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Nein, bei der dicken Frau handelt es sich nicht um mich - das Zitat stammt aus einer Zeit, in der ich mit Sicherheit nicht dick war und das mir zufällig im Gedächtnis geblieben ist, weil ich die Offenheit von Kindern mitunter recht amüsant finde, auch wenn Erwachsene dabei gerne die Hände über dem Kopf zusammenschlagen vor Entsetzen. Mit Sicherheit hat Mami ihrer wundervollen, bezaubernden Maus zuvor erklärt, dass man in Gesellschaft nicht alles hinausschreit, was einem so einfällt und über gewisse Dinge lieber unter Ausschluss der Öffentlichkeit spricht - ein wohlmeinender Versuch, der ganz offensichtlich leider nach hinten losging. Tja, Pech gehabt, Mutti!
Zumindest aber muss man dieser Mutter zugute halten, dass sie verstanden hat, was gutes Benehmen ist, und dass sie versucht hat, dies ihrer Tochter auch beizubringen. Dass dabei mitunter auch ein paar Pannen passieren, ist normal. Wir wissen ja, dass auch Rom nicht an einem Tag erbaut wurde, nicht wahr? Leider hören und sehen wir aktuell viel zu häufig Leute, denen das offensichtlich nicht beigebracht wurde. Ja, ich muss leider aus aktuellem Anlass noch einmal auf das leidige Querdenker-Thema zurückkommen. Und zwar deshalb, weil Sonntagmorgen eine junge Deutsche das Internet wieder einmal in Aufruhr versetzt hat (Video).
Ich denke, die Geschichte ist den meisten von euch bekannt, da sie seit Sonntag oft genug wiederholt wird (und ich das Video verlinkt habe); der Vollständigkeit halber gebe ich sie aber dennoch kurz noch einmal wieder: Am Sonntagmorgen tauchte auf Twitter das Video einer jungen blonden Frau auf der Bühne einer "Querdenker"-Demo in Hannover auf, die sich als "Jana aus Kassel" vorstellte. Rhetorisch mehr schlecht als recht, begann sie, ihre Rede von einem Schummelzettel abzulesen - sie erklärte, dass sie sich wie Sophie Scholl fühle, weil sie auf Demos geht, Reden hält, Flyer verteilt und seit kurzem sogar Versammlungen anmeldet. Und weil sie 22 Jahre alt ist, so wie einst Sophie Scholl, als sie der verqueren Ideologie des Nationalsozialismus zum Opfer fiel (Sophie Scholl wurde knapp drei Monate vor ihrem 22. Geburtstag hingerichtet, aber so genau braucht man es als mutige Rebellin ja nicht zu nehmen). Außerdem betont sie, dass sie niemals damit aufhören wird, sich für Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit einzusetzen. Dann jedoch wurde es einem der Ordner ganz offensichtlich zu viel - er streckte ihr seine orangefarbene Warnweste hin und verkündete, dass er seinen Job niederlegen werde, weil er so einen Schwachsinn nicht unterstützen wolle. Daraufhin wird er von mehreren Seiten bedrängt, aber er lässt sich nicht beirren, und trotz der schlechten Tonqualität sind Worte wie "hängengeblieben" und "mehr als peinlich" zu hören. Während er von der Polizei zur Seite geschoben wird, dreht Jana sich um und bricht in Tränen aus. Als ein älterer Mann ihr tröstend die Arme um die Schultern legen will, wirft sie den Zettel mit ihrer Rede sowie das Mikrofon dramatisch zu Boden und stürmt von der kleinen Bühne. Buchstäblich über Nacht wird sie zur Berühmtheit - nur mit Sicherheit nicht so, wie sie es gerne gehabt hätte.
Denn es hat ja einen Grund, dass Jana diesen Vergleich zieht: Sie will eine Heldin sein, eine, die bewundert und verehrt wird - nicht eine, die Spott und Hohn erntet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das auf den anderen Demos, die sie besucht hat, auch der Fall war - also, dass sie bejubelt und beklatscht wurde. Deshalb hat sie wohl auch nicht mit Gegenwind geredet - ihr Verhalten war nicht das eines reifen, verantwortungsbewussten Menschen, der mit Kritik umgehen kann, sondern das eines trotzigen Kinders, dem noch nie jemand widersprochen hat. Und gelernt hat sie daraus anscheinend auch nichts - ein paar Minuten später kehrte sie auf dieselbe Bühne zurück, blubberte, dass sie "schockiert" gewesen sei, dass sie von einem "Passanten" "beleidigt" wurde und verzapfte denselben Unsinn noch einmal. Ganz offensichtlich hat sie keinen Bock gehabt, darüber nachzudenken, was da gerade passiert ist. Sonst wäre sie nämlich von selbst drauf gekommen, dass sie es lieber ganz gelassen hätte. (Video)
Wenn wir uns das vor Augen halten, ist Janas Selbstinszenierung natürlich in erster Linie einfach nur lächerlich - ihr Problem ist nicht, dass vor ihrer Nase Leute deportiert und ermordet werden, sondern dass sie längere Zeit nicht shoppen, auf Reisen gehen oder Partys feiern kann und dass sie öffentliche Orte nicht ohne Mund-Nasen-Schutz betreten kann. Natürlich ist es gerade sehr bitter, dass junge Menschen, die neue Leute treffen und die Welt kennenlernen wollen, seit Monaten dazu verdammt sind, die Füße stillzuhalten. Partys sind nicht das Wichtigste auf der Welt, aber ich hätte das auch nicht lustig gefunden. Aber das ist eben nicht dasselbe, wie Todesängste ausstehen zu müssen, weil die eigene Meinung nicht dem herrschenden Konsens entspricht. Jana wird im Gegenteil noch von Gesetzeshütern geschützt, damit sie weiterhin ihren Müll verzapfen kann, ohne dafür belangt zu werden. Und es kommt noch verrückter: Aktuell ruft die Anti-Corona-Demo-Szene zu einem "Schweigemarsch" für Jana auf, um ihre Solidarität mit der jungen Frau auszudrücken, die gerade einen Shitstorm kassiert. Eigentlich dachte ich immer, Schweigemärsche wären Verstorbenen vorbehalten, aber manche sind sich offensichtlich für nichts zu blöd.
Nun wissen wir ja, dass Nazi-Vergleiche unter Maskengegnern und Konsorten aktuell sehr beliebt sind. Viele ziehen den Vergleich mit Sophie Scholl heran, andere vergleichen das aktuell angepasste deutsche Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933, und auf Demos werden gerne gelbe Davidssterne getragen, häufig mit der Aufschrift "ungeimpft", die jene Aufnäher nachahmen, welche zu tragen die Juden im Dritten Reich gezwungen waren, weil sich das Religionsbekenntnis bekanntlich nicht äußerlich bemerkbar macht. Und zur Erinnerung: Es ist noch nicht allzu lange her, dass ein elfjähriges Mädchen in Karlsruhe auf der Bühne stand und sich mit Anne Frank verglich, weil es seine Geburtstagsparty nicht wie gewohnt feiern konnte. Nazi-Vergleiche sind nun mal beliebte Totschlagargumente, weil es zu diesen eigentlich gar keine Steigerung mehr gibt - weil die Zeit zwischen 1933 und 1945 eine Zeit des industriellen Massenmordes ist, zu dem es weder vorher noch nachher etwas Vergleichbares gab.
Dass man darüber diskutieren muss, ob diese Vergleiche zulässig sind, finde ich eigentlich schon unglaublich - so, als wären Lockdown und Maskenpflicht mit dem Mord an Millionen von Menschen vergleichbar, nur weil sie dem Regime nicht gepasst haben. So, als könnte man den Verzicht auf Partys, Friseurbesuche und Urlaube mit der Angst, verhaftet, verschleppt und ermordet zu werden, vergleichen. Und sie sind nicht nur unzulässig - sie sind schlicht und einfach ekelhaft, denn sie verspotten all jene, die unter dem NS-Regime zu leiden hatten oder durch dieses ihr Leben verloren. Darüber hinaus finden gerade diejenigen, die sich so gerne mit Nazi-Opfern vergleichen, die Ideologie der Täter eigentlich voll super - so wie unsere Jana, die bei einer früheren Rede ein Sweatshirt trug, auf dem das Zeichen des Rechts-Esoterikers Heiko Schrang abgebildet war, und die laut ihres (inzwischen gelöschten) Telegram-Kanals Teil der Bewegung "Studenten stehen auf" ist, die mit der Identitären Bewegung verbandelt ist - eine rechtsradikale Gruppierung, die zumindest bei uns in Österreich vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Laut älterer Reden, die natürlich auch im Netz zu finden sind, macht sie gerade eine Ausbildung zur Heilpraktikerin und will im nächsten Jahr Psychologie studieren. Wobei ich mich frage, wie das funktionieren soll bei einer Person, die nicht einmal ein einigermaßen solides Grundwissen in Geschichte aufweisen kann und die ganz offensichtlich ein so eingeschränktes Empathiegefühl hat, dass ihr das eigene Vergnügen wichtiger ist als das Wohl anderer. Vor allem aber frage ich mich, ob sie in der Lage ist, sich die Option offenzuhalten, dass sie möglicherweise nicht recht haben könnte - eine Eigenschaft, die man zum Studieren unbedingt mitbringen sollte. Ich glaube es, ehrlich gesagt, nicht - nicht, wenn sie mit Leuten mitläuft, die vollkommen davon überzeug sind, im Besitz der einzig richtigen Wahrheit zu sein.
Es liegt auf der Hand, dass Janas unrühmlicher Auftritt inzwischen eine Steilvorlage für allerlei Witze und Memes ist. Das finde ich, offen gestanden, auch okay, solange es nicht unter die Gürtellinie geht - Drohungen und Beschimpfungen, das habe ich schon oft genug klar gemacht, gehen gar nicht und davon möchte ich auch nichts hören. Bei der jungen Frau aus Kassel handelt es sich nicht um ein kleines Mädchen, dessen Eltern ihm irgendeinen Blödsinn eingetrichtert haben, den es selbst noch gar nicht einschätzen kann. Sie ist in einem Alter, in dem manche schon für eine Familie verantwortlich sind - sprich, sie ist mit Sicherheit kein Kind mehr. Sie sollte wissen, dass alles, was man tut, Konsequenzen hat - vor allem aber, dass man nicht alles öffentlich rausposaunt, ohne vorher nachzudenken, wenn man sich keiner Kritik aussetzen will. Mein Mitleid hat sich spätestens in dem Moment verflüchtigt, als ich mitbekam, dass sie ein paar Minuten nach dieser Szene wieder die Bühne betrat und denselben Blödsinn von sich gab.
Vor allem aber ist ihr Fall nur einer von vielen - sie hat lediglich versinnbildlicht, auf welche Weise Corona-Verharmloser sich selbstgerecht zu mutigen Helden stilisieren, die sie gar nicht sind. Sophie Scholl ließ die Verhandlung, die über ihren Tod entschied, erhobenen Hauptes über sich ergehen - Jana aus Kassel fängt an zu heulen, wenn ihr jemand mal nicht recht gibt. Ich denke, stärker kann man diese Diskrepanz gar nicht darstellen. Diese Szene ist eine von vielen, die zeigen, dass diejenigen, die sich für "Querdenker" halten, immer mehr den Bezug zur Realität verlieren. Sie glauben, dass sie in einer Diktatur leben, während sie mehr Sonderrechte eingeräumt bekommen als die meisten anderen - denn während man in Deutschland, genauso wie bei uns, mit einer Geldstrafe rechnen kann, wenn man draußen zu viele Leute trifft, während Läden geschlossen bleiben und Veranstaltungen abgesagt werden mussten, tanzen solche Leute unbehelligt und maskenlos Polonaise in der Leipziger Innenstadt. Da kann ich schon ein bisschen nachvollziehen, dass sich andere verarscht fühlen - und die Motivation, sich an die Maßnahmen zu halten, in der Folge möglicherweise sinkt. Was mich persönlich betrifft, ich finde, bei Leuten, die öffentlich zur Hinrichtung von Ärzten und Politikern aufrufen, ist die Zeit der Samthandschuhe vorbei. Man muss ihnen deutlich machen, dass sie nicht alles tun können, was ihnen gerade einfällt, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Die laute Kritik, die aktuell überall zu hören und zu lesen ist, könnte möglicherweise anderen Janas die Lust nehmen, ebenfalls solch geschmacklose Vergleiche anzustellen. Vor allem aber darf man nicht vergessen - ein solcher Ruhm ist kurzlebig. Irgendwann ist die Blondine mit der Bildungslücke ohnehin wieder vergessen, weil eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Welche das ist? Wir werden sehen. Bon voyage!
vousvoyez