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Als ich ein Kind war, konnte ich mich lange nicht damit abfinden, ein Mädchen zu sein. Nicht, weil ich mich im falschen Körper fühlte, sondern weil ich alles schrecklich fand, was man allgemein als mädchenhaft ansieht - ich mochte keine Kleider tragen, wollte meine Haare nicht wachsen lassen, spielte nicht mit Puppen und verabscheute Rosa (ich hasse diese Farbe bis heute). Dies ging bis in die Volksschulzeit hinein, die ich zu meinem Leidwesen auch noch in einer reinen Mädchenschule verbringen musste. Dennoch begann ich damals, mich allmählich zu verändern, und nach und nach entwickelte ich auch Interessen, die durchaus als mädchenhaft eingestuft werden könnten. So hatte auch ich eine Phase, in der ich mich für Pferde interessierte. Ich las alles über sie, hatte eine Sammlung von Spielzeugpferden, und mein sehnlichster Wunsch war damals natürlich ein eigenes Pferd. Eine Zeit lang nahm ich sogar Reitunterricht. Ich hörte jedoch damit auf, als ich in die Pubertät kam und Jungs und Musik wichtiger wurden - so wie viele. Plötzlich kamen mir die Mädchen albern vor, die nur an Pferde dachten und über Pferde redeten. Ich war ohnehin nie eine gute Reiterin, aber in der Zeit, als ich regelmäßig reiten ging, lernte ich drei Arten von Menschen kennen, denen man begegnet, wenn man sich für diesen Sport interessiert und gerne damit anfangen möchte.
Da sind zum einen die erfahrenen Reiter, die möglicherweise sogar beruflich mit Pferden zu tun haben. Diese kennen sich natürlich aus und können einem die besten Ratschläge geben, wie und wo man anfängt, was man beachten muss und welches Pferd für Anfänger am besten geeignet ist. Die zweite Kategorie sind jene, die durchaus schon geritten sind (und damit meine ich WIRKLICH geritten, nicht die, die einmal auf einem Pferd spazierengeführt wurden), die aber weit weniger erfahren sind. Diese können dir zwar auch ein paar Tipps geben, raten dir aber, dich mit jemandem in Verbindung zu setzen, der sich etwas besser auskennt - sie können ihre Kompetenz also ziemlich genau einschätzen. Und dann gibt es noch die dritte Kategorie - das sind jene, die noch nie in ihrem Leben auf einem Pferd gesessen, wahrscheinlich noch nie einen Stall von innen gesehen und möglicherweise sogar Schwierigkeiten dabei haben, ein Pferd von einer Kuh zu unterscheiden. Die weit verbreitete Meinung bei jenen "Experten" ist, dass Reiten ja überhaupt kein Sport ist - schließlich lässt man sich ja nur von einem Pferd in der Gegend herumtragen. Diesen Menschen ist überhaupt nicht klar, dass sie keine Ahnung haben - statt dessen erklären sie dir, dass das eh total einfach ist, da du ja ohnehin nur auf einem Pferd sitzen musst, vielleicht musst du ab und zu auch am Zügel ziehen oder die Schenkel zusammendrücken. Bei diesen Menschen nützt es überhaupt nichts, zu erklären, dass man neben einer inneren Ausgeglichenheit - denn Pferde sind sehr sensible Tiere - auch ein gutes Gleichgewichtsgefühl braucht (denn man muss sich ja auf die Bewegungen des Pferdes einstellen), und es auch keine schlechte Idee ist, als Reiter an seiner Kraft und Ausdauer zu arbeiten. Auch das Argument, dass dann auch Fahrradfahren und Autorennen kein Sport ist - denn da sitzt man ja auch - wird wohl nicht allzu viel bringen. Sie können es sich einfach nicht vorstellen und bleiben deshalb bei dem, was sie glauben - was leicht aussieht, muss ja auch leicht sein, oder? Bezeichnend ist übrigens, dass kaum einer dieser "Experten" sich jemals auf ein Pferd setzen würde.
Diese "Spezialisten" sind der lebende Beweis für den Dunning-Kruger-Effekt. Manche nehmen als Vergleich auch gern bestimmte Verschwörungsideologen und haben damit auch recht - da ja viele denken, sie wüssten nach zwei Wochen Internet-Surfen schon mehr als jemand, der sich über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg mit derselben Materie befasst hat. Nun, was ist der Dunning-Kruger-Effekt?
Der Begriff stammt aus der Populärwissenschaft und geht auf eine Publikation des US-amerikanischen Psychologieprofessors David Dunning und seines Studenten Justin Kruger aus dem Jahr 1999 zurück, die nach einer Reihe von Studien an der Universität von Cornell zu dem Ergebnis kamen, dass gerade Personen, die in einem Bereich inkompetent sind, eher dazu neigen, ihr Wissen und Können zu über- und das kompetenterer Personen zu unterschätzen. Also im Falle meines Beispiels: Leute, die noch nie geritten sind, glauben oft, besser als der beste Reiter zu wissen, ob Reiten Sport ist oder nicht. So fanden auch Dunning und Kruger mittels eines Experiments heraus, dass gerade diejenigen, die sich für besonders kompetent hielten, schlechter abschnitten als die, die ihre Fähigkeiten nicht ganz so hoch einschätzten. Wir kennen ja nicht nur von den "Reitexperten" die Neigung, besonders selbstbewusst aufzutreten, wenn man von einer bestimmten Materie wenig bis gar keine Ahnung hat.
Was aber nicht heißen soll, dass alle Menschen, die ihre Kompetenz überschätzen, besonders dumm sind. Die Selbstkritischeren unter meinen Lesern mögen sich wahrscheinlich reuevoll eingestehen, dass sie so etwas auch schon bei sich selbst beobachtet haben. Und ich kann euch versichern: Ich bei mir auch. Denn keiner kann von sich behaupten, nicht auch schon einmal "Opfer" dieser kognitiven Verzerrung gewesen zu sein. Besonders wenn man jung und unerfahren ist, neigt man dazu, sein Wissen bzw. seine Fähigkeiten höher einzuschätzen, als sie in Wirklichkeit sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf dieser Welt auch nur einen Menschen gibt, der sein ganzes Leben lang permanent nur sein Licht unter den Scheffel gestellt und sich überhaupt gar nie auch mal überschätzt hat. Der Unterschied ist aber, ob man bereit ist, sich selbst zu hinterfragen und Fehler einzugestehen, oder ob man auf seinem Nichtwissen beharrt und Einwände nicht zulässt. Und auch, ob man auf die Kompetenz von Menschen vertraut, die es ganz offensichtlich besser wissen als man selbst, oder ob man sich für kompetenter hält. Leider gibt es von der zweiten Kategorie nach wie vor viel zu viele, und die fallen besonders im Internet auf, wo praktisch jeder posten kann, was er will und wo nicht immer so klar ist, wer Ahnung hat und wer nicht. Wenn man sich da nicht gründlich informiert, kann man auch schon mal ganz schön danebenliegen - weshalb ich Informationen für diesen Blog in der Regel doppelt und dreifach überprüfe, und selbst da können Fehler passieren, egal, wie vertrauenswürdig die Quelle ist.
Fazit: Wir lernen durch Erfahrung, müssen uns aber immer wieder selbst hinterfragen. Und das ist es ja auch, was die Wissenschaft tut - im Gegensatz zur Ideologie, die ihre Behauptungen für unantastbar hält. Leider müssen wir die einfachen, bequemen Wege ab und an verlassen, wenn wir unsere Kompetenzen steigern wollen. Und wir müssen irgendwann verstehen lernen, dass wir nicht allein auf der Welt sind.
vousvoyez
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