Donnerstag, 29. Februar 2024

Ich bin doch nicht bescheuert und laufe blind der Meinung der Medien hinterher - ich bin schlau, ich schau mir die Meinung der Medien an und laufe dann blind in die andere Richtung

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Aber ich habe ja schon öfter über das Dilemma der Medienkompetenz gesprochen. Ein Medium, das uns unser Leben lang begleitet, ob wir wollen oder nicht, ist bekanntlich die Frauenzeitschrift - ob beim Friseur, im Zahnarzt-Wartezimmer, im Urlaub, in der Trafik oder im Supermarkt, wir finden sie überall. Und zwar weitaus häufiger als das gegengeschlechtliche Pendant, die Männerzeitschrift. Und ich frage mich gerade, ob es auch Zeitschriften für Leute gibt, die sich nicht einem dieser beiden Geschlechter zuordnen - wenn nicht, dann frage ich mich, warum sich noch keiner darüber aufgeregt hat! So geht's doch echt nicht!

In diesen geschlechtsspezifischen Zeitschriften steht eigentlich immer das gleiche - wobei ich mich naturgemäß eher mit Frauenzeitschriften auskenne, auch wenn ich schon ab und zu in der einen oder anderen Männerzeitschrift geblättert habe. Und das, obwohl ich noch nie auf die Idee gekommen bin, eine Frauenzeitschrift zu kaufen - aber natürlich bekommt man so einiges mit, wenn man die letzten Jahrzehnte nicht isoliert in einem Bergwerk gelebt hat. Daher weiß ich natürlich, was da drin steht: Artikel, die dir nahelegen, dass du dich so akzeptieren sollst, wie du bist, hinterher die besten Diät-Tipps und am Ende leckere Tortenrezepte. Wobei gefühlt jede Woche eine neue Diät beworben wird, die jetzt ganz sicher hilft, denn alle Stars schwören darauf! Denn wer reich und berühmt ist, muss sich natürlich ausgiebig damit beschäftigen, möglichst nicht zu essen. Immerhin muss man ja in das elegante Kleid passen, mit dem man über den roten Teppich schwebt, nicht wahr? Und weil ich hier nicht nur Trauer und Angst säen will, dachte ich mir, wir schauen uns mal gemeinsam ein paar verrückte Diäten an.

Schon seit der Antike beschäftigen sich Leute mit der richtigen Ernährungsweise - auch wenn das Wissen um den Zusammenhang von Gesundheit und Ernährung erst im 19. Jahrhundert allmählich an gesellschaftlicher Bedeutung gewann. Doch schon Hippocrates, der Vater der evidenzbasierten Medizin, erkannte die Gesundheitsschädigung durch Übergewicht, hatte allerdings sehr eigenwillige Methoden, um dies bei seinen Patienten zu bekämpfen: So empfahl er vor der ersten Mahlzeit des Tages einen langen Marsch und hinterher das Erbrechen. Naja, wenigstens hat er den Nutzen der Bewegung damals schon erkannt.

Frühe Diät-Ratgeber wie etwa Castel of Helth von Sir Thomas Elyot orientierten sich noch sehr an der antiken griechischen Vier-Säfte-Lehre, welche bis ins 18. Jahrhundert hinein allgemein anerkannt war, heute jedoch längst als wissenschaftlich überholt gilt. In der Frühen Neuzeit beschäftigte sich der italienische Humanist und Agronom Luigi Conaro in seinem Diätbuch La Vita Sobra mit der Reduktion der Nahrungsaufnahme zur Verbesserung der Gesundheit - so nahm er seit seinem 35. Lebensjahr nur noch 342 Gramm Nahrung pro Tag zu sich und trank dazu 400 ml Wein. Berichten zufolge soll er 102 Jahre alt geworden sein - wissenschaftliche Erkenntnisse, dass wenig Nahrung zu höherer Lebensdauer führen kann, gelangen jedoch bislang nur in Mäuseversuchen. Ich persönlich finde die Vorstellung, ständig hungrig zu sein und sich nie etwas zu gönnen, ehrlich gesagt nicht sehr attraktiv - besonders, wenn man dann auch noch über hundert Jahre alt werden soll. Da klingt der Vorschlag des Arztes Thomas Short noch wesentlich attraktiver: Er behauptete in seiner Abhandlung The Causes and Effects of Corpulence, dass Menschen mit Übergewicht in der Nähe von Sümpfen lebten, weshalb er ihnen riet, vom Sumpf wegzuziehen. Das Problem ist halt, dass sich in meiner Nähe weit und breit kein Sumpf befindet - Mist! Dann muss ich es wohl doch mit heißem Sand probieren - damals glaubte man nämlich, dass man, wenn man sich damit besprüht, Fett ausschwitzt und so Gewicht verliert. Leider ist das einzige, was man bei dieser Methode verliert, Wasser - sprich, sobald man selbiges wieder zu sich nimmt, ist es aus mit der schlanken Zukunft.

Ein früher prominenter Diät-Anhänger war der britische Schriftsteller und Dichter Lord Byron, welcher sich sehr ausführlich damit beschäftigte, Gewicht zu verlieren - er ernährte sich fast ausschließlich von Sodawasser und Keksen plus große Mengen puren Essigs, was ihm allerdings Magenprobleme bescherte (mir zieht sich schon bei dem Gedanken daran innerlich alles zusammen). Sehr alt wurde er in der Tat nicht: Im Alter von 36 Jahren starb er an den Folgen eines medizinischen Aderlasses - es hat schon seine Gründe, warum jener heutzutage nicht mehr so inflationär angewendet wird wie damals. Auch heute wird Apfelessig übrigens noch als Hilfsmittel zum Abnehmen angepriesen - Beweise dafür, dass es wirklich so ist, gibt es aber keine. Trotzdem gebe ich vorsichtshalber immer ein wenig Essig in meinen Salat - ich Fuchs ich! Der Diätwahn bei Schriftstellern war übrigens wohl eine Zeitlang ein richtiger Trend: So waren etwa Franz Kafka und Henry James im frühen 20. Jahrhundert Anhänger der Lehren des amerikanischen Ernährungsreformers Horace Fletcher, welcher das gründliche Kauen von Nahrungsmitteln propagierte. Nun gehört gründliches Kauen ja bis heute zu den beliebten Methoden, die Nahrungsaufnahme zu entschleunigen und auf diese Weise automatisch zu reduzieren - allerdings empfahl Fletcher, Nahrungsrückstände, die sich nicht verflüssigen lassen, wieder auszuspucken, was einem dann doch ein wenig übertrieben erscheint.

Ein früher Verfechter von Mäßigung und Vegetarismus war übrigens der illustre Namensgeber des Grahamweckerls - der amerikanische presbyterianische Pfarrer Sylvester Graham. Er propagierte sowohl Mäßigung als auch sexuelle Enthaltsamkeit und predigte den Verzicht auf Fleisch, Zucker und Gewürze zur Einschränkung der Libido - seine Behauptung, dass Onanieren blind mache, hat sich ja bekanntlich sehr lange gehalten. Wem das zu mühsam war, der konnte auf Gummi-Unterwäsche zurückgreifen - diese hielt nicht nur lästige Fettpölsterchen zumindest optisch in Form, sondern war auch ordentlich schweißtreibend. Und bekanntlich glaubte man früher ja, dass dies die Fettpölsterchen zum Schmelzen bringe - auch wenn es nur zu Wasserverlust führt. Der größte Nachteil war neben dem sicher nicht angenehmen Körpergeruch allerdings auch, dass die verschwitzte Wäsche Hautirritationen und Infektionen hervorrief - kein Wunder!

Wem der Verzicht auf fettige und zuckerhaltige Lebensmittel generell eher schwer fällt, der ist natürlich empfänglicher für allerlei Wunderpillen und -tränke - diese waren bereits im 19. Jahrhundert erhältlich, enthielten damals jedoch häufig Spuren von Arsen oder Strychnin. Das heißt, sie konnten einen im blödesten Fall langfristig nicht nur von Kilos, sondern gleich vom Leben erleichtern. Da wirkt die Überzeugung des Arztes Dr. John Harvey Kellogg, dass möglichst langweilige Lebensmittel die Lust am Essen generell zügelten, schon beinahe sympathisch - dieser erfand Ende des 19. Jahrhunderts zusammen mit seinem Bruder Will Keith die Cornflakes als Alternative für das reichhaltige Frühstück, welches damals in den USA nach englischem Vorbild üblich war. Allerdings zerstritten sich die Brüder, als Will Keith es 1906 wagte, die berühmten Frühstücksflocken mit Zucker schmackhafter zu machen. Übrigens erfand Kellogg nicht nur die Cornflakes, sondern auch die Erdnussbutter sowie Ersatzprodukte für Fleisch und Kaffee. Eine eher eklige Idee, die mich übrigens 2014 zu meinem berühmten Acryl-Kunstwerk Die Bandwurmfamilie inspirierte, welches das Bild zu meinem Artikel darstellt, stammt aus der Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert): Damals verkaufte man in den USA Pillen, die Bandwürmer enthielten - die Vorstellung war, dass diese alle Kalorien aufzehren, bevor sie ihren Wirt dick machen können. Leider ist das nicht das einzige, was diese possierlichen Tierchen bewirken - der Verkauf der Pillen wurde verboten, nachdem diejenigen, die sie eingenommen hatten, Beschwerden wie Krampfanfälle, Hirnhautentzündungen oder Zysten im Gehirn zu beklagen hatten. Also doch nix mit dem neuen Mitesser! Einen besonders perfiden Ratschlag hatte in den 1920er Jahren übrigens die Zigarettenmarke Lucky Strike in petto - in einem Werbeslogan riet sie dazu, statt zu einem ungesunden Bonbon zu ihren würzigen Glimmstängeln zu greifen. Äääääähm ... ja, da fällt selbst mir nichts mehr ein.

In den 1920er Jahren erklärte der amerikanische Bodybuilder Bernarr Macfadden seine körperliche Fitness damit, dass er sich ausschließlich von Milch ernähre. Tatsächlich galt Milch bis vor nicht allzu langer Zeit noch als wahres Wunder-Nahrungsmittel, von dem man nie genug konsumieren könne - selbst die ungesündesten Produkte klangen in der Werbung supergesund, wenn man ihren Milchgehalt hervorhob. Inzwischen ist die Frage, ob man überhaupt das Recht habe, Tiermilch zu sich zu nehmen, allerdings zu einer hitzigen Grundsatzdiskussion verkommen - neben dem fragwürdigen gesundheitlichen Aspekt wird oft auch die Klimaschädlichkeit und Tierfeindlichkeit des Milchverzehrs diskutiert. Ein weiteres Diät-Wundermittel, das in den 1930ern erstmals propagiert wurde und sich in den 1950ern als "Hollywood-Diät" etablierte, war die Grapefruit - diese soll nach damaliger Überzeugung ein spezielles, Fett verbrennendes Enzym besitzen, weshalb man zu jeder Mahlzeit eine essen soll. Heute vermutet man, dass der hohe Wasseranteil dieser Zitrusfrucht als natürlicher Appetitzügler fungiert - ob das wirklich stimmt, kann ich allerdings nicht sagen.

Neben Arzneimitteln gibt es natürlich schon seit längerem allerlei andere "Tools", welche Gewichtsverlust versprechen, ohne sich besonders anstrengen zu müssen - so gab es in den 1930er Jahren eine Seife, die bei ihrer Anwendung Gewichtsverlust versprach. Noch heute findet man beim Googlen allerlei Seifen, die Fettverbrennung oder die Reduktion von Cellulite versprechen. Dass das jemals geholfen hat, wage ich allerdings stark zu bezweifeln. Manchmal gab es Angebote im Teleshopping, die mich sehr amüsiert haben - etwa die schlank machende Hautcreme, das Schlankheitsbad oder die Kräuterpillen für die Bikinifigur. In den 1950er Jahren kam außerdem das Vibationsband in Mode, welches neben verbessertem Stoffwechsel, mehr Energie und Muskelentspannung auch Gewichtsverlust versprach - leider eine Behauptung ohne Substanz. Ich erinnere mich auch noch an diesen Vibrationsgürtel, mit dem man einfach und bequem zum Waschbrettbauch kommen sollte. Naja, wenigstens die Videos sahen lustig aus.

Die Krautsuppendiät kam ebenfalls in den 1950ern auf, ist aber immer wieder mal im Trend - ich kann mich noch mit meiner Nase daran erinnern. Dabei ernährt man sich über mehrere Tage hinweg größtenteils von einer minestroneartigen Krautsuppe und darf dann nach und nach zusätzlich auch noch andere Lebensmittel essen. In meinem Umfeld schlossen sich vor allem Mütter, darunter auch meine, diesem Trend an, um ein paar Kilos zu verlieren - das Resultat sind jedoch Blähungen, Kreislaufprobleme und Lethargie, darüber hinaus gewöhnt sich der Körper mit der Zeit auch an diese Ernährung, was die Effektivität reduziert.

In den 1960er Jahren löste die makrobiotische Ernährungslehre nach Georges Oshawa vor allem in Hippie-Kreisen einen Hype aus - prominente Verfechter der Makrobiotik waren etwa John Lennon und Yoko Ono. Oshawa entwickelte diese Ernährungsphilosophie Anfang des 20. Jahrhunderts, die sich vor allem an den taoistischen Konzepten des Yin und Yang orientierte und nach strengen Regeln funktioniert - und sehr viel Esoterik beinhaltet, zu der ich ja bekanntlich ein tief sitzendes Misstrauen hege. Und das nicht ohne Grund: Auch Oshawas Lehre beinhaltet gefährliche Schwurbelei, etwa die Behauptung, man könne alle Krankheiten durch die richtige Ernährung heilen - so propagierte der Ernährungswissenschaftler Michio Kushi in den 1980er Jahren die Vorbeugung und Heilung von AIDS durch makrobiotische Ernährungsweise, während Oshawa selbst die Existenz von Viren und Bakterien leugnete. Die Grundlage der makrobiotischen Ernährung bilden vor allem Vollkornprodukte und ungeschälter Reis, außerdem Hülsenfrüchte, Soja und Algen, gegessen wird hauptsächlich regional und saisonal; zu meiden sind vor allem Zucker, Milchprodukte, Alkohol, Koffein, Fleisch und verarbeitete Lebensmittel, außerdem bestimmte Obst- und Gemüsesorten. Natürlich hat die makrobiotische Ernährungsweise gewisse Vorteile - etwa den Verzicht auf Alkohol und Zucker sowie die Entwicklung eines gesunden Körpergefühls -, allerdings kann die doch sehr willkürliche Auswahl erlaubter Lebensmittel zu Mangelerscheinungen führen, weshalb diese Diät vor allem für Kinder ungeeignet ist. Außerdem ist die Annahme, man könne mit dieser Ernährung alle Krankheiten heilen, nicht nur falsch, sondern auch gefährlich - und für mich Grund genug, die Finger von einer solchen Philosophie zu lassen.

Um 1970 wurde eine Abnehm-Methode populär, die unter anderem auch Elvis Presley praktiziert haben soll: die "Dornröschen-Diät". Für Faultiere wie mich klingt das erst mal perfekt: Wer viel schläft, hat wenig Zeit zum Fressen, also schlaf dich schlank! Dem damaligen Trend folgend, wurde dafür auch mit einem haarsträubenden Cocktail aus stark abhängig machenden Schlaftabletten und Beruhigungsmitteln nachgeholfen. Und obwohl auch der rein quantitative Erfolg bis heute nicht nachgewiesen werden kann, taucht dieser Trend tatsächlich bis heute immer wieder auf. Nun ist es ja keineswegs falsch, dass ausreichend Schlaf durchaus zu einem gesunden Lebensstil dazugehört - Anhänger der Dornröschen-Diät versetzen sich jedoch in einen bis zu 20 Stunden dauernden Medikamentenschlaf. Zudem ist die daraus resultierende soziale Isolation ein Indikator für psychische Erkrankungen wie Depressionen, welche wiederum zu Essstörungen führen können. Kein Wunder also, dass die Dornröschen-Diät vor allem in diversen Pro-Ana-Kreisen sehr beliebt ist.

1977 gründete Sim Daniel Abraham die Marke Slim-Fast, welche vor allem Shakes in Pulverform zum Anrühren, mittlerweile aber auch Riegel herstellt, welche ganze Mahlzeiten ersetzen sollen. Dies kommt wohl vor allem den coolen Influencern und vor allem Innen zugute, welche laut ihrer Tutorials ohnehin keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen: Trotz der Warnung vor dem drohenden Jo-Jo-Effekt ist diese nicht sehr preiswerte Methode also heute noch hoch im Kurs. In den 1980er Jahren machte jedoch ein New-York-Times-Bestseller die sogenannte "Beverly-Hills-Diät" bekannt: The Beverly Hills Diet der amerikanischen Autorin Judy Mazel. Diese propagierte ein Sechs-Wochen-Programm, in dem nur bestimmte Lebensmittel in bestimmten Kombinationen gegessen werden dürfen. Schon damals wurde sie jedoch stark kritisiert, da sie komplett nachgewiesenen medizinischen Erkenntnissen widerspräche und darüber hinaus zu Mangelerscheinungen sowie immensem Wasserverlust führen könnte. Ebenfalls in den 1980ern kam die "Steinzeitdiät" auf, die vor kurzem unter dem Namen "Paleo-Diät" wieder auftauchte - diese propagiert die Ernährungsweise unserer evolutionären Vorfahren und empfiehlt, nur Lebensmittel zu essen, welche schon zu Höhlenmenschen-Zeiten verfügbar waren, also Obst, Gemüse, Nüsse, Fleisch und Wurzeln. Ganz abgesehen davon, dass diese Ernährung sowohl zeitaufwändig als auch unausgewogen ist, ist auch unsere Lebensweise heute eine ganz andere als im Paläolithikum, und darüber hinaus kann man die damaligen Erzeugnisse der Natur nicht mit unseren bis heute kultivierten Rohstoffen vergleichen.

In den 1990er Jahren trendete die Angst vor dem bösen Fett, nachdem die Verbindung zwischen Cholesterin und Herzkrankheiten nachgewiesen worden war. Vor allem die Snack-Industrie sprang auf den Hype auf und warb mit Low-Fat- bzw. Light-Versionen beliebter Produkte - da der Geschmack aber bei diesen Snacks vor allem im Fett liegt, musste der fehlende Geschmack durch Zusatz von Zucker, Salz oder Maissirup ausgeglichen werden, was bekanntlich zu ganz anderen Problemen führt. Um 2000 herum war dann die Rohkost-Diät im Trend, die vor allem kochfaulen Sex-and-the-City-Tussis zugute kam, da sie auf der Annahme basiert, dass ungekochtes Essen für den Körper am Gesündesten sei. Allerdings neigten dabei natürlich viele Rohköstler zur Übertreibung - so kann der Verzehr von rohem Fleisch durch Keime potenziell gefährlich werden. Auch Saftkuren sind immer wieder mal beliebt, beispielsweise unter Trendwörtern wie "Cleansing": Dabei werden über mehrere Tagen alle Mahlzeiten durch Säfte ersetzt, die angeblich nicht nur Vitaminbomben sind, sondern auch den Darm reinigen und den Körper von Schadstoffen befreien sollen. Häufig sollen dafür natürlich spezielle, überteuerte Säfte gekauft werden - man muss ja die Industrie ankurbeln! Nun wissen wir ja mittlerweile, dass es so etwas wie "Schlacken", also ungewollte Schadstoffe, die man aktiv aus dem Körper herausbekommen muss, nicht gibt - alles, was man für eine Entgiftung braucht, sind gesunde Organe wie Leber und Nieren. Natürlich führt eine Saftkur auch zu vorübergehendem Gewichtsverlust - allerdings verliert man dabei natürlich hauptsächlich Wasser. Wer also rein aus Prinzip ein paar Safttage einlegen will, kann das ruhig machen - allerdings solltet ihr euch davon keine Wunder versprechen.

Eine ziemlich skurrile Art, trotz Nährstoffmangel ein Sättigungsgefühl vorzutäuschen, wurde in den 2010er Jahren vor allem in Online-Chats propagiert: das Schlucken von Wattebäuschen, die zuvor in Wasser oder kalorienarmen Fruchtsaft getaucht wurden. Da die Watte unverdaulich ist, liefert sie keine zusätzlichen Kalorien, dafür dämpfen sie das Hungergefühl. Allerdings enthalten nur die teuersten Marken reine Baumwolle - billigere Produkte bestehen aus chemisch gebleichtem Polyester mit vielen Chemikalien und einem Haufen Mikroplastik. Doch nicht nur das - der Verzehr von Watte kann zu einer Verstopfung des Magen-Darm-Trakt führen, was mitunter lebensbedrohlich sein kann. Sehr beliebt ist der Verzehr von Watte vor allem bei Personen, die aus beruflichen Gründen schlank bleiben müssen, beispielsweise Models - aber auch bei Menschen, deren Selbstwertgefühl von einem möglichst niedrigen Gewicht abhängt.

Ein weiteres, rein esoterisches Konzept, um die Nahrungsaufnahme zu reduzieren oder gar ganz einzustellen, ist der sogenannte "Breatharianism", welcher suggeriert, dass der Mensch notwendige Nährstoffe ausschließlich aus Licht beziehen könne. Da der Verzicht auf feste und flüssige Nahrung über einen längeren Zeitraum hinweg jedoch bekanntlich kein gutes Ende nimmt, gibt es unter Gläubigen bereits mehrere Todesopfer. Zudem ist nicht ganz klar, was Anhänger des "Lichtfastens" überhaupt meinen, wenn sie von "Lichtnahrung" sprechen. Als Argument wird häufig auch die pflanzliche Photosynthese angeführt - ohne zu bedenken, dass Menschen nun mal keine Pflanzen sind und mangels Chlorophyll daher auch gar nicht zu Photosynthese fähig sind. Zudem ist die Behauptung derer, die erzählen, sie hätten sich seit soundsovielen Jahren nur von Licht ernährt, entweder unbelegt oder sogar widerlegt - die Leute, die diese Anweisung wörtlich nahmen und das "Lichtfasten" durchzogen, haben nicht überlebt - bekannte Fälle sind etwa der 31jährige Münchner Timo Degen, der 1997 nach zwölf Hungertagen ins Koma fiel und sich dabei tödliche Kopfverletzungen zuzog sowie der 22jährige Hamburger Finn Bogumil, welcher den pseudowissenschaftlichen Dokumentarfilm Am Anfang war das Licht gesehen hatte und Ende 2017 auf der karibischen Insel Dominica verhungerte. Und wenn das wirklich funktionieren würde, warum gibt es auf dieser Welt überhaupt Hungerkatastrophen?

Es ist nun schon gut hundert Jahre her, dass die  meisten Frauen aufgehört haben, ihre Oberkörper in möglichst enge Korsetts zu schnüren, um die lange Zeit beliebte "Sanduhrfigur" zu pflegen - ganz aufgehört hat diese Methode, eine möglichst schmale Taille zu erhalten, jedoch nie: So wurde auf Instagram vor einigen Jahren der sogenannte "Waist Trainer" populär, der im Prinzip nichts anderes ist als ein modernes Korsett und der vor allem von den Kardashian-Schwestern, die ja schon seit längerem als figürliches Vorbild gelten, angepriesen wurde. Auch er schürte die Hoffnung, eine möglichst schmale Taille zu zaubern - kann aber, genauso wie frühere Korsetts, zu einer Schädigung der Organe führen. Zudem darf man auch nicht vergessen, dass die Kardashians ihre berühmten Figuren sowohl durch hartes Training als auch durch operative Nachhilfe geformt haben.

Ein sehr bedenklicher Trend geht momentan jedoch in Richtung "Abnehmspritze" - klingt doch himmlisch, nicht wahr? Anstatt mühsam an sich selbst zu arbeiten, einfach nur Ozempic bzw. Wegovy spritzen lassen - und schon purzeln die Kilos! Tja, wenn es so einfach wäre - nicht nur, dass Leute sich bedenkenlos ein Präparat spritzen lassen, ohne sich über die Nebenwirkungen Gedanken machen, während noch kürzlich wegen einer gewissen Impfung endlos herumgeheult wurde: Man nimmt auch Diabetes-Patienten ein Medikament weg, das ihnen das Leben erheblich erleichtert, nur damit man in das schicke neue Kleid passt. Darüber hinaus wird häufig verschwiegen, dass die "Abnehmspritze" zwar auch bei Adipositas-Patienten angewendet wird, aber nur in Verbindung mit gesünderer Ernährung und mehr Sport zu nachhaltigem Erfolg führt. Stattdessen greifen vor allem Celebrities ohne wesentliches Übergewicht vermehrt zu dem angeblichen Wundermittel - und wundern sich (Wortspiel, haha!), dass ihnen davon schlecht wird. Ich verstehe, wenn man bei sehr adipösen Patienten auf solche Mittel zurückgreift, aber kranken Menschen die Medikamente wegnehmen, um mal so easy peasy ein paar überflüssige Pfunde loszuwerden - dafür fehlt mir dann doch die Toleranz.

Ihr erkennt also - es führt kein Weg an einer langfristigen Umstellung des Lebensstils vorbei, leider! Und ganz ehrlich - viele dieser Diäten klingen doch nicht wirklich gesund oder attraktiv, findet ihr nicht? Nun möchte ich mich für heute verabschieden und hoffe, dass wir uns bald wieder lesen - und fangt inzwischen keine komische Diät an! Bon voyage!

vousvoyez

Mittwoch, 24. Januar 2024

Das ist keine Kunstperformance für Grundrechte, das ist der Betriebsausflug des Arlequin-Kasperltheaters

Foto von David Holifield auf Unsplash

Was den Deutschen die Augsburger Puppenkiste, ist uns das Arlequin-Kasperltheater - eine Institution, welche die Kindheit von Generationen geprägt hat. Das Niveau der Kunstperformances mit den Schutzanzügen und weißen Masken bei den Corona-Demos  hat mich damals ein wenig daran erinnert - allerdings muss man den Teilnehmern zugute halten, dass sie auf Gebrüll und Gepöbel wenigstens verzichtet haben. Wären alle Demos so abgelaufen, wären sie weitaus erträglicher gewesen.

Nun haben wir das ja alles zum Glück schon hinter uns, auch wenn die Zeiten nach wie vor nicht leicht sind und Leute aktuell wegen allem möglichen auf die Straße gehen. Und leider scheint es für manche wieder normal zu sein, gegen Juden zu hetzen. In meinem letzten Artikel habe ich mich ein wenig mit den Hintergründen des aktuell grassierenden Antisemitismus auseinandergesetzt, heute aber will ich konkreter auf die verschiedenen Unterarten und ihre Methoden eingehen. Wenn wir uns die aktuell stärksten antisemitischen Strömungen ansehen, dann können wir feststellen, dass diese aus insgesamt drei ideologischen Richtungen kommen. Am bekanntesten sind uns hierbei mit Sicherheit die antisemitischen Aspekte des Rechtsradikalismus; daneben ist Antisemitismus allerdings auch in radikal-islamistischen Kreisen sehr präsent, ebenfalls wie in bestimmten linksradikalen Ideologien. Die Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank unterscheidet wiederum drei zeitlich initiierte antisemitische Strömungen: Einerseits den "klassischen" Antisemitismus, dem ich mich in meinem schon erwähnten Artikel bereits gewidmet habe und welcher größtenteils auf uralten Vorurteilen basiert; außerdem den Post-Holocaust-Antisemitismus, der vor allem das Leid der Opfer verharmlost oder gar leugnet; und nicht zuletzt den israelbezogenen Antisemitismus, der aktuell wieder sehr beliebt ist und sich vor allem in als Israelkritik getarntem Judenhass manifestiert. Im Rahmen dieses Artikels möchte ich, so gut es mir möglich ist, auf all diese Aspekte eingehen, indem ich einige Vorurteile und Behauptungen behandle, welche uns bei diesem Thema immer wieder begegnen.

Eines der hartnäckigsten klassischen Vorurteile ist, dass alle Juden reich oder zumindest geldgierig seien - wie schon in meinem ersten Artikel über Antisemitismus erklärt, geht dieses bis ins Mittelalter zurück, als viele von ihnen mangels anderer Möglichkeiten ihren Lebensunterhalt im wenig angesehenen Geldwesen bestritten. Seit damals zieht sich das Motiv des habgierigen, hinterlistigen Juden durch alle historischen Epochen und wird natürlich auch heute noch sehr fleißig reproduziert. Außerdem ist es eng verknüpft mit dem Narrativ der jüdischen Weltverschwörung, welches bis heute in gewissen Kreisen ebenfalls sehr präsent ist - obgleich die Chiffren sich vor allem nach Ende der Shoah verschoben haben, so dass viele antisemitisch motivierte Verschwörungsmythen heutzutage nicht mehr so leicht als solche zu erkennen sind. Ein sehr altes Motiv ist in diesem Zusammenhang die im 19. Jahrhundert etablierte Erzählung, laut derer die Welt heimlich von der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild gelenkt würde - eine Behauptung, welche den beliebten Verschwörungsmythos einer kleinen Elite bedient, welche Macht über Medien und Politik oder gar die Weltherrschaft innehabe. Eine sehr dankbare Quelle, wenn es um Phantasien einer "jüdischen Weltverschwörung" geht, sind vor allem die von mir ebenfalls schon erwähnten Protokolle der Weisen von Zion, ein Pamphlet aus dem zaristischen Russland des frühen 20. Jahrhunderts, auf welches sich bis heute gerne bezogen wird, selbst wenn sein Inhalt schon kurz nach seinem erstmaligen Erscheinen als rein fiktional entlarvt worden war. Ein sehr altes Symbol dieser Erzählung ist übrigens das erstmals 1938 eingesetzte Bild des Kraken, welches aktuell leider auch von Greta Thunberg und anderen Fridays-for-Future-Aktivist:innen unreflektiert verbreitet wird, was meinem Respekt für diese Bewegung einen ordentlichen Dämpfer versetzt hat.

Nun wissen wir, dass das Märchen von der jüdischen Weltverschwörung eines der wesentlichen Rechtfertigungen für antisemitische Gesetze im Dritten Reich und in der Folge auch für die Shoah ist. Mit dieser schweren historischen Last im Hinterkopf kann man heutzutage selbstverständlich nicht mehr offen über eine jüdische Weltverschwörung phantasieren; an Chiffren, die genau diese Behauptung aufgreifen, mangelt es jedoch nicht: so wird gerne von der "Hochfinanz", "Globalisten", "raffgierigen Bankern" oder der "Ostküste" gesprochen. Gemeint ist hier die Ostküste der USA, speziell New York City, welches in Kreisen jener, die diesem Verschwörungsmythos anhängen, gerne als vermeintliches Zentrum des jüdisch beherrschten Weltkapitals genannt wird.

Damit einher geht auch die Behauptung, "die Juden" würden nicht nur die Welt beherrschen, sondern diese auch bewusst ins Unglück stürzen wollen. Auch diese Tendenz, ihnen die Schuld an allem Übel dieser Welt zu geben, ist sehr alt - denken wir nur an die Brunnenvergifter-Geschichte aus dem Mittelalter, welche die Juden für die Pest verantwortlich machte. Und auch die Schuld an der Corona-Pandemie wurde in manchen Communities auf die Juden abgewälzt - so trendete im Frühjahr 2020 eine Zeitlang vor allem auf Twitter (today superfluously known as X) der Hashtag #Covid1948, ein Datum, welches sich auf das Gründungsjahr Israels bezieht, in Wirklichkeit aber ebenfalls schon auf eine viel ältere Strategie zurückgeht, welche Juden entweder für Seuchen verantwortlich macht oder sie gar mit diesen gleichsetzt, sie also dämonisiert oder gar entmenschlicht. Eng verknüpft ist damit natürlich auch die Ritualmordlegende, welche uns schon in meinen Artikeln über QAnon oder die Satanic Panic begegnet ist. Sie hat ihre Ursprünge bereits im 12. Jahrhundert und baut auf jenem Thema auf, welches besonders stark emotionalisiert und deshalb auch sehr beliebt (und gleichzeitig wahnsinnig ekelhaft) ist, nämlich auf der Angst um das Wohlergehen von Kindern. So werden die Juden schon seit gut einem Jahrtausend immer wieder gerne als Kindermörder dargestellt, aktuell auch im Zusammenhang mit der Israel-Offensive im Gazastreifen, dessen Bevölkerung zur Hälfte noch nicht volljährig ist. Das soll das Leid von Kindern in dieser Region weder negieren noch minimieren - aber natürlich wird auch hier über die Maßen emotionalisiert, beispielsweise durch TikTok-Videos von leidenden Kindern, die teilweise durchaus echt, teilweise aber auch KI-generiert sind, aber auch über die Dämonisierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, welcher als skrupelloser Kindermörder dargestellt wird. All dies bedeutet nicht, dass man Netanjahu nicht kritisch gegenüberstehen darf, und auch das Leid der Kinder in Gaza ist, wie schon gesagt, unbestritten - allerdings gehört es zur anti-israelischen Propaganda dazu, dass die quantitative Anzahl künstlich in die Höhe getrieben wird, indem man Personen über vierzehn, teilweise sogar über achtzehn Jahre ganz locker-flockig zu den "Kindern" dazurechnet. All dies sollte jedoch nicht die Verteufelung der gesamten israelischen Bevölkerung oder gar aller Juden dieser Welt rechtfertigen, ebenso wenig wie die Behauptung, die Ermordung von Kindern sei das Hauptmotiv der Israelis. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass auch israelische Kinder Opfer der Terroranschlage der Hamas geworden sind - teilweise sogar ganz gezielt. Und dass die Hamas die palästinensische Bevölkerung als Schutzschild missbraucht - für sie sind möglichst viele tote Kinder wünschenswert, weil ihnen das die Dämonisierung der Israelis erleichtert.

Wir stellen also fest - antisemitische Verschwörungsmythen bedienen nicht nur Vorurteile, sondern bauen ein ganzes Weltbild mit einem sehr plakativen Gut-Böse-Schema auf. Dazu gehört, wie schon gesagt, auch die Entmenschlichung von Juden, welche als Ratten, Schweine oder Ungeziefer, teilweise sogar als Viren oder gar Krebsgeschwüre bezeichnet und/oder dargestellt wurden und werden. Natürlich sind die Algorithmen der meisten Social-Media-Kanäle so konzipiert, dass eindeutig antisemitische Codes tendenziell schnell erkannt und entfernt werden - aber findige User haben natürlich ihre eigenen Methoden, um ihre Motive zu verschleiern und ursprünglich harmlose Emojis in antisemitischem bzw. NS-verherrlichendem Kontext zu missbrauchen. Beliebt ist etwa die Nebeneinanderstellung zweier aufsteigender Börsenkurse, welche als verschlüsselte Darstellung einer SS-Rune verwendet wird und gleichzeitig das Ostküsten-Motiv bedient, außerdem das Nebeneinander-Posten einer Nase und eines Geldsacks, welches nicht nur auf die vermeintliche Geldgier der Juden anspielt, sondern auch auf die bekannten judenfeindliche Karikaturen, welche Juden gerne mit überlangen Nasen darstellen, oder das Posten eines Duschkopfes unter dem Post einer Person jüdischer Herkunft, welcher auf die Gaskammern im Holocaust anspielt.

Anspielungen auf die Shoah sind ganz allgemein ein Kennzeichen des Antisemitismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Umgang mit jener erfährt dabei mehrere Abstufungen: So gibt es die, welche den Holocaust leugnen ("Holocaust-Lüge"), was in Deutschland und Österreich als Straftat gehandelt wird, in den USA allerdings nicht; daneben gibt es jene, die den Holocaust relativieren, indem sie beispielsweise behaupten, damals seien weitaus weniger als 6 Millionen jüdische Menschen ermordet worden, obwohl diese Zahl eigentlich ziemlich gut belegt ist. Häufig wird stattdessen etwa die Zahl 271.000 angeführt - diese bezieht sich auf ein Dokument des Roten Kreuz aus dem Jahr 1979, welches ausschließlich Opfer anführt, von denen eine Sterbeurkunde existiert: Es leugnet allerdings nicht die Existenz der übrigen Opfer. Daneben gibt es auch noch diejenigen, welche den Schuldigen am Holocaust Absolution erteilen wollen: Sie sprechen von einem "Schuldkult", wollen ausschließlich stolz auf die positiven Errungenschaften der Geschichte sein, die es zweifelsohne auch gibt, ohne sich mit den negativen Aspekten der Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen, bezeichnen Mahnmale als "Denkmal der Schande" und den Mord an 6 Millionen Juden als "Vogelschiss". Aber es gibt auch noch eine Steigerung der Geschmacklosigkeit, nämlich diejenigen, welche den Holocaust toll und lustig finden. Häufig wird Juden auch vorgeworfen, sie hätten den Holocaust erfunden, um davon zu profitieren, etwa um Kritik an Personen jüdischen Glaubens zu verunmöglichen. Beliebt ist auch die Täter-Opfer-Umkehr, bei der behauptet wird, die Juden seien selbst schuld am Holocaust gewesen, oder sie seien selbst schuld am heutigen Antisemitismus - so werden im aktuellen Nahost-Konflikt Israelis schon mal ganz locker von so sympathischen Figuren wie Arafat Abou Chaker mit den damaligen Nazis gleichgesetzt, während Palästinenser als die "neuen Juden" gehandelt werden.

Auffällig ist seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober letzten Jahres die Verschiebung des Antisemitismus in Richtung des islamistischen Lagers, welche auch Einfluss auf einige Gruppierungen hat, die sich selbst als "linksextrem" bezeichnen. Diese betrachten sich vor allem als anti-zionistisch - ohne zu berücksichtigen, dass Kritik an der Politik Israels sehr wohl auch ohne Antisemitismus möglich ist. Eine wirksame Methode, das eine vom anderen zu unterscheiden, ist der von mir schon erwähnte 3D-Test, welcher 2003 formuliert wurde: die Überprüfung kritischer Statements auf Doppelstandards (wird hier mit zweierlei Maß gemessen?), Delegitimierung (wird Israel das Existenzrecht abgesprochen?) und Dämonisierung (werden Israelis als das absolute Böse dargestellt?). Als weiteres "D" könnte man auch noch die De-Realisierung nennen, also die Verfälschung der Geschichte. Ein wesentliches Merkmal, dem man heute immer wieder begegnet, ist allerdings die Gleichsetzung aller Juden mit Israel, die heute vermehrt mit alten den Stereotypen konfrontiert werden - vor allem auf Social Media. Gleichzeitig wird das Symbol der Israel-Flagge mit Emojis wie der Flamme, der Toilette oder Klopapier, dem Schuh, Geldsack, Dollarschein, dem Kotz- oder Kack-Smiley oder der Nase kombiniert. In Videos wird Israel das Existenzrecht abgesprochen, der Nahost-Konflikt und vor allem die Nakba werden absichtlich falsch gedeutet, und man unterschlägt historische Fakten, um Juden als Eindringlinge darzustellen. Ein beliebter Spruch auf Demos ist "from the river to the sea", häufig mit dem Zusatz "palestine will be free". Gemeint ist damit das Gebiet zwischen Jordan (river) und Mittelmeer (sea); der Satz wurde in den 1960er Jahren von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) geprägt und bedeutet nichts anderes als die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus dem Gebiet Israels.

Gleichzeitig wird auch gern so getan, als sei Kritik an Israel generell verboten, und Leute prophezeien Zensuren, wo gar keine stattfinden - das kennen wir ja auch von diversen Verschwörungsgläubigen. Als Grund für dieses angebliche Kritikverbot wird natürlich der Holocaust angegeben, welcher Juden generell die Absolution erteile, selbst wenn dies zu Lasten anderer gehe. So ist Israelkritik ein willkommener Vorwand für Antisemitismus und die Relativierung des Holocaust, indem man die Palästinenser mit den Opfern dieses vergleicht. So kursieren aktuell auch viele Schlagworte, welche der Situation zwar überhaupt nicht gerecht, dafür aber häufig unreflektiert übernommen werden. Dazu gehört etwa der von Amnesty Interantional formulierte Begriff "Apartheid". Historisch beschreibt dieser die Trennung der Bevölkerung Südafrikas nach Hautfarben bei gleichzeitiger Dominanz durch den eingewanderten Teil aus rassistischen Motiven. Nun kann man nicht generell sagen, dass Rassismus in Israel nicht existiere - eine legale Unterdrückung der arabischen Bevölkerung nach südafrikanischem Vorbild gibt es dort allerdings nicht: so sind im israelischen Parlament durchaus auch Araber vertreten. Ein weiterer Begriff, welcher historische Fakten verdreht, ist das Wort "Kolonialismus", welches die Unterwerfung und Ausbeutung eines fremden Landes bezeichnet. Israel war jedoch als Schutzraum für Juden nach dem Holocaust gedacht, und selbst wenn des dabei nicht immer gerecht zuging, war das Ziel doch nie die Unterdrückung der Palästinenser. Der dritte Begriff, welcher an der Realität vorbeigeht, ist der des "Genozids"; natürlich passieren in einem Krieg auch Kriegsverbrechen, weshalb ich die Definition eines "gerechten Krieges" auch ablehne - das Ziel dieses Krieges ist jedoch nicht die generelle Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung, sondern die Ausschaltung der Hamas.

Halten wir also fest: Wir alle machen Fehler, und wenn man mal versehentlich einen antisemitischen Begriff nutzt, heißt das noch lange nicht, dass man generell antisemitisch eingestellt ist - möglicherweise wusste man es nicht besser, und der antisemitismus hat sich so sehr in unserer Sprache und Gesellschaft festgesetzt, dass solche "Schnitzer" mit Sicherheit jedem schon passiert sind. Eines sollte aber klar sein: Kommentare wie "free Palestine" haben unter Artikeln, welche über die Shoah aufklären sollen, oder Posts von Personen jüdischen Glaubens nichts zu suchen - das sollte, denke ich, jedem einleuchten, selbst wenn er (sie, es) meine Meinung nicht teilt -, ebenso wenig wie Davidsstern-Symbole auf Hausmauern oder antisemitische Parolen auf Demonstrationen. Und den Tod von Menschen jüdischen Glaubens zu feiern ist ebenso unangebracht wie Rassismus gegen Muslime. Vor allem aber reicht es nicht, nur im Internet Haltung zu zeigen: Noch wichtiger ist es, draußen in der realen Welt Stellung zu beziehen. Denn "nie wieder" darf keine hohle Phrase bleiben.

vousvoyez


https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-10/nahost-glossar-israel-palaestinenser-geschichte

https://www.juedische-allgemeine.de/meinung/die-menschen-in-gaza/

https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/faktencheck-lanz-precht-110-ueber-israel-den-gazastreifen-und-orthodoxe-juden/


Montag, 15. Januar 2024

Wir möchten uns nicht schuldig fühlen für etwas, das in ferner Vergangenheit geschehen ist, aber wir wollen stolz sein auf das, was in noch fernerer Vergangenheit geschah

Foto von Joshua Sukoff auf Unsplash

Und leider bringen wir es bis jetzt nicht zusammen, beide Seiten unserer Geschichte gleichermaßen als gegeben zu akzeptieren - aus diesem Grund landet man ja heutzutage auch so schnell im rechten Eck, sobald man den Verdacht erregt, dem Heimatbegriff ein wenig zu viel Bedeutung beizumessen. Denn auch das schaffen wir aktuell nicht: heimatverbunden zu sein, ohne Leute, die eine andere Heimat ihr eigen nennen als wir, herabzusetzen, weil sie eine andere Heimat ihr eigen nennen als wir. Nun können wir uns ja durchaus darüber einig sein, dass es weder ein Verdienst noch ein Verbrechen ist, in einem Land geboren worden zu sein, da man selbst ja nichts dazu beigetragen hat - aber es ist doch nichts verkehrt daran, für diesen vollkommenen Zufall dankbar zu sein, vorausgesetzt natürlich, man hat nicht etwa in einem Tunnel im Gaza-Streifen das Licht der Welt erblickt oder am Rande eines aktiven Vulkans. Wenn man aber, wie ich, vergleichsweise noch auf Rosen gebettet wurde, ist eine gewisse Dankbarkeit durchaus angebracht, auch wenn angesichts der aktuellen politischen Verhältnisse mein innerer Thomas Bernhard Amok laufen will. Aber ich hab das, glaube ich, ganz gut gelöst: Ich schaue nämlich nach den Nachrichten immer einen Horrorfilm - so beruhige ich mich am besten.

Ja, nach dem unproduktivsten Jahr in der Geschichte dieses Blogs lesen wir uns jetzt endlich wieder - ich kann nicht sagen, ob 2024 besser, gleich schlecht oder gar noch schlechter wird als 2023, aber nachdem ich jetzt genügend Zeit hatte, meine Wunden zu lecken, hoffe ich doch sehr stark, dass Ersteres zutrifft. Wobei das ja jetzt auch nicht sonderlich schwer sein dürfte - zumal der Grund für meine Unproduktivität ja keineswegs die Ereignislosigkeit des vorigen Jahres war. Beispielsweise ist mir aufgefallen, dass die Anzahl der Vulvenwitze in letzter Zeit explodiert zu sein scheint. Und nein, keine Sorge, zu solchen Witzen werde ich mich auch jetzt nicht herablassen - ich fürchte allerdings, wir werden uns angesichts des neuen Hobby-Trends meiner Geschlechtsgenossinnen, ganz viele total witzige "Hihi-ich-mache-Witze-über-Genitalien-ich-bin-total-versaut-und-crazy"-Witze zu erzählen, in Geduld üben müssen: Immerhin waren die weiblichen Geschlechtsorgane vor noch nicht allzu langer Zeit dermaßen tabu, dass ich als Kind noch nicht mal ein Wort dafür hatte. Aber um Entgleisungen dieser Art soll es heute noch nicht gehen - stattdessen möchte ich das neue Jahr mit einer Korrektur beginnen, die sich angesichts des Weltgeschehens nahezu aufdrängt.

Vor etwas mehr als zwei Jahren habe ich mich bereits mit einem Thema auseinandersetzt, welches aktuell leider wieder präsenter geworden ist - nämlich dem Antisemitismus. Ich habe mich dabei vor allem auf die historische Entwicklung bezogen und bin nebenbei auf die Angriffsgeschichte von Gil Ofarim eingegangen, welche sich im Nachhinein als erstunken und erlogen herausgestellt hat. Auch der historische Abriss ist nicht ganz vollständig und korrekt - vor allem, weil ich ein ziemlich großes Kapitel einfach unterschlagen habe. Hier möchte ich korrigierend eingreifen und außerdem auch noch auf aktuelle Aspekte dieses Themas eingehen - hauptsächlich deshalb, weil momentan wieder sehr viel unreflektiert geteilt und nachgeplappert wird; teils aus reiner Unwissenheit, teils aber auch aus Ignoranz oder gar Böswilligkeit. Zur besseren Lesbarkeit möchte ich den Artikel wieder in zwei Teile aufspalten: Im ersten möchte ich vor allem auf aktuelle Ereignisse eingehen, die zu einer neuerlichen Erstarkung des Hasses gegen unsere jüdischen Mitmenschen führen, im zweiten werde ich die unterschiedlichen Strömungen des gegenwärtigen Antisemitismus behandeln.

Zuallererst muss ich mich allerdings selbst bei der eigenen Nase nehmen und bekennen, dass auch ich auf Gil Ofarims Geschichte hereingefallen bin. Ja, es tut mir Leid, auch ich gehöre in diesem Fall zu den Dummen. Ich habe einfach nicht in Betracht gezogen, dass man eine solche Geschichte einfach so erfinden und dann auch noch darauf beharren könnte, als schon längst alles darauf hingedeutet hat, dass es sich um eine Lüge handelt - und damit nicht nur tatsächlichen Opfern die Glaubwürdigkeit nimmt, sondern auch das Leben anderer Menschen durch falsche Anschuldigungen ruiniert. Und mir will nach wie vor nicht in den Kopf, was Herr Ofarim damit bezwecken wollte: Wollte er endlich mal mehr sein als nur ein ehemaliger Bravo-Starschnitt oder hielt er sich tatsächlich für so wichtig, dass er es nicht aushielt, sich wie der ganz normale Pöbel hinten anstellen zu müssen? Ich weiß es nicht - fest steht allerdings, dass er für mich von einer Person, die mir über weite Strecken meines Lebens weitgehend egal war, zu einem Menschen wurde, den zu sehen ich absolut keine Lust mehr habe, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass sich das in absehbarer Zeit noch ändert. Aber gut - es ist wie es ist, und letztendlich ist er selbst derjenige, dem er damit am meisten geschadet hat.

Die ganze Aktion ist um so problematischer, als Antisemitismus momentan leider wieder mal ein brandaktuelles Thema ist - am 7. Oktober 2023 hat die radikal-islamistische Terror-Organisation der Hamas vom Gazastreifen aus ein Massaker unter der israelischen Bevölkerung ausgelöst. Es war die größte Vernichtung jüdischen Lebens seit dem Holocaust. Seitdem befindet sich Israel wieder mal im Kriegszustand - dem nächsten einer langen Reihe von arabisch-israelischen Kriegen. Aber es ist keineswegs der Angriff der Hamas, welcher für weltweite Proteste sorgt, sondern der Rückschlag Israels im Gazastreifen. Tatsächlich haben Gewaltakte gegen Juden wieder zugenommen, und Linke laufen widerspruchslos auf Demonstrationen von Hamas-Anhängern mit, auf denen offener Judenhass propagiert und Nazi-Parolen skandiert werden. Und das, obwohl sie doch angeblich voll total gegen Nazis sind - und auch alle als solche bezeichnen, die nicht stumpf ihre Ansichten nachplappern. Wie kann sowas nur passieren?

Ganz offensichtlich ist vielen von ihnen nicht klar, dass es sich bei der Ideologie, die sie verteidigen, um eine völkisch-nationalistische, antisemitische Blut-und-Boden-Ideologie handelt, welche ihre Ursprünge nirgendwo anders als in Nazi-Deutschland hat. Das Problem ist, dass sich viele Anhänger linker Strömungen moralisch überlegen fühlen - und wer glaubt, dass er immer Recht hat, dem fällt es natürlich besonders schwer, eigene Fehler einzugestehen und zuzugeben, dass er (oder sie oder es) auch mal im Unrecht war. Und dabei lehrt uns die Geschichte doch, dass eine Querfront aus Rechts- und Linksextremisten zu nichts Gutem führt: denn diese verhalf einst auch jemandem zum Sieg, welcher ansonsten möglicherweise ein schlechter, aber harmloser Postkartenmaler geblieben wäre.

Das aktuelle Problem ist, dass selbst jene Medien, die ansonsten als seriös wahrgenommen werden, Hamas-Propaganda weitergegeben haben - und ja, die Menge an Fake News, welche uns gerade zu diesem Thema erreicht, ist tatsächlich unüberschaubar. Deswegen möchte ich auch gar nicht auf einzelne Meldungen eingehen, sondern lediglich versuchen, das Gut-Böse-Schema, welchem viele von uns aufsitzen, ein wenig aufzubrechen. Denn natürlich plappern alle möglichen Social-Media-Helden unreflektiert nach, was so im Netz kursiert.

Momentan wird jüdisches Leben von drei Seiten massiv bedroht: Von Rechtsradikalen und Neonazis, für die "der Jude" ohnehin das personifizierte Feindbild ist; von islamistischen Fundamentalisten, welche sich auf ihren Glauben berufen, selbst wenn dieses Ausmaß an Hass und Gewalt diesem zuwiderläuft; und von sich moralisch überlegen fühlenden Möchtegern-Linken und Pseudo-Intellektuellen, für die vermeintliche oder tatsächliche Opfer sowieso immer mit Heiligen gleichgesetzt werden - es sei denn, sie widersprechen ihnen. Und das Narrativ des Nahost-Konflikts passt da nur allzu gut: die bösen Israelis, die den guten Palästinensern ihr Land weggenommen haben und sich seitdem dort breit machen.

Dabei ist die Geschichte bei weitem nicht so einfach, wie sie dargestellt wird. Das fängt schon mit Begriffen wie "Palästina" oder "Zionismus" an: Viele berufen sich auf den Begriff "Zionismus", um ihren Antisemitismus zu rechtfertigen, und stellen diesen als etwas ganz Böses dar - obwohl es im Prinzip um nichts anderes geht als um das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat, welcher gewährleistet, dass Juden nicht mehr von der Gnade anderer abhängig sind, eine Idee, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Ebenso wird gerne außer Acht gelassen, dass es nie einen Staat gab, der Palästina hieß - das historische Palästina war eine römische Provinz, welche ursprünglich Gebiete im heutigen Israel und Jordanien bezeichnen. Nach dem Fall des Römischen Reiches gab es keine Region mehr, die diesen Namen trug - erst um 1920 wurde er von den Briten wiederbelebt, als diese das Mandatsgebiet Palästina ausriefen: Ein palästinensisches Volk gab es allerdings niemals - erst 1964 erfolgte die Definition eines solchen durch Jassir Arafat, welcher mit dem Begriff eine "reinrassige" arabische Bevölkerung definierte und gleichzeitig Christen und Juden das Recht auf ihr Land aberkannte. Außerdem formulierte Ahmad Shurkeiri die palästinensische Nationalcharta, welche Waffengewalt als einzige Option zur Befreiung nannte - nicht nur in Palästina, sondern weltweit. Dies erklärt wohl auch, warum die Ermordung und Verschleppung jüdischer Menschen am 7. Oktober 2023 ernsthaft mit der Verteilung von Baklava gefeiert wurde.

In Wirklichkeit geht es darum, Juden das Recht auf Selbstbestimmung im eigenen Land zu nehmen, obwohl die Gründung des Staates Israel völkerrechtlich anerkannt wurde: 1948 wurde das Gebiet des heutigen Israel offiziell an die Juden gegeben, die Araber erhielten dafür Jordanien. Außerdem wurde der Küstenstreifen zwischen Israel und Ägypten, der Gazastreifen, nach dem Ersten Arabisch-Israelischen Krieg 1948/49 zu einem Teil der palästinensischen Autonomie; da er 2007 von der Hamas okkupiert wurde, steht er seitens Israel unter Beschuss. Interessanterweise ist die israelische Armee jedoch offensichtlich darum bemüht, die zivilen Opfer so gering wie möglich zu halten - dass es diese gibt, ist unbestritten, ebenso wie unbestritten ist, dass Krieg niemals etwas Gutes ist. Es ist halt leider einfach, die Konflikte anderer im Internet auszufechten - das hat man ja auch schon beim Ukraine-Krieg gesehen, als die Leopardenpanzer auf TikTok mit Leoparden-Outfits gefeiert wurden, so als handle es sich um ein aufregendes Spiel und nicht um eine Offensive, bei der Menschen ihr Leben lassen müssen. Und da ist es auch egal, auf welcher Seite man steht: So etwas zu feiern zeugt nicht gerade davon, dass man weiß, wofür man sich da einsetzt. Genauso ist auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung nichts, was man leugnen oder gar bejubeln soll - es ist nun mal ein Krieg, egal wie man es dreht oder wendet, und Krieg verursacht immer Leid.

Das Ding ist halt, dass gerade die radikal-islamistische Terror-Einheit Hamas einen eliminatorischen Antisemitismus pflegt - ihnen geht es darum, alle Juden weltweit zu vernichten, und das kommt nicht von ungefähr: Denn die Ideologie der Shoah aus Nazi-Deutschland wurde damals auch in die arabische Welt exportiert, und bis heute hat man sich ganz offensichtlich nicht damit auseinandergesetzt. Tatsächlich habe ich schon Ausschnitte aus dem palästinensischen Kinderfernsehen gesehen, in denen antisemitische Botschaften vermittelt wurden - diese Menschen werden von klein auf manipuliert, und das schon seit Generationen. Das begann bereits 1928 mit der Gründung der Muslimbruderschaft in Ägypten und ihrer Kooperation mit dem von den Briten eingesetzten Großmufti von Israel Mohammed Amin al-Husseini - dieser suchte Hilfe bei Hitler, um die Juden aus Palästina zu vertreiben. Infolgedessen ist auch der Einfluss der Nazi-Ideologie während des Zweiten Weltkriegs auch auf das arabische Volk nicht zu unterschätzen, welcher sich mit dem Islamismus verband. Mit anderen Worten, Nazi-Deutschland und Großbritannien tragen tatsächlich auch eine gewisse Mitverantwortung am Nahost-Konflikt. Auch die 1987 gegründete Hamas fordert offen die Vernichtung aller Juden, weshalb sie die 1993 in Aussicht stehende Zweistaatenlösung ebenso ablehnte wie die rechtsradikalen Anhänger von Benjamin Netanjahu. Auch das Massaker am 7. Oktober richtete sich massiv gegen Leute, welche sich für den Frieden zwischen der jüdischen und muslimischen Bevölkerung einsetzten - einer der Schauplätze des Massakers war ein Musikfestival in der israelischen Negev-Wüste, welches als Friedensfestival gedacht war.

Wir können also zusammenfassen: Der Antisemitismus in unseren Breiten ist sowohl hausgemacht als auch importiert, und er findet im linken Spektrum ebenso statt wie im rechten. Die Behauptung, man sei nicht gegen die Juden, sondern nur gegen die Zionisten, hat sich schon deshalb als Ausrede entlarvt, weil auch Personen jüdischen Glaubens beschimpft und bedroht werden, die mit dem Nahost-Konflikt nichts zu tun haben - einfach nur, weil sie Juden sind. Edel ist es, die toten Juden aus dem Zweiten Weltkrieg zu beweinen - aber sobald sie sich zur Wehr setzen, sind sie doch wieder die bösen. Und das ist nicht erst seit 2023 zu beobachten - seit 1948 blitzen solche Tendenzen immer wieder auf, und das teilweise durchaus auch in gebildeten Kreisen. Denn die Notwendigkeit von Bildung ist zwar unbestritten, sie ist aber kein Allheilmittel: Vergessen wir nicht, dass auch Intellektuelle wie etwa Voltaire oder Luther leidenschaftliche Judenhasser waren und dass Akademiker zu den ersten gehörten, die sich 1933 mit dem NS-Staat identifizierten. Desgleichen gehören Juden- und Israelhass zusammen, denn ohne Judenhass hätte es niemals einen Zionismus gegeben: In Wirklichkeit ist Israelhass also nichts weiter als die geographische Erweiterung des altbekannten Judenhasses. Und aktuell ist dies nur eines von vielen Problemen - momentan zeigen rechtsradikale Parteien wie FPÖ und AfD ihr rassistisches, völkisch-nationales Gesicht deutlicher denn je. Und anstatt sich dagegen zu stellen, ergehen wir, die Gegenseite, uns in Grabenkämpfen - was genauso problematisch ist, denn es verhilft jenen, denen wir keine Macht zugestehen wollen, genau dazu.

Wir sehen also, dass bezüglich Israel und Palästina eine Menge Falschbehauptungen kursieren, die leider nicht immer so leicht von Fakten zu unterscheiden sind. Deswegen möchte ich in meinem nächsten Artikel auf ein paar konkretere Beispiele eingehen. Bis dahin hoffe ich, dass ihr eine gute Zeit habt und die Eiseskälte irgendwie übersteht. Bon voyage!

vousvoyez


Atlas: https://www.youtube.com/watch?v=XQGrGol-vUQ

Die da oben: https://www.youtube.com/watch?v=YkexQ7eUEeI

Tobias Huch: https://www.youtube.com/watch?v=Dbj2DVptQHQ

https://www.youtube.com/watch?v=n1TPI1IEDWc&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=132

https://www.youtube.com/watch?v=NowiEki0ElI&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=136

Rbb: https://www.youtube.com/watch?v=XfJqbLFSpNM&t=0s

Peter's Coffee: https://www.youtube.com/watch?v=LKByb8I_rXE&t=0s



Montag, 4. September 2023

Ich kann Thomas Gottschalk total gut verstehen: Seit ich das erste Mal Topfschlagen gespielt habe, weiß ich, wie Blinde sich fühlen

©vousvoyez

Nun gehöre ich ja zu denjenigen, die sich ein Wetten, dass ... ? ohne den großen Blonden niemals hätten vorstellen können. Wobei ich zugeben muss, dass ich mein Interesse an der Sendung, als er aufhörte, sie zu moderieren, schon längst verloren hatte. Die Kindheit ist halt eben doch irgendwann vorbei. Dafür sorgte der mittlerweile ältere nicht mehr ganz so junge Herr vor zwei Jahren für einen Shitstorm, als er in der - meiner Ansicht nach, so wie sie aufgezogen war, völlig überflüssigen - WDR-Sendung Die letzte Instanz auftrat. Damals kam nämlich sein Fauxpas im Jahre 2013 zur Sprache, als er sich für eine Kostümparty in Los Angeles als Jimi Hendrix verkleidete - mit schwarz geschminktem Gesicht, natürlich. Das Problem hierbei war, dass vier Personen über eine Problematik diskutierten, die sie selbst nicht betraf - und auch wenn ich der Ansicht bin, dass man Fehler aus der Vergangenheit nicht übertrieben aufbauschen muss, ist es doch befremdlich, dass jemand, der sich jederzeit wieder abschminken kann, glaubt, er weiß nun, wie es ist, schwarz zu sein, weil er sich für einen Abend mal ein Kostüm angezogen hat. Vor allem aber gab es große Empörung darüber, dass Herr Gottschalk hinterher zu dem Vorfall geschwiegen hat.

Nun wissen wir ja, dass es heutzutage Leute gibt, die sehr empfindlich sind, wenn es um marginalisierte Gruppen geht - doch obgleich ich selbst Kritik an meiner eigenen Woke-Bubble übe und das auch wichtig finde, bin ich nicht blind: Ich schätze die Gefahr von rechts aktuell als weitaus größer ein als die von links, auch wenn auf Äußerungen über rechte Gewalt häufig genug die Antwort "... aber ... aber ... aber ... DIE LINKEN!!!" kommt. Letztendlich ist dies aber auch nichts anderes als ein beliebtes Manöver, um vom eigentlichen Thema abzulenken - eine Strategie, die aktuell sehr beliebt ist, wenn es um unbequeme Kritik geht. Gerade in rechten und konservativen Kreisen ist es aktuell außerdem sehr en vogue, von drängenden Problemen abzulenken, indem man andere herbeiphantasiert - und so sind die größten Probleme unserer Zeit, glaubt man etwa der FPÖ, nicht die Bildungsmisere, der Ukraine-Krieg, der Klimawandel, steigende Preise und der allgemeine Rechtsruck, sondern das Gendern, der "Woke-Wahnsinn" und der Pride Month. Das Problem an der Sache ist, dass sich gewisse Strategien, etwa aktuell das Festbeißen am Thema LGBTQ und vor allem am Thema Transgender, bereits bis in konservative Kreise durchgesetzt haben - tatsächlich scheinen Parteien wie etwa hierzulande die ÖVP oder in Deutschland die CDU/CSU sich immer mehr rechtsradikales Gedankengut anzueignen in der Hoffnung, damit rechtsradikalen Konkurrenten die Wähler wegzunehmen. Warum sollten diese sich aber mit einer Kopie zufriedengeben, wenn sie auch das Original haben können? Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass die Aussicht auf den nächsten Wahlkampf mir tatsächlich Angst macht - zumal unsere Parteienlandschaft mittlerweile so zerfasert ist. Das Problem ist, dass der Rechtsruck kein rein österreichisches oder deutsches Phänomen ist, sondern mittlerweile in den meisten westlichen Staaten gegeben ist.

Sehr extrem zu spüren ist dies mittlerweile in den USA, die einst als Inbegriff des Fortschritts galten und die mittlerweile nur noch wie eine Dystopie ihrer selbst wirken. Das sieht man vor allem in Florida, dessen Gouverneur Ron DeSantis aktuell als Donald Trumps schärfster Konkurrent bei der Kandidatur für die Republikaner als Präsident gehandelt wird. Und man mag es nicht glauben: Er scheint sogar noch schlimmer zu sein als das tote Meerschweinchen, das sich aus Versehen eine dicke Orange eingetreten hat! Tatsächlich ist DeSantis ein Paradebeispiel für jene Paradoxie, welche in rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Kreisen sehr beliebt ist: nämlich anderen genau das vorzuwerfen, was man selbst tut. Denn während er behauptet, dass die US-Bevölkerung von linksliberalen und "woken" Gruppierungen bevormundet werde, schränkt er aktiv die Rechte anderer ein. So dürfen Ärzte in Florida Patienten aus moralisch-ethischen oder religiösen Gründen ablehnen; Eltern droht der Entzug ihrer Kinder, sobald nur der Verdacht auf eine geschlechtsangleichende Behandlung bestehe - worunter theoretisch alles fallen könnte, welches Geschlechterklischees widerspricht, wie etwa Make-up bei Jungen -; große Wellen schlug auch das "Don't-say-gay"-Gesetz, welches Lehrern mit Jobverlust droht, sollten sie mit Kindern, die noch nicht das dritte Grundschuljahr erreicht haben, über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sprechen. Generell steht der bevorstehende Präsidentschaftswahlkampf auf republikanischer Seite ganz im Zeichen des Hasses gegen Transpersonen - das politisch rechte Lager inszeniert einen hochgradig emotionalisierten "culture war", den manche sogar als "holy war" bezeichnen und der sich in offener Feindseligkeit gegen die Trans-Community äußert. Und dies gelingt vor allem durch das Heraufbeschwören von Problemen, die es eigentlich gar nicht gibt sowie das ewige Geschrei nach dem Schutz der lieben Kleinen.

Tatsächlich zeichnet sich Ron DeSantis nicht nur durch Gesetze verantwortlich, die für Transpersonen existenzbedrohend sind - er wirbt auch noch anlässlich seiner Präsidentschaftskandidatur damit, besonders grausam gegen diese vorgehen zu wollen. So bedient er den Verschwörungsmythos, dass Transitions in Wirklichkeit nur deswegen vorgenommen würden, damit Männer sich in den Frauensport schmuggeln und dort Trophäen abgreifen können. Kelly Craft, Kandidatin für den Gouverneurswahlkampf in Kentucky, wirbt für sich mit dem Versprechen, Trans-Kinder aus Schulen zu entfernen, und eine gewählte Abgeordnete aus Montana kommunizierte im Kongress offen, dass ihr der Suizid ihrer Tochter lieber wäre als eine eventuelle Geschlechtsangleichung. Manche Leute glauben außerdem, dass der amtierende Präsident Joe Biden in Zusammenarbeit mit Lehrergewerkschaften den Plan verfolge, Kinder gezielt trans zu machen, und christlich-fundamentalistische Pastoren in Idaho und Texas rufen zur Ermordung aller Angehörigen der LGBTQ-Community auf. Wie brenzlig die Situation bereits ist, zeigte sich im März diesen Jahres, als eine Hasswelle gegen die Schokoladenmarke Hershey's losbrach, die anlässlich des Internationalen Frauentages in Kanada eine PR-Kapagne mit dem Titel Her for She startete, die von fünf Frauenrechts-Aktivistinnen vorgestellt wurde - darunter auch eine Transfrau. Einen Monat später wurde auch die Biermarke Budweiser mit der aktuell erstarkenden Transfeindlichkeit konfrontiert: Als eine Transgender-Influencerin Werbung für Bud Light machte, trendete auf diversen Social-Media-Plattformen der Hashtag #BoycottBudLight und man teilte Videos von Leuten, die auf Bud-Light-Dosen schossen (darunter auch Trump-Anbeter Kid Rock). Viele Rechtskonservative jammerten, dass dies die schlimmste Zeit ihres Lebens sei (fast beneidenswert, wenn es nicht so traurig wäre); es hagelte Bombendrohungen gegen mehrere Budweiser-Fabriken; Menschen, die es wagten, Bud Light zu kaufen, wurden körperlich attackiert und in den Südstaaten wurde eine "ultrarechte", "woke-freie" Biermarke entwickelt.

Die Dämonisierung von Transpersonen durch rechte Kreise ist jedoch nicht nur in den USA, sondern auch hier in Europa hoch im Kurs. Denn natürlich ist dies ein dankbares Thema: Menschen, die sich als Transgender identifizieren, also sich nicht dem bei der Geburt ermittelten Geschlecht zugehörig fühlen, sind entgegen ihrer panischen Schreie eine kleine Minderheit - was bedeutet, dass viele "Normale" mit diesem Thema nichts anfangen können, weil sie sich nie damit auseinandergesetzt haben. Das ist ja an sich auch nichts Verwerfliches - man kann sich ja nicht mit allem beschäftigen. Das Problem ist allerdings, dass andere sich diese Unwissenheit zunutze machen und jene, die vor ein paar Jahren noch gar nicht wussten, dass es so etwas wie Transgeschlechtlichkeit überhaupt gibt, aktiv gegen Menschen aufbringen, die nichts anderes wollen als ihre Identität zu leben, ohne belästigt oder diskriminiert zu werden. Und indem man ein Problem kreiert, das es eigentlich gar nicht gibt, kann man wunderbar von anderen, viel drängenderen Problematiken ablenken und Menschen dazu bringen, dass sie sich viel mehr Gedanken über unliebsame Interpunktionszeichen machen als über marode Bildungssysteme, galoppierende Inflation oder den menschengemachten Klimawandel.

Entsprechend wird das Thema in unseren Breiten natürlich besonders gern von AfD und FPÖ aufgegriffen - etwa mit Plakaten, auf denen geschminkte Männer mit grausamem Lächeln ihre Hände nach unschuldigen Kindern ausstrecken, eine Ästhetik, die nicht nur mich auf sehr unangenehme Weise an die Propaganda-Plakate der NS-Zeit erinnert, auf denen Juden auf gleiche Weise dargestellt wurden. Und auch in konservativen Kreisen werden die Verschwörungsmythen rund um Transgender inzwischen unreflektiert nachgeplappert - etwa das Narrativ, dass Männer sich lediglich als Transfrauen ausgäben, um kleinen Mädchen ungestört beim Duschen und Umziehen zuschauen zu können. Und natürlich kann es auch nicht überraschen, dass auch innerhalb der LGBTQ-Community nicht differenziert wird - etwa in der aktuellen Debatte darum, ob Dragqueens Kindern Geschichten vorlesen dürfen. Denn Drag ist eine Kunstform, in der mit Geschlechterklischees gespielt wird, und hat als solche auch nichts mit Transgender zu tun - hat aber in den USA bereits dazu geführt, dass vermummte, bewaffnete Gestalten mit Hakenkreuz-Fahnen auf Drag-Events auftauchten und hierzulande dafür gesorgt, dass Kinderlesungen unter Polizeischutz gestellt werden müssen. Wenn ich all diese aufgeregten Leute sehe, die von einer "Indoktrination" kleiner Kinder sprechen, wird mir klar, wie gefährlich diese Mischung aus fehlender Medienkompetenz (Quelle "das weiß man"), geringer Intelligenz und Desinformation werden kann. Denn das sind keine Neonazis mit Hakenkreuzfahne, sondern besorgte Bürger und brave Hausfrauen - mit anderen Worten, ganz normale Leute. Und so kamen Social-Media-User auf die Idee, den Pride Month in "Stolzmonat" umzubenennen und den bösen Regenbogenfahnen die deutsche Nationalflagge entgegenzusetzen: Der "Kulturkampf" ist hier schon längst angekommen.

Und was steht hierbei an erster Stelle? Natürlich - der vermeintliche Kinderschutz. Denn die größte vulnerable Gruppe ist natürlich am leichtesten instrumentalisierbar - wer kann schon etwas dagegen haben, Kinder zu schützen? Das geht schon so weit, dass Regenbogenfarben auf Kinderkleidung bereits für diese Panikmache herhalten müssen - denn selbstverständlich denkt man beim Anblick eines Regenbogens sofort an Sex. Selbst der Himmel will uns alle zwingen, schwul zu werden - und auch die finsteren Machenschaften eines Wasserstrahls werden offenbar, sobald man ihn gegen die Sonne hält! Und so hat man schon in den 1970er Jahren vor schwulen Männern gewarnt, weil die angeblich pädophil seien und Kinder homosexuell machten - und heute werden Männer angeblich trans, um kleine Mädchen belästigen zu können und Kinder trans zu machen. Fakt ist allerdings: Man kann weder homosexuell noch trans "gemacht" werden - es gibt allerdings Menschen, die das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht  nicht "einfach akzeptieren" können. Ich selbst habe das auch erst verstanden, nachdem ich drei Transfrauen persönlich kennengelernt habe - im Prinzip finde ich aber, dass man Menschen auch akzeptieren kann, ohne ihr Anderssein deswegen verstehen zu müssen. Es ist einfach nicht dein Problem, Schurli! Und warum sollten Menschen, wenn sie nun diesen Leidensdruck haben, sich nicht an den Errungenschaften moderner Medizin bedienen dürfen - es erwächst doch niemandem ein Nachteil daraus! Ganz abgesehen davon, dass nicht jede Transperson sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzieht, da diese - wie jede medizinische Maßnahme - auch Risiken beinhaltet, mit denen nicht jede leben will oder kann. Darüber hinaus werden Menschen, die noch nicht ausgewachsen sind, sowieso noch gar nicht operiert - und natürlich finde ich es auch falsch, Pubertätsblocker zu schlucken, wie man es gerade lustig ist, aber kommt das wirklich so oft vor? Und ganz abgesehen davon - warum soll man Kindern, deren Transidentität bereits nachgewiesen ist, eine irreversible Pubertät zumuten, wenn es auch anders geht? Klar könnte man einwenden, dass die Person sich irgendwann einmal umentscheiden könnte - das passiert aber in den seltensten Fällen, und wenn, dann hängt es häufig mit fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz zusammen. Im übrigen birgt jede Operation ein gewisses Risiko mit sich, dass man sie später bereut - aber wenn der positive Aspekt doch so offenkundig überwiegt, warum hängt man sich dann daran auf? Abgesehen davon, dass man sich nicht gleich einer Geschlechtsangleichung unterziehen kann, als würde man zum Friseur gehen - es gibt schon einige Auflagen, die man erfüllen muss, beispielsweise ein psychiatrisches Gutachten, das aktuell noch sehr teuer ist, das aber meiner Meinung nach kostenlos sein sollte.

Man kann also sagen: Es geht  nicht darum, Cis-Kinder "trans zu machen", sondern darum, Trans-Kindern Sicherheit zu bieten. Aber offensichtlich sind die selbst ernannten Kinderschützer gar nicht mehr so kinderlieb, sobald es um Kinder geht, die nicht in ihr Weltbild passen. Stattdessen werden Gefahren ganz ohne Grundlage herbeiphantasiert und von "Frühsexualisierung" gefaselt, wenn es um Regenbögen geht, während schon bei Kleinkindern Mädchenkleidung enger und kürzer fabriziert wird als Jungenkleidung und in Florida ein Gesetz verabschiedet wurde, welches es der Bevölkerung noch leichter macht, an Waffen zu kommen. Tatsächlich gibt es für Florida schon eine offizielle Reisewarnung an marginalisierte Gruppen, während hierzulande Leute, die sich über die ständige Präsenz des Themas beschweren, am meisten über das Thema reden. Und in der Politik sind das gerade diejenigen, die über keine zukunftsfähigen Pläne verfügen und nichts tun als andere zu blockieren, jeglichen Fortschritt zu verhindern und darüber zu jammern, dass die anderen alle blöd sind. Aber wenn man auf diese Weise Politik betreibt, muss man ständig irgendwelche nicht existierenden "Kulturkämpfe" heraufbeschwören und Kleinigkeiten wie die Erlaubnis, zu gendern oder vegane Schnitzel in der Kantine anzubieten zum ultimativen Angriff auf die Freiheit hochstilisieren. Das Problem ist aktuell, dass zu viele Menschen darauf hereinfallen - und ja, darum sorge ich mich tatsächlich. Andererseits empfinde ich, wie ich an anderer Stelle schon angemerkt habe, auch tiefes Bedauern gegenüber denjenigen, die vor allem Angst haben, was sie nicht verstehen und sich deshalb die Chance verbauen, ihren Horizont zu erweitern. Das einzige, was man dagegen tun kann, ist, in Kontakt zu treten - denn ein paar Verbohrte wird es immer geben, aber ich denke, wir sollten die Anzahl dieser so gering wie möglich halten.

vousvoyez

RobBubble: https://www.youtube.com/watch?v=7Mpe5_gBUtI&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=113

extra3: https://www.youtube.com/watch?v=03wBbp5Pa_M&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=115

Der dunkle Parabelritter: https://www.youtube.com/watch?v=FONVcd0-Kf0&list=PL44bo7l-U5ICNPsaJ1G-WG6Soctn7Rhsj&index=114&t=11s

Sonntag, 2. Juli 2023

Leuten, die selber denken, muss man aber auch wirklich alles erklären

Foto von Jr Korpa auf Unsplash

Heutzutage relativieren Leute die Gewalt von Polizisten, wenn das Opfer die "falsche" Hautfarbe hatte - dieselben Leute sind allerdings oft erstaunlich wehleidig, sobald es um sie selbst geht. Ich erinnere mich beispielsweise an ein Video vom Herbst 2020, welches angeblich ebenfalls "Polizeigewalt" dokumentierte - das Dumme war nur, dass man vergessen hatte, den Teil wegzuschneiden, welcher zeigte, dass das vermeintliche Oper zuvor auf die Polizisten losgegangen war, und dass aufgrund dessen sogar die eigene Bubble Zweifel an der Story äußerte. Im Gegensatz dazu gibt es aber etliche Geschichten, für die es bis heute keine plausible Erklärung gibt - und deshalb möchte ich mich heute einmal drei bis heute ungeklärten Kriminalfällen widmen. Um euch im Vorfeld zu beruhigen: Ich bin keine von denen, die von einem heißen "Bad Boy" träumen, und ich finde Kommentare wie "zu hübsch für den Knast", wenn es etwa um einen Jeremy Meeks oder Cameron Herrin geht, einfach nur saudämlich. Im übrigen kann ich euch verraten, dass man auch mit einem Schönling an seiner Seite nicht zwangsläufig das große Los gezogen hat. Das war die heutige Lektion - schreibt euch das auf, denn es kommt ganz sicher bei der Prüfung dran.

Die erste Geschichte, mit der wir uns heute beschäftigen werden, ist nicht nur die eines ungeklärten Mordes - das Opfer selbst ist bis heute ein Rätsel, zu dem es zwar viele Meinungen, aber wenig richtige Fakten gibt. Alles begann am 26. Mai 1828, als ein etwa sechzehnjähriger Junge in Nürnberg auftauchte - bäuerlich gekleidet, mit unsicherem Gang, und er schien Mühe zu haben, sich zu artikulieren. Auf der Polizeiwache war er allerdings in der Lage, seinen Namen zu schreiben: Kaspar Hauser. Im Laufe der nächsten Tage machte eine ganz unglaubliche Geschichte die Runde: In Nürnberg sei ein Junge aufgegriffen worden, der den Großteil seiner Kindheit und Jugend in einem dunklen, niedrigen Verlies verbracht habe, mit nichts als Wasser und Brot zu essen und ohne menschliche Gesellschaft - gepflegt wurde er im Schlaf, welcher möglicherweise durch Opium herbeigeführt worden war, und kurz vor seiner Entlassung habe ihm eine vermummte Gestalt beigebracht, ein paar Worte zu sprechen und seinen Namen zu schreiben. Natürlich weckte die Nachricht diesen außergewöhnlichen Falls die Neugier der Öffentlichkeit - es war die Epoche der Romantik, als das Interesse für sogenannte "Wilde Kinder", welche ohne gesellschaftlichen Einfluss aufgewachsen waren, sehr groß war.

Kaspar Hauser lebte die erste Zeit bei dem pensionierten Gymnasialprofessor Georg Friedrich Daumer, der ihn in verschiedenen Fächern unterrichtete und später über seine erstaunliche Entwicklung berichtete, vor allem über seine Begabung beim Zeichnen und Malen. Darüber hinaus wollte der zur Esoterik neigende Lehrer in ihm außergewöhnliche spirituelle Fähigkeiten entdeckt haben - er betete den Jungen förmlich an und führte an ihm zahlreiche homöopathische und magnetische Experimente durch. Später beschäftigte sich Rudolf Steiner, dem wir ja bereits begegnet sind, mit dem Phänomen Kaspar Hauser und bezog sich dabei vor allem auf Daumer. Doch Kaspar blieb nicht ewig dort - im Laufe seines Lebens wechselte er mehrmals die Unterkunft, außerdem gab es drei Anschläge auf seine Gesundheit. Am 14. Dezember 1833, als er im Haus des Lehrers Johann Georg Meyer in Ansbach wohnte, erlitt er eine gefährliche Stichverletzung, der er drei Tage später erlag. Ehe er starb, erzählte er von einem bärtigen Mann, der ihm einen Beutel überreicht und anschließend zugestochen habe. Man fand den Beutel, der eine kryptische Botschaft enthielt, und beerdigte Kaspar Hauser am 20. Dezember auf dem Ansbacher Stadtfriedhof.

Das Rätsel um Kaspar Hausers Herkunft wurde nie vollständig gelöst, aber seine Geschichte fasziniert bis heute, und selbstverständlich gibt es zahlreiche Hypothesen und auch Verschwörungsmythen über seine Abstammung und seinen Tod. Die bekannteste ist die sogenannte "Erbprinztheorie", welche die Attentate zu bestätigen scheinen: Schon zu seinen Lebzeiten entstand das Gerücht, Kaspar Hauser sei in Wirklichkeit der Erbprinz von Baden, Sohn des Großherzogs Karl und seiner Gemahlin Stéphanie, welcher in der Wiege mit einem sterbenden Kind vertauscht worden sei. Beschuldigt wurde Gräfin Luise Karoline von Hochberg, die Witwe des Großherzogs Karl Friedrich von Baden, die ihren eigenen Nachkommen auf diese Weise zum Thron verhelfen wollte Die Geschichte passte nur zu gut in die Zeit des Vormärz, als die allgemeine Stimmung gegen den Adel sehr negativ war, und war gut geeignet für den politischen Kampf gegen das Haus Baden sowie die Diskreditierung des verhassten politischen Systems. Doch auch das Königreich Bayern nutzte das Gerücht für seine Zwecke - seit längerer Zeit bemühte es sich nämlich, die 1803 an Baden verlorene rheinische Pfalz zurückzugewinnen. Aufgrund der heute bekannten Quellen kann die Erbprinztheorie allerdings ausgeschlossen werden - die Großmutter des echten Erbprinzen hatte den Krankheitsverlauf des namenlosen Kindes genau dokumentiert und war ständig in seiner Nähe, und zudem hatte Luise Karolines Sohn Leopold den Thron mit der Zustimmung aller Großmächte bestiegen, so dass die Hochberger für die Beseitigung des Erbprinzen gar kein Motiv gehabt hätten. Trotzdem gibt es natürlich Leute, die bis heute daran glauben - vor allem Okkultisten und Anthroposophen propagierten diese These im 20. Jahrhundert, die Beweisführung von Amateurforschern halten einer kritischen Überprüfung nicht stand, da das meiste durch eher unseriöse Methoden zustande kam. Auch eine im Jahre 1996 vorgenommene DNA-Analyse zeigte keinerlei genetische Übereinstimmung mit dem Hause Baden. Doch so falsch die Erbprinzentheorie auch sein mag, war sie zu der Zeit, als sie aufkam, doch naheliegend, immerhin war dies nicht die einzige Geschichte eines vermeintlich verhinderten Erben - denken wir nur etwa an den Mann mit der eisernen Maske.

Doch  nicht nur die Erbprinzentheorie, auch der Mord an Kasper Hauser, ja sogar die Geschichte seiner vermeintlichen Gefangenschaft wird heutzutage immer häufiger angezweifelt - wobei es schon zu seinen Lebzeiten Leute gab, die ihn für unglaubwürdig hielten. Mittlerweile vermuten Experten, dass er an einer histrionischen Persönlichkeitsstörung litt - eine psychische Störung, welche sich durch extremes Streben nach Aufmerksamkeit, manipulatives und theatralisches Verhalten bemerkbar macht. Tatsächlich beschrieben ihn selbst jene, die ihm positiv zugetan waren, als eitel, heuchlerisch und unaufrichtig - schon damals fielen einigen seiner Zeitgenossen Ungereimtheiten auf: Er hatte einen gesunden Teint, wies weder Anzeichen einer Mangelernährung noch organischer Schäden durch jahrelange beengte Verhältnisse oder gar ständiger Verabreichung von Opium auf. Im Großen und Ganzen widersprach sein körperlicher und geistiger Zustand seiner Geschichte gänzlich, ganz abgesehen davon, dass er ein solcherart beschriebenes Martyrium gar nicht hätte überleben können. Umso erstaunlicher ist, dass es selbst heute noch Menschen gibt, die die Geschichte glauben. Viele nehmen allerdings an, dass er tatsächlich längere Zeit wenig Kontakt zur Außenwelt hatte - möglicherweise wurde er tatsächlich verstoßen und in der Folge im Zusammenspiel einer wohlwollenden, aber naiven Öffentlichkeit mit seinem Zustand seelischer Verwahrlosung zu einer mystischen Figur überhöht, eine Rolle, in der er sich mit er Zeit zu wohl zu fühlen schien, um sie noch ablegen zu können. Dazu passt auch die Vermutung, dass er die vermeintlichen Mordanschläge selbst inszeniert hat - und dass er sich beim dritten Mal unbeabsichtigt so schwer verletzte, dass er daran starb. Interessanterweise passierten die Anschläge nämlich immer dann, wenn die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, allmählich nachließ bzw. wenn er sich mit jenen, bei denen er untergekommen war, überworfen hatte.

Aber was die Wahrheit auch sein mag, das Phänomen Kaspar Hauser ist zeitlos und beschäftigt die Menschen daher in jede Epoche. Und so fand es nicht nur in der Wissenschaft und Kriminalistik, sondern auch in vielen künstlerischen Genres Eingang. Zu nennen ist hier etwa Jakob Wassermanns historischer Roman Capsar Hauser oder Die Trägheit des Herzens von 1908; Paul Verlaines Gedicht Gaspard Hauser chante von 1881; Georg Trakls Kaspar Hauser Lied von 1913; Kurt Matulls Stummfilm Kaspar Hauser von 1915; Walter Benjamins Kinderhörspiel Caspar Hauser von 1930; Roy Kellinos Film The Mystery of Caspar Hauser von 1956 mit Michael Landon in der Hauptrolle; Robert Adolf Stemmles zweiteiliger Fernsehfilm Der Fall Kaspar Hauser von 1966 mit Wilfried Gössler in der Hauptrolle; Peter Handkes Sprechstück Kaspar von 1968; Reinhard Meys Lied Kaspar von 1969; Werner Herzogs Jeder für sich und Gott gegen alle von 1974 mit Bruno S. in der Hauptrolle; Suzanne Vegas Song Wooden horse von 1987; Paul Austers Roman City of Glass von 1989; Peter Sehrs Kaspar Hauser - Verbrechen am Seelenleben eines Menschen von 1993 mit André Eisermann in der Hauptrolle; die anthroposophisch orientierten Kaspar-Hauser-Festspiele, die seit 1998 in Ansbach stattfinden; Günter Brus' und Burgis Paiers Ausstellung in Graz von 2008. Diese Liste ist natürlich wieder unvollständig und eher subjektiv.

Der nächste Fall, über den ich heute sprechen möchte, jährte sich gerade im letzten Jahr zum hundertsten Mal, aber ich kann euch leider nicht erklären, warum ich ihn davor nicht auf dem Schirm hatte. Es geht hier um einen grausamen Sechsfachmord, der bis heute nicht aufgeklärt werden konnte, der aber nach wie vor etliche Hobbydetektive beschäftigt, schon allein wegen der außergewöhnlichen Umstände. Tatort ist ein Bauernhof in Oberbayern, der in vielen Quellen als Einödhof bezeichnet wird, obwohl er keineswegs so abgelegen lag, wie das bei solchen Ansiedlungen normalerweise der Fall ist. Opfer war die gesamte auf diesem Hof lebende Familie inklusive Magd - letzte hatte gerade ihren ersten Arbeitstag hinter sich gebracht. Hinterkaifeck war 1863 errichtet und etwa ein Jahr nach den Morden abgerissen worden - heute befindet sich dort landwirtschaftliche Nutzfläche, während das Marterl, also der Bildstock, der zum Gedenken an die Opfer errichtet worden war, voriges Jahr entfernt worden war - zu groß sei der Andrang an Katastrophentouristen und die daraus resultierende Unruhe gewesen. Aber wer waren diese Leute, die durch ein so brutales Verbrechen ihr Leben lassen mussten?

Die Personen, die diesem Massaker zum Opfer fielen, waren grob zusammengefasst ein älteres Ehepaar, deren erwachsene Tochter mit ihren beiden Kindern sowie die Magd, die wohl nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Passiert ist die Tragödie in der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1922, die Leichen wurden allerdings erst am 4. April gefunden. Cäzilia Gruber hatte den Hof von ihrem 1885 verstorbenen ersten Ehemann geerbt und bewirtschaftete ihn mit ihrem ehemaligen Knecht Andreas Gruber, der neun Jahre jünger war als sie und den sie nicht einmal ein Jahr später geheiratet hatte. Sie hatte sieben Kinder zur Welt gebracht, von denen jedoch nur drei das Säuglingsalter überlebten - was zur damaligen Zeit allerdings nicht ungewöhnlich war. Ihr einziges überlebendes Kind aus zweiter Ehe war Viktoria Gabriel, die ebenfalls zu den Mordopfern gehörte und bei der die meisten Fäden zusammenliefen. Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie 35 Jahre alt und als Alleinerbin des Hofes eingesetzt. Seit ihrem 16. Lebensjahr wurde sie von ihrem Vater regelmäßig sexuell missbraucht - dies war unter den Dorfbewohnern bekannt, im Jahr 1915 handelten sich beide eine Haftstrafe wegen "Blutschande" ein. 1914 heiratete Viktoria den Landwirtssohn Karl Gabriel, der jedoch im selben Jahr noch im Zuge des Ersten Weltkriegs an der Front sein Leben verlor. Obwohl sein Kriegstod eindeutig bewiesen ist, wurde er immer wieder als Tatverdächtiger in dem Mordfall Hinterkaifeck angeführt - es besteht die These, dass er überlebt hatte und die Familie aus Rache tötete, nachdem er erfahren hatte, dass seine Frau ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hatte. Insgesamt hatte Viktoria zwei Kinder - ihre Tochter Cäzilia, die kurz nach Karl Gabriels Tod zur Welt gekommen war, war zum Zeitpunkt ihres Todes sieben Jahre alt. Die Vaterschaft des zweiten Kindes, das Josef hieß und in der Nacht der Bluttat zweieinhalb Jahre alt war, konnte nie geklärt worden, da sowohl Andreas Gruber als auch er Nachbar Lorenz Schlittenbauer, mit dem Viktoria nach dem Tod ihres Ehemannes ein Verhältnis angefangen hatte, als leibliche Väter in Frage kamen.

Lorenz Schlittenbauer wird als einer der Hauptverdächtigen gehandelt, auch weil er sich bei Befragungen in Widersprüche verstrickte und durchaus ein Motiv hatte - stichhaltige Beweise für seine Schuld gibt es allerdings bis heute nicht, und es kann durchaus sein, dass ihm all die Jahre Unrecht getan wurde. Schlittenbauer war verwitwet mit vier Kindern und erzählte später, dass Viktoria Gabriel ihm schon vor dem Tod seiner Frau sexuelle Avancen gemacht habe; 1918 begann er ein Verhältnis mit ihr und beabsichtigte auch, sie zu heiraten, was allerdings daran scheiterte, dass er ein Ende der sexuellen Stelldichein zwischen Vater und Tochter forderte, womit Andreas Gruber nicht einverstanden war. Im September 1919 brachte Viktoria einen Jungen zur Welt, dessen Existenz immer wieder einen Konfliktpunkt zwischen Schlittenbauer und den Bewohnern Hinterkaifecks darstellte, denn dieser zog die Anerkennung für die Vaterschaft mehrmals zurück. Irgendwann scheint ihm das ewige Spiel auf die Nerven gegangen zu sein, und er heiratete 1921 eine andere Frau, die ebenfalls ein uneheliches Kind hatte, welches er als sein eigenes anerkannte. Ihr gemeinsames Kind verstarb zwei Tage vor den Morden auf Hinterkaifeck, weshalb manche, die sich mit dem Fall befassen, einen Racheakt Schlittenbauers vermuten - dessen ehelich geborenes Kind im Gegensatz zu Josef nicht am Leben geblieben war.

Schon Tage vor den Morden geschahen rund um Hinterkaifeck einige seltsame Dinge: So entdeckte Andreas Gruber Spuren im Schnee, welche auf den Hof, aber nicht von da wegführten; ein Haustürschlüssel war verschwunden; am 30. März wurde ins Maschinenhäuschen und die Futterkammer eingebrochen; nachts waren auf dem Dachboden Schritte zu hören, die man niemandem zuordnen konnte. Die Tatzeit wird zwischen 19:30 und 21:00 anberaumt, also zum Einbruch der Dunkelheit - da es auf dem Hof kein elektrisches Licht gab, war dies die ideale Zeit, um zuzuschlagen. Die ersten vier Opfer wurden im Stadel, also in der Scheune, ermordet - man nimmt an, dass zuerst Viktoria, dann ihre Mutter, ihr Vater und zuletzt ihre kleine Tochter umgebracht wurden. Alle starben durch Schläge auf den Kopf mit einer dem Hof zugehörigen Reuthaue, einem Hackwerkzeug zur Rodung kleinerer Bäume und Sträucher, das aufgrund einer unfachmännischen Reparatur unverkennbar war - die Tatwaffe wurde ein Jahr nach der Tat beim Abriss des Hofes auf dem Dachboden gefunden. Die Magd Maria Baumgartner, eine 45jährige Frau mit verkürztem Bein und einer leichten geistigen Behinderung, war im Haus durch einen gezielten Schlag auf den Kopf getötet worden, ehe der Kopf des kleinen Josef, der in seinem Stubenwagen lag, regelrecht zertrümmert wurde. Ebenso seltsam wie der Umstand, dass das kleine Kind überhaupt sterben musste, war die Brutalität, mit der es zur Strecke gebracht wurde - dies weist stark auf eine Aggressionstat hin, denn im Gegensatz zur Magd war der Junge kein eventueller Zeuge, der beseitigt hätte werden müssen. Ebenso bemerkenswert ist, dass die Leichen nach der Tat alle zugedeckt worden waren  die Toten im Stadel mit Stroh, die Magd mit einer Daunendecke und der kleine Junge mit dem Kleid seiner Mutter.

Ebenso gruselig wie die Bluttat selbst ist, dass der/die Täter in den nächsten Tagen ganz offensichtlich auf dem Hof geblieben oder zumindest wieder dorthin zurückgekehrt ist/sind. Ans diesem Grund wurden die Leichen wohl auch so spät entdeckt - denn das Vieh muss in all dieser Zeit noch regelmäßig versorgt worden sein, wie jeder weiß, der schon einmal erlebt hat, wie laut Kühe sein können, wenn sie volle Euter haben. Außerdem entdeckte die Polizei später, dass sowohl der Brotvorrat aufgebraucht als auch das Fleisch aus der Vorratskammer frisch angeschnitten worden war. Es fiel zwar durchaus auf, dass die Familie seit dem 31. März nicht mehr gesehen worden war - zwei Kaffeeverkäufer sowie der Briefträger hatten auf dem Hof niemanden angetroffen, Cäzilia Gabriel fehlte in der Schule und die Familie war nicht zum Sonntagsgottesdienst erschienen -, aber die Hinterkaifecker galten als geizig, eigenbrötlerisch und nicht besonders gastfreundlich, so dass man sich offenbar nichts dabei dachte. Erst am 4. April fiel einem Monteur, der auf den Hof kam, um wie vereinbart die Futterschneidemaschine zu reparieren, die gespenstische Leere auf - und so verständigte er nach getaner Arbeit die Schlittenbauers. Lorenz Schlittenbauer schickte zunächst seine beiden Söhne nach Hinterkaifeck; als auch diese niemanden angetroffen hatten, ging er mit zwei Freunden hin. Sie entdeckten die abgedeckten Leichen im Stadel, woraufhin Schlittenbauer ins Haus lief, nach eigener Aussage aus Sorge um den kleinen Josef, und schloss die Haustür von innen mit dem Schlüssel auf, der vor einigen Tagen abhanden gekommen war - er behauptete später, er habe im Türschloss gesteckt. Sein Verhalten auf dem Hof war einer der Gründe, warum man ihn später verdächtigte - erstens schien er sich ungewöhnlich gut auszukennen, zweitens hätte er sich theoretisch sehr gut unbemerkt zwischen HInterkaifeck und dem eigenen Hof hin- und herbwegen können. Aber wie schon gesagt - Beweise sind das keine.

Noch am selben Abend erreichten Beamte der Gendarmeriestation Hohenwart den Tatort - hauptsächlich, um die vielen Schaulustigen zu vertreiben, die sich inzwischen eingefunden hatten. Danach verständigten sie die Polizeidirektion München, die am darauffolgenden Morgen den Hof besichtigte und die ersten Vernehmungen durchführte. Zunächst ging man von einem Raubmord aus, ein Motiv, das allerdings zunehmend angezweifelt wurde, da nur sehr wenig gestohlen worden war. Die Obduktion der Leichen fand mitten im Hof auf einem improvisierten Seziertisch statt, danach wurden die Köpfe abgetrennt und später aus unerfindlichen Gründen einem Medium überlassen, dessen spiritistische Sitzungen jedoch ebenso wenig Ergebnisse brachten wie die Ermittlungen der Polizei. Trotzdem wurde in alle nur denkbaren Richtungen ermittelt, und alle möglichen Hinweise gingen bei der Mordkommission ein, von denen aber nur die wenigsten wirklich stichhaltig waren.

Die Brutalität der Morde erklärt die Wahrscheinlichkeit einer Beziehungstat, inklusive der Tatsache, dass nicht einmal der kleine Josef am Leben gelassen wurde. Manche vermuten, dass das Dorf seine Rachegelüste an der Familie ausgelebt habe, aber auch das ist sehr unwahrscheinlich. Sehr seltsam ist auch die Rückkehr zum Tatort, um die Tiere zu füttern - allerdings neigen Beziehungstäter laut Kriminalpsychologin Lydia Benecke ganz allgemein eher zu irrationalem Verhalten. Möglicherweise ging es um die Aufrechterhaltung des Status Quo, vielleicht war es auch ein Aufräumverhalten aufgrund von Verleugnung und Überforderung. Des weiteren traten im Laufe der Ermittlungen noch einige andere Ungereimtheiten zutage, vielen Hinweisen wurde allerdings nicht nachgegangen, und der eine oder andere "Beweis" wurde hinterher wieder revidiert - etwa die Mulden im Heu auf dem Dachboden, welche ursprünglich als Versteck der Täter interpretiert wurden, aber genauso gut auch Andreas Gruber und seiner Tochter als Liebesnest gedient haben könnten. Auch wurde die Vernehmung des Monteurs, der die Futterschneidemaschine repariert hatte, zunächst verabsäumt und erst 1925 nachgeholt - einige seiner Aussagen lassen den Schluss zu, dass der bzw. die Täter sich während seiner Anwesenheit ebenfalls auf dem Gehöft aufgehalten haben.

Obwohl Schlittenbauer als Hauptverdächtiger gehandelt wurde und auch im Nachhinein häufiger seltsame Aussagen getätigt hatte, konnte man ihm bis zu seinem Tod im Jahre 1941 nichts nachweisen. Ein weiterer Verdächtiger war ein aus einer Psychiatrie geflohener Insasse, der für seine Gewalttätigkeit bekannt war - die Tatsache, dass der Hof nach den Morden noch bewirtschaftet und die Toten zugedeckt wurden, schließt jedoch einen Mord aus reiner Lust am Töten eher aus. Die Familie war für ihren Geiz bekannt und beschäftigte immer wieder - auch illegal - Zeitarbeiter, welche ebenfalls in Verdacht gerieten. Der Fall konnte bis heute nicht aufgeklärt werden, es gibt aber mittlerweile eine ganze Website, die sich damit beschäftigt - 2007 war er sogar Gegenstand der Abschlussklausur an der Polizeifachhochschule Fürstenfeldbruck. Und natürlich inspirierte er neben zahlreichen Dokumentarfilmern auch das ein oder andere künstlerische Werk - etwa den Mystery-Thriller Hinter Kaifeck von Esther Gronenborn aus dem Jahr 2009 oder auch den 2006 erschienenen Roman Tannöd der deutschen Schriftstellerin Andrea Maria Schenkel, welcher 2009 unter der Regie von Bettina Oberli mit Volker Bruch und Monica Bleibtreu verfilmt worden war.

Der letzte Fall, den ich euch mitgebracht habe, handelt von einem jener zahlreichen hoffnungsvollen jungen Menschen, die vom Mythos Hollywood geblendet worden, aber daran gescheitert waren. Und doch hat "die schwarze Dahlie" es letztendlich geschafft, berühmt zu werden - allerdings auf eine Art, wie man es niemandem wünschen würde. Am 15. Januar 1947 entdeckte eine junge Mutter, die gerade mit ihrer kleinen Tochter unterwegs war, in einem Neubauviertel von Los Angeles die nackte, übelst zugerichtete und bizarr positionierte Leiche einer jungen Frau. Der Körper war an der Taille fein säuberlich in zwei Hälften geteilt und diese dreißig Zentimeter voneinander drapiert worden; die Beine waren obszön gespreizt, das Gesicht zur Straße gedreht, die Mundwinkel zu einem sogenannten "Glasgow Smile" aufgeschlitzt. Es handelte sich um die 22jährige Elizabeth Short aus Massachusetts, die nach Kalifornien gekommen war, weil sie hoffte, als Filmstar entdeckt zu werden.

Elizabeth, genannt "Betty", wuchs in relativem Wohlstand auf, bis die Wirtschaftskrise zuschlug und ihr Vater eines Tages seine Frau und seine fünf Töchter im Stich ließ - er setzte sich nach Kalifornien ab und meldete sich erst zehn Jahre später wieder. Verständlicherweise wollte seine Frau nichts mehr mit ihm zu tun haben - anders als die sechzehnjährige Elizabeth, die davon träumte, eine jener unvergesslichen Hollywood-Diven zu werden, die alle Welt verehrt und bewundert. Tatsächlich war sie der Inbegriff des damaligen weiblichen Schönheitsideals: lange Beine, Stupsnase, porzellanweiße Haut, lockige braune Haare, strahlend blaue Augen. Sie reiste zu ihm nach Vallejo, schaffte es jedoch nicht, eine stabile Beziehung zu ihm aufzubauen - er erwartete, dass sie ihm als Hausfrau diente, während sie das Abenteuer suchte und gar nicht daran dachte, sich unterzuordnen. Also nahm sie 1943 einen Job in der Poststelle eines Armeelagers in der Nähe von Santa Barbara an, wo die jungen Männer um die Aufmerksamkeit der Schönen buhlten. Ihre Zeit dort endete jedoch abrupt, als sie bei einer Party erwischt und wegen unerlaubten Alkoholkonsums angezeigt wurde.

Die nächsten Monate lebte sie in Florida, ehe sie 1944 nach Los Angeles zog, wo sie sich oft in Nachtclubs, Bars und Restaurants aufhielt, da sie immer noch von einer Karriere als Filmstar träumte. Zu Silvester, als sie wieder in Florida war, schien ihr Leben jedoch in ruhigere Bahnen zu steuern: Sie lernte den Luftwaffen-Offizier Matthew Gordon kennen, den sie zu heiraten beabsichtigte, der jedoch Ende August 1945 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Trotzdem erzählte sie später immer wieder, sie sei mit ihm verheiratet gewesen und habe ein Kind gehabt, das allerdings früh verstorben sei. Dass sie es mit der Wahrheit nicht immer so genau nahm, sollte einer der vielen Aspekte sein, welche die Ermittlungen zu ihrem Mord noch erheblich erschweren sollten. Nach Gordons Tod stürzte sie sich ins Nachtleben, war praktisch jeden Abend an der Seite eines anderen Mannes zu sehen, hatte keinen festen Wohnsitz mehr und keinen Job, sondern ließ sich hauptsächlich von ihren Begleitern aushalten. Das war in einer Zeit, in welcher es schon ein Affront war, bei der Hochzeit nicht mehr Jungfrau zu sein, natürlich höchst verdächtig, und so unterstellten die Medien ihr nach ihrem Tod häufig Liederlichkeit, machten sie gar zur Prostituierten - und das, obwohl von Hunderten von Verehrern gerade einmal drei behaupteten, mit ihr geschlafen zu haben. So entstand das Gerücht, ihre Genitalien seien unterentwickelt gewesen - da sie aber sehr wohl sexuelle Beziehungen führte, wenn auch nur wenige, kann man wohl auch das getrost ausschließen. Damals hatte sie keine richtigen Freunde, sondern schloss sich immer mal für kurze Zeit einer Clique oder einem männlichen Begleiter an, ehe sie wieder verschwand und wenig später mit ganz anderen Leuten unterwegs war. Ihre Spur verlor sich am 9. Januar 1947, nachdem ein Vertreter namens Robert Manley sie in San Diego von der Straße aufgelesen und nach Los Angeles mitgenommen hatte. Danach gab es zwar noch verschiedene Leute, die sie vor dem 15. noch lebend gesehen haben wollen, aber diese Aussagen sind alle nicht mehr verifizierbar.

Nach dem Fund ihrer Leiche überschlugen sich die Spekulationen, aber keine hat zu einem Ergebnis geführt. Die Zerteilung des Körpers wirkte professionell, die Inszenierung des Fundes planvoll, außerdem war die Leiche so ordentlich gewaschen worden, dass keine Spuren eines Täters mehr an ihr zu finden waren. Die Art und Weise, wie sie abgelegt worden war, degradierte das Opfer noch über den Tod hinaus und weist auf die Ausübung einer bestimmten Phantasie hin, ebenso wie die Spuren extremer Gewalt, die an dem Körper zu finden waren. Aus diesem Grund ging man zunächst von einem Serienmörder aus, allerdings fand man bei er Suche nach ähnlichen Taten keine eindeutigen Parallelen, zumal sich die Tötungsdelikte zur damaligen Zeit ohnehin häuften. Auch der Kreis mutmaßlicher Täter war enorm, da Elizabeth außergewöhnlich viele Beziehungen und Bekanntschaften hatte, die jedoch alle nur oberflächlich waren - so gab es in dem Fall sage und schreibe 27 Hauptverdächtige. Dazu kam ihr Hang, die Wahrheit so zu verdrehen, wie es ihr gerade passte. Der Mord an ihr beherrschte zwei Monate lang die Schlagzeilen, weshalb Mythen heute kaum noch von den Fakten zu trennen sind - auch wenn man die unvermeidlichen Gerüchte über Außerirdische und Satanisten meiner bescheidenen Meinung nach getrost im Reich der Phantasie verorten darf. Das Eigenartige an der Geschichte ist auch, dass so mancher in der Geschichte die Möglichkeit zu sehen schien, sich zu profilieren, jedenfalls gab es damals zahlreiche Spinner, die sich ernsthaft als Täter ausgaben. Doch auch der tatsächliche Mörder schien es nicht ganz lassen zu können, seinen Geltungsdrang auszuleben, jedenfalls schickte er im Laufe der Zeit persönliche Sachen des Opfers an die Polizei - die er allerdings zuvor mit Benzin gereinigt hatte, so dass niemals auch nur ein Hinweis auf ihn gefunden werden konnte.

Anfang der 1990er Jahre behauptete die Sängerin und Autorin Janice Knowlton, den Mord an Elizabeth Short mit angesehen zu haben ; der Täter sei ihr Vater gewesen, der 1962 bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Die Erinnerung sei durch eine Recovered-Memory-Therapie bzw. Trauma-Erinnerungstherapie wieder hervorgerufen worden - das Problem ist allerdings, dass die Gefahr der Suggestion bei solchen Therapien sehr hoch ist und damit natürlich auch die Wahrscheinlichkeit der Erzeugung falscher Erinnerungen. Zudem stimmten Knowltons Aussagen nicht mit den Fakten in der Ermittlungsakte überein - trotzdem veröffentlichte sie 1995 das Buch Daddy was the Black-Dahlia-Killer. Sie war jedoch nicht die einzige, die ihren Vater mit dem Mord in Verbindung brachte - auf weitaus größeres Interesse stießen die Aussagen von Steve Hodel, der selbst als Mordermittler beim LAPD gearbeitet hatte und ebenfalls seinen Vater beschuldigte, Elizabeth Short getötet zu haben. Im Gegensatz zu George Knowlton hatte Dr. George Hodel in den 1940ern tatsächlich zu den Hauptverdächtigen gezählt, nachdem seine vierzehnjährige Tochter ihn wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt hatte - allerdings gibt es auch in diesem Fall keinerlei handfeste Beweise, da nicht einmal einwandfrei erwiesen ist, dass Dr. Hodel das Opfer überhaupt kannte. Da er jedoch eine äußerst unsympathische Persönlichkeit war, ist es natürlich einfach, ihn zu verdächtigen.

George Hodel war musikalisch hochbegabt, der Drill durch seine Mutter schon im Kindesalter schien in ihm jedoch einen lebenslangen Hass auf Frauen hervorgerufen zu haben - er neigte zu extremen Wutanfällen, und sein sehr reges Sexualleben war eng mit Gewalt gegen Frauen verknüpft, bis hin zu gefährlichem Sadismus. Er hatte elf Kinder mit fünf verschiedenen Frauen und war ein erfolgreicher Spezialist für Geschlechtskrankheiten, der sich in der High Society von L. A. bewegte und mit prominenten Persönlichkeiten wie dem Fotokünstler Man Ray und dem Filmregisseur John Huston befreundet war. Die Anklage seiner Tochter Tamar war für die damalige Zeit noch sehr ungewöhnlich und entsprechend auch nicht von Erfolg gekrönt, zumal ihre eigene Familie gegen sie aussagte.

Auch die Beziehung zwischen Dr. Hodel und seinem Sohn Steve scheint hochgradig problematisch gewesen zu sein - nachdem dieser im Nachlass seines 1999 verstorbenen Vaters zwei Fotos entdeckt hatte, auf denen, wie er vermutete, Elizabeth Short abgebildet war (was von deren Angehörigen allerdings dementiert wurde), war er nahezu besessen davon, Indizien zusammenzutragen, die seinen Vater belasteten, und veröffentlichte drei Bücher. Das Problem ist allerdings, dass Steve seinen Vater so ziemlich jedes zu seinen Lebzeiten stattfindenden Mordes bezichtigte und insgesamt sehr versessen darauf war, ihn als das absolute Böse darzustellen.

Elizabeth Short ging unter dem Namen "die schwarze Dahlie" in die Kriminalgeschichte ein - ihr Fall gilt als einer der bekanntesten in der Geschichte von Los Angeles. 1987 veröffentlichte der amerikanische Schriftsteller James Ellroy den Roman The Black Dahlia (dt. Die schwarze Dahlie),  der 2006 von Brian De Palma verfilmt wurde. Auch die erste Staffel Murder House der Serie American Horror Story basiert auf dem Fall, und zu Beginn der 2000er nannte sich eine Melodic-Death-Metal-Band in Anlehnung daran "The Black Dahlia Murder".

Wie ihr also seht, gibt es einen Haufen ungeklärter Kriminalfälle, die uns wohl beschäftigen werden, solange die Menschheit noch besteht - deren Aufklärung jedoch immer unwahrscheinlicher wird, je weiter die Zeit voranschreitet. Aber das ist wohl auch der Grund, warum sie über Generationen hinweg immer wieder faszinieren. Nun muss ich zugeben, dass ich, was diesen Blog betrifft, ein wenig nachlässig geworden bin - was wohl daran liegt, dass mich das Offline-Leben momentan immer noch sehr in Anspruch nimmt. Ich kann euch aber versichern, dass ich nicht aufhören werde, mich immer wieder mal auf das Schreiben zurückzubesinnen und wünsche euch bis dahin eine schöne Zeit. Bon voyage!

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