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In meinem letzten Post habe ich mich mit einem Phänomen befasst, der im Moment die Jugend weltweit in Atem hält. Und da ich ja leider viel zu viel Zeit und kein eigenes Leben habe (weil ich mich aktuell gerade von einem kleinen Virus erhole, und warum rechtfertige ich mich eigentlich, wenn mir eh niemand Vorwürfe macht?), habe ich mich ein wenig tiefer in das Thema hineingelesen. Leider bin ich drauf gekommen, dass ein YouTuber dieselbe Idee hatte und bei der Umsetzung etwas schneller war. Aber egal - da ich für den jungen Mann in meinem letzten Artikel bereits Werbung gemacht habe, setze ich das mal fort.
Was ich meine, sind Kettenbriefe - etwas, das wohl jeder kennt. Wie das entstanden ist und wer die Idee dazu als erster hatte, ist wohl irgendwann einmal in grauer Vorzeit verloren gegangen. Aber durch das Internet sterben sie auch nicht aus - ganz im Gegenteil, es werden immer mehr.
Meinen ersten Kettenbrief bekam ich auf die ganz uncoole, altmodische Art - per Post. Ich war damals so zwischen acht und elf Jahre alt, jedenfalls war das zu einer Zeit, als das Internet noch als Luxus galt und viele sich gar nichts drunter vorstellen konnten. Eines Tages gab mir meine Mutter einen Brief mit unbekanntem Absender. Er enthielt ein Schreiben, das erzählte, man solle diesen Brief ich weiß nicht mehr wie viele Male kopieren und weiterschicken. Dann wurden einige Geschichten erzählt von Leuten, die das nicht gemacht hatten und die dann beispielsweise krank wurden oder eine Prüfung verpatzten, und anderen, die es taten und die dann zum Beispiel im Lotto gewannen. Meine Mutter riet mir davon ab, diesen Brief weiterzuschicken. Ich hätte auch gar nicht so viele Leute gekannt, an die ich ihn hätte schicken können. Ich warf den Brief weg und es passierte - ganz genau, nichts.
Ich bekam nie wieder einen Kettenbrief per Post. Aber ich erhielt noch viele über E-Mail, Facebook, SMS oder Whatsapp. Ich habe sie in der Regel nicht weitergeschickt (außer die Botschaft war eindeutig scherzhaft gemeint) - besonders nicht, wenn sie eine Drohung enthielten von wegen, wenn ich sie nicht weiterschicke, geschieht irgendein Unglück. Ich war auf studiVZ sogar in einer Gruppe, die hieß "Warum sterbe ich nicht, weil ich Kettenbriefe nie beantworte?"
Ganz heftig finde ich allerdings jene Kettenbriefe, die mit Folter oder gar Tod drohen - und die meist auch von angeblich Toten geschrieben wurden. So einen habe ich (zum Glück) nie bekommen, aber die scheinen vor allem unter jüngeren Leuten die Runde zu machen. Ich weiß nicht, ob das an den Sommerferien liegt, jedenfalls hört man in letzter Zeit immer wieder von solchen gruseligen Kettenbriefen.
Darauf gestoßen bin ich, als ich mich mit diesem Momo-Thema befasst habe. Das Ganze scheint ziemliche Wellen geschlagen zu haben, jedenfalls ist jetzt unter anderem auch ein Kettenbrief im Umlauf, vor dem sogar von der Polizei gewarnt wird. Wobei ich mir denke, ein von Freunden verschickter Grusel-Kettenbrief ist wohl noch das geringste Problem.
Ich habe in meinem letzten Post schon angedeutet, dass ich beim Lesen dieser Nachricht das Gefühl hatte, sie könnte nur von einem Kind geschrieben worden sein - sie ist voller orthographischer und grammatikalischer Fehler (gut, auch viele Erwachsene beherrschen die deutsche Schriftsprache nicht wirklich), und auch der Inhalt wirkt lächerlich kindisch. In dem Kettenbrief wird behauptet, Momo sei vor drei Jahren von einem Auto angefahren worden und gestorben (sehr originell), außerdem wird gedroht, wenn der Empfänger diese Nachricht nicht weiterschickt, werde Momo um Mitternacht zu ihm ins Zimmer kommen (und wer will diese schauerliche Fratze schon nachts bei sich im Zimmer haben?). Um diese Argumente zu untermauern, wird das Beispiel einer Elfjährigen gebracht, die diesen Kettenbrief nicht weiterschickte; daraufhin suchte Momo sie in der Nacht heim und am nächsten Tag fand man sie tot in ihrem Bett (seltsam - so etwas hätte doch Schlagzeilen machen müssen?). Außerdem wird von einem Fünfzehnjährigen berichtet, der die Nachricht statt an die geforderten 15 nur an sechs Leute weiterschickte; daraufhin soll er am nächsten Morgen mit einem abgefressenen Arm und einem abgeschnittenen Bein aufgewacht sein (eigentlich müsste man doch spüren, wenn einem die Gliedmaßen nachts im Schlaf abgefressen und -geschnitten werden, oder?). Am besten gefällt mir aber die Geschichte der dreizehnjährigen Linda - sie ist die Brave in der Geschichte, sie hat die Nachricht an alle weitergeschickt, daraufhin hat sie ihre große Liebe gefunden und wohnt heute mit ihrem Freund in einer Villa - Moment, sie war dreizehn??? Das heißt, heute kann sie nicht älter als 16 sein! Was bedeutet - ihr Freund muss wohl ein alter Lustmolch sein, wie wollen die beiden mit ihrem Taschengeld sonst eine Villa finanzieren?
Also wir sehen schon bei der Nachricht, der Brief ist abgekupfert und das nicht einmal besonders gut - zumindest für Erwachsene ist er leicht zu durchschauen.
Eine weitere interessante Geschichte, auf die ich gestoßen bin, ist die von Teresa Fidalgo. Sie verbreitet sich schon seit längerem in den sozialen Netzwerken. Die Rede ist von einem jungen Mädchen, das im Jahr 1983 in Portugal bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein soll. Zwanzig Jahre später tauchte ein Video auf, gedreht mit Handkamera, in dem eine Gruppe Jugendlicher gezeigt wird, die mit dem Auto unterwegs sind. Am Straßenrand lesen sie ein Mädchen auf, das ziemlich verstört wirkt. Anfangs sagt sie nichts außer ihrem Vornamen, aber dann deutet sie auf eine Stelle neben der Straße, an der sie einen Unfall gehabt haben und gestorben sein soll. Danach hört man einen schrillen Schrei, die Kamera scheint ihrem Besitzer aus der Hand gefallen zu sein, und im anschließend eingeblendeten Text wird behauptet, man habe dieses Video nach einem Autounfall geborgen - die Insassen wären alle tot.
Die Geschichte ist inzwischen schon längst aufgeklärt - sie ist frei erfunden. Es handelt sich hierbei um eine Art Werbung im Stil von Blair Witch Projekt für einen Horrorfilm, den man sich per DVD im Internet bestellen kann. Dennoch tauchte schon zu Zeiten von Studi- und SchülerVZ ein Kettenbrief auf, der angeblich von dieser Teresa Fidalgo stammen soll und in dem damit gedroht wird, dass sie neben dem Empfänger im Bett schlafen würde, wenn dieser den Brief nicht an zwanzig Personen weitergeschickt wird. Da hätte sie wohl in vielen Betten nächtigen müssen - und nein, ich finde es nicht cool, dass sie ausgerechnet meinen Vornamen trägt!
Weitaus heftiger finde ich folgende - wenn auch wieder nur frei erfundene - Geschichte:
Es handelt sich hierbei um einen Kettenbrief, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Darin geht es um ein zehnjähriges Mädchen namens Clarissa, das ihre Eltern umgebracht haben soll, so dass es in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Dort habe sie alle Mitarbeiter umgebracht (wie ein Mensch, speziell ein zehnjähriges Mädchen, dazu fähig sein sollte, ohne Hilfsmittel das gesamte Personal einer Psychiatrie umzubringen, wird natürlich nicht erklärt), und die Regierung beschloss, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Man brachte sie in einen speziell eingerichteten Raum, wo man versuchte, sie auf humane Art zu töten, aber irgendwas ging schief, und sie starb nach mehreren Stunden unter heftigen Qualen. In diesem Kettenbrief wird behauptet, dass derjenige, der ihn nicht an zehn andere Kontakte weiterleitet, von ihr heimgesucht würde; sie würde ihm dann die Kehle durchschneiden, woraufhin er einen langsamen, qualvollen Tod erleide. Die Geschichte an sich ist schon extrem schauerlich, wie ich finde - ebenso wie die Drohungen.
Die letzte Geschichte, auf die ich noch eingehen will, ist die von Carmen Winstead, einer 17jährigen Schülerin. Sie war mit ihren Eltern in eine andere Stadt gezogen, so dass sie ihre alte Schule und alle ihre Freunde zurücklassen musste. In der neuen Schule fiel es ihr schwer, Anschluss zu finden, und sie war die meiste Zeit alleine - eine Situation, die auch ich nur allzu gut kenne. Dann allerdings lernte sie eine Clique von fünf Mädchen kennen, von denen sie anfangs dachte, sie seien ihre Freundinnen. Sie fand allerdings heraus, dass die Mädchen hinter ihrem Rücken schlecht über sie redeten und böse Gerüchte in die Welt setzten. Nachdem sie sie zur Rede gestellt hatte, kam es zu offener Aggression; sie wurde immer mehr von diesen Mädchen gemobbt, bis sie beschloss, mit ihrem Lehrer darüber zu reden. Doch dazu kam es nicht mehr. In der Schule fand eine Feueralarm-Übung statt, und nachdem sich alle Schüler im Hof versammelt hatten, bedrängten die fünf Mädchen Carmen und schubsten sie schließlich in einen offenen Kanalschacht - sie wollten sie vor der gesamten Schule demütigen. Als dem Lehrer auffiel, dass sie nicht da war, und die Mädchen verkündeten, sie sei in den Gully gefallen, fand man sie dort mit verdrehtem Hals und abgerissenem Gesicht - sie hatte sich bei dem Sturz das Genick gebrochen und war tot. Die Mädchen erzählten der Polizei, sie hätten gesehen, wie Carmen selbst in den Schacht gestürzt sei, und ihr Tod wurde als Unfall zu den Akten gelegt. Monate später hätten die fünf Mädchen E-Mails bekommen, in denen es hieß, Carmens Tod sei kein Unfall und sie sollten sich stellen. Als dies nicht geschah, wurden sie nacheinander tot in eben diesem Kanalschacht gefunden, mit abgerissenem Gesicht und verdrehtem Hals. Anschließend seien auch andere ihrer ehemaligen Mitschüler, die dieser Geschichte nicht glaubten, auf dieselbe Weise umgebracht worden. Die ganze Geschichte ist frei erfunden - nicht frei erfunden ist jedoch der Kettenbrief, der sie erzählt und dem Empfänger damit droht, ihn auf dieselbe Art und Weise umzubringen, sollte er diesen Brief nicht weiterleiten.
Kettenbriefe können schon ganz schön ärgerlich und manchmal auch recht lustig sein. Die Beispiele, die ich gebracht habe, sind alles andere als lustig. Die einzige Möglichkeit, solch verstörende Botschaften möglichst zu reduzieren, ist, diese Nachrichten nicht weiterzuleiten. Erwachsene wie ich - und wie meine geschätzten Leser - lassen sich durch solche Geschichten nicht mehr so leicht einschüchtern. Aber Jugendliche, die weitaus weniger gefestigt sind und auch noch keine Lebenserfahrung haben, können durch solche Geschichten ganz schön Angst bekommen. Es gab auch schon zu Zeiten, als Kettenbriefe hauptsächlich auf die Post angewiesen waren, ziemlich grenzwertige Inhalte, aber ich habe das Gefühl, dass sie seit der Verbreitung des Internets weitaus heftiger geworden sind. Ich jedenfalls erinnere mich nicht daran, dass früher behauptet wurde, sie wären von irgendwelchen Geistern geschickt worden, die mit Umbringen drohten. Und mir ist auch kein Beispiel bekannt, dass irgendwann einmal ein Kettenbrief in Umlauf war, der tatsächlich auf einer wahren Geschichte beruht.
Also merkt euch eins - passt auf, welche Nachrichten ihr verbreitet!
vousvoyez