Samstag, 9. September 2017

Der Mensch sucht sich nicht die Maschine, sondern die Maschine sucht sich den Menschen

(c) vousvoyez
Diese Aussage war ursprünglich auf die Eigenwilligkeit von Nähmaschinen bezogen. Manchmal hat man allerdings wirklich das Gefühl, dass wir immer mehr von Technik beherrscht werden. In meiner kranken Phantasie stelle ich mir manchmal vor, wie es wäre, wenn es plötzlich kein Internet mehr gebe. Die jüngeren Leute, die schon damit aufgewachsen sind, würden wahrscheinlich wahnsinnig, wenn sie nicht mehr alles googeln könnten. Und dann wären wahrscheinlich wieder die Älteren gefragt, die in ihrer Jugend ohne diesen ganzen Firlefanz auskommen mussten, weil er noch gar nicht erfunden war. Ich bin ja inzwischen schon in einem Alter, in dem ich mir einen Spaß daraus machen kann, jüngere Leute zu schockieren. Indem ich beispielsweise von einer grauen Vorzeit erzähle, in der Internet und Handy noch Luxusgüter waren und der Durchschnittsmensch auf Telefonbücher, Lexika, Festnetztelefone und Zeitungen angewiesen war, um voll informiert zu sein.

In meiner Kindheit konnte ich mir unter Internet eigentlich gar nichts vorstellen. Ich kannte zwar andere, die im Internet surften, aber irgendwie stellte ich mir tatsächlich so etwas wie Windsurfen darunter vor - was das sein sollte, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Meinen ersten Computer bekam ich mit zwölf, er war schwarzweiß und wurde mehr oder weniger von der ganzen Familie genutzt. Internet fand größtenteils in der Schule statt, in einem eigenen Computerraum, wo man uns zeigte, wie man Suchmaschinen benutzt und wo man sich in prähistorischen sozialen Netzwerken wie talk city mit Jugendlichen aus aller Welt schriftlich austauschte. Manche machten sich einen Spaß daraus, mittels gefälschter Identitäten zu flirten.

Auch das Telefonieren war noch nicht mobil. Wir hatten drei Festnetztelefone in der Wohnung: eines im Vorzimmer, eines im Salon (so nannten wir das Wohnzimmer) und eines im Schlafzimmer der Eltern. Unsere Telefone hatten Tastenfelder, was damals schon sehr modern war; viele hatten noch Wählscheibentelefone. Mobil telefonieren war für uns, ein Telefon zu haben, dessen Kabel lang genug war, dass man es in ein anderes Zimmer tragen konnte. Später erbten wir ein schnurloses Telefon, was meine Eltern veranlasste, meine telefonsüchtige Schwester ständig zu fragen: "Wo ist das Telefon?" Außerhalb der Wohnung konnte man es nicht verwenden. Wir kamen uns schon mit einem Autotelefon wahnsinnig gut vor. Und so war die erste Frage meiner Schwester, wenn sie nach Hause kam: "Hat wer angerufen?" (Ja, ich weiß, dass das grammatikalisch nicht richtig ist, aber bei uns ist das halt Umgangssprache.)

Die ersten Handys waren so riesig, dass man gefühlt jemanden damit erschlagen konnte. Sie hatten lange Antennen, die man rausziehen musste, ehe man telefonieren konnte. Mitte der Neunziger waren Handybesitzer meist Angeber; junge Männer, die möglichst laut überall mit dem Handy telefonierten, um allen zu zeigen, wie cool sie waren. Jeder schimpfte über sie, aber dann kaufte sich doch einer nach dem anderen das erste Handy. Ende der Neunziger waren Handyverträge dann von ein Jahr auf das andere für jeden erschwinglich, und auf einmal war es normal, dass die Leute überall telefonierten. Solange Telefonieren nicht mobil war, war der Satz "Wo bist du?" eher unsinnig; sobald jeder ein Handy hatte, wurde er normal.

Heute ist nicht nur das Telefonieren, sondern auch das Internet mobil. Und so starrt in Wartezimmern und in öffentlichen Verkehrsmitteln nahezu jeder auf einen winzigen Bildschirm. Manchmal ist das etwas mühsam - beispielsweise wenn man sich mit jemandem unterhalten will, der nur Augen für sein Smartphone hat. Ich habe das Smartphone lange verweigert, und auch heute weigere ich mich, in der Straßenbahn nur noch aufs Handy zu starren. Vielleicht wäre es anders, wenn ich zehn oder zwanzig Jahre jünger wäre. Das Internet hingegen nutze ich gerne und oft - vor allem, um euch mit meinen großartigen Weisheiten zu unterhalten!

vousvoyez

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