Samstag, 29. Juni 2019

Die Eiserne Jungfrau ist deswegen so rostig, weil sie so selten benutzt wird

Nun ja, mittelalterliche Folter und Hinrichtung ist in unserer Gesellschaft halt nicht mehr gern gesehen - zum Glück, kann man dazu natürlich sagen. Trotzdem ist die Faszination der eisernen Jungfrau bis heute ungebrochen. Vor fast zwei Jahren war ich das letzte Mal in der Südoststeiermark - dort gibt es eine fast 900 Jahre alte Burg, die Riegersburg, in deren mittlerweile modernisiertem "Hexenmuseum", das die Hexenprozesse der frühen Neuzeit behandelt, auch das Prachtexemplar einer solchen Eisernen Jungfrau ausgestellt wurde - ein eiserner Hohlkörper in Frauengestalt, dessen Innenraum mit spitzen Nägeln beschlagen ist. Doch ob eiserne Jungfrauen tatsächlich für Folterungen und Hinrichtungen eingesetzt wurden, weiß man bis heute nicht - schriftliche Belege hierfür gibt es nicht, auch wenn zahlreiche Folterprotokolle überliefert wurden (was logisch ist, denn die Folter wurde und wird ja bekanntlich zur Beweisgewinnung durchgeführt). Einem Bericht zufolge war etwa die Eiserne Jungfrau von Nürnberg ursprünglich ein sogenannter "Schandmantel", ein hölzerner oder metallener Hohlkörper, dessen Träger beschimpft, geohrfeigt und mit Unrat beworfen werden durfte. Im 19. Jahrhundert wurde das Innere des Schandmantels mit Bajonettspitzen aus den Befreiungskriegen ausgestattet und das Exponat anschließend im Museum ausgestellt, um die Sensationslust des Publikums zu stillen. Und offensichtlich war sie da nicht die einzige. Eines steht jedoch fest: Die Eiserne Jungfrau ist in meiner Wahrnehmung geschrumpft - wohl auch, weil ich inzwischen größer geworden bin. Und die Aufdeckung des Mythos behalten wir bitte schön für uns - immerhin ist die Eiserne Jungfrau das Schmuckstück des Hexenmuseums. Auch wenn sie allmählich immer rostiger wird - eben weil sie so selten benutzt wird.

Wie gesagt, mittelalterliche Folter ist zumindest in unseren Breiten heute obsolet geworden - was aber nicht bedeutet, dass es bei uns überhaupt keine Folter mehr gibt. In meinen Augen sind auch Vornamen mitunter Folter - auch wenn das Empfinden von Namen als schön oder hässlich natürlich subjektiv und das Vergeben derselben heutzutage mitunter nicht mehr ganz so einfach ist. Denn einfache, normale Namen, die auch allgemein als "schön" empfunden werden, wie etwa Alexander, Maximilian, Anna oder Lena, sind bereits tausendfach vergeben. Manche können sich wohl nicht zwischen den Lieblingsnamen entscheiden oder wollen dem Namen des Sprösslings eine individuellere Note geben und greifen daher zu Doppelnamen. Ob man jedoch der kleinen Ann-Sophie oder dem kleinen Jan-Lucas damit einen Gefallen tut, ist natürlich fraglich - leben wir doch in einem Land der Bürokratie, in der Bindestrich-Doppelnamen immer ausgeschrieben werden müssen, egal ob der Träger des Namens damit glücklich ist oder nicht. Schwierig wird es dann, wenn die Vorliebe für Bindestrich-Namen die Verfechter(innen) von Kevinismus und Chantalismus befällt - für manche gehört beides zusammen, weshalb der Start ins Leben für Jeremy-Pascal und Marie-Chantal wohl noch ein wenig komplizierter ist.

Ach ja, der Kevinismus - ein Phänomen unserer Zeit, das häufig mit bildungsfernen Bevölkerungsschichten in Verbindung gebracht wird, sind doch kevinistische bzw. chantalistische Vornamen in Reality-Soap-Formaten à la RTL besonders beliebt. In Wirklichkeit kommen sie jedoch in allen Gesellschaftsschichten vor - und es ist auch keineswegs ein neues Phänomen. Früher war die Vergabe exotischer (meist französischer) Vornamen eher in "besser gestellten" Familien Usus - die konnten sie aber zumeist auch aussprechen. Blöd nur, wenn das die weniger gebildeten Mitmenschen nicht konnten. Nach der Hochzeit des Schahs von Persien mit der deutsch-persischen Soraya Esfandiary Bakhtiary, die nach der Scheidung dieser Ehe als Filmschauspielerin Karriere machte, war auch der Vorname Soraya im deutschsprachigen Raum sehr beliebt. Zu Beginn der 1990er Jahre tauchte dann der Vorname Kevin gehäuft auf - in Österreich wird die Beliebtheit dieses Namens eher ländlichen Regionen zugeschrieben, in Deutschland den neuen Bundesländern, allgemein aber eher den "bildungsfernen Schichten". Aussagekräftige Statistiken gibt es hierzu jedoch nicht. Die Vermutung liegt nahe, dass die Beliebtheit dieses Namens durch die Filme Kevin - Allein zu Haus und Kevin - Allein in New York mit Kinderstar Macaulay Culkin in der Hauptrolle ausgelöst wurde. Oder auch durch den Schauspieler Kevin Costner. Jedenfalls stieg von da an die Tendenz, Kinder nach amerikanischen Schauspielern und Popstars zu benennen. Mittlerweile schließen jedoch die ersten Kevins, Justins, Jessicas und Phoebes die Universität ab, was die Behauptung, alle Träger dieser Namen seien dumm, natürlich widerlegt.

Eine parallel damit einhergehende Mode sind auch französische Vornamen - wobei Namen wie Pascal, Marcel, Nicole oder Nathalie zumindest noch in den deutschsprachigen Raum integriert werden können, da die Aussprache nicht schwierig ist. Happiger wird es allerdings, wenn Eltern Namen vergeben, die sie selbst nicht aussprechen können - Pech für Schakkeline oder Tschaklin (Jacqueline), Frankoise (Françoise), Mauris (Maurice), Pirschelbär (Pierre-Gilbert) oder Üffes (Yves). Parallel dazu bestehen viele Eltern mit vorwiegend deutschen bzw. österreichischen, bestimmt aber nicht englischen Wurzeln darauf, dass die eigentlich hebräischen oder griechischen Vornamen ihrer Kinder englisch ausgesprochen werden müssen. So wird aus Jason "Tschäsn", aus David "Däwid", aus Simon "Saimen" und aus Jonathan "Tschonäsän". Und hinterher dann oft noch ein deutsch-österreichisches Meier oder Müller. Letztens habe ich mit Schrecken mitbekommen, dass ein junger Erwachsener den Namen des Sohnes des biblischen Propheten Abraham, der beinahe Gott geopfert worden wäre, als "Eisäck" aussprach.

Neben Kevinismus und Chantalismus ist mittlerweile allerdings auch der sogenannte "Emilismus" oder Retronomizismus auf dem Vormarsch - die Neigung mancher Eltern, allerdings aus eher gebildeterem Milieu, den Kindern in der Absicht der Individualisierung altmodisch klingende Vornamen oftmals germanischen Ursprungs zu geben, die häufig aus literarischen Vorlagen oder von den Großeltern stammen. So sind Emil, Lorenz, Luise und Josefine schon seit längerem wieder im Kommen. Was möglicherweise viele auch nicht wissen: Die beliebten Kindernamen Ronja und Maja sind ebenfalls von Schriftstellern erfunden - der eine von Astrid Lindgren (Ronja Räubertochter), der andere von Waldemar Bonsels (Biene Maja). Die Neigung, den eigenen Kindern diese Namen zu geben, kommt aber wohl von eher von den Adaptionen fürs Fernsehen. Auch erwähnenswert ist die in den 1970er Jahren aufgekommene Neigung, die eigenen Kinder "nach Ikea-Regalen" (Zitat Uncyclopedia) zu benennen und sie bei nordeuropäische Namen zu nennen, ein Phänomen, das in Deutschland allerdings verbreiteter ist als in Österreich - besonders in nördlichen Regionen sind die Svens, Oles, Sörens, Freyas, Friggas und Saskias sehr häufig anzutreffen. Zurzeit auch sehr in Mode ist es, bei als normal empfundenen Namen einzelne Buchstaben wegzulassen; so entstehen etwa Namen wie Mia (Maria) oder Anja (Tanja).

So, und jetzt will ich einmal was klarstellen: Kein Träger all dieser Namen soll sich deswegen persönlich angesprochen fühlen. Natürlich konnte ich mir einen gewissen Sarkasmus nicht verkneifen, auch wenn ich versucht habe, möglichst wertfrei zu bleiben. Aber eines sollte wohl klar sein - Vorurteile entstehen in den Köpfen anderer und nicht durch die Schuld ihrer Opfer. Und wie schon angedeutet, sagt der (ohnehin von den Eltern gegebene) Vorname nichts über die Intelligenz oder den menschlichen Wert seines Trägers aus. Im übrigen gibt es unter den oben angeführten Namen auch welche, die mir durchaus gefallen - auch wenn ich sie in unseren Breiten nicht immer für angebracht halte. Und man darf auch nicht vergessen, dass es im deutschsprachigen Raum auch Personen mit Wurzeln aus dem Ausland gibt - diese tragen dann oft halt auch andere Vornamen. Die Behauptung, der Name "Mohammed" sei in Deutschland zurzeit der am häufigsten vorkommende bei Babys, kann ich allerdings entkräften - wer mir nicht glaubt, kann ausnahmsweise Dr. Google zu Rate ziehen und isch erkundigen, welche Namen in Deutschland und Österreich derzeit am beliebtesten sind. Darüber hinaus werde ich auch selten müde, darauf hinzuweisen, dass Sprache einem stetigen Wandel unterworfen ist - allein unser Dialekt geht auf italienische, slawische, ungarische und auch jiddische Einflüsse zurück.

Abgesehen davon, dass die oben angeführten Beispiele nichts, aber auch gar nichts sind gegen den Wahn vieler Prominenter, bei der Vergabe der Namen ihrer Kinder möglichst "kreativ" zu sein. Und um ehrlich zu sein, fehlt mir da - im Gegensatz zu vielen Ausrutschern der "Normalos" jegliches Verständnis. Denn welcher Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hat, kommt ernsthaft auf die Idee, seine Kinder nach Obst (Apple, Peaches), Jeansmarken (Denim, Diezel), Tieren (Bunny, Bear), Orten (Brooklyn, Paris, Egypt), Schulfächern (Science), Berufen (Pilot, Inspector) oder Gegenständen (Satchel) zu benennen? David Bowie war zumindest human genug, daran zu denken, dass sein Sohn Zowie eines Tages erwachsen sein wird, und gab ihm zusätzlich den Namen Duncan.

Im Lichte dessen bin ich offen gestanden recht froh, dass mein eigener Name zumindest noch als "normal" eingestuft wird - weder besonders exotisch noch wirklich häufig. Das ist doch auch was!

vousvoyez

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