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Wie ich zuvor erwähnt habe, war das Satans-Thema in meiner Jugend so unfassbar präsent, dass es sogar die Redakteure und Leser der Bravo beschäftigte - im vorigen Artikel habe ich euch eine Foto-Love-Story verlinkt, die es in sich hat. Die Autoren haben so richtig tief in die Klischeekiste gegriffen - von schwarzer Kleidung über Kapuzengestalten, Ouija-Bretter, verkehrten Kreuzen, Pentagrammen, Gedankenkontrolle und Weihwasser wurde wirklich alles, was für naive Gemüter zu einem gepflegten Satanismus gehört, wild durcheinandergeworfen. Mein Vater hätte gesagt, wie sich der kleine Maxi das eben so vorstellt. Und hier wird bereits ersichtlich, worüber ich bereits geschrieben habe: Horrorfilme à la Rosemary's Baby und Das Omen waren bereits 1994 so sehr ins kollektive Gedächtnis eingegangen, dass kein Satanismus ohne Versatzstücke aus diesen Werken mehr auskam. Das erklärt übrigens auch, warum die Berichte von "Überlebenden" sich so sehr ähneln. Ich habe mir übrigens hierzu noch mal jene Doku angeschaut, die von Kriminalpsychologin Lydia Benecke so heftig kritisiert wird (und die ich euch unten noch einmal verlink habe): Die Diagnose der Dame, von der diese Doku handelt - nämlich die dissoziative Identitätsstörung - kam zustande, nachdem ihre Therapeutin ein Buch darüber gelesen hatte.
Natürlich sind Verschwörungsmythen in Verbindung mit Satanismus aber kein neues Phänomen - man denke etwa an die Hexenverbrennungen der frühen Neuzeit: Da wurde den Delinquenten schließlich auch vorgeworfen, den Teufel beschworen, vielleicht sogar sexuellen Kontakt mit ihm gehabt zu haben. Im 19. Jahrhundert setzte außerdem ein Franzose namens Léo Taxil das Gerücht in die Welt, dass die Freimaurer in Wirklichkeit Satanisten seien, deren oberster Chef in Kontakt mit Satan persönlich stünde, und dass sie in ihren Logentempeln sexualmagische Orgien und Schwarze Messen feierten. In Wirklichkeit wollte Taxil nur finanziellen Nutzen aus dem Misstrauen der katholischen Kirche gegenüber den Freimaurern ziehen, nachdem der Bund ihn ausgeschlossen hatte. Der Schwindel wurde 1896 aufgedeckt, Taxil gab ihn auch selbst zu, aber Mythen sind mitunter zäh - und bis heute gibt es Leute, die an das Märchen eines satanistischen, pädokriminellen Freimaurerordens glauben. Was nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass es ebenso immer noch Leute gibt, die an die längst widerlegte Pizzagate-Affäre glauben. Und genauso hartnäckig hält sich bei manchen von ihnen auch die "Satanic Panic" - auch wenn man sich inzwischen vom Begriff "Satanismus" ein wenig distanziert hat. Heute spricht man eher von "Kulten" - die Inhalte sind allerdings identisch. Was sich etwa auch in jener oben erwähnten Dokumentation Wir sind die Nicki(s) zeigt - die letztes Jahr von der eigentlich seriösen ze.tt herausgegeben worden war: Die Protagonistin ist nämlich niemand anders als diejenige, deren Geschichte bereits zwanzig Jahre zuvor in der ARD-Dokumentation Höllenleben erzählt worden war (die ich euch ebenfalls unten verlinkt habe). Ja, auch seriöse Medien sagen nicht immer die Wahrheit - deswegen ist Gegenlesen auch so wichtig. Aber was soll man sagen - die Dokumentation stammt von zwei jungen Journalistinnen, die diese mit Sicherheit nicht in böser Absicht herausgegeben haben. Und was die Protagonistin angeht - ich bin mir sicher, dass sie nicht lügt. Ich bin überzeugt davon, dass sie das, was sie da erzählt, wirklich glaubt. Auch ihrer Therapeutin Michaela Huber, die sich inzwischen schon zu einer Koryphäe in Sachen ritueller Gewalt entwickelt hat, unterstelle ich keine Lügen - ich finde halt, dass sie nicht wirklich professionell arbeitet, und das ist richtig schade, weil ihre sympathische Art für die Patientinnen mit Sicherheit sehr wohltuend ist. Leider habe ich durch einige Quellen erfahren, dass Frau Huber auch mit Kritik sehr unprofessionell umgeht. Ich finde es außerdem ärgerlich, dass diese Doku so schlecht recherchiert ist - es wird hier leider enorm viel ausgeklammert. Aber mal zum Anfang.
Ich habe mir, um für diese beiden Artikel zu recherchieren, einiges durchgelesen und mir auch ein paar sehr spannende Vorträge angehört - entsprechend habe ich auch etliche Links, die ich an euch weitergeben kann (und die ich vorwiegend unten verlinken werde). Am Interessantesten war für mich ein Interview mit einem Kriminalbeamten, der genau erklärt hat, warum solche Geschichten eher unglaubwürdig sind (zu sehen im Video der SkepKon 2018). Ich persönlich habe unterschiedliche Motive, sie nicht zu glauben: Erstens ähnelt mir das Ganze viel zu sehr den alten Geschichten von der sogenannten Ritualmordlegende, nur dass die Juden und Hexen in dem Fall durch die Satanisten ersetzt wurden - in vielen Fällen wird das alles auch einfach in einen Topf geworfen und kräftig umgerührt -, zweitens ist es vollkommen unrealistisch, dass eine Verschwörung in einem solchen Ausmaß über mehr ein halbes Jahrhundert hinweg geheim bleiben kann und dass alles, was man bis heute hat, die Aussagen angeblich Betroffener ist. Wie bei allen Verschwörungserzählungen gibt es allerdings ein Problem: Es ist schwer, dagegen zu argumentieren, denn erstens sind da eben eine Menge Emotionen im Spiel, zweitens kannst du das Gegenteil nicht beweisen, drittens bist du, wenn du Zweifel hegst, schnell mal der/die/das Böse - oder gar Teil der Verschwörung -, weil du ja schließlich die Aussage der armen Menschen in Zweifel ziehst, die so viel Furchtbares erlebt haben. Aber ich sage mir immer, wenn du nur eine Person zum Nachdenken anregst, hast du mehr erreicht als mit Schweigen.
Die Satanic bzw. Moral Panic, von der ich hier spreche, nahm ihren Anfang im Jahre 1980, als das Buch Michelle Remembers veröffentlicht wurde, der vermeintlich authentische Bericht einer Frau, die angeblich in einer Satanssekte aufgewachsen ist und dort auch Missbrauch erlebt hat. Michelle Smith schrieb das Buch zusammen mit ihrem Therapeuten und späteren Ehemann Lawrence Pazder, einem kanadischen Psychiater, der zuvor Missionar in Afrika gewesen war und dessen Geschichten über die dortigen religiösen Rituale wohl Michelles Phantasie angeregt hatten - jedenfalls fing sie irgendwann an, von satanischen Ritualen aus ihrer Kindheit zu erzählen. Michelle Remembers legte den Grundstein für all das, was später rund um dieses Narrativ aufgebaut werden sollte, und erhob Pazder in den USA und Kanada zum führenden Experten für Satanismus und rituellen Missbrauch - auch wenn schon kurz nach der Publikation erste Zweifel aufkamen, da nichts, was in dem Buch drin stand, bewiesen werden konnte - eher im Gegenteil. Sogar Pazder selbst gab Jahre später zu, dass sich all das möglicherweise nur in Michelles Kopf abgespielt haben könnte.
Zu der Zeit, als Michelle Remembers veröffentlicht wurde, wurden in den USA gerade neue Gesetze verabschiedet, die dazu verpflichteten, den Verdacht auf Missbrauch Schutzbefohlener behördlich zu melden. Tatsächlich wurden in den nächsten Jahren Fälle von angeblichem oder tatsächlichem Kindesmissbrauch immer häufiger mit satanischen Ritualen in Verbindung gebracht. Am bekanntesten ist mit Sicherheit der Fall der McMartin-Vorschule in Manhattan Beach, Kalifornien, gegen dessen Leitung von einigen Eltern der Vorwurf von Kindesmissbrauchs in satanischen Ritualen eingebracht wurde. Es war der längste und teuerste Strafprozess in der Geschichte der USA, aber am Ende konnten die Behauptungen widerlegt und die Angeklagten freigesprochen werden. Viele der Befragungen konnten als fehlerhaft und suggestiv entlarvt werden, etwa die Anwendung anatomisch korrekter Puppen, infolge derer bei allen Kindern sexueller Missbrauch diagnostiziert wurde; die widerlegte Behauptung, unter dem Schulgelände habe sich ein Tunnelsystem befunden, durch das die Kinder zu den Ritualorten gebracht worden sein sollen, weckt unangenehme Assoziationen mit QAnon, und das ist auch kein Zufall, denn diese Bewegung griff viele Mythen der damaligen Zeit wieder auf. Während des Prozesses gegen die McMartin-Schule gab es übrigens mehrere kalifornische Kindergärten, die sich ähnliche Vorwürfe gefallen lassen mussten.
1987 erregte ein Fernsehspecial des amerikanischen Journalisten Geraldo Riviera Aufsehen; es handelte von angeblichen Geheimkulten und manifestierte den Mythos eines weltumspannenden, geheimen Netzwerks aus Satanisten, das Jugendliche mittels Rollenspielen wie Dungeon's & Dragons oder auch Heavy-Metal-Musik und dem Fernsehen verführte und in dem Frauen vorsätzlich geschwängert würden, um deren Babys nach der Geburt zu opfern. Einer der Gäste war Lauren Stratford, eine weitere "Überlebende" satanischer Kulte, die ihre Geschichte in dem 1988 veröffentlichten Bestseller Satan's Underground niederschrieb. Stratford hieß eigentlich Laurel Rose Willson und war Musikerin. Schon zuvor war bekannt gewesen, dass sie unter psychischen Problemen litt und dass sie zu falschen Missbrauchsbeschuldigungen neigte. Ende der 1990er Jahre, als der Satanismus-Hype sich bereits wieder gelegt hatte, trat sie noch einmal in die Öffentlichkeit - diesmal nannte sie sich Laura Grabowski und behauptete, eine Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zu sein. Ihr könnt euch also schon denken, wie glaubwürdig diese Dame tatsächlich ist.
Die erstarkende Macht christlicher Fundamentalisten gab dem Verschwörungsmythos ordentlich Auftrieb, die Beteiligung von Psychotherapeuten sorgte für einen professionellen Anstrich. Und so fand die Satanic Panic ihren Weg nach Kanada, Großbritannien, Australien, Neuseeland, die Niederlande und Skandinavien bis in den deutschsprachigen Raum. Im Laufe der 1990er Jahre veränderte sich die öffentliche Wahrnehmung in den USA jedoch - der verlorene McMartin-Prozess warf erste Zweifel auf, und auch in psychologischen Fachkreisen machte sich allmählich Skepsis breit. Eine Vielzahl erfolgreicher Klagen gegen Psychiater tat ihr übriges, und in den frühen 2000ern glaubten nur noch wenige an satanisch-rituellen Missbrauch. All das kehrte erst Ende letzten Jahrzehnts mit der Machtübernahme Donald Trumps und dem Erstarken von QAnon wieder zurück - auch wenn nicht mehr explizit über Satanismus gesprochen wird und sich der Fokus von den Kindertagesstätten hin zu demokratischen Politikern und Hollywood-Schauspielern verschoben hat.
Umso unverständlicher, dass im deutschsprachigen Raum bis heute teilweise noch so getan wird, als habe es all die Widerlegungen und Prozesse in den USA nie gegeben - wie eben auch in der von mir schon erwähnten ze:tt-Doku. Bis heute werden Bücher wie Vier Jahre Hölle und zurück, das übrigens sogar auf Wikipedia als unglaubwürdig enttarnt wird, als Tatsachenberichte angesehen, und der aufsehenerregende Dokumentarfilm Höllenleben von 2001, der übrigens dieselbe Protagonistin hat wie die ze.tt-Dokumentation, wird immer noch gerne als seriöse Quelle herangezogen. Aber was behaupten die Opfer eigentlich und warum wird das angezweifelt?
Nun - fast alle Personen, die sich für Opfer rituellen Missbrauchs handeln, sind Frauen; sie behaupten häufig, in einer satanischen Sekte aufgewachsen zu sein, Familienmitglieder und Freunde der Familie seien Teil dieses Kults. Dieser soll an besonderen Orten zu satanischen Festtagen magische Rituale durchführen, angeführt von einem Satanspriester in einem schwarzen Kapuzengewand. Die Opfer würden dabei gezwungen, sexuelle Handlungen zu vollziehen, der Verstümmelung von Tieren beizuwohnen oder dieses selbst auszuführen, menschliches Fleisch zu essen oder menschliches Blut, Extremente oder Sperma zu trinken. Ganz allgemein ist oft davon die Rede, dass bei diesen Ritualen Tiere oder sogar Menschen geopfert würden; manche behaupten sogar, absichtlich geschwängert worden zu sein, damit das daraus entstandene Baby gleich nach der Geburt geopfert werden könnte. Die Sekten seien hierarchisch organisiert; auf höchster Ebene befänden sich häufig hochrangige Mitglieder der Gesellschaft, etwa hohe Polizeibeamte, Staatsanwälte, Ärzte oder Industrielle. Deswegen wird auch so oft auf die Frage, warum denn bisher noch niemand einen solchen Kult aufgedeckt hat, damit argumentiert, dass all jene Institutionen, die dies könnten, von Satanisten unterwandert seien - häufig werden auch all diejenigen, die den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten anzweifeln, sofort der Mittäterschaft verdächtigt.
Doch das Problem liegt hier nicht nur in der angeblich so breit gestreuten Mittäterschaft, sondern auch in der Zuschreibung übermenschlicher Fähigkeiten sowohl an die Täter als auch an die Opfer. Ein Begriff, der hier eine wesentliche Rolle spielt, ist, dass diejenigen, die sich für Opfer satanisch-rituellen Missbrauchs halten, sich als "multiple Persönlichkeiten" bezeichnen - sie behaupten, viele Persönlichkeiten in sich vereinen, die häufig völlig konträr zueinander stehen sollen. Nun muss man dazu sagen, dass es das Krankheitsbild Dissoziative Identitätsstörung (DIS) tatsächlich gibt - hierbei übernehmen unterschiedliche Identitätszustände abwechselnd die Kontrolle über das Denken, Fühlen und Handeln des Patienten, der nicht in der Lage ist, all diese Zustände in seine Gesamtpersönlichkeit zu integrieren. Tatsächlich wird auch vermutet, dass diese Störung auf extreme traumatische Erlebnisse in der frühen Kindheit zurückzuführen ist - insgesamt ist diese Erkrankung wohl eher selten. Manche Experten behaupten sogar, sie entstehe erst innerhalb einer Therapie - näheres findet ihr in den unten angeführten Links der Sekteninfo NRW. Therapeuten, die auf angeblichen rituellen Missbrauch spezialisiert sind, behaupten häufig, Multiple könnten mit ihren Energien elektronische Geräte beeinflussen, was so weit gehen kann, dass jede Fehlfunktion eines solchen Geräts auf die Fähigkeiten dieser zurückgeführt wird. Die "Innenpersonen" sollen neben unterschiedlichen Talenten, Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen oft auch unterschiedliche Augenfarben, Sehstärken und Schuhgrößen besitzen; man behauptet, dass einzelne "Innenpersonen" Erkrankungen wie Krebs oder Asthma hätten, die bei anderen nicht aufträten; dass Verletzungen verschwänden, wenn die verletzte Person nach "innen" gehe; das Drogen und Medikamente nur bei einer "Innenperson" wirkten, bei den anderen aber nicht. Dies ist schon deshalb eher unglaubwürdig, weil sich diese "Innenpersonen" ja immer noch denselben Körper teilen - trotzdem gibt es nicht nur Patienten, sondern auch Therapeuten, die diese Behauptungen aufstellen und auch glauben.
Eine weitere Behauptung, die in diesem Zusammenhang sehr beliebt ist, umfasst den Begriff der mind control - angeblich könnten die Täter solche Dissoziationen willkürlich hervorrufen, wodurch es diesen möglich sei, ihr Opfer wie einen Roboter zu "programmieren" und zu "steuern". Dies geschehe durch antrainierte Reize, sogenannte "Trigger", die meist in Codewörtern bestehen, die sofort das gewünschte Verhalten hervorriefen Häufig wird angenommen, dass multiple Patientinnen sich immer noch in der Gewalt ihrer Peiniger befänden, die sie mit Hilfe solcher "Programmierungen" zur weiteren Teilnahme an satanischen Ritualen, zur Prostitution oder sogar zum Mord anstiften würden, möglicherweise auch zum Suizid aus mangelnder Loyalität. Diese Behauptungen haben allerdings einen großen Fehler: Bisher sind all jene, die diese Thesen befürworten, einen wissenschaftlichen Beweis schuldig geblieben, dass es überhaupt möglich ist, einen Menschen oder ein Tier auf diese Art und Weise zu steuern - im Gegenteil weisen die Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften darauf hin, dass ein so hohes Maß an Fremdkontrolle eher nicht möglich ist. Das bekannteste Forschungsprogramm in dieser Richtung ist übrigens MKUltra, ein während des Kalten Krieges von der CIA durchgeführtes Verfahren, in dem Menschen ohne ihr Wissen unter halluzuinogene Drogen gesetzt wurden, um zu testen, ob man an ihnen Bewusstseinskontrolle ausüben könnte - die Ergebnisse waren ernüchternd, viele Probanden bezahlten ihre Teilnahme mit ihrer psychischen und physischen Gesundheit, teilweise sogar mit ihrem Leben. Und denken wir doch mal logisch - wenn es wirklich möglich wäre, eine Person auf solche Art zu kontrollieren, warum ist noch keine Diktatur je darauf gekommen, diese Methode anzuwenden?
Warum aber sind die mutmaßlichen Opfer so überzeugt von ihrer Geschichte? Nun - hier kommt die Forschung zu falschen Erinnerungen ins Spiel, die in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht hat. Diese wird unter jenen, die an rituellen Missbrauch glauben, jedoch diskreditiert - angeblich handle es sich dabei um Vereinigungen von Tätern, denen es lediglich darum gehe, den Opfern ihre Glaubwürdigkeit zu nehmen. Was uns bei Verschwörungsgläubigen so häufig begegnet: Die Welt wird eingeteilt in Freund und Feind, und jeder, der widerspricht, wird sofort der "bösen" Seite zugerechnet. Und dabei sind falsche Erinnerungen bereits ziemlich gut nachgewiesen - das menschliche Gedächtnis ist keine Festplatte, die Erinnerungen speichert und nach Belieben wieder abspielt. Erinnerungen können sehr leicht verfälscht und manipuliert werden - was uns schlüssig erscheint, halten wir für wahr, auch wenn es das nicht ist. Im Zusammenhang mit psychischen Problemen ist der Glaube an verfälschte Erinnerungen zum einen mit dem Wunsch verknüpft, zu verstehen, warum man erkrankt ist, zum anderen mit der Hoffnung, endlich wieder Kontrolle über seine Probleme zu erlangen. Einige Patientinnen haben sich bereits vor Beginn ihrer Therapie über Bücher, Dokumentationen, das Internet oder Selbsthilfegruppen zu dem Thema informiert und sehen dies als schlüssige Erklärung für ihre Beeinträchtigung. Auf diese Weise finden sie möglicherweise auch den passenden Therapeuten, der ihre eigene These stützt und ihre Überzeugungen festigt. Ich möchte außerdem auf einen Artikel der Sekteninfo NRW hinweisen, der von einer Patientin handelt, die von einer Therapeutin in ein solches Narrativ gedrängt wurde - der ist ebenfalls unten verlinkt.
Nun - ich habe ja bereits in meinem Artikel über den Mandela-Effekt auf das Phänomen der falschen Erinnerung hingewiesen. Gerade deswegen möchte ich Betroffenen auch keine Lügen unterstellen - sie empfinden ihre Erinnerungen als real. Fakt ist jedoch, dass anekdotische Evidenz das einzige ist, was von all diesen spektakulären Fällen übrig bleibt. Hinzu kommt noch, dass die Patientinnen natürlich alle nicht gerade mit einem besonders starken Selbstwertgefühl ausgestattet sind - dies kann durch die Exklusivität, "Überlebende" eines Kultes zu sein, zumindest kurzfristig angehoben werden. Zudem kommt, dass zumindest ein großer Teil der Patientinnen wohl wirklich Opfer sexuellen Missbrauchs war, möglicherweise fand dieser in der eigenen Familie statt - es ist aber natürlich einfacher, zu glauben, der Vater sei unter Einfluss eines ominösen Kultes gestanden, immerhin erschüttert so ein Missbrauch ja erheblich das Vertrauensverhältnis. Hinzu kommt, dass Leute, die an diese Dinge glauben, auch gerne emotionalen Druck ausüben - beispielsweise unterstellen sie häufig, dass man Gewalt, Missbrauch oder organisierte Kriminalität leugnet, oder sie deuten die Taten Einzelner wie Fritzl oder Dutroux gerne in rituellen Missbrauch um. Und das ist es, was den Diskurs zerstört und die Sache in eine Richtung lenkt, die unübersehbar schwurbelig ist - weshalb ich auch angefangen habe, daran zu zweifeln.
Nun gut, ich bin froh, dass ich diese Geschichte endlich mal aufgearbeitet habe - es war mir auch eine persönliche Angelegenheit, da ich erstens sowohl von den Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland als auch von der Zeit eigentlich sehr viel halte, und da ich zweitens zu jener Generation gehöre, die in ihrer Jugend vergleichsweise häufig mit Satanic Panic konfrontiert worden ist. Es soll eine kleine Erinnerung daran sein, dass wir niemals aufhören sollten, zu zweifeln und nachzufragen, egal wie seriös uns Quellen auch erscheinen mögen. Und da das Thema jetzt doch ein bisschen schwer verdaulich war, habe ich euch ein Bild aus der Dr.-Sommer-Rubrik der Bravo angefügt, plus einen Link zu einer sehr amüsanten Website. Also bis zum nächsten Mal und bon voyage!
vousvoyez