille Holidays Interpretation stammt von 1941 und machte das Lied vor allem in den englischsprachigen Ländern bekannt. Doch auch ihre Version wurde mit vielen Suizidfällen in Verbindung gebracht, weshalb die BBC den Song bis zum Jahr 2002 offiziell aus ihrem Programm strich. Im Jahr 1999 wurde die Geschichte des Liedes in dem deutsch-ungarischen Film Ein Lied von Liebe und Tod fiktiv aufgearbeitet, wobei in der Handlung wieder das Motiv der tragischen Liebe aufgegriffen wurde, während der deutsche Text ebenfalls eine Abwandlung ist und sich auf die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs bezieht.

Aber was stimmt denn nun und was nicht? Nun - es wird vermutet, dass die Geschichte rund um die Entstehung des Liedes nicht ganz der Wahrheit entspricht und dass der Text erst nachträglich zur Melodie hinzugefügt wurde. Dafür spricht die ausdrucksstarke, geradezu hypnotisch wirkende Diktion, die in Billie Holidays Version aufgebrochen ist und sich so stärker an der Intensität und Variabilität ihrer Stimme orientiert. Auch bei der Anzahl der Suizide, die mit diesem Lied in Verbindung stehen, wurde offensichtlich maßlos übertrieben, wie es bei urbanen Legenden ja üblich ist. Ich persönlich denke, dass die Häufung der Suizidfälle auch mit der Zeit zu tun haben könnte, in der dieses Lied entstand - in einer Zeit der politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Leute nicht mehr weiterleben wollen. Zudem ist Ungarn offenbar für seine hohe Suizidrate bekannt. Ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass nur ein Lied Menschen, die zuvor nie den Wunsch verspürten, ihrem Leben ein Ende zu setzen, in den Suizid getrieben hat - ich habe es mir im Zuge der Recherchen jetzt mehrmals angehört, und obgleich ihr ja inzwischen wisst, dass meine Psyche nicht ganz so stabil ist wie die manch anderer und ich mir, zumal ich sehr stark auf Musik reagiere, das wahrscheinlich nicht anhören kann, ohne zu heulen, wenn es mir wirklich schlecht geht, habe ich deswegen nicht gleich die Absicht, mir das Leben zu nehmen. Was ich aber sagen kann, ist, dass Menschen mit schweren Depressionen und erhöhter Suizidalität generell dazu neigen, besonders traurige Musik zu hören, die zu ihrer Stimmung passt. Da ist es gar nicht weiter verwunderlich, dass eine so auffallend melancholische Melodie auch den einen oder anderen Suizid begleitet hat. Im übrigen könnte ich mir vorstellen, dass auch der tragische Tod des Komponisten zur Legendenbildung beitrug: Im Jahr 1968 stürzte sich Resző Seress aus dem Fenster seines Apartments in Budapest - an einem Sonntag. Er überlebte, strangulierte sich aber ein paar Tage später selbst im Krankenhaus. Es wird vermutet, dass er es nicht verkraftet hat, dass er nie wieder etwas geschafft hat, das so erfolgreich war wie Szomorú Vasárnap.

Auch die zweite Legende, von der ich euch erzählen will, hat die Kunst zum Thema - wenn auch die Werke, um die es geht, meiner Ansicht nach qualitativ nicht an den traurigen Sonntag heranreichen. Genauer gesagt will ich über eine Gemäldereihe sprechen, die angeblich verflucht sein soll. Es handelt sich hierbei um die Bilder von Giovanni Bragolin, dessen genaue Identität ich jedoch auch nach vielen Stunden Recherche nicht zu hundert Prozent herausfinden konnte. Unter diesem Namen fand ich am häufigsten einen venezianischen Maler und Restaurator namens Bruno Amadio, der in er Nachkriegszeit selbst gemalte Bilder an Touristen verkauft haben soll; seine Motive waren hauptsächlich Alltagsszenen, berühmt wurden jedoch vor allem seine Porträts von weinenden Kindern. Warum die so beliebt waren, kann ich nicht sagen - sie sind handwerklich einwandfrei ausgeführt, wenn auch auf eine eher kitschig-anachronistische Art und Weise, aber das Motiv ist doch sehr eigenwillig. Zwanzig Bildern von weinenden Jungen soll er den Titel "Zigeuner-Zyklus" (huch, sie hat das Z-Wort gesagt!) gegeben haben, obwohl die abgebildeten Buben eindeutig weiß waren. In Verbindung mit Bragolin tauchen jedoch auch weitere Namen auf, etwa J. Bragolin, J. Bzuglin sowie ein spanischer Maler namens Franchot Seville.

Die Entstehungsgeschichte der Bilder der weinenden Kinder ist ebenso völlig unklar - es kursieren viele Legenden darüber im Internet, aber zu keiner einzigen konnte ich auch nur eine halbwegs seriöse Quelle finden. Eine Geschichte erzählt, er habe in den 1960er Jahren einen kleinen Jungen auf einem spanischen Campingplatz aufgelesen, der weinte, weil er seine Eltern verloren hatte. Ein paar Tage später soll das Kind mitsamt seinen Eltern während eines Brandes auf eben jenem Campingplatz ums Leben gekommen sein. Eine andere Geschichte spricht von einem Geschwisterpaar, das während des Krieges mit ansehen musste, wie die Eltern getötet wurden; die beiden streuten von da an weinend durch die Straßen und wurden irgendwann das Motiv von Bragolins Bildern, ehe sie selbst umkamen. Andere unterstellen dem Maler wiederum, er habe Kinder entführt und gequält, um sie zum Weinen zu bringen und zu porträtieren - allerdings frage ich mich, warum es zu nicht einem dieser angeblichen Entführungsfälle irgendwelche anderen Quellen, beispielsweise Zeitungsartikel, gibt. Manche behaupten gar, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, nachdem er mit seinen Bildern keinen finanziellen Erfolg hatte, und dieser ihm auftrug, nur noch weinende Kinder zu malen. Das alles ist jedoch fast ausschließlich in Kommentaren in den sozialen Netzwerken zu finden, oder in YouTube-Videos und auf privaten Blogs ohne Quellenangabe. Ebenso verhält es sich auch mit dem Grund, warum ich das schreibe - diese Bilder sollen nämlich angeblich verflucht sein.

Was die Identifizierung des Künstlers unter anderem so schwierig macht, ist die Tatsache, dass nur drei der Originalporträts signiert sind - von all diesen Bildern gibt es unzählige Kopien, und die Vermutung liegt nahe, dass nicht alle Porträts, die im Umlauf sind, von demselben Maler stammen. Zudem existieren viele der Originale auch gar nicht mehr wegen der Geschichte mit dem Fluch. Erstmals bekannt wurde diese im Jahr 1985 durch die britische Boulevardzeitung The Sun - berichtet wurde von mehreren schweren Bränden in London, bei denen Häuser bis auf die Grundmauern niederbrannten. Ein Gegenstand blieb jedoch immer unversehrt - nämlich die Porträts der weinenden Kinder von Bragolin. Nachdem dieser Bericht veröffentlicht worden war, gingen in der Redaktion der Sun unzählige Anrufe und Briefe ein, die alle von Brandkatastrophen in Zusammenhang mit diesen Bildern berichteten. Schließlich gab die Sun eine Sondermeldung heraus, die ihre Leser dazu aufforderte, ihnen ihre persönlichen Exemplare der Porträts der weinenden Kinder zukommen zu lassen. Anschließend wurden Tausende dieser Bilder in einer Massenaktion verbrannt. Kurz darauf soll ein Reporter der Sun bei einem Hausbrand in Weston-Super-Mare umgekommen sein - das einzige, was unversehrt blieb, war das Porträt eines weinenden Jungen, das neben seiner Leiche gefunden wurde. Es gibt aber auch Geschichten, die behaupten, dass die Häuser, in denen sowohl das Porträt eines weinenden Jungen als auch das eines weinenden Mädchens hing, vor Bränden geschützt seien - die beiden Bilder zu trennen, bringe allerdings ebenfalls Unglück. Übrigens soll es auch keinen Unterschied machen, ob das Gemälde ein Original oder nur ein Nachdruck sei. Bis heute findet man im Internet immer noch zahlreiche Berichte von Bränden oder anderen Unglücksfällen, die von den Bildern verursacht worden sein sollen.

Ich muss ganz ehrlich sagen - was ich persönlich von der Geschichte halte, kann ich nicht ganz präzise beantworten. Wie ihr wisst, suche ich immer nach einer möglichst logischen Erklärung - und da ich die Sun doch ein kleines bisschen und den Mechanismus von Boulevardblättern im Allgemeinen recht gut kenne, bin ich mir ziemlich sicher, dass diese Geschichte nicht unerheblich aufgebauscht wurde, auch wenn ich nicht weiß, in welchem Ausmaß. In einer Facebook-Gruppe schrieben einige, dass sie ein solches Bild zu Hause gehabt hätten und es bei ihnen auch gebrannt hätte - aber ihr wisst ja, wie das ist: Im Internet kann man alles erzählen. Andere wiederum berichten, dass sie, ihre Eltern oder ihre Großeltern so ein Bild gehabt hätten und dass nie etwas passiert sei. Ich habe auch den Artikel eines österreichischen Influencers entdeckt, der so ein Bild auf einem Flohmarkt erstanden und von Kommentatoren auf YouTube und Instagram viele düstere Warnungen bekommen hat. Soweit ich das aber erkennen kann, erfreut sich der junge Mann bis heute bester Gesundheit und wirkt auch nicht so, als sei er obdachlos.

Wie ihr also seht, bin ich wieder mal enttäuschend realistisch und gnadenlos unmystisch, wie die meisten von euch es wohl schon von mir gewöhnt sind. Dafür möchte ich mich in aller Form entschuldigen und hoffe, dass ihr mich deswegen nicht mit den Resten eures Osterfrühstücks bewerft. Denn sonst muss ich euch nämlich verfluchen - und morgen Abend wird ein böses rosarotes Einhorn zu euch nach Hause kommen und euch Helene Fischer vorsingen! Aber bis dahin hoffe ich, dass ihr auch weiter brav meinen Blog lest. Und erkenne, dass dies einer jener Artikel ist, dessen Ende auch für mich völlig überraschend gekommen ist. Bon voyage!

vousvoyez

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