Mittwoch, 19. Dezember 2018

Tafel löschen ist das Wichtigste auf der Welt

(c) vousvoyez
Dieser Satz hat viele Fragen aufgeworfen, die ich leider erst jetzt, nach eineinhalb Jahren, adäquat beantworten kann. Wie wohl ersichtlich ist, stammt er aus meiner Schulzeit - und wurde einer Schulkollegin im Deutschunterricht in den Mund gelegt, als sie an diesem Tag Tafeldienst hatte. Man muss dazu sagen, sie nahm diesen Dienst ernster als alle anderen - denn sie schaffte es, die Tafel zu löschen, ohne dass die üblichen hässlichen Schlieren zurückblieben. Aber dass sie den Tafeldienst für das Wichtigste auf der Welt hielt, wage ich doch zu bezweifeln - auch wenn die Lehrerin dies behauptete. Was mich persönlich betrifft, ich werde den Geruch des Tafelschwamms und dieses unangenehme Gefühl auf der Haut, wenn man ihn angefasst hat, nie in positiver Erinnerung behalten.

Es wird euch wohl schon aufgefallen sein, dass ich gerne auf Erinnerungen zurückgreife - auch wenn diese, wie ich in meinem Artikel über den Mandela-Effekt schon erläutert habe, nicht immer ganz zuverlässig sind. So wird auch dieser Post von Erinnerungen getragen werden.

Ich möchte heute über Helden sprechen. Grund dafür ist ein Video, in dem der Frage nachgegangen wird, wo die Helden heutzutage geblieben sind. Meine Kindheit in den 1980ern und 1990ern war die Zeit der großen Action-Helden. Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger, Chuck Norris, Jean-Claude Van Damme und wie sie alle hießen bevölkerten die Kinoleinwände. Sie hatten zwei hervorstechende Eigenschaften: Sie waren weiß und sie waren männlich. Heute macht man Witze über Chuck Norris. Damals waren Action-Heroes wie er so cool, dass nicht einmal das möglich war - bis im Laufe der 90er der Siegeszug der computeranimierten Special-Effects begann und die Männer unter den Menschen nach und nach verdrängte.

In solchen Filmen spielten Frauen natürlich eine untergeordnete Rolle - sie waren lediglich dazu da, um die männlichen Männer noch männlicher wirken zu lassen. Was natürlich in der Zeit davor auch nicht anders war - aber damals auf die Spitze getrieben wurde. Frauen waren hilflose Wesen, die nur existierten, damit sie von den harten Action-Heroes gerettet werden mussten - und oft durch reine Blödheit in brenzlige Situationen gerieten. Das waren auch die Erwartungen, die man an Mädchen richtete: Unsere Aufgabe war es, lieb zu sein und hübsch auszusehen - und auf den strahlenden Prinzen bzw. den mutigen Helden zu warten, der uns retten sollte, vor was auch immer. Unsere Rolle war passiv - und das ist sie im Grunde genommen bis heute.

Ich habe das Gefühl, dass Mädchen heute mehr denn je in eine rosarote Einhorn- und Prinzessinnenwelt gedrängt werden. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit in einem Geschäft für Babymode gearbeitet, und was mir am meisten auffiel, war, dass es kaum geschlechtsneutrale Kleidung gab, wie es in meiner Kindheit der Fall gewesen ist - alles war entweder rosa und mit Blumen, Einhörnern und süßen Tieren verziert, oder aus blauem Stoff, der mit Autos, Drachen und anderen "männlichen" Motiven bedruckt war. Eine Kundin erzählte mir, dass dieses Konglomerat der Extreme aus den USA kommt - wie so vieles. Mädchen sollen kein Blau und Jungen kein Rosa tragen - und das, obwohl es einmal umgekehrt war. Aber schon in meiner Kindheit war Rosa eine "Mädchenfarbe" - und ist bis heute meine absolute Hassfarbe.

Man tut den Mädchen eigentlich nichts Gutes, wenn man sie in die passive Rolle drängt, denn die Anforderungen an Frauen werden mit jeder Generation höher. Früher blieb die Frau zu Hause, kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder - heutzutage ist das kaum noch möglich. In einer Dokumentation äußerte eine Psychologin die Theorie, dass Mädchen in der Pubertät deswegen eher zu psychischen Problemen neigen, weil sie weniger als Jungen dazu angehalten waren, ihre Energie anders zu fokussieren. Ob das stimmt, kann ich nicht sagen - aber es klingt einleuchtend. Auch wenn man heutzutage natürlich bereit ist, die Zügel ein wenig lockerer zu halten - Buben dürfen ab und an auch mit Puppen spielen, ohne gleich als "schwul" abgestempelt zu werden, und man erkennt an, dass Mädchen auch Fußball spielen können. Aber das sind nach wie vor eher Ausnahmen. Obwohl es bereits Studien gibt, die belegen, dass Talente und Körperkraft in der Kindheit geschlechtsunabhängig sind, werden nach wie vor bei Buben eher räumliches und logisches Denkvermögen, bei Mädchen soziale Kompetenz und Kreativität gefördert. Mit dem Ergebnis, dass Kinder in der Schulzeit in den jeweiligen Bereichen meist besser abschneiden.

Ich glaube, eines der Probleme, die ich als Kind damit hatte, mich selbst als Mädchen zu akzeptieren, war die Passivität, die als "weiblich" begriffen wurde. Der (männliche) Held zieht aus, um Abenteuer zu erleben. Die Frau wartet zu Hause - oder sie wartet darauf, gerettet zu werden. Ich wollte damals schon nicht warten, und schon gar nicht auf einen Mann - ich wollte auch Abenteuer erleben. Ich wollte der Superheld sein, nicht die Prinzessin.

Was allerdings nicht heißt, dass es in meiner Familie an weiblichen Vorbildern mangelt - sowohl die Familie meines Vaters als auch die meiner Mutter ist voll mit starken, intelligenten, tatkräftigen Frauen. Aber das fand ich erst nach und nach heraus, als ich schon alt genug war, um zu begreifen, dass die Rollenbilder von Mann und Frau hauptsächlich auf Klischees beruhen. Und ich habe mit dem Älterwerden auch andere weibliche Helden kennen gelernt - in der Literatur, in der Wissenschaft und ja, auch im Film. Und so lernte ich allmählich, dass es auf dieser Welt Frauen gibt, die größere Helden sind als die Action-Heroes meiner Kindheit. Ohne das männliche Heldentum schmälern zu wollen, aber sind wir uns ehrlich - es sind nach wie vor lediglich Filmhelden.

vousvoyez

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen