Montag, 4. September 2023

Ich kann Thomas Gottschalk total gut verstehen: Seit ich das erste Mal Topfschlagen gespielt habe, weiß ich, wie Blinde sich fühlen

©vousvoyez

Nun gehöre ich ja zu denjenigen, die sich ein Wetten, dass ... ? ohne den großen Blonden niemals hätten vorstellen können. Wobei ich zugeben muss, dass ich mein Interesse an der Sendung, als er aufhörte, sie zu moderieren, schon längst verloren hatte. Die Kindheit ist halt eben doch irgendwann vorbei. Dafür sorgte der mittlerweile ältere nicht mehr ganz so junge Herr vor zwei Jahren für einen Shitstorm, als er in der - meiner Ansicht nach, so wie sie aufgezogen war, völlig überflüssigen - WDR-Sendung Die letzte Instanz auftrat. Damals kam nämlich sein Fauxpas im Jahre 2013 zur Sprache, als er sich für eine Kostümparty in Los Angeles als Jimi Hendrix verkleidete - mit schwarz geschminktem Gesicht, natürlich. Das Problem hierbei war, dass vier Personen über eine Problematik diskutierten, die sie selbst nicht betraf - und auch wenn ich der Ansicht bin, dass man Fehler aus der Vergangenheit nicht übertrieben aufbauschen muss, ist es doch befremdlich, dass jemand, der sich jederzeit wieder abschminken kann, glaubt, er weiß nun, wie es ist, schwarz zu sein, weil er sich für einen Abend mal ein Kostüm angezogen hat. Vor allem aber gab es große Empörung darüber, dass Herr Gottschalk hinterher zu dem Vorfall geschwiegen hat.

Nun wissen wir ja, dass es heutzutage Leute gibt, die sehr empfindlich sind, wenn es um marginalisierte Gruppen geht - doch obgleich ich selbst Kritik an meiner eigenen Woke-Bubble übe und das auch wichtig finde, bin ich nicht blind: Ich schätze die Gefahr von rechts aktuell als weitaus größer ein als die von links, auch wenn auf Äußerungen über rechte Gewalt häufig genug die Antwort "... aber ... aber ... aber ... DIE LINKEN!!!" kommt. Letztendlich ist dies aber auch nichts anderes als ein beliebtes Manöver, um vom eigentlichen Thema abzulenken - eine Strategie, die aktuell sehr beliebt ist, wenn es um unbequeme Kritik geht. Gerade in rechten und konservativen Kreisen ist es aktuell außerdem sehr en vogue, von drängenden Problemen abzulenken, indem man andere herbeiphantasiert - und so sind die größten Probleme unserer Zeit, glaubt man etwa der FPÖ, nicht die Bildungsmisere, der Ukraine-Krieg, der Klimawandel, steigende Preise und der allgemeine Rechtsruck, sondern das Gendern, der "Woke-Wahnsinn" und der Pride Month. Das Problem an der Sache ist, dass sich gewisse Strategien, etwa aktuell das Festbeißen am Thema LGBTQ und vor allem am Thema Transgender, bereits bis in konservative Kreise durchgesetzt haben - tatsächlich scheinen Parteien wie etwa hierzulande die ÖVP oder in Deutschland die CDU/CSU sich immer mehr rechtsradikales Gedankengut anzueignen in der Hoffnung, damit rechtsradikalen Konkurrenten die Wähler wegzunehmen. Warum sollten diese sich aber mit einer Kopie zufriedengeben, wenn sie auch das Original haben können? Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass die Aussicht auf den nächsten Wahlkampf mir tatsächlich Angst macht - zumal unsere Parteienlandschaft mittlerweile so zerfasert ist. Das Problem ist, dass der Rechtsruck kein rein österreichisches oder deutsches Phänomen ist, sondern mittlerweile in den meisten westlichen Staaten gegeben ist.

Sehr extrem zu spüren ist dies mittlerweile in den USA, die einst als Inbegriff des Fortschritts galten und die mittlerweile nur noch wie eine Dystopie ihrer selbst wirken. Das sieht man vor allem in Florida, dessen Gouverneur Ron DeSantis aktuell als Donald Trumps schärfster Konkurrent bei der Kandidatur für die Republikaner als Präsident gehandelt wird. Und man mag es nicht glauben: Er scheint sogar noch schlimmer zu sein als das tote Meerschweinchen, das sich aus Versehen eine dicke Orange eingetreten hat! Tatsächlich ist DeSantis ein Paradebeispiel für jene Paradoxie, welche in rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Kreisen sehr beliebt ist: nämlich anderen genau das vorzuwerfen, was man selbst tut. Denn während er behauptet, dass die US-Bevölkerung von linksliberalen und "woken" Gruppierungen bevormundet werde, schränkt er aktiv die Rechte anderer ein. So dürfen Ärzte in Florida Patienten aus moralisch-ethischen oder religiösen Gründen ablehnen; Eltern droht der Entzug ihrer Kinder, sobald nur der Verdacht auf eine geschlechtsangleichende Behandlung bestehe - worunter theoretisch alles fallen könnte, welches Geschlechterklischees widerspricht, wie etwa Make-up bei Jungen -; große Wellen schlug auch das "Don't-say-gay"-Gesetz, welches Lehrern mit Jobverlust droht, sollten sie mit Kindern, die noch nicht das dritte Grundschuljahr erreicht haben, über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sprechen. Generell steht der bevorstehende Präsidentschaftswahlkampf auf republikanischer Seite ganz im Zeichen des Hasses gegen Transpersonen - das politisch rechte Lager inszeniert einen hochgradig emotionalisierten "culture war", den manche sogar als "holy war" bezeichnen und der sich in offener Feindseligkeit gegen die Trans-Community äußert. Und dies gelingt vor allem durch das Heraufbeschwören von Problemen, die es eigentlich gar nicht gibt sowie das ewige Geschrei nach dem Schutz der lieben Kleinen.

Tatsächlich zeichnet sich Ron DeSantis nicht nur durch Gesetze verantwortlich, die für Transpersonen existenzbedrohend sind - er wirbt auch noch anlässlich seiner Präsidentschaftskandidatur damit, besonders grausam gegen diese vorgehen zu wollen. So bedient er den Verschwörungsmythos, dass Transitions in Wirklichkeit nur deswegen vorgenommen würden, damit Männer sich in den Frauensport schmuggeln und dort Trophäen abgreifen können. Kelly Craft, Kandidatin für den Gouverneurswahlkampf in Kentucky, wirbt für sich mit dem Versprechen, Trans-Kinder aus Schulen zu entfernen, und eine gewählte Abgeordnete aus Montana kommunizierte im Kongress offen, dass ihr der Suizid ihrer Tochter lieber wäre als eine eventuelle Geschlechtsangleichung. Manche Leute glauben außerdem, dass der amtierende Präsident Joe Biden in Zusammenarbeit mit Lehrergewerkschaften den Plan verfolge, Kinder gezielt trans zu machen, und christlich-fundamentalistische Pastoren in Idaho und Texas rufen zur Ermordung aller Angehörigen der LGBTQ-Community auf. Wie brenzlig die Situation bereits ist, zeigte sich im März diesen Jahres, als eine Hasswelle gegen die Schokoladenmarke Hershey's losbrach, die anlässlich des Internationalen Frauentages in Kanada eine PR-Kapagne mit dem Titel Her for She startete, die von fünf Frauenrechts-Aktivistinnen vorgestellt wurde - darunter auch eine Transfrau. Einen Monat später wurde auch die Biermarke Budweiser mit der aktuell erstarkenden Transfeindlichkeit konfrontiert: Als eine Transgender-Influencerin Werbung für Bud Light machte, trendete auf diversen Social-Media-Plattformen der Hashtag #BoycottBudLight und man teilte Videos von Leuten, die auf Bud-Light-Dosen schossen (darunter auch Trump-Anbeter Kid Rock). Viele Rechtskonservative jammerten, dass dies die schlimmste Zeit ihres Lebens sei (fast beneidenswert, wenn es nicht so traurig wäre); es hagelte Bombendrohungen gegen mehrere Budweiser-Fabriken; Menschen, die es wagten, Bud Light zu kaufen, wurden körperlich attackiert und in den Südstaaten wurde eine "ultrarechte", "woke-freie" Biermarke entwickelt.

Die Dämonisierung von Transpersonen durch rechte Kreise ist jedoch nicht nur in den USA, sondern auch hier in Europa hoch im Kurs. Denn natürlich ist dies ein dankbares Thema: Menschen, die sich als Transgender identifizieren, also sich nicht dem bei der Geburt ermittelten Geschlecht zugehörig fühlen, sind entgegen ihrer panischen Schreie eine kleine Minderheit - was bedeutet, dass viele "Normale" mit diesem Thema nichts anfangen können, weil sie sich nie damit auseinandergesetzt haben. Das ist ja an sich auch nichts Verwerfliches - man kann sich ja nicht mit allem beschäftigen. Das Problem ist allerdings, dass andere sich diese Unwissenheit zunutze machen und jene, die vor ein paar Jahren noch gar nicht wussten, dass es so etwas wie Transgeschlechtlichkeit überhaupt gibt, aktiv gegen Menschen aufbringen, die nichts anderes wollen als ihre Identität zu leben, ohne belästigt oder diskriminiert zu werden. Und indem man ein Problem kreiert, das es eigentlich gar nicht gibt, kann man wunderbar von anderen, viel drängenderen Problematiken ablenken und Menschen dazu bringen, dass sie sich viel mehr Gedanken über unliebsame Interpunktionszeichen machen als über marode Bildungssysteme, galoppierende Inflation oder den menschengemachten Klimawandel.

Entsprechend wird das Thema in unseren Breiten natürlich besonders gern von AfD und FPÖ aufgegriffen - etwa mit Plakaten, auf denen geschminkte Männer mit grausamem Lächeln ihre Hände nach unschuldigen Kindern ausstrecken, eine Ästhetik, die nicht nur mich auf sehr unangenehme Weise an die Propaganda-Plakate der NS-Zeit erinnert, auf denen Juden auf gleiche Weise dargestellt wurden. Und auch in konservativen Kreisen werden die Verschwörungsmythen rund um Transgender inzwischen unreflektiert nachgeplappert - etwa das Narrativ, dass Männer sich lediglich als Transfrauen ausgäben, um kleinen Mädchen ungestört beim Duschen und Umziehen zuschauen zu können. Und natürlich kann es auch nicht überraschen, dass auch innerhalb der LGBTQ-Community nicht differenziert wird - etwa in der aktuellen Debatte darum, ob Dragqueens Kindern Geschichten vorlesen dürfen. Denn Drag ist eine Kunstform, in der mit Geschlechterklischees gespielt wird, und hat als solche auch nichts mit Transgender zu tun - hat aber in den USA bereits dazu geführt, dass vermummte, bewaffnete Gestalten mit Hakenkreuz-Fahnen auf Drag-Events auftauchten und hierzulande dafür gesorgt, dass Kinderlesungen unter Polizeischutz gestellt werden müssen. Wenn ich all diese aufgeregten Leute sehe, die von einer "Indoktrination" kleiner Kinder sprechen, wird mir klar, wie gefährlich diese Mischung aus fehlender Medienkompetenz (Quelle "das weiß man"), geringer Intelligenz und Desinformation werden kann. Denn das sind keine Neonazis mit Hakenkreuzfahne, sondern besorgte Bürger und brave Hausfrauen - mit anderen Worten, ganz normale Leute. Und so kamen Social-Media-User auf die Idee, den Pride Month in "Stolzmonat" umzubenennen und den bösen Regenbogenfahnen die deutsche Nationalflagge entgegenzusetzen: Der "Kulturkampf" ist hier schon längst angekommen.

Und was steht hierbei an erster Stelle? Natürlich - der vermeintliche Kinderschutz. Denn die größte vulnerable Gruppe ist natürlich am leichtesten instrumentalisierbar - wer kann schon etwas dagegen haben, Kinder zu schützen? Das geht schon so weit, dass Regenbogenfarben auf Kinderkleidung bereits für diese Panikmache herhalten müssen - denn selbstverständlich denkt man beim Anblick eines Regenbogens sofort an Sex. Selbst der Himmel will uns alle zwingen, schwul zu werden - und auch die finsteren Machenschaften eines Wasserstrahls werden offenbar, sobald man ihn gegen die Sonne hält! Und so hat man schon in den 1970er Jahren vor schwulen Männern gewarnt, weil die angeblich pädophil seien und Kinder homosexuell machten - und heute werden Männer angeblich trans, um kleine Mädchen belästigen zu können und Kinder trans zu machen. Fakt ist allerdings: Man kann weder homosexuell noch trans "gemacht" werden - es gibt allerdings Menschen, die das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht  nicht "einfach akzeptieren" können. Ich selbst habe das auch erst verstanden, nachdem ich drei Transfrauen persönlich kennengelernt habe - im Prinzip finde ich aber, dass man Menschen auch akzeptieren kann, ohne ihr Anderssein deswegen verstehen zu müssen. Es ist einfach nicht dein Problem, Schurli! Und warum sollten Menschen, wenn sie nun diesen Leidensdruck haben, sich nicht an den Errungenschaften moderner Medizin bedienen dürfen - es erwächst doch niemandem ein Nachteil daraus! Ganz abgesehen davon, dass nicht jede Transperson sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzieht, da diese - wie jede medizinische Maßnahme - auch Risiken beinhaltet, mit denen nicht jede leben will oder kann. Darüber hinaus werden Menschen, die noch nicht ausgewachsen sind, sowieso noch gar nicht operiert - und natürlich finde ich es auch falsch, Pubertätsblocker zu schlucken, wie man es gerade lustig ist, aber kommt das wirklich so oft vor? Und ganz abgesehen davon - warum soll man Kindern, deren Transidentität bereits nachgewiesen ist, eine irreversible Pubertät zumuten, wenn es auch anders geht? Klar könnte man einwenden, dass die Person sich irgendwann einmal umentscheiden könnte - das passiert aber in den seltensten Fällen, und wenn, dann hängt es häufig mit fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz zusammen. Im übrigen birgt jede Operation ein gewisses Risiko mit sich, dass man sie später bereut - aber wenn der positive Aspekt doch so offenkundig überwiegt, warum hängt man sich dann daran auf? Abgesehen davon, dass man sich nicht gleich einer Geschlechtsangleichung unterziehen kann, als würde man zum Friseur gehen - es gibt schon einige Auflagen, die man erfüllen muss, beispielsweise ein psychiatrisches Gutachten, das aktuell noch sehr teuer ist, das aber meiner Meinung nach kostenlos sein sollte.

Man kann also sagen: Es geht  nicht darum, Cis-Kinder "trans zu machen", sondern darum, Trans-Kindern Sicherheit zu bieten. Aber offensichtlich sind die selbst ernannten Kinderschützer gar nicht mehr so kinderlieb, sobald es um Kinder geht, die nicht in ihr Weltbild passen. Stattdessen werden Gefahren ganz ohne Grundlage herbeiphantasiert und von "Frühsexualisierung" gefaselt, wenn es um Regenbögen geht, während schon bei Kleinkindern Mädchenkleidung enger und kürzer fabriziert wird als Jungenkleidung und in Florida ein Gesetz verabschiedet wurde, welches es der Bevölkerung noch leichter macht, an Waffen zu kommen. Tatsächlich gibt es für Florida schon eine offizielle Reisewarnung an marginalisierte Gruppen, während hierzulande Leute, die sich über die ständige Präsenz des Themas beschweren, am meisten über das Thema reden. Und in der Politik sind das gerade diejenigen, die über keine zukunftsfähigen Pläne verfügen und nichts tun als andere zu blockieren, jeglichen Fortschritt zu verhindern und darüber zu jammern, dass die anderen alle blöd sind. Aber wenn man auf diese Weise Politik betreibt, muss man ständig irgendwelche nicht existierenden "Kulturkämpfe" heraufbeschwören und Kleinigkeiten wie die Erlaubnis, zu gendern oder vegane Schnitzel in der Kantine anzubieten zum ultimativen Angriff auf die Freiheit hochstilisieren. Das Problem ist aktuell, dass zu viele Menschen darauf hereinfallen - und ja, darum sorge ich mich tatsächlich. Andererseits empfinde ich, wie ich an anderer Stelle schon angemerkt habe, auch tiefes Bedauern gegenüber denjenigen, die vor allem Angst haben, was sie nicht verstehen und sich deshalb die Chance verbauen, ihren Horizont zu erweitern. Das einzige, was man dagegen tun kann, ist, in Kontakt zu treten - denn ein paar Verbohrte wird es immer geben, aber ich denke, wir sollten die Anzahl dieser so gering wie möglich halten.

vousvoyez

RobBubble: https://www.youtube.com/watch?v=7Mpe5_gBUtI&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=113

extra3: https://www.youtube.com/watch?v=03wBbp5Pa_M&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=115

Der dunkle Parabelritter: https://www.youtube.com/watch?v=FONVcd0-Kf0&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=114&t=11s

Sonntag, 2. Juli 2023

Leuten, die selber denken, muss man aber auch wirklich alles erklären

Foto von Jr Korpa auf Unsplash

Heutzutage relativieren Leute die Gewalt von Polizisten, wenn das Opfer die "falsche" Hautfarbe hatte - dieselben Leute sind allerdings oft erstaunlich wehleidig, sobald es um sie selbst geht. Ich erinnere mich beispielsweise an ein Video vom Herbst 2020, welches angeblich ebenfalls "Polizeigewalt" dokumentierte - das Dumme war nur, dass man vergessen hatte, den Teil wegzuschneiden, welcher zeigte, dass das vermeintliche Oper zuvor auf die Polizisten losgegangen war, und dass aufgrund dessen sogar die eigene Bubble Zweifel an der Story äußerte. Im Gegensatz dazu gibt es aber etliche Geschichten, für die es bis heute keine plausible Erklärung gibt - und deshalb möchte ich mich heute einmal drei bis heute ungeklärten Kriminalfällen widmen. Um euch im Vorfeld zu beruhigen: Ich bin keine von denen, die von einem heißen "Bad Boy" träumen, und ich finde Kommentare wie "zu hübsch für den Knast", wenn es etwa um einen Jeremy Meeks oder Cameron Herrin geht, einfach nur saudämlich. Im übrigen kann ich euch verraten, dass man auch mit einem Schönling an seiner Seite nicht zwangsläufig das große Los gezogen hat. Das war die heutige Lektion - schreibt euch das auf, denn es kommt ganz sicher bei der Prüfung dran.

Die erste Geschichte, mit der wir uns heute beschäftigen werden, ist nicht nur die eines ungeklärten Mordes - das Opfer selbst ist bis heute ein Rätsel, zu dem es zwar viele Meinungen, aber wenig richtige Fakten gibt. Alles begann am 26. Mai 1828, als ein etwa sechzehnjähriger Junge in Nürnberg auftauchte - bäuerlich gekleidet, mit unsicherem Gang, und er schien Mühe zu haben, sich zu artikulieren. Auf der Polizeiwache war er allerdings in der Lage, seinen Namen zu schreiben: Kaspar Hauser. Im Laufe der nächsten Tage machte eine ganz unglaubliche Geschichte die Runde: In Nürnberg sei ein Junge aufgegriffen worden, der den Großteil seiner Kindheit und Jugend in einem dunklen, niedrigen Verlies verbracht habe, mit nichts als Wasser und Brot zu essen und ohne menschliche Gesellschaft - gepflegt wurde er im Schlaf, welcher möglicherweise durch Opium herbeigeführt worden war, und kurz vor seiner Entlassung habe ihm eine vermummte Gestalt beigebracht, ein paar Worte zu sprechen und seinen Namen zu schreiben. Natürlich weckte die Nachricht diesen außergewöhnlichen Falls die Neugier der Öffentlichkeit - es war die Epoche der Romantik, als das Interesse für sogenannte "Wilde Kinder", welche ohne gesellschaftlichen Einfluss aufgewachsen waren, sehr groß war.

Kaspar Hauser lebte die erste Zeit bei dem pensionierten Gymnasialprofessor Georg Friedrich Daumer, der ihn in verschiedenen Fächern unterrichtete und später über seine erstaunliche Entwicklung berichtete, vor allem über seine Begabung beim Zeichnen und Malen. Darüber hinaus wollte der zur Esoterik neigende Lehrer in ihm außergewöhnliche spirituelle Fähigkeiten entdeckt haben - er betete den Jungen förmlich an und führte an ihm zahlreiche homöopathische und magnetische Experimente durch. Später beschäftigte sich Rudolf Steiner, dem wir ja bereits begegnet sind, mit dem Phänomen Kaspar Hauser und bezog sich dabei vor allem auf Daumer. Doch Kaspar blieb nicht ewig dort - im Laufe seines Lebens wechselte er mehrmals die Unterkunft, außerdem gab es drei Anschläge auf seine Gesundheit. Am 14. Dezember 1833, als er im Haus des Lehrers Johann Georg Meyer in Ansbach wohnte, erlitt er eine gefährliche Stichverletzung, der er drei Tage später erlag. Ehe er starb, erzählte er von einem bärtigen Mann, der ihm einen Beutel überreicht und anschließend zugestochen habe. Man fand den Beutel, der eine kryptische Botschaft enthielt, und beerdigte Kaspar Hauser am 20. Dezember auf dem Ansbacher Stadtfriedhof.

Das Rätsel um Kaspar Hausers Herkunft wurde nie vollständig gelöst, aber seine Geschichte fasziniert bis heute, und selbstverständlich gibt es zahlreiche Hypothesen und auch Verschwörungsmythen über seine Abstammung und seinen Tod. Die bekannteste ist die sogenannte "Erbprinztheorie", welche die Attentate zu bestätigen scheinen: Schon zu seinen Lebzeiten entstand das Gerücht, Kaspar Hauser sei in Wirklichkeit der Erbprinz von Baden, Sohn des Großherzogs Karl und seiner Gemahlin Stéphanie, welcher in der Wiege mit einem sterbenden Kind vertauscht worden sei. Beschuldigt wurde Gräfin Luise Karoline von Hochberg, die Witwe des Großherzogs Karl Friedrich von Baden, die ihren eigenen Nachkommen auf diese Weise zum Thron verhelfen wollte Die Geschichte passte nur zu gut in die Zeit des Vormärz, als die allgemeine Stimmung gegen den Adel sehr negativ war, und war gut geeignet für den politischen Kampf gegen das Haus Baden sowie die Diskreditierung des verhassten politischen Systems. Doch auch das Königreich Bayern nutzte das Gerücht für seine Zwecke - seit längerer Zeit bemühte es sich nämlich, die 1803 an Baden verlorene rheinische Pfalz zurückzugewinnen. Aufgrund der heute bekannten Quellen kann die Erbprinztheorie allerdings ausgeschlossen werden - die Großmutter des echten Erbprinzen hatte den Krankheitsverlauf des namenlosen Kindes genau dokumentiert und war ständig in seiner Nähe, und zudem hatte Luise Karolines Sohn Leopold den Thron mit der Zustimmung aller Großmächte bestiegen, so dass die Hochberger für die Beseitigung des Erbprinzen gar kein Motiv gehabt hätten. Trotzdem gibt es natürlich Leute, die bis heute daran glauben - vor allem Okkultisten und Anthroposophen propagierten diese These im 20. Jahrhundert, die Beweisführung von Amateurforschern halten einer kritischen Überprüfung nicht stand, da das meiste durch eher unseriöse Methoden zustande kam. Auch eine im Jahre 1996 vorgenommene DNA-Analyse zeigte keinerlei genetische Übereinstimmung mit dem Hause Baden. Doch so falsch die Erbprinzentheorie auch sein mag, war sie zu der Zeit, als sie aufkam, doch naheliegend, immerhin war dies nicht die einzige Geschichte eines vermeintlich verhinderten Erben - denken wir nur etwa an den Mann mit der eisernen Maske.

Doch  nicht nur die Erbprinzentheorie, auch der Mord an Kasper Hauser, ja sogar die Geschichte seiner vermeintlichen Gefangenschaft wird heutzutage immer häufiger angezweifelt - wobei es schon zu seinen Lebzeiten Leute gab, die ihn für unglaubwürdig hielten. Mittlerweile vermuten Experten, dass er an einer histrionischen Persönlichkeitsstörung litt - eine psychische Störung, welche sich durch extremes Streben nach Aufmerksamkeit, manipulatives und theatralisches Verhalten bemerkbar macht. Tatsächlich beschrieben ihn selbst jene, die ihm positiv zugetan waren, als eitel, heuchlerisch und unaufrichtig - schon damals fielen einigen seiner Zeitgenossen Ungereimtheiten auf: Er hatte einen gesunden Teint, wies weder Anzeichen einer Mangelernährung noch organischer Schäden durch jahrelange beengte Verhältnisse oder gar ständiger Verabreichung von Opium auf. Im Großen und Ganzen widersprach sein körperlicher und geistiger Zustand seiner Geschichte gänzlich, ganz abgesehen davon, dass er ein solcherart beschriebenes Martyrium gar nicht hätte überleben können. Umso erstaunlicher ist, dass es selbst heute noch Menschen gibt, die die Geschichte glauben. Viele nehmen allerdings an, dass er tatsächlich längere Zeit wenig Kontakt zur Außenwelt hatte - möglicherweise wurde er tatsächlich verstoßen und in der Folge im Zusammenspiel einer wohlwollenden, aber naiven Öffentlichkeit mit seinem Zustand seelischer Verwahrlosung zu einer mystischen Figur überhöht, eine Rolle, in der er sich mit er Zeit zu wohl zu fühlen schien, um sie noch ablegen zu können. Dazu passt auch die Vermutung, dass er die vermeintlichen Mordanschläge selbst inszeniert hat - und dass er sich beim dritten Mal unbeabsichtigt so schwer verletzte, dass er daran starb. Interessanterweise passierten die Anschläge nämlich immer dann, wenn die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, allmählich nachließ bzw. wenn er sich mit jenen, bei denen er untergekommen war, überworfen hatte.

Aber was die Wahrheit auch sein mag, das Phänomen Kaspar Hauser ist zeitlos und beschäftigt die Menschen daher in jede Epoche. Und so fand es nicht nur in der Wissenschaft und Kriminalistik, sondern auch in vielen künstlerischen Genres Eingang. Zu nennen ist hier etwa Jakob Wassermanns historischer Roman Capsar Hauser oder Die Trägheit des Herzens von 1908; Paul Verlaines Gedicht Gaspard Hauser chante von 1881; Georg Trakls Kaspar Hauser Lied von 1913; Kurt Matulls Stummfilm Kaspar Hauser von 1915; Walter Benjamins Kinderhörspiel Caspar Hauser von 1930; Roy Kellinos Film The Mystery of Caspar Hauser von 1956 mit Michael Landon in der Hauptrolle; Robert Adolf Stemmles zweiteiliger Fernsehfilm Der Fall Kaspar Hauser von 1966 mit Wilfried Gössler in der Hauptrolle; Peter Handkes Sprechstück Kaspar von 1968; Reinhard Meys Lied Kaspar von 1969; Werner Herzogs Jeder für sich und Gott gegen alle von 1974 mit Bruno S. in der Hauptrolle; Suzanne Vegas Song Wooden horse von 1987; Paul Austers Roman City of Glass von 1989; Peter Sehrs Kaspar Hauser - Verbrechen am Seelenleben eines Menschen von 1993 mit André Eisermann in der Hauptrolle; die anthroposophisch orientierten Kaspar-Hauser-Festspiele, die seit 1998 in Ansbach stattfinden; Günter Brus' und Burgis Paiers Ausstellung in Graz von 2008. Diese Liste ist natürlich wieder unvollständig und eher subjektiv.

Der nächste Fall, über den ich heute sprechen möchte, jährte sich gerade im letzten Jahr zum hundertsten Mal, aber ich kann euch leider nicht erklären, warum ich ihn davor nicht auf dem Schirm hatte. Es geht hier um einen grausamen Sechsfachmord, der bis heute nicht aufgeklärt werden konnte, der aber nach wie vor etliche Hobbydetektive beschäftigt, schon allein wegen der außergewöhnlichen Umstände. Tatort ist ein Bauernhof in Oberbayern, der in vielen Quellen als Einödhof bezeichnet wird, obwohl er keineswegs so abgelegen lag, wie das bei solchen Ansiedlungen normalerweise der Fall ist. Opfer war die gesamte auf diesem Hof lebende Familie inklusive Magd - letzte hatte gerade ihren ersten Arbeitstag hinter sich gebracht. Hinterkaifeck war 1863 errichtet und etwa ein Jahr nach den Morden abgerissen worden - heute befindet sich dort landwirtschaftliche Nutzfläche, während das Marterl, also der Bildstock, der zum Gedenken an die Opfer errichtet worden war, voriges Jahr entfernt worden war - zu groß sei der Andrang an Katastrophentouristen und die daraus resultierende Unruhe gewesen. Aber wer waren diese Leute, die durch ein so brutales Verbrechen ihr Leben lassen mussten?

Die Personen, die diesem Massaker zum Opfer fielen, waren grob zusammengefasst ein älteres Ehepaar, deren erwachsene Tochter mit ihren beiden Kindern sowie die Magd, die wohl nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Passiert ist die Tragödie in der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1922, die Leichen wurden allerdings erst am 4. April gefunden. Cäzilia Gruber hatte den Hof von ihrem 1885 verstorbenen ersten Ehemann geerbt und bewirtschaftete ihn mit ihrem ehemaligen Knecht Andreas Gruber, der neun Jahre jünger war als sie und den sie nicht einmal ein Jahr später geheiratet hatte. Sie hatte sieben Kinder zur Welt gebracht, von denen jedoch nur drei das Säuglingsalter überlebten - was zur damaligen Zeit allerdings nicht ungewöhnlich war. Ihr einziges überlebendes Kind aus zweiter Ehe war Viktoria Gabriel, die ebenfalls zu den Mordopfern gehörte und bei der die meisten Fäden zusammenliefen. Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie 35 Jahre alt und als Alleinerbin des Hofes eingesetzt. Seit ihrem 16. Lebensjahr wurde sie von ihrem Vater regelmäßig sexuell missbraucht - dies war unter den Dorfbewohnern bekannt, im Jahr 1915 handelten sich beide eine Haftstrafe wegen "Blutschande" ein. 1914 heiratete Viktoria den Landwirtssohn Karl Gabriel, der jedoch im selben Jahr noch im Zuge des Ersten Weltkriegs an der Front sein Leben verlor. Obwohl sein Kriegstod eindeutig bewiesen ist, wurde er immer wieder als Tatverdächtiger in dem Mordfall Hinterkaifeck angeführt - es besteht die These, dass er überlebt hatte und die Familie aus Rache tötete, nachdem er erfahren hatte, dass seine Frau ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hatte. Insgesamt hatte Viktoria zwei Kinder - ihre Tochter Cäzilia, die kurz nach Karl Gabriels Tod zur Welt gekommen war, war zum Zeitpunkt ihres Todes sieben Jahre alt. Die Vaterschaft des zweiten Kindes, das Josef hieß und in der Nacht der Bluttat zweieinhalb Jahre alt war, konnte nie geklärt worden, da sowohl Andreas Gruber als auch er Nachbar Lorenz Schlittenbauer, mit dem Viktoria nach dem Tod ihres Ehemannes ein Verhältnis angefangen hatte, als leibliche Väter in Frage kamen.

Lorenz Schlittenbauer wird als einer der Hauptverdächtigen gehandelt, auch weil er sich bei Befragungen in Widersprüche verstrickte und durchaus ein Motiv hatte - stichhaltige Beweise für seine Schuld gibt es allerdings bis heute nicht, und es kann durchaus sein, dass ihm all die Jahre Unrecht getan wurde. Schlittenbauer war verwitwet mit vier Kindern und erzählte später, dass Viktoria Gabriel ihm schon vor dem Tod seiner Frau sexuelle Avancen gemacht habe; 1918 begann er ein Verhältnis mit ihr und beabsichtigte auch, sie zu heiraten, was allerdings daran scheiterte, dass er ein Ende der sexuellen Stelldichein zwischen Vater und Tochter forderte, womit Andreas Gruber nicht einverstanden war. Im September 1919 brachte Viktoria einen Jungen zur Welt, dessen Existenz immer wieder einen Konfliktpunkt zwischen Schlittenbauer und den Bewohnern Hinterkaifecks darstellte, denn dieser zog die Anerkennung für die Vaterschaft mehrmals zurück. Irgendwann scheint ihm das ewige Spiel auf die Nerven gegangen zu sein, und er heiratete 1921 eine andere Frau, die ebenfalls ein uneheliches Kind hatte, welches er als sein eigenes anerkannte. Ihr gemeinsames Kind verstarb zwei Tage vor den Morden auf Hinterkaifeck, weshalb manche, die sich mit dem Fall befassen, einen Racheakt Schlittenbauers vermuten - dessen ehelich geborenes Kind im Gegensatz zu Josef nicht am Leben geblieben war.

Schon Tage vor den Morden geschahen rund um Hinterkaifeck einige seltsame Dinge: So entdeckte Andreas Gruber Spuren im Schnee, welche auf den Hof, aber nicht von da wegführten; ein Haustürschlüssel war verschwunden; am 30. März wurde ins Maschinenhäuschen und die Futterkammer eingebrochen; nachts waren auf dem Dachboden Schritte zu hören, die man niemandem zuordnen konnte. Die Tatzeit wird zwischen 19:30 und 21:00 anberaumt, also zum Einbruch der Dunkelheit - da es auf dem Hof kein elektrisches Licht gab, war dies die ideale Zeit, um zuzuschlagen. Die ersten vier Opfer wurden im Stadel, also in der Scheune, ermordet - man nimmt an, dass zuerst Viktoria, dann ihre Mutter, ihr Vater und zuletzt ihre kleine Tochter umgebracht wurden. Alle starben durch Schläge auf den Kopf mit einer dem Hof zugehörigen Reuthaue, einem Hackwerkzeug zur Rodung kleinerer Bäume und Sträucher, das aufgrund einer unfachmännischen Reparatur unverkennbar war - die Tatwaffe wurde ein Jahr nach der Tat beim Abriss des Hofes auf dem Dachboden gefunden. Die Magd Maria Baumgartner, eine 45jährige Frau mit verkürztem Bein und einer leichten geistigen Behinderung, war im Haus durch einen gezielten Schlag auf den Kopf getötet worden, ehe der Kopf des kleinen Josef, der in seinem Stubenwagen lag, regelrecht zertrümmert wurde. Ebenso seltsam wie der Umstand, dass das kleine Kind überhaupt sterben musste, war die Brutalität, mit der es zur Strecke gebracht wurde - dies weist stark auf eine Aggressionstat hin, denn im Gegensatz zur Magd war der Junge kein eventueller Zeuge, der beseitigt hätte werden müssen. Ebenso bemerkenswert ist, dass die Leichen nach der Tat alle zugedeckt worden waren  die Toten im Stadel mit Stroh, die Magd mit einer Daunendecke und der kleine Junge mit dem Kleid seiner Mutter.

Ebenso gruselig wie die Bluttat selbst ist, dass der/die Täter in den nächsten Tagen ganz offensichtlich auf dem Hof geblieben oder zumindest wieder dorthin zurückgekehrt ist/sind. Ans diesem Grund wurden die Leichen wohl auch so spät entdeckt - denn das Vieh muss in all dieser Zeit noch regelmäßig versorgt worden sein, wie jeder weiß, der schon einmal erlebt hat, wie laut Kühe sein können, wenn sie volle Euter haben. Außerdem entdeckte die Polizei später, dass sowohl der Brotvorrat aufgebraucht als auch das Fleisch aus der Vorratskammer frisch angeschnitten worden war. Es fiel zwar durchaus auf, dass die Familie seit dem 31. März nicht mehr gesehen worden war - zwei Kaffeeverkäufer sowie der Briefträger hatten auf dem Hof niemanden angetroffen, Cäzilia Gabriel fehlte in der Schule und die Familie war nicht zum Sonntagsgottesdienst erschienen -, aber die Hinterkaifecker galten als geizig, eigenbrötlerisch und nicht besonders gastfreundlich, so dass man sich offenbar nichts dabei dachte. Erst am 4. April fiel einem Monteur, der auf den Hof kam, um wie vereinbart die Futterschneidemaschine zu reparieren, die gespenstische Leere auf - und so verständigte er nach getaner Arbeit die Schlittenbauers. Lorenz Schlittenbauer schickte zunächst seine beiden Söhne nach Hinterkaifeck; als auch diese niemanden angetroffen hatten, ging er mit zwei Freunden hin. Sie entdeckten die abgedeckten Leichen im Stadel, woraufhin Schlittenbauer ins Haus lief, nach eigener Aussage aus Sorge um den kleinen Josef, und schloss die Haustür von innen mit dem Schlüssel auf, der vor einigen Tagen abhanden gekommen war - er behauptete später, er habe im Türschloss gesteckt. Sein Verhalten auf dem Hof war einer der Gründe, warum man ihn später verdächtigte - erstens schien er sich ungewöhnlich gut auszukennen, zweitens hätte er sich theoretisch sehr gut unbemerkt zwischen HInterkaifeck und dem eigenen Hof hin- und herbwegen können. Aber wie schon gesagt - Beweise sind das keine.

Noch am selben Abend erreichten Beamte der Gendarmeriestation Hohenwart den Tatort - hauptsächlich, um die vielen Schaulustigen zu vertreiben, die sich inzwischen eingefunden hatten. Danach verständigten sie die Polizeidirektion München, die am darauffolgenden Morgen den Hof besichtigte und die ersten Vernehmungen durchführte. Zunächst ging man von einem Raubmord aus, ein Motiv, das allerdings zunehmend angezweifelt wurde, da nur sehr wenig gestohlen worden war. Die Obduktion der Leichen fand mitten im Hof auf einem improvisierten Seziertisch statt, danach wurden die Köpfe abgetrennt und später aus unerfindlichen Gründen einem Medium überlassen, dessen spiritistische Sitzungen jedoch ebenso wenig Ergebnisse brachten wie die Ermittlungen der Polizei. Trotzdem wurde in alle nur denkbaren Richtungen ermittelt, und alle möglichen Hinweise gingen bei der Mordkommission ein, von denen aber nur die wenigsten wirklich stichhaltig waren.

Die Brutalität der Morde erklärt die Wahrscheinlichkeit einer Beziehungstat, inklusive der Tatsache, dass nicht einmal der kleine Josef am Leben gelassen wurde. Manche vermuten, dass das Dorf seine Rachegelüste an der Familie ausgelebt habe, aber auch das ist sehr unwahrscheinlich. Sehr seltsam ist auch die Rückkehr zum Tatort, um die Tiere zu füttern - allerdings neigen Beziehungstäter laut Kriminalpsychologin Lydia Benecke ganz allgemein eher zu irrationalem Verhalten. Möglicherweise ging es um die Aufrechterhaltung des Status Quo, vielleicht war es auch ein Aufräumverhalten aufgrund von Verleugnung und Überforderung. Des weiteren traten im Laufe der Ermittlungen noch einige andere Ungereimtheiten zutage, vielen Hinweisen wurde allerdings nicht nachgegangen, und der eine oder andere "Beweis" wurde hinterher wieder revidiert - etwa die Mulden im Heu auf dem Dachboden, welche ursprünglich als Versteck der Täter interpretiert wurden, aber genauso gut auch Andreas Gruber und seiner Tochter als Liebesnest gedient haben könnten. Auch wurde die Vernehmung des Monteurs, der die Futterschneidemaschine repariert hatte, zunächst verabsäumt und erst 1925 nachgeholt - einige seiner Aussagen lassen den Schluss zu, dass der bzw. die Täter sich während seiner Anwesenheit ebenfalls auf dem Gehöft aufgehalten haben.

Obwohl Schlittenbauer als Hauptverdächtiger gehandelt wurde und auch im Nachhinein häufiger seltsame Aussagen getätigt hatte, konnte man ihm bis zu seinem Tod im Jahre 1941 nichts nachweisen. Ein weiterer Verdächtiger war ein aus einer Psychiatrie geflohener Insasse, der für seine Gewalttätigkeit bekannt war - die Tatsache, dass der Hof nach den Morden noch bewirtschaftet und die Toten zugedeckt wurden, schließt jedoch einen Mord aus reiner Lust am Töten eher aus. Die Familie war für ihren Geiz bekannt und beschäftigte immer wieder - auch illegal - Zeitarbeiter, welche ebenfalls in Verdacht gerieten. Der Fall konnte bis heute nicht aufgeklärt werden, es gibt aber mittlerweile eine ganze Website, die sich damit beschäftigt - 2007 war er sogar Gegenstand der Abschlussklausur an der Polizeifachhochschule Fürstenfeldbruck. Und natürlich inspirierte er neben zahlreichen Dokumentarfilmern auch das ein oder andere künstlerische Werk - etwa den Mystery-Thriller Hinter Kaifeck von Esther Gronenborn aus dem Jahr 2009 oder auch den 2006 erschienenen Roman Tannöd der deutschen Schriftstellerin Andrea Maria Schenkel, welcher 2009 unter der Regie von Bettina Oberli mit Volker Bruch und Monica Bleibtreu verfilmt worden war.

Der letzte Fall, den ich euch mitgebracht habe, handelt von einem jener zahlreichen hoffnungsvollen jungen Menschen, die vom Mythos Hollywood geblendet worden, aber daran gescheitert waren. Und doch hat "die schwarze Dahlie" es letztendlich geschafft, berühmt zu werden - allerdings auf eine Art, wie man es niemandem wünschen würde. Am 15. Januar 1947 entdeckte eine junge Mutter, die gerade mit ihrer kleinen Tochter unterwegs war, in einem Neubauviertel von Los Angeles die nackte, übelst zugerichtete und bizarr positionierte Leiche einer jungen Frau. Der Körper war an der Taille fein säuberlich in zwei Hälften geteilt und diese dreißig Zentimeter voneinander drapiert worden; die Beine waren obszön gespreizt, das Gesicht zur Straße gedreht, die Mundwinkel zu einem sogenannten "Glasgow Smile" aufgeschlitzt. Es handelte sich um die 22jährige Elizabeth Short aus Massachusetts, die nach Kalifornien gekommen war, weil sie hoffte, als Filmstar entdeckt zu werden.

Elizabeth, genannt "Betty", wuchs in relativem Wohlstand auf, bis die Wirtschaftskrise zuschlug und ihr Vater eines Tages seine Frau und seine fünf Töchter im Stich ließ - er setzte sich nach Kalifornien ab und meldete sich erst zehn Jahre später wieder. Verständlicherweise wollte seine Frau nichts mehr mit ihm zu tun haben - anders als die sechzehnjährige Elizabeth, die davon träumte, eine jener unvergesslichen Hollywood-Diven zu werden, die alle Welt verehrt und bewundert. Tatsächlich war sie der Inbegriff des damaligen weiblichen Schönheitsideals: lange Beine, Stupsnase, porzellanweiße Haut, lockige braune Haare, strahlend blaue Augen. Sie reiste zu ihm nach Vallejo, schaffte es jedoch nicht, eine stabile Beziehung zu ihm aufzubauen - er erwartete, dass sie ihm als Hausfrau diente, während sie das Abenteuer suchte und gar nicht daran dachte, sich unterzuordnen. Also nahm sie 1943 einen Job in der Poststelle eines Armeelagers in der Nähe von Santa Barbara an, wo die jungen Männer um die Aufmerksamkeit der Schönen buhlten. Ihre Zeit dort endete jedoch abrupt, als sie bei einer Party erwischt und wegen unerlaubten Alkoholkonsums angezeigt wurde.

Die nächsten Monate lebte sie in Florida, ehe sie 1944 nach Los Angeles zog, wo sie sich oft in Nachtclubs, Bars und Restaurants aufhielt, da sie immer noch von einer Karriere als Filmstar träumte. Zu Silvester, als sie wieder in Florida war, schien ihr Leben jedoch in ruhigere Bahnen zu steuern: Sie lernte den Luftwaffen-Offizier Matthew Gordon kennen, den sie zu heiraten beabsichtigte, der jedoch Ende August 1945 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Trotzdem erzählte sie später immer wieder, sie sei mit ihm verheiratet gewesen und habe ein Kind gehabt, das allerdings früh verstorben sei. Dass sie es mit der Wahrheit nicht immer so genau nahm, sollte einer der vielen Aspekte sein, welche die Ermittlungen zu ihrem Mord noch erheblich erschweren sollten. Nach Gordons Tod stürzte sie sich ins Nachtleben, war praktisch jeden Abend an der Seite eines anderen Mannes zu sehen, hatte keinen festen Wohnsitz mehr und keinen Job, sondern ließ sich hauptsächlich von ihren Begleitern aushalten. Das war in einer Zeit, in welcher es schon ein Affront war, bei der Hochzeit nicht mehr Jungfrau zu sein, natürlich höchst verdächtig, und so unterstellten die Medien ihr nach ihrem Tod häufig Liederlichkeit, machten sie gar zur Prostituierten - und das, obwohl von Hunderten von Verehrern gerade einmal drei behaupteten, mit ihr geschlafen zu haben. So entstand das Gerücht, ihre Genitalien seien unterentwickelt gewesen - da sie aber sehr wohl sexuelle Beziehungen führte, wenn auch nur wenige, kann man wohl auch das getrost ausschließen. Damals hatte sie keine richtigen Freunde, sondern schloss sich immer mal für kurze Zeit einer Clique oder einem männlichen Begleiter an, ehe sie wieder verschwand und wenig später mit ganz anderen Leuten unterwegs war. Ihre Spur verlor sich am 9. Januar 1947, nachdem ein Vertreter namens Robert Manley sie in San Diego von der Straße aufgelesen und nach Los Angeles mitgenommen hatte. Danach gab es zwar noch verschiedene Leute, die sie vor dem 15. noch lebend gesehen haben wollen, aber diese Aussagen sind alle nicht mehr verifizierbar.

Nach dem Fund ihrer Leiche überschlugen sich die Spekulationen, aber keine hat zu einem Ergebnis geführt. Die Zerteilung des Körpers wirkte professionell, die Inszenierung des Fundes planvoll, außerdem war die Leiche so ordentlich gewaschen worden, dass keine Spuren eines Täters mehr an ihr zu finden waren. Die Art und Weise, wie sie abgelegt worden war, degradierte das Opfer noch über den Tod hinaus und weist auf die Ausübung einer bestimmten Phantasie hin, ebenso wie die Spuren extremer Gewalt, die an dem Körper zu finden waren. Aus diesem Grund ging man zunächst von einem Serienmörder aus, allerdings fand man bei er Suche nach ähnlichen Taten keine eindeutigen Parallelen, zumal sich die Tötungsdelikte zur damaligen Zeit ohnehin häuften. Auch der Kreis mutmaßlicher Täter war enorm, da Elizabeth außergewöhnlich viele Beziehungen und Bekanntschaften hatte, die jedoch alle nur oberflächlich waren - so gab es in dem Fall sage und schreibe 27 Hauptverdächtige. Dazu kam ihr Hang, die Wahrheit so zu verdrehen, wie es ihr gerade passte. Der Mord an ihr beherrschte zwei Monate lang die Schlagzeilen, weshalb Mythen heute kaum noch von den Fakten zu trennen sind - auch wenn man die unvermeidlichen Gerüchte über Außerirdische und Satanisten meiner bescheidenen Meinung nach getrost im Reich der Phantasie verorten darf. Das Eigenartige an der Geschichte ist auch, dass so mancher in der Geschichte die Möglichkeit zu sehen schien, sich zu profilieren, jedenfalls gab es damals zahlreiche Spinner, die sich ernsthaft als Täter ausgaben. Doch auch der tatsächliche Mörder schien es nicht ganz lassen zu können, seinen Geltungsdrang auszuleben, jedenfalls schickte er im Laufe der Zeit persönliche Sachen des Opfers an die Polizei - die er allerdings zuvor mit Benzin gereinigt hatte, so dass niemals auch nur ein Hinweis auf ihn gefunden werden konnte.

Anfang der 1990er Jahre behauptete die Sängerin und Autorin Janice Knowlton, den Mord an Elizabeth Short mit angesehen zu haben ; der Täter sei ihr Vater gewesen, der 1962 bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Die Erinnerung sei durch eine Recovered-Memory-Therapie bzw. Trauma-Erinnerungstherapie wieder hervorgerufen worden - das Problem ist allerdings, dass die Gefahr der Suggestion bei solchen Therapien sehr hoch ist und damit natürlich auch die Wahrscheinlichkeit der Erzeugung falscher Erinnerungen. Zudem stimmten Knowltons Aussagen nicht mit den Fakten in der Ermittlungsakte überein - trotzdem veröffentlichte sie 1995 das Buch Daddy was the Black-Dahlia-Killer. Sie war jedoch nicht die einzige, die ihren Vater mit dem Mord in Verbindung brachte - auf weitaus größeres Interesse stießen die Aussagen von Steve Hodel, der selbst als Mordermittler beim LAPD gearbeitet hatte und ebenfalls seinen Vater beschuldigte, Elizabeth Short getötet zu haben. Im Gegensatz zu George Knowlton hatte Dr. George Hodel in den 1940ern tatsächlich zu den Hauptverdächtigen gezählt, nachdem seine vierzehnjährige Tochter ihn wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt hatte - allerdings gibt es auch in diesem Fall keinerlei handfeste Beweise, da nicht einmal einwandfrei erwiesen ist, dass Dr. Hodel das Opfer überhaupt kannte. Da er jedoch eine äußerst unsympathische Persönlichkeit war, ist es natürlich einfach, ihn zu verdächtigen.

George Hodel war musikalisch hochbegabt, der Drill durch seine Mutter schon im Kindesalter schien in ihm jedoch einen lebenslangen Hass auf Frauen hervorgerufen zu haben - er neigte zu extremen Wutanfällen, und sein sehr reges Sexualleben war eng mit Gewalt gegen Frauen verknüpft, bis hin zu gefährlichem Sadismus. Er hatte elf Kinder mit fünf verschiedenen Frauen und war ein erfolgreicher Spezialist für Geschlechtskrankheiten, der sich in der High Society von L. A. bewegte und mit prominenten Persönlichkeiten wie dem Fotokünstler Man Ray und dem Filmregisseur John Huston befreundet war. Die Anklage seiner Tochter Tamar war für die damalige Zeit noch sehr ungewöhnlich und entsprechend auch nicht von Erfolg gekrönt, zumal ihre eigene Familie gegen sie aussagte.

Auch die Beziehung zwischen Dr. Hodel und seinem Sohn Steve scheint hochgradig problematisch gewesen zu sein - nachdem dieser im Nachlass seines 1999 verstorbenen Vaters zwei Fotos entdeckt hatte, auf denen, wie er vermutete, Elizabeth Short abgebildet war (was von deren Angehörigen allerdings dementiert wurde), war er nahezu besessen davon, Indizien zusammenzutragen, die seinen Vater belasteten, und veröffentlichte drei Bücher. Das Problem ist allerdings, dass Steve seinen Vater so ziemlich jedes zu seinen Lebzeiten stattfindenden Mordes bezichtigte und insgesamt sehr versessen darauf war, ihn als das absolute Böse darzustellen.

Elizabeth Short ging unter dem Namen "die schwarze Dahlie" in die Kriminalgeschichte ein - ihr Fall gilt als einer der bekanntesten in der Geschichte von Los Angeles. 1987 veröffentlichte der amerikanische Schriftsteller James Ellroy den Roman The Black Dahlia (dt. Die schwarze Dahlie),  der 2006 von Brian De Palma verfilmt wurde. Auch die erste Staffel Murder House der Serie American Horror Story basiert auf dem Fall, und zu Beginn der 2000er nannte sich eine Melodic-Death-Metal-Band in Anlehnung daran "The Black Dahlia Murder".

Wie ihr also seht, gibt es einen Haufen ungeklärter Kriminalfälle, die uns wohl beschäftigen werden, solange die Menschheit noch besteht - deren Aufklärung jedoch immer unwahrscheinlicher wird, je weiter die Zeit voranschreitet. Aber das ist wohl auch der Grund, warum sie über Generationen hinweg immer wieder faszinieren. Nun muss ich zugeben, dass ich, was diesen Blog betrifft, ein wenig nachlässig geworden bin - was wohl daran liegt, dass mich das Offline-Leben momentan immer noch sehr in Anspruch nimmt. Ich kann euch aber versichern, dass ich nicht aufhören werde, mich immer wieder mal auf das Schreiben zurückzubesinnen und wünsche euch bis dahin eine schöne Zeit. Bon voyage!

vousvoyez

Mittwoch, 10. Mai 2023

Die Impfung gegen Contergan ging auch völlig gegen den Baum, aber das interessiert niemanden mehr!

Foto von Brayan Becerra auf Unsplash
Ironischerweise war es gerade der Contergan-Skandal, der zu einer Verschärfung des Arzneimittelgesetztes und der Zulassung von Medikamenten führte. Trotzdem wurde und wird der Contergan-Skandal gerne herangezogen, sobald es um die vermeintliche Gefährlichkeit der Covid-Impfung geht. Nun wissen wir, dass Contergan keine Krankheit war, gegen die geimpft wurde, sondern ein Beruhigungsmittel, welches oral verabreicht wurde - und zwar an schwangere Frauen, was zu gehäuftem Auftreten von Fehlbildungen der Kinder führte. Gleichzeitig ist uns natürlich bekannt, dass wir alle schon seit mehr als zweieinhalb Jahren tot sein müssten, wären tatsächlich alle Verschwörungsmythen rund um die pöhse Impfung wahr geworden, wie von selbst ernannten "Querdenkern" bis heute behauptet wird. Das Schräge an der ganzen Geschichte ist ja, dass sich im Prinzip keiner mehr für das Corona-Thema interessiert - warum auch, es kommt ja in unserem Alltag mittlerweile fast gar nicht mehr vor. Trotzdem gibt es immer noch Leute, die nach wie vor versuchen, die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit wieder auf die Pandemie zu lenken - immer wieder mal wird vehement gefordert, dass sich diese bei ihnen entschuldigen und sie als Helden anerkennen sollte. Und natürlich passt diesen Spaßvögeln die Meldung der WHO nicht, laut derer die Impfung mehr als einer Million Menschen allein in Europa das Leben gerettet hätte.

Nun ist es, wie gesagt, mittlerweile so, dass die meisten von uns schon wieder mit anderen Dingen beschäftigt sind. Und wer nicht gerade unter den Folgen der Inflation stöhnt oder sich aus Protest gegen das fehlende Interesse am Klimawandel auf die Straße klebt, denkt bereits schon wieder an den nächsten Sommerurlaub. Und da mir gerade der Sinn nach etwas Lustigem steht, möchte ich euch heute ein paar Hotels vorstellen, die euch so richtig das Gruseln lehren können.

Wie ich in anderen Artikeln schon erläutert habe (was allerdings natürlich keine neue Erkenntnis ist), sind Burgen und Schlösser natürlich die am besten geeigneten Orte, um verflucht zu sein. Und so kursieren auch um Schloss Dragsholm auf der dänischen Insel Seeland solche Sagen und Legenden. Die ehemalige Adelersborg war einst Sitz der Bischöfe von Roskilde, ehe sie nach der Reformation in den Besitz der dänischen Könige überging. Sie war die stärkste Festung des Landes und während der Grafenfehde 1534 - 1536 die einzige Burg, welche Eroberungsversuchen standhielt. Erst im Krieg gegen Schweden wurde sie von den schwedischen Truppen eingenommen und 1660 gesprengt. Die Ruine ging letztendlich in den Besitz des späteren Amtmanns von Roskilde Frederik Christian von Adeler über, der sie zu dem heute bestehenden barocken Schloss umbauen ließ - einige Elemente der mittelalterlichen Burg blieben allerdings bis heute erhalten. Nach dem Aussterben des Adeler-Geschlechts 1932 fiel Dragsholm an den dänischen Staat und wird seit 1937 als Hotel genutzt.

Aber zu einem anständigen Schloss gehören natürlich auch anständige Geister. Und obgleich die helle Fassade des Schlosses inmitten des weitläufigen Parks freundlich und einladend wirkt, sollen hier drei Gespenster ihr Unwesen treiben - darunter selbstverständlich auch die obligatorische Weiße Frau. Diese soll einst die Tochter des Burgherrn gewesen sein und eine heimliche Liebschaft zu einem jungen Mann bürgerlicher Herkunft gepflegt haben. Als der Vater schließlich davon erfuhr, soll er das Mädchen bei lebendigem Leib einmauern lassen haben, so dass sie qualvoll verhungerte und verdurstete. Seit dem soll sie, wohl auf der Suche nach ihrem Liebsten, als Weiße Frau im Schloss herumgeistern. Anscheinend hat diese tragische Geschichte jedoch wohl einen wahren Kern: In den 1930er Jahren, als moderne sanitäre Anlagen eingebaut wurden, entdeckte man in einer der Mauern ein Skelett, das in ein weißes Kleid gehüllt war. Doch auch der Graf von Bothwell, der 1578 in eine der Gefängniszellen des Schlosses gesperrt worden war, soll immer noch als Geist anwesend sein. Er hatte fünf Jahre in seiner Zelle verbracht, kurz vor seinem Tod soll ihn der Wahnsinn ereilt haben. Seither soll sein Geist jede Nacht mit der Kutsche in den Hof des Schlosses einfahren - so manche Leute wollen den Hufschlag der Pferde und das Rattern des Wagens gehört haben. Im Gegensatz dazu gilt die graue Dame als guter Geist - diese soll einst Dienstmädchen auf dem Schloss gewesen und dort von schrecklichen Zahnschmerzen geheilt worden sein. Aus Dankbarkeit soll sie geschworen haben, regelmäßig auf dem Schloss nach dem Rechten zu sehen - ein Versprechen, das sie offensichtlich auch über den Tod hinaus gehalten hat. Ja, Zahnschmerzen sind was ganz Grässliches - und wäre sie zu meinem Zahnarzt gegangen, wäre ihr einiges erspart geblieben. Leider war der damals noch nicht geboren.

Ein weiterer Ort, der zu Gespenstergeschichten inspiriert, sind die nebeligen Höhen der Genting Highlands in der malayischen Provinz Pahang. Hier blickt man aus den Fenstern eines Hochhauses praktisch ins Nichts, und hier findet man auch zwei legendäre Gruselhotels. Das eine wirkt von außen eigentlich alles andere als gruselig - die beiden 28 Stock hohen Türme fallen durch ihre fröhlich-bunten Fassaden auf. Das First World Hotel hält momentan den Weltrekord für die meisten Zimmer, das unter dem Hotel befindliche Einkaufszentrum First World Plaza kann unter anderem mit Läden, Restaurants, einem Kino, einer Bowlingbahn und einem Odditorium aufwarten, gleich nebenan gibt es ein Casino. Und doch kursieren Gerüchte über Geistererscheinungen im und rund um das Hotelgebäude - so soll es im 21. Stock spuken, weshalb der Fahrstuhl des Hotels diesen regelmäßig zu überspringen scheint. Man erzählt sich, dass Klienten, die ihr gesamtes Geld im Casino verloren haben, sich aus einem der Fenster des Hotels gestürzt haben sollen, und so manche Gäste, die in bestimmten Zimmern übernachtet haben, behaupteten, sich krank zu fühlen - bis sie das Zimmer verließen.

Im Gegensatz zu diesem Etablissement wirkt das Amber Court bereits von außen wie der Schauplatz eines Horrorfilms - und tatsächlich war es das auch, denn 2017 wurde hier der chinesische Horrorfilm Haunted Hotel gedreht. Die beiden von Rotalgen bedeckten Türme wirken von außen komplett verlassen - trotzdem kann man hier ganz normal Zimmer buchen. Der 92 m hohe Komplex entstand zur Zeit des Kreditbooms in den 1990er Jahren als Tagungs- und Erholungszentrum von Unternehmen, sollte aber auch Familienurlauben offen stehen. Durch die Asienkrise der späten Neunziger konnten einige der Eigentümer jedoch nicht mehr für Service und Instandhaltung aufkommen - das feucht-tropische Klima tat sein übriges, und allmählich nahmen die beiden Türme zunehmend ein verwahrlostes Aussehen an. Im Jahr 2012 wurden die Fassaden renoviert, dies verbesserte die Lage jedoch nur kurzzeitig. Trotzdem wurde 2020 ein weiterer Versuch gestartet - ob dieser schon erste Erfolge verzeichnet hat, konnte ich allerdings noch nicht herausfinden. Die Zimmer auf der Buchungs-Website sehen zwar ganz ordentlich aus, aber das war in dem Galileo-Beitrag von 2020, der mich auf dieses Hotel aufmerksam gemacht hat, ebenfalls der Fall - die Bewertungen kann man jedenfalls eher als durchwachsen bezeichnen. Viele der Apartments sind außerdem an Gastarbeiter vermietet, die in der Gegend auf dem Bau arbeiten. Und im Internet kursieren Geschichten über Gespenster im Hotel, einem Mann ohne Gesicht, Kinderstimmen und Wolfsgeheul in den leeren Gängen und ein abgesperrtes Zimmer im 13. Stock, das verflucht sein soll.

Als Inspiration für einen Film diente auch das Stanley Hotel im Städtchen Estes Park, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rocky Mountain National Park befindet und dessen Altstadt mit authentischem Wildwest-Feeling lockt. Das 1909 im gregorianischen Stil erbaute Hotel wirkt von außen nahezu idyllisch und gar nicht so, wie man sich ein verfluchtes Hotel vorstellt, doch im Jahr 1973 war dort ganz zufällig ein junger Schriftsteller zu Gast, der sich von diesem Aufenthalt zu einem seiner berühmtesten Romane inspirieren ließ. Stephen King war damals Gastprofessor für kreatives Schreiben an der University of Colorado in Boulder; an einem Abend Ende Oktober, als er mit dem Auto unterwegs war, legte er einen unfreiwilligen Zwischenstopp in Estes Park ein, da die starken Schneefälle das Befahren des Highways unmöglich machten. So fuhr er den Serpentinenweg hinauf zu dem damals ziemlich heruntergekommenen Berghotel und bat um ein Zimmer für die Nacht. Wegen der fehlenden Heizung blieb das Hotel vor 1982 den Winter über geschlossen, so dass King der letzte Gast der Saison war. Schon die Fahrt zu dem Gebäude, aber auch das, was er in Zimmer 217 erlebte - worüber er übrigens bis heute nicht spricht -, inspirierten ihn zu seinem 1977 erschienenen Roman The Shining.

Das Stanley Hotel stand hier natürlich Pate für das Overlook Hotel, den Schauplatz des Romans - auch hier verbirgt das Zimmer 217 ein unbekanntes Grauen: Schon zu Beginn der Geschichte wird der kleine Danny davor gewarnt, es zu betreten, und als er es trotzdem tut, wird er vom Geist einer Frau, die sich dort suizidiert hat, beinahe erwürgt. Die Geschichte handelt von einer Familie, die den Winter in der Abgeschiedenheit des eingeschneiten Hotels verbringen soll - Jack Torrace will hier seine Alkoholprobleme in den Griff bekommen und seine Ehe retten, doch im Laufe der Geschichte ergreift es immer mehr Besitz von ihm. Jack wir zunehmend manischer und aggressiver und schließlich zu einer tödlichen Gefahr für seine Familie - besonders für seinen fünfjährigen Sohn. Der Roman wurde 1980 von Stanley Kubrick verfilmt, mit Jack Nicholson, Shelley Duvall und Danny Lloyd in den Hauptrollen. Doch obgleich ich persönlich diesen Film nach wie vor für eine der besten King-Verfilmungen überhaupt halte, war der Autor selbst damit überhaupt nicht zufrieden, da Kubrick sich seiner Meinung nach zu wenig an die Romanvorlage hielt, und ließ diese daher 1997 noch einmal unter der Regie von Mick Garris als TV-Zweiteiler verfilmen. Viele Szenen der Neuverfilmung, vor allem die Außenaufnahmen, wurden tatsächlich im Stanley Hotel gedreht - die Qualität der neuen Version kam an Kubricks Werk jedoch nicht heran.

Das echte Zimmer 217 ist seit Errichtung des Hotels die beste Suite im Haus und das ganze Jahr über ausgebucht. Seit Veröffentlichung von The Shining zieht es Horrorfans aus aller Welt hierher, gruselige Geschichten inklusive - so behauptete ein Gast, dass mitten in er Nacht von einer unsichtbaren Person das Bett neu bezogen worden sei, während er darin lag. Ein älteres Ehepaar wollte eine Frau gesehen haben, die quer durchs Zimmer gerannt und dann im Abfluss der Badewanne verschwunden sein soll. Im Jahr 1994 übernachtete Jim Carrey im Rahmen der Dreharbeiten zu Dumm und Dümmer in dem Zimmer - eines Nachts stürmte er halb bekleidet hinunter zur Rezeption und verlangte sofort ein anderes Zimmer, doch wie King, so hat auch er nie verraten, was ihm in 217 widerfahren ist. Doch nicht nur in diesem Raum, auch in anderen Teilen des Hauses soll es spuken - besonders im historischen Ballsaal, wo Gäste und Küchenpersonal regelmäßig Musik, Gelächter und das Klirren von Gläsern gehört haben wollen, obwohl niemand mehr darin war. Ein anderer Geist soll ständig irgendwelche Wertgegenstände klauen, die allerdings Monate später im Hotel wieder auftauchen - und auf einem der Hotelkanäle läuft Shining in der Version von Kubrick in Endlosschleife.

Weiter südlich, genauer gesagt in San Diego im Süden Kaliforniens, liegt ein weiteres Luxushotel, das manchen von uns durch den einen oder anderen Film bekannt sein dürfte: Das Hotel del Coronado, eines der wenigen typischen Strandhotels im viktorianischen Stil, das in seiner ursprünglichen Form erhalten blieb, und außerdem das älteste und höchste Holzgebäude Kaliforniens. 1888 von James Reid erbaut, steht es unter Denkmalschutz und wurde 1977 als National Historic Landmark anerkannt. Zur Zeit seiner Fertigstellung war es das größte Urlaubshotel der Welt und das erste, welches bereits beim Bau mit elektrischem Licht ausgestattet wurde - die Installation soll sogar noch von Thomas Edison persönlich begutachtet worden sein. Neben zahlreichen US-Präsidenten von Benjamin Harrison bis Barack Obama war es auch gut besucht von Hollywood-Größen der Stummfilmzeit, darunter Charlie Chaplin, Rudolph Valentino und Tom Mix; außerdem wird behauptet, dass Edward VIII., damals noch Prince of Wales, sich hier zum ersten Mal mit Wallis Simpson getroffen haben soll. Außerdem wurden hier einige Filme gedreht - ich kenne es beispielsweise aus einem meiner Lieblingsfilme, Billy Wilders Komödienklassiker Some Like It Hot (dt. Manche mögen's heiß) von 1959 mit Tony Curtis, Jack Lemmon und Marilyn Monroe, auch wenn es dort Seminole Ritz heißt und sich in Miami befindet -, aber es war auch Schauplatz von Richard Rushs Action-Komödie The stunt Man (dt. Der lange Tod des Stuntman Cameron) mit Peter O'Toole und Steve Railsback und ist auch in einigen anderen Filmen zu sehen, etwa in Rod Daniels K-9 (dt. Mein Partner mit der kalten Schnauze) von 1989 mit James Belushi.

Der Grund, warum es auf dieser Liste gelandet ist, ist jedoch vor allem die rätselhafte Geschichte jener jungen Frau, die an einem Novembermorgen im Jahre 1892 tot auf der Treppe zum Strand gefunden wurde. Sie hatte eine Kugel im Kopf, aber keine Papiere bei sich, der Legende nach checkte sie an Thanksgiving allein und ohne Gepäck im Hotel ein - eine hübsche Mittzwanzigerin, welche sich als Lottie A. Bernard aus Detroit ausgab. In alten Zeitungsartikeln werden Gäste zitiert, welche behaupteten, sie sei verwirrt auf dem Gelände herumgeirrt, doch auch nach ihrem Tod tauchte keiner auf, der sie identifizieren konnte oder ihrer Beerdigung beiwohnte. Der Gerichtsmediziner diagnostizierte Suizid, die Polizei war auf der Suche nach ihrer wahren Identität. Heute glauben viele, es könnte sich bei ihr um Kate Morgan gehandelt haben, eine verheiratete 24jährige aus Iowa, welche zuletzt als Hausmädchen in Los Angeles gearbeitet hatte - auch wenn es Zweifel gibt, dass es sich bei der unbekannten Toten tatsächlich um diese Kate Morgan gehandelt haben soll. Aber natürlich war dadurch die Phantasie der Leute angeregt, und so werden bis heute wilde Geschichten um diesen Todesfall gesponnen - immerhin war es damals noch sehr ungewöhnlich, dass eine Frau allein verreist. Die Geliebte eines Seefahrers oder des Hotelmanagers soll sie gewesen sein; sie habe an einer unheilbaren Krankheit gelitten oder sei sogar schwanger gewesen; sie sei von ihrem Ehemann ermordet worden oder von der Frau ihres Geliebten. Geschichten gibt es genug - welche wahr ist, werden wir aber wohl nie erfahren.

Als wäre das nicht genug, wird jedoch heute noch behauptet, die Frau geistere in dem riesigen Hotelgebäude herum. Einige verlangen, in jenem Zimmer zu residieren, das sie damals bewohnte und das zu der Zeit die Nummer 304 trug - allerdings hat es jetzt eine andere Nummer, die geheim gehalten wird, damit nicht ständig irgendwelche Geistersucher dort herumgeistern (originelles Wortspiel, nicht wahr?). Doch auch an anderen Orten im Hotel soll es spuken - Leute berichten von Klopfgeräuschen, Stimmen, umfallenden Gegenständen, umherhuschenden Schatten. Manchmal sollen sich auch die schweren Kronleuchter bewegen oder das Licht flackern. Für viele dieser "Phänomene" scheint es jedoch eine langweilig logische Erklärung zu geben - das Hotel ist nämlich voll mit Geheimtüren und Geheimgängen, auch, um prominente Gäste und Würdenträger fernab neugieriger blicke in ihre Zimmer zu geleiten. Könnte das vielleicht - ganz abgesehen von den alten Stromleitungen - der Grund für die Geräusche und die flackernden Lichter sein?

Das letzte Hotel, von dem ich heute erzählen will, befindet sich in der Nähe der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Hier locken die spektakulären Tequendama-Wasserfälle Jahr für Jahr etliche Touristen an. In dieser Gegend kann man auch das Museum für Biodiversität und Kultur besichtigen, welches in einem riesigen, schlossähnlichen Komplex untergebracht ist. Das an einer steilen Klippe gelegene majestätische Gebäude mit seinen riesigen Fensterfronten, welche den Blick auf eine malerische Naturkulisse eröffnen, war jedoch nicht immer ein Museum - über sechzig Jahre lang war es eine der besten Hoteladressen in ganz Kolumbien.

Schon in den 1920er Jahren waren die Wasserfälle bei Touristen sehr beliebt gewesen, und so baute der kolumbianische Architekt Carlos Arturo Tapias 1923 direkt gegenüber sein Privatdomizil, das schon bald ein beliebter Treffpunkt der High Society wurde, welche hier hinter verschlossenen Türen ausschweifende Partys feierte. So kam Tapias 1928 auf die Idee, sein Zuhause in ein Luxushotel umzuwandeln, welches ein bombastischer Erfolg wurde, ein Symbol der Freude und Eleganz der Goldenen Zwanziger Jahre. Doch obwohl es über sechzig Jahre lang eine begehrte Adresse war, gab es bereits gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts immer wieder Gerüchte, dass der Ort, an dem das Hotel del Salto erbaut worden war, verhext sei - und Anfang der 1990er schloss es ziemlich überstürzt seine Pforten. Dies heizte natürlich die Gerüchteküche noch mehr an, und in einigen Zeitungen wurde behauptet, dass es in dem Hotel Gespenster gäbe, die die Touristen in die Flucht geschlagen hätten. Tatsächlich sollen sich hier etliche Menschen über die Klippen in den Tod gestürzt haben, inspiriert von einer indigenen Legende, der zufolge Ureinwohner auf der Flucht vor den spanischen Eroberern von den Felsen gesprungen seien, woraufhin sie sich in Adler verwandelt hätten. Dumme Aktionen scheint es also auch schon vor Beginn der Selfie-Kultur gegeben haben. Offizielle Statistiken über die Suizide gibt es jedoch nicht, aber dafür zahlreiche Geschichten und Legenden, deren Wahrheitsgehalt nicht immer ermittelbar ist - so glauben etliche Leute, dass auch heute die Geister der dort Verstorbenen diesen Ort immer noch heimsuchen.

Nachdem das Hotel geschlossen worden war, verfiel es immer mehr, wodurch es mehr und mehr dem Geisterhaus glich, das es angeblich sein sollte. Das spukhafte Aussehen des verfallenden Hauses lockte ebenfalls Touristen an, und so mancher wagte sich in das verlassene Gebäude und hinaus auf die Aussichtsplattform, um von dort aus den Wasserfall zu bewundern. Manche von ihnen behaupteten anschließend, Silhouetten gesehen oder unheimliche Stimmen gehört zu haben. Im Jahr 2011 jedoch beschloss das Kolumbianische Institut für Naturwissenschaften gemeinsam mit der Ecological Farm Foundation von Porvenir, aus dem Horror-Hotel ein Museum zu machen. Und so wurde das Gebäude renoviert und erstrahlt heute im neuen Glanz, auch wenn es ein wenig von seinem Schrecken bewahrt hat - denn die Straße, die zu dem Museum führt, ist berüchtigt für unberechenbare Erdrutsche, so dass davor gewarnt wird, sich nach Einbruch der Dunkelheit noch dort herumzutreiben.

Die Ursache der Schließung des Hotels ist allerdings wohl weitaus profaner und trauriger, als es die vielen Geistergeschichten vermuten lassen: Im Laufe der Jahrzehnte wurde der Río Bogotá, der die Wasserfälle speist, mehr und mehr zu einem der verseuchtesten Flüsse der Welt - Industrie- und Haushaltsabfälle sowie Fäkalien aus der Hauptstadt und Umgebung landen bis heute ungefiltert in dem Gewässer, jährlich sind es mehr als 300 Millionen Tonnen. Der daraus resultierende Gestank ist wohl der wahre Grund dafür, dass die Leute nicht mehr im Casa del Salto wohnen wollten. Bis heute ist der Gestank des Wassers allerdings ein Problem, auf das im Internet immer wieder hingewiesen wird.

Das ist eine Auswahl jener Gruselhotels, die ich beim Recherchieren gefunden habe - die Liste ist aber noch länger, vielleicht kommt also noch ein zweiter Teil. Es tut mir Leid, dass ich im Moment nicht so aktiv bin - ich hatte in letzter Zeit, wie schon öfter gesagt, viel um die Ohren und gönne mir momentan eine kleine Verschnaufpause. Da ich aber viel Zeit mit Lesen und Mystery-Podcasts verbringe, habe ich schon wieder einige neue Ideen, die ich demnächst in meinen Blog einbringen könnte. Bis dahin danke ich euch für eure Aufmerksamkeit - bon voyage!

vousvoyez

Mittwoch, 1. März 2023

Die meisten Unfälle entstehen in Haushalten und die meisten Haushalte entstehen durch Unfälle

Foto von Maan Limburg auf Unsplash
Wobei es natürlich nicht ratsam ist, Menschen als "Unfall" zu bezeichnen - das sollte man spätestens nach einer alten Simpsons-Folge begriffen haben. Es ist aber generell eine Frage des Anstands - und Anstand scheint in der heutigen Zeit für viele ein Fremdwort geworden zu sein. Ich arbeite aktuell eigentlich an einem ganz anderen Artikel - aber mir brennt schon seit längerer Zeit etwas unter den Nägeln, das unbedingt einmal raus muss. Es kann sein, dass der eine oder andere wieder mal mit seinen verfaulten Blutorangen bereit steht, aber damit muss ich halt leben. Bevor ihr aber zum Wurf ausholt, lest euch diesen Artikel bitte bis zum Ende durch - und zwar mit Hirn, wie meine Biologielehrerin immer gesagt hat, als ich noch Schülerin war. Und ich möchte euch auch darum bitten, die Begriffe, mit denen ihr so gern um euch werft - white fragility, Happyland etc. - stecken zu lassen: Ich kenne sie alle, und ich kann sie inzwischen nicht mehr hören und lesen. Was schade ist, denn eigentlich liegt all dem eine sehr wichtige Botschaft zugrunde - nachzulesen in Tupoka Ogettes Exit Racism: Ich habe das Buch gelesen, ich finde es gut, ich kann es auch nur wärmstens weiterempfehlen, aber es ist eine Einladung, sich in andere hineinzufühlen und keine Aufforderung zur Selbstgeißelung.
Wir leben momentan in interessanten, ich würde sagen ungünstigen Zeiten: Seit einem Jahr tobt ein Krieg, der uns wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch schwächt; wir haben gerade eine Pandemie erlebt, die unser Leben stark beeinträchtigt hat; ständig werden uns leider gar nicht so unrealistische Horrorszenarien prophezeit, welche der menschengemachte Klimawandel verursachen könnte, wenn wir nicht endlich mal klimaschutztechnisch in die Gänge kommen; Fluchtbewegungen aus unterprivilegierten Teilen der Erde reißen nicht ab, und das Zusammenleben gestaltet sich nicht immer einfach; der Rechtsruck in den westlich-demokratischen Ländern setzt auch noch die stabilsten Demokratien unter Druck; die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, weil kapitalistische Staatssysteme lieber einen Großteil der Bevölkerung verarmen lassen, bevor sie aufhören, die Reichsten noch reicher zu machen; und als ob das nicht genug wäre, gibt es von innen und außen Leute, die mit Vergnügen und leider auch Erfolg am gesellschaftlichen Gefüge rütteln, um uns zu destabilisieren und zu entzweien und auf diese Weise Macht zu generieren. All das setzt natürlich jedem Einzelnen von uns zu, und viele von uns verfallen in eine Art stumpfe Lethargie, weil sie das alles überfordert - ich teilweise auch, obwohl individuelle Belastungen mir aktuell mehr zu schaffen machen als allgemeine Herausforderungen. Aber auch ich kenne das Gefühl, dass doch eh alles sinnlos ist - und muss mir selbst immer wieder sagen, dass auch Rom nicht an einem Tag erbaut wurde.

Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die noch den Willen haben, zu kämpfen - die an eine bessere Zukunft glauben und alles daransetzen, diese auch zu erreichen. Das sind die Menschen, die ich gerne auch unterstützen möchte. Das Problem ist - viele verrennen sich in ihrer Leidenschaft in Verhaltensmuster, die ebenso toxisch sind wie das, was sie bekämpfen sollen. Und leider trauen sich immer weniger Menschen, als Korrektiv zu wirken.

Erst mal zu mir: Ich bin 39 Jahre alt, weiblich, Cis (also nicht Trans), heterosexuell, ethnisch weiß, geboren, aufgewachsen und wohnhaft in Österreich, autochthon in dritter Generation - oder in zweiter, wenn man denn so will -, in durchaus privilegierten Verhältnissen aufgewachsen, wenn auch durch meine diversen psychischen Erkrankungen ein eher bescheidenes Leben führend. Ich habe mich, seit ich im Besitz eines politischen Bewusstseins bin, immer klar gegen rechts positioniert und glaube bis heute daran, dass die Abwertung von Menschen aufgrund bestimmter Identitätsmerkmale grundfalsch ist. Andererseits lebe ich auch gerne in einer Demokratie, selbst wenn ich mir bewusst bin, dass das nicht immer bequem ist - denn ein demokratisches Bewusstsein bedeutet, sich immer wieder aufs Neue mit seinen eigenen Werten und jenen der Gesellschaft, in der man lebt, auseinanderzusetzen. Es bedeutet, unterschiedliche Meinungen zuzulassen und Kompromisse zu schließen. Es bedeutet, auch mal zurückstecken zu müssen, dafür aber vom eigenen sozialen Gefüge zu profitieren. Es bedeutet Diversität - und Debattenkultur. Und leider ist Letzteres immer mehr ins Hintertreffen geraten.

Meine persönliche Geschichte hat, wie viele von euch wissen, auch eine ganz andere Seite - ich lebe seit nunmehr 15 Jahren in einer Beziehung mit einem Mann, der ganz andere Hintergründe hat als ich. Er ist das, was man heutzutage als BPoC bezeichnet - also Black and People of Color. Er ist in der Demokratischen Republik Kongo geboren, vom 3. bis zum 12. Lebensjahr in Angola, danach in Österreich aufgewachsen. Aus einem unbegleiteten minderjährigen Asylwerber mit kongolesischer Staatsbürgerschaft wurde im Jahr 2003 ein österreichischer Staatsbürger - mit allen Rechten und Pflichten, die dieser Status mit sich bringt. Aber unsere Gesellschaft ist bekanntlich in mancher Hinsicht ein bisschen zu langsam, um es vorsichtig auszudrücken - trotz seiner großen Loyalität einem Land gegenüber, das es ihm ermöglicht hat, ohne die tägliche Konfrontation mit Angst und Tod zu leben, wird er wohl nie im gleichen Maße als "Unsriger" angesehen werden wie ich. In unserem Privatleben ist die Hautfarbe nie Thema - die Welt da draußen ist aber deutlich anders gestrickt. Ich habe mich bereits als Teenager mit der Problematik von Rassismus auseinandergesetzt, mich immer dagegen positioniert, die Demütigungen ertragen, die damit einhergehen, mich laufend sensibilisiert und meinem Partner als Stütze gedient. Trotzdem muss ich mich heute von Menschen, die teilweise fast schon meine Kinder sein könnten, die an den Speckgürteln aufgewachsen sind und nie erlebt haben, was es heißt, von Diskriminierung betroffen zu sein, als Rassistin beschimpfen lassen, weil ich nicht bereit bin, jeden Unsinn aus der linken Bubble kritiklos abzusegnen.

Erst mal müssen wir feststellen, dass es kein Individuum und keine Gesellschaft ohne Vorurteile gibt - es geht nicht darum, über alles erhaben zu sein, sondern es geht darum, wie man den eigenen Vorurteilen begegnet. Was wir dringend ablegen müssen, ist der Glaube, dass bestimmte Menschengruppen über alle Fehler erhaben seien. Was ich aktuell beobachte, ist, dass Anti-Rassismus für viele zu so einer Art Religion geworden ist - wer mit weißer Hautfarbe geboren wurde, trägt so etwas wie eine "Erbsünde" mit sich und ist daher immer Täter. Wer nicht weiß ist, ist hingegen immer Opfer und darf auf keinen Fall auch nur irgendeiner Kritik ausgesetzt werden. Weiße, die mit dieser Sicht nicht einverstanden sind, sind immer böse Rassisten; PoC, die anders denken, haben den Rassismus der Mehrheitsgesellschaft internalisiert, weshalb ihre Sicht der Dinge nicht zählt. Mit anderen Worten: Wer unsere Meinung nicht eins zu eins nachplappert, gehört zu den Bösen. Das ist nicht nur mangelnder Respekt gegenüber jenen mit abweichenden Ansichten - es ist mangelnder Respekt gegenüber der demokratischen Gesellschaft. Und leider wird das in den Medien schon seit Jahren so vorgelebt - man schreit sich gegenseitig nieder, lässt den anderen nicht ausreden und trägt so zu einer Verhärtung von Extrempositionen bei, während gemäßigtere Stimmen zunehmend mundtot gemacht werden. Das bemerkt man vor allem in Fernseh-Talkshows und auf Internetplattformen wie Twitter, wo die Debatten in der Tat nur noch kräftezehrend sind.

Das Problem dabei ist, dass wir dadurch genau das tun, was wir eigentlich hinter uns lassen wollen: nämlich die Bewertung anderer aufgrund ihrer Identität. Und genauso, wie unsereiner sich nicht ständig für sein Weißsein entschuldigen will - ein Umstand, über den wir bekanntermaßen auch keinen Einfluss hatten -, wollen sich auch nicht alle Angehörigen marginalisierter Gruppen ständig in die Opferrolle drängen lassen. Vor allem aber werden Debatten heutzutage oft sehr stark emotionalisiert - was das Problem mit sich bringt, dass die Gefühlsebene dadurch meist höher bewertet wird als die Sachebene. Häufig wird beispielsweise nur die Perspektive Betroffener als legitim dargestellt - ohne zu berücksichtigen, dass auch Betroffene keine homogene Gruppierung sind, was mit sich bringt, dass die Gefühle einzelner betroffener Personen sehr stark divergieren können. Anstatt dies jedoch anzuerkennen, neigen wir dazu, uns selbst Sprechverbote aufzuerlegen, aus Angst, dass wir die zarten Gefühle irgendeiner Person, die einer marginalisierten Gruppe angehört, ankratzen könnten. Anstatt diese Menschen also zu stärken, schwächen wir uns selbst - und stärken gleichzeitig die Gegenposition. Das ist deshalb so problematisch, weil wir damit dieser das Feld überlassen - woraus wiederum resultiert, dass Personen mit auch nur geringfügig abweichender Meinung sofort in die Gegenposition gedrängt werden. Du bist also der Meinung, dass wir nicht alle BPoC pauschal heilig sprechen sollten? Aha, du bist also ein Rassist! Du hast es gewagt, mit weißer Hautfarbe geboren zu werden, bist aber nicht bereit, dich deswegen selbst permanent unter Generalverdacht zu stellen? White fragility! Setz dich gefälligst mal mit deinem Weißsein auseinander, Nazi! Kommt euch das nicht auch ein wenig übertrieben vor?

Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach, dass wir mit einem solchen Verhalten jeden Versuch einer vernünftigen Debatte torpedieren. Aus diesem Grund habe ich leider oft den Eindruck, dass Leute, die auf eine solch plumpe Art und Weise argumentieren, eigentlich gar nicht ernsthaft an Lösungen interessiert sind, sondern eigentlich nur Recht haben wollen. Denn dies zementiert die alten Vorurteile mehr, als dass es sie abbaut. Kein Mensch will ständig angegangen werden, kein Mensch will immer das Gefühl haben, dass er eh nur alles falsch machen kann. Ich habe schon öfter eine Frage in den Raum gestellt, die zugegebenermaßen etwas provokant rüberkommt, die ich hier jedoch noch einmal wiederholen möchte: Soll eine Person, die weiß aussieht, die aber ein Elternteil aus Sub-Sahara-Afrika hat (ja, sowas gibt's), in Zukunft eine Art Ahnenpass mit sich führen, wenn sie Dreadlocks tragen will, um nicht der kulturellen Aneignung bezichtigt zu werden? Ist das die Art von Anti-Rassismus, wie wir sie anstreben? Bisher hat diese Frage in den sozialen Netzwerken nur zu Lachsmileys geführt - auch die Tatsache, dass ich darauf nur selten eine vernünftige Antwort bekomme, lässt mich daran zweifeln, dass gewisse Leute, die sich Anti-Rassismus auf die Fahnen geschrieben haben, wirklich an Lösungen interessiert sind.

Die Sache ist folgende: Ich stehe schon seit einigen Jahren dafür ein, dass wir uns mit Kolonialismus und dem dadurch systemisch gewachsenen Rassismus genauso kritisch auseinandersetzen müssen, wie wir es bereits mit der Shoah tun. Ich habe bereits mit mehreren Personen debattiert, welche die Verbrechen der Kolonialzeit auf genau die gleiche Art und Weise verharmlosen oder gar leugnen, wie andere es mit dem Holocaust tun. Dazu ist es aber notwendig, uns mit schriftlichen Zeugnissen und Begrifflichkeiten kritisch auseinanderzusetzen - das funktioniert aber nicht, wenn wir das alles unter den Teppich kehren und so tun, als wäre es nie passiert. Wir müssen die Dinge im kritischen Kontext beim Namen nennen, um sie einordnen zu können. Und zum Thema Retraumatisierung kann ich nur sagen: Ich musste mich als Teenager im Geschichtsunterricht ebenfalls mit Ideologien auseinandersetzen, die mir als Frau praktisch das Menschsein abgesprochen haben - da hat auch keiner danach gefragt, ob meine Seele Schaden dadurch erleiden könnte. Trotzdem war es wichtig, diese Dinge aufzuarbeiten, um zu erkennen, wie man Diskriminierung wirksam entgegentreten kann. Die Welt ist nun mal kein safe space - und darauf sollte man so gut wie möglich vorbereitet sein. Und die einzige Möglichkeit, Diskriminierung entgegenzutreten, ist, miteinander ins Gespräch zu gehen - und zwar so ehrlich und respektvoll wie möglich. Und dieser Respekt muss von beiden Seiten ausgehen - weil vernünftige Debatten nur möglich sind, wenn sich keiner in die Ecke gedrängt fühlt. Das ist der Grund, warum ich mich weigere, bei diesen Identitätsspielchen mitzuspielen - weil wir dringend wieder lernen müssen, Widersprüche auszuhalten. Das einzige, was tatsächlich gegeben sein muss, ist Respekt - unabhängig von Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, sexueller Identität etc. pp. Und soweit ich sehe, bin ich nicht die einzige, die diese Position betritt.

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