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Selbstverständlich werden das nicht alle so sehen - die starken Schneefälle dieses Winters sind für viele der "Beweis", dass das mit dem Klimawandel nur ausgedacht ist. Denn würde man zugeben, dass dieses Problem real ist, dann müsste man auch einen Haufen liebgewordener Gewohnheiten und Annehmlichkeiten hinterfragen. Und das ist nun mal nicht leicht. Ähnlich wie in der gegenwärtigen Situation. Aber das soll jetzt nicht das Thema sein - nein, ich möchte mich heute ein paar anderen Legenden und Mythen widmen, und zwar deshalb, weil ich kürzlich wieder mal über was gestolpert bin - über ein "Phänomen", das anscheinend gern als wissenschaftliches Beispiel angeführt wird, obwohl es mit Wissenschaft eigentlich nichts zu tun hat. Es geht um den Mythos vom hundertsten Affen.
Diese Geschichte fand vor allem durch zwei Bücher aus den 1970er Jahren Verbreitung und stammt von dem südafrikanischen Botaniker, Zoologen, Biologen, Anthropologen, Ethnologen und Autoren Lyall Watson. Dieser bezieht sich auf die Koshima-Forschung der 1950er Jahre, als einige japanische Forscher eine Population von Japanmakaken auf der Insel Kōjima beobachteten; diese ließen auf den Strand der Insel Süßkartoffeln und Weizen für die Tiere fallen und beobachteten dann deren Verhalten. Irgendwann begann einer der Affen, die Süßkartoffeln vor dem Verzehr zu waschen, eine Tätigkeit, die bald von anderen von ihnen, vor allem den jüngeren, imitiert wurde. Lyall Watson behauptete, dass, nachdem der hundertste Affe aus der Kolonie auf Kōjima angefangen habe, seine Süßkartoffeln zu waschen, dieses Verhalten auch bei anderen Affengruppen auf anderen Inseln und dem Festland aufgetreten sei, ohne dass diese je Kontakt zu den Tieren auf Kōjima gehabt hätten. Im Jahr 1982 griff der US-amerikanische Autor Ken Keyes jr. diese Geschichte auf und führte sie in seinem Buch The Hundreth Monkey weiter; er behauptete, dass der hundertste Affe eine Art "paranormalen Lernvorgang" ausgelöst hätte, der durch "morphogenetische Felder" zustande gekommen sei, eine Hypothese von Rupert Sheldrake, die behauptet, dass Lebewesen durch unsichtbare Energiefelder miteinander verbunden sei, die energetische Information transportierten.
Watsons Ausführungen wurden bald kritisiert und als unwissenschaftlich entlarvt - auch Masao Kawai, Leiter der japanischen Verhaltensforscher, die damals vor Ort gewesen waren, wies mehrfach darauf hin, dass Watsons Angaben nicht korrekt und in der Folge auch überinterpretiert wären. Die Geschwindigkeit des Lernprozesses wurde sowohl bei ihm als auch bei Keyes übertrieben, zudem wurde der Fakt ausgelassen, dass Affen, die ein bestimmtes Alter überschritten hatten, das beobachtete Verhalten nicht mehr übernahmen. Da Fertigkeiten sowohl durch aktives Weitergeben als auch durch Beobachtung auch in anderem Kontext erlernt werden, fallen die Ergebnisse der Koshima-Forschung auch nicht wesentlich aus dem Rahmen. Auch dass sich diese Praxis plötzlich auf andere isolierte Affenpopulationen übertrug, kann nicht bewiesen werden, zumal die Süßkartoffel den Japanmakaken nur durch menschliches Eingreifen zur Verfügung stand. Da in den Originalquellen die Anzahl der Tierpopulation mit 59 angegeben wird, hat es den ominösen hundertsten Affen zudem ohnehin nie gegeben. Es ist also kein Wunder, dass diese Geschichte hauptsächlich von Leuten geglaubt wird, die generell zu Verschwörungserzählungen neigen, und nicht von systemgläubigen Schlafschafen wie mir.
Ähnlich unzureichend ist die Beweislage auch im Falle von Menschen, die völlig ohne Zutun von außen in Flammen aufgegangen sein sollen - es gibt aber zahlreiche Geschichten darüber, aber keinen einzigen stichhaltigen Beweis, dass so etwas überhaupt möglich ist. Und doch sind uns Geschichten über spontane menschliche Selbstentzündung bereits seit Anbeginn der Zeitrechnung bekannt. In Indien gibt es beispielsweise den Mythos von Sati, der ersten Frau des hinduistischen Gottes Shiva, die vor Wut in Flammen aufgegangen sein soll, als sie nicht zum Fest ihres Vaters Daksha eingeladen wurde. Auch in der Bibel gibt es Geschichten über Menschen, die sich spontan selbst entzündet haben sollen. Aus dem Mittelalter ist der Glaube überliefert, dass exzessiver Alkohol dazu führe, dass Menschen spontan verbrannten - wenn ich mich an meinen ersten Schluck Messwein erinnere, kann ich auch durchaus nachvollziehen, warum man so etwas geglaubt hat. Allerdings weiß man heute, dass eine Alkoholvergiftung sehr viel wahrscheinlicher wäre als das. Selbstverständlich kann man sich solcher Mythen auch bedienen, um einer Strafe zu entgehen - so, wie es heute Eltern gibt, die versuchen, die Folgen von Kindesmisshandlung als Impfschaden zu deklarieren. Am Pfingstmontag des Jahres 1725 verbrannte die Französin Nicole Millet; ihr Ehemann konnte das Gericht davon überzeugen, dass sie von ganz allein in Flammen aufgegangen sei. Im 19. Jahrhundert entwickelte ein Elektroingenieur aus New York die These, dass Menschen mit besonders trockener Haut eine erhöhte elektrische Spannung entwickeln können, die unter besonderen Umständen eine elektrostatische Entladung begünstige, welche bewirke, dass der Körper spontan in Flammen aufgehe - diese Behauptung weist jedoch zu viele Ungereimtheiten auf. Im 20. Jahrhundert ist der Fall der Cinder Lady (Aschendame) bekannt, einer Frau aus Florida, die im Juli 1951 in ihrem eigenen Haus verbrannte; man nimmt jedoch an, dass in Wirklichkeit ihr exzessiver Schlaftablettenkonsum in Kombination mit der Tatsache, dass sie Raucherin war, dazu geführt hatte, dass ihre Kleidung durch eine Zigarette entflammt worden war, wodurch ein sogenannter "Dochteffekt" entstand - dieser bewirkt, dass die Hitze der Flammen das Körperfett zum Schmelzen bringt und diese, ähnlich wie Kerzenwachs, so lange nährt, dass sie nicht auf ihre Umgebung überspringen. In den 1990er Jahren vermutete der Kriminalpsychologe John E. Heymer einen psychosomatischen Prozess, der eine chemische Reaktion auslösen könne, die zu spontaner menschlicher Selbstentzündung führen könnte - eine These, die jedoch sowohl chemischen als auch physikalischen Gesetzmäßigkeiten widerspricht. Auch, dass Kugelblitze zu einer Selbstentzündung führen sollen, wurde nie bewiesen. Aber zumindest inspiriert die Legende der spontanen menschlichen Selbstentzündung immer wieder die menschliche Phantasie, so dass sie in zahlreichen Romanen, Filmen und auch Fernsehserien zu finden ist.
Auch die Großstadtlegende des Krokodils im Abwasserkanal wurde schon häufig kreativ verarbeitet. Diese behauptet, dass in den Abwässerkanälen von Großstädten Krokodile und Alligatoren leben sollen, die entweder aus Zoos ausgebrochen oder von ihren Besitzern, die sie als Haustiere gehalten hatten, die Toilette hinuntergespült worden seien. Entstanden ist dieser Mythos höchstwahrscheinlich in den 1930er Jahren, als Jugendliche im New Yorker Stadtteil Harlem einen Alligator in einem Gully entdeckten. Bis heute behauptet eine moderne Sage, es gäbe in der New Yorker Kanalisation eine Population weißer Alligatoren - was mich an Kachikally erinnert, das heilige Krokodilbecken in Bakau im westafrikanischen Staat Gambia, das ich im Jahr 2006 besucht habe. Das Krokodil ist in Westafrika ein Symbol der Fruchtbarkeit; der Legende nach soll es in Kachikally ein weißes Krokodil geben, und wer dieses zu Gesicht bekommt, der soll später viele Kinder haben. Wie die Geschichte des Alligators aus New York zeigt, gab es durchaus echte Fälle, in denen Reptilien im Kanal gefunden wurden - trotzdem können die meisten Geschichten in das Reich der Legenden verwiesen werden, da der Abwasserkanal kein geeigneter Lebensraum für die Tiere ist. Erstens benötigen Krokodile als wechselwarme Lebewesen Sonnenlicht und Wärme, zweitens finden sie dort unten zu wenig Beute, drittens ist die Verschmutzung der Abwässer auf Dauer gesundheitsschädlich.
Gesundheitsschädlich klingt auch die Legende, die in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in mehrfacher Ausführung in Polen kursierte. Damals erzählte man sich, dass nach Sonnenuntergang eine schwarze Limousine der Marke Wolga durch die Straßen fahre, um Kinder aufzugreifen und zu verschleppen - ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man damals polnischen Kindern sagte: "Wenn du zum Abendessen nicht zu Hause bist, holt dich der schwarze Wolga." Von der Geschichte gibt es mehrere Varianten - je nach Feindbild soll es sich bei den Insassen der Limousine um Priester, Juden, Satanisten oder Vampire gehandelt haben. Waren sie eines Opfers habhaft geworden, soll diesem das gesamte Blut abgelassen und an reiche Deutsche verkauft worden sein, die an Leukämie litten. Manche behaupteten auch, dass alle Organe, vor allem die Nieren, entnommen worden seien. Es gibt auch Varianten, die erzählen, dass der Fahrer des Wolga Passanten nach der Uhrzeit fragte - nannten sie ihm diese, so starben sie am darauffolgenden Tag zu genau dieser Zeit. Der Ursprung dieser Erzählung ist nicht bekannt - Anhänger von Verschwörungsmythen behaupten allerdings, die polnische Staatssicherheit habe sie in die Welt gesetzt, um echte heimliche Verhaftungen und Verschleppungen zu vertuschen.
Bekanntlich wird die Angst um Kinder häufig ausgenutzt, um leichtgläubigen Menschen alles mögliche einzureden - ein Mechanismus, den ich schon in früheren Artikeln häufig kritisiert habe. In den USA kursiert etwa schon, seit es den Brauch gibt, dass Kinder zu Halloween von Haus zu Haus ziehen und Süßigkeiten sammeln, die Legende, dass manche dieser Süßigkeiten vergiftet seien oder gefährliche Gegenstände wie Rasierklingen oder Glasscherben enthalten sollen. Bisher ist jedoch nur ein einziger realer Fall bekannt, dessen Idee wohl noch dazu von dieser Legende inspiriert worden ist. Die Verbreitung dieser Gerüchte nahm vor allem im 19. Jahrhundert an Fahrt auf, als Lebensmittel zunehmend industriell hergestellt wurden und in der Folge auch Zutaten enthielten, die Privatpersonen unbekannt waren. Überprüfungen ergaben, dass vorwiegend billige Süßigkeiten zwar keine tödlichen, aber durchaus gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe enthielten - eine mit Absicht herbeigeführte Vergiftung konnte jedoch nicht festgestellt werden. Dennoch haben sich diese Gerüchte bis heute gehalten - besonders in den 1970er und 1980er Jahren war die Panikmache in dieser Richtung besonders groß, und viele Ereignisse, die mit Halloween-Süßigkeiten eigentlich gar nichts zu tun haben, wurden damit in Verbindung gebracht. 1970 warnte die New York Times ohne jeglichen Anhaltspunkt vor angeblich vergifteten Halloween-Süßigkeiten, während 1983 bis 1995 die regelmäßigen Kolumnen der Schwestern Abigail van Buren und Eppie Lederer die Legende verbreiteten. Im Jahr 1970 starb ein fünfjähriger Junge am Heroin seines Onkels; um diesen zu schützen, behauptete seine Familie, er sei von einer Halloween-Süßigkeit vergiftet worden. 1994 ereignete sich in British Columbia ein ähnlicher Fall, als ein dreijähriger Junge eine Kokainvergiftung erlitt (die er allerdings überlebte) - auch da wurde zunächst von vergifteten Halloween-Süßigkeiten ausgegangen. 1988 fand die Polizei Strychnin in einer Packung Sunkist in einem Supermarkt in New Jersey - ein Einzelfall, der ebenfalls gern mit dieser Legende in Verbindung gebracht wird, obwohl er überhaupt nichts mit Halloween zu tun hat. 1990 starb ein vierjähriges Mädchen an den Folgen einer Kardiomegalie, einer Vergrößerung des Herzens - einige Zeitungen machten ebenfalls Halloween-Süßigkeiten dafür verantwortlich, ebenso wie im Fall einer anderen Vierjährigen, die im Jahr 2001 an einer Streptokokken-Infektion verstarb. Der einzig bestätigte Todesfall in Verbindung mit Halloween-Süßigkeiten ereignete sich jedoch 1974 in Texas; um an dessen Lebensversicherung heranzukommen, vergiftete der Optiker und Diakon Ronald Clark O`Bryan seinen achtjährigen Sohn Timothy, indem er eine mit Zyankali versetzte Packung Pixy Stix in seine gesammelten Halloween-Süßigkeiten schmuggelte. Um die Tat zu verschleiern, verteilte er weitere Packungen dieser Süßigkeit an andere Kinder - außer Timothy kam jedoch keines zu Tode. Der Vater wurde verhaftet und zehn Jahre später in Huntsville hingerichtet - per Giftspritze, ein Verfahren, das damals noch neu war.
Das waren wieder ein paar der vielen schwurbeligen ganz wirklich echt wahren Geschichten, die es so zu erzählen gibt - und die häufig von den ein oder anderen bis heute geglaubt werden. Aber was wäre das auch für eine Welt ohne Geheimnisse und Legenden, nicht wahr? Ich jedenfalls würde das doch ziemlich langweilig finden - schon allein deswegen, weil ich dadurch weitaus weniger zum Bloggen hätte! Wie es momentan bezüglich des Lockdowns bei mir aussieht, kann ich nicht sagen - was ich aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass wir uns ziemlich bald wiedersehen werden. Ich habe nämlich aktuell auch noch etwas anderes in Arbeit, das, wie ich denke, in Kürze fertig sein wird. Bis dahin wünsche ich euch trotz allem eine gute Zeit, und ich hoffe, dass ihr mir alle gesund und munter bleibt und nur ja keine Dummheiten macht, weil nämlich sonst ein Krokodil aus der Kloschüssel kommen wird, hihihi! Bon voyage!
vousvoyez