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So habe ich bereits vor über einem Jahr von der Blackout-Challenge berichtet, bei der Kinder und Jugendliche sich vor der Kamera selbst bis zur Bewusstlosigkeit strangulieren, um das Video dann auf TikTok zu stellen. Das ging so weit, dass ein paar von diesen Kindern sich dabei tatsächlich erdrosselten. Kürzlich haben nun Eltern aus den USA TikTok tatsächlich verklagt, nachdem ihre Kinder, ein achtjähriges Mädchen aus Texas und ein neunjähriges aus Wisconsin, bei dieser Challenge ums Leben gekommen waren. Tatsächlich hat TikTok inzwischen mitgeteilt, dass es den Hasthag #BlackOutChallenge in seiner Suchmaschine gesperrt hat. Eine weitere Dummheit, vor der vor allem Anfang 2020, noch vor dem ersten Lockdown, häufig gewarnt wurde ist die Skull Breaker Challenge: Zwei Personen treten einer dritten die Beine im Sprung weg, so dass sie hintenüber auf den Boden knallt, was natürlich ein hohes Risiko für Kopfverletzungen zur Folge hat. Dazu muss man allerdings sagen, dass diese Challenge zwar saudumm ist und absolut nicht nachgemacht werden sollte, aber auch keineswegs so ein großer Trend war wie etliche Beiträge in sozialen Netzwerken es suggerierten. Kein Wunder - die Videos sehen äußerst schmerzhaft aus, und ich hätte auch als Jugendliche liebend gern darauf verzichtet.
Nun sind Internet-Challenges natürlich kein ganz neues Phänomen, und sie sind auch nicht zwangsläufig dumm und gefährlich - man erinnere sich etwa an die im Lockdown so beliebte Jerusalema-Challenge, bei der Menschen aus aller Welt zu einem südafrikanischen Hit tanzten, um in diesen düsteren Zeiten etwas Lebensfreude zu verbreiten. Auch andere Aktionen, die viral gingen, waren einfach nur lustig, wie etwa die Owling Challenge, bei der man sich irgendwo hinhockt und versucht, wie eine Eule auszusehen - einer der wenigen Momente, als ich über Stefan Raab tatsächlich einmal lachen konnte -, oder sollten auf Problematiken aufmerksam machen, etwa die ALS Ice Bucket Challenge, welche die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) thematisierte: Gesunde Menschen kippten sich einen Eimer voll eiskaltem Wasser über den Kopf, um durch das Gefühl der Lähmung, das dabei für ein paar Sekunden entsteht, nachvollziehen zu können, wie sich Betroffene ihr Leben lang fühlen. Aber auch die älteren, eigentlich harmlosen und ausschließlich lustig gemeinten Challenges konnten auch gefährliche Ausmaße annehmen: So gab es einen Trend, der sich "Planking" nannte und bei dem sich Facebook-User an verrückten Orten gerade und flach mit dem Gesicht nach unten hinlegten - einige begannen jedoch, sich für diese Aktion gefährliche Plätze auszusuchen, wie jener Mann, der in Australien im 7. Stock von einem Balkongeländer stürzte.
Im Laufe des vorigen Jahrzehnts begannen die Internet-Challenges jedoch, sich ganz allgemein in eine ungesunde oder gar lebensgefährliche Richtung zu entwickeln - ich habe ja bereits öfter von solchen berichtet. Am bekanntesten sind wohl die Blue-Whale-Challenge, bei der es darum gehen sollte, Jugendliche in den Suizid zu treiben, und die Tide-Pod-Challenge, bei der junge Menschen auf diesen Waschmittelkapseln herumlutschten. Im vorigen Jahr machten einige jedoch auch bei der Fire Challenge mit - sie rieben sich mit einer brennbaren Flüssigkeit ein und zündeten sich dann selbst an. Wie man so dumm sein kann? Ja, das frage ich mich auch. Natürlich sind Kinder leicht zu manipulieren und neigen dazu, alles nachzumachen, was sie gut finden - bei Personen, die sich allmählich dem Erwachsenenalter nähern, verstehe ich so etwas allerdings echt überhaupt nicht. Das Schlimme daran ist jedoch, dass diese Challenges durch TikTok mittlerweile in immer schnellerer Abfolge zum Trend werden - und wir es dadurch inzwischen nicht nur mit einer alle paar Monate, sondern mit zahlreichen parallel laufenden zu tun haben.
Anders verstörende Challenges sind jedoch schon seit geraumer Zeit vor allem bei jungen Mädchen und Frauen in China sehr beliebt: Dort ist aus dem chinesischen Schönheitsideal einer schmalen, zierlichen Figur ein Trend erwachsen, der im Wesentlichen daraus besteht, dass junge Mädchen in Videos sich gegenseitig dabei übertrumpfen, zu zeigen, wie dünn sie sind. Begonnen hat das Ganze wohl mit der iPhone6-Challenge um 2014, als junge Chinesinnen auf Instragram wetteiferten, wer es schafften, mit geschlossenen Beinen die Knie mit einem solchen Handy zu bedecken. Was an sich schon deshalb absurd ist, weil an so einem Knie ja naturgemäß kein Fett ansetzt, da man ansonsten das Bein nicht abknicken könnte - entsprechend kann man da natürlich auch nicht abnehmen. Außerhalb von China erregte jedoch vor allem um 2016 die A4-Paper-Waist-Challenge, ebenfalls auf Instagram, Aufmerksamkeit und wurde auch von Europäerinnen nachgeahmt: Man hielt sich ein Din-A4-Blatt vertikal vor die Taille, um zu beweisen, dass man mindestens so dünn ist wie dieses 21 cm breite Blatt Papier. Da ich eher groß bin, würde Hungern allein bei mir allerdings schon mal nicht ausreichen, um das zu schaffen - ich müsste mir wohl einige Rippen entfernen lassen. Jajaja, ich weiß, ich hör ja schon auf! Aber ich glaube, ihr wisst, worauf ich hinauswill: Dadurch, dass nicht jeder menschliche - in dem Fall weibliche - Körper gleich gebaut ist, sind diese Challenges auch nicht für alle gleichermaßen erreichbar.
Ebenfalls in den Westen übergeschwappt ist auch die Collarbone-Coin-Challenge, bei der man versucht, möglichst viele Münzen in der Mulde seines Schlüsselbeins zu stapeln. In Asien ging man sogar noch weiter, füllte die Knochenhöhlen mit Wasser und ließen dann einen oder mehrere lebendige kleine Fische darin schwimmen. Natürlich hat niemand die Fische gefragt, ob sie das möchten, und ich kann mir auch kaum vorstellen, dass dies allzu vergnüglich für die Tierchen ist. Nun bin ich ja in einer Zeit aufgewachsen, als leichenblasse, ausgemergelte Gestalten über Laufstege taumelten, eine Art Gegenbewegung zu den braungebrannten, sportlichen Models der Achtziger und frühen Neunziger, und natürlich gab es auch damals junge Mädchen und Frauen, die sich schier zu Tode hungerten, um Idolen wie Kate Moss nachzueifern. Aber zum damaligen Zeitpunkt war das Internet noch nicht so verbreitet, man war weit davon entfernt, Videos in erstklassiger Qualität hochladen und verbreiten zu können, und so gab es nicht diesen permanenten Vergleich von jungen Menschen untereinander. Und deshalb auch nicht diesen Optimierungszwang, der vor allem in einem Alter, in dem man noch auf der Suche nach sich selbst ist, meiner Ansicht nach ungesund, vielleicht sogar gefährlich ist. Und ich muss auch sagen - diese operierten Gestalten, die vor allem die untere Liga der TV-Prominenz bevölkern, sind für mich absolut austauschbar. Ich wundere mich immer wieder, wie viele Personen, von denen ich noch nie etwas gehört habe, heutzutage als "prominent" gelten. Und warum es "schön" sein soll, so auszusehen - zumal die Kardashians sich ja augenscheinlich die aufgeblasenen Hintern wieder operativ verkleinern lassen.
Und so bin ich von idiotischen Challenges wieder mal zu unrealistischen Schönheitsidealen zu kommen - na herzlichen Glückwunsch! Ich bin oftmals selbst verblüfft, wohin mich das Schreiben so führt! Nun glaube und hoffe ich, dass ich in naher Zukunft wieder öfter das Vergnügen habe, euch mit dem ein oder anderen Artikel zu beglücken, und wünsche euch bis zum nächsten Mal eine schöne Zeit und bon voyage!
vousvoyez
Video zu den Schlankheits-Challenges: https://www.youtube.com/watch?v=81xt1IH0o2Q